Die Vampirschwestern 10 - Ein Date mit Bissverständnis - Franziska Gehm - E-Book

Die Vampirschwestern 10 - Ein Date mit Bissverständnis E-Book

Franziska Gehm

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Beschreibung

Zensatoi futzi! Daka und Silvania sind völlig aus dem Häuschen: Krypton Krax, ihre muffig-gruftige Lieblingsband aus Transsilvanien, gibt ein Konzert in Bindburg! Auch Helene, die beste Freundin der Vampirschwestern, ist begeistert: Endlich wird sie ihren Schwarm Murdo, den unwiderstehlich modrigen Sänger der Band, wiedersehen! Doch dann entpuppt sich das Konzert als ein echtes Bissvergnügen. Franziska Gehms lustige Reihe für Mädchen ab 10 Jahren begleitet die halb-vampirischen Teenie-Schwestern Daka und Silvania durch ihren Alltag mit Eltern und Schule, aber auch durch Abenteuer mit bissigen Fledermäusen und der ersten Liebe. Unterstützt werden die paranormalen Heldinnen von Helene, deren Freundschaft allen Unterschieden, Hindernissen und Gefahren trotzt.

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Liebe macht blöd

Glaubst du etwa nicht an die wahre, flammende Liebe, bei der man lichterloh brennt? Bei der alle anderen irdischen Belange nichtig werden?‘, fragte er. ‚Oh, wie gerne würde ich in dieses süße Reich der Gefühle fliehen‘, erwiderte sie. ‚Doch schon allzu oft brach man mir gar grausam mein unschuldiges Herz. Es wurde zerschmet–‘“

„SILVANIA! Lies deinen Liebes-Fumpfs-Roman gefälligst leise!“ Daka hing kopfüber an der Metallleine, die durchs gemeinsame Zimmer der Vampirschwestern gespannt war. „Sonst verstopfen meine Gehörgänge noch vor lauter Schmalz.“ Sie bohrte sich den kleinen Finger ins Ohr, zog ihn heraus und tat so, als würde sie eine Ladung Schmalz durchs Zimmer schnipsen.

Silvania, Dakas sieben Minuten ältere Schwester, saß unter ihr in einem alten Samtsessel, hatte die Beine übereinandergeschlagen und ein dickes Buch auf dem Schoß. „Skyzati“, sagte Silvania.

Das war Vampwanisch und hieß „Entschuldigung“. Silvanias Ton war allerdings so spitz und zitronig, dass „Bunkprum“ besser gepasst hätte. Auch das war Vampwanisch und hieß so viel wie „oller Sargpupser“.

„Ich wollte Helene nur in die richtige Stimmung für ihren Chat mit Murdo bringen“, sagte Silvania.

Helene war die beste Freundin der Vampirschwestern. Sie saß am Schreibtisch vor einem Laptop. Ihre Finger flogen wie Spinnenbeinchen über die Tastatur, während sie mit glänzenden blauen Augen auf den Bildschirm starrte. Sie bekam vom Schmalz der Vampirschwestern nichts mit. Sie war gerade in einer anderen Welt: im Vampir Vunio Zettercorda, kurz VampirVZ.

„Liegt Murdo denn in seinem virtuellen Sarg?“ Daka schielte auf den Laptopbildschirm, erkannte aber nichts.

„Hat er dir eine romantische Nachricht in den Sargdeckel geritzt?“, fragte Silvania und richtete sich im Samtsessel auf.

„Oder dir eine virtuelle Fledermaus mit einem Kanister Blut geschickt?“, fragte Daka.

„Oder hat er dich gegreißt?“ Silvania zwinkerte Daka verschwörerisch zu.

Greißen war eine Mischung aus liebevollem Beißen und Grüßen. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit hätte Daka auch nichts dagegen gehabt, von Murdo mal so richtig schön gegreißt zu werden. Murdo war wild, verwegen und finster. Und er war ein Star. Zumindest in Bistrien, der unterirdischen, transsilvanischen Heimatstadt von Silvania und Daka Tepes. Murdo war der unwiderstehlich modrige Sänger der unwahrscheinlich muffigen Band Krypton Krax.

