Die Victoria Verschwörung - Andreas Storm - E-Book

Die Victoria Verschwörung E-Book

Andreas Storm

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Beschreibung

Royale Fehltritte, rechte Verschwörer, rätselhafte Morde Die fatale Verbindung zwischen dem Duke of Windsor und Adolf Hitler, drei Morde im Schatten eines historischen Staatsbesuchs und eine mysteriöse Erpressung. In seinem neuen Fall gerät Kunstexperte Lomberg gewaltig unter Druck, ermittelt er doch nicht nur im Auftrag der Krone, sondern auch in eigener Sache …  September 2016. Lennard Lomberg erreicht ein Hilferuf aus London. Sir Douglas McEwan, der Leiter des Royal Collection Trust, ist außer sich. Ein anonymer Erpresser behauptet, dass es sich bei dem Lieblingsgemälde der Queen um eine Fälschung handle und sich das Original in seinem Besitz befinde. Außerdem droht er mit der Enthüllung eines brisanten Komplotts um das Kunstwerk, der das politische London erschüttern würde – und das royale gleich mit. McEwan drängt Lomberg zu äußerster Diskretion. Zumal die Kunstgutachterin Alexandra Cullen, die das Gemälde umgehend untersuchen sollte, inzwischen spurlos verschwunden ist. Unterstützt von seiner Tochter Julie entblättert Lomberg nach und nach das blutige Geheimnis des Gemäldes und stößt dabei tief ins Schattenreich der deutsch-britischen Geheimdiplomatie vor. Doch sowohl die Identität des Erpressers als auch das Schicksal Alexandra Cullens bleiben unklar – und die Uhr tickt unerbittlich. Kriminalrätin Sina Röhm hat sich derweil an die Fersen einer Stiftung geheftet, die im Ruf steht, eine neue Rechtspartei zu finanzieren. Dabei stößt sie auf einen Namen, der Lomberg zu denken gibt und schon bald einen ungeheuerlichen Verdacht in ihm weckt ...

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Seitenzahl: 480

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Andreas Storm

Die Victoria Verschwörung

Kriminalroman

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Über Andreas Storm

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

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Über Andreas Storm

Andreas Storm, geboren 1964, ist langjähriger Geschäftsführer und Partner einer Kommunikationsagentur. »Die Viktoria Verschwörung« ist der dritte Teil seiner Krimiserie um den Kunstexperten und Ermittler Lennard Lomberg. Andreas Storm lebt mit seiner Familie im Bergischen Land bei Köln.

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Über dieses Buch

Royale Fehltritte, rechte Verschwörer, rätselhafte Morde

London, September 2016. Der Leiter der königlichen Kunstsammlung ist außer sich. Ein anonymer Erpresser behauptet, dass es sich bei einem Gemälde aus dem Privatbesitz der Queen um eine Fälschung handelt. Außerdem droht er mit der Enthüllung eines hochbrisanten Komplotts um das Kunstwerk, der das politische London erschüttern würde – und das royale gleich mit.

Im Auftrag der Krone soll Lomberg das Original aufspüren. Dabei entblättert er nicht nur die blutige Vergangenheit des Gemäldes, sondern auch ein düsteres Kapitel deutsch-britischer Geschichte. Und schon bald wecken die mysteriösen Umstände der Erpressung einen ungeheuerlichen Verdacht in ihm …

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Impressum

Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KGBahnhofsvorplatz 150667 Köln

© 2025, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: Marion Blomeyer / Lowlypaper

Covermotiv: © Alan Tunnicliffe Photography / Getty Images

Karte: Christl Glatz | Guter Punkt, München

 

ISBN978-3-462-31279-9

 

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Inhaltsverzeichnis

Motto

Hinweis

Prolog

Dienstag, 25. Mai 1965, 21:25 Uhr, Pienzenauerstraße 53, München-Bogenhausen

Kapitel 1 Nur eine Metapher

Dienstag, 27. September 2016, 10:00 Uhr, 26 Phillimore Place, London W8

Dienstag, 27. September 2016, 11:00 Uhr, The Reform Club, 104 Pall Mall, London SW1

Dienstag, 27. September 2016, 11:40 Uhr, Bundeskriminalamt, Gerhard-Boeden-Straße 2, Meckenheim

Dienstag, 27. September 2016, 11:50 Uhr, The Reform Club, 104 Pall Mall, London SW1

Dienstag, 27. September 2016, 13:30 Uhr, 96 Marylebone Lane, London W1

Dienstag, 27. September 2016, 15:15 Uhr, 12 Hobart Place, London SW1

Dienstag, 27. September 2016, 19:15 Uhr, Royal Collection Trust, St James’s Palace, London W1

Kapitel 2 Die Nachtigall

Montag, 24. Juni 1940, 08:10 Uhr, Esplanade du Trocadéro, Paris

Dienstag, 25. Juni 1940, 08:30 Uhr, 16 Rue de l’Église, Nanterre

Montag, 24. Juni 1940, 10:15 Uhr, Windsor Residenz, 24 Boulevard Suchet, Paris

Dienstag, 25. Juni 1940, 12:15 Uhr, Hotel Le Bristol, 112 Rue du Faubourg Saint-Honoré, Paris

Dienstag, 25. Juni 1940, 16:00 Uhr, Rue Volant, Nanterre

Sechs Tage später, Montag, 1. Juli 1940, 10:15 Uhr, Führerbau, Arcisstraße 12, München

Vier Monate später, Mittwoch, 30. Oktober 1940, 19:30 Uhr, Café de la Poste, 12 Rue de Rosiers, Banyuls-sur-Mer

Kapitel 3 Canaletto

Dienstag, 27. September 2016, 21:29 Uhr, BBC Broadcast Centre, 201 Woods Lane, London W12

Mittwoch, 28. September 2016, 08:55 Uhr, London Psychiatry Clinic, 55 Harley Street, London W1

Mittwoch, 28. September 2016, 08:59 Uhr, Venusbergweg 9, Bonn

Mittwoch, 28. September 2016, 10:00 Uhr, Carlyle Thompson Lawyers LLP, 1 Grosvenor Road, London SW1

Mittwoch, 28. September 2016, 21:00 Uhr, Goldbergweg 13, Bonn-Bad Godesberg

Donnerstag, 29. September 2016, 10:50 Uhr, Flughafen Köln/Bonn, Altes Terminal

Donnerstag, 29. September 2016, 11:45 Uhr, London Psychiatry Clinic, 55 Harley Street, London W1

Donnerstag, 29. September 2016, 14:05 Uhr, Wohnsitz Peter Barrington, 26 Phillimore Place, London W8

Donnerstag, 29. September 2016, 15:00 Uhr, The Wallace Collection, Manchester Square, London W1

Donnerstag, 29. September 2016, 20:30 Uhr, 26 Phillimore Place, London W8

Donnerstag, 29. September 2016, 20:00 Uhr, Paddington Apartments, 134 Gloucester Terrace, London W2

Kapitel 4 Elf Tage im Mai (Tag 1 bis 7)

Dienstag, 18. Mai 1965, 09:15 Uhr, Pienzenauerstraße 53, München-Bogenhausen, Tag 1 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Dienstag, 18. Mai 1965, 09:30 Uhr, Geschwister-Scholl-Realschule, Meckenheim, Tag 1 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Dienstag, 18. Mai 1965, 09:45 Uhr, Staatsgut Kottenforst, Tag 1 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Zwei Tage später, Donnerstag, 20. Mai 1965, 16:45 Uhr, britische Botschaft, Friedrich-Ebert-Allee 1, Bonn, Tag 3 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Samstag, 22. Mai 1965, 13:45 Uhr, Residenz des britischen Botschafters, Heisterbachstraße 39, Bonn-Bad Godesberg, Tag 5 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Sonntag, 23. Mai 1965, 10:50 Uhr, Universitätsklinikum, Sigmund-Freud-Straße 25, Bonn, Tag 6 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Montag, 24. Mai 1965, 10:40 Uhr, britische Botschaft, Friedrich-Ebert-Allee 1, Bonn, Tag 7 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Montag, 24. Mai 1965, 13:30 Uhr, Hotel-Restaurant Kronenschlösschen, Rheinallee, Eltville, Tag 7 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Kapitel 5 Sagen, was ist

Freitag, 30. September 2016, 10:15 Uhr, 71 Lime Grove, Shepherd’s Bush, London W12

Freitag, 30. September 2016, 11:07 Uhr, St John’s Wood Church Gardens, London NW8

Freitag, 30. September 2016, 14:00 Uhr, The Reform Club, 104 Pall Mall, London SW1

Freitag, 30. September 2016, 21:15 Uhr, Wohnsitz Peter Barrington, 26 Phillimore Place, London W8

Freitag, 30. September 2016, 21.30 Uhr, The Thin White Duke, 88 Phillimore Gardens, London

Samstag, 1. Oktober 2016, 10:30 Uhr, Domaine Clos des Pins, Beaumes-de-Venise

Samstag, 1. Oktober 2016, 11:00 Uhr, Hampstead Heath, Parliament Hill Viewpoint, London NW3

Samstag, 1. Oktober 2016, 14:45 Uhr, 71 Lime Grove, Shepherd’s Bush, London W12

Kapitel 6 Elf Tage im Mai (Tag 7 bis 11)

Montag, 24. Mai 1965, 20:01 Uhr, Hotel Dreesen, Rheinstraße 45–49, Bonn-Bad Godesberg, Tag 7 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Montag, 24. Mai 1965, 20:45 Uhr, Liblarer See, Erftstadt, Tag 7 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Montag, 24. Mai 1965, 21:10 Uhr, Residenz des britischen Botschafters, Heisterbachstraße 39, Bonn-Bad Godesberg, Tag 7 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Dienstag, 25. Mai 1965, 08:45 Uhr, Pienzenauerstraße 53, München-Bogenhausen, Tag 8 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Dienstag, 25. Mai 1965, 17:00 Uhr, Pienzenauerstraße 53, München-Bogenhausen, Tag 8 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Dienstag, 25. Mai 1965, 21:20 Uhr, Pienzenauerstraße 53, München-Bogenhausen, Tag 8 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Elf Minuten später, Dienstag, 25. Mai 1965, 21:31 Uhr, Pienzenauerstraße 53, München-Bogenhausen, Tag 8 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Mittwoch, 26. Mai 1965, 10:15 Uhr, Pienzenauerstraße 53, München-Bogenhausen, Tag 9 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Donnerstag, 27. Mai 1965, 14:00 Uhr, britische Botschaft, Friedrich-Ebert-Allee 1, Bonn-Bad Godesberg, Tag 10 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Freitag, 28. Mai 1965, 10:05 Uhr, Hotel-Restaurant Kronenschlösschen, Rheinallee, Eltville, Tag 11 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Freitag, 28. Mai 1965, 11:15 Uhr, Rat der Freien und Hansestadt Hamburg, 1, Tag 11 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Freitag, 28. Mai 1965, 22:30 Uhr, Landungsbrücken Hamburger Hafen, Tag 11 des Staatsbesuchs von Queen Elizabeth II.

