Die vergessene Kalenderreform des Nikolaus von Kues - Christoph Däppen - E-Book

Die vergessene Kalenderreform des Nikolaus von Kues E-Book

Christoph Däppen

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Beschreibung

Der deutsche Universalgelehrte Nikolaus von Kues (Cusanus) war eine prägende Figur des Basler Konzils im 15. Jahrhundert. Jedoch kaum bekannt ist die Tatsache, dass an diesem Konzil eine Kalenderreform beschlossen wurde, für die im wesentlichen Cusanus die Begründung lieferte. Eine tiefergehende Analyse seines Reformvorschlags offenbart nun erstaunliches über den Zustand der damaligen Kirche im speziellen und über geschichtliche Ungereimtheiten im allgemeinen, die insgesamt die Chronologie des Mittelalters in Frage stellen!

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Methodik

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Nachwort

Anhang A: Bericht des Johannes von Segovia zur Kalenderreform des Basler Konzils

Anhang B: Bericht des Johannes von Segovia zur Kalenderreform des Basler Konzils

Anhang C: Biografische Notizen zu Nikolaus von Kues

Einleitung

Die bisher angenommene Chronologie der überlieferten Geschichte läßt sich nicht aufrecht erhalten; sie ist ziemlich sicher grundlegend falsch! In den letzten zwanzig Jahren wurde versucht, diese abenteuerliche These aus verschiedensten Blickwinkeln und mit ganz unterschiedlichen Materialien und Methoden zu untermauern - mehr oder weniger überzeugend. Zeigen zu können, daß die traditionelle Chronologie der Geschichte und vielleicht ein großer Teil der älteren Geschichte selbst mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht stimmen, ist die eine Seite der Medaille (die sich uns schon sehr prägnant präsentiert) – die andere Seite hingegen, nämlich überzeugend einen alternativen Ansatz bezüglich Chronologie und Inhalten der Geschichte präsentieren zu können, ist noch kaum in Umrissen erkennbar. Das hängt auch damit zusammen, daß die Analyse im Detail noch immer zu wenig weit fortgeschritten ist, daß noch immer zu viel sperriges Material herumliegt, das jede neue Theorie zur Chronologie sogleich zu Fall bringen könnte. Viele Geschichtskritiker machen dieselben Fehler wie die von ihnen kritisierten Schulhistoriker: sie neigen zu vorschnellen Schlüssen und basteln an Theorien, die letztlich leicht widerlegbar sind. Auch für den außenstehenden Laien ist es nicht immer einfach, den Überlegungen der Kritiker folgen zu können, was auch damit zu tun hat, daß deren Argumente meist schwer vermittelbar sind und zudem oft auch nicht viel überzeugender als jene der Traditionalisten. Aber eine neue Theorie sollte doch immer um einiges besser sein als eine alte, wenn sie diese vom akademischen Sockel stürzen will!

Die Chronologie ist eine anspruchsvolle, im Grunde hochtechnische Wissenschaft, die von humanistisch gebildeten Historikern oft gar nicht bewältigt werden kann, weil sie schwieriges Spezialwissen aus so fachfremden Gebieten wie Astronomie, Mathematik, Statistik und Informatik voraussetzt. Aber auch Naturwissenschafter und Informatiker scheitern an der Chronologie, weil ihnen meist die Kenntnis der alten Sprachen fehlt und sie auch mit religiösen und mythologischen Konzepten nicht viel anfangen können, die aber für die Durchdringung vieler chronologischer Probleme unverzichtbar sind.

Mit der vorliegenden Arbeit bietet sich nun die Chance für eine ganzheitliche Betrachtungsweise, weil nämlich das hier ausgebreitete Material als die Stimme eines Mannes zu uns spricht, für den das Wissen noch universellen Charakter hatte: Nikolaus von Kues (1401-1464), genannt Cusanus, gehörte zweifellos zu klügsten, aber auch umstrittensten Köpfen seiner Zeit. Die Liste seiner Publikationen deckt ein breites Spektrum ab, das von der Religion bis zur Mathematik und Astronomie reicht. Die Schrift, die langfristig vielleicht die größte Wirkung erzielte und die das Thema des vorliegenden Buches ist, war sein Vorschlag zur Verbesserung des Kalenders, mit dem er gleichermaßen religiöse und astronomische Fragen aufgriff; und er streift damit automatisch auch chronologische Aspekte - allerdings in einer aus moderner Sicht sehr unkonventionellen Art, die uns mit zahlreichen Anachronismen konfrontiert, die gewöhnlich als „Fehler“ und „Irrtümer“ eines - angeblich - auf bescheidenem mittelalterlichen Wissensstand argumentierenden Gelehrten abgetan werden, die aber in Wahrheit der Schlüssel zum Verständnis der antiken Zeitrechnung bilden könnten.

Cusanus war der Antike wohl viel näher als wir meinen – nicht nur kulturell, sondern auch zeitlich. Oder anders gesagt: Unsere ideelle Distanz zu Cusanus ist mittlerweile so groß geworden, daß wir viele seiner Gedankengänge kaum noch nachvollziehen können. Trotzdem spricht sein Text klar und offen zu uns: Die Frage des „richtigen Ostertermins“ ist für Cusanus zutiefst religiös begründet, auch wenn – quasi als Pointe zum Schluß – für die Umsetzung seines Reformvorschlags auch noch ein finanztechnisches Detail berücksichtigt werden muß. In Cusanus erkennen wir einen Wissenschafter mit breiter Bildung, der mit derselben Leichtigkeit mit astronomischen Zahlen jongliert wie er auch religiöse Befindlichkeiten erörtert und zu guter Letzt auch noch ein offenes Ohr für die Argumente der Geschäftsleute hat.

Cusanus’ Vorschlag zur Korrektur des Kalenders erfolgte im Rahmen des Konzils zu Basel (1431-1449), das als die bedeutendste Kirchenversammlung des späten Mittelalters angesehen wird. Doch seine Kalenderkorrektur wurde angeblich nie umgesetzt, weil sich das Konzil infolge von Machtkämpfen und kirchenpolitischen Wirren, die letztlich sogar in ein Papstschisma mündeten, in eine faktische Beschlußunfähigkeit manövrierte. Dies ist die offizielle Geschichte – die inoffizielle Version läßt jedoch einen Ausgang offen, wonach Cusanus’ Reform wenigstens teilweise in einigen Gebieten Europas realisiert wurde. Denn letztlich entschieden in einer solchen auch das profane Wirtschaftsleben betreffenden Sache nicht die Kirche und auch nicht der Papst, sondern die Landesfürsten; und zuallerletzt – spätestens mit dem aufkommenden Buchdruck - entschied der Kalendermacher sogar allein, der kraft seines Spezialistenwissens und vielleicht auch eines Gebietsmonopols seine Sicht vom Lauf der Zeit zumindest regional durchsetzen konnte. Es galten die publizierten Kalender. Und wenn sie gut waren, dann setzten sie sich durch und setzten den Standard. Das könnte eben bedeuten, daß Cusanus’ Reform von den Praktikern aufgegriffen wurde, obwohl das Konzil selbst sich nicht dazu entschließen konnte.

Unser völlig falsches Bild von dieser Zeit geht davon aus, daß die Kirche absolute Verfügungsgewalt über das Alltagsleben der Leute hatte. Doch das war gewiß nicht der Fall – und noch schlimmeres drohte: die Feinde der Kirche (Juden, Mohammedaner) lauerten schon vor der Kirchentür und verhöhnten den „falschen“ Kalender der Christen! Die Kirche war bezüglich der Kalenderfrage in den Zustand der Unwahrheit geraten, und dies mag vielleicht sogar den einen oder andern Christen bewogen haben, die Konfession zu wechseln (also z.B. sich zum Judentum zu bekennen, was damals wohl öfters vorkam, als man sich heute vorstellen kann) oder über eine grundsätzliche Reformation der Kirche nachzudenken.

In dieser Situation argumentierte Cusanus mit dem Rücken zur Wand: Seine Schrift enthält die dringliche Bitte an das Konzil, die Kalenderreform nun endlich in Angriff zu nehmen, da sonst Ungemach drohte. Der falsche Kalender der Kirche der Christenheit war ein öffentlicher Skandal, der unbedingt beseitigt werden mußte! Daß dies dann angeblich erst ca. 150 Jahre später im Rahmen der Gregorianischen Kalenderreform (1582) geschah, ist wohl nicht die ganze Wahrheit in dieser Angelegenheit…

Methodik

Die Historiker kennen verschiedene Epochen, die unterschiedlich weit in die Vergangenheit zurückreichen; wir werden in der vorliegenden Untersuchung mit folgenden Ären und Epochen zu tun haben:

Epoche

Bezeichnung

Nominaljahr

per

bzw. Ära

1.1.1600

CHR

(Abk.)

–––

ALF

ab Alfonsinische Tafeln

348

NPR

neupersisch, ab Dschelaleddin

521

APR

altpersisch, ab Jezdegird

969

MOH

mohammedanisch, ab Hedschra

1008

ARM

armenisch

1049

DIC

ab Indiktionsrechnung

1289

DIO

ab Diokletian

1316

CHR

christlich, ab Christi Geburt

1600

AUG

ab Augustus

1627

ACT

ab der Schlacht von Aktium

1629

SPA

spanisch

1638

IMP

ab Imperium (Cäsar)

1644

JUL

ab Julius Cäsar

1645

ANT

antiochenisch

1648

TYR

tyrisch

1724

HAS

hasmonäisch

1742

SLK

ab Seleukos Nikator

1911

PHI

ab Philipp

1924

NAB

ab Nabonassar

2348

URB

ab Gründung der Stadt (

urbe

)

2352

OLY

ab erster Olympiade

2375

Es handelt sich hier um eine Auswahl der für die Geschichtsschreibung wichtigsten Epochen; die Abkürzungen sind nach einem neuen, formal einheitlichen Schema gestaltet. Jahreszahlen ohne nähere Epochenbezeichnung verstehen sich implizit als „CHR-Datierung“, d.h. „nach Christi Geburt“ im modernen Sinn. Die relative Datierung der Epochenjahre stützt sich im wesentlichen auf das Schema von Scaliger (+1609) und - darauf aufbauend - von Calvisius (+1615), der die erste „Weltgeschichte“ schrieb, die nach einem durchgängigen chronologischen System konstruiert war, das zwar im Detail kritisch hinterfragt, aber grundsätzlich bestätigt wurde vom Jesuiten Petavius, dessen monumentales Werk seither den Leitfaden setzte.1

Cusanus erwähnt nur zwei Epochen als Basis je einer Zeitrechnung: die christliche und die mohammedanische. Doch seine Umrechnung von der einen in die andere entspricht nicht dem heutigen Stand des Wissens. Wer hat Recht? Cusanus, einer der gescheitesten Gelehrten seiner Zeit, der zudem den entsprechenden Ereignissen zeitlich viel näher stand - oder die modernen Historiker, die aber so modern nicht sind, da sie in chronologischen Fragen auf dem wissenschaftlichen Stand des 19. Jhs. stehengeblieben sind? Die Summe der „Irrtümer“ bei Cusanus ergibt paradoxerweise ein Bild, das in seiner Gesamtheit stimmig ist; demgegenüber verfängt sich der moderne Historiker beim Versuch der „Richtigstellung“ in unauflösbare Widersprüche, die sein eigenes Nichtwissen schonungslos offenlegen!

Der vorliegende Cusanus-Text basiert auf der Übersetzung von Viktor Stegemann;2 er wurde jedoch hinsichtlich Satzbau und Zeichensetzung leicht modernisiert und vereinfacht. Wesentliche Abweichungen von Stegemanns Vorlage betreffen hingegen bestimmte Fachausdrücke, wo ich mich zwecks besserer Unterscheidungsmöglichkeit enger an den lateinischen Text gehalten habe. So wurde etwa „Pascha“ nicht einfach mit Ostern übersetzt, weil „Ostern“ nicht eigentlich eine Übersetzung von „Pascha“, sondern schon eine Interpretation ist. Diese scheinbar übertriebene Texttreue ist etwa dort von Bedeutung, wo Cusanus gar nicht „Pascha“, sondern „Phase“ schreibt, was natürlich nicht mehr mit „Ostern“ übersetzt werden kann. Ebenso wurden die Kalenderdaten in Cusanus’ Schreibweise übernommen und nicht in die heutige Lesart übersetzt, wie es Stegemann tat. Das erschwert vielleicht die Lesbarkeit, dient aber wiederum der Genauigkeit und kann im Einzelfall ganz andere Bedeutungszusammenhänge herstellen. Im Zweifelsfall muß natürlich die Arbeit von Stegemann konsultiert werden, zumal wenn die lateinischen Textvarianten berücksichtigt werden sollen.

