Die Versuchung des heiligen Antonius - Gustave Flaubert - E-Book

Die Versuchung des heiligen Antonius E-Book

Gustave Flaubert

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Beschreibung

Die Versuchung des heiligen Antonius ist in Dialogform geschrieben, beinhaltet aber teils lange Passagen, die in einer eindringlichen und bildhaften Sprache räumliche Situationen und stumme Handlungen beschreiben. Die Versuchung des heiligen Antonius ist ein Roman, der in seiner endgültigen Version 1874 in Paris veröffentlicht wurde. Er behandelt eine Nacht im Leben des ägyptischen Eremiten Antonius, in der er verschiedenen Versuchungen ausgesetzt ist. Antonius ist ein passiver, weinerlicher und mit seinem Schicksal unzufriedener Mann, der den Versuchungen nur zum Teil widerstehen kann. Bilder von Sexualität nehmen entgegen den meisten früheren Schilderungen bei Flaubert nur eine untergeordnete Rolle ein. Wichtiger sind Fragen der Wissenschaft und der konkurrierenden Glaubenssysteme, bei denen sich Flaubert einer Wertung enthält. Ihm ist eher daran gelegen, die Parallelen zwischen den Lehren denn eine Hierarchie herauszuarbeiten. Der scheinbaren Neutralität des Autors entspricht auch die ambivalente Schlussszene, in der sich Antonius weder eindeutig dem Glauben, noch der Materie hingibt.

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Seitenzahl: 215

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Gustave Flaubert

Die Versuchung des heiligen Antonius

Den Gedächtnissen meines Freundes Alfred Lepoittevin

Gestorben in La Neuville-Chant-d'Oisel am 3. April 1848.

Die Versuchung des heiligen Antonius

Illustrierte Ausgabe

Gustave Flaubert

Impressum

Texte: © Copyright by Gustave Flaubert

Umschlag:© Copyright by Walter Brendel

Illustrationen: © Copyright by Hermann Lismann

Übersetzer: © Copyright by Hermann Lismann

Verlag:Das historische Buch, 2024

Mail: [email protected]

Druck:epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Einführung des Übersetzers

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

Einführung des Übersetzers

Die ersten Arbeiten zum Antonius fallen in die Zeit nach der bretonischen Reise, ins Jahr 1849. Durch die Orientreise unterbrochen, in den Jahren 1856, 1859, 1869 und 1870/71 wieder aufgenommen und mühsam umgeformt, gelangt das Werk endlich im Herbst 1872 zur Vollendung. Aber es bleibt noch in der Schublade liegen, Flaubert wagt nicht, es zu veröffentlichen. Erst April 1874 erscheint es bei Charpentier.

Die »Versuchung« ist also ein Lebenswerk, man könnte es (auch aus anderen Gründen) Flauberts Faust, gewissermassen seinen Faust II. Teil, nennen. Es enthält, wie jenes Werk, eine Überfülle von gelehrtem, sich häufenden Material wissenschaftlichen und philosophischen Inhalts, das mitunter nur mit einer scheinbar leicht übergeworfenen künstlerischen Maske versehen, dem Leser viel zu denken gibt, aber nicht immer durch den Schwung ursprünglicher Dichterkraft hinreißt, das sogar bisweilen ermüdet. So glaubt man wohl unter den Reden der Heresiarchen, unter den Selbstbiographien all der Götter, Zauberer, Heiligen und Ungetiere das wissenschaftliche Gerüst des gesammelten Materials noch leise wahrnehmen zu können, ähnlich wie in »Bouvard und Pécuchet«. Trotz alledem steht Flauberts Werk ohnegleichen in der Weltliteratur als Gebilde einer unerhört phantastischen Gestaltungskraft, als eine wunderbare Mischung von klarster Realität und tiefer, klingender Poesie.

Flaubert war im Antonius – wie in Salammbo und der Herodias – bestrebt, durch die schärfste wissenschaftliche Analyse, durch das dichterisch-visionäre Betrachten der heute noch wenig veränderten Gegenden, Gebräuche, Menschentypen des Orients und durch Abstreifen aller herkömmlichen historischen Anschauungsweisen dem wahren Geiste jener Zeiten so nahe zu kommen, daß er sich zu einer neuen Wirklichkeit, zu einer Art Kulturgeschichte von suggestivster Darstellungskunst verkörpern mußte.

Das Werk klingt in eine Art monistischen Pantheïsmus aus, der sich mit dem Katholizismus verschmilzt. Ob unsere heutige religiöse Anschauung durch diese Lösung befriedigt wird, ist zweifelhaft. Für die allein in Frage kommende künstlerische Bedeutung des Werkes ist dieser Einwand völlig belanglos.

Im Nachfolgenden bringe ich die Briefstellen aus Flauberts Korrespondenz, welche Bezug nehmen auf den hl. Antonius. Sie werden am besten die Entwicklung der Arbeit vor Augen führen.

Frankfurt am Main, Juni 1921.

Hermann Lismann.

*

An Alfred Le Poittevin, 13. 5. 1845 (24 Jahre).

Ich habe ein Bild von Breughel gesehen, welches die Versuchung des hl. Antonius darstellt und mich auf den Gedanken brachte, dieselbe für das Theater zu bearbeiten, aber das verlangt nach einem anderen als ich bin.

An M me. Louise Collet, August 1846.

Ich habe meine Versuchung des hl. Antonius (Kupferstich von Callot) ausgepackt und an der Wand befestigt ... Ich liebe dieses Werk sehr. Seit langem habe ich es mir gewünscht. Das Traurig-Groteske hat für mich einen unerhörten Reiz; es entspricht den geheimsten Ansprüchen meiner lustig-bitteren Natur. Es macht mich nicht lachen, aber reichlich träumen ....

An Parain, Mai 1849.

... ich habe meinen verflixten St. Antonius noch nicht beendet (er dauert ewig, der Schweinekerl, obwohl ich darüber abmagere).

An denselben.

Ich arbeite immer noch an meiner »Versuchung« wie zehn Neger. Ich habe noch für zwei gute Monate.

An M me. Louise Collet, 15. 1. 1852.

Ich sagte Dir schon, daß die »sentimentale Erziehung« ein Versuch war. Der hl. Antonius ist wieder ein anderer. Indem ich einen Gegenstand wählte, bei welchem ich vollkommen frei war in Bezug auf lyrischen Schwung, Bewegungen, Verirrungen, befand ich mich damals ganz in meinem Element und konnte die Zügel schießen lassen. Niemals werde ich den hinreißenden Schwung in meinem Stil wieder erlangen, wie damals während achtzehn großer Monate, in denen ich geschwelgt und mit Lust die Perlen zu meinem Halsband gewählt hatte. Ich hatte nur eine Sache vergessen: den Faden, das war der zweite Versuch, schlimmer als der erste; jetzt bin ich am dritten: nun ist es Zeit, ans Ziel zu gelangen – oder sich aus dem Fenster zu stürzen.

An dieselbe, 1. 2. 1852.

Dieser gute hl. Antonius .... ist ein verfehltes Werk. Ich selbst war darin der hl. Antonius und das hatte ich vergessen. Diese Persönlichkeit will gestaltet sein (keine leichte Sache!); wenn es für mich irgend eine Möglichkeit gäbe, dieses Buch zu verbessern, wäre ich sehr froh, denn ich habe viel, viel Zeit daran verschwendet und viel Liebe. Aber es ist noch nicht genügend ausgereift. Ich hatte nämlich viel an den materiellen Elementen des Buches gearbeitet, will sagen am historischen Teil, ich hatte mir eingebildet, das Scenarium sei fertig und ich machte mich an die Arbeit. Alles hängt vom Plan ab; und der Antonius hat keinen; die Darlegung der streng durchdachten Ideen hat keineswegs eine Parallele in der Verkettung der Tatsachen. Trotz des reichlichen dramatischen Gerüstes fehlt das Dramatische.

An dieselbe, 3. 1. 1853.

O glückliche Zeiten des hl. Antonius, wo seid ihr? Damals schrieb ich mit meinem ganzen Ich.

An Louis Bouilhet, 1. 6. 1856.

Ich ... korrigiere den hl. Antonius. Ich habe im Antonius alles ausgemerzt, was mir zur Unzeit angebracht erschien, – keine kleine Arbeit, da nun der erste Teil, der 160 Seiten umfaßte, nur mehr 74 in der Abschrift enthält. In etwa acht Tagen hoffe ich, diesen Teil erledigt zu haben. Mehr gibt es im zweiten Teil zu tun, in welchem ich endlich eine Verbindung gefunden habe, die vielleicht armselig – aber doch immer eine Verbindung ist, eine mögliche Zusammenfassung. Die Person des hl. Antonius wird aufgewettert werden durch zwei oder drei Monologe, die rettungslos die Versuchungen herbeiführen werden. Was den dritten Teil betrifft, so ist die Mitte vollkommen neu zu bearbeiten. Im Ganzen vielleicht einige zwanzig oder dreißig Seiten zu schreiben. Ich streiche die allzulyrischen Stellen, merze viele Umstellungen aus und gehe den Wendungen zu Leibe, welche abseits führen von der Grundidee. Kurz, ich hoffe das lesbar und nicht allzu langweilig zu gestalten.

Wir wollen darüber sehr ernstlich diese Ferien sprechen. Denn das ist eine Sache, die mir auf der Seele lastet, und ich hätte ein wenig Ruhe, wenn ich von diesem Alpdruck befreit wäre.

An denselben, 25. 8. 1856.

Der hl. Antonius, der mir während eines Monats Spaß gemacht hat, ödet mich jetzt an.

An denselben, 1. 9. 1856.

Was Du auch »darüber sagen mögest«, ich glaube, daß Du etwas verstehen wirst vom hl. Antonius. Du wirst zum mindesten »meine Intentionen« erkennen. Du wirst mir helfen, die Lücken des Planes zu verstopfen, die besch... Sätze wegzuwischen und die schlappen Perioden, die in der Mitte wie ein aufgetrennter Schuh klaffen, neu zu besohlen.

An denselben, 9. 9. 1856.

Was den hl. Antonius betrifft, so lasse ich ihn vorläufig liegen, solange ich daran bin, zwei ungeheure Bände über die Ketzereien zu analysieren. Ich sinne darüber nach, was man tun muß, um stärkere Dinge hineinzubringen. Mich widert die Deklamation an, die sich in diesem Buche findet. Ich suche brutale Effekte. Bezüglich des Planes weiß ich nichts mehr zu tun. Ich hätte Deinen Rat nötig, besonders im Dramatischen.

An denselben, 23. 9. 1856.

Ich arbeite immer (am Antonius) und entwickle die Hauptperson mehr und mehr. Es ist sicher, daß man jetzt einen Plan erkennt, aber viele Dinge fehlen daran. Was den Stil betrifft, so hattest Du die Güte, das einen Durchfall von Perlen zu nennen. Durchfall, das ist möglich, aber was die Perlen betrifft, so sind sie selten. Ich habe alles noch einmal geschrieben, mit Ausnahme von vielleicht zwei oder drei Seiten.

An Jules Duplan, October 1856.

Ich habe diesen Herbst viel an meiner alten Narretei, dem hl. Antonius, gearbeitet; er ist von einem Ende zum anderen neu geschrieben, bedeutend reduziert und zusammengeschmolzen. Ich habe vielleicht noch für einen Monat Arbeit. Ich werde erst wieder frei atmen, wenn mir dieses verteufelte Werk nicht mehr auf den Schultern lastet, das mich gar noch vor Gericht bringen könnte – und demzufolge ich sicherlich als verrückt gelten werde. – Was liegt daran! eine so geringfügige Erwägung wird mich nicht aufhalten.

An M me. Maurice Schlesinger, 16. 1. 1859.

Nach der Veröffentlichung meines Romans hatte ich mich wieder an ein großes Werk meiner Jugend gemacht mit dem Titel »Die Versuchung des hl. Antonius«. Nach sechs Monaten Arbeit mußte ich Verzicht leisten und es wieder zur Seite legen. Dieses Buch hätte mir zur jetzigen Zeit unendliche Unannehmlichkeiten bereitet.

An George Sand, Februar 1869.

Ich habe meine alte Narretei, den Antonius, wieder aufgenommen. Ich habe meine Notizen durchgelesen, mache einen neuen Plan und verschlinge die eklesiastischen Memoiren von Le Nain de Tillemont. Ich hoffe, es gelingt mir ein logisches Band (und damit eine dramatische Spannung) zu finden zwischen den verschiedenen Halluzinationen des Heiligen. Diese extravagante Welt gefällt mir und ich versenke mich in dieselbe.

An Frl. Leroger de Chantepie, 8. 7. 1870.

Ich habe mich wieder an eine alte Narretei gemacht, von der ich Ihnen, glaube ich, schon gesprochen habe. Es ist eine Versuchung des hl. Antonius. Das heißt eine dramatische Darstellung der alexandrinischen Welt im vierten Jahrhundert. Nichts ist merkwürdiger wie diese Epoche. Ich glaube, das Buch wird Sie wegen des dargestellten Milieus interessieren. Aber ich habe es noch lange nicht beendet. Das ist eine Arbeit, die mich wohl an die zwei Jahre kosten wird. Ich möchte mich ganz und gar darin verlieren und nicht mehr an mein Elend und meinen Kummer denken.

An M me. Roger des Genettes, April 1871.

Um all dem Jammer aus dem Wege zu gehen versenke ich mich, wie ein Verzweifelter, in den hl. Antonius, und arbeite unausgesetzt und voll Kraft. Wenn mir nichts in den Weg kommt, werde ich das Buch vor einem Jahr beendet haben.

An dieselbe, Mai 1871.

Der hl. Antonius grüßt Sie ganz untertänigst (da Sie sich nach ihm erkundigen) und wüßte sich nichts besseres zu wünschen, als Ihnen – wenn auch unvollendet – vorgestellt zu werden. Der gute Mann hat Schädelbrummen von dem Schauspiel der Ketzer, hat den Buddha angehört und wohnt eben den Prostitutionen von Babylon bei. Ich habe noch schlimmere Dinge mit ihm vor.

An George Sand, 25. 7. 1871.

Der ungeheure Ekel, den mir meine Zeitgenossen einflößen, wirft mich zurück in die Vergangenheit und ich bearbeite meinen guten Antonius mit allen meinen Kräften. Ich bin allein seinetwegen nach Paris gekommen, denn es ist mir unmöglich in Rouen die Bücher, deren ich bedarf, zu verschaffen. Ich habe mich in die Religionen Persiens versenkt. Ich suche mir eine klare Idee des Gottes Hom zu machen, was nicht leicht ist. Ich habe den ganzen Monat Juni mit dem Studium des Buddhismus hingebracht, über welchen ich schon viele Notizen hatte. Aber ich wollte den Stoff soweit als möglich erschöpfen. So habe ich denn auch einen kleinen Buddha gemacht, den ich für recht liebenswürdig halte. Wie gerne würde ich Ihnen diesen Schmöcker (den meinigen), vorlesen!

An dieselbe, 1872.

Ich habe gestern einen schönen Tag mit Turgenjeff verbracht und ihm die 115 bisher geschriebenen Seiten des Antonius vorgelesen .... nichts entgeht ihm .... er hat mir zwei oder drei Ratschläge gegeben, die im einzelnen vorzüglich sind.

An dieselbe.

... Ich bin mitten unter den fantastischen Ungeheuern.

Wenn ich von ungefähr den Stoff erschöpft haben werde, gehe ich ins Museum um vor den wirklichen Monstren zu träumen, dann sind die Studien für den Antonius beendet.

An M me. Roger de Genettes, 15. 5. 1872.

Ich zwinge mich mit aller Gewalt zur Arbeit. Aber das Herz ist nicht bei der Schriftstellerei. Der gute hl. Antonius (den ich wieder aufgenommen habe und der bis Ende August fertig sein wird), ödet mich an wie das Leben selbst, was nicht wenig heißen will. Ich bräuchte, um ihn zu beenden, die Begeisterung, wie ich sie letzten Sommer hatte. Aber seitdem habe ich schlimme Stöße erleiden müssen.

Und wie ich Lust hätte, Ihnen gerade dieses Buch vorzulesen. Denn es ist für Sie geschrieben, ich verstehe damit für die kleine Zahl, für die kleine Schar, die sich über die Dinge klar wird.

An M me. Gustave de Maupassant, 30. 10. 1872.

Das erste Werk, das ich in den Druck gebe, wird an seinem Anfang den Namen Deines Bruders tragen, denn in meinen Gedanken war die Versuchung des hl. Antonius immer »Alfred Le Poittevin« gewidmet. Ein halbes Jahr vor seinem Tode habe ich ihm von diesem Buche gesprochen. Nun habe ich dieses Werk vollendet, welches mich zu verschiedenen Malen während 25 Jahren beschäftigt hat! Da er nicht mehr da ist, hätte ich gerne Dir das Manuskript vorgelesen, meine liebe Laura. Übrigens weiß ich nicht, wann ich es veröffentlichen werde. Die Zeiten sind keineswegs günstig.

1.

In der Thebaïs, auf der Höhe eines Gebirges, Terrasse in Halbmondform gerundet, eingeschlossen von großen Steinen.

Die Hütte des Eremiten nimmt den Hintergrund ein. Sie ist aus Lehm und Röhricht gefertigt, mit flachem Dache, ohne Türe. Man unterscheidet im Innern einen Krug mit einem schwarzen Brot; in der Mitte, auf einer Holzsäule, ein dickes Buch. Auf der Erde, hier und dort, Fasern von Flechtwerk, zwei oder drei Matten, einen Korb, ein Messer.

Zehn Schritte von der Hütte ist ein langes Kreuz in den Boden gepflanzt; am andern Ende der Plattform neigt sich ein alter, gewundener Palmbaum über dem Abgrund; denn das Gebirge fällt steil ab, und der Nil bildet am Fuße der Felswand scheinbar einen See. Die Aussicht ist rechts und links beschränkt durch die Einfriedung der Felsen. Aber nach der Seite der Wüste erstrecken sich, gleich abgestuften Dünungen, ungeheure gleichlaufende Wellenlinien von aschblonder Tönung, eine hinter der andern, ständig ansteigend; und jenseits der Sandmassen, ganz in der Ferne, bildet die libysche Bergkette eine kreidefarbene Mauer, leicht verwischt durch violette Dünste. Gegenüber senkt sich die Sonne. Der Himmel im Norden ist von perlgrauer Färbung, während sich im Zenit purpurne Wolken, hingestreckt wie die Flocken einer Riesenmähne, über die blaue Wölbung dehnen. Diese Flammenspeichen verdunkeln sich, die azurblauen Partien nehmen eine perlmutterfarbene Bleichung an; die Sträucher, die Kiesel, die Erde, alles erscheint jetzt hart wie Bronze, und im Raume schwebt ein goldener Staub, so fein, daß er sich verliert in den Schwingungen des Lichtes.

Der heilige Antonius,

welcher einen langen Bart trägt, lange Haare und eine Tunika von Ziegenfell, sitzt mit gekreuzten Beinen, beschäftigt mit Mattenflechten. Da die Sonne verschwindet, stößt er einen schweren Seufzer aus und spricht, den Horizont bewachend:

Wieder ein Tag! Ein Tag vorüber!

Einstmals war ich doch nicht so elend!

Vor dem Ende der Nacht begann ich meine Gebete; dann stieg ich hinab zum Flusse, Wasser zu holen, und ich kam zurück über den rauhen Pfad mit dem Schlauch auf meiner Schulter, Hymnen singend. Dann machte es mir Freude, alles in meiner Hütte zu ordnen. Ich nahm mein Werkzeug; ich war bedacht, daß meine Matten ganz gleichmäßig wurden und meine Körbe leicht; denn meine geringste Betätigung erschien mir damals als eine Pflicht, die nichts Mühseliges an sich hatte. Zu geregelten Stunden verließ ich meine Arbeit, und indem ich, die beiden Arme ausgebreitet, betete, fühlte ich, wie eine Quelle von Erbarmen aus Himmelshöhen sich in mein Herz ergoß. Jetzt ist sie versiegt. Warum? ...

Langsam schreitet er durch die felsige Umfriedung.

Alle tadelten mich, als ich das Elternhaus verließ. Meine Mutter sank sterbend zu Boden, aus der Ferne machte mir meine Schwester Zeichen zurückzukommen, und die andere weinte, Ammonaria, dieses Kind, das ich jeden Abend am Rande der Zisterne traf, wenn sie ihre Büffel zur Tränke führte. Sie lief mir nach. Die Ringe an ihren Füßen glitzerten im Staub und ihre Tunika, offen an den Hüften, flatterte im Wind. Der alte Asket, der mich fortführte, rief ihr Schmähungen nach. Unsere beiden Kamele galoppierten immerzu, und ich habe niemanden wiedergesehen.

Zuerst wählte ich als Aufenthalt das Grab eines Pharao. Aber ein Zauber kreist in diesen unterirdischen Palästen, wo die Schatten verdichtet scheinen durch den ehemaligen Rauch von Weihedüften. Aus der Tiefe der Sarkophage hörte ich eine schmerzliche Stimme steigen, die mich rief; oder ich sah plötzlich die entsetzlichen Dinge lebendig werden, die auf den Mauern gemalt waren, und ich floh bis zum Strand des roten Meeres in die Ruinen einer Feste. Dort hatte ich als Gesellschaft die Skorpione, die sich zwischen den Steinen hinschleifen, und über meinem Haupte kreisten Adler unablässig in dem blauen Himmel.

Nachts wurde ich von Krallen zerrissen, von Schnäbeln gebissen, von weichen Flügeln gestreift; fürchterliche Dämonen heulten mir in die Ohren und warfen mich zu Boden. Einmal kamen mir sogar die Leute einer Karawane, die nach Alexandrien zog, zu Hilfe und nahmen mich hierauf mit sich fort.

Dann wollte ich mich belehren lassen von dem guten greisen Didymus. Obwohl er blind war, kam ihm niemand gleich in der Kenntnis der heiligen Schrift. Wenn die Lehrstunde zu Ende war, verlangte er nach meinem Arm, um spazieren zu gehen.

Ich führte ihn auf das Paneum, von wo aus man den Leuchtturm wahrnimmt und das hohe Meer. Dann kamen wir zurück über den Hafen, umdrängt von Menschen aller Nationen, bis zu den Kimmerien, in Bärenfelle gekleidet, und den Gymnosophisten des Ganges, die mit Kuhmist eingerieben sind. Aber unaufhörlich gab es da irgendeine Schlägerei in den Straßen, wegen der Juden, welche die Steuern nicht zahlen, oder der Aufständigen halber, welche die Römer verjagen wollten. Außerdem ist die Stadt voll von Ketzern, Anhängern von Manès, Valentinus, Basilides, Arius – alle fallen über einen her, um zu diskutieren und einen zu überzeugen.

Ihre Reden kommen mir manchmal in Erinnerung. Umsonst bemüht man sich, nicht darauf zu achten! es verwirrt einen doch!

Ich flüchtete nach Colzim, und meine Bußtätigkeit war so stark, daß ich keine Furcht mehr hatte vor Gott. Einige sammelten sich um mich, um Anachoreten zu werden. Ich legte ihnen eine praktische Disziplin auf, aus Haß gegen die Albernheiten der Gnostik und gegen die Anmaßung der Philosophen. Von allen Seiten schickte man mir Botschaften. Von weiter Ferne kam man mich zu besuchen. Unterdessen folterte das Volk die Gläubigen und der Durst nach dem Martyrium zog mich nach Alexandrien. Die Verfolgung war seit drei Tagen eingestellt worden! Als ich davon zurückkam, wurde ich aufgehalten durch eine Menschenwelle vor dem Serapistempel. Das war, wie man mir sagte, ein letztes warnendes Beispiel, das der Statthalter geben wollte. In der Mitte der Säulenhalle, in voller Sonne, war ein nacktes Weib an eine Säule festgebunden, zwei Soldaten peitschten sie mit Riemengeißeln; bei jedem Hieb wand sich ihr ganzer Körper. Sie beugte sich zurück mit offenem Munde, – und über die Menge hinweg, durch ihre langen Haare, welche ihre Züge bedeckten, glaubte ich Ammonaria zu erkennen. Allein ... diese da war größer – und schön – wunderschön! Fährt mit den Händen über die Stirn. Nein, nein! Ich will nicht daran denken!

Ein anderesmal rief mich Athanasius, ich solle ihn gegen die Arianer stützen. Im ganzen blieb es bei Beschimpfungen und Gelächter. Aber seitdem ist er verleumdet, abgesetzt und verjagt worden. Wo ist er jetzt? Ich weiß nichts. Man kümmert sich viel darum, nur Nachrichten zu bringen! All meine Schüler haben mich verlassen, Hilarion wie die andern.

Er war vielleicht 15 Jahre alt, als er kam, und so intelligent und wißbegierig, daß er mir jeden Augenblick Fragen stellte. Dann hörte er zu mit nachdenklicher Miene, und die Dinge, deren ich bedurfte, brachte er mir ohne Murren, behende wie ein Zicklein, im übrigen fröhlich, daß er die Patriarchen zum Lachen gebracht hätte. Das war ein Sohn für mich!

Der Himmel ist rot, die Erde vollkommen schwarz. Unter den Windstößen erheben sich Sandwolken wie große Leichentücher und fallen dann wieder zurück. Plötzlich, in einer Lichtung, ziehen Vögel vorüber, welche eine dreieckige Gruppe bilden, ähnlich einem Stück Metall, dessen Rand in zitternde Schwingungen geraten ist. Antonius sieht ihnen nach.

Ach wie gerne wollte ich ihnen folgen!

Wie oft habe ich nicht auch mit Neid die langen Schiffe betrachtet, deren Segel gleich Flügel sind, besonders, wenn sie diejenigen mit sich in die Ferne nahmen, die ich bei mir aufgenommen hatte. Was hatten wir für gute Stunden! Welch ein Ergießen! Keiner hat mich mehr gefesselt als Ammon; er erzählte mir von seiner Reise nach Rom, von den Katakomben, dem Kolosseum, der Frömmigkeit erlauchter Frauen, und tausend anderen Dingen! – und ich habe nicht mit ihm ziehen wollen!

Woher kommt meine Hartnäckigkeit, ein derartiges Leben weiterzuführen? Ich hätte gut getan, bei den Mönchen von Nitrium zu bleiben, da sie mich doch inständig darum gebeten hatten. Sie bewohnen Einzelzellen und stehen trotzdem untereinander in Verbindung. Am Sonntag ruft die Trompete sie in die Kirche zusammen, wo man drei Strickpeitschen hängen sieht, die dazu dienen, die Missetäter, die Diebe und die Einbrecher, zu bestrafen; denn ihre Disziplin ist streng. Bei alledem fehlt es ihnen nicht an gewissen Annehmlichkeiten. Gläubige bringen ihnen Eier, Früchte und sogar Instrumente, um sich die Dornen aus den Füßen zu ziehen. Weingärten liegen um Pisperi, die Leute von Pabenum haben ein Floß, um Lebensmittel zu holen.

Hilarion als Knabe.

Ich hätte aber meinen Brüdern besser gedient, wäre ich einfach Priester geworden.

Man hilft den Armen, verteilt die Sakramente, man hat ein Ansehen in den Familien.

Im übrigen sind auch die Laien nicht alle verdammt und es läge nur an mir ... zum Beispiel ... Grammatiker, Philosoph zu werden. Ich hätte in meinem Zimmer eine Sphäre aus Rohr, immer Schreibtäfelchen zur Hand, junge Leute um mich, und an meiner Türe, als Kennzeichen aufgehängt, einen Lorbeerkranz.

Aber es steckt zu viel Hoffart in diesen Triumphen, Soldat sein wäre besser. Ich war stark und kühn – hinreichend um die Seile der Wurfmaschinen zu spannen, dunkle Wälder zu durchstreifen, mit dem Helm auf dem Kopfe in rauchende Städte einzudringen! ... Nichts hinderte mich auch daran, mit meinem Gelde eine Stelle als Zollbeamter an irgendeiner Brücke zu kaufen, und die Reisenden hätten mir Geschichten erzählt, und aus ihrem Gepäck eine Menge merkwürdiger Dinge gezeigt.

Die Kaufleute von Alexandrien fahren an Festtagen auf dem Fluß von Kanopus und trinken Wein aus den Kelchen des Lotos, beim Lärm der Tamburine, welche die Kneipen längs der Ufer erzittern machen. Jenseits schützen kegelförmig geschnittene Bäume die ruhigen Gutshöfe gegen den Südwind. Das Dach des Hauses stützt sich auf schlanke kleine Säulen, die so nahe stehen wie die Stäbe eines Gitters, und durch ihre Zwischenräume überschaut der Hausherr, ausgestreckt auf einen langen Liegestuhl, all seine Felder ringsum, mit den Jägern im Korn, der Kelter, in welcher man den Wein preßt, mit den Ochsen, welche das Getreide stampfen. Seine Kinder spielen auf dem Boden, seine Frau neigt sich, um ihn zu umarmen.

In der weißlichen Dunkelheit der Nacht erscheinen hier und dort spitze Schnauzen, mit ganz geraden Ohren und funkelnden Augen. Antonius geht auf sie zu; Steine rollen, die Tiere fliehen. Es war eine Herde Schakale.

Ein einziges ist zurückgeblieben, es hält sich auf zwei Pfoten, den Körper im Halbkreis und den Kopf schief, in einer Haltung voll Mißtrauens.

Wie ist es schön! Ich möchte ihm sanft über den Rücken streicheln.

Antonius pfeift, um es anzulocken. Das Schakal verschwindet.

Ah! Es läuft zu den andern! O diese Einsamkeit! Diese Langweile!

Bitter lachend.

Ein schönes Dasein: Stöcke vom Palmbaum im Feuer zu drehen um daraus Hirtenstäbe zu machen, Körbe zu formen und Matten zu nähen, dann all das mit den Nomaden auszutauschen gegen Brot, an dem Du dir die Zähne ausbeißen kannst! Ach über mein Elend! So wird das niemals enden? Selbst der Tod wäre besser! Ich kann nicht mehr! genug, genug!

Stampft auf, geht raschen Schrittes in der Felsenmitte umher, bleibt endlich atemlos stehen, bricht in Schluchzen aus, wirft sich seitlings auf die Erde.

Die Nacht ist ruhig, zahlreiche Sterne flimmern, man hört nur das Klappern der Taranteln.

Die beiden Arme des Kreuzes bilden einen Schatten auf dem Sande. Antonius, weinend, bemerkt ihn.

Bin ich gar so schwach, mein Gott! Mut, steh auf!

Er tritt in seine Hütte, entdeckt eine vergrabene Kohle, zündet eine Leuchte an und stellt sie auf die Holzsäule, so daß das dicke Buch beleuchtet wird.

Wenn ich nähme ... das Leben der Apostel? ... Ja! ... gleichgültig wo! »Er sah den Himmel aufgetan mit einem großen Tuch, das herabhing an den vier Zipfeln, in welchen es alle Sorten gab von Tieren der Erde und wilden Bestien, Gewürm und Vögeln; und eine Stimme sagte zu ihm: Petrus, erhebe Dich, töte und iß!«

Demnach wollte der Herr, daß sein Apostel von allem essen sollte? ... während ich ...

Antonius bleibt mit dem Kinn auf der Brust. Das Beben der Buchseiten, welche der Wind bewegt, läßt ihn den Kopf erheben und er liest:

»Die Juden töteten alle ihre Feinde mit Schwertern und sie machten ein großes Blutbad unter ihnen, also daß sie mit denen, so sie haßten, nach Willen taten.«

Es folgt die Aufzählung der Leute, die sie getötet haben! 75 000. Sie haben viel gelitten. Übrigens ihre Feinde waren die Feinde des wahren Gottes. Und wie sie ihre Rache genossen haben mögen, indem sie die Götzendiener niedermetzelten! Die Stadt quoll sicherlich über von Leichen! Da lagen welche am Garteneingang, auf den Treppen, so hochgehäuft in den Zimmern, daß die Türen sich nicht mehr in den Angeln drehten! ...

Aber siehe da, wie ich mich versenke in Gedanken an Mord und Blut!

Er öffnet das Buch an einer anderen Stelle.

»Nebukadnezar warf sich zur Erde aufs Angesicht und betete Daniel an.« Ah, das ist gut! Der Allerhöchste erhöht seine Propheten über die Könige; dieser da lebte doch in Gastmählern, ständig trunken von Hoffart und Lust. Aber Gott, zur Strafe, hat ihn zum Tiere gewandelt. Er lief auf allen Vieren!

Antonius beginnt zu lachen und die Arme ausbreitend, verblättert er mit den Fingerspitzen die Seiten des Buches. Seine Augen fallen auf folgenden Satz:

»Ezechias hatte große Freude über ihre Ankunft.«

»Er zeigte ihnen seine Parfüms, sein Gold und sein Silber, all seine Gewürze, seine wohlriechenden Öle, all seine wertvollen Gefäße und was er noch in seinen Schatzkammern besaß.«

Ich stelle es mir vor ... man sah aufgehäuft bis zur Decke: Edelsteine, Diamanten, Dareiken. Ein Mensch, der davon einen so großen Haufen besitzt, ist nicht mehr den andern gleich. Er träumt, indem er sie betastet, daß er hier das Ergebnis einer Menge unendlicher Anstrengungen inne hat, gleichsam das Leben der Völker, welches er an sich gesaugt und welches er wieder ausgießen könne.