Als Helene mit den Vampirschwestern in den Ferien nach Bistrien geflogen war, hatte sie Murdo bei einem Konzert kennengelernt. Knallbumm oder rapedadi, wie man auf Vampwanisch sagen würde, hatte sie sich in ihn verliebt. Bisher war es weder zum Kuss noch zum Biss gekommen. Aber die Botschaften, die Murdo im VampirVZ an Helene schickte, brachten ihr Blut in Wallung – was Murdos Eckzähne wiederum vor Entzückung zum Quietschen brachte.

„He, Helene!“ Daka schaukelte an der Metallleine. „Hast du dein Hörgerät ausgeschaltet?“

„Ich würde sagen, das ganze Gehirn“, meinte Silvania und musterte Helene wie eine Chefärztin mit Kennerblick. „Oder aber Liebe macht nicht nur blind, sondern auch taub.“

„Gumox! Liebe macht blöd. Sieht man doch.“ Daka blickte mitleidig zu Helene.

Helene tippte ungestört fieberhaft auf der Tastatur. Die feinen blonden Härchen auf ihren Armen, die wie immer mit Kugelschreiber-Tattoos verziert waren, stellten sich vor Prickeln auf.

„Ist schon klasse, wenn man eine Freundin hat, die immer ein offenes Ohr und Zeit für einen hat.“ Daka sah zu Helene.

Silvania nickte. „Eine Freundin, mit der man sich richtig gut unterhalten kann.“

„Soll ja Freundinnen geben, die hocken nur vor dem Computer und schweigen sich an“, meinte Daka.

„Echt? Wie furchtbar!“ Silvania schielte zu Helene. „Stell dir vor, man sitzt zusammen mit der Freundin in einem Zimmer und man ist Luft für sie.“

„Ach komm, hör auf, so etwas gibt es doch gar nicht“, erwiderte Daka.

Plötzlich knallte ein tennisgroßes dunkelgraues Bündel gegen das Fenster. Silvania und Daka zuckten zusammen. Helene tippte unbeirrt weiter.

„Fledermauspost!“ Daka schwang sich mit einer Rolle rückwärts von der Leine und flopste zum Fenster. Sie holte die Fledermaus herein, nahm ihr das Papierröllchen ab und hängte sie an die Metallleine. Dann fischte sie aus einem Spinnennetz eine Fliege und fütterte damit die Fledermaus. Nach dem langen Flug aus Transsilvanien hatte sie sich eine Stärkung verdient.

Silvania sah gespannt zu ihrer Schwester, die das Papierröllchen öffnete.

Helene blickte gebannt auf den Bildschirm.

Einen Moment wurde es totenstill im Zimmer. Dann riefen Daka und Helene plötzlich wie aus einem Mund:

„KRYPTON KRAX GEHEN AUF TOUR!“

Silvania rutschte der dicke Liebesroman vom Schoß, als sie aufsprang. „Schlotz zoppo!“

Helene fuhr am Schreibtisch herum. Ihre Augen funkelten vor Freude und Aufregung. „Murdo hat es mir gerade in den Sarg geritzt! Krypton Krax kommen zu uns nach Deutschland, nach Bindburg! Aaaaaaaah!“ Sie kreischte und trommelte mit den Füßen auf den Boden, zog sich an den Haaren und schüttelte danach den Kopf wild hin und her.

Silvania hatte wieder den Chefärztinnenblick aufgelegt und musterte sie besorgt.

„Und hier schreibt Murdo“, Daka hielt das Papierröllchen hoch, „dass wir in Bindburg die Managerinnen der Band sein sollen. Er sagt, wir sollen eine modrige Location für das Konzert auschecken, eine gruftige Bude zum Pennen für sie finden und mal schön bissig Werbung machen, damit viele leckere Fans aller Blutgruppen kommen.“

„Zensatoi futzi!“ Helene sprang auf den Schreibtisch und führte einen Ausdruckstanz auf. Es sah gefährlich aus.

Dr.Silvania machte ein Gesicht, als müsste dringend eine Not-OP durchgeführt werden.