Kapitel 7 Winston

Samstag, 1. Oktober 2016, 16:15 Uhr, Regent’s Canal, Maida Hill Tunnel, London NW8

Samstag, 1. Oktober 2016, 16:30 Uhr, 71 Lime Grove, Shepherd’s Bush, W12 London

Samstag, 1. Oktober 2016, 17:20 Uhr, Heathrow Airport, London Borough of Hillingdon

Samstag, 1. Oktober 2016, 17:30 Uhr, 10 Lodge Road, St John’s Wood, London NW8

Samstag, 1. Oktober 2016, 18:15 Uhr, King’s College Hospital, Denmark Hill, London SE5

Samstag, 1. Oktober 2016, 20:15 Uhr, Rules Restaurant, 35 Maiden Lane, London WC2

Sonntag, 2. Oktober 2016, 09:10 Uhr, King’s College Hospital, Denmark Hill, London SE5

Sonntag, 2. Oktober 2016, 09:15 Uhr, 26 Phillimore Place, London W8

Sonntag, 2. Oktober 2016, 09:20 Uhr, King’s College Hospital, Denmark Hill, London SE5

Sonntag, 2. Oktober 2016, 10:20 Uhr, Holland Park, Chess Playground, London W8

Sonntag, 2. Oktober 2016, 14:15 Uhr, 26 Pembridge Mews, Notting Hill, London W11

Sonntag, 2. Oktober 2016, 16:10 Uhr, Domaine Clos des Pins, Beaumes-de-Venise, Départment Vaucluse

Sonntag, 2. Oktober 2016, 16:10 Uhr, Taxi auf dem Weg von Notting Hill nach Chelsea, London SW3

Sonntag, 2. Oktober 2016, 17:20 Uhr, 12 Durham Place, Chelsea, London SW3

Montag, 3. Oktober 2016, 11:30 Uhr, 10 Lodge Road, St John’s Wood, London NW8

Dienstag, 4. Oktober 2016, 11:12 Uhr, Hampstead Heath, Parliament View Point, London, NW3

Epilog

Samstag, 5. November 2016, 22:00 Uhr, Domaine Clos des Pins, Beaumes-de-Venise, Départment Vaucluse

Figurenverzeichnis

Anmerkungen & Dank

Never complain, never explain

Benjamin Disraeli, britischer Premierminister in den Jahren 1874 bis 1880

Im hinteren Teil des Buches finden Sie ein Glossar zur Erläuterung von Begriffen.

Prolog

Dienstag, 25. Mai 1965, 21:25 Uhr, Pienzenauerstraße 53, München-Bogenhausen

Wie bequem. Bei seinem letzten Auftrag hatte er jüngst noch bei zweistelligen Minusgraden über ein vereistes Ziegeldach balancieren müssen. Mit einer Seilwinde war er durch den Kamin in das Zielobjekt gelangt. Hier und heute war er einfach durch eine offen stehende Tür spaziert, die von der Garage direkt ins Haus führte. Er blickte auf seine Uhr. Der schlechte Schauspieler war jetzt seit zwanzig Minuten drinnen. Es hieß, der Gastgeber würde ihm sicher noch einen letzten Drink anbieten. Es konnte losgehen.

Leise betrat er das große Wohnzimmer. An dessen Ende konnte er schon die Tür zum Arbeitszimmer ausmachen, sie stand einen Spaltbreit offen. Ein Lichtstrahl fiel von dort in den nur schwach beleuchteten Raum und wies ihm den Weg. Er hielt kurz inne, setzte sich dann aber gleich wieder in Bewegung. Behutsam glitt er über den hochflorigen Teppichboden, der das Geräusch seiner Schritte schluckte. Plötzlich spürte er einen spitzen Gegenstand unter seiner Schuhsohle und kam kurz ins Schlingern. Er bückte sich, griff nach dem Gegenstand und spürte kantiges Plastik in seinen Fingern. Er richtete sich wieder auf und hielt den Gegenstand ins Licht. Ein Legostein. Wieder blickte er auf die Uhr. 21:28 Uhr. Und schon im nächsten Moment vernahm er das Geräusch, auf das er gewartet hatte. Zwei dumpfe Schläge, gefolgt vom Aufprall eines Körpers auf hartem Untergrund.

Er war jetzt ins Arbeitszimmer getreten. Sein Blick fiel auf die verschobene Regalwand und in den dahinter liegenden, hell erleuchteten Raum. Er trat weiter vor und tauchte in das gleißende Licht ein.

»Guten Abend.«

»Immerhin, Sie sind pünktlich.« Der Hausherr machte keinerlei Anstalten, sich zu ihm umzudrehen, er sah nur auf den leblosen Körper herab. Der Schmauch lag noch in der Luft. Die erste Kugel war ins Genick eingetreten, die zweite unter dem linken Schulterblatt.

»Saubere Arbeit.«

»Dann ist das jetzt Ihre Angelegenheit.« Der Hausherr wandte sich ihm zu. »Schaffen Sie mir den hier bitte schleunigst aus dem Haus. Ich sorge dann für Ordnung.«

»Natürlich. Sie müssten mir aber bitte noch die Waffe aushändigen, die man Ihnen geliehen hat.« Er deutete auf die Walther PPK mit aufgesetztem Schalldämpfer, die der Mann in seiner Hand hielt. Gleichmütig reichte er sie ihm.

»Es ging um das Bild, nicht wahr?«

Der Mann sah ihn verwundert an.

»Ich weiß, geht mich ja nichts an.«

»Nein, tut es nicht«, sagte der Mann und wandte sich ab. Die erste Kugel traf ihn ins Genick. Die zweite bohrte ein Loch unter das linke Schulterblatt und zerriss das Herz in seiner Brust. Sein Körper taumelte kurz, sackte schließlich in sich zusammen und stürzte dann zu Boden.

Mit der Waffe in der Hand blickte er jetzt auf die beiden Leichen herab. Ihre Hände berührten sich leicht. Beinahe zärtlich. Die Suche war vorbei. Sie hatten sich endlich gefunden.

Kapitel 1Nur eine Metapher

Dienstag, 27. September 2016, 10:00 Uhr, 26 Phillimore Place, London W8

Nothing fancy. Die Frage nach dem Dresscode war damit unmissverständlich geklärt. Lennard Lomberg hatte sich für einen Anzug in graublauem Kaschmir-Flanell entschieden, immerhin stand der Herbst nicht mehr nur vor, sondern schon mitten in der Tür. Zumindest im nasskalten London, das sich für die kommenden Monate bereits unter einer grauen Wolkendecke eingerichtet hatte.

Eine Woche zuvor war Lomberg noch mit kleinem Gepäck ins südfranzösische Beaumes-de-Venise gereist. Das Erntefest auf der Domaine Clos des Pins war ein nur zu willkommenes Alibi gewesen, der Routine im Bonner Büro von LenLo International Art Advisors wieder einmal für ein paar Tage aus dem Weg zu gehen. Sein Freund und Geschäftspartner Peter Barrington, im Hauptberuf Großbritanniens Kunstversicherer Nummer eins und in zweiter Instanz Weingutsbesitzer an der südlichen Côtes-du-Rhône, hatte seine engsten Vertrauten eingeladen. Es galt, auf den Jahrgang 2016 anzustoßen, der bereits mit großen Vorschusslorbeeren bedacht worden war, aber erst einmal seinen Platz in den großen Stahltanks der Kellerei gefunden hatte. Am darauffolgenden Tag hatte Peter eine Ortsbegehung auf seiner neu erworbenenen Grenache-Parzelle in Gigondas vorgesehen, bevor ein unvermittelter Anruf aus dem Londoner St James’s Palace den Plan gleich wieder zunichtemachen sollte.

Die Linienmaschine aus Marseille war am späten Montagnachmittag pünktlich in Heathrow gelandet. Von dort war es auf direktem Weg nach Knightsbridge gegangen. Auf Harrods war immer noch Verlass, vor allem, wenn in kurzer Zeit gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden mussten. Nach einem längeren Aufenthalt in der Maßkonfektion hatte Lomberg noch einen kurzen Abstecher in die Parfümerie gemacht, um seinen Vorrat an Floris Spiced Bergamot aufzufüllen. Auch eine Aufmerksamkeit für seine Partnerin Sina Röhm war dort schnell gefunden: Portrait of a Lady von Frederic Malle.

Mit einem Taxi war es dann zum Londoner Wohnsitz seines Freundes am Holland Park gegangen, wo Peters peruanische Haushälterin Olivia die beiden mit einem Chili con Carne begrüßte. Im Anschluss hatte sich Lomberg mit Martin Walkers The Caves of Périgord zurückgezogen und auf den Boten von Harrods gewartet. Eine geruhsame Nacht später umhüllte der am Vorabend made-to-measure in Form gebrachte Anzug Lombergs Körper nunmehr wie eine zweite Haut. Es war angerichtet.

»Buen día, Sir Lennard. Was darf ich Ihnen bringen?«

»Guten Morgen, Olivia. Einen Breakfast Tea bitte. Und ein stilles Wasser.«

»Dios mío. Sie müssen doch vor der Arbeit etwas Vernünftiges essen.«

»Okay, wenn Sie darauf bestehen, dann nehme ich dazu eine Scheibe Toast. Und bitte einfach nur Lennard.«

Lomberg hatte am freien Kopfende des Esszimmertischs Platz genommen und sah Peter erwartungsvoll an, der sich jedoch hinter seiner Financial Times versteckt hielt.

»Und?« Lomberg deutete auf seine Krawatte.

Peter blinzelte flüchtig über den Zeitungsrand. »Damit solltest du an der Tür keine Probleme bekommen.«

»Probleme an der Tür? Das wäre ja noch schöner. Ich will doch nicht ins Berghain.«

»Berghain?«

»Ein Gentlemen’s Club in Berlin.« Lomberg musste grinsen.

»Kenne ich nicht«, antwortete Peter mürrisch und widmete sich weiter den Börsenkursen.

»Seit wann arbeitest du eigentlich für den Royal Collection Trust?«

»Seit 2008. Die Princess Royal hat mich und McEwan damals zusammengebracht.«

»Ich habe McEwan auch mal flüchtig kennengelernt.«

»Ach ja?«

»Willst du meine Meinung hören?«

»Immer doch.«

»Der Typ ist ein ziemlicher Kotzbrocken.«

Peters Reaktion ließ eine Weile auf sich warten. Schließlich legte er die Zeitung zur Seite. »Ich wäre dir sehr verbunden, Lenn, wenn du deine sogenannte Meinung bei unserem Treffen mit Sir Douglas nicht allzu offensichtlich werden lässt.«

Dienstag, 27. September 2016, 11:00 Uhr, The Reform Club, 104 Pall Mall, London SW1

Winston Churchill, Arthur Conan Doyle, H.G. Wells, diverse Lord Grosvenors und sogar die Duchess of Cornwall – Peter Barrington befand sich als langjähriges Mitglied des Reform Club in prominenter Gesellschaft. Zu dieser zählte auch Douglas McEwan. Der Kunsthistoriker hatte 1998 seinen Posten als Chancellor der Universität von Edinburgh gegen den Direktorensessel beim Royal Collection Trust getauscht.

Warum der langjährige Chef-Kurator der königlichen Kunstsammlung den so dringend einbestellten Besuch nicht an seinem Dienstsitz im St James’s Palace empfangen wollte, sondern die Diskretion des Clubs vorzog, hatte schon vorher Raum für Spekulationen gelassen. Umso mehr, da McEwan zuvor über die genauen Hintergründe seines Problems geschwiegen hatte. In Windsor Castle ist ein Gemälde von der Wand gefallen, mehr weiß ich auch noch nicht, hatte ein wortkarger Peter Barrington nach seinem Telefonat mit McEwan zu berichten gewusst. Eine Bestätigung des kurzfristigen Termins sei jedoch alternativlos gewesen und Lombergs Teilnahme ausdrücklich erwünscht.

»Auf die Minute pünktlich.« Der Gastgeber deutete mit dem Zeigefinger auf die Wanduhr im holzgetäfelten Foyer und grinste.

»Pünktlichkeit ist die Seele des Geschäfts! Wie schön, dich zu sehen, mein lieber Douglas.« Peter schien gleich zu Hochform aufzulaufen. Was durchaus angebracht war, schließlich galt der Termin seinem größten Kunden. Dank Barringtons gutem Draht zu seinem Clubkollegen McEwan hatte sich der Kunstversicherer Walcott Plc. über die Jahre das Mandat für rund die Hälfte der vom Royal Collection Trust behüteten Kunstschätze sichern können. Dass Peter den CEO-Posten bei Walcott schon bald aufgeben würde, war immer noch nicht offiziell verkündet worden und durfte darum vorläufig mit keiner Silbe erwähnt werden.

»Danke, dass es die Gentlemen so kurzfristig einrichten konnten.«

»Darf ich vorstellen, Douglas, Dr. Lennard Lomberg aus Bonn. Wenn ich nur einem Menschen mein Vertrauen schenken dürfte, wäre das meine Sekretärin Patricia, aber mein Freund Lenn käme gleich danach.«

»Wie reizend«, gab Lomberg erst an Peter zurück, um sodann McEwan mit heiterer Miene zu bedeuten, dass er mit dem speziellen Humor seines Kompagnons umzugehen wusste.

»Willkommen im Reform Club, Mr Lomberg. Ist das Ihr erster Besuch in unserem bescheidenen Heim?«

»Danke, Sir Douglas. Bisher hat es nur für die Library gereicht, aber in der Hansard Bar ist es meine Premiere. Ein wunderbarer Ort.«

»Ich bin mir nicht ganz sicher, aber hatten wir nicht schon mal das Vergnügen?«

»Hatten wir. Aber nur sehr flüchtig. 2011, die Gerhard-Richter-Werkschau in der Tate Gallery.«

»Ja, wo Sie es sagen, jetzt erinnere ich mich.«

»Wir sind über die Richter-Porträts der Queen ins Gespräch gekommen«, half ihm Lomberg auf die Sprünge.

»Stimmt. Ich habe Ihnen vermutlich schon damals gesagt, dass ich mit Richter nie viel anfangen konnte, was sich, nebenbei bemerkt, seitdem auch nicht geändert hat.«

»Daran kann ich mich nicht wirklich erinnern«, log Lomberg. »Wohl aber, dass wir von Richter auf Warhol und seine Queen-Porträts von 1982 kamen. Bekanntlich befinden sich ja zwei Originaldrucke im Besitz der königlichen Sammlung. Und wie es heißt, schätzt Ihre Majestät diese sehr.«

»Das ist eigentlich schon eine gute Überleitung, Mr Lomberg. Aber setzen wir uns doch erst mal.« McEwan deutete auf einen Platz in der hintersten Ecke der Hansard Bar, an dem sich bereits ein Kellner älteren Semesters in Stellung gebracht hatte.

»Guten Tag, Sir Peter, wie schön, Sie wieder bei uns begrüßen zu dürfen.«

»Danke, Trevor. Ganz meinerseits. Es hieß, es gab jüngst ein kleines Problem. Nierensteine? Habe ich mir das richtig gemerkt?«

»Kleines Problem wäre maßlos übertrieben, Sir. Es war lediglich die Gallenblase. Ein mithin verzichtbares Organ, wie ich nunmehr betonen kann. Das Übliche?«

»Da bin ich beruhigt. Und ja, einen doppelten Islay, bitte. Ein Teil Soda. Es ist ja erst elf.«

»Sir Douglas?«

»Ich schließe mich an.«

»Der Gentleman?«

»Ich hätte gerne eine Tasse Tee.«

»Ich könnte Ihnen einen Earl Grey bringen.«

»Gerne.«

»Egg mayonnaise, mustard cress. Roast beef, horseradish. Smoked Ham piccalilli. Dazu mixed leaves, crisps und coleslaw.« Chefkellner Trevor deutete bei seinen Ausführungen auf die silberne Etagere mit den vorbereiteten Sandwiches und zog sich dann mit einem angedeuteten Diener lautlos zurück.

»Wir könnten dann zur Sache kommen.« McEwan ließ seine Worte einen Moment stehen und versicherte sich der Aufmerksamkeit seiner Besucher mit einem prüfenden Blick. Dann griff er in die Innentasche seines Tweedsakkos, zog eine Fotografie hervor und legte sie auf den Glastisch. Für die beiden Besucher nun unschwer zu erraten, handelte es sich bei dem darauf abgebildeten Aquarellgemälde um den Grund ihrer Zusammenkunft.

»Sagt Ihnen das etwas, Gentlemen?« McEwan hatte gezielt Lomberg adressiert. Und auch Peter sah ihn nun mit erwartungsvoller Miene an.

»Herr Doktor?«

»Johann Hermann Kretzschmer.« Lomberg wandte sich zu McEwan, erntete ein Nicken und nahm den Faden gleich wieder auf. »Queen Victoria und Friedrich Wilhelm IV., Sommer 1845. Victoria und Prince Albert hatten das Rheintal bereist und Station in Brühl gemacht. Schloss Augustusburg.«

»Respekt, Mr Lomberg. Darf ich annehmen, dass Sie uns sogar noch mehr über das Werk sagen können?«

»Das Gemälde war meines Wissens seitdem, also seit 1845, Teil der königlichen Sammlung …«

»Das ist korrekt.«

»Aber dann kam es auf Abwege …«

»Ich höre.«

»Wo sich das Gemälde zu Lebzeiten von Queen Victoria befand, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich kann jedoch mit Gewissheit sagen, dass es spätestens ab Mitte der 1920er zum Hausstand des Prince of Wales auf Fort Belvedere zählte, das belegen Fotografien aus jener Zeit. Dort blieb es auch während seiner kurzen Regentschaft als Edward VIII., also im Jahr 1936. Nach seiner Abdankung nahm es Edward mit in sein Pariser Exil. Das Bild hing ab da in der königlichen Residenz am Boulevard Suchet – und zwar bis ins Jahr 1940. Was danach mit dem Bild geschehen ist, liegt im Dunkeln.«

»Die Nazis haben es sich unter den Nagel gerissen«, warf McEwan ein.

»So die einhellige Meinung der Experten«, bestätigte Lomberg. »Aber man weiß nicht, wann und wie. Und genauso wenig, in wessen Händen sich das Werk nach dem Krieg befand. Im Frühjahr 1965 jedoch taucht es überraschend wieder auf und wird pünktlich zum Staatsbesuch von Queen Elizabeth an die Krone zurückgegeben. Als sogenanntes Gastgeschenk.«

»Ich bin wirklich beeindruckt, Mr Lomberg, was nicht sehr häufig vorkommt.«

»Es ist purer Zufall, dass ich mit der Geschichte des Gemäldes einigermaßen vertraut bin.«

»Eine Erklärung wird es dafür aber dennoch geben, würde ich meinen?«

»Im Rahmen meiner Doktorarbeit bin ich unter anderem auf Victoria 1845 gestoßen. Das ist aber schon ein paar Jahre her.«

»In welchem Zusammenhang, wenn ich fragen darf?«

»Im Zusammenhang mit der fragwürdigen Restitutions-Politik im Nachkriegsdeutschland. Victoria 1845 ist ein Paradebeispiel dafür, dass die Rückführung von requirierten Kunstwerken damals bevorzugt auf dem kurzen Dienstweg organisiert wurde. Um möglichst keine Präzedenzfälle zu schaffen, auf die sich andere Anspruchssteller hätten berufen können.«

McEwan nickte Lomberg abermals anerkennend zu. »Ich hatte nicht erwartet, dass Peter so viel Expertise dabeihaben würde. Das weiß ich sehr zu schätzen. Aber warum dann so zaghaft?«

»Wie meinen Sie das, Sir Douglas?«

»Sie sagten eben, es läge im Dunkel, wann und wie das Gemälde aus der Residenz des Duke verschwinden konnte. Aber liegt das nicht auf der Hand?«

Lomberg zögerte. In der Tat hatte er dafür eine schlüssige Erklärung. Und die war McEwan sicher bekannt. Scheinbar aber wollte er sie aus dem Mund eines Deutschen hören. »Der Einmarsch der Wehrmacht erfolgte im Juni 1940. Edward hatte Paris da bereits verlassen. Seine Residenz stand fortan unter Bewachung der SS. Es wird ein Leichtes gewesen sein, das Gemälde dort sicherzustellen. Im Zweifel gelangte das Bild unter die Kontrolle des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg. Vieles spricht also dafür, dass sich der Raub gleich zu Beginn der Besatzung zugetragen hat, und dass Victoria 1845 in der Folge nach Deutschland gebracht wurde. Der weitere Fortgang, ich meine die Restitution des Jahres 1965, lässt vermuten, dass sich das Gemälde auch nach dem Krieg dort befunden hat. Wahrscheinlich in unrechtmäßigem Privatbesitz, womöglich aber auch im Depot eines Museums.«

McEwan lächelte zufrieden. »Das ist doch eine sehr plausible Theorie, würde ich meinen?«

»Plausibel allemal. Aber es ist eben nur eine Theorie«, entgegnete Lomberg kühl und sah hinüber zu Peter, der den Kellner zu sich gerufen hatte.

»Sir Peter?«

»Trevor, bitte richten Sie der Küche doch aus, dass die Sandwiches wieder ganz exzellent sind.«

»Gerne doch«, gab der Kellner zurück und verschwand so unverzüglich, wie er gekommen war.

»Sorry Lenn, ich wollte dich nicht unterbrechen.«

»Hast du nicht. Ich war fertig.«

»Also, die Theorie.« Barrington wandte sich McEwan zu. »Nachvollziehbar, oder?«

»Unbedingt, wie gesagt. Den Ausführungen von Mr Lomberg ist nichts hinzuzufügen.«

Lomberg musste sich ein Grinsen verkneifen, er hatte es schon geahnt. Die Erörterung der zweiten Theorie wollte Peter seinem Kunden offensichtlich ersparen, denn diese war deutlich unappetitlicher. Sie handelte von der bemerkenswerten Sympathie des britischen Exilkönigs für das Nazi-Regime, und die hatte Lomberg in seiner Doktorarbeit zwangsläufig beleuchten müssen. 1959 waren mit der Veröffentlichung der sogenannten Windsor-Akte höchstpeinliche Details bekannt geworden, in deren Fahrwasser sich schließlich ein ehemaliger Kammerdiener vom Boulevard Suchet zu Wort melden sollte. Gegenüber einem Redakteur von Paris Match hatte er die Behauptung aufgestellt, Ohrenzeuge eines Gesprächs zwischen Edward und Wallis Simpson gewesen zu sein. In diesem hatte das Paar angeblich über eine Schenkung des Gemäldes an Hitler gesprochen, die während einer privaten Berghof-Audienz im Oktober 1937 auch schon mit dem Führer vereinbart worden sei. Victoria 1845 sollte demzufolge nach Fertigstellung des geplanten Führermuseums in Linz in deutschen Besitz übergehen. Bekanntlich war es zu der Schenkung nie gekommen, Paris Match jedoch hatte die Behauptungen des Mannes damals ungefiltert gedruckt. Das Gerücht über die angebliche Schenkungsabsicht hatte sich seitdem hartnäckig gehalten.

»Also gut. Ich denke, es ist jetzt an der Zeit, auf den eigentlichen Grund unseres Treffens zu sprechen zu kommen, Gentlemen.« McEwan räusperte sich und setzte dann neu an. »Sie waren eben auf die Rückgabe des Werks durch die deutsche Regierung im Jahr 1965 zu sprechen gekommen, Mr Lomberg. Wie Sie schon sagten, kam diese einigermaßen überraschend zustande. Ich meine, das Bild galt ja schon seit fünfundzwanzig Jahren als verschollen. Umso bemerkenswerter scheint mir, dass man damals auch überhaupt keine Fragen gestellt hat. Weder wollte man wissen, wie Victoria 1845 überhaupt in deutsche Hände geraten konnte, noch, wo sich das Gemälde die ganze Zeit danach befand. Und erst recht nicht, wie es dann offenbar so leicht wiederbeschafft werden konnte.«

»Von wem ging die Initiative zur Rückführung damals denn aus?«, warf Peter ein. »Haben die Deutschen das aus freien Stücken gemacht oder wurden sie von uns dazu gedrängt?«

»Um ehrlich zu sein, wir wissen es nicht«, antwortete McEwan, was seine beiden Gesprächspartner überrascht aufblicken ließ. »Wir, sprich Buckingham Palace und der Trust, finden dazu nicht den geringsten Hinweis in unseren Akten. Ich halte es zwar für nicht sehr wahrscheinlich, dass die Deutschen das damals freiwillig gemacht haben. Aber es gibt eben auch keinen Beleg darüber, dass es je eine Restitutionsforderung von britischer Seite gegeben hat.«

»Aber es gibt doch sicher ein Echtheits-Zertifikat?«, wollte Lomberg wissen. »Ich meine, das sogenannte Gastgeschenk hat man in London doch bestimmt unter die Lupe genommen.«

»Nein, das gibt es nicht«, antwortete McEwan, verstummte abrupt und griff, etwas verlegen, nach seinem Glas.

Lomberg nickte und schwieg. Peter blickte peinlich berührt, und auch McEwan hielt Lombergs fragendem Blick nicht lange stand. Offensichtlich hatten sich die beiden schon weit ausführlicher über McEwans Problem ausgetauscht, als es Peter zuvor einräumen wollte. Fürs Erste entschied Lomberg, darüber hinwegzusehen. »Habe ich das richtig verstanden, Sir Douglas? Peter sprach davon, das Bild würde auf Windsor Castle hängen?«

»Das ist korrekt.«

»In den Privatgemächern der Queen, sagte er.«

»Exakt. Es hängt an der Wand, die das Schlafzimmer der Queen von ihrem Bad trennt. Seit einundfünfzig Jahren. Sprich, seit 1965.«

»An einem sehr privaten Ort, möchten Sie sagen?«

»Am intimsten Ort des Vereinigten Königreichs, Mr Lomberg. Und daraus können Sie auch schließen, welche Bedeutung das Gemälde für Ihre Majestät hat. Und wie groß ihre Erschütterung sein würde, sollte sie erfahren, dass sie da über ein halbes Jahrhundert hinweg eine verdammte Fälschung hängen hatte.«

»Das heißt, sie weiß es noch nicht?«

»Nein. Und ich habe auch nicht vor, das zu ändern. Und was für die Königin gilt, gilt auch für die Regierung, für die Presse und für jeden anderen, außer uns dreien. Nichts davon darf an die Öffentlichkeit geraten. Nicht, solange wir nicht herausfinden konnten, was eigentlich vorgefallen ist, und auch nicht, solange wir keine Lösung für dieses Problem gefunden haben. Der Skandal, der uns um die Ohren fliegen würde, wäre nicht kontrollierbar.«

Lomberg gab sich unbeeindruckt. »Und darum haben Sie Peter gebeten, Ihnen zu Hilfe zu kommen. Was nichts anderes heißt, als dass Sie ihn bereits damit beauftragt haben, Ihr Problem aus der Welt zu schaffen. Und dabei möglichst kein einziges Staubkorn aufzuwirbeln.«

»So ist es, Mr Lomberg. Und das ist auch der Grund, warum Sie hier sitzen. Weil Peter mich wissen ließ, dass er für diese Aufgabe niemand Geeigneteren kennt als Sie.«

»Das ist sehr schmeichelhaft, Sir Douglas. Aber ist das nicht doch ein Fall für Profis? Ich kann gerne einen Kontakt zu Carl Deveraux von Artclaim herstellen.« Lomberg funkelte Peter ärgerlich an, der sich jetzt unbehaglich in seinem Sessel wand.

McEwan war Lombergs Verstimmung nicht entgangen. »Bitte verzeihen Sie, Mr Lomberg, Peter ist unschuldig. Ich hatte ihn dazu verpflichtet, Sie vorerst im Unklaren zu lassen. Ich wollte mir erst einen eigenen Eindruck verschaffen, bevor ich Sie vollständig in diese Angelegenheit einweihe.«

Lomberg schwieg demonstrativ.

»Hören Sie, Mr Lomberg, es wird nicht zu Ihrem Nachteil sein, wenn Sie sich entscheiden, der Krone diesen Dienst zu erweisen. Und im Übrigen würden Sie sich auch um die Beziehungen zwischen dem Königreich und Deutschland verdient machen. Wie ich hörte, sind Sie ja im Besitz von beiden Pässen.«

Lomberg zögerte, ließ seinen Blick eine Weile durch die inzwischen gut besuchte Hansard Bar schweifen und erhob sich dann. »Ich verstehe. Aber die Gentlemen müssten mich bitte einen Moment entschuldigen.«

Dienstag, 27. September 2016, 11:40 Uhr, Bundeskriminalamt, Gerhard-Boeden-Straße 2, Meckenheim

»Ihr Besuch ist da.«

Kriminalrätin Sina Röhm brauchte einen Moment. Seit gut fünf Minuten starrte sie auf das Selfie, das ihr Lomberg gerade aus einem Londoner Gentlemen-Club geschickt hatte.

»Herr Reinhardt wäre dann jetzt …«, setzte ihre Assistenin noch einmal an.

»Danke. Soll bitte reinkommen.«

Röhm legte das Handy zur Seite.

»Kriminalrätin Röhm?«

»Das bin ich. Kommen Sie rein.«

»Carsten Reinhardt, Bundesamt für Verfassungsschutz.«

»Ich habe Sie schon erwartet. Bitte nehmen Sie doch Platz.« Röhm deutete auf einen kleinen Besuchertisch, auf dem das obligatorische Büroensemble aus Kaffeegedeck, Mineralwasser und Fruchtsäften sowie einer Gebäckmischung vom Discounter angerichtet war.

»Sehr freundlich, dass Sie mich empfangen.«

»Gerne. Was kann ich für Sie tun?«

»Ich soll Ihnen zunächst Grüße von Victor Baumann ausrichten.«

Röhm mühte sich, nicht allzu erstaunt zu wirken. Die schon einige Monate zurückliegende Zusammenarbeit mit dem BKA-Kollegen war ausgesprochen zäh verlaufen. Aufgrund einer schweren Erkrankung hatte sich Baumann kurz danach für eine frühzeitige Pensionierung entschieden.

»Danke, Sie kennen sich?«

»Wir sind, wie sagt man so schön, kollegial befreundet. Ich habe ihn vorgestern zu Hause besucht.«

»Geht es ihm besser?«

»Er kommt einigermaßen klar. Aber an eine Rückkehr in den Dienst ist nicht zu denken. Es war ja haarscharf.«

»Ja, das habe ich gehört. Üble Sache.«

»Er hat mir von Ihrer Zusammenarbeit im Frühjahr berichtet. Die Geschichte im Kameha Grand Bonn. Der Franzose, der in einen Glastisch gestürzt ist.« Reinhardts Miene verriet, dass er mehr über den mysteriösen Todesfall wusste, als er sagte. »Darf ich jetzt zu meinem Anliegen kommen.«

»Gerne.«

»Womöglich verfolgen Sie in den Nachrichten das neuerlich eingeleitete Verbotsverfahren gegen die NPD?«

»Ja, am Rande. Wird wohl wieder nichts.«

»Da könnten Sie recht behalten. Die Richter in Karlsruhe werden die konkrete Bedrohung, die von der Partei für die FDGO ausgeht, als eher marginal einstufen. Ein Verbotsurteil ist darum unwahrscheinlich.«

»Um die freiheitliche demokratische Grundordnung mache ich mir bei diesen Holzköpfen auch keine allzu großen Sorgen«, antwortete Röhm ungerührt. »Man sollte denen aber endlich den Geldhahn abdrehen. Völlig unverständlich, dass diese Schreihälse immer noch aus der Staatskasse alimentiert werden.«

»Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Und damit wären wir auch schon fast beim Thema.«

»Ich bin gespannt.«

»Wir wissen aus vertraulichen Quellen …«

»V-Leute?«

Reinhardt blickte betreten zu Boden. »Ich kann Ihnen versichern, Frau Kriminalrätin, dass wir uns diesmal schlauer anstellen.«

»Das ist eine gute Nachricht.«

»Wir haben jedenfalls erfahren, dass es innerhalb der NPD zu Auflösungserscheinungen kommt. Ein Flügel der Partei, ungefähr fünfzig Mitglieder stark, ist gerade dabei, sich abzuspalten. Um sich mit anderen rechten Aktivisten und Gruppierungen außerhalb der NPD zusammenzuschließen.«

»Zu einer neuen Partei?«

»Richtig. Obwohl es bisher nicht zu deren eigentlicher Gründung gekommen ist. Es wurde bislang nur ein Verein angemeldet, der aber schon fleißig Spenden einsammelt, der NDRP e.V. steht für Neue Deutsche Reichspartei. Diesen Namen beabsichtigt die Partei wohl anzunehmen, wenn der Verein im nächsten Jahr in diese umgewandelt wird.«

»Hat das denn Aussicht auf Erfolg?«, hakte Röhm ein. »Das rechte Wählermilieu hat doch eigentlich schon genügend Alternativen …«

»Wie ernst wir diese Leute nehmen müssen, können wir noch nicht sagen. Allerdings verheißt der Parteiname nichts Gutes. Er hat einen historischen Bezug: die Deutsche Reichspartei.«

Röhm zuckte mit den Schultern: »Tut mir leid, das sagt mir nichts.«

»Eine stramm revisionistische Gruppierung, die in den Nachkriegsjahren aktiv war. Ein Sammelbecken von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern und mittleren bis hohen Wehrmachtsangehörigen. 1959 schaffte es die DRP knapp in den Landtag von Rheinland-Pfalz. Darüber hinaus konnte sie sich aber nie wirklich breit etablieren. Die Ironie an der Sache: Aufgrund ihrer Erfolglosigkeit ging die DRP Ende 1965 in der NPD auf.«

»Das klingt in der Tat unschön. Und wer steckt dahinter?«

»Vereinfacht gesagt, sind es politische Kreise, denen die einschlägigen Rechtspopulisten zu weichgespült sind. Zu unentschlossen in ihrer Opposition gegen unsere bestehende staatliche Ordnung. Kreise, die auf der anderen Seite aber bewusst Abstand zum offen neonazistischen Gebrüll der NPD halten.«

»Also die typischen Wölfe im Schafspelz.«

»Das trifft es ziemlich gut.«

»Verstehe. Und wie kann das Dezernat für Kunst- und Kulturgut-Kriminalität in dieser Sache behilflich sein?«

»Wir haben einige Geldströme zurückverfolgen können, die zuletzt in diesen Verein geflossen sind. Dabei sind wir auf eine Spur gestoßen, die nach Liechtenstein führt. Zu einer Stiftung namens Aurora.«

»Auch da muss ich leider passen. Nie gehört.«

»Das ging uns nicht anders.« Reinhardt ließ eine kurze Pause folgen. »Und ehrlich gesagt, außer dem Namen wissen wir bislang herzlich wenig. Weder über Zweck und Aktivitäten der Stiftung noch über Personen, die dort auf welche Art auch immer engagiert sind. Wie so häufig, wird sie von einem Treuhänder verwaltet, durch den der Stifter selbst anonym bleibt. In diesem Fall ist es eine Anwaltskanzlei in Vaduz, Dr. Batliner & Partner.«

»Die wahrscheinlich nicht sehr behilflich ist?«

»Na ja, im Rahmen des neuen Steuertransparenzabkommens zwischen der EU und Liechtenstein wäre man dort zu Auskünften verpflichtet, bis zu einem gewissen Grad jedenfalls. Es greift formal zwar erst ab Beginn des neuen Jahres, de facto ist es aber mit der Ratifizierung des Abkommens schon etabliert. Allerdings erschien es uns aus ermittlungstechnischen Gründen unklug, unnötig früh aus der Deckung zu kommen.«

»Verstehe. Das macht natürlich Sinn.«

»Also haben wir erst mal unsere eigenen Quellen befragt. Um es abzukürzen: Ihre Kollegen von FedPol in der Schweiz konnten uns einen Hinweis geben, den einzigen, den wir bislang haben, muss ich dazu sagen. Der Name Aurora fand sich in den Ermittlungsakten zum Fund eines NS-Beutekunstwerks im Jahr 1996. Man entdeckte damals ein äußerst wertvolles Gemälde in einem Tresor der Luzerner Kantonalbank.«

»Da war ich achtzehn und wollte noch Tierärztin werden«, antwortete Röhm entschuldigend und lächelte.

»Es ging um einen Renoir. Mieter des Banktresors war ein Italiener. Gianfranco Massetto, ein in den Sechzigern und Siebzigern führendes Mitglied des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano.«

»Verstehe …«

»1988 erlitt Massetto im Alter von neunundsechzig Jahren einen Schlaganfall. Der Mann war seitdem schwerstbehindert und lebte darum in einem Pflegeheim in Bozen. Er starb im Juli 1996, zwei Monate vor dem Fund in Luzern. Bei der Regelung des Nachlasses durch einen amtlich bestellten Betreuer stieß dieser dann auf einen Hinweis, der zum Tresor in der Kantonalbank führte.«

»Interessant.« Röhms Blick verriet jetzt eine gewisse Ungeduld.

»Verzeihen Sie den ausschweifenden Exkurs, aber der führt uns jetzt zur Aurora-Stiftung.«

Röhm nickte nur.

»Die Schweizer Bundespolizei wollte dann natürlich mehr über Massetto wissen und bat die italienischen Carabinieri um Amtshilfe. Dadurch geriet zwangsläufig das Pflegeheim in Bozen in den Fokus, von dem man erfahren wollte, wer für Massettos Unterbringung überhaupt all die Jahre aufgekommen war. Eine konkrete Antwort hat man von der Heimleitung damals nicht bekommen. Ein hartnäckiger Polizist aber gelangte über den Umweg des Finanzamtes in Bozen an eine bemerkenswerte Information. Das Pflegeheim erhielt nämlich im März 1988, drei Wochen bevor Massetto dort aufgenommen wurde, eine Spende in Höhe von einhunderttausend Schweizer Franken, umgerechnet etwas mehr als zehn Millionen italienische Lira. Aufgrund dieser doch beachtlichen Summe musste die Spende bei den Finanzbehörden gemeldet werden. Und die vergessen bekanntlich nie.«

»Und diese Spende kam aus Liechtenstein, wollen Sie mir jetzt sagen?«

»So ist es.«

»Das ist in der Tat interessant. Ich nehme an, dass die FedPol dieser Spur gleich nachgegangen ist?«

»Natürlich. Auf Anfrage ließ die Aurora-Stiftung seinerzeit über ihren Treuhänder wissen, dass man keinen Gianfranco Massetto kenne. Der Versuch, einen Zusammenhang zwischen der besagten Person und der Stiftung herzustellen, sei an den Haaren herbeigezogen.«

»Und wie hat das Pflegeheim den Geldregen aus Liechtenstein erklärt?«

»Gar nicht. Es gab eine Intervention vonseiten der Diözese Bozen-Brixen in Richtung der Staatsanwaltschaft, in deren Folge dann nichts mehr erklärt werden musste.«

»Immer das Gleiche mit der Kirche.« Röhm seufzte und blickte dabei auf Reinhardts Smartphone. Zu Beginn ihres Gesprächs hatte er es auf den Tisch gelegt und auf lautlos gestellt. Der zum wiederholten Male anklopfende Anrufer, ließ sich jedoch ganz offensichtlich nicht abschütteln.

»Da ist aber einer hartnäckig.«

»Wenn Sie mich kurz entschuldigen würden, Frau Röhm. Es könnte wichtig sein.«

 

Kriminalrätin Röhm war einen Moment ans Fenster getreten. Ihr Blick fiel auf den Parkplatz, den sich der höhere Dienst der Behörde mit seinen Besuchern teilen musste. Limousinen, Kombis und SUVs aus vorwiegend deutscher Herstellung in verschiedenen Grautönen. Nur ein gelber Sportwagen kontrastierte die Monotonie. Von den deutschen Neu-Rechten zu einer Stiftung in Liechtenstein, über einen Tresor in Luzern und ein Pflegeheim in Bozen wanderten Röhms Gedanken zu Lomberg. Er hatte sich für einige Tage in die Provence verabschiedet. Um auf Peters Weingut noch etwas Sonne zu tanken, wie er gesagt hatte. Röhm hatte zunächst damit geliebäugelt, mitzukommen, sich dann aber doch dagegen entschieden. Sie war sich immer noch nicht ganz sicher, was sie von Lombergs Kompagnon halten sollte. Auf der einen Seite waren da die perfekten Manieren des Sir Peter, die sie unbedingt zu schätzen wusste. Auch sein rabenschwarzer Humor hatte sie schon oft genug zum Lachen gebracht und seine Großzügigkeit fast schon beschämt. Und doch war ihr der einflussreiche Strippenzieher der Londoner Kunstszene nicht ganz geheuer. Was die beiden Halbganoven jetzt plötzlich in England trieben, war ihr immer noch schleierhaft.

 

»Ich bitte um Entschuldigung, mein Vorgesetzter, ein von Natur aus ungeduldiger Mann«, erklärte Reinhardt und legte sein Handy wieder zur Seite. Röhm kehrte zu ihm an den Tisch zurück.

»Also, Kollege, ich fasse jetzt mal zusammen, was ich verstanden habe. Sie wollen einer neuen deutschen Rechtspartei auf die schmutzigen Finger schauen und nebenbei auch ins Portmonnaie. Bei diesen Nachforschungen taucht dann eine dubiose Stiftung in Liechtenstein auf, von der Sie nicht wissen, was sie treibt. Aber einen Namen haben Sie: Aurora. So wie Aurora, die Göttin der Morgenröte, was ein verschleierter Hinweis sein könnte. Auf jeden Fall aber stinkt die ganze Geschichte zehn Meilen gegen den Wind.«

»Ich hätte es nicht besser zusammenfassen können.«

»Und diese Stiftung hat nun in den späten Achtzigern womöglich die Pflegekosten eines hinfälligen Mussolini-Wiedergängers bezahlt. Der wiederum einen zuvor von den Nazis in Frankreich gestohlenen Renoir im Tresor einer Schweizer Bank hortete. Und diese eine zarte Spur, die Sie da haben, die zurück ins Jahr 1996 führt, und die vielleicht, aber nur vielleicht, die Aurora-Stiftung mit Massetto und Renoir verbindet, die veranlasst Sie heute, 2016, beim Dezernat für Kunst- und Kulturgutkriminalität des BKA anzuklopfen? Weil Sie die Vermutung haben, dass diese Stiftung den neuen deutschen Rechtsextremismus mit Geldern aus kriminellen Kunstgeschäften unter die Arme greift?«

»Es wäre allerdings noch kein offizielles Amtshilfeersuchen«, sagte Reinhardt und legte ein konspiratives Grinsen auf.

»Das habe ich mir schon gedacht.«

»Kann ich auf Ihre Unterstützung zählen?«

»Sicher. Ich kann Ihnen aber nichts versprechen.«

 

Röhm hatte den Verfassungsschützer aus Köln noch bis zum Parkplatz begleitet, um dort ihrerseits ins Auto zu steigen. Bereits um 15:30 Uhr wurde sie zu einer Besprechung am BKA-Hauptsitz in Wiesbaden erwartet.

Vom Ausgang des Gebäudes kommend waren sie geradewegs auf den gelben Ford Mustang zugelaufen. Röhm konnte sich ein flüchtiges Lächeln nicht verkneifen. »Bevor ich Sie ziehen lasse, hätte ich noch eine Frage, Herr Reinhardt.«

»Bitte.«

»Was ich noch nicht verstanden habe: Warum eigentlich gründen diese NDRP-Leute erst einen Verein und nicht gleich ihre Partei?«

»Eine berechtigte Frage. Das hat mit den Tücken des Parteienfinanzierungsgesetzes zu tun. Kurz gesagt: Diese Leute können rechnen.«

»Verstanden, das müssen wir dann aufs nächste Mal verschieben.«

»Gerne. Also haben wir jetzt eine Vereinbarung?«

»Haben wir. Ich sehe zu, was ich für Sie tun kann. Sie hören von mir.«

Dienstag, 27. September 2016, 11:50 Uhr, The Reform Club, 104 Pall Mall, London SW1

Mutmaßlich hatte man beim Beleuchtungskonzept das Durchschnittsalter der Clubmitglieder im Sinn gehabt. Warm gedämpftes Licht erfüllte den luxuriösen Waschraum. Lomberg blickte in den Spiegel. Sogar seine Zornesfalten verschwammen hinter einem trügerischen Weichzeichner. Peter Barrington hatte Douglas McEwan sein schnellstes Pferd im Stall angepriesen, ihn aber wie einen Esel dastehen lassen. Ob gewollt, ungewollt oder tatsächlich, wie behauptet, von McEwan dazu gedrängt, Peter hätte nicht nur die Möglichkeit gehabt, ihm von Beginn an reinen Wein einzuschenken, sondern auch die Pflicht. Rücksichtslose Ehrlichkeit war nicht nur das viel beschworene Mantra ihrer Freundschaft, sondern auch das Grundprinzip, auf dem ihre geschäftliche Partnerschaft beruhte. Das Rätsel um die mutmaßlich falsche Victoria klang jedoch nach einem verlockenden Heimspiel, und Lomberg war viel zu neugierig auf die zweite Halbzeit.

 

»Ich bitte um Verzeihung für die Unterbrechung.«

Lomberg war in die Bar zurückgekehrt, schenkte den beiden Männern ein versöhnliches Lächeln und gab Trevor gleich danach ein Zeichen, der sofort herbeieilte.

»Sir?«

»Ich würde dann jetzt auch einen nehmen.«

»Für Sie das Gleiche wie die beiden anderen Gentlemen?«

»Für mich einen Blended.«

»Chivas, fünfzehn Jahre?«

»Ausgezeichnet. Einen einfachen, bitte. Aber lassen Sie das Soda weg.«

»Natürlich, Sir.«

McEwan blickte fragend zu Peter, der über Lombergs Stimmungsumschwung nicht minder überrascht schien, und dann wieder zu Lomberg. »Das heißt, ich darf fortfahren?«

»Selbstverständlich, Sir Douglas. Ich bin ganz Ohr.«

»Also, wo waren wir stehen geblieben?«

»Bei dem Gemälde, das in Windsor Castle von der Wand gefallen ist.«

»Von der Wand gefallen?« McEwan blickte irritiert zu Peter.

»Das war nur eine Methapher«, gab Peter kleinlaut zurück.

»Eine Methapher?« McEwan verstand immer noch nicht.

»Lassen wir das, Gentlemen«, schaltete sich Lomberg nun wieder ein. »Mit Metaphern kommen wir hier nicht weiter. Wie wäre es mit ein paar Fakten?«

McEwan zögerte. Dann wandte er sich Lomberg zu: »Nun ja. Die Wahrheit, Dr. Lomberg, lautet: Wir werden erpresst.«

»Wer ist wir?«

»Der Royal Collection Trust. Letzten Mittwoch, also am 21., wurde ein Brief an den Trust zugestellt. An mich adressiert, ohne Absender. In dem Schreiben behauptet ein Unbekannter, dass es sich bei Victoria 1845 um eine Fälschung handelt. Das Orginal würde sich also nicht in Windsor Castle befinden. Als vorläufiger Beleg für diese Behauptung war dem Schreiben ein Foto beigefügt.« McEwan deutete auf den Tisch: »Das hier.«

»Aber das ist noch nicht alles«, warf Peter ein und überließ McEwan gleich wieder das Wort.

»Nein. Der Erpresser meint, Beweise dafür zu haben, dass man uns Briten bei der, wie er meint, vorgeblichen Restitution absichtlich getäuscht hat.«

»Man? Wer ist damit gemeint? Die Bundesregierung?«, entgegnete Lomberg ungläubig und sah zu Peter. »Das ist doch total abwegig.«

»Es geht noch weiter, Lenn. Der unbekannte Erpresser behauptet außerdem, dass der vermeintliche Betrug vom Secret Intelligence Service gedeckt wurde. Im Zweifel also auf Geheiß des Foreign Office. Demzufolge aus politischen Gründen.«

»Aus politischen Gründen?« Lomberg verstand jetzt gar nichts mehr. »Und welche sollen das sein?«

»Angeblich sind der britischen Öffentlichkeit damals einige Details unterschlagen worden, die mit Victoria 1845 zusammenhängen. Und diese Details sind offensichtlich unschön genug, um vier Millionen Pfund zu fordern. Das ist das Preisschild für die Wiederbeschaffung der echten Victoria«, erklärte Peter.

Lomberg ließ die Summe unkommentiert und blickte die beiden Männer weiter ratlos an. »Etwa die alte Geschichte mit Edward und den Nazis? Für die gibt doch heute keiner mehr einen Penny aus.«

»Sie sagen es!«, bestätigte McEwan und würgte damit das offensichtliche Tabu-Thema gleich ab.

»Ich habe mir inzwischen einige Gedanken dazu gemacht«, Peter blickte von McEwan zu Lomberg.

»Dafür hattest du ja auch ein paar Tage Zeit«, erwiderte Lomberg trocken.

»Womöglich könnte es bei den besagten politischen Gründen des Jahres 1965 um Großbritanniens Beitritt zur EWG gegangen sein.«

Lomberg schüttelte den Kopf. »Entschuldige, Peter, im Jahr 2016 klingt das doch einigermaßen grotesk.«

Auch McEwan blickte irritiert drein, blieb aber stumm.

»Lasst es mich so erklären«, fuhr Peter fort. »Im Jahr 1965 hatten wir die exakt spiegelverkehrte Situation zu 2016. Während wir heute, jedenfalls eine äußerst knappe Mehrheit von uns, unbedingt rauswollen, wollten wir damals unbedingt rein. Die damalige deutsche Regierung unterstützte unseren Beitrittswunsch zur EWG, hing aber gleichzeitig noch am Rockzipfel von Präsident de Gaulle. Und der wollte uns partout nicht mit am Tisch sitzen lassen. Der Staatsbesuch der Queen 1965 und die von ihm ausgehende Versöhnungsgeste hatten also einen hochpolitischen Kern. Es ging der britischen Seite darum, die deutsche Unterstützung des Beitrittsersuchens zu festigen. Und genau das ist unserer Diplomatie damals gelungen. Auch wenn es mit dem Beitritt dann noch ein paar Jahre gedauert hat.«

Lomberg war Peters Ausführungen konzentriert gefolgt, konnte sich aber keinen Reim darauf machen, worauf er eigentlich hinauswollte. »Und was sagt uns das jetzt?«

»Einen konkreten Zusammenhang kann ich auch noch nicht herstellen, Lenn. Aber irgendwo müssen wir ja anfangen. Ausgangspunkt ist doch die Behauptung des Erpressers, dass bei der Restitution im Jahr 1965 getäuscht wurde. Diese wiederum verbindet sich untrennbar mit dem seinerzeitigen Staatsbesuch der Queen in Deutschland. Und dieser stand nun mal im politischen Kontext der Gespräche über den EWG-Beitritt.«

Lomberg schien immer noch nicht überzeugt. »Das ergibt für mich keinen Sinn. Die Verantwortlichen in Bonn waren doch nicht mit dem Klammerbeutel gepudert. Der britischen Königin vorsätzlich eine Fälschung unterjubeln? Nie und nimmer!«

McEwan blickte plötzlich nervös zwischen Barrington und Lomberg hin und her. »Gentlemen …«

»Ich kann mir das ehrlich gesagt auch nicht vorstellen«, schnitt Peter ihm das Wort ab. »Sorry, Douglas. Lass mich das noch kurz sagen: Wäre es nicht möglich, dass es zu einer Sabotage gekommen ist, bei der die deutsche Regierung selbst über den Tisch gezogen wurde? Das würde dann auch besser zur Behauptung des Erpressers passen, dass man in London über den Vorfall geschwiegen hat.«

Lomberg nickte kaum merklich. Peters Gedanke schien ihm plötzlich nicht mehr so ganz abwegig.

»Das ist alles sehr interessant, Gentlemen«, antwortete McEwan lapidar. »Und ja, wir sollten vorerst nichts ausschließen. Auch keine, wie soll ich sagen, gewagteren Theorien. Aber um konkret zu bleiben: Was schlagen Sie vor, Mr Lomberg? Wie wollen wir jetzt vorgehen? Ich meine, falls Sie sich entscheiden sollten, diesen Auftrag anzunehmen.«

»Keine Sorge, Sir Douglas. Mein Urlaub ist bereits zu Ende. Ich denke jedoch, dass wir die große Politik fürs Erste zurückstellen sollten.«

»Und das heißt?«

»Mich würde jetzt weit mehr interessieren, was mit der angeblich falschen Victoria eigentlich los ist. Ist die Behauptung des Erpressers denn überhaupt zutreffend? Ich meine, konnte sie überprüft werden? Ist es tatsächlich eine Fälschung?«

»Einiges spricht dafür, Mr Lomberg.«

»Also haben Sie eine Untersuchung durchgeführt?«

»Ich hatte das Gemälde unter einem Vorwand aus Schloss Windsor in den St James’s Palace bringen lassen, wo sich ja auch die Werkstätten des Trust befinden. Gleich am Tag, an dem der Erpresserbrief eingegangen ist. Ich erklärte dem Privatsekretär der Queen, dass wir den Zustand des Gemäldes einmal näher untersuchen müssten. Routinemäßig. Das ging auch recht geräuschlos, die Queen hält sich nämlich gerade in Balmoral auf. Parallel habe ich die Leiterin der Dulwich Picture Gallery gebeten, uns ein dort ausgestelltes Kretzschmer-Aquarell aus dem Jahr 1842 für einen Tag zu überlassen. Die leitende Restauratorin beim Trust und ich haben uns dann zum Vergleich über beide Bilder gebeugt.«

»Mit welchem Ergebnis?«

»Mit einem Ergebnis, das uns Grund zur Sorge gibt. Das Bild, das zuletzt einundfünfzig Jahre im feuchten Windsor Castle hing, befand sich in einem gravierend besseren Zustand als jenes, das seit 1891 im vorbildlich geführten Museum in Dulwich zu Hause ist.«

»Was genau meinen Sie mit besserem Zustand?«, hakte Lomberg nach.

»Bei dem Bild aus der Dulwich Picture Gallery zeigten sich bereits typische Alterungssymptome an den Leinwandrändern. Laut Auskunft des Museums hat man schon vor Jahren mit Stabilisierungsgeweben nachbessern müssen. Nichts aber dergleichen beim Kretzschmer aus Windsor. Und das ist nicht damit zu erklären, dass der drei Jahre weniger auf dem Buckel hat.«

»Sicher nicht. Aber der Beweis, dass es sich um eine Fälschung handelt, ist damit noch nicht erbracht.«

»Natürlich nicht. Die Zeit für eine gründliche Analyse war bisher einfach zu knapp.«

»Sie meinen eine C14-Analyse?«

»Exakt. Wenn wir den Entstehungszeitpunkt des Werks datieren können, wissen wir, ob wir den Erpresser ernst nehmen müssen. Vielleicht haben wir es ja doch nur mit einem Hochstapler zu tun, auch wenn ich das nicht glaube.«

Lomberg bedeutete McEwan fortzufahren.

»Sollte sich das Bild aus Windsor tatsächlich als Fälschung erweisen, ist die Feststellung des Entstehungszeitpunkts natürlich wegweisend. Je näher er an das Jahr 1965 heranreicht, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Fälschung eigens zum Zweck des Betrugs angefertigt wurde, von dem im Schreiben des Erpressers die Rede ist.«

»Das ergibt Sinn«, Lomberg nickte.

»Es gibt nur ein Problem.«

»Und zwar?«

»Die Geheimhaltung. Keines der für eine C14-Analyse ausgestatteten Institute kann sie zu einhundert Prozent garantieren. Ich kann aber nicht riskieren, dass halb England von einer falschen Victoria erfährt, solange wir nicht den Hauch einer Erklärung liefern können. Also brauchen wir einen unabhängigen Gutachter, auf dessen Verschwiegenheit wir uns verlassen können.«

Lomberg blickte fragend zu Peter, der mit einem knappen Nicken reagierte. »Kann es auch eine Gutachterin sein?«

»An wen dachten Sie, Mr Lomberg?«

»An Dr. Alexandra Cullen.«

McEwan zuckte zusammen. »Gott Gütiger!«

»Sie ist die beste forensische Gutachterin des Landes. Verlässlich, schnell und diskret«, entgegnete Lomberg trocken und sah wieder zu Peter.

»Eine höchst unangenehme Person. Ich sah mich vor einigen Jahren gezwungen, Dr. Cullen von der Liste der freien Mitarbeiter des Trust zu streichen.« McEwan schüttelte den Kopf.

»Eine nicht ganz einfache Person, gewiss«, sagte Lomberg. »Aber das zählt für mich nicht.«

»Sie ist eine Bank, Douglas«, griff Peter jetzt ein. »Mr Lomberg und ich kennen sie aus unserer Zeit bei Christie’s. Mrs Cullen hat uns nie enttäuscht. Auch nicht bei, wie soll ich sagen, delikateren Fällen. Nicht wahr, Lenn?«

»Nein, hat sie nicht«, bestätigte Lomberg knapp und blickte zu McEwan. Dessen Miene sprach Bände. Offensichtlich war ihm die streitbare Gutachterin einmal zu oft auf die Füße getreten.

»Wenn ich Sie recht verstehe, Mr Lomberg, wäre eine Beauftragung von Dr. Cullen also Ihre Bedingung?«

»Sagen wir mal so: Es würde mich in meiner Entscheidung, diesen Fall zu übernehmen, bestärken.«

»Na gut, meinetwegen. Und wie geht es jetzt weiter?«

»Ich habe morgen tagsüber einen dringenden Termin in Bonn. Am Donnerstagmittag kann ich wieder in London sein. Wenn wir hier durch sind, kontaktiere ich umgehend Mrs Cullen. Was soll ich ihr sagen?«

»Sie soll bitte heute um 19 Uhr in den St James’s Palace kommen und am Empfang nach mir fragen.«

»In Ordnung«, bestätigte Lomberg.

McEwan nickte und wandte sich dann Barrington zu. »Peter?«

»Ich fliege heute nach Marseille zurück und treffe morgen den französischen Landwirtschaftsminister. Eine lästige Geschichte, es geht um die Klassifizierung eines neuen Weins. Er hat mir freundlicherweise seine Hilfe angeboten. Falls ich hier gebraucht werde, kann ich binnen eines Tages zurück sein. Ich denke aber nicht, dass das notwendig wird. Nicht wahr, Lenn?«

Dienstag, 27. September 2016, 13:30 Uhr, 96 Marylebone Lane, London W1

Lomberg und Barrington waren im Anschluss an ihre Unterredung mit McEwan getrennte Wege gegangen. Während Peter in das schon bereitstehende Taxi gestiegen war, das ihn zu seinem Büro in Belgravia bringen sollte, hatte Lomberg Alexandra Cullen eine Nachricht geschickt und sich danach in Richtung Piccadilly aufgemacht. Bakerloo Line, nur eine Station bis Oxford Circus. Er hatte nicht groß nachdenken müssen, das Westend war ihm so vertraut wie seine eigene Westentasche. Und das galt nicht weniger für den Streckenplan der Londoner Tube, der sich in seinem Gehirn genauso eingebrannt hatte wie Canalettos Ansichten von Venedig. Er war schon fast zehn Minuten über der Zeit, als er das nördliche Ende der Marylebone Lane erreicht hatte und aus einiger Entfernung eine junge Frau ausmachen konnte. Gleich neben dem Lokal, das sie als Treffpunkt vereinbart hatten. Sie schien in Gedanken. Ihren eilig heranschreitenden Vater bemerkte Julie Lomberg-Bell erst im letzten Moment.

»Sorry für die Verspätung.«

Julie wandte sich überrascht um, blickte zu Lomberg und fiel ihm in die Arme. »Sollen wir?« Sie deutete zur Tür.

 

Deadline morgen Mittag um zwölf. Und ich bin noch lange nicht fertig. So hatte sie sich kurz zuvor am Telefon ausgedrückt. Redaktions-Assistentin Julie Lomberg-Bell stand wegen ihres ersten eigenen Beitrags – ein Feature über die japanische Musikerlegende Ryūichi Sakamoto – mächtig unter Strom. Eine Stunde, höchstens eineinviertel. Lomberg hatte sich mit Rücksicht auf die knapp bemessene Zeit seiner Tochter für das Ivy Café im Stadtteil Marylebone entschieden. Es lag nur ein paar Schritte von den Redaktionsbüros des Monocle Magazine in der Dorset Street entfernt. Und auch die Speisekarte sollte Julie entgegenkommen, denn diese enthielt neben bewährten London-Bistro-Klassikern eine vielversprechende Auswahl an Asian-Crossover-Gerichten, für die seine Tochter schon immer leicht zu begeistern war. Lomberg selbst hatte sich schon bei der Online-Reservierung auf Traditional Fish & Chips festgelegt.

 

»Das war köstlich!« Julie hatte die noch halb volle Bowl zur Seite geschoben und musterte ihren Vater. Auch Lomberg hatte bereits vor seinem frittierten Codfish kapituliert.

»Ich dachte, du wärst im Urlaub, Dad?«

»War ich auch. Dann habe ich mich von Peter überreden lassen, ihn heute zu einem dringenden Termin in London zu begleiten.«

»Worum geht’s?«

»Wie viel Zeit bleibt uns denn noch?«

Julie warf einen Blick auf ihre Uhr. »Fünfundzwanzig Minuten.«

»Ein Bild von Queen Victoria ist von der Wand gefallen. Zumindest metaphorisch.« Lomberg lächelte.

»Metaphorisch?«

»Vergiss es.«

»Und von welcher Wand?«

»Von der Wand, die zwischen dem Schlafzimmer und dem Bad ihrer Ur-Urenkelin verläuft.«

Julie gab sich unbeeindruckt. »Welches Schlafzimmer, welches Bad? Die alte Frau hat von beidem bekanntlich mehrere.«

»Windsor Castle.«

»Oha! Was für eine Tragödie! Dieses Land hat ja sonst keine Probleme. Ich meine, abgesehen von einem völlig maroden Gesundheitssystem, grassierendem Alltagsrassismus, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Inflation und der Verarmung ganzer Landstriche.«

»Ich hatte eigentlich gehofft, dass du inzwischen Frieden mit deiner alten Heimat schließen konntest. Nach drei Jahren in Deutschland, meine ich. Wo ja nun auch nicht alles, sagen wir, ganz rund läuft.«

»Hatte ich auch«, Julie stockte kurz, um sogleich wieder entschlossen die Stimme zu heben. »Aber schon nach drei Wochen ist mir klar geworden, dass das mit England und mir nichts mehr wird. Okay, die Tube fährt immer noch geradeaus und der Handyempfang in Paddington ist besser als in Poppelsdorf. Aber ansonsten? Wenn du mich fragst, es geht hier doch alles den Bach runter …«

»Übertreibst du jetzt nicht ein bisschen?«

»Ich musste letzte Woche zum Zahnarzt. Das hat mir den Rest gegeben. Die Praxis sah aus wie Waltingham’s Folterkeller.«

»Also war es keine private?«

»Hast du eine Ahnung, wie mein Konto aussieht? Außerdem musste es schnell gehen.«

»So schlimm?«

»Eigentlich ging es nur um eine lächerliche Backenzahn-Füllung. Der sogenannte National Health Service hält Amalgam übrigens immer noch für den ganz heißen Scheiß.«

»Und das heißt?«

»Keine Sorge, Dad. Den Job bei Monocle ziehe ich durch. Aber im Februar geht’s zurück nach Köln. Mein Examen ist überfällig. Die Bestätigung der Uni ist schon da. Also komme ich da auch nicht mehr raus.«

»Das hört dein Vater gern.«

»Und dann …« Julie beugte sich weit über den Tisch und funkelte ihren Vater bedrohlich an, der schon wusste, was als Nächstes kommen würde. »… Will ich endlich einen deutschen Pass.«

»Julie, das hatten wir jetzt schon oft genug. Deine Chancen auf eine doppelte Staatsbürgerschaft stehen gleich null.«

»Das ist mir inzwischen egal. Dann bin ich in Zukunft eben nur Deutsche. Und auf den Doppelnamen kann ich auch verzichten. Julie Lomberg. Das muss in Zukunft reichen.«

»Das sind sehr schwerwiegende Entscheidungen, du solltest dir …«

»Nein, Dad, meine Entscheidung steht! Wenn die Briten Europa nicht mehr wollen, dann sind sie mich los.«

»Weiß das deine Mutter schon?« Lomberg ließ erste Anzeichen von Resignation erkennen.

»Oh ja!«

»Und?«

»Sie hat mich vor die Tür gesetzt.«

»Soll ich mal versuchen, mit ihr zu reden? Dieser ewige Streit zwischen euch hilft doch niemandem. Mir übrigens auch nicht.«

»Ich bitte dich, Dad. Nach zehn Jahren Funkstille?«

 

Das kam ziemlich genau hin. Das bislang letzte Gespräch, das die zu diesem Zeitpunkt bereits restlos entfremdeten Elternteile miteinander geführt hatten, war ihm auch deshalb noch so präsent, weil es dabei zu einem fürchterlichen Eklat gekommen war, in dessen Folge sich Lomberg geschworen hatte, fortan und für alle Zeiten der Vater für Julie zu sein, auf den seine Tochter zuvor auf Geheiß der Mutter fünfzehn Jahre hatte verzichten müssen. Die Beziehung mit der fünf Jahre älteren Galeristin Fiona Bell hatte ihm in den Anfängen seiner Londoner Zeit nicht nur größte Teile seines Verstands geraubt, sondern nebenbei auch einige Türen geöffnet. Eine jedoch sollte Fiona verschlossen halten. Hochschwanger hatte sie ihm von einem auf den anderen Tag den Laufpass gegeben. Die finanziell unabhängige Mutter in spe hatte eine traditionelle Vaterrolle schlichtweg für obsolet erklärt, in der Folge das alleinige Sorgerecht beansprucht und schließlich den Kontakt zwischen Vater und Tochter stets nur entlang des gesetzlich verbrieften Minimums zugelassen. Bis zu Julies fünfzehntem Geburtstag, der jetzt ziemlich genau zehn Jahre zurücklag. Die beiden hatten den Vormittag im Natural History Museum verbracht, waren dann für einen Burger zu TGI Friday’s