Der verborgene Schlüssel - A. M. Dean - E-Book

Der verborgene Schlüssel E-Book

A. M. Dean

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Beschreibung

Eine antike Bedrohung jenseits aller Vorstellung!

Versteckt in einer ägyptischen Höhle liegt der Schlüssel zu einem Geheimnis, das 2000 Jahre lang verloren war. Eine mysteriöse Sekte schreckt vor nichts zurück, um ihn in die Finger zu bekommen. In ihrem Visier ist die Historikerin Emily Wess. Denn nur sie vermag den Schlüssel zu finden. Als Emilys Neffe der Sekte zum Opfer fällt, schwört sie Rache. Was Emily jedoch nicht ahnt: Hinter der Jagd nach dem antiken Artefakt verbirgt sich eine sehr moderne Verschwörung, die nicht nur Emily, sondern ein ganzes Land bedroht.

Nach Die verlorene Bibliothek ein neuer packender Verschwörungsthriller von A.M. Dean für alle Fans von Dan Brown, Simon Toyne und Mario Giordanos Apocalypsis.

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.




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Ähnliche


Inhalt

Cover

Weiterer Titel des Autors

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Prolog

TEIL EINS

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

TEIL ZWEI

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

TEIL DREI

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

Kapitel 95

Kapitel 96

Kapitel 97

Kapitel 98

Kapitel 99

Kapitel 100

Kapitel 101

Kapitel 102

Kapitel 103

Kapitel 104

Kapitel 105

Kapitel 106

TEIL VIER

Kapitel 107

Kapitel 108

Kapitel 109

Kapitel 110

Kapitel 111

Kapitel 112

Kapitel 113

Kapitel 114

Kapitel 115

Kapitel 116

Kapitel 117

Kapitel 118

Kapitel 119

Kapitel 120

Kapitel 121

Kapitel 122

Kapitel 123

Kapitel 124

Kapitel 125

Kapitel 126

Kapitel 127

Kapitel 128

Epilog

Nachbemerkung des Autors

Danksagung

Weiterer Titel des Autors

Die verlorene Bibliothek

Über dieses Buch

Eine antike Bedrohung jenseits aller Vorstellung!

Versteckt in einer ägyptischen Höhle liegt der Schlüssel zu einem Geheimnis, das 2000 Jahre lang verloren war. Eine mysteriöse Sekte schreckt vor nichts zurück, um ihn in die Finger zu bekommen. In ihrem Visier ist die Historikerin Emily Wess. Denn nur sie vermag den Schlüssel zu finden. Als Emilys Neffe der Sekte zum Opfer fällt, schwört sie Rache. Was Emily jedoch nicht ahnt: Hinter der Jagd nach dem antiken Artefakt verbirgt sich eine sehr moderne Verschwörung, die nicht nur Emily, sondern ein ganzes Land bedroht.

eBooks von beTHRILLED – mörderisch gute Unterhaltung.

Über den Autor

A.M. Dean ist einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antiken Kulturen und Religionsgeschichte. Er hat an vielen renommierten Universitäten gelehrt. Derzeit arbeitet er an seinem nächsten Thriller.

A.M. DEAN

DERVERBORGENESCHLÜSSEL

THRILLER

Aus dem Englischen vonHeike Rosbach

beTHRILLED

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2013 by A.M. Dean

Titel der englischen Originalausgabe: »The Keystone«

Originalverlag: Pan Macmillan

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2014/2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dr. Arno Hoven

Titelillustration: © shutterstock/Borja Andreu Umschlaggestaltung: Christina Seitz, Berkheim

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-2689-4

be-thrilled.de

lesejury.de

Prolog

Im Jahre des Herrn 374Ägyptische Wüste

Tarasios von Luxor starrte dem größeren Mann in die grimmig blickenden, kalten Augen. Die scharfe Schneide des mit Gravuren verzierten Pugio, die ihm an die Kehle gedrückt wurde, hatte die Haut geritzt. Ein wenig Blut quoll bereits aus der Wunde hervor, und der Druck der Klinge auf den Kehlkopf nahm Tarasios den Atem. Ganz egal, was als Nächstes kam – er wusste, dass am Ende dieser Begegnung der mächtige Mann ihm mit einem kurzen, kräftigen Ruck die Kehle durchschneiden und ihn aus diesem Leben schicken würde. So viel war sicher. Sein Lebensweg auf Erden war bereits vorüber.

Doch es bestand noch Hoffnung – eine großartige Hoffnung. Er würde frei sein, und seine Befreiung bedeutete, dass ihre Sache weiterhin in Sicherheit bliebe.

Der größere Mann, der durch seine militärische Körperhaltung auffiel und dessen abgetragene Kleidung die Insignien des Römischen Reiches trug, packte mit der freien Hand Tarasios am Haarschopf.

»Deine Kumpane haben dich verlassen, Kleiner. Deine erbärmlichen Gefolgsleute sind geflohen wie die Wüstenratten in den Sand.« Er spuckte die Worte mit grausamer Gehässigkeit aus.

»Sie wissen, was Verfolgung heißt«, gab Tarasios zurück; er zwang sich angesichts des sicheren Todes zu einem trotzigen Ton. »Sie wissen, was du und deine Männer ihnen antun werden, wenn ihr sie schnappt.«

Der Offizier lächelte zufrieden. »Gut. Zumindest ist ihre Angst gerechtfertigt. Vielleicht steckt in diesen ›Wissenden‹ doch ein wenig Wissen.« Er blickte seinem Opfer prüfend in die Augen. Er erwartete, darin Entsetzen zu finden. Hoffnungslosigkeit. Panik. Stattdessen sah er jedoch nur Entschlossenheit, und das machte ihn noch wütender.

»Sag mir, wohin sie gegangen sind«, verlangte er und zwang Tarasios’ Kopf nach hinten. Die scharfe Klinge des Dolchs drückte noch etwas tiefer in die Haut über der sich vorwölbenden Kehle; und Blut rann über das Metall. »Sag mir, wohin deine Freunde gelaufen sind, und ich werde dein wertloses Leben schonen.«

Das Messer saß Tarasios immer noch an der Kehle, doch nun umspielte ein selbstbewusstes Lächeln seine Mundwinkel. »Mein Leben, wie du das nennst, ist bereits gerettet. Ich bin frei.« Dem Schmerz trotzend, drückte er den Kopf nach unten und starrte seinem Verfolger direkt in die Augen. »Ich werde dir nicht mehr sagen. Tu, was du tun musst.«

Der Soldat wartete nur noch einen Augenblick. Der Mann würde ihm nichts bringen – nichts außer Verzögerungen, Ablenkungsmanöver und ketzerisches Gelaber. Das Unvermeidliche noch länger hinauszuzögern lohnte nicht.

Mit einer kraftvollen, schnellen Bewegung zog der Soldat den Dolch scharf nach rechts und durchtrennte die Halssehnen, Stimmbänder und Arterien.

Tarasios’ Augen quollen hervor, aber er wandte den Blick nicht vom Gesicht seines Angreifers ab. Während ihm das Blut aus der klaffenden Wunde schoss, beobachtete er, wie die Welt um ihn herum in friedvolle Schwärze versank. Er war bereits frei.

Zwanzig Minuten später: Ein neunzehnjähriger Landsmann von Tarasios setzte seine fieberhafte Flucht fort, obwohl er fast am Ende seiner Kräfte war. Die Sonne begann schon hinter den fernen Dünen unterzugehen, doch Eunomius wusste, dass die Abenddämmerung ihm kaum einen Vorteil bot. Die Verfolgung seiner Leute war von der Regierung autorisiert worden, und die Offiziere hatten Pferde, Waffen und äußerst gut ausgebildete Soldaten zur Verfügung. Sie würden ihm dicht auf den Fersen sein. Er betete nur, dass Tarasios es geschafft hatte, sie lange genug aufzuhalten, damit er, Eunomius, die Zeit bekam, die er brauchte.

Bevor sie ihn fanden, musste der Schlüssel versteckt werden. Das allein zählte. Die unwissenden Soldaten wollten nur seine Brüder – all jene, die Tarasios und dessen Wahrheiten gefolgt waren. In ihrem armseligen Wunsch, das Imperium von unerwünschten Glaubensvorstellungen zu säubern, hatten sie nicht die leiseste Ahnung, was tatsächlich auf dem Spiel stand. Heute würde Eunomius diese Unwissenheit zu seinem Vorteil nutzen. Solange er nur den Schlüssel verstecken konnte, würde es Eunomius egal sein, was sie mit seinem Körper anzustellen gedachten.

Seine Lungen brannten von der Anstrengung, als er endlich an die Stelle kam, die von der Gruppe zwei Kalenden zuvor ausgewählt worden war: zu einer Zeit also, bevor sich ihre Reihen durch die Verfolgungen so stark und unaufhaltsam gelichtet hatten. Eunomius lief nun langsamer. Vor ihm lag das ideale Versteck, eines, das die Sicherheit des Schlüssels über Jahre – sogar über Generationen hinweg – gewährleisten würde. Eben so lange, wie es notwendig war.