Doch davon ließ sich Helene nicht stören. Sie und Daka hüpften auf den Möbeln durchs Zimmer, sprangen im Kreis und riefen: „KRYPTON KRAX AUF TOUR, boi, boi, boi!“

Friedhofsnotizen

Als Helene an diesem Nachmittag das Haus der Familie Tepes verließ und den Lindenweg entlanglief, hatte sie das Gefühl, genau wie ihre besten, bissigen Freundinnen fliegen zu können. Wie eine riesengroße Seifenblase kam sie sich vor. Eine Seifenblase voller rosa Brausepulver, in der es kribbelte, gluckerte und vergnügt quietschte.

Immer wieder musste sie an die Nachricht von Murdo denken – und dann schnell die Luft anhalten, damit sie vor Freude und Aufregung nicht laut loslachte. Am liebsten hätte sie es der ganzen Welt entgegengeschrien: MURDO KOMMT!

Murdo Dako-Apusenu. Sänger von Krypton Krax. König ihres Herzens. Wie oft hatte Helene sich in den letzten Monaten zurückgeträumt nach Transsilvanien! Wie oft hatte das Konzert in den Baumkronen des finsteren Waldes vor ihrem inneren Auge (und Ohr) stattgefunden? Murdo hatte sie damals auf die Bühne geholt und mit ihr zusammen ein Liebeslied gesungen. Danach hatte er sie durch die Luft gewirbelt, dass Helene nicht mehr gewusst hatte, ob sie Haare auf dem Kopf oder an den Füßen hatte. Verwirrt genug war sie ohnehin schon gewesen, allein von Murdos flammengleichen Blicken aus seinen orangefarbenen Augen und seinen lila Lippen, die hervorragend zu seiner blassen Haut passten. Dazu noch seine Stimme – tief und rau wie das Gurgeln im Abfluss der Badewanne. Helene badete seitdem sehr häufig.

Silvania und Daka waren allerdings gar nicht erfreut darüber gewesen, dass Helene sich ausgerechnet in Murdo verliebt hatte. Murdo war ein Vampir. Beißen, saugen, unsterblich, Knoblauchallergie, das ganze Programm. Nicht nur das, er stammte aus einem besonders aggressiven und blutrünstigen Vampirgeschlecht, den Transgiganten. Obwohl es Silvania und Daka zu verhindern versucht hatten, war es Helene damals gelungen, Murdo alleine im transsilvanischen Wald zu treffen. Was für ein Date! Murdo hatte Helene in eine muffige Grotte geführt, wo es niedliche Wassermolche und Flohkrebse gab. Danach hatte Murdo Helene seine Hand gereicht, deren Finger wie weiße Spinnenbeine aussahen, und sie waren durch den finsteren Wald spaziert.

Helene liebte es, auf Friedhöfen herumzustreifen, durch verlassene Fabrikanlagen und an anderen düsteren Orten. Doch dieser Spaziergang damals war das Schaurig-Schönste gewesen, was sie bisher erlebt hatte. Mitten in der Nacht, mitten in Transsilvanien, mitten im dichten Wald mit einem leicht muffig müffelnden Vampir, den sie am liebsten mitten auf den lila Mund geküsst hätte. Doch dazu war es leider nicht gekommen. Ein gewisser Dirk van Kombast – selbst ernannter Vampirjäger und Nachbar der Familie Tepes – war ihnen nach Transsilvanien gefolgt und hatte genau in dem Moment, als der Kuss (oder Biss?) kurz bevorstand, seine Knoblauchpistole ausprobieren müssen. Murdo war sofort ins Knoblauchkoma gekippt und weder zum Knutschen noch zum Beißen noch zu sonst irgendwas zu gebrauchen gewesen.

Helene ging etwas langsamer und schloss einen Moment die Augen, als sie daran dachte, wie Murdo sich damals über sie gebeugt hatte. Fast meinte sie, seinen bezaubernden, muffig-modrigen Geruch wahrzunehmen. Deutlich sah sie seine Augen, die tief in den Höhlen lagen, mit den dichten Wimpern vor sich. Seine schwarzen Haare mit den knallroten Spitzen, die wie Dornen abstanden. Und das feine violette Äderchen auf seiner Stirn. Sie hatte das Gefühl, sie brauchte nur die Hand auszustrecken und –

„Achtung, Mops!“

Helene riss die Augen auf, schwankte, ruderte mit den Armen und hielt sich gerade noch auf den Beinen. Direkt vor ihren Füßen saß ein Mops. Er hatte einen rosa Strickanzug an und hing an einer rosa Leine, die von einer Dame gehalten wurde. Sie sah ihrem Mops sehr ähnlich.

