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Neben seinen großen Romanen erkundet Christoph Ransmayr in einer losen Reihe von in Leinen gebundenen Bändchen »Spielformen des Erzählens«. Vom Erzählen erzählen. In der ›Verbeugung des Riesen‹ verwandelt Ransmayr Gefährten und Freunde in Gestalten seiner Erzählungen – unter ihnen der Dichter Hans Magnus Enzensberger, der Philosoph Karl Markus Michel, der Theaterdirektor Claus Peymann und – als Weggefährte im Tiefschnee des westlichen Himalaya – auch der Nomade Reinhold Messner. Virtuos und mit manchmal verblüffender Ironie führt Ransmayr dabei vor, wie sich das Nachdenken über Literatur wieder in Geschichten verwandelt. »Die Verbeugung des Riesen? wiederholte eine der beiden Dichterinnen aus Chung Wan und sah meinem Freund in die Augen, kreuzte die Arme vor der Brust und verbeugte sich - lächelnd, anmutig, leicht.« ›Die Verbeugung des Riesen. Vom Erzählen‹ setzt diese Reihe der »Spielformen des Erzählens« fort, in der unter anderem eine »Tirade«, ein »Verhör«, eine »Bildergeschichte«, ein »Duett« und »Ansprachen« erschienen sind.
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Seitenzahl: 76
Veröffentlichungsjahr: 2014
Christoph Ransmayr
Vom Erzählen
Christoph Ransmayrs »Spielformen des Erzählens«.
Vom Erzählen erzählen.
In der ›Verbeugung des Riesen‹ verwandelt Ransmayr Gefährten und Freunde in Gestalten seiner Erzählungen – unter ihnen der Dichter Hans Magnus Enzensberger, der Philosoph Karl Markus Michel, der Theaterdirektor Claus Peymann und – als Weggefährte im Tiefschnee des westlichen Himalaya – auch der Nomade Reinhold Messner. Virtuos und mit manchmal verblüffender Ironie führt Ransmayr dabei vor, wie sich das Nachdenken über Literatur wieder in Geschichten verwandelt.
»Die Verbeugung des Riesen? wiederholte eine der beiden Dichterinnen aus Chung Wan und sah meinem Freund in die Augen, kreuzte die Arme vor der Brust und verbeugte sich - lächelnd, anmutig, leicht.«
Christoph Ransmayr hat in den Jahren der Arbeit an seinen Romanen auch mit anderen Formen des Erzählens meisterhaft gespielt: ›Die Verbeugung des Riesen. Vom Erzählen‹ setzt diese Reihe der »Spielformen des Erzählens« fort, in der unter anderem eine »Tirade«, ein »Verhör«, eine »Bildergeschichte«, ein »Duett« und »Ansprachen« erschienen sind.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Covergestaltung: Manfred Walch, Lorsbach
Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2003
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403259-7
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Vom Erzählen erzählen?
Shou!
1 Auf und davon
2 Die Erfindung der Welt
3 Am See von Phoksundo
4 The Last Picture Show
5 Luftburgtheater
6 Cilaos
7 Corleone
8 Die Verbeugung des Riesen
9 Ach, Carlos
10 Hiergeblieben
Fußnoten: Entstehungsjahre, Anlässe
Vom Erzählen erzählen?
Christoph Ransmayr hat sich neben der Arbeit an seinen in alle Weltsprachen übersetzten Romanen immer wieder programmatisch mit den Spielformen des Erzählens beschäftigt – in seinem Prosaband Der Weg nach Surabaya etwa, auch als Dichter zu Gast der Salzburger Festspiele im sieben Abende umfassenden Zyklus Unterwegs nach Babylon.