Der Cusanus-Text entstammt verschiedenen lateinischen Handschriften, die von Stegemann in einen einzigen Text gegossen und übersetzt wurden, wobei er die Varianten im lateinischen Text zwar transparent machte, allerdings ohne sie alle als Übersetzung anzubieten. Ich habe darauf verzichtet, die verschiedenen Varianten auf zusätzliche interessante Hinweise auszuloten, da es sich zumeist wohl nur um Verschreibungen handelte, aus denen keine neuen Erkenntnisse zu gewinnen waren. Stegemann konnte im wesentlichen auf zwei Textfassungen zurückgreifen, die sich vor allem durch ihre Länge unterschieden: in der einen Fassung waren Textpassagen enthalten, die es in der andern nicht gab. Dieser zusätzliche Text wurde von Stegemann kursiv gesetzt, und ich habe dies ebenso gehalten. Für Stegemann war der ganze Text (inklusive des kursiven Teils) der ursprüngliche Text, der dem Konzil zu Basel vorgelegt wurde, während die Texte ohne die kursiven Passagen für ihn spätere, verkürzte Varianten sind.

Ich halte jedoch genau das Gegenteil für richtig: die kursiven Passagen wurden später eingefügt, um den ursprünglichen Text mit neuen Erkenntnissen zu erweitern und auch chronologisch abzusichern. Denn gerade in den kursiven Passagen finden sich auffällig viele chronologische Bezüge, und man fragt sich, weshalb ausgerechnet diese wichtigen Textstellen für spätere Fassungen hätten gestrichen werden sollen - es war wohl doch eher umgekehrt: Die zeitgenössische historische Forschung lieferte neue Resultate, die nun flugs in eine redigierte spätere Fassung eingebaut wurden, um die ganze Kalenderreform noch besser zu untermauern. So würde man es heute machen, und so machte man es wohl auch schon damals. Das würde aber bedeuten, daß die historischen und chronologischen Informationen im kursiven Textteil zur Zeit des Basler Konzils noch nicht oder noch nicht sicher genug vorlagen! Der Leser wird sich hier sein eigenes Urteil bilden können…

1 Scaliger, De emendatione temporum, Coloniae Allobrogum MDCXXIX.

Calvisius, Opus chronologicum, Francofurti ad Moenum et Lipsiae MDCLXXXV.

Petavius, De doctrina temporum, Venetiis MDCCLVII.

2 Nikolaus von Cues, Die Kalenderverbesserung (De correctione kalendarii), übersetzt von Viktor Stegemann; Heidelberg 1955.

Kapitel I

Damit mein Vorhaben bezüglich der Verbesserung des Kalenders deutlich wird, will ich nacheinander von der Ordnung des Kalenders sowie von seiner Unzulänglichkeit sprechen, ferner von den Ursachen seiner Verkehrtheit und wie diese beseitigt werden kann.

Das Jahr ist das Maß jeder denkbaren Bewegung von Endpunkt zu Endpunkt und ist verschieden lang entsprechend den verschiedenen Interessen der Menschen: So nehmen es die einen mit Berücksichtigung der Konjunktion der Lichter zu 30 Tagen an,i andere zu 3 Monaten wie die Chaldäer von der Tagundnachtgleiche bis zum Solstitium,ii wieder andere zu 12 Mondmonaten zu 354 Tagen wie die Araber, andere im Hinblick auf einen auf die Geburt des Menschen ausgeübten Einfluß zu 10 Monaten wie Romulus.iii

Wieder andere berücksichtigen die Umdrehung der Sonne, nehmen das Jahr aber nur zu 365 Tagen an wie einst die Griechen, Perser und Ägypter; noch andere, die den dabei entstehenden Fehlbetrag beachten, haben nochmals 6 Stunden hinzugefügt, wodurch jedes 4. Jahr ein Bisextil-Jahr entsteht;iv so die Römer auf Weisung des Julius Cäsar. Diesen Kalender nahmen sich auch die Griechen zum Vorbild, damit all ihre Opfer zu einer bestimmten Zeit des Jahres stattfinden konnten, weil es so, wie sie meinten, ihrem höchsten Gott gefiel.v

Umgekehrt die Ägypter: Damit ihre Opfer nicht auf eine bestimmte Zeit festgelegt seien, verschmähten sie den zusätzlichen Vierteltag und behaupteten, der Zeitraum einer vollen Umdrehung betrage 1460 Jahre, was sie das große Sonnenjahr nennen.vi

Wie diese Jahre verschiedene Längen haben, so sind auch die Anfangsdaten verschieden. Die einen beginnen das Jahr mit dem Tode Alexanders – dies sind die Koptenjahre der Griechenvii -, andere von Nabuchodonosor wie die Jahre der Ägypter,viii wieder andere von Jesdargit wie die Perser, wieder andere von Mohammed wie die Araber; diese nennt Azarchel ab „Higera“, was soviel wie „Krieg“ heißt.ix

Andere zählen von den römischen Kaisern, wie es die Römer lange Zeit von Diokletian an taten.x Diese Zählung änderten erst die Christen 500 Jahre nach Christi Geburt, da sie meinten, man müsse die Jahresreihe eher mit Christus als mit einem Tyrannen beginnen.xi

Das beweisen auch die Akten der Konzilien, besonders jener zu Toledo, die um die gleiche Zeit stattfanden, denn man zählt sie nach der christlichen Ära.xii Das Wort Ära kommt laut Isidor von aes, aeris; so nämlich haben die Alten das Jahr bezeichnet.xiii

Entsprechend gibt es verschiedene Anfangsdaten für die einzelnen Jahre. Die einen beginnen mit dem März wie die Römer, andere mit dem September wie die Juden, andere mit dem Oktober wie die Ägypter und die Griechen und ebenso die Perser,xiv wieder andere von der Sommersonnenwende wie die Araber,xv obgleich es keinerlei festen Anfang für das Jahr gibt außer bei dem Jahr, das die Sonnenbewegung mit Einschluß des Vierteltages bemißt, da bei den andern Jahren eine Verschiedenheit hinsichtlich des Anfangs besteht.xvi Denn die Perser und Ägypter variieren durch Antizipation jedes 4. Jahr den Anfang um einen Tag; ähnlich die Araber und die Juden.xvii

Die Araber kehren allerdings im Verlauf von 30 Umkreisungen zum selben Anfang zurück. Die Juden aber gleichen 19 ihrer Jahre unseren lateinischen Jahren durch Einschub von 7 eingeschalteten Lunationen an.xviii

Die Christen beginnen ihr Jahr mit dem 8. Kalend April,xix weil dort der Tag der Verkündigung und der Fleischwerdung Christixx liegt, wenn auch die Allgemeinheit, den Italienern folgend, das Jahr mit dem Kalend Januar beginnt.xxi

All jene aber, die das Jahr anders als die Chaldäer zählen,xxii wenden zweierlei Methoden an: Die einen benutzen zur Messung die Rückkehr der Sonne zum gleichen Zeitpunkt, die andern messen eine solche Umdrehung nach Lunationen. Infolgedessen dienen die Monate des Jahres den Lunationen,xxiii und deswegen dauerten die Monate aufgrund einer freilich recht groben Festlegung der Griechen 30 Tage, weil man annahm, daß der Mond sich in so viel Tagen erneuere, wobei man dann zum letzten Monat 5 Tage hinzufügte, damit das Jahr sich in die Umkreisung der Sonne fügte; diese Tage nannten die Alten Interkalare. Ihnen folgend setzte Julius die Monate auf 30 Tage fest, jedoch indem er die Interkalare überall verteilte und sie nicht am Ende des Jahres einfügte wie die Griechen.xxiv

Die Araber hingegen führten, moderner und genauer verfahrend, 2 Monate zu 59 Tagen ein, wobei sie zuweilen einen Tag zugaben, und zwar 11 mal in 30 Jahren; in diesem Fall haben dann die beiden Monate 60 Tage.xxv

Nun besteht zwar in all diesem Verschiedenheit; trotzdem wiederholen sich die Namen der Tage bei allen im Abstand von 7 Tagen. Doch besteht wieder ein Unterschied hinsichtlich der Bezeichnung des 1. Wochentags und der Tage überhaupt. Die Woche der Christen beginnt beim Tag des Herrn, die Woche der Kopten und Alexanders beim Tag des Mondes, die des Jesdargit beim Tag des Mars, die des Nabuchodonosor beim Tag des Merkurs, die der Heiden beim Jupitertag, die der Hedschra beim Tag der Venus und die der Hebräer beim Sabbat.

Die Namen der Tage sind vom Planeten abgeleitet, der in der 1. Stunde herrscht,xxvi und so hat der Tag der Sonne, des Mondes, des Mars usw. nicht nach der Ordnung der Planeten, sondern nach der Folge ihrer Herrschaft seine Bezeichnung erhalten. Diese Methode der Heidenxxvii verachteten die Hebräer, und so nannten sie den 1. Tag nach dem Sabbat „Erster des Sabbats“ und so weiter. Ähnlich änderten auch die Christen auf Weisung von Papst Silvester die Bezeichnung der Tage: den Tag der Sonne zur 1. Ferie, den Tag des Mondes zur 2. Ferie und so fort.xxviii

Die Alten bestimmten auch, man müsse wegen der Bewegung, die die Sonne vor der Vollendung ihrer Umkreisung den 365 Tagen hinzufügt, einen Tag hinzusetzen. Die einen verlangten dies für das 3., andere für das 5. Jahr. Julius Cäsar, der diesen Fragen mit großem Eifer nachging, deckte den Irrtum seiner Vorgänger auf und schaltete auf einmal 21 1/4 Tage ein. Zudem verfügte er durch öffentliches Edikt, es sei jeweils im 4. Jahr der 6. Kalend März als Bisextil hinzuzusetzen.xxix Die Priester indes fügten alle 3 Jahre einen Tag hinzu und schalteten so wiederum in 36 Jahren 12 Tage ein, während 9 genügt hätten.xxx

Diesen Irrtum bemerkte Augustus und ordnete 12 Jahre ohne Bisextil an, damit die richtige Zählung wieder erreicht werde. Dies ließ Augustus, wie Macrobius zu berichten weiß, auf eherne Tafeln zu ewigem Gedächtnis aufschreiben. Seit dieser Zeit bis in unsere Tage liest man nicht mehr davon, daß dem Jahr etwas hinzugefügt oder weggenommen worden ist.xxxi

Ich stelle fest, daß die Chaldäer den Römern für die Bestimmung der Anfänge der Lunationen den 19-jährigen Zyklus übermittelt haben, den diese in ihren Kalendern mit Goldenen Zahlen eintrugen; daher hat er seine entsprechende Bezeichnung erhalten.xxxii

Wenn nun jemand über diese Jahre und Ären und ihre Anfänge, über Monate und Tage und den Sinn der Bezeichnungen für Monate und Tage nach dem römischen Brauch noch mehr wissen will, dazu über das, was die alte heidnische Religion hinsichtlich der Gerichtstage, der für Rechtsprechung verbotenen und der Wahltage, ferner wegen der feststehenden und außerordentlichen Feiertage sowie der Markttage und der Unterschiede der Opfer zu beobachten pflegte, und weiter, warum man auf die Kalenden, Nonen und Iden achtete, die damals der Feststellung des Anfangs des Neulichts und der Mitte des Monats dienten - wer also darüber ausführlicher sich zu unterrichten wünscht, der möge zum 18. Buch Augustins gegen Faustus und zu den Komputisten greifen; auch zu Bedas „Über die Zeiten“, ferner zu Solins „Weltwundern“, zu Ptolemäus „Einleitung zum Almagest“, zu Abraham ebn Ezras „Über die Einrichtung der Pisanischen Tafeln“, zu Macrobius’ „Saturnalien“ und zu Ovids „Fasten“.xxxiii

Kapitel II

Die Unzulänglichkeit des Kalenders bezüglich des Jahres und der Monate ersieht man aus folgendem: Obgleich nämlich ein Jahr mit Bisextil das Maß für die Bewegung der Sonne vom gegebenen Äquinoktial- oder Solstitialpunkt bis zu ihrer Wiederkehr darstellt, so hat doch die wissenschaftliche Erfahrung gelehrt, daß infolge der Antizipation der Solstitien und Äquinoktien das Sonnenjahr kleiner ist, als Julius Cäsar es ansetzte, und zwar wenigstens um einige Stundenminuten. Das hat zur Folge, daß heute das Frühlingsäquinoktium nicht mehr auf den Tag des März fällt, auf den es zur Zeit der Philosophen Felix, Abrachis, Ptolemäus, Albategni, Alpitragius, Thebit und anderer früher Meister fiel.xxxiv