„’tschuldigung“, sagte Helene. Erst da bemerkte sie, dass sie beinahe am Eingang zum Friedhof vorbeigelaufen wäre. Sie schwenkte nach rechts und ging durch das eiserne Tor.

„Komm, Kleofee, Frauchen muss noch eine Küchenkelle kaufen.“

Helene aber hatte den Mops und sein Frauchen vergessen, kaum stand sie auf dem Friedhof. Sie sog die Friedhofsluft in sich auf wie andere eine frische Meeresbrise. Der Bindburger Hauptfriedhof war Helenes zweites Zuhause. Sie liebte die alten verknorpelten Bäume, die auch an einem sonnigen Sommertag die Wege und Gräber in kühle Schatten hüllten. Sie genoss die Stille, das Flüstern und die ruhigen Bewegungen der Friedhofsbesucher. Der Friedhof war für Helene eine Insel mitten in der Großstadt. Draußen mochte das Leben hupen, schreien, lachen und es eilig haben. Hier drin, hinter den alten, moosbewachsenen Friedhofsmauern, stand die Zeit still. Die Gräber verschluckten alle Geräusche und mahnten stumm, dass alles endlich und jeder Mensch sterblich war. Es sei denn, er wurde vorher von einem Vampir gebissen.

Meistens streifte Helene in aller Ruhe an den Gräbern vorbei, las die Inschriften und dachte sich zu den Verstorbenen Geschichten aus. Sie gab ihnen ein neues Leben. Doch heute hatte sie dazu weder Zeit noch Muße. In ihrem Kopf war kein Platz für Geschichten von Toten. Ihr Kopf war knackevoll mit einem äußerst lebendigen Untoten.

Leise knirschte der Kies unter Helenes Turnschuhen, als sie vom Hauptweg auf einen schmalen Trampelpfad abbog. Er führte zu einem uralten Familiengrab. Wahrscheinlich war die Familie einst wohlhabend gewesen. Zumindest war der Grabstein so groß wie ein Siegerpodest und mit der Statue eines Mannes geschmückt. Der Mann hielt einen langen Stab in der Hand, um den sich eine gewaltige Schlange geschlungen hatte. Neben dem Grab stand eine steinerne Bank, direkt unter einer Trauerweide. Das war einer von Helenes Lieblingsplätzen auf dem Friedhof. Noch nie hatte sie überlebende Angehörige an diesem Familiengrab gesehen. Hier war sie ungestört. Und genau das wollte sie sein.

Sie setzte sich, nahm ihren Rucksack ab und holte ihr Tagebuch heraus. Dann schlug sie die Seite auf, wo das glänzende Leseband lag. Genauso fieberhaft, wie sie vorhin bei ihren Freundinnen auf der Tastatur des Laptops getippt hatte, ließ sie jetzt den Stift über das weiße Papier fliegen. In Helenes Kopf hatten sich so viele Gedanken zusammengebraut, dass er wie ein Topf Griesbrei jeden Moment überzukochen drohte, würde sie nicht alles zu Papier bringen.

„MURDO KOMMT!!!!!“, schrieb sie, betrachtete kurz ihren Eintrag und fügte noch fünf weitere Ausrufezeichen hinzu.

Dann vertraute sie dem Tagebuch an, wie sehr sie sich auf das Wiedersehen freute, wie oft sie sich in die transsilvanischen Wälder zurückgesehnt und was Murdo genau im VampirVZ geschrieben hatte. Seit ihrem grausig-romantischen Date im Wald waren sie in Kontakt geblieben. Allerdings waren Murdos Botschaften meist zweideutig gewesen – wodurch das Misstrauen, das Silvania und Daka gegenüber Murdo hegten, geblieben war. Wahrscheinlich waren sie nur neidisch. Silvania, weil Helene einen romantischen (und bissigen) Freund hatte, und Daka, weil Helene mit dem Star ihrer Lieblingsband Krypton Krax zusammen war.