In der Verbeugung des Riesen verwandelt Ransmayr Gefährten und Freunde in Gestalten seiner Erzählungen – unter ihnen der Dichter Hans Magnus Enzensberger, der Philosoph Karl Markus Michel, der Theaterdirektor Claus Peymann und – als Weggefährte im Tiefschnee des westlichen Himalaya – auch der Nomade Reinhold Messner. Virtuos und mit manchmal verblüffender Ironie führt Ransmayr dabei vor, wie sich das Nachdenken über Spielformen des Erzählens wieder in Geschichten verwandelt.
Shou!
Ein strenger Kalligraph des chinesischen Nordenswürde wohl die Nase über das im Umschlagfensterabgebildete Zeichen Shou rümpfen – nicht überseinen Inhalt, der für den Wunsch nach einem langenLeben steht, sondern über seine Ausführung:zu protzend, zu golden, zu prall. Die Straßenhändlerdes chinesischen Südens, die dieses Zeichen inMessing gegossen als Glücksbringer feilbieten, sinddarüber freilich anderer Meinung. Also:Shou – Ein langes Leben!: Vor dem Tor desSeefahrerfriedhofs in Macau gekauftvon Christoph Ransmayr und fotografiertvon Willy Puchner.
Erinnerungsblatt für eine Reisegefährtin
Kaschmir, Nepal, Bhutan … und weiter auf staubigen und schlammigen Straßen und monsunverhangenen Luft- und Wasserwegen, den Brahmaputra hinab, die Küste des Bengalischen Golfs entlang und durch das Andamanische Meer bis in den Malaiischen Archipel, nach Sumatra und Java und Borneo … Auch Borneo? Ja, ich glaube, bis nach Borneo … Eine große Reise jedenfalls, nach Asien und Indonesien, eine Weltreise! Und das gleich am ersten Tag unserer Bekanntschaft.
Die Weltreise fand an einem Oktobertag des Jahres 1988 in Frankfurt am Main statt, es war während der sogenannten Buchmesse und ein heiter bis wolkenloser, schwach windiger Herbsttag für alle, die aus den Hallen dieser Messe ins Freie flüchteten. Aber wir, liebe Reisegefährtin, suchten unseren Weg an diesem Nachmittag weder im Freien noch im Gewühl zwischen Ausstellungsständen, Theken und Büchertürmen im Inneren von Messehallen, die keine Namen, nur Kennungen trugen, sondern wir suchten einfach das Weite und kamen dabei bis nach Borneo, jetzt weiß ich es wieder, wir kamen bis ins Südchinesische Meer, an die Küsten von Sabah und Sarawak auf Borneo.
Zur Vorgeschichte unserer Reise gehört wohl, daß es für mich damals das erste und für lange Zeit auch das letzte Mal war, daß ich eine Buchmesse besuchte. Ein Roman, den ich geschrieben hatte und der soeben erschienen war, hielt mich in diesen Tagen an jenem teils imaginären, teils umkämpften Ort gefangen, von dem ich bis dahin geglaubt (oder zumindest gehofft) hatte, er wäre als Literarische Welt so etwas wie eine Zuflucht für alle, die sich um Erzählungen, Dramen oder Gedichte bemühten. Dichter, Leser, Verleger, auch Rezensenten waren mir in diesem Glauben als Wahlverwandte erschienen, die einander nicht immer gut, aber doch einigermaßen verständnisvoll gesonnen waren – schließlich schien die ganze, durch Büchergebirge irrende Familie doch ähnlichen Zielen zu folgen … Familie. Verwandtschaft. Verständnis. Was für ein Irrtum.
Auch am Tag unserer Weltreise, liebe Gefährtin, erschien die Frage berechtigt, warum es denn ausgerechnet auf einem Buchmarkt verständnisvoller und freundlicher zugehen sollte als auf einem Viehmarkt, Fischmarkt oder einer Gebrauchtwagenbörse. Das Reich der gedruckten, verlegten Poesie lag plötzlich als ebenso weites wie steiniges Feld vor uns, auf dem einmal Rugby, ein andermal Krieg gespielt wurde. Wenn ich mich recht erinnere, wollte ich damals, war es der Abend des ersten oder der Morgen des zweiten Tags meines Messebesuchs?, nichts wie zurück ins Innere meiner Geschichte, ins Innere meiner Welt. Anders gesagt, ich wollte, auch wenn mir das in Augenblicken des Zweifels selber ein bißchen überstürzt, zimperlich, ja sogar kindisch erschien, nichts wie weg. Auf und davon.
Ich war jedenfalls fluchtbereit, liebe Reisegefährtin, als mich Ihre Einladung zum Aufbruch erreichte, handgeschrieben auf einem Bogen Büttenpapier, der Ihren Namen und die Adresse Ihres Hauses trug: Monika Schoeller. S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main. Das heißt, eigentlich enthielt Ihr Brief keine Einladung zum Aufbruch, sondern nur eine zum Gespräch – aber wo in diesen namenlosen Hallen hätte man besser und ungestörter reden können als unterwegs, als im Gehen? Auch die Erzähler, Leser, Büchernarren und Büchermacher zogen ja in Scharen an den Verlagsquartieren vorüber und blieben überall dort stehen, wo schon ein anderer auf den bloßen Verdacht hin stehengeblieben war, daß es hier, daß es dort, etwas zu sehen, zu hören oder sonstwie zu gewinnen gab.
Wir trafen uns also irgendwo im Gewühl und blieben kaum stehen, sondern von Anfang an in Bewegung, gingen gemeinsam weiter und erreichten überraschend schnell den Rand dieser Bücherwelt, einen schmalen, stilleren Korridor zwischen den Rückwänden der Ausstellungsbauten und der Hallenwand – ein Niemandsland, in dem auf den ersten Blick nichts zu sehen und nichts zu gewinnen war. Wir spazierten durch diesen Korridor, umrundeten einen summenden Markt und reisten, indem wir vom Reisen sprachen. Schließlich durchmißt jeder, der sich einmal auf den Weg gemacht hat, nicht nur die Fremde, sondern immer auch das eigene Gemüt und ist so manchmal immer noch (oder schon wieder) weit fort, obwohl er immer noch (oder schon wieder) in einem Winkel seiner Heimat hockt.
Was hinter den fensterlosen Hallenwänden und Büchermauern lag, waren plötzlich nicht mehr die Schauplätze einer Messe, sondern der Tempelbezirk Pashupatinath in Kathmandu, die Gassen der Silberschmiede in Delhi, und was wir hörten, war nicht mehr das Frankfurter Stimmengewirr, es waren die Klagelieder an den Sarkophagen von Shah Jahan und seiner im Wochenbett gestorbenen Mumtaz Mahal, die Marktschreier in Rangoon und Surabaya und das Summen wilder Bienenschwärme in den Ruinen von Fatehpur. Aber wohin es uns auch zog, wir sprachen unterwegs weder über die Mühen des Erzählens noch über die Zwänge der Buchmacherei, sondern nur und vom ersten Schritt an von der ebenso unwahrscheinlichen wie kostbaren Freiheit, aufzubrechen – wohin auch immer … Und wenn die Rede dabei dann doch auf Bücher kam, dann nur, um Reisebibliotheken zu erstellen, für jede Route eine andere Bibliothek. Im Gepäck eines Menschen auf seinem Weg wiegt schließlich nichts schwerer und nichts leichter als ein Buch.
Auch von Träumen sprachen wir, die unterwegs, in der Fremde, manchmal um so vieles deutlicher und eindringlicher werden konnten als an jedem vertrauten Ort, und während ich Ihnen die Route einer bevorstehenden Reise in den Himalaya, nach Indien und weiter nach Südostasien und Indonesien zu beschreiben versuchte, erinnerten Sie sich an die Stille Bhutans und die Farben Borneos. Was heißt beschreiben, was heißt erinnern, wir waren unterwegs, sahen die Farben, hörten die Stille und versetzten uns aus einer lärmenden Halle immer weiter hinaus in die Welt:
