Die verlorene Bibliothek - A. M. Dean - E-Book

Die verlorene Bibliothek E-Book

A. M. Dean

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Beschreibung

Wissen ist Macht. Und Macht ist tödlich ...

Der Standort der untergegangenen Bibliothek von Alexandria ist ein Geheimnis, das Arno Holmstrand sein Leben lang gehütet hat. Nun liegt er im Sterben. Sein Erbe soll die Geschichtsprofessorin Emily Wess antreten. Während sie die halbe Welt bereist, um Hinweise zu entschlüsseln, die ihr Mentor Arno Holmstrand ihr hinterlassen hat, wird eine geheimnisvolle, mächtige Vereinigung auf sie aufmerksam, die sich "Der Rat" nennt.
Der Rat hat seine Handlanger überall. Diese werden morden, um an das antike Wissen in der Bibliothek zu gelangen. Und Emily Wess besitzt, was sie wollen ...

Ein packender Verschwörungsthriller für alle Fans von Dan Brown, Simon Toyne und Mario Giordanos Apocalypsis.

»... eine herausragende Geschichte durch die Jahrhunderte, historisch überzeugend, politisch bestechend, mehr als lesenswert.« ASTRID VAN NAHL, ALLITERATUS

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.


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Seitenzahl: 500

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Ähnliche


Inhalt

Cover

Weiterer Titel des Autors

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Karten

DIENSTAG

PROLOG

MITTWOCH

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL NEUNZEHN

KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL EINUNDZWANZIG

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

DONNERSTAG

KAPITEL VIERUNDZWANZIG

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG

KAPITEL DREISSIG

KAPITEL EINUNDDREISSIG

KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG

KAPITEL DREIUNDDREISSIG

KAPITEL VIERUNDDREISSIG

KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG

KAPITEL SECHSUNDDREISSIG

KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG

KAPITEL ACHTUNDDREISSIG

KAPITEL NEUNUNDDREISSIG

KAPITEL VIERZIG

KAPITEL EINUNDVIERZIG

KAPITEL ZWEIUNDVIERZIG

KAPITEL DREIUNDVIERZIG

KAPITEL VIERUNDVIERZIG

KAPITEL FÜNFUNDVIERZIG

KAPITEL SECHSUNDVIERZIG

KAPITEL SIEBENUNDVIERZIG

KAPITEL ACHTUNDVIERZIG

KAPITEL NEUNUNDVIERZIG

KAPITEL FÜNFZIG

KAPITEL EINUNDFÜNFZIG

FREITAG

KAPITEL ZWEIUNDFÜNFZIG

KAPITEL DREIUNDFÜNFZIG

KAPITEL VIERUNDFÜNFZIG

KAPITEL FÜNFUNDFÜNFZIG

KAPITEL SECHSUNDFÜNFZIG

KAPITEL SIEBENUNDFÜNFZIG

KAPITEL ACHTUNDFÜNFZIG

KAPITEL NEUNUNDFÜNFZIG

KAPITEL SECHZIG

KAPITEL EINUNDSECHZIG

KAPITEL ZWEIUNDSECHZIG

KAPITEL DREIUNDSECHZIG

KAPITEL VIERUNDSECHZIG

KAPITEL FÜNFUNDSECHZIG

KAPITEL SECHSUNDSECHZIG

KAPITEL SIEBENUNDSECHZIG

KAPITEL ACHTUNDSECHZIG

KAPITEL NEUNUNDSECHZIG

KAPITEL SIEBZIG

KAPITEL EINUNDSIEBZIG

KAPITEL ZWEIUNDSIEBZIG

KAPITEL DREIUNDSIEBZIG

KAPITEL VIERUNDSIEBZIG

KAPITEL FÜNFUNDSIEBZIG

KAPITEL SECHSUNDSIEBZIG

KAPITEL SIEBENUNDSIEBZIG

KAPITEL ACHTUNDSIEBZIG

KAPITEL NEUNUNDSIEBZIG

KAPITEL ACHTZIG

KAPITEL EINUNDACHTZIG

KAPITEL ZWEIUNDACHTZIG

KAPITEL DREIUNDACHTZIG

KAPITEL VIERUNDACHTZIG

KAPITEL FÜNFUNDACHTZIG

KAPITEL SECHSUNDACHTZIG

KAPITEL SIEBENUNDACHTZIG

KAPITEL ACHTUNDACHTZIG

KAPITEL NEUNUNDACHTZIG

KAPITEL NEUNZIG

KAPITEL EINUNDNEUNZIG

KAPITEL ZWEIUNDNEUNZIG

KAPITEL DREIUNDNEUNZIG

KAPITEL VIERUNDNEUNZIG

KAPITEL FÜNFUNDNEUNZIG

KAPITEL SECHSUNDNEUNZIG

SAMSTAG

KAPITEL SIEBENUNDNEUNZIG

KAPITEL ACHTUNDNEUNZIG

KAPITEL NEUNUNDNEUNZIG

KAPITEL EINHUNDERT

KAPITEL EINHUNDERTEINS

KAPITEL EINHUNDERTZWEI

KAPITEL EINHUNDERTDREI

SONNTAG

KAPITEL EINHUNDERTVIER

KAPITEL EINHUNDERTFÜNF

KAPITEL EINHUNDERTSECHS

KAPITEL EINHUNDERTSIEBEN

KAPITEL EINHUNDERTACHT

KAPITEL EINHUNDERTNEUN

KAPITEL EINHUNDERTZEHN

KAPITEL EINHUNDERTELF

KAPITEL EINHUNDERTZWÖLF

EPILOG

ANMERKUNG DES AUTORS

DANKSAGUNGEN

Weiterer Titel des Autors

Der verborgene Schlüssel

Über dieses Buch

Wissen ist Macht. Und Macht ist tödlich …

Der Standort der untergegangenen Bibliothek von Alexandria ist ein Geheimnis, das Arno Holmstrand sein Leben lang gehütet hat. Nun liegt er im Sterben. Sein Erbe soll die Geschichtsprofessorin Emily Wess antreten. Während sie die halbe Welt bereist, um Hinweise zu entschlüsseln, die ihr Mentor Arno Holmstrand ihr hinterlassen hat, wird eine geheimnisvolle, mächtige Vereinigung auf sie aufmerksam, die sich »Der Rat« nennt.

Der Rat hat seine Handlanger überall. Diese werden morden, um an das antike Wissen in der Bibliothek zu gelangen. Und Emily Wess besitzt, was sie wollen …

eBooks von beTHRILLED – mörderisch gute Unterhaltung.

Über den Autor

A.M. Dean ist einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antiken Kulturen und Religionsgeschichte. Er hat an vielen renommierten Universitäten gelehrt. Derzeit arbeitet er an seinem nächsten Thriller.

A. M. DEAN

DIE VERLORENEBIBLIOTHEK

THRILLER

Aus dem Englischen vonRainer Schumacher

beTHRILLED

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2012 by A. M. Dean

Titel der englischen Originalausgabe: »The Lost Library«

Originalverlag: PanMacmillan

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2013/2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Gerhard Arth

Lektorat: Judith Mandt

Titelillustration: Christina Seitz, Berkheim unter Verwendung eines Motivs von © shutterstock/Eky Studio

Umschlaggestaltung: Christina Seitz, Berkheim

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-2688-7

be-thrilled.de

lesejury.de

DIENSTAG

PROLOG

MINNESOTA, USA – 23:15 UHRCST

Die Kugel war in seine Lunge eingedrungen und in der Brust stecken geblieben, doch der alte Mann spürte den Schmerz nicht mehr. Und dieser Schmerz war alles, woran er noch denken konnte, als seine Sicht allmählich verschwamm.

Das war zu erwarten gewesen. Arno Holmstrand hatte gewusst, dass sie kommen würden. Die Ereignisse der letzten Woche hatten keinerlei Zweifel daran gelassen. Er war bereit. Er hatte sich mit den Vorbereitungen beeilt, doch die waren nun erledigt. Die Bühne war bereit, und er hatte erreicht, was erforderlich war. Nun blieb lediglich diese letzte Aufgabe; dann konnte er nur noch beten, dass seine Mühen nicht umsonst gewesen waren.

Arno brach auf dem alten Lederstuhl hinter seinem Schreibtisch zusammen. Die Mahagoniplatte vor ihm schien zu glänzen. Sie spiegelte das trübe Lampenlicht, welches das dunkle Zimmer erhellte – ein seltsam schöner Anblick in einem Moment wie diesem.

Arno streckte die Hände nach dem Buch aus, das offen vor ihm lag, und einen Moment lang kehrte der brennende Schmerz in seiner Brust wieder zurück. Er erinnerte ihn daran, dass es keinen Ausweg mehr gab … nur noch das Ende. Arno konzentrierte sich, fixierte seinen Blick auf das Buch und zählte drei Seiten ab. Mit aller Kraft, die ihm noch geblieben war, riss er sie aus dem Buch.

Schritte hallten durch den Flur. Arno griff nach einem vergoldeten Silberfeuerzeug, einem Geschenk, das er vor Jahren als Trauzeuge bei einer Studentenhochzeit bekommen hatte, und ließ es aufflackern. Dann hielt er die herausgerissenen Buchseiten über den Papierkorb zu seinen Füßen und zündete sie an. Einen Augenblick später brannte es lichterloh. Arno ließ die Seiten in den Papierkorb fallen und schaute zu, wie sie verkohlten. Schließlich ließ er sich wieder auf dem Stuhl zurücksinken.

Der letzte Akt war vollbracht. Arno faltete die Hände und schaute zu, wie seine Bürotür aufgestoßen wurde. Der Mann, der ihm gegenübertrat, hatte ein Gesicht wie aus Stahl, vollkommen emotionslos. Er strich eine schwarze Lederjacke glatt, die seine Muskeln wie eine zweite Haut umhüllte, und schaute sich rasch im Raum um. Dann fiel sein Blick auf das kleine Feuer im Papierkorb, und er richtete die Pistole auf den alten Mann hinter dem Schreibtisch.

Arno hob den Blick und schaute seinem Gegner in die Augen.

»Ich habe Sie erwartet.« Er sprach ruhig und gelassen. Der Mann in der Tür zuckte mit keiner Wimper. Und obwohl er noch vor wenigen Sekunden gerannt war, atmete er ruhig und gleichmäßig.

Die spöttische Vertrautheit verschwand aus Arnos Stimme, und in sachlichem Ton erklärte er: »Sie haben mich gefunden. Viele andere sind daran gescheitert. Aber es endet hier und jetzt.«

Der jüngere Mann schaute Arno neugierig an. Kurz hielt er inne. Das Selbstvertrauen des alten Mannes kam unerwartet, vor allem in diesem Moment. Das war der Augenblick seiner Niederlage. Und doch saß er einfach nur da, und ihn schien nichts zu erschüttern.

Der Eindringling atmete tief durch. Dann, ohne zu blinzeln, feuerte er zweimal in rascher Folge, beide Male in Arnos Brust.

Der Raum versank in Dunkelheit. Arno Holmstrand sah, wie die Gestalt des Eindringlings verschwamm und immer weiter wegzurücken schien.

Und dann war da nur noch Finsternis.

14 MINUTENSPÄTER – OXFORD, ENGLANDMITTWOCHMORGEN, 5:29 UHRGMT

Der Uhrenturm der alten Kirche ragte über der Stadt auf, die wie jeden Tag langsam zum Leben erwachte. Ein paar Lichter waren in den Fenstern der Colleges zu sehen, die den Platz umgaben, und Lieferwagen fuhren über die High Street und versorgten die Geschäfte mit Waren für den Tag. Der Mond stand tief am Himmel, und das erste Licht der Sonne war noch von der Nacht verborgen.

Um genau 5:30 Uhr bewegte sich die riesige Eisenhand der Uhr an ihre vorbestimmte Position. Und hinter der Metallplatte brach ein absichtlich in das antike Werk gesteckter Holzdübel entzwei. Die Kordel, an die er gebunden war, verlor ihre Spannung, und das Päckchen, das er hoch über dem Boden des Turms gehalten hatte, fiel wie geplant.

Einhundertvierundzwanzig Stufen einer Wendeltreppe weiter unten, am Fuß des Turms aus dem 13. Jahrhundert, schlug das Päckchen auf das dicke Steinfundament. Die Kappe auf der Außenseite sprang durch den Aufprall ab, und die Zündung wurde aktiviert. Noch nicht einmal eine Sekunde später explodierte das C4 mit ungezügelter Wut.

Und der alte Kirchturm fiel in einem riesigen Feuerball in sich zusammen.

MITTWOCH

KAPITEL EINS

MINNESOTA – 9:05 UHRCST

Der Tag, der das Leben von Professor Emily Wess nachhaltig verändern sollte, begann eigentlich recht gewöhnlich. Nichts hatte auf eine Tragödie hingedeutet, keine dringlichen Nachrichten, und sie hatte auch den Tag ganz normal begonnen. Sie hatte ihren Morgenlauf absolviert, ihr erstes Seminar des Tages gehalten und sich ihren Morgenkaffee gekauft. Alles war wie immer, auch die schwere Herbstluft, die sie auf dem Campus des Carleton College einatmete, und doch hatte sie irgendwie das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Irgendetwas machte ihr eine Gänsehaut, als sie vom Seminarraum zu ihrem Büro ging, auch wenn sie nicht den Finger darauf legen konnte. Alles an diesem Tag fühlte sich irgendwie seltsam an.

»Guten Morgen, alle miteinander.« Emily bog vom Hauptgang im dritten Stock der Leighton Hall, wo sich das Institut für Religionswissenschaften befand, in ihre Abteilung. Hier drängten sich mehrere Räume um einen zentralen Arbeitsbereich, einen ›Pod‹, wie man das in Minnesota nannte. Vier Leute arbeiteten im Pod, und diese vier standen nun zusammen mit einem fünften Kollegen in der Ecke, als Emily den Raum betrat.

Emily lächelte, doch die kleine Gesellschaft war in ein Gespräch vertieft. Schließlich war doch noch ein »Hallo« aus dem Grüppchen zu hören, doch niemand drehte sich zu Emily um. In diesem Augenblick wurde sie sich der seltsamen Atmosphäre bewusst, die schon den ganzen Morgen über geherrscht hatte und der sie bis jetzt schlicht keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte: Auf den Fluren war es merkwürdig still, und all ihre Kollegen schauten besorgt drein und wirkten abwesend.

Emily fischte ihre Schlüssel aus der Tasche, ging zu ihrem Postfach und leerte es. Seit zwei Wochen hatte sie das Fach nicht mehr von Werbemüll gesäubert, und nun hatte sich so viel angesammelt, dass sie das Ganze kaum noch tragen konnte.

Hinter ihr diskutierten ihre Kollegen noch immer leise miteinander. Emily warf einen Blick über die Schulter zurück, als sie den Schlüssel ins Schloss ihrer Bürotür steckte.

»Einer der Hausmeister hat ihn heute Morgen gefunden«, schnappte Emily auf.

»Das ist doch unmöglich«, erwiderte eine andere Flüsterstimme. »Ich habe erst gestern mit ihm Kaffee getrunken.«

Maggie Larson, die Professorin für Christliche Ethik, von der die letzte Bemerkung gekommen war, schaute ernst drein.

Nein, dachte Emily bei sich und schaute genauer hin. Sie scheint wütend zu sein. Sie sah, dass auch das die falsche Beschreibung war, und ihre Neugier war geweckt. Nein, überlegte sie weiter, sie hat Angst.

Emily hielt mitten in der Bewegung inne und drehte sich zu ihren Kollegen um. Irgendetwas beanspruchte all ihre Aufmerksamkeit – irgendetwas Furchtbares.

»Bitte, entschuldigen Sie, ich möchte ja nicht aufdringlich sein, aber was ist hier los?«, fragte Emily und trat einen Schritt auf die anderen zu. Die seltsame Spannung in der Luft nahm mit jedem Wort zu, doch Emily wusste nicht, wie sie sich sonst in das Gespräch hätte einmischen sollen, zumal sie ja keine Ahnung hatte, worum es ging.

Die anderen wollten Emily jedoch gar nicht im Unklaren lassen. »Sie müssen das doch gehört haben«, sagte Aileen Merrin, eine ordentliche Professorin für Neutestamentarische Studien. Aileen hatte auch zu dem Komitee gehört, das Emily vor zwei Jahren eingestellt hatte, und seitdem mochte Emily sie. Sie hoffte, wenn sie genauso alt war, auch so gut mit silbernen Haaren auszusehen wie Aileen.

»Offensichtlich nicht.« Emily trank einen Schluck kalten Kaffee aus einem Pappbecher. Der Kaffee war über eine Stunde alt und nicht mehr genießbar, doch den Becher an die Lippen zu heben half, die Anspannung des Augenblicks zu lösen. »Was soll ich denn gehört haben?«

»Sie kennen doch sicher Arno Holmstrand, den Historiker?«

»Natürlich«, antwortete Emily. Jeder kannte das Aushängeschild des Historischen Instituts. Selbst wenn Emily nicht lediglich in Teilzeit bei den Historikern gearbeitet hätte, hätte sie schon vom angesehensten und berühmtesten Professor des Colleges gehört. »Hat er wieder ein verschollenes Manuskript entdeckt? Oder hat man ihn aus einem Land im Nahen Osten ausgewiesen, weil er sich bei einer Grabung nicht an die Vorgaben gehalten hat?« Wann immer Emily Holmstrands Namen gehört hatte, dann in Zusammenhang mit irgendeiner großen Entdeckung oder einem akademischen Abenteuer. »Er hat das College doch nicht mit einer seiner Reisen in den Bankrott getrieben, oder?«

»Nein, das hat er nicht.« Aileen schaute verlegen drein, und ihre Stimme wurde zu einem Flüstern. »Er ist tot.«

»Tot?« Emily drängte sich in die kleine Gruppe. Die Nachricht hatte sie schwer getroffen. »Wovon reden Sie da? Wann? Wie?«

»Letzte Nacht. Sie glauben, dass er ermordet worden ist … hier auf dem Campus.«

»Sie glauben es nicht«, warf Jim Reynolds ein, ein Spezialist für die Reformation. »Sie wissen es. Er ist ermordet worden. Drei Schuss mitten in die Brust … Oder jedenfalls habe ich das so gehört. An seinem Schreibtisch. Sieht nach einem Profi aus.«

Der leichte Schauder, der Emily bis jetzt über den Rücken gelaufen war, wich einer ausgewachsenen Gänsehaut. Es hatte noch nie einen Mord auf dem Campus des Carleton College gegeben, und dass nun ausgerechnet ein Kollege ermordet worden war … Die Nachricht löste nicht nur Entsetzen, sondern auch Angst bei Emily aus.

»Er ist den Flur hinuntergejagt worden«, fügte Aileen hinzu. »Vor seinem Büro ist Blut. Ich habe allerdings nicht reinschauen können.« Ihr drohte die Stimme zu versagen, und sie schaute Emily an. »Haben Sie denn nicht die Polizei auf dem Campus bemerkt?«

Emily war wie vor den Kopf geschlagen. Ja, sie hatte Streifenwagen gesehen, als sie heute Morgen ihren Wagen abgestellt hatte, aber sie hatte sich nicht viel dabei gedacht. Polizei war auf dem Campus nicht gerade selten.

»Ich … Ich hatte ja keine Ahnung, weshalb sie hier waren.« Emily hielt kurz inne. »Aber warum Arno?« Sie wusste nicht, was sie sonst hätte fragen sollen.

»Das ist nicht die Frage, die mir so viele Sorgen macht.« Diese Stimme, zaghaft und verängstigt, gehörte Emma Erickson, der anderen Dozentin für Religionsgeschichte neben Emily.

»Was dann?«, fragte Emily sie.

»Die Frage, die mir Sorgen macht, ist: Wenn einer unserer Kollegen hier auf dem Campus angegriffen und ermordet worden ist, wer ist dann als Nächstes dran?«

KAPITEL ZWEI

WASHINGTOND. C. – 9.06 UHREST

Vor dem Konferenzraum mit dem Schild ›26H‹ gab D. Burton Gifford seinen ledernen Aktenkoffer einem Lakaien, und sein Blick sagte deutlich, dass er nach dem morgendlichen Meeting allein sein wollte. Er stellte sich an den Rand, als die anderen Männer nacheinander den Raum verließen und den Gang hinunter zum Ausgang eilten, ignorierte die ›Bitte nicht rauchen‹-Schilder, holte eine Pall Mall aus der Schachtel in seiner Brusttasche und zündete sie sich an. Seit zwei Jahren, seit der große Mann ins Amt gewählt worden war, arbeitete Gifford als außenpolitischer Berater, und stets hatte er die Arbeit des Präsidenten im Nahen Osten loyal unterstützt, auch wenn der Mann seinen Wunsch nicht teilte, deutlich aggressiver vorzugehen. In der Zeit nach der Einstellung der offiziellen Kampfhandlungen neigte der Präsident mehr zu Deals als zu Aggression. Gifford war zu einem der wichtigsten Berater des Oberbefehlshabers geworden. Er gestaltete Politik und stellte sicher, dass der Präsident stets wusste, wer Freund war und wer Feind. Gifford kam aus der Wirtschaft, und die Wirtschaft war die Welt der Netzwerke. Ihm gefiel die Vorstellung, dass der Präsident dank seiner Weisheit und seines Einflusses Verbindungen knüpfen konnte. Und diese Vorstellung war auch nicht wirklich falsch. Gifford war der Mann mit den Verbindungen, und der Präsident war die Stimme der Moral, der sich die Richtigen aussuchte.

Nicht weit davon entfernt stand ein Mann namens Cole in den Schatten. Auf seinem nicht zu erkennenden Gesicht zeigte sich unverhohlene Verachtung für den untersetzten, arroganten Machtmenschen, der ganz dem Klischee eines einflussreichen Fettsacks entsprach. Gifford war derart auf sich selbst fixiert, dass er nur das in seiner Umgebung wahrnahm, was unmittelbar mit ihm und seinen Plänen zu tun hatte. Alles andere ignorierte er.

Das war ein Fehler, und heute würde er dafür bezahlen.

Gifford nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. Die halb gerauchte Kippe hing ihm von den Lippen, als er sein Jackett glattzog. Cole nutzte die Gelegenheit. Gifford war abgelenkt und somit verwundbar. Cole verließ seine Ecke, überquerte den Flur, und in einer einzigen fließenden Bewegung packte er den fetten Kerl an den Handgelenken und zwang ihn in den Konferenzraum zurück.

»Was zum Teufel soll das?«, verlangte Gifford zu wissen.

»Halten Sie den Mund, dann ist es leichter«, erwiderte Cole. Mit der linken Hand drehte er Gifford den Arm auf den Rücken, während er mit der rechten die Tür schloss. »Und jetzt setzen Sie sich.« Er stieß den Mann auf einen der gerade erst wieder freigewordenen Lederstühle an dem langen Konferenztisch.

Gifford war entrüstet. Dieser freche Kerl hatte es doch tatsächlich gewagt, ihn herumzuschubsen, und ihm dabei auch noch den Arm verdreht. Gifford nahm die Arme vor die Brust und rieb sich das Handgelenk. Er kochte vor Wut. Dann wirbelte er auf seinem Drehstuhl zu dem Angreifer herum und knurrte: »Sie wissen wohl nicht, mit wem Sie es zu tun haben, junger Mann. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die diese Art von Behandlung einfach so über sich …«

Er verstummte, denn kaum hatte er sich ganz zu Cole umgedreht, da sah er, was dieser in den Händen hielt. In aller Seelenruhe schraubte Cole den Schalldämpfer auf seine.367 SIG Glock 32 und erwiderte:

»Ich weiß ganz genau, wer Sie sind, Mr Gifford. Deshalb bin ich ja hier.«

Giffords Wut und Verachtung waren wie weggeblasen, und hilflose Angst war an ihre Stelle getreten. Sein Blick klebte förmlich an der Waffe. »Was … Was wollen Sie?«

»Diesen Augenblick«, antwortete Cole. Mit einem Klicken rastete der Schalldämpfer ein, und Cole entsicherte die Waffe. »Dieser Augenblick, das ist genau, was ich will.«

»Ich verstehe nicht.« Gifford schnappte nach Luft und schob instinktiv den Stuhl zurück, als könnte er sich so vor der Bedrohung in Sicherheit bringen. »Was wollen Sie von mir?«

»Das ist es ja«, sagte Cole. »Ich will gar nichts von Ihnen. Das ist weder ein Verhör noch eine Entführung.«

»Was dann?«

Cole schaute Gifford in die weit aufgerissenen, panischen Augen. »Das ist das Ende.«

»Ich … Ich verstehe nicht.«

»Ja«, seufzte Cole. »Das kann ich mir denken.«

Drei Kugeln, die Cole Gifford mitten ins Herz schoss, beendeten das Gespräch. Dank des Schalldämpfers war nur dreimal ein leises ›Plopp‹ zu hören.

Gifford riss ungläubig den Mund auf und starrte auf die winzige Rauchfahne, die aus der Mündung der Waffe quoll. Als das Blut aus seinem Herzen pulste und über seinen Körper lief, sackte er im Stuhl zurück.

Cole schaute zu, wie der Mann seinen letzten Atemzug tat und dann nach vorne fiel.

KAPITEL DREI

9:20 UHRCST

»Weiß man schon, wer ihn erschossen hat?« Das Zögern in Emilys Stimme verriet, wie schockiert sie war. Sie begriff noch immer nicht, warum irgendjemand Arno Holmstrand umbringen sollte. Der Mann war ohne Frage das berühmteste Gesicht des College, aber er war auch uralt – jedenfalls von Emilys Standpunkt aus –, gut über siebzig. Er war ein ruhiger, wenn auch ein wenig exzentrischer alter Mann. Emily hatte ihn nicht allzu gut gekannt. Sie hatten ein paar Mal beruflich miteinander zu tun gehabt, und Arno hatte dann und wann mal einen seltsamen Kommentar zu Emilys Forschung vor sich hin gemurmelt – was natürlich auch das Recht eines alten Professors war –, aber das war auch schon alles gewesen. Sie waren Kollegen gewesen, keine Freunde.

Allerdings milderte das den Schock kaum. Ein Todesfall auf dem Campus war äußerst ungewöhnlich, von einem Mord ganz zu schweigen. Und Emily fühlte sich tatsächlich mit Holmstrand verbunden, wenn auch nur aus Respekt seinen Leistungen gegenüber und nicht aufgrund persönlicher Erfahrungen.

»Keine Ahnung«, antwortete Jim Reynolds. »Die Ermittler sind gerade drüben in seinem Gebäude. Der gesamte Flügel ist abgesperrt. Und das soll wohl den ganzen Tag dauern.«

Emily trank einen weiteren Schluck Kaffee, doch diesmal fühlte sich die Geste gezwungen, ja fast despektierlich an, als sei ein so normaler Akt angesichts derart furchtbarer Nachrichten schlicht fehl am Platze.

»Ich kann einfach nicht glauben, dass so was hier passiert.« Maggie Larson war ihre Angst noch immer deutlich anzusehen. »Wenn jemand ihn schon …« Ihre Stimme erstarb, doch sie wussten alle, worauf Maggie hinauswollte: Ein Kollege war ermordet worden, und nun hatten sie alle Angst um ihre Sicherheit.

Schweigen senkte sich über die Gruppe, das jedoch abrupt endete, als hinter ihnen die Glocke ertönte. Gleich würden die nächsten Kurse beginnen. Die Wissenschaftler tauschten besorgte Blicke aus. Dann trennten sie sich und zogen los, um ihre Pflicht zu erfüllen. Emily plagten Gewissensbisse. War es wirklich angemessen, nach so einem Vorfall einfach so weiterzumachen, als wäre nichts geschehen? Es musste doch sicher etwas gesagt werden, irgendetwas, um das ganze Ausmaß der Situation zu verdeutlichen.

»Ich … äh … Was mit Arno passiert ist, tut mir leid«, war alles, was sie noch hervorbrachte, als sie ging. Sie war überrascht, dass Professor Holmstrands Tod sie so traurig machte. Ihre Reaktion hätte eher zum Tod eines engen Freundes gepasst, und das war Holmstrand nie gewesen.

Aileen lächelte ihr zum Abschied zu und verließ den Raum. Emily, die noch immer mit dem Schock zu kämpfen hatte, kehrte zu ihrem Büro zurück, schloss auf und betrat den winzigen Raum. Es war schon erstaunlich, wie schnell ein Tag sich verändern konnte, wie alles beherrschend solch eine Tragödie war. Bis zu dem Augenblick, als sie von Arnos Tod erfahren hatte, war Emily in Gedanken ganz woanders gewesen, nämlich bei dem bevorstehenden Treffen mit dem Mann, den sie liebte. Es war der letzte Mittwoch vor dem langen Thanksgiving-Wochenende, und das hieß, dass sie morgen früh nur noch eine einzige Vorlesung halten musste. Den Rest des Tages hatte sie dann für sich, und den würde sie mit Vorbereitungen für die schon lange herbeigesehnte Reise von Minneapolis nach Chicago verbringen, wo sie ein Wochenende mit Michael verbringen würde, ihrem Verlobten. Sie hatten sich vor vier Jahren an Thanksgiving kennengelernt. Michael war Engländer. Er hatte damals in seiner Heimat studiert, wo Emily an ihrem Master gearbeitet und versucht hatte, den ehemaligen Kolonialherren die großartige amerikanische Tradition des Thanksgiving näherzubringen – und seitdem war Thanksgiving ihr Ta g.

Doch nun hatte die Vorfreude ein jähes Ende gefunden. Emilys Herz raste wie verrückt, und ihr Adrenalinspiegel stieg und stieg, seit sie von dem Mord in den heiligen Hallen erfahren hatte.

Trotzdem schluckte sie ihre Nervosität erst einmal herunter und schaltete den Computer auf ihrem Schreibtisch an. Egal wie groß der Schock auch sein mochte, sie konnte ja nicht einfach aufhören zu arbeiten. Emily ließ die Post, die die sie beim Betreten des Gebäudes eingesammelt hatte, auf ihren Schreibtisch fallen.

Ihr Kopf war voll mit Gedanken an Mord und Verlust, und so fiel ihr der kleine gelbe Umschlag zunächst nicht auf, der zwischen zwei bunten Werbeflyern lag. Ihre Augen registrierten weder die elegante fremde Handschrift auf der Außenseite noch das Fehlen der Briefmarke sowie des Absenders. Unbemerkt blieb der Umschlag einfach liegen.

KAPITEL VIER

9:30 UHRCST

Zwei kleine Löcher waren im Leder des alten Stuhls zu sehen und markierten die Stelle, wo die tödlichen Schüsse Arno Holmstrand getroffen hatten. Die Einschüsse lagen keinen Zoll weit auseinander, ein eindeutiger Hinweis auf einen Profikiller. Die Leiche war inzwischen abtransportiert worden, und der Detective konnte sich nun daranmachen, den Einschusswinkel zu bestimmen. Der Killer hatte in der Tür gestanden und war nicht größer als fünf Fuß sieben gewesen. Das Opfer wiederum hatte gesessen und seinen Mörder angeschaut.

Detective Al Johnson beobachtete die Spurensicherung bei der Arbeit. Geschickt holte ein Mann eine der Kugeln aus dem Stuhl. Vermutlich eine .38er, dachte Al, obwohl er sich an diesem Punkt natürlich noch nicht sicher sein konnte. Darum mussten sich jetzt die Ballistiker kümmern. Aber wie auch immer, ihm genügten vorläufig die Informationen, dass es sich um eine Handfeuerwaffe gehandelt hatte und dass der Killer ein Profi gewesen war.

All diese Dinge hatte er bereits schon einmal gesehen.

Die Leiche war früher am Morgen in die Gerichtsmedizin gebracht worden. Insgesamt wies sie drei Schussverletzungen auf, wobei der Einschuss in der rechten Seite des alten Mannes der erste Treffer gewesen war; vermutlich hatte er ihn schon draußen vor seinem Büro abbekommen. Der Pathologe vermutete, dass die erste Kugel schon tödlich gewesen wäre, doch das Opfer hatte noch lange genug gelebt, um sich ins Büro zu schleppen. Der Detective drehte sich um und ging die Strecke ab, die der Verletzte wahrscheinlich genommen hatte. Er war durch die Tür und an seinen Schreibtisch gegangen. Aber warum? Auf dem Schreibtisch stand ein Telefon, doch es schien unberührt zu sein, und es war auch kein Notruf in der Zentrale eingegangen – jedenfalls nicht bis zu dem Zeitpunkt, als der Hausmeister den Mord entdeckt hatte.

Ein weiterer Beamter der Spurensicherung nahm Fingerabdrücke vom Türrahmen, und ein dritter machte das Gleiche am Tisch. Zwei Uniformierte machten Fotos, und Johnsons Partner befragte draußen Collegeangestellte, die diese Nacht gearbeitet hatten. Nicht zum ersten Mal staunte Al, wie lebendig der Tatort eines Mordes sein konnte. Das war einer der seltsamen Widersprüche seines Jobs.

Al trat näher an den Schreibtisch heran. Er sah genauso aus, wie man sich den Schreibtisch eines alten Professors vorstellte: eine Lampe mit grünem Schirm, ein Messingfüllfederhalter, ein alter Tintenlöscher und ein Computer, der aussah, als sei er schon veraltet gewesen, als er gebaut worden war. In einer mit Leder bezogenen Ablage stapelten sich alte Briefe, jeder sorgfältig mit dem Brieföffner aus Elfenbein geöffnet, der danebenlag.

Elfenbeinbrieföffner, Elfenbeinturm … Das hier war so eine Art kulturelles Statement.

Und mitten auf dem Tisch lag ein großer Bildband. Das Buch war ungefähr in der Mitte aufgeschlagen. Der Detective trat näher an das Buch heran und strich mit der behandschuhten Hand über die Seiten. Überrascht spürte er raue Kanten durch das Latex hindurch. Er schaute genauer hin. An der Bindung verrieten spitze Überreste, dass irgendjemand dort Seiten rausgerissen hatte.

Ein Blitzen riss Al aus seiner Betrachtung, als ein Kriminaltechniker das Buch fotografierte, zusammen mit Als Hand.

Al stellte sich die Szene vor: Ein Mann, in die Brust geschossen, schleppt sich in sein Büro zurück, um ein paar Seiten aus einem Buch zu reißen. Das ergab keinen Sinn … doch andererseits war das bei Mord nichts Ungewöhnliches.

Ein weiteres Foto wurde gemacht, und diesmal war die Kamera auf Als Füße gerichtet. Al schaute auf den Papierkorb hinunter. Er war voller verbrannter Papierreste. Daneben kniete ein junger Mann in maßgeschneidertem Anzug und wühlte sich durch die verkohlten Fetzen.

Netter Anzug, sinnierte Al verärgert. Ein Fed. Bundespolizei. Das hat uns noch gefehlt.

Al hielt nicht viel davon, wie die Polizeiarbeit in Hollywood-Blockbustern dargestellt wurde, aber in einem hatten die Drehbuchautoren recht: Wenn mehrere Behörden sich um die Zuständigkeit in einem Fall stritten, war fast immer Chaos die Folge. Und Detectives der Stadtpolizei trugen so gut wie nie maßgeschneiderte Anzüge. Al wusste nicht, zu wem der junge Mann gehörte, aber egal wie die Antwort auch lauten mochte, sie würde frustrierend sein.

»Verbrennen Geschichtsprofessoren immer ihren Müll?«, fragte der junge Mann, ohne den Blick zu heben.

»Keine Ahnung, Kleiner.«

Bei dem letzten Wort zuckte der Schlipsträger unwillkürlich zusammen. Offensichtlich mochte er es nicht, an seine Jugend erinnert zu werden. Langsam stand er auf und rang um Fassung.

»Es ist nicht viel«, sagte er, »nur ein paar zerknüllte Blätter Papier. Vermutlich auf einen Rutsch verbrannt.«

Al nickte zu dem Buch.

»Da sind ein paar Seiten rausgerissen worden.« Er deutete auf die Reste an der Bindung. »Den Seitenzahlen nach zu urteilen waren es drei.«

»Und genau das scheinen wir hier zu haben«, bemerkte der junge Mann mit Blick auf den Mülleimer.

»Ich verstehe das nicht«, sagte Al. »Der alte Mann ist im Flur angeschossen worden, doch es ist ihm gelungen, in sein Büro zu kriechen und sich an den Schreibtisch zu setzen. Dort stand unmittelbar vor ihm ein Telefon, aber er hat es nicht angepackt. Er hat keine Hilfe gerufen. Stattdessen hat er irgendein Bilderbuch aufgeschlagen, ein paar Seiten rausgerissen und verbrannt. Das passt einfach nicht zusammen.«

Der junge Mann erwiderte nichts darauf. Er nahm das Buch und untersuchte es auf eine Art, die weit über den Frust hinausging, den Al empfand. Er wirkte … wütend.

»Hey, Kleiner«, sagte Al. »Wie heißen Sie? Ich habe Sie hier noch nie gesehen. Sind Sie schon lange hier?« Die meisten Detectives in den Zwillingsstädten Minneapolis und St. Paul kannten sich zumindest vom Sehen her.

»Ich bin nicht von hier.« Mehr sagte der junge Mann nicht, und er sah auch nicht so aus, als wollte er weiter Höflichkeiten austauschen. Er drehte das Buch in den Händen; dann wanderte sein Blick wieder zu den Papierresten im Mülleimer.

Al wollte sich jedoch nicht so einfach abspeisen lassen.

»Nicht von hier? Gehören Sie zum FBI? Und falls ja, was machen Sie dann hier?« Das hier fällt eindeutig in unseren Zuständigkeitsbereich. Scheiß-FBI.

Der junge Mann antwortete ihm nicht. Er ignorierte Als Hartnäckigkeit, und schließlich legte er das Buch wieder auf den Tisch zurück. Dann strich er seinen Anzug glatt und drehte sich mit arrogantem Gesichtsausdruck zu Al um. Zum ersten Mal schaute er dem Älteren in die Augen.

»Tut mir leid. Ich habe genug für meinen Bericht beisammen. Es war nett, Sie kennenzulernen, Detective.«

»Für Ihren Bericht?« Der abschätzige Tonfall des jungen Kerls brachte das Fass fast zum Überlaufen. Ein Buch und ein paar verbrannte Papierfetzen waren zwar Beweismittel, aber bei weitem nicht genug für einen Bericht. Al schaute sich in dem Zimmer um. Die Spurensicherung war noch immer überall zugange, sammelte Finger- und Fußabdrücke und vermaß Spritzmuster. Daraus ließ sich irgendwann ein Bericht schreiben. Und doch schien der junge Mann das alles zu ignorieren. Seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein dem verbrannten Papier im Mülleimer. Es war, als würde der Rest des Tatorts für ihn gar nicht existieren.

Das war nicht das normale Verhalten eines Ermittlers, egal ob von hier oder vom FBI.

Einen sarkastischen Spruch auf den Lippen drehte Al sich wieder zu dem unbekannten Agenten um, doch der Mann war verschwunden.

KAPITEL FÜNF

9:35 UHRCST

»Die Frage, die mir Sorgen macht, ist: Wenn einer unserer Kollegen hier auf dem Campus angegriffen und umgebracht worden ist, wer ist dann als Nächstes dran?«

Nachdem Emilys Kollegen losgezogen waren, um ihre Seminare abzuhalten, war sie allein im Büro und hatte Zeit, über die Implikationen ihres Gesprächs nachzudenken. Emma Ericksens Worte gingen Emily nicht mehr aus dem Kopf. Es waren nicht nur die unbeantworteten Fragen in Zusammenhang mit Arno Holmstrands Ermordung, die Emily so eine Angst einjagten, es war der Tod an sich, der Tod hier, in ihrem College. Ein Kollege war nicht weit von ihrem eigenen Büro entfernt ermordet worden. Schwebten sie jetzt vielleicht alle in Gefahr?

Schwebe ich in Gefahr? Kaum war Emily dieser Gedanke gekommen, da schob sie ihn auch schon wieder beiseite. Die Situation persönlich zu nehmen war irrational und würde nur ihre Furcht schüren. Emily würde gegen diese Gedanken ankämpfen müssen. Sie musste etwas tun: arbeiten. Und bevor sie für das Wochenende zu Michael fuhr, hatte sie in der Tat noch ein paar Dinge zu erledigen.

Emily schaute auf den Stapel Briefe, den sie aus ihrem Postfach geholt hatte. Für den Augenblick schien das erst einmal die beste Ablenkung zu sein. Junk, Junk, Junk … Emily hatte den Ruf, nur selten ihre Post abzuholen. Was sie hier in der Hand hatte, war die Post von zwei Wochen, und der Großteil davon waren Werbebriefe: ein Flyer von einem Verlag, der ein Buch anpries, das sie vermutlich nie lesen würde; eine Postkarte, auf der eine Tierschutzorganisation für Spenden warb, und so weiter und so fort … Dann war da ein Memo der Universität, in dem es hieß, sie habe eine neue PIN für die Kopiermaschine des Instituts bekommen. Und die Sekretärin hatte das Memo formuliert, als hätte sie Emily die Startcodes für die Nuklearwaffen des Landes in die Hand gegeben. Das Leben eines Akademikers mochte zwar voller intellektueller Herausforderungen sein, aufregend war es jedenfalls nicht. Emily warf das Memo zusammen mit der Junkmail weg.

Darunter kam ein gelber Umschlag aus teurem Papier zum Vorschein. Vorne stand Emilys Name in eleganter Handschrift; Briefmarke und Absender fehlten. Irgendjemand musste ihn in ihr Fach gelegt haben. Vielleicht war das ja eine Einladung zu einer Party oder irgendeinem anderen Event; allerdings ließ die Qualität des Papiers darauf schließen, dass dieses Ereignis ein wenig hochklassiger war als das, was Emily sonst gewohnt war.

Sie öffnete den Umschlag, und ein einzelnes Blatt Papier fiel ihr in den Schoß. Es war in der Mitte gefaltet.

Emily klappte es auseinander. Zunächst einmal fiel ihr auf, wie extravagant der Brief war. Das Papier war teuer, cremefarben, und wenn sie sich nicht irrte, roch es leicht nach Zedernholz.

Und als sie den geprägten Briefkopf las, drehte sich ihr der Magen um. In eleganter, verschnörkelter Schrift stand dort zu lesen:

Professor Arno Holmstrand B. A., M. A., Dr. Phil., Ph. D., Obe

Arno Holmstrand, der Mann, der gestern Nacht ermordet worden war. Der große Professor.

Der tote Professor.

Was als Nächstes kam, traf Emily wie ein Schlag.

›Liebe Emily‹, stand dort in derselben eleganten Handschrift, die auch den Umschlag zierte, ›wenn Sie diesen Brief erhalten, bin ich sicherlich schon tot.‹

KAPITEL SECHS

Liebe Emily,

wenn Sie diesen Brief erhalten, bin ich sicherlich schon tot. Ich schreibe Ihnen in dem Wissen, dass mein Tod unvermeidlich ist und dass Sie eine große Rolle bei dem spielen werden, was als Nächstes kommen wird.

Es gibt da etwas, das zu entdecken ich Ihnen überlassen muss, Emily. Etwas, das all meine bisherige Arbeit in den Schatten stellt, ja unbedeutend werden lässt.

Ich weiß, wo die Bibliothek ist. Die Bibliothek, die von einem König aufgebaut worden ist, den Sie aus Ihren Forschungen nur allzu gut kennen. Die Bibliothek von Alexandria.

Sie existiert wirklich wie auch die Gesellschaft, die dazugehört. Keines von beiden ist verloren.

Hier geht es um weit mehr als nur um eine archäologische Kuriosität. Wenn Sie diesen Brief erhalten, Emily, dann bin ich deswegen getötet worden.

Dieses Wissen darf nicht einfach so aufgegeben werden. Ich brauche Ihre Hilfe. Auf der Rückseite dieses Briefes steht eine Telefonnummer. Rufen Sie dort an, nachdem Sie den Brief gelesen haben. Ich verspreche Ihnen: Schon bald wird Ihnen alles klar werden.

Wir haben einander nicht gut gekannt, Emily, und das bedauere ich sehr. Doch bitte seien Sie versichert, dass ich Ihnen in allem Ernst schreibe.

Hochachtungsvoll,

Arno

KAPITEL SIEBEN

NEW YORK – 10:35 UHREST (9:35 CST)

Nach nur einem Klingeln hob der Sekretär ab.

»Ja?«

»Es ist erledigt. Genau wie Sie es bestimmt haben.« Die Stimme am anderen Ende der Leitung sprach in sachlichem, kaltem Ton.

»Der Bewahrer ist tot?«

»Ich habe das selbst erledigt. Die Polizei hat ihn heute Morgen gefunden.«

Der Sekretär lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Ein Gefühl der Befriedigung und Macht brandete über ihn hinweg. Ein edles Ziel war erreicht worden, und die Zukunft ihres Projekts war gesichert. Nur wenige Männer in der Geschichte hatten versucht, was sie versuchten, und noch weniger hatten ihr Ziel erreicht. Doch sie würden Erfolg haben, und die Fortschritte der letzten Wochen zeigten, dass sich ihnen niemand in den Weg stellen konnte. Der Sekretär fuhr sich mit den Fingern durch das silberne Haar.

»Er wusste, dass wir kommen«, sagte der andere Mann.

Damit war zu rechnen gewesen. Die Terminierung des Gehilfen vor einer Woche war eine öffentliche Angelegenheit gewesen. Das hatten sie nicht verhindern können. Wenn ein Beamter des Patentamtes von Washington D. C. in seinem Büro erschossen wird, dann bekommen die Medien unweigerlich davon Wind. Aber der Rat hatte die Terminierung ja auch nicht verbergen wollen. Wer nicht wusste, worum es ging, würde das nur als einen Mord unter vielen betrachten; doch diejenigen, die ihre Ziele waren, würden es als Warnung erkennen.

»Das ist irrelevant«, sagte der Sekretär dann auch prompt, »solange Sie Ihre Arbeit erledigt haben. Abgesehen von der Quelle, um die Sie sich schon bald kümmern werden, war er der Letzte, der Zugriff auf die Liste gehabt hat.«

Das Durchsickern der Liste war unentschuldbar gewesen. Alles, wofür sie so lange und so hart gearbeitet hatten, stand plötzlich wegen etwas so Unbedeutendem wie einer Namensliste auf dem Spiel, da ihr gesamter Plan auf Anonymität beruhte. Doch irgendwie war die Liste nach außen gelangt. Darauf hatte es nur eine Reaktion geben können: jeden auszuschalten, der sie gesehen hatte. Das Leben des Bewahrers und seines Gehilfen waren für den Sekretär von Wert gewesen, doch das Risiko war einfach zu groß.

Der Sekretär war so tief in Gedanken versunken, dass er die Stille am anderen Ende der Leitung zunächst nicht bemerkte. Als er sie wahrnahm, schreckte er alarmiert auf.

»Was ist? Stimmt was nicht?«

»Die Tatsache, dass er wusste, dass wir kommen … Das könnte bedeutsamer sein, als Sie denken.«

Der Sekretär zuckte unwillkürlich zusammen. Er mochte keine Überraschungen. Er beugte sich noch weiter vor und drückte sich den Hörer an die Wange.

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Er hat es bis in sein Büro geschafft, bevor ich ihn erledigen konnte. Irgendetwas kam mir dann komisch vor, doch ich konnte dort nicht länger bleiben. Aber als ich heute Morgen noch mal da war, hat sich mein Verdacht bestätigt.«

»Bitte, fahren Sie fort«, forderte der Sekretär ihn mit einstudierter Ruhe auf. Er hatte jahrzehntelange Erfahrung, was schlechte Nachrichten betraf. Ein guter Anführer wirkte besonders hart und Furcht erregend, wenn er unter allen Umständen die Ruhe behielt.

»Da war ein Buch auf seinem Schreibtisch«, sagte der Freund. »Drei Seiten fehlten. Sie waren rausgerissen. Ich habe sie im Mülleimer neben dem Tisch gefunden. Sie waren verbrannt.« Er schwieg, um dem Sekretär Zeit zu geben, das Ganze zu verarbeiten, und wartete auf neue Anweisungen. Eine direkte Antwort erwartete er jedoch nicht. So funktionierte ihre Beziehung nicht. Er musste nur Bericht erstatten. Wurde mehr verlangt, würde der Sekretär es ihm schon sagen.

Die nächsten Worte des Sekretärs waren Drohung und Frage zugleich.

»Haben Sie Einzelheiten zu dem Buch?«

»Natürlich, Sir.«

Der Sekretär zwang sich, sich wieder zu entspannen. Der Freund war gut ausgebildet.

»In einer halben Stunde will ich diese Details auf meinem Schreibtisch sehen. Bringen Sie sie mir auf Ihrem Weg nach Washington.« So würde die Jagd nicht enden. »Und besorgen Sie mir eine Kopie dieses Buches.«

KAPITEL ACHT

WASHINGTOND. C. – 10:45 UHREST (9:45 CST)

Die Nachricht in dem roten Aktendeckel, den er in der Hand hielt, war äußerst beunruhigend, aber kaum detaillierter als das, was die blonde CNN-Nachrichtensprecherin auf dem Bildschirm ihm gegenüber verkündete. Vor ein paar Minuten hatte er den Ton abgestellt, kurz bevor sein Assistent das Büro betreten hatte. Die Frau hatte von der Explosion im Vereinigten Königreich berichtet, und ein kreisender Helikopter sorgte dafür, dass im Hintergrund immer ein Bild der Verwüstung lief; doch abgesehen vom Ausmaß des Schadens war zu diesem Zeitpunkt der Ermittlungen erst wenig bekannt. Eine großartige alte Kirche, ein englisches Denkmal, war am frühen Morgen von einer Bombe zerstört worden. Berichten zufolge hatte es keine Toten gegeben, doch der kulturelle und historische Schaden waren enorm.

»Hat schon irgendwer die Verantwortung übernommen?«, fragte er.

»Nein, Mr Hines«, antwortete sein Assistent.

Die fehlende Hochachtung des jungen Mannes ließ Jefferson mit den Zähnen knirschen. Und er wusste, dass der Bengel ihn absichtlich nicht mit seinem Titel, sondern lediglich mit Namen ansprach.

»Die CIA unterstützt die britische SIS, indem sie die entsprechenden Quellen überprüft, doch bis jetzt hat keiner der üblichen Irren mit der Tat geprahlt.«

Hines nahm die Information auf oder besser den Mangel daran. Auf terroristische Bombenanschläge folgte für gewöhnlich eine wahre Flut von Bekennerschreiben. Jeder wollte den Ruhm einheimsen, den westlichen Teufeln einen tödlichen Schlag versetzt zu haben. Aber natürlich gab es auch Ausnahmen von dieser Regel, und die waren häufig genug, dass das jetzige Fehlen eines Bekennerschreibens noch keine Alarmglocken schrillen ließ. Dennoch war das Schweigen interessant.

»Gibt es schon eine offizielle Reaktion seitens der britischen Regierung?«

»Nur dass sie schockiert und entsetzt seien und mit allem Eifer daran arbeiten, die Schuldigen zu finden und der Gerechtigkeit zuzuführen, und so weiter und so fort.« Mitch Forrester wedelte mit der Hand, um anzudeuten, wie sinnlos solche Standardreaktionen waren. Er arbeitete erst seit sechs Monaten in Hines’ Büro; trotzdem gab er Informationen weiter, als hätte er so etwas schon tausendmal gehört.

Hines konnte sich die Frage nicht verkneifen.

»Wie alt sind Sie, Mitch?«

Die Frage brachte seinen Assistenten aus dem Konzept.

»Wie bitte?«

»Ihr Alter. Wie alt sind Sie?«

Der junge Forrester schaute ihn seltsam an. Verwirrung zeigte sich auf seinem Gesicht. Wären sie allein gewesen, er hätte seine Verachtung vermutlich offen zur Schau gestellt, doch er war sich der Gegenwart des anderen Mannes in Hines’ Büro nur allzu bewusst – eines Mannes, der schweigend in der Ecke saß und von dem Forrester nicht wollte, dass er sah, wie unverschämt er wirklich war.

»Sechsundzwanzig«, antwortete er schließlich.

»Sechsundzwanzig«, wiederholte Hines. Er seufzte ob dieser deprimierend niedrigen Zahl. War er in dem Alter genauso dickköpfig gewesen? Inzwischen war er mehr als doppelt so alt, und er war stets ehrgeizig gewesen, doch er konnte einfach nicht glauben, dass auch er einmal so frech gewesen war wie der junge Kerl, der da vor ihm stand.

»Ich weiß nicht, was das …«

»Ist schon in Ordnung«, unterbrach Hines ihn und winkte ab. Er hielt einen Augenblick lang inne. »Sonst noch was?«

»Noch nicht«, antwortete Forrester gereizt. »Sobald es etwas Neues gibt, werde ich es Sie wissen lassen, Sir.« Sein Tonfall verriet deutlich, dass er nicht gerade glücklich darüber war, wie Hines ihn behandelt hatte. Aber trotz seiner Wut wartete er brav darauf, entlassen zu werden. Doch Hines schaute schlicht an ihm vorbei und auf den Fernseher. Als Forrester schließlich erkannte, dass Hines nichts mehr sagen würde, drehte er sich um und verließ den Raum.

Hines schwieg ganze dreißig Sekunden, bevor er sich zu dem Mann in der Ecke seines Büros umdrehte. Obwohl er schon lange seinen Frieden mit dem gemacht hatte, was diese Männer für sie taten, machte es ihn noch immer nervös, mit einem von ihnen allein zu sein. Seine Rolle in der Organisation war stets die eines Diplomaten gewesen. Er hatte nie die Drecksarbeit machen müssen. Doch bestimmte Dinge mussten einfach getan werden; auch das gehörte zu ihrer Aufgabe. Und auch wenn viele ihn als einflussreichen Mann betrachteten, so wusste Jefferson Hines doch nur allzu gut, dass der Mann vor ihm eine weit größere Macht repräsentierte, als er sie je besitzen würde.

»Glauben Sie, es besteht ein Zusammenhang?«, fragte er schließlich und deutete von dem Aktendeckel auf seinem Tisch zum Fernseher. »Zu der Mission, meine ich.«

»Natürlich.« Beide Männer wussten, dass sie von dem Plan nur als von der ›Mission‹ sprechen durften. In dieser Stadt, in diesem Büro hatten die Wände Ohren. »Aber lassen Sie sich davon nicht beeinflussen. Wir bleiben auf Kurs.«

Hines war nicht zufrieden.

»Darüber haben wir nie gesprochen. Marlake, Gifford … der ganze Rest … Das war der Plan. Was zum Teufel ist da in England los?«

Der andere Mann setzte sich auf, als Hines sprach, und warf ihm einen Blick zu, der keinen Zweifel daran ließ, was er damit sagen wollte: Halten Sie den Mund. Namen durften nicht genannt werden.

Hines verstand sofort und trommelte mit den Fingern auf den Tisch, halb aus Ärger, halb aus Nervosität.

»Sagen Sie mir, dass wir mit solchen Reaktionen gerechnet haben«, sagte er. »Sagen Sie mir, dass das keine Überraschung ist.«

Falls sich der andere Mann bei der Antwort unsicher war, so ließ er sich das zumindest nicht anmerken. Er war sehr darauf bedacht, Selbstbewusstsein auszustrahlen, und er wollte, dass sein Gesprächspartner stark und standhaft blieb.

»Unsere Pläne sind sicher. Kümmern Sie sich einfach um Ihre Seite des Deals, und wir kümmern uns um unsere. Das ist besser für uns alle.« Er ließ seine Worte eine Weile in der Luft hängen. »Und verlieren Sie nicht aus den Augen, wohin Sie gehen.«

Obwohl Hines den Mann instinktiv fürchtete, tröstete ihn dessen Selbstbewusstsein. Er atmete tief durch und straffte die Schultern. Staatsmänner mussten stark sein, und er würde sich dieser Aufgabe stellen.

»Gut«, sagte er. »Ich nehme an, wir sprechen uns morgen wieder?«

Der andere Mann nickte und stand auf.

»Ja, das werden wir, Mr Vice President.«

KAPITEL NEUN

MINNESOTA – 9:45 UHRCST

Emily starrte auf den Brief in ihrer zitternden Hand. Sie las ihn ein zweites Mal, dann ein drittes und schließlich auch noch ein viertes Mal. Sie hatte erst vor wenigen Minuten erfahren, dass Arno Holmstrand ermordet worden war, und nun hielt sie einen Brief von ihm in der Hand. Einen Brief, den er kurz vor seinem Tod geschrieben hatte.

Und nicht nur das, dachte Emily. Er wusste, dass er ermordet werden würde. Und diese Tatsache machte einen gewaltigen Unterschied.

Und in diesem Wissen hatte Arno Holmstrand ausgerechnet an Emily Wess geschrieben. Ein Gigant hatte in den letzten Augenblicken seines Lebens einem Mitglied des Pöbels eine Botschaft hinterlassen. Emily hatte noch nicht einmal die geringste Ahnung warum. Was auch immer Holmstrand gefunden haben mochte, was hatte das mit ihr zu tun? Eine Frage, die umso dringender wurde angesichts der Verbindung des Briefs zum Tod des Verfassers. Es schien durchaus im Bereich des Möglichen zu liegen, dass das Wissen, auf das sich der Brief bezog, zu Holmstrands Tod geführt hatte. Tatsächlich deutete er das in seinem Text ja selbst an, und somit stand zu befürchten, dass nun auch Emily in Lebensgefahr schwebte. Die Vorstellung drehte ihr den Magen um.

Emily drehte den Brief um, und ihr Blick wanderte zu der Telefonnummer auf der Rückseite. In dem Brief hieß es, Emily solle diese Nummer anrufen; allerdings stand dort nicht, wer oder was sich hinter dieser Nummer verbarg. Doch als ihr Blick über die Zahlen wanderte, erstarrte sie. Entsetzt und verwirrt sah sie die zehn Zahlen, die der tote Mann eigenhändig mit brauner Tinte aufgeschrieben hatte.

Emily kannte diese Nummer nur allzu gut.

Auch wenn sie die Nummer meist per Kurzwahltaste anrief, wusste sie die Zahlen dennoch auswendig.

Emily griff zu ihrem Bürotelefon und wählte. Vielleicht irre ich mich ja, versuchte sie sich wider besseres Wissen einzureden. Vielleicht bin ich ja nur verwirrt. Der Schock und so.

Es klingelte, und Emily hielt die Luft an. Sie wusste, dass die Ereignisse des Morgens nun eine ganz neue Wendung nehmen würden.

Einen Augenblick später war es so weit. Der Hörer wurde abgehoben, und ein vertrauter Atemzug, der stets der Begrüßung voranging, kam von jemandem, der genau wusste, wer ihn da anrief.

»Em!«

Michael Torrances britischer Akzent war unverkennbar. Freudig begrüßte er Emily Wess, die Liebe seines Lebens.

KAPITEL ZEHN

9:52 UHRCST

»Mike?«, antwortete Emily, und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Dass ihr Telefonat seinen Ursprung in Arno Holmstrands mysteriösem Brief hatte, verwirrte sie immer mehr.

»Wo steckst du?« Michaels Stimme war voller Energie.

»Ich bin noch in meinem Büro«, antwortete Emily. Sie wusste nicht, wie sie fortfahren sollte, denn sie hatte nur einen Gedanken im Kopf. Schließlich beschloss sie, dass Offenheit das Beste war. »Es ist etwas hier auf dem Campus geschehen.«

Michael wurde plötzlich ernst.

»Was meinst du damit? Ist es was Ernstes? Bist du okay?« Sein Tonfall verriet seine Panik, und Emily erkannte, dass sie doch nicht so geschickt begonnen hatte.

»Nein, nein, nichts in der Art. Ich bin in Ordnung.« Sie hörte ein erleichtertes Seufzen am anderen Ende der Leitung. Obwohl sie beide starke Persönlichkeiten waren, war Michaels Beschützerinstinkt ziemlich ausgeprägt. »Aber hier geht etwas Seltsames vor. Du würdest es nicht glauben, wenn ich es dir erzähle.«

»Versuch’s einfach mal«, erwiderte er.

»Letzte Nacht ist hier ein Mann gestorben«, berichtete Emily. »Erinnerst du dich noch an den berühmten Professor hier? Arno Holmstrand?«

»Den, von dem du ein ganzes Jahr lang ständig geredet hast? Ja, Em, ich erinnere mich an ihn.« Liebevolles Necken war Teil ihrer Gesprächskultur, und Michael hatte sich schon früher über Emilys ›Schulmädchenschwärmerei‹ für die legendäre Gestalt lustig gemacht, die an ihre Uni gekommen war. Irgendwann hatte er ihr dann gestanden, wäre diese Schwärmerei nicht so niedlich gewesen, er hätte geglaubt, sie habe sich in einen anderen verguckt.

»Ja, genau der.« Emily schluckte. »Er ist gestern ermordet worden.«

»Ermordet?«

»In seinem Büro. Man hat drei Mal auf ihn geschossen.« Sie hielt kurz inne. Unbewusst hatte sie ihren Worten einen dramatischen Ton verliehen.

»Mein Gott, Emily, das tut mir ja so leid.« Michaels Worte waren mitfühlend, doch sie kamen zögerlich. Da war nicht nur Beschützerinstinkt, sondern auch noch etwas anderes.

»Es ist ja nicht so, als hätte ich ihn wirklich gekannt«, erwiderte Emily. In ihrer Antwort hallte ein Hauch von Unaufrichtigkeit mit. Ja, sie hatte Arno nicht gekannt, aber sie hatte von ihm gewusst, ihn bewundert und sich an ihm ein Beispiel genommen. Und sein Verlust schmerzte sie, auch wenn man das über das Telefon vielleicht nicht hören konnte.

»Trotzdem.« Michael war in Gedanken schon einen Schritt weiter. »Und wer hat ihn erschossen?«

»Das weiß man nicht. Die Ermittlungen laufen noch. Auf dem Campus wimmelt es nur so von Polizei. Es heißt, es sei ein Profikiller gewesen.« Emily atmete tief durch und schluckte. »Und es wird noch seltsamer.« Sie wartete einen Augenblick in der Hoffnung, dass Michael von sich aus nachfragen würde; doch er schwieg, und so fuhr sie fort: »Heute Morgen habe ich einen Brief in meinem Büro gefunden. Er war von Hand geschrieben und kam nicht mit der Post. Und er war von Arno Holmstrand.« Emily holte noch einmal tief Luft. »Dieser Brief, Mike … Es geht darin um seinen Tod. Er hat ihn geschrieben, kurz bevor er ermordet worden ist, und er hat gewusst, dass es dazu kommen würde.«

Noch immer herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung.

»Und jetzt kommt der Teil, den du nicht glauben wirst. In dem Brief hat er mich gebeten, eine Telefonnummer anzurufen, die er auf die Rückseite geschrieben hat. Es stand kein Name dabei. Dennoch habe ich die Nummer angerufen, und jetzt spreche ich mit dir.«

Es folgte eine weitere kurze Pause, dann redete Michael endlich wieder.

»Nun ja«, sagte er, »eigentlich kann ich das sogar sehr gut glauben, Emily.«

Erstaunt riss sie die Augen auf. »Wirklich?«

»Ja, wirklich. Vor zwanzig Minuten bin ich von meinem Morgenlauf zurückgekommen, und in meiner Tür steckte ein Umschlag. Er ist gelb, und mein Name ist mit brauner Tinte draufgeschrieben.«

Emily war wie erstarrt. Was sie da hörte, ergab einfach keinen Sinn.

»Das kann nicht sein.«

»Es ist aber so«, erwiderte Michael. »Und der Brief kam von Arno Holmstrand.«

Das war unglaublich.

»Und was steht da drin?«, fragte Emily.

»Nicht viel«, antwortete Michael. Emily hörte, wie er ein Blatt Papier entfaltete. Dann las er vor: »Lieber Michael, Emily wird heute Morgen anrufen. Bitte, warten Sie am Telefon. Öffnen Sie dann den zweiten Umschlag, und lesen Sie ihn ihr vor.«

»Den zweiten Umschlag?« Das Ganze wurde immer verwirrender.

»Er steckte im ersten, und dein Name steht darauf«, bestätigte Michael ihr. »Warum schreibt er dir? Und warum über mich? Was haben wir mit seinem Leben zu tun?«

»Ich habe keine Ahnung, Mike. Ich suche selbst noch nach einer Antwort darauf.« Emily hielt kurz inne. »Der zweite Umschlag … Hast du ihn geöffnet?« Vor lauter Aufregung krallte sie sich förmlich in den Hörer.

»Natürlich habe ich ihn geöffnet!«, antwortete Michael. »Glaubst du etwa, ich hätte ihn liegen lassen und Däumchen gedreht?« Auch wenn die Situation inzwischen ein wenig angespannt war, konnte Emily sich ein Lächeln nicht verkneifen. Michaels übliche Ausgelassenheit war nicht von den seltsamen Ereignissen beeinflusst worden.

»Und?«

»Und du kommst wohl nicht nach Chicago.« Er holte kurz Luft, und diesmal war die dramatische Stille beabsichtigt. »In dem Umschlag ist der Ausdruck eines E-Tickets. Holmstrand hat für dich einen Flug nach London gebucht. Heute noch.«

Emily war wie vor den Kopf geschlagen.

»London?«

Michael ignorierte ihre Verwirrung. Erneut war er schon einen Schritt weiter. »Wie lautet die Faxnummer von deinem Büro, Em?«

Emily blinzelte ihre Verwirrung weg und ratterte die Nummer des Fax im Sekretariat herunter.

»Wofür brauchst du die?«, fragte sie schließlich.

»Weil in dem zweiten Umschlag nicht nur der Ausdruck, sondern auch noch zwei weitere Blatt Papier steckten. Und mein Scanner ist kaputt; deshalb kann ich sie dir nicht per Mail schicken. Aber du wirst sehen wollen, was er dir vererbt hat, glaub mir.«

KAPITEL ELF

10:02 UHRCST

Zehn Minuten später stand Emily nervös neben dem Faxgerät im Büro des Instituts für Religionswissenschaften, ein paar Türen von ihrem Büro entfernt. Das Fax hatte keinen Klingelton; also stand Emily neben dem Gerät und wartete darauf, dass es zum Leben erwachte und die digitalen Kopien der beiden Seiten ausspuckte, von denen Michael ihr versprochen hatte, dass er sie in ein paar Minuten senden würde.

An einem Arbeitstisch saßen zwei andere Professoren, und wie nicht anders zu erwarten, diskutierten sie über Arno Holmstrand.

»Nein, es sind drei«, korrigierte Bill Preslin, einer der Hebräischdozenten des Instituts, sein Gegenüber. »Du hast Saudi Arabien vergessen.«

»Wirklich? Ich hatte ja keine Ahnung.« Bei dem anderen Mann handelte es sich um David Welsh, den Spezialisten des Instituts für südamerikanische Religionen. Emily ging zum Tisch und setzte sich. Sie konnte das Fax auch von hier aus beobachten.

»Macht es Ihnen was aus, wenn ich mich ein wenig zu Ihnen geselle?«, fragte sie. »Ich nehme an, Sie sprechen über Arno. Ich kann es immer noch nicht glauben.«

»Wir auch nicht«, erwiderte Preslin und nickte zur Begrüßung. »Aber dramatische Ereignisse sind in Zusammenhang mit Arno Holmstrand ja nichts Unbekanntes. Er ist der einzige Akademiker, den ich kenne, der in drei Ländern als potenzieller Terrorist gilt, und das nur, weil er so viel Zeit im Nahen Osten verbracht hat. Amerika, Großbritannien und Saudi Arabien haben ihn offiziell als ›interessante Person‹ eingestuft.«

»Und der Dekan hat einen Anruf vom Heimatschutzministerium bekommen, als Arno hierhergekommen ist. Sie wollten wissen, ob wir seinen ›interessanten Hintergrund‹ kennen«, fügte Welsh hinzu.

»Wir haben ihnen gesagt, dass wir seinen Hintergrund kennen«, fuhr Preslin fort, der zwei Jahre lang in der Verwaltung gearbeitet hatte, bevor er wieder in den Lehrbetrieb zurückgekehrt war. »Und dann haben wir hinzugefügt, dass der Mann in fünf Ländern auch Ehrenbürger und von der Queen zum Ritter geschlagen worden sei und an sieben Universitäten Ehrendoktortitel habe.«

Emily ratterte im Kopf die Namen herunter, die Holmstrands gigantischen Ruhm begründet hatten. An den Wänden seines Büros hatten Urkunden von Stanford, Notre Dame, Cambridge, Oxford, Edinburgh, der Sorbonne und der Ägyptischen Universität gehangen. Und das waren nur die Ehrentitel, die Holmstrand genannt hatte, wenn man ihn danach gefragt hatte. Es gab noch eine ganze Reihe anderer.

»Aber die Regierung schien der Auffassung zu sein, das sei irrelevant«, fuhr Preslin fort. »Und egal wie oft wir ihnen auch gesagt haben, er habe nur als Archäologe im Nahen Osten gearbeitet, sie sind immer wieder auf ihren Punkt zurückgekommen. Fast hätte man glauben können, ›Ausgrabungsstätte‹ sei ein Codewort für ›Terroristenausbildungslager‹.«

»Hey, vielleicht ist es das ja auch«, warf Welsh ein. Die beiden Männer lachten leise.

»Wie haben wir ihn eigentlich dazu gebracht, ausgerechnet zu uns zu kommen?«, fragte Emily und beendete damit die kurz aufkeimende Fröhlichkeit. Sie war noch immer zu entsetzt, als dass sie hätte lachen können, auch wenn das von den beiden freundlich gemeint war.

»Haben wir nicht«, antwortete Welsh. »Wir sind ja vielleicht eine gute Uni, aber noch lange nicht auf Holmstrands Niveau. Er ist gekommen, weil er kommen wollte. Es war seine Idee. Er hat gesagt, nach seinen Abenteuern wolle er endlich ein wenig Ruhe haben und zu seinen Kleinstadtwurzeln zurückkehren. Er hat uns sogar angeboten, für ein geringes Gehalt zu arbeiten. Mit Geld hatte seine Entscheidung also nichts zu tun.«

»Nein, das hätte ich auch nicht geglaubt«, sagte Emily. Kurz schwieg sie. Arnos Brief wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen.

»Wissen Sie, ob Holmstrand je etwas mit der Bibliothek von Alexandria zu tun hatte?«, fragte sie schließlich. Sie konnte ihre Neugier einfach nicht mehr zügeln.

Ihre beiden Kollegen schauten sie verwirrt an. Keiner von beiden hatte mit diesem Themenwechsel gerechnet.

»Die antike? Die verlorene Bibliothek? Oder was meinen Sie?«

»Ich bin nicht sicher. Aber hat er an der Bibliothek von Alexandria geforscht? Hat er vielleicht darüber geschrieben?«

Preslin rieb sich das Kinn. »Nicht, dass ich wüsste«, antwortete er. »Aber der Mann hat fast dreißig Bücher veröffentlicht. Wer weiß? Vielleicht hat er ja mal darüber geschrieben.«

Noch während er sprach, erwachte das Faxgerät zum Leben. Emily stand auf und ging zu dem kleinen Tisch, auf dem es stand.

»Eines weiß ich jedoch mit Sicherheit«, bemerkte Welsh. »Er hat immer und überall etwas entdeckt. Und wie Sie gesagt haben, hat er viel Zeit in Ägypten verbracht. Vielleicht gibt es da ja wirklich eine Verbindung. Aber was auch immer seine Interessen gewesen sein mögen, jetzt ist damit endgültig Schluss.« Das war zwar nicht gerade feinfühlig ausgedrückt, aber korrekt.

Einen Augenblick später wurde ein Blatt Papier durch das Faxgerät gezogen, gefolgt von einem zweiten. Emily nahm das erste heraus und hob es vor die Augen.

Die Qualität des Ausdrucks war zwar schlecht – vermutlich weil das Original braun war, nahm Emily an –, aber er war lesbar, und als Emily ihn las, verspannte sie sich am ganzen Körper.

Liebe Emily,

Sie sind nun schon so weit gekommen, da müssen Sie auch noch weitergehen. Was ich Ihnen zuvor geschrieben, was ich Ihnen enthüllt habe, das habe ich todernst gemeint. Die Bibliothek existiert wie auch die Gesellschaft, die sie bewacht und bewahrt; aber durch meinen Tod ist ihre Existenz bedroht. Lassen Sie meinen Tod eine Warnung für Sie sein: Was ich gehabt habe und was Sie finden müssen, ist etwas, das andere haben wollen, und diese anderen schrecken vor nichts zurück.

Ihnen bleibt nur wenig Zeit. Mein Tod markiert den Beginn einer Reise, die Sie nun unternehmen müssen. Sie müssen nach Oxford gehen, sofort und allein. Was Sie dort finden müssen, kann ich hier nicht schreiben. Trotz meiner Mühen kann ich nicht sicher sein, dass Sie diese Informationen finden werden, bevor es die anderen tun. Benutzen Sie Ihren historischen Verstand, Emily. Ich bin sicher, Sie werden die Puzzleteile zusammenfügen.

Sie müssen. Hier steht mehr auf dem Spiel, als Sie sich vorstellen können. Sie müssen unsere Bibliothek finden.

Gott schütze Sie, Emily.

Hochachtungsvoll,

Arno

KAPITEL ZWÖLF

Emilys Anspannung war so groß, dass sie fast das Blatt in ihrer Hand zerrissen hätte.

Sie griff nach dem zweiten Blatt Papier, das aus dem Fax geschoben wurde. Sie war verwirrt von dem seltsamen Inhalt, den es enthielt. Einer einzelnen Textzeile folgte ein merkwürdiges und unbekanntes Wappen oder Symbol, und darunter standen drei Phrasen, die keinen direkten Zusammenhang zu haben schienen.

ZWEIFÜR OXFORDUNDEINERDANACH

KIRCHEDER UNIVERSITÄT, ÄLTESTEVONALLENZUBETENZWISCHENZWEI KÖNIGINNENFÜNFZEHN, WENNZUM MORGEN

Emily starrte das kryptische Blatt an. Sie war vollkommen verwirrt. Es sah wie eine Reihe von … von Hinweisen aus …, aber Hinweise worauf?

Als sie Welsh näher kommen hörte, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Welsh hatte beobachtet, wie Emily die Blätter mit weit aufgerissenen Augen angestarrt hatte, und nun wollte er sich ansehen, was sie so sehr faszinierte. Als Emily ihn bemerkte, drückte sie sich die Blätter an die Brust.

»Kommen Sie schon. Was ist denn daran so interessant?«, fragte er. »Was haben Sie da? Alles in Ordnung mit Ihnen?«

»Es ist nichts«, antwortete Emily. »Ich weiß nicht.« Wenigstens Letzteres entsprach der Wahrheit. Sie spürte, wie ihr Puls sich beschleunigte, und plötzlich fühlte sie sich in Gegenwart ihrer Kollegen unwohl. Sollte sie ihnen die Blätter zeigen? Doch solange sie nicht wusste, was das Ganze bedeutete, wollte sie sie lieber für sich behalten.

»Tut mir leid, aber ich muss jetzt gehen«, sagte sie, und ohne auf eine Antwort zu warten, faltete Emily die Papiere und verließ das Büro.

KAPITEL DREIZEHN

DIE AUßENBEZIRKEVON KAIRO, ÄGYPTEN

Das Paket war wie immer in schlichtes Papier gewickelt.

Der Bibliothekar trug es unter seinem Kaftan, als er die Stufen hinunterging. Der Gang unten war dunkel, aber er kannte den Weg gut. Seit Jahren wurde dieser Austausch nun schon auf die gleiche Art abgewickelt. Immer in aller Stille und immer im Dunkeln.