Doch jetzt würde sich alles ändern. Jetzt würden Silvania und Daka schon sehen, dass Helene für Murdo mehr war als ein Blutspender. Er hatte gesagt, er wolle sie unbedingt saugen, äh, sehen. Bald würde er in Bindburg landen. Bald würden seine orangeroten Augen wieder vor ihr aufflammen. Bald würde er seine kühlen Spinnenfinger wieder in Helenes Hand legen.

Beim Gedanken daran rutschte Helene der Stift aus der Hand. Als sie ihn aufhob, warf sie einen Blick auf die Uhr. „Fumpfs und Schlotz zoppo!“, fluchte sie leise und perfekt auf Vampwanisch. Sie musste los. Schließlich hatte sie für den Abend Gäste eingeladen. Gäste für ihre Hammer-Horror-Videonacht.

Schnell stopfte sie Tagebuch und Stift in den Rucksack, schwang ihn über die Schulter, eilte zurück auf den Hauptweg und auf das eiserne Friedhofstor zu. Helene war in Gedanken abwechselnd bei der Hammer-Horror-Videonacht und in Murdos langen kühlen Armen. Auf jeden Fall war sie geistig nicht mehr auf dem Friedhof. Sonst hätte sie vielleicht die hagere Gestalt bemerkt, die sie schon seit geraumer Zeit mit eiskaltem Blick beobachtet hatte und jetzt aus dem Schatten einer hohen Esche trat.

Hammer-Horror-Videonacht

Bis ich sage Los! und dann rennt ihr, so schnell ihr könnt. Habt ihr das alle verstanden?“

Helene, Silvania, Daka und Ludo starrten wie gebannt auf den Bildschirm. Sie saßen in einer Reihe mit dem Rücken an Helenes japanischem Bett. Zwischen Helene und Silvania stand eine Schüssel Popcorn, zwischen Silvania und Daka eine Schüssel marinierte Schweineborsten und zwischen Daka und Ludo eine Schüssel Erdnüsse.

Der Hammer-Horror-Videoabend näherte sich seinem grausamen Ende – den letzten Szenen aus Alfred Hitchcocks Klassiker Die Vögel.

Zuvor hatte Helene einen Vampirfilm ausgesucht, in dem sich ein Mädchen in einen Vampir verliebte. Doch der wurde aufgrund lautstarker Proteste von Daka und Ludo, denen im Film zu viel gesäuselt und zu wenig gebissen wurde, wieder ausgestellt. Selbst Silvania, die sonst für jedes Liebesgedusel zu haben war, wollte sich das endlose Geschmachte nicht länger mitansehen. So kam es, dass sie sich eine alte DVD aus dem Regal von Helenes Vater geholt hatten. Auf der Hülle stand: „Die Vögel von Alfred Hitchcock – dem Meister der Angst. Wild gewordene Vogelbestien versetzen die Bewohner eines Küstenorts in Panik.“ Das klang gut, fanden Helene und ihre Freunde.

Und Alfred Hitchcock hatte sie nicht enttäuscht. Schon bei der ersten spannenden Szene hatte Silvania sich ihren Fächer vors Gesicht gehalten. Helene hatte sich vor prickelnder Angst in die Arme gezwickt und Daka hatte in die Erdnussschüssel gegriffen, eine besonders große Nuss gepackt und sich in den Mund gesteckt – und erst da gemerkt, dass sie Ludos Zeigefinger erwischt hatte.

Mittlerweile war die Spannung fast unerträglich. Im Film hatten sich unzählige Krähen um ein Schulgebäude versammelt. Die Lehrerin hatte beschlossen, das Gebäude zu räumen.

Daka raufte sich die Haare. „Fumpfs! Wieso bleiben die nicht einfach in der Schule?“

„Weil die Krähen sonst das Gebäude stürmen! Hast doch gesehen, wozu die imstande sind.“ Helene stopfte sich Popcorn in den Mund.

Jetzt rannten die Kinder schreiend aus der Schule. Die Krähen stürzten sich auf sie. Ein Kind mit Brille fiel zu Boden.

Silvania versuchte, an etwas Schönes zu denken (Himbeeren mit Würmern), Helene kreischte mit den Kindern im Film mit und Daka flopste sich vor Angst auf Ludos Schoß. Ludo verschluckte sich an einer Erdnuss.

Helene schielte zu Daka und Ludo. „Was macht ihr denn da?“

Daka starrte auf den Bildschirm, während Ludo noch immer an der Erdnuss würgte.

„Daka, sitzt du bequem?“, fragte Silvania.

Erst da wandte Daka den Blick vom Fernsehbildschirm. „Schlotz zoppo!“, rief sie und setzte sich schnell wieder neben Ludo. Die lila Tüpfchen in ihren braunen Augen flackerten. „… Fußboden war so hart und kalt …“, murmelte sie und stopfte sich den Mund mit Schweineborsten voll. Sie achtete nicht auf die fragenden Blicke von Helene und Silvania, sondern klopfte dem noch immer an der Erdnuss röchelnden Ludo zweimal kräftig auf den Rücken. Daraufhin kam die Erdnuss im hohen Bogen herausgeflogen und prallte gegen den Bildschirm. „Alles klar, du Nuss?“, fragte Daka.

Ludo nickte und Daka richtete ihre ganze Aufmerksamkeit wieder auf Die Vögel von Alfred Hitchcock.

Als der Film zu Ende und der Bildschirm schon längst schwarz war, starrte Daka noch immer darauf. „Verstehe ich nicht, das Ende.“

„So etwas nennt man ‚offenes Ende‘“, erklärte Silvania. „Da du keine Romane, sondern immer nur Flatsch ug Mitch liest, kennst du das nicht.“

Flatsch ug Mitch war ein vampwanischer Comic. Dabei ging es um die bittersüße Feindschaft zwischen Flatsch, einer Fledermaus, und Mitch, einem Kater.

„Offenes Ende?“ Daka schnaufte. „Wie ’ne Tüte mit einem riesigen Loch am Boden ist das. Bei Flatsch ug Mitch ist am Ende immer alles klar – meistens liegt Mitch unter einer Dampfwalze und Flatsch schlürft entspannt ein frisch gezapftes Blut.“

„Apropos Blut“, warf Helene schnell ein, bevor zwischen den Schwestern noch ein Streitgespräch über Romane und Comics entstehen konnte. „Ich habe mir schon mal Gedanken gemacht, wo Krypton Krax schlafen könnten. Wie wäre es auf dem Friedhof? Da gibt es mehrere große Bäume. In denen könnten sie schön kopfüber abhängen.“

Silvania, Daka und Ludo stellten sich einen Moment vor, wie eine Band in den Bäumen des Bindburger Hauptfriedhofs hing und den Omas, die zum Gräbergießen kamen, höflich „Guten Morgen“ wünschte.

„Gute Idee“, fand Daka.

„Und …“, fuhr Helene fort und stand auf, „… ich habe auch schon Flyer entworfen für das Konzert.“ Sie holte ein paar Zettel vom Schreibtisch. KRYPTON KRAX stand mit fetten, spitzen Buchstaben in Schwarz auf blutrotem Untergrund. Die Schrift sah aus, als hätte ein tollwütiger Bär sie mit seiner Tatze eingeritzt. „Live und heiß aus Transsilvanien!“ und„Tanz dir keinen Wolf, sondern ’nen Vampir!“ oder „Die Überflieger des Musik-BISS-ness!“ hatte Helene wahlweise dazugeschrieben. Die rote Hintergrundfarbe hatte sie nach unten hin in dicken Schlieren auslaufen lassen, sodass sie wie Blut aussah.

„Zensatoi futzi!“ Daka nickte anerkennend.

„Und was sollen die beiden Löcher da an der rechten Ecke?“, fragte Ludo.

„Da hat ein Vampir in den Flyer gebissen.“ Helene grinste stolz.

„Die kopieren wir und lassen sie von der Postfledermaus ausfliegen“, sagte Silvania.

„Und wo soll man sich einen Vampir tanzen?“, fragte Ludo.

„Im BATCAVE!“, riefen Daka und Silvania wie aus einem Mund.

„Batcave – in einer Fledermaushöhle?“ Helene konnte nicht nur gut Vampwanisch, sondern auch Englisch.

„Im Batcave Club“, erwiderte Silvania. „Das ist ein kleiner, gruftiger Club, in dem sich alle finsteren Gestalten der Schattenwelt von Bindburg abends tummeln.“

„Unsere Mutter kennt den Besitzer. Er hat sich von ihr die Klobrillen im Club mit Spinnweben, Stacheldraht und Nieten gestalten lassen“, fügte Daka hinzu. „Wir haben schon mit ihm gesprochen und er fände es ‚mordsjut‘, hat er gesagt, wenn eine junge Band aus Transsilvanien in seinem Laden die Bühne rockt. Ich hab ihm zwar gesagt, dass Krypton Krax nicht rocken, sondern punken, aber das hat ihn nicht weiter gestört.“

„Er war so begeistert von Mamas Klobrillen, dass er einer Band aus der transsilvanischen Heimat ihres Mannes eine Chance geben will“, sagte Silvania.

„Eure Eltern sind soooo cool!“, meinte Helene. „Mein Vater bohrt nur allen möglichen Leuten in ihren stinkenden Zahnlöchern herum. Der würde sich nie in einen finsteren Club verirren.“

„Hat ja genug Horror in seiner Zahnarztpraxis“, fand Ludo und fuhr seine Zähne mit der Zunge nach einem Loch ab.

Helene winkte ab. „Seine Patienten schreien noch nicht einmal richtig.“

„Unser Vater würde schreien, dass es ganz Bindburg hört“, sagte Silvania. „Er hasst Zahnärzte.“

„Im Moment schreit er aber ganz sicher nicht.“ Daka verzog das Gesicht. „Er säuselt bestimmt.“

Silvania nickte und lächelte selig. „Unsere Eltern haben heute auch einen ganz besonderen Abend.“

„Auch irgendwas mit Hammer-Horror?“, fragte Helene.

„So ähnlich“, sagte Daka.

Schlauchbootseufzer

Der abgelegene See glitzerte wie eine silberne Münze im Mondschein. Hohe, dunkle Tannen ragten am Ufer in den Nachthimmel und umgaben den See schützend, einem dicken Schal gleich. Das Wasser war ruhig und schimmerte wie warmer, weicher Samt. Nur dort, wo sich ein kleines Boot langsam vom Ufer entfernte und den Weg durch das Gewässer bahnte, kräuselte es sich leicht. Es war ein rotes Schlauchboot. Am Bug hatte es Fischaugen und einen Mund, am Heck eine gelbe Flosse. An Bord waren eine Frau und ein Vampir.

Mihai Tepes, Vater der Vampirschwestern und 2676Jahre alter Vampir, paddelte. Er lächelte seiner Frau Elvira zu, die ihm gegenübersaß. Sein Schnauzer kringelte sich wie zwei Lakritzschnecken, seine halblangen dunklen Haare glänzten im Mondschein und seine schwarzbraunen Augen funkelten wie zwei glatte Steine am Grund eines transsilvanischen Waldbaches.

Elvira hockte mit angezogenen Beinen am Bug und strahlte ihren Mann an. „Das ist die romantische Überraschung? Eine nächtliche Bootsfahrt im Kinderschlauchboot unserer Töchter?“

„Psst“, machte Mihai. Es klang wie das Zischeln einer Schlange. „Warte, bis wir in der Mitte des Sees sind!“

Elvira zog die Knie dichter an den Körper und die Augenbrauen hoch. Sie spähte in die Nacht, die Wald und See in eine dunkle Bühne für allerlei Fantasiegestalten verwandelt hatte. Das dunkle Wasser kräuselte sich. War es nur der Nachtwind oder verbarg sich unter der Wasseroberfläche etwas unheimliches Unbekanntes?

In den hohen Tannen, die das Ufer säumten, raschelte es hin und wieder. Ein Vogel rief durch die Nacht. Vielleicht ein Käuzchen. Elvira Tepes kannte sich mit Vogelarten nicht so gut aus. Die drei schrägen Vögel, die sie zu Hause hatte, reichten ihr. Mit einem davon war sie heute auf den Tag genau vierzehn Jahre verheiratet. Elvira hatte Mihai am Morgen schon mit einem Ständchen beglückt, das sie mit zwei Hundeknochen auf seinen Sargdeckel geklopft hatte. Danach hatte sie ihrem stets durstigen Mann einen Blutcocktail serviert. Er hatte vor Genuss geschmatzt, als er ihn Schluck für Schluck getrunken hatte. Frau Tepes sah ihren Mann an und seufzte versonnen.