Eunomius verschnaufte. Als er anschließend zum Eingang hochkletterte, ließ er sich nicht von den trügerischen Bildern leiten, die seine Augen ihm lieferten, sondern von seiner Erinnerung. Dann trat er in die Dunkelheit der Höhle. Er suchte sich seinen Weg durch die Schwärze, indem er mit den Fingern die Wand abtastete, und gelangte schließlich zu dem Spalt im Fels, von dem er wusste, dass er da war. Er kniete sich nieder, griff unter seinen Umhang und holte den kleinen Krug hervor, der das kostbare Objekt barg. Nachdem er ihn andächtig an die Stirn gedrückt hatte, schob er den Krug so tief in den Spalt, wie sein Arm es erlaubte, und legte ihn dort ab.

Kaum hatte er den Arm wieder herausgezogen, erstarrte er plötzlich in seiner Bewegung. Er konnte hören, wie draußen Männer näher kamen. Sie hatten ihn gefunden. Bald schon würde sein Leib ihnen gehören.

Trotz der völligen Dunkelheit schloss Eunomius die Augen, hob die Hände in Schulterhöhe und murmelte ein vertrautes Gebet. Ein Gefühl des Friedens überkam ihn. Seine Initiation lag erst zwei Jahre zurück; damals war ihm die Welt noch wärmer und toleranter erschienen. Er hätte nie gedacht, dass die endgültige Befreiung auf diese Weise hinausgezögert und er eine derart entscheidende Rolle dabei spielen würde, sie für die Nachgeborenen zu bewahren. Aber so war das in der vergänglichen Welt und diesem sündigen, elendigen Leben. Ihm war die Ehre zuteilgeworden, für eine höhere Sache zu kämpfen.

Als er das Gebet beendet hatte, schlug Eunomius die Augen auf und erhob sich. Entschlossen tastete er sich zum Eingang der Höhle zurück. Nach der völligen Dunkelheit blendete ihn sogar die schwache Helligkeit der Abenddämmerung. Er nahm sich einen Augenblick Zeit, die rasch dahinschwindenden Strahlen in sich aufzunehmen, bevor er nach unten zu klettern begann – weg vom Eingang. Schließlich stellte er sich an einer dunklen Öffnung im Fels hin, vor der die Männer ihn finden würden.

Kurz darauf waren sie da. Nachdem Eunomius sie bislang nur gehört hatte, konnte er jetzt die näher kommenden Soldaten auch sehen, während er auf dem winzigen Felsvorsprung nicht von der Stelle wich. Die Gruppe versammelte sich unterhalb von ihm, und aus den Augenwinkeln nahm Eunomius die Bewegungen von zwei Männern wahr, die den Fels hochkletterten, um zu beiden Seiten von ihm Stellung zu beziehen.

Es war vollkommen. Er war für seine Freiheit bereit.

Als er zu der Schar hinunterblickte, traf sein Blick den eines größeren Soldaten. Der Mann stach durch seine Kleidung hervor, die ihn als Anführer auswies. Eunomius konzentrierte sich ganz auf den Befehlshaber des Trupps, holte tief Luft und schrie mit aller Kraft das einzige Wort heraus, das wahrhaft von Bedeutung war.

»BEFREIUNG!«

Noch ehe das Echo seines Schreis vom Felshang hinunter zum Wüstensand gehallt war, tauchte rechts von ihm ein Schwert auf. Es glitzerte einen Moment in der Abendsonne und trennte dann mit einem kurzen Aufblitzen seinen Kopf vom Leib und sein Leben von der Liederlichkeit der irdischen Welt.

Jetztzeit – vor acht Monaten

Albinus saß in dem dunklen, abgeschiedenen Raum und zitterte am ganzen Leib, sein ganzer Körper war in Aufruhr. Er könnte die Lampen einschalten – in dem fensterlosen Raum würden sie ihn nicht verraten –, doch die Dunkelheit fühlte sich sicherer an. Er hielt das schnurlose Telefon fest an die Wange gepresst. Die abgerundete Kante des Geräts drückte hart gegen seinen Kiefer, der Wählton dröhnte ihm im Ohr. Schweiß rann über sein Gesicht, tropfte ihm von der Nasenspitze und ließ das Telefon in seiner Hand glitschig werden.

Was habe ich getan? Was tue ich da?

Er war entsetzt, aber er hatte offenbar keine andere Wahl. Was da geplant wurde, war zu schrecklich – die Konsequenzen schlicht unfassbar. Sein Gewissen würde ihn niemals in Ruhe mit der Schuld weiterleben lassen, wenn er nicht zu jemandem Kontakt aufnahm, der dies noch aufhalten konnte, bevor es begann.

Die Befreiung durfte nicht zu solch einem Preis erworben werden.

In der Dunkelheit faltete er den Zettel auseinander, auf den er die Nummer der FBI-Hotline gekritzelt hatte, und frischte sein Gedächtnis auf; die grüne Hintergrundbeleuchtung der Telefontastatur verbreitete ausreichend Licht, um die Ziffern auf dem Blatt erkennen zu können. Einen Augenblick später tippten seine Finger nervös auf die Tasten.

Das Telefon klingelte ein Mal. Zwei Mal. Beim dritten und vierten Läuten begann sich sein Puls extrem stark zu beschleunigen. Da muss doch jemand rangehen. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass er keine zweite Chance für den Anruf haben würde.

Nach dem sechsten Klingelton wurde die Verbindung endlich hergestellt. Albinus stockte der Atem.

»Sie sind mit dem FBI verbunden …«

Ihm sank das Herz. Eine Computerstimme. Damit hatte er nicht gerechnet. Er hätte sich darauf einstellen sollen, wurde ihm mit einem Mal klar, doch sich im Nachhinein deswegen zu schelten barg die Gefahr, sich der Verzweiflung hinzugeben und alle Hoffnung fahren zu lassen.

Er durfte seine einzige Hoffnung nicht aufgeben.

Als die Ansage beendet war und ein lang gezogener Ton ihm signalisierte, dass er mit seiner Nachricht beginnen konnte, haspelte Albinus seine bangen Worte ins Telefon. Er hatte sich auf ein Gespräch vorbereitet, nicht auf einen kurzgefassten Monolog.

»Hier ist, hier ist … Mein Name ist nicht wichtig. Ich habe Informationen … über einen Anschlag. Chicago. Etwas Schreckliches … von der Kirche der Wahrheit …« Er keuchte; der Atem schien ihm zu stocken, die Sprache unzureichend zu sein, um die gewaltige Bedeutung seiner Botschaft angemessen auszudrücken. »Bald wird etwas Schreckliches passieren. Sie müssen das stoppen.«

Die Führungsriege war zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengetreten. Der Große Anführer hatte seinen Platz eingenommen, und seine engsten Berater waren bei ihm versammelt, um sich mit dem Verrat zu befassen, der die Jahrzehnte währende Vorbereitung zu gefährden drohte. Das nur noch wenige Monate entfernte Datum stand fest, und es war symbolträchtig und mit viel zu viel Bedeutung beladen, als dass sie davon hätten abrücken können. Rund um den Erdball waren die notwendigen Maßnahmen bereits im Gange.

»Es ist Albinus«, sagte einer der Brüder zögernd. Er stieß den Namen zwischen schmalen Lippen hervor, sein italienischer Akzent kämpfte mit dem für ihn seltsamen, fremdartigen Ausdruck.

»Er war schon immer willensschwach«, fügte ein anderer hinzu, dessen spanischer Tonfall zu dem italienischen einen merkwürdigen Kontrast bildete. »Aber wir hätten doch nie gedacht, dass er so weit gehen würde.« Zunächst senkte er enttäuscht seine breiten Schultern, dann spannten sie sich vor Wut.

»Wie weit genau?« Der Große Anführer achtete darauf, dass seine Stimme fest und ruhig klang. Er konnte es nicht brauchen, dass bei den anderen die Wut zulasten der Konzentrationsfähigkeit die Oberhand übernahm.

»Er ist zum FBI gegangen.« Der Mann, der dies sagte, stand ihm direkt gegenüber und hielt die Arme fest vor der Brust verschränkt. Falls er überhaupt irgendeine Emotion empfand, so zeigten das seine Gesichtszüge nicht. »Das hat uns der interne Kontakt bestätigt. Er hat heute Morgen das FBI angerufen und einen Tipp gegeben. Nannte unseren Namen. Erwähnte einen Anschlag. Sie werden auf der Hut sein.«

Die Worte verstärkten die Anspannung noch, die nur von dem Italiener unterbrochen wurde, der mit eher ängstlichem denn erzürntem Blick aussprach, was das offensichtlich bedeutete. »Unser Geheimhaltungsschirm ist zusammengebrochen. Dieser ›Schleier der Anonymität‹, wie du das nanntest – er ist weg. Andato.«

Der Große Anführer dachte über das Gesagte nach; ein leichtes Pulsieren seiner Wangen war der einzige Beleg dafür, dass dahinter seine Zähne mahlten. Die unwiderstehliche Vitalität seiner Gesichtszüge – intensive Augen unter Brauen, deren sanfte Bögen Weisheit und Erfahrung verrieten, und Wangenknochen, die stark genug ausgeprägt waren, um Macht anzudeuten, ohne jedoch so kantig zu sein, dass sie auf einen bösartigen Charakter hinwiesen – schien nun hinter einem Vorhang der Konzentration verborgen zu sein.

Schließlich sah er seine Männer an.

»Albinus muss aufgehalten werden. Heute Abend noch. Zieh den Araber hinzu, wenn du ihn brauchst. Wir können nicht zulassen, dass dieser Mann den Behörden noch mehr erzählt, als er schon gesagt hat.« Er hatte sich direkt an den Italiener gewandt, dessen Enttäuschung sich sichtbar in eine Entschlossenheit wandelte, die jener des Großen Anführers in nichts nachstand.

»Sei nicht sanft zu ihm. Zeig ihm, was mit denen passiert, die einer gerechten Sache abtrünnig werden.«

Das Gesicht des schlanken Mannes veränderte sich augenblicklich; er zeigte nun eine freudige Miene. Er wusste, mit diesem Befehl hatte er freie Hand darüber, wie viel Schmerz und Leiden Albinus’ Hinrichtung vorausgehen sollten. Er stand zusammen mit drei anderen auf; alle nickten ehrerbietig und wandten sich zum Ausgang.

Der streng blickende Mann, der dem Anführer gegenüberstand, rührte sich nicht.

»Und unser Plan?«, fragte er. »Unsere Sache?«

Der Große Anführer blickte ihm lange in die Augen. Seine eigenen hatten ihre gewohnte Intensität wiedergefunden.

»Es muss ein anderes Vorgehen ausgearbeitet werden«, antwortete er. Seine Zuversicht war nicht erschüttert.

»Das Schweigen ist nicht mehr länger unser Verbündeter. Es ist an der Zeit, neue Freunde zu gewinnen.«

TEIL EINS

GegenwartSonntag, 1. Juli

Kapitel 1

Hays Mews, London

In der morgendlichen Stille drang die knarzende Holzdiele wie ein Einsatzhorn Andrew Wess ins Bewusstsein. Zunächst deutete sein benommenes Hirn dies als die letzten Spuren eines Traums, dem er gerade entronnen war, und das seltsame Knarzen von Bodendielen und das Rascheln von Papieren als die Überreste von Szenen, die sein Verstand im Schlaf produziert hatte. Als er zu der großen Uhr gegenüber dem Sessel schaute, in dem er die Nacht verbracht hatte, sah er, dass es noch sehr früh am Morgen war. Viel zu früh, um schon auf zu sein.

Dann hörte er es erneut: wieder eine knarzende Holzdiele, Schubladen, die aufgezogen wurden, und Papierrascheln. Andrews Rücken versteifte sich. Die Geräusche, die ihn aus dem Schlaf geholt hatten, entstammten nicht seinen Träumen. Vielmehr waren sie real und deutlich. Seine verspannte Haut wurde sofort kalt.

»Wach auf«, flüsterte er der Frau zu, die auf der Couch neben seinem Sessel schlief. Zu der improvisierten Nachtruhe auf der Sitzgruppe im Wohnzimmer war es nach einer spätabendlichen Unterhaltung gekommen, die angeregter verlaufen war, als beide erwartet hatten. Trotz der ungezählten Zwiegespräche in ihrem Leben konnten sie sich immer noch für endlose Stunden gegenseitig bezaubern.

Der Kopf der Frau ruhte auf der gepolsterten Seitenlehne der Couch. Sie schlief tief und fest.

»Emily, wach auf«, wiederholte Andrew und schritt auf leisen Sohlen zu ihr hin. Seine Stimme war nach wie vor gedämpft, als er hinzufügte: »Da ist jemand im Haus.«

In der Dunkelheit fiel es den beiden Männern schwer, sich in der Doppelhaushälfte zurechtzufinden. Jeder trug zwar eine Stiftlampe, doch deren Einsatz beschränkten sie auf ein Minimum: Sie hatten die Umgebung genau in Augenschein genommen, und ihnen war dabei klar geworden, dass die Bewohner des schicken Viertels nur zu gerne ungewöhnliche Aktivitäten der Polizei meldeten.

»Dorthin, das sieht aus wie ihr Büro«, flüsterte der eine Mann dem anderen zu.

Mit einem Kopfnicken wies er auf eine Türöffnung rechts, hinter der sich das provisorische Büro von Dr. Emily Wess in ihrem Londoner Haus befand. Sie hatten bereits einen ähnlichen Raum gefunden und durchsucht, der ihrem Mann als Arbeitszimmer diente, dort aber nichts gefunden. Das Zimmer hier war jedoch vielsprechend. Sie waren an der Arbeit der Frau interessiert – oder vielmehr an deren Besitztümern. Sie hatte erst zwei Tage zuvor das Objekt, um das die Männer sie nun zu erleichtern gedachten, erworben und in ihre Obhut übernommen, ohne die leiseste Ahnung zu haben, um was es sich tatsächlich handelte. Die Männer aber kannten seinen wahren Wert, und ihr Anführer hatte sie beauftragt, genau dieses Objekt wiederzubeschaffen, das allein sie in die Lage versetzen würde, das großartigste Werk in ihrer Geschichte zu vollbringen.

Jetzt war es irgendwo hier, in der Dunkelheit des Homeoffice, und wartete darauf, den Weg in ihre Hände zu finden. Im Idealfall wären sie zu einer Zeit gekommen, wo sich keiner im Haus aufhielt, statt in der Nacht, wenn seine Bewohner ganz in der Nähe schliefen. Aber die Chancen, dass Emily Wess das Objekt unbeaufsichtigt ließ, standen schlecht, und die Männer wussten nicht, wie lange sie es in ihrem Besitz zu behalten beabsichtigte, bevor sie es den neuen Eigentümern übergab. Nein, die Situation erforderte eine nächtliche Operation. Am Morgen würde die Frau nach dem Aufwachen feststellen, dass der Gegenstand weg war, und nie erfahren, was sie da wirklich verloren hatte.

Emily öffnete die Augen und setzte sich ohne weitere Verzögerung auf, um Andrew anzuschauen, der vor ihr auf dem Boden kniete. Bevor sie etwas sagen konnte, hielt er ihr einen Finger auf den Mund, damit sie still blieb. »Schhh«, formte er schweigend mit den Lippen. Er legte eine Hand wie einen Schalltrichter ans Ohr, und sie lauschten. Die Geräusche, die aus Emilys Büro am anderen Ende des Korridors drangen, waren leise, aber deutlich vernehmbar – Laute wanderten durch die papierdünnen Wände des Hauses, als gäbe es diese gar nicht.

Jemand durchstöberte ihren Schreibtisch.

Leise stand Andrew auf und setzte sich neben Emily auf die Couch, packte sie bei den Schultern und drehte sie zu sich herum.

»Ich gehe nachsehen, wer das ist«, sagte er mutig. Er blickte sich prüfend im Zimmer um und beurteilte seine Alternativen.

Emily beugte sich zu ihm und wisperte ihm ins Ohr: »Denk nicht mal dran. Wir wissen nicht, wer das ist. Sie könnten gefährlich sein.«

Sie langte über die Couch und schnappte sich das schnurlose Telefon vom Beistelltisch.

»An der Schiebetür zum Flur – genau da – ist ein Riegel.« Sie deutete auf den Eingang zum Wohnzimmer und sprach so gedämpft wie möglich. »Schieb sie zu, so leise wie es nur geht, und sperr sie ab. Ich gehe in den Wandschrank und rufe die Polizei an.« Der begehbare Schrank, der sich zwischen Wohnzimmer und Küche befand, war riesig, fast schon ein in der Wand verstecktes zusätzliches Zimmer, und so vollgestopft mit Textilien, Kleidung und Vorräten, dass er ihre Stimme gut dämpfen würde.

Andrews Herz klopfte schmerzhaft, da es nicht daran gewöhnt war, so rasch von Schlaf auf Stress umzuschalten. Er sah zu Emily, in ihre vertrauten Augen – die er schon so lange kannte und in so unterschiedlichen Situationen erlebt hatte.

Er drückte ihr fest den Arm – seine Gefühlsäußerungen beschränkte er so, aufgrund der augenblicklichen Gegebenheiten, auf ein Minimum – und zog sie zur Ecke der Couch. Emily nickte und stellte sich auf ihre nackten Füße. Dann ging sie auf Zehenspitzen in den Wandschrank und zog langsam die Tür hinter sich zu.

Obwohl Andrew eine Heidenangst hatte – einen nächtlichen Einbruch hatte er noch nie erlebt –, war sein Beschützerinstinkt doch stärker. Er und Emily hatten seit ihrer Kindheit in einem intellektuellen Wettstreit gestanden, hatten wie Ebenbürtige miteinander gespielt, gestritten und gerauft. Gleichwohl war Andrew stets ihr Beschützer gewesen, wann immer Emily sich in Gefahr befunden oder Schmerzhaftes erlitten hatte. Er war es, der das aufgeschrammte Knie verarztete, der die Raufbolde aus der Nachbarschaft vertrieb und ihr anschließend beibrachte, wie man sich dieser Kerle erwehrte.

Die Geräusche dauerten an, und die Kindheitserinnerungen schwanden. Als er sicher war, dass Emily gut versteckt war, änderte er seine Absichten. Die Eindringlinge einzusperren und das Beste zu hoffen entsprach nicht seiner Natur, und so nahm Andrew sich vor, die Einbrecher aus dem Haus zu jagen. Er blickte sich im Zimmer um und suchte nach etwas, das ihm als Waffe dienen könnte. Die Wandleuchter am offenen Kamin waren zu klein, um jemanden einzuschüchtern, geschweige denn eine ernsthafte Bedrohung darzustellen, falls das mit dem Einschüchtern nicht klappte. Die Lampe in der Ecke war zu unhandlich und sperrig.

Dann, im hintersten Winkel des Zimmers, fiel ihm das perfekte Hilfsmittel ins Auge. Gott segne dich, Em! Obgleich er diesen Sport noch nie ausprobiert hatte, war Emilys Liebe zum Golf mit einem Mal einer ihrer größten Vorzüge: In einer Ecke war ihr gutbestückter Golfsack abgestellt. Er hatte sie so oft wegen ihrer Liebe für diese Sportart aufgezogen. Sobald er die Eindringlinge aus dem Haus gejagt hätte, würde er deswegen mit einer guten Entschuldigung aufwarten müssen.

Andrew schritt leise über den Boden und zog einen ausreichend schweren Driver aus dem Sack, dann schlich er sich in den großen Flur. Mit jedem Schritt waren die gedämpften Stimmen und das Rascheln von Papier besser zu hören.

Kapitel 2

Hays Mews, London

Mitten im Büro von Emily Wess erstarrte plötzlich einer der beiden Männer. Seine Hände steckten noch in einem großen Stapel von Mappen und Dokumenten, und einen Augenblick lang fragte er sich, ob das hier real war. Der Zweifel war jedoch nicht von langer Dauer. Er wusste, was er in seinen Händen hielt: Treffer!

Simon war schon immer ein pragmatischer Mann gewesen, doch in Momenten wie diesem konnte er nicht anders – da beanspruchte das Gefühl genauso viel Aufmerksamkeit. All seine Mühe und sein Einsatz zur Förderung ihrer Sache galten letztlich einem spirituellen Ziel, und Simon hatte seit jeher auch eine spirituelle Seite. In diesem Augenblick konnte nichts die Bedeutung dessen mindern, das zu holen sie hier waren. Es war die größte Aufgabe, die er jemals übernommen hatte, und sie würde die grandioseste Leistung seines Lebens sein.

»Ich hab es gefunden.« Die Worte hatte er flüsternd gesprochen. Trotz dieses Erfolgserlebnisses war er kein Mann, der es seiner Ehrfurcht erlaubte, ihn so zu überwältigen, dass er nicht mehr auf die Umgebung achtete. Es war fast gewiss, dass die Frau und ihr Mann in diesem Haus schliefen, und das Sprechen musste auf ein Minimum beschränkt bleiben.

Als der andere Mann sich zu ihm umwandte, zog Simon die gepolsterte Mappe aus dem größeren Stapel heraus, der sich in einer Schublade des von Hand gefertigten antiken Schreibtischs befand. Einen Moment später lag sie offen da, und die beiden blickten prüfend auf ihren wertvollen Inhalt.

Ein einzelnes uraltes, braun gewordenes und zerknittertes Blatt Papier.

»Bist du sicher?« Der andere Mann studierte das Blatt, verwirrt von der antiquierten Schrift, die dessen Oberseite bedeckte. Er war von Natur aus misstrauisch: ein Charakterzug, der ihm in seinem schwierigen Leben mehr als einmal gute Dienste geleistet hatte. Und in diesem Augenblick schien seine angeborene Skepsis gerechtfertigt. »Es sieht nicht wie eine Landkarte aus.«

Simon prüfte das Dokument bis in die kleinsten Einzelheiten. Sein Partner hatte recht: Es sah nicht wie eine Landkarte aus. Aber die Schrift war Simon vertraut; sie passte perfekt zu der Handschrift im BUCH – dem schmalen antiken Band, der ihnen, solange er zurückdenken konnte, ein unfehlbarer Führer gewesen war.

»Ich bin sicher.«

Der andere Mann war nach wie vor nicht überzeugt. »Ich sehe nicht, wie Arthur damit den steinernen Schlüssel kriegen soll.« Wenn sie zu ihrem Anführer ohne die authentische Karte zurückkehrten, würde das ernste Konsequenzen haben.

Simon blickte zu seinem Begleiter hoch, der plötzlich eine bittere Miene aufsetzte. Für diese unentschuldbare Respektlosigkeit hätte er dem anderen am liebsten eine Ohrfeige verpasst, doch er unterließ es, weil er im Moment wegen des damit verbundenen Lärms besorgt war: Selbst die Geräusche, die eine geflüsterte Zurechtweisung machen würde, wollte er vermeiden. Sie hatten genug geredet. Er schoss seinem Partner einen wütenden Blick zu.

Der Mann hörte auf zu widersprechen. Er war es gewohnt, zurechtgewiesen zu werden, weshalb Simons Blick ihn nicht ärgerte. Außerdem war an seinem Partner heute irgendetwas anders. Der unerschütterliche Mann, den er, egal wie schlimm die Umstände auch gewesen waren, noch nie zittern gesehen hatte, bebte am ganzen Körper vor Aufregung. Und seine Augen funkelten beinahe, selbst in der Dunkelheit.

Andrew Wess bewegte sich ein paar Schritte weiter den Korridor hinunter, bis er schließlich neben der Tür von Emilys Arbeitszimmer stehen blieb. Da drin wurden nicht mehr Schubladen durchwühlt, stattdessen drangen Geflüster und das Scharren von Füßen nach draußen, und dann herrschte plötzlich Stille.

Beim Näherkommen war seine Angst der Wut gewichen. Andrew hatte gehört, dass in London die Zahl der Einbrüche gestiegen war: Nun stellte er sich vor, in dem kleinen Raum befänden sich gerade zwei Diebe im Teenageralter, die betrunken oder high waren und in der Annahme handelten, dass sie alles, was sie im Leben haben wollten, einfach klauen konnten. Ohne Rücksicht auf den Schaden oder die Angst, die sie anderen zufügten. Der Gedanke versetzte ihn in Wut. Zu Hause in Ohio brachten sie Rowdys immer noch hinter den sprichwörtlichen Holzschuppen – für eine anständige, im Stil des kleinstädtischen Mittleren Westens geführte »Diskussion« mit den Einheimischen. Er wusste nicht, was man mit solchen Kerlen in London machte, aber er war absolut nicht gewillt, sie weiter frei herumlaufen zu lassen.

Als er direkt an der Tür stand, trieb ihn sein Zorn zu einer Impulshandlung. Er atmete tief durch und nahm all seinen Mut zusammen, dann drehte er sich nach links und warf sich gegen die Tür. Das war eine Fehlentscheidung; doch er besaß weder die Erfahrung noch die Reife, um diesen Irrtum wahrzunehmen.

»Was zum Teufel treibt ihr in unserem Haus?!«, donnerte er und hob den Golfschläger in seiner linken Hand so hoch, dass dessen mit Titan ummantelter Holzkopf fast an der Decke entlangschrammte.

In Sekundenbruchteilen registrierte Andrew, dass es sich bei den Eindringlingen nicht um betrunkene Teenager handelte. Seine Überraschung beim Anblick der zwei ihm körperlich überlegenen Männer, die über den Schreibtisch gebeugt waren, wurde abgelöst von dem Schock, den zwei rasch aufeinanderfolgende Schüsse auslösten: Sie durchbrachen die nächtliche Stille, noch bevor das letzte Wort ihm donnernd über die Lippen gekommen war. Der Mann, der ihm am nächsten stand, hatte mit bemerkenswerter Schnelligkeit seine Pistole gezogen und ohne Zögern gefeuert.

Als Andrew Wess zu Boden fiel, war sein Herz von den Kugeln durchbohrt und bereits alles Leben aus ihm gewichen.

»Verflucht!« Der Schütze trat vor und stupste mit der Pistole Andrews leblosen Körper an. Die beiden Wunden glänzten wie Rosetten auf dem T-Shirt des Toten, unter dem sich bereits eine dunkle Lache aus Blut auszubreiten begann.

»Verdammt. Da wird er aber angepisst sein.« Dem Schützen machten die fortwährenden Verbalinjurien seines Partners nichts aus, aber die des Großen Anführers würden schwerer zu ertragen sein.

Einen Augenblick später, als das Geräusch der Schüsse immer noch nachhallte, fand er einen anderen, unmittelbareren Anlass zur Sorge.

»Los komm, Zeit zu verschwinden. Wir dürfen uns hier nicht erwischen lassen.« Es war nicht ihre Absicht gewesen, entdeckt zu werden – und schon gar nicht, dass diese Operation Opfer fordern sollte. Aber die Umstände waren nun einmal so, wie sie waren, und man musste sich ihnen anpassen.

Der andere Mann nickte, schob das wertvolle Blatt wieder in die Mappe und klemmte sie sich fest unter den Arm. Die beiden stiegen über den leblosen Körper von Andrew Wess, liefen schnell die Treppe hinunter zur Hintertür und verschwanden in dem Straßenlabyrinth von Shepherd Market und Westminster.

Hinten im begehbaren Wandschrank ließ Emily Wess die Tränen über die Wangen laufen, während sie darauf wartete, dass die Männer verschwanden. Ihre Worte waren leise, aber deutlich durch die dünnen Wände gedrungen und hatten sich Emily mit aller Klarheit und für immer ins Gedächtnis gebrannt. Selbst in ihrer seelischen Qual war ihr bewusst, dass sie sich an sie klammern musste.

Sie kannte die Stimmen der Eindringlinge nicht, sie wusste nicht, was sie wollten oder was sie gefunden hatten. Die Worte, die sie gesprochen hatten, ergaben keinen Sinn, und Emily wusste auch nicht, welche Wahnvorstellungen sie in ihr Haus geführt hatten.

Sie wusste lediglich, dass auf die zwei Schüsse das Geräusch eines zu Boden fallenden Körpers gefolgt war, und seitdem hatte sie von Andrew keinen einzigen Laut mehr gehört.

Kapitel 3

Córdoba, Spanien

Der Jünger sagte: »Warum begeben wir uns nicht gleich zur Ruhe?«

Der Herr sagte: »Wenn ihr niederlegt diese Lasten!«

In der Mitte des Kreises verbreitete die zeremonielle Öllampe flackerndes Licht. Die veraltete Beleuchtungsmethode war beabsichtigt – die dezent leuchtende Flamme ein wichtiger Teil des Rituals. Die Gestalten, die das Licht umgaben, schwankten in rhythmischen Bewegungen, und sie alle trugen die gleiche dunkelrote, fast schwarze Samtrobe. Einige Teilnehmer hielten einen tiefen Basston, während andere in die Worte des vertrauten Gebets einfielen, die in ihrer Ausgabe des BUCHES standen.

Der Jünger sagte: »Wie schließt sich das Kleine an das Große an?«

Der Herr sagte: »Wenn ihr die Werke, die euch nicht folgen können, hinter euch lasst, dann werdet ihr euch zur Ruhe begeben.«

Die uralten Worte, von den geübten Zungen der Anhänger in andächtiger Monotonie ausgesprochen, hallten durch den schwach erleuchteten Raum. Nur durch intensives, konzentriertes Blicken vermochte der Kandidat die Symbole zu erkennen, die mit Kreide rund um die Lampe auf dem Boden gezeichnet waren. Eine Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt – der Ouroboros, das älteste ihrer Sinnbilder. Er war von Anbeginn an in Gebrauch und auch das bekannteste Symbol, denn jedes Mitglied hatte ihn in Form eines Silberreifs am linken Ringfinger, wo andere Leute den Ehering trugen. Auf dem Boden war der Ouroboros von den Himmelssphären umgeben, die sorgfältig in einer Hierarchie angeordnet waren. Eine Sonne, die hinter einem Baum aufgeht. All diese alten, getreulich nachempfundenen Symbole standen für den Pfad zur Erleuchtung, zu der er gleich gelangen sollte.

Der Kandidat saß wie alle anderen im Schneidersitz, war aber bis auf die weißen Shorts nackt. Erst wenn das Initiationsgebet endete, würde er in die Robe der WISSENDEN gekleidet und in eine Wahrheit eingeweiht, die größer war als alles, was er bislang erlebt hatte. Erst dann würde er das Selbst jenseits seines Ichs entdecken, den Geist jenseits des Körpers.

Der Verräter sagte: »Worin ist der Geist sichtbar?«

Der Herr sagte: »Worin ist das Schwert sichtbar?«

Während die Rezitation der heiligen Worte fortgeführt wurde, erschien ein Bote in Laienkleidung am Rand des Kreises. Zögernd ging er außen herum, bis er zum regionalen Anführer gelangte. Das Gesicht des Mannes, der mit den anderen Mitgliedern im Gebetskreis saß, war unter einer Kapuze verborgen. Es war fast schon unerhört, ein Gebet zu unterbrechen – ganz besonders bei einer Initiation –, aber die augenblicklichen Umstände waren alles andere als gewöhnlich. Der Anführer der spanischen Gruppe würde die Information sofort wissen wollen. Selbst wenn das eine kurze Ablenkung von der Zeremonie bedeutete.

Der Bote kauerte sich hin und beugte sich nah ans Ohr der Gestalt mit der Kapuze. »Mi señor«, flüsterte er während einer kurzen Pause im Sprechgesang. Unter derartigen Umständen war die förmliche Anrede erforderlich. Die sitzende Gestalt neigte den Kopf zu ihm.

»Meister«, berichtete der Bote, »das Manuskript ist nun in unserem Besitz. Während wir hier sprechen, sind unsere Brüder auf dem Weg zum Großen Anführer.«

Unter seiner schweren Kapuze erlaubte sich der regionale Anführer, in einem Ausdruck der Zufriedenheit seine Augenbrauen zu heben. Das war die Nachricht, auf die er gewartet hatte.

»Sehr gut. Die Zeit ist gekommen, unseren Plan umzusetzen«, sagte er leise. Er hob die rechte Hand und legte sie dem Kurier auf die Brust. Diese uralte persönliche Geste war bedeutsamen Abschieden vorbehalten, und das war einer.

»Nimm Kontakt zu den Brüdern im Ausland auf. Sag ihnen, es ist an der Zeit, den Exodus zu beginnen.« Dann, als er erkannte, dass das Ereignis eine feierlichere Bemerkung verlangte, setzte er sich mit Nachdruck gerade hin und verkündete andächtig: »Es ist Zeit, dass sie ins Licht treten.«

Nachdem der Bote seinen Auftrag erhalten hatte, neigte er den Kopf und verließ die heilige Stätte.

Der Anführer atmete langsam und zufrieden aus, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem aktuellen Geschehen zu. Das Initiationsgebet war auf seinem Höhepunkt, und er fiel in die Worte seiner Brüder mit ein, als sie ein neues Leben in ihre Mitte aufnahmen.

Der Jünger sagte: »Worin ist das Licht sichtbar?«

Der Herr sagte: »Erst wenn ihr in Ewigkeit darin getaucht seid.«

Kapitel 4

Hays Mews, London

Emily Wess saß auf der Couch im Wohnzimmer eines Hauses, das bis vor ein paar Stunden ihr und Andrew Schutz geboten hatte. Sein Leichnam, der seit den Schüssen im Eingang zu ihrem Arbeitszimmer auf dem Boden gelegen hatte, wurde gerade von den Forensikern der Metropolitan Police in einen Leichensack gepackt und auf eine Rollbahre gelegt.

»Dr. Wess, es tut mir schrecklich leid, in solch einem schwierigen Moment mit diesen Fragen fortfahren zu müssen.« Detective Inspector Joanna Alwell brach das Schweigen, das länger schien, als es der Fall gewesen war. »Doch leider sind da noch einige weitere Dinge, die ich mit Ihnen durchgehen muss, solange Sie die Ereignisse noch frisch in Ihrem Gedächtnis haben.« Alwell war seit mehr als drei Jahren Inspector, doch Augenblicke wie diese waren immer noch genauso schwierig wie zu Beginn ihrer Karriere.

Emily nickte, sagte jedoch nichts. Sie hatte sich vom Tatort zurückgezogen, als die Männer mit ihrer Arbeit anfingen. Die heißen Tränen, die ihr den ganzen Morgen lang über die Wangen gelaufen waren, begannen zu trocknen. Aber der Anblick, wie Andrews lebloser Körper von emotionslosen Männern in sterilen Overalls unsanft herumgehievt wurde, war zu viel für sie gewesen.

Sie hatte Andrew seit ihrer Kindheit gekannt und konnte sich nicht mehr an eine Zeit erinnern, da sie ihn nicht als festen Bestandteil ihres Lebens betrachtet hatte. Selbst jetzt, wo es ihr Beruf mit sich brachte, dass sie sich nur noch selten sahen, hatte Emily nie das Gefühl gehabt, dass dies der Nähe zwischen ihnen Abbruch getan hätte. Sein Leben war stets ein Teil ihres Lebens. Er war in Kindertagen der Starke gewesen, der einem burschikosen kleinen Mädchen half – das stets seiner selbst nicht sicher und weit entfernt von der Schönheit und kraftvollen Gelassenheit war, die es später erlangen sollte –, Selbstvertrauen und Stärke zu finden. Andrew war sich immer eines jeden Schritts, den er tat, sicher gewesen und hatte keinerlei Angst vor jenen gehabt, die ihm voraus waren. Wenn Emily das Abenteuer zu lieben lernte, dann nur, weil sie von diesem Mann, der es seit seiner Jugend liebte, so stark beeinflusst worden war.

Und genau das war sie geworden: eine Frau, die vom Unbekannten getrieben wurde und nach dem Geheimnisvollen und Unerklärten gierte. Ihr Vater hatte einst Emily und Andrew, als sie im Teenageralter waren, zu einer Ausstellung über die uralte Kultur der Sumerer ins Naturwissenschaftliche Museum mitgenommen. Ein Besuch, der Emilys Leben radikal verändern sollte. Alte Geschichte wurde zu ihrer neuen Leidenschaft, und sie und Andrew hatten mehr Wochenenden, als sie erinnern konnte, damit zugebracht, historische Szenen aus dem alten Rom wiederauferstehen zu lassen oder Entdeckungsexpeditionen im Park hinter dem Familiensitz der Logans zu wagen.

Andrew hatte ihre Kreativität, ihre Begeisterung und ihre Stärke gefördert. Plötzlich, angesichts ihres Verlusts, fiel es Emily schwer, auch nur einen Aspekt an der Frau, die sie geworden war, zu finden, den er nicht beeinflusst hatte.

Das war eine vernichtende, niederschmetternde, quälende Erkenntnis.

Detective Inspector Alwell beugte sich auf ihrem Sessel mit einem professionellen, aber auch mitfühlenden Gesichtsausdruck vor und lenkte so Emilys Aufmerksamkeit wieder auf ihre Fragen. »Und Sie sind sich sicher, dass es zwei Männer waren?« Sie warf einen Blick auf ihre Notizen, die sie an einem früheren Punkt der Unterhaltung geschrieben hatte; die fast wortwörtliche Mitschrift von Befragungen war beim Homicide and Serious Crime Command – der für Mord und Kapitalverbrechen zuständigen Einheit der Metropolitan Police – eine Standardprozedur. »Sie sagten, Sie hätten die Eindringlinge nicht wirklich gesehen. Könnten es nicht mehr Personen gewesen sein?«

»Nein, es waren zwei.« Der gleichmäßige Tonfall von Emilys weichem Akzent, der dem Mittleren Westen der USA entstammte, passte zum schlichten Beharren auf ihre Aussage. Seit Alwell hier am Tatort war, hatte Emily die meiste Zeit geweint – jedoch leise. Sie war emotional so tief getroffen, dass sie sich jenseits hysterischer Ausbrüche befand, die von der Ermittlerin möglicherweise erwartet worden waren.

»Dem Akzent nach war der eine aus dem Süden von London«, fügte Emily hinzu, »der andere hörte sich entfernt irisch an.« Sie wischte eine alte Träne von der Wange und versuchte, sich an Einzelheiten zu erinnern. Auf ihrem Schoß hatte sie die Hände so kräftig ineinander verschränkt, dass die gut gepflegten Fingernägel ganz weiß waren.

Alwell nickte. »In Ordnung, gut. Das ist sehr hilfreich. Können Sie sich erinnern, worüber sie vor den Schüssen sprachen?«

»Zunächst hörten wir nur Schritte und das Rascheln von Blättern. Sie waren zwei Türen weiter.«

Anstatt aufrecht, wie es normalerweise der Fall war, saß Emily nun gekrümmt da, und das kastanienbraune Haar fiel ihr offen auf die Schultern. Der Ermittlerin war klar, dass sie eine Frau war, für die Trauer ebenso unbekannt wie unbehaglich war. Der traumatische Schock am Morgen wirkte sich auf ihr Äußeres und ihre Stimme aus.

»Die zwei haben das Haus durchsucht?«

»Mein Büro. Entweder wussten sie nicht, dass wir hier waren, oder … Nein, irgendjemand ist nachts immer da. Sie müssen geglaubt haben, sie wären so leise, dass wir nicht aufwachen würden.«

Emily machte eine Pause, ihre Gefühle drohten sie zu überwältigen. Mehr als alles andere wollte sie einen Telefonanruf machen, doch die Polizistin hatte darauf bestanden, dass sie zuerst ihre Fragen beantwortete.

»Nun, Sie sagen, Sie haben sich im Wandschrank versteckt – genau da drüben«, sagte Detective Inspector Alwell und deutete auf die Wäschekammer. »Konnten Sie, als Sie dort drin waren, irgendetwas hören?«

»Nicht perfekt, aber gut genug. Es war spät, rund um das Haus war alles ruhig, und die Wände hier sind dünn wie Papier.« Emily konnte auf einmal Andrew hören, wie er über die schlechte Isolierung des alten Hauses klagte, nachdem er es zum ersten Mal besichtigt hatte – wie er mit der Faust gegen eine Wand schlug und ein Echo nachahmte, das das Geräusch in jeden Raum trug. Dünn wie Papier.

Sie rieb sich mit den Fingern die Schläfen und zwang sich dazu, die Fassung wiederzuerlangen. »Obwohl sie leise sprachen, konnte ich ab und an einen Satz aufschnappen. Sie redeten davon, ›die Landkarte‹ zu finden, mit der, wie sie sagten, man einen ›steinernen Schlüssel‹ finden könnte, was immer das ist. Der Ire fragte den anderen aus, um sicherzugehen, dass sie das, weswegen sie gekommen waren, auch tatsächlich hatten, und der Mann aus London war davon überzeugt.«

Detective Inspector Alwell hielt Emilys Aussage in Kurzschrift auf einem Notizblock in ihrem Schoß fest. »Karte … Schlüssel … Das ist eine großartige Menge an Details, Dr. Wess.«

Emily nickte schwach. »Die Erinnerung ist kein Problem.« Sie besaß zeit ihres Lebens ein fast fotografisches Gedächtnis, und ihre Erinnerung an Gehörtes war fast genauso gut, was sie an den meisten Tagen als Pluspunkt ansah. Aber das hieß auch, wie sie nur allzu gut wusste, dass sie die Geräusche und Worte dieses Morgens nie mehr aus ihrem Kopf bekommen könnte. Sie würden sie für den Rest des Lebens begleiten – in all ihrer schrecklichen Klarheit.

»Ich würde alles dafür geben, diese Einzelheiten vergessen zu können.«

»Ich verstehe das«, antwortete Alwell automatisch. »Aber jede Einzelheit, die Sie uns mitteilen, kann uns helfen, die Männer zu finden, die das ihrem Ehemann angetan haben.«

»Cousin«, korrigierte Emily sie, ihr Blick blieb fest auf die Ermittlerin gerichtet. »Andrew war mein Cousin.«

Kapitel 5

Britisches Museum, London

»Michael, passen Sie mal auf. Schalten Sie die Kiste an!« Die ehrwürdige Gestalt von William H. Gwyth erschien im Türrahmen zum Büro des Distinguished Research Fellow für koptische Altertümer am Britischen Museum. Gwyth war das personifizierte Stereotyp des Gelehrten alter Schule, für Modetrends genauso unempfänglich wie für Denkströmungen jenseits seines Forschungsgebiets. Er blieb weiter an der Spitze der Abteilung »Altägypten und Sudan«, der er siebzehn Jahre lang vorgestanden hatte, obwohl er inzwischen das offizielle Pensionierungsalter des Museums um vier Jahre überschritten hatte.

Michael Torrance sah von seinem Buch hoch und ignorierte die Anweisung. Das Wort »Kiste«, das wusste er, bezog sich auf den Fernsehapparat, und er hatte zu viel zu tun, um sich davon ablenken zu lassen. Gwyth war ein Exzentriker, der stets darauf bestand, dass andere alles stehen und liegen ließen, um seinen Launen nachzukommen.

»Schalten Sie auf Channel 4!«, befahl der Achtzigjährige und trat ins Zimmer hinein. Da er Michaels mangelndes Interesse spürte, wedelte er demonstrativ mit seinen arthritischen Händen. »Lassen Sie einen alten Mann nicht zweimal bitten.«

Eine Sekunde lang überlegte Michael im Stillen, ob weiterer Widerstand die Schimpftiraden wert wäre, die er sich anhören müsste, wenn er der Anweisung nicht folgte. Als er einsah, dass dem nicht so war, holte er eine Fernbedienung aus der Schreibtischschublade und schaltete den winzigen Fernseher ein, der an der gegenüberliegenden Wand in der Mitte des Bücherregals stand. Sein Büro war traditionell und gediegen eingerichtet: Der Apparat wirkte daher wenig passend zu dem riesengroßen Schreibtisch mit seiner Schutzauflage aus burgunderrotem Filz, zu den überfüllten Bücherregalen an allen vier Wänden und zu den einstmals geordneten Papierstapeln, die sich von den obersten Brettern bis an die Decke türmten. Michael Torrance sah sein Büro erst seit sechs Monaten als zweites Zuhause an, doch bei der Unordnung hätten es auch sechs Jahre sein können.

»Was verdient heute Morgen eine so weltliche Ablenkung?«, fragte er, als der alte Fernseher allmählich das Bild aufbaute. William Gwyth war nicht gerade für seine Liebe zum Fernsehen, zur modernen Kultur oder zu überhaupt irgendetwas bekannt, das aus der Zeit nach dem fünften Jahrhundert stammte. Alles andere wurde von ihm pauschal als »moderne Neuerung« bezeichnet und entschieden abgelehnt.

»Dies«, antwortete Gwyth und zeigte auf den kleinen Bildschirm.

Michael wandte seine Aufmerksamkeit dem Fernseher zu, in dem ein Nachrichtenbeitrag mit der unwahrscheinlich klingenden Überschrift »Gnostischer Terrorist« betitelt war. Sein Gesicht verzog sich vor Überraschung. »Gnostischer Terrorist?«

»Ich dachte mir, dass dies Ihre Aufmerksamkeit finden würde«, erwiderte Gwyth mit einem zufriedenen Lächeln auf den vertrockneten Lippen. »Scheint, als sei ein Jüngling in den USA wegen irgendeiner Terroristensache verhaftet worden; und er behauptet, er sei einer Ihrer Gnostiker.« Er hob die faltenreiche Stirn, während er seinen verblüfften Kollegen anblickte. »So etwas bekommt man nicht alle Tage zu sehen, nicht wahr?«

Michael unterdrückte einen unanständigen Ausruf, der ihm auf der Zunge lag. Es war schon schwer genug, sein Forschungsgebiet im öffentlichen Bewusstsein von kultischer Mystik und von spiritualistischem Unsinn zu trennen. Dass der Gnostizismus, wenn auch nur in den Medien, mit dem Terrorismus in Verbindung gebracht wurde, war nun wirklich das Letzte, was er gebrauchen konnte.

Der Fernseher schaltete von dem Porträt des Nachrichtensprechers auf das Häftlingsfoto eines Mannes in Amerika um. Gwyths herablassender Ausdruck »Jüngling« war gut gewählt: Der Mann konnte nicht älter als fünfundzwanzig sein. Mit seinem zerschundenen Gesicht sah er bemitleidenswert aus, doch Michael erkannte darin eine Selbstgefälligkeit, die auch von den Verletzungen nicht überdeckt wurde. Texteinschübe auf dem Bildschirm verwiesen darauf, dass er mit einem Scharfschützengewehr verhaftet worden war und nun behauptete, er sei in eine »heilige Mission« involviert, über die man keine weiteren Einzelheiten mitteilte.

»Vielleicht sollten Sie den Sender anrufen«, schlug Michaels Chef vor, als er sich zum Gehen wandte. »Sie könnten dann noch ›Terrorismusexperte‹ auf Ihre stetig länger werdende Liste an Berufsbezeichnungen setzen.«

Michael hörte Gwyth selbstgefällig lachen, als der den Flur hinunterging. Er richtete seinen Blick noch einige Augenblicke auf den Bildschirm, bevor er genervt den Fernseher ausschaltete. An Tagen wie diesen fragte er sich, ob sein Berufswechsel eine gute Idee gewesen war. Er hätte im Leben überallhin gehen und alles Mögliche tun können; denn er hatte bereits mehr Berufswege beschritten als so manch anderer. Er war früher einmal Architekt gewesen – oder genauer gesagt, ein paar Wochen bevor er durch eine plötzlich andere Weichenstellung auf dem Historikergleis gelandet war, hatte er sein Diplom in Architektur erhalten.

Diese geänderte Weichenstellung war in Form einer Frau dahergekommen. Alle in seinem Freundeskreis, auch Michael selbst, hatte es überrascht, dass er – ein Mann von guter englischer Herkunft und überdurchschnittlicher Intelligenz, der eine große Karriere in Aussicht hatte und seit frühester Kindheit stets von dem Wunsch angetrieben wurde, »eine bleibende Spur zu hinterlassen« – durch die Liebe aus der Spur geriet. Er hatte seit seiner Teenagerzeit nahezu jede Liebesbeziehung mit der Begründung »Karriere geht vor« beendet und seine Lebensplanung über die zeitweiligen Impulse romantischer Gefühle gesetzt. Aber bei dieser Frau war alles anders gewesen: Der Mann, der nie ins Wanken geriet, geriet ins Wanken. Der Architekt, dessen Praktikum sich dem Ende näherte und der sein Abschlusszeugnis bereits in Händen hielt, verfiel zunächst einer Historikerin und danach auch noch der Geschichtswissenschaft.

Michael hatte den Pfad der Geschichte schon zuvor einmal beschritten, während des Studiums, bevor ihn die Aussicht auf ein höheres Einkommen und eine natürliche Neugier für Struktur und Form davon abbrachten. Aber nur sieben Wochen nach seiner Hochzeit hatte Michael entschieden, die Welt der Architektur genauso schnell wieder zu verlassen, wie er sie betreten hatte, an die Universität zurückzugehen und in dem Gebiet zu promovieren, dem sein erstes Interesse gegolten hatte. Nun, da er sich mit einem Doktortitel brüsten konnte, den er in Koptologie erworben hatte, und voller Eifer für seine neue Laufbahn war, konzentrierte er sich auf gnostische Sozialgeschichte und die Randgruppen des ägyptischen Frühchristentums – als Teil eines prestigeträchtigen einjährigen Stipendiums am Britischen Museum. Die Faszination des Vierunddreißigjährigen für moderne Strukturen aus Glas und Stahl war nicht geringer geworden, doch an erster Stelle stand jetzt die Verlockung, die von anderen Interessen ausging.

Es war eine Verlockung, die ihn zu tiefgehendem und begeistertem Engagement inspirierte. Eine kürzlich eingetroffene Sendung von Töpferwaren aus dem Nildelta, die im dritten Jahrhundert vor Christus entstanden waren, hatte die ganze Abteilung zu einem langen Arbeitswochenende veranlasst und Michael dazu bewogen, in einer Ecke seines Büros zu übernachten. Er war natürlich nicht gern dazu bereit gewesen, auf den häuslichen Komfort zu verzichten und sich nur mit einem flachen Kissen und ein paar Laken zur Ruhe zu betten, damit er die frühen Morgen- und langen Abendstunden zum Arbeiten nutzen konnte. Zum Glück hatte seine Frau nicht dagegen protestiert. Sie war selbst ein Mensch mit großer Leidenschaft für die eigene Arbeit und hatte volles Verständnis dafür, wenn andere genauso empfanden.

Doch trotz seines Arbeitseifers und des Fleißes der Gelehrten in seinem Umkreis wurde Michael allmählich eine wichtige Tatsache klar: Wohin man auch schaute – nichts als Dummköpfe. Der Idiot im Fernsehen war keineswegs meilenweit entfernt von der Dummheit der Gruppe, die ihm den Brief geschickt hatte, der nun aufgefaltet auf seinem Schreibtisch lag. Fast schon genauso lange, wie er auf dem Arbeitsplatz hier saß, versuchte er, sie ein für alle Mal abzuweisen, indem er ihre hartnäckigen Anfragen ablehnte; aber sie schrieben ihm nach wie vor. »Zu wissenschaftlichen Forschungszwecken« bat ein »Gelehrtenkollektiv«, von dem Michael noch nie gehört hatte, um Zugang zu der Sammlung koptischer Manuskripte des Museums. Das Ansuchen war zwar stets vage formuliert, doch es handelte sich keineswegs um eine ungewöhnliche Anfrage. Andauernd wollten irgendwelche Gruppen Einsicht in derartiges Material, und das Museum gestattete dies auch normalerweise, aber diese Gruppierung fiel durch ihre Hartnäckigkeit besonders auf. Michael hatte sie bereits nicht weniger als fünf Mal abschlägig beschieden – mit der Begründung, sie hätte ihm weder einen Beleg für echte wissenschaftliche Absichten noch adäquate Referenzen für den Umgang mit antiken Materialien geliefert.

Aber manche Leute verstanden einfach einen Wink nicht, selbst wenn er noch so deutlich war.

Auf einmal musste Michael über die sonderbare Absurdität seines Morgens kichern. Eine Gruppe von Idioten in Großbritannien wollte unbedingt Zugang zu unschätzbar wertvollen Manuskripten bekommen, während ein einsamer Idiot in Amerika behauptete, ein »gnostischer Terrorist« zu sein. Die alten Gnostiker und der heutige Terrorismus, das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht, sinnierte Michael. Beides miteinander zu verbinden war ein Schwachsinn, der für kurze Zeit das Objekt einer vorhersehbaren Fehlinterpretation seitens der Medien darstellen würde.

Mit einem Seufzer warf er den Brief in den Papierkorb zu seinen Füßen und verbannte die ganze Angelegenheit aus seinem Kopf.

Kapitel 6

Hays Mews, London

Detective Inspector Joanna Alwells Kopf ruckte nach oben. »Andrew Wess war nicht Ihr Ehemann?«

Emily schüttelte langsam den Kopf; sie nahm die Überraschung der anderen Frau kaum wahr.

Das sich rötende Gesicht der Polizistin vereitelte ihren Versuch, die rasch wachsende Verlegenheit unter Kontrolle zu bringen. »Das tut mir leid. Man hat mir gesagt, Sie wären verheiratet, und wegen des gleichlautenden Nachnamens ging ich davon aus …«

»Ich habe bei der Heirat meinen Mädchennamen behalten. Andrew ist mein Cousin aus den Vereinigten Staaten. Er ist in den vergangenen drei Wochen bei uns zu Besuch gewesen. Er war zuvor noch nie in London.« Emily stockte; nostalgische Gefühle kamen in ihr hoch, die nicht kontrollierbar und nicht willkommen waren. Als sie fortfuhr, war ihre Stimme nicht fest. »Wir haben immer die Sommer gemeinsam verbracht, draußen im Wald, während unserer ganzen Kindheit. Kletterten auf Bäume, bauten Festungen. Was immer der Sommer brachte.« Die Worte schnürten ihr immer mehr die Kehle zu.

Alwell ließ ihr einen Augenblick Zeit, die Fassung wiederzugewinnen, dann lenkte sie Emilys Aufmerksamkeit wieder auf die Ereignisse in den frühen Morgenstunden.

»Also, diese Männer sind bei Ihnen eingebrochen und haben Ihren Cousin angegriffen, um eine Karte zu stehlen. Eine Karte von was?«

»Es ergibt keinen Sinn«, entgegnete Emily. »Als Ihre Kollegen mich baten, den Schreibtisch durchzusehen und zu schauen, was fehlt, merkte ich sofort, was die Männer mitgenommen hatten. Es handelt sich um eine Mappe mit einem Manuskript, das ich gerade geprüft habe – eine Neuerwerbung, die ich für die CUA machte.«

»CUA?«

»Catholic University of America in Washington, D.C. Ich habe dort für ein Jahr eine Gastprofessur, während meiner Freisemester am Carleton College in Minnesota. Eine meiner Hauptaufgaben ist es, neue Materialien für die Sondersammlung der Universität zu erwerben. Dieser Aufenthalt in London sollte dazu dienen, dieses Manuskript abzuholen und es zurück nach Washington zu bringen. Der Familiensitz meines Mannes hier in der Stadt ist für uns ein bequemer Stützpunkt, vor allem seit er hier für zwölf Monate einen Posten innehat.«

»Ihr Mann ist Brite?«

Emily nickte zur Bestätigung, und Alwell schrieb diese Information auf.

»Diese Männer brachen also ein, um ein Manuskript zu stehlen«, setzte die Polizeibeamtin einen Augenblick später hinzu und sah hoch. Das war zumindest ein eindeutiges Motiv. »Ist es wertvoll?«

»Für Historiker natürlich. Doch in finanzieller Hinsicht lohnt es einen Diebstahl kaum. Die Universität kaufte es hier von einem privaten Sammler für etwas mehr als 7500 Pfund.«

»Kleingeld kann man das nicht gerade nennen.«

»Mag sein. Es ist eine Frage der Perspektive. Der letzte Ankauf, den mein Büro tätigte, war ein Pergament aus dem elften Jahrhundert. Die Summe belief sich auf 600 000 Dollar. Wir bekamen dieses Manuskript nur so günstig, weil seine Echtheit angezweifelt wird. Es könnte eine Fälschung aus einer späteren Zeit sein.«

Alwell hob eine Augenbraue. »Ich hatte keine Ahnung, dass alte Manuskripte so teuer sind.« Sie hielt die Angaben auf ihrem Notizblock fest. »Also, die Eindringlinge nahmen diese uralte Karte an sich und verschwanden?«

»Es ist keine Karte.«

»Sie sagten doch –»

»Ich sagte, sie haben es so genannt. Das Manuskript ist ein französischer Text aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts und schildert die Geschichte einer Siedlung im Languedoc. Ich habe keine Ahnung, warum sie ihn als Karte bezeichneten. Auf dem Blatt ist nichts als Text, und an keiner Stelle werden detaillierte geografische Angaben gemacht.«

Alwell notierte sich auch das. Ob die Informationen für sie mehr Sinn ergaben als für Emily, war ihrem Gesicht nicht zu entnehmen – jahrelang hatte sie sich darin geübt, mit professioneller sachlicher Miene ihren Beruf auszuüben.

»Was geschah dann, Dr. Wess?«

»Das war der Moment, als Andrew losschrie und in das Zimmer stürmte. Eine Sekunde später fielen die Schüsse. Die Männer hielten sich nicht mehr lange hier im Haus auf, nachdem sie ihn getötet hatten.« Emily rang um Fassung. »Sie nahmen das Manuskript. Verschwanden durch den Hintereingang.«

Als Alwell ihre Notizen beendet hatte, blickte sie hoch. »Gibt es sonst noch etwas? Irgendetwas?«

Emily schüttelte verneinend den Kopf – ihre erste und einzige Lüge an diesem Morgen. Aus welchem Grund auch immer: Irgendetwas drängte sie, eine Tatsache zu verschweigen, von der sie wusste, dass diese die Tat in neuem Licht erscheinen lassen würde – vielleicht sogar in gravierender Weise. Sie wusste, es war wichtig. Aber sie konnte sich nicht dazu durchringen, der Polizeibeamtin diese Tatsache mitzuteilen.

Alwell richtete sich in ihrem Sessel auf und schob den Notizblock in eine Tasche ihrer Uniform. »Da ist noch eine letzte Sache. Die US-amerikanische Botschaft muss über den Tod Ihres Cousins informiert werden«, sagte sie. »Das können Sie selbst machen, Dr. Wess, oder ich kann es für Sie übernehmen; allerdings werden Sie irgendwann direkt mit denen Kontakt aufnehmen müssen.«

Emily entschied sich mit einem Nicken für die zweite Option, und die Polizeibeamtin versuchte, sie tröstend anzulächeln. »In Ordnung. Das ist im Augenblick alles. Sie waren ungeheuer hilfreich. Ich weiß, Sie sind begierig, ein Telefonat zu führen. Gibt es jemanden, den wir für Sie anrufen können? Irgendjemand, mit dem Sie in dieser schweren Zeit reden möchten?«

Emily fiel nur ein einziger Name ein, und ohne Zögern nannte sie ihn der Ermittlerin.

»Michael Torrance. Ich würde gerne mit meinem Mann reden.«

Kapitel 7

Am Ortsrand von Terrasini, Italien

»Das ist die ganze Lieferung? Sind da noch mehr Holzkisten?« Mustafa Aqmal schaute auf die drei Behälter vor ihm, ohne den Kurier eines Blickes zu würdigen.

»Nein, das ist alles.«

Aqmal zog einen großen Kabar aus seiner Scheide an der Hüfte und schnitt mit dem Militärmesser die Schnur am ersten Holzverschlag durch. Er hob den Deckel an und prüfte den Inhalt sorgfältig, um sicherzugehen, dass alles so war, wie er es erwartete; danach senkte er die Abdeckung wieder sanft nach unten. Dies wiederholte er noch zwei Mal an jeder der verbliebenen Kisten, bevor er sich schließlich an den Kurier wandte. Die Zigarette zwischen Aqmals schmalen Lippen untermalte jede seiner Handlungen mit einer Wolke dicken Qualms, der sich um seine mit starkem Akzent gesprochenen Worte zu legen schien.

»Woher hast du die einzelnen Komponenten?«

»Die Hauptbestandteile sind von meiner Quelle in Gattières, in mehr als ausreichender Menge. Das können Sie ja sehen.« Der Akzent des Kuriers war noch stärker als der von Aqmal, der ein leicht afrikanisches Französisch sprach, bei dem das S wie ein weiches Z klang.

»Die abschließenden Elemente für die Reaktion stammen von deren Partner in Deutschland. Genau wie Sie angeordnet haben. Nichts kommt von irgendwo auf der Watchlist.«

Aqmal war sehr deutlich gewesen: Alle Länder, die auf der Terrorismus-Beobachtungsliste standen, waren strikt zu meiden.

»Und das Schaltkreismaterial?«

»Ebenfalls aus Berlin«, bestätigte der Mann. Der Kurier sprach schnell, denn er wollte seinem Käufer gefallen. Auch verspürte er zunehmend den Wunsch, die Auslieferung abzuschließen und so schnell wie möglich wegzukommen. Während ihrer Telefonate hatte ihn etwas am Tonfall dieses Mannes aufhorchen lassen, und jetzt, wo er ihm persönlich gegenüberstand, empfand er wieder dieses Unbehagen. Der Kurier wusste nichts über den Mann vor ihm, aber irgendetwas, was sich nicht greifen ließ, deutete auf etwas Finsteres hin, das er nicht näher durchleuchten wollte. Und der Mann hatte fürchterlich leere Augen, die direkt durch ihn hindurchzustarren schienen. Er wollte, so schnell er konnte, diesen Augen entrinnen.

Aqmal blickte lange auf die drei Kisten. Sie enthielten alles, was seine Auftraggeber bestellt hatten – und zudem aus Quellen, die keinerlei Verdacht erregen würden. Sein Versprechen, für eine effiziente und nicht zurückverfolgbare Lieferung zu sorgen, hatte er bis hierhin erfüllt. Sein Ziel und das ihre waren erreicht.

Fast.

»Wer weiß von der Lieferung?«, verlangte er zu wissen. »Wem ist bekannt, dass diese Materialien hierher gebracht wurden?«

Der afrikanische Kurier, der daran gewöhnt war, ausgefragt zu werden, hatte sich seine Antworten sorgfältig zurechtgelegt. In der Rangordnung der Schwarzmarkttransaktionen war seine Arbeit von entscheidender Bedeutung, aber seine Position in diesem Netzwerk war so niedrig, wie sie nur sein konnte. Um am Leben und im Geschäft zu bleiben – das hatte er schon vor Jahren gelernt –, musste er stets darauf vorbereitet sein, umfassend Rechenschaft abzulegen.

»Ich habe sie selbst hergebracht. Ich nehme das Boot meines Onkels von Toulon nach Cannes, und die letzten vierundzwanzig Stunden fahre ich in dieser Todesfalle« – der Kurier deutete auf einen kleinen Ford Transit, Baujahr 1986, der ein paar Meter entfernt parkte – »nach Genua, dann runter nach Arezzo und vorbei an Rom. Heute Morgen nehme ich die Fähre von Neapel aus. Ich kenne den Kapitän, und für ein bisschen Bares nimmt er mich an Bord – ohne Fragen, ohne Durchsuchung. In Ficarazzi setzt er mich ab, abseits des Hafenverkehrs.« Der Mann beendete seinen Bericht, offenkundig mit sich zufrieden wegen all seiner Mühen. »Dass diese Kisten hier sind«, fügte er hinzu, »ist auf der ganzen Welt nur zwei Männern bekannt: Ihnen und mir.«

Aqmal nickte, eine Kopfbewegung, die den Kurier von der kleinen Bewegung seiner Hände ablenkte.

»Gut. Aber leider hast du dich in dem Punkt geirrt: Die Anwesenheit der Kisten hier an diesem Ort ist nur einem Mann bekannt. Mir.«

Der Kurier war einen Moment lang verwirrt. »Aber ich …«

Und genau da sah er Aqmals rechte Hand, die den Kabar bis in Brusthöhe hob. Diesmal zeigte die Klinge nicht auf die Verpackungsschnüre. Was wenige Augenblicke zuvor noch ein Werkzeug gewesen war, wurde nun als Waffe genutzt; und ein Mann schwang sie, dessen unheimliche Augen sich ohne jede Gefühlsregung direkt in sein Gegenüber bohrten.

Mit einer Gewissheit, die aus zu vielen Berufsjahren in diesem Markt herrührte, sah der Kurier, was kommen würde. Selbst als er zurücksprang, um der Klinge auszuweichen, und seinen Lippen ein hilfloses »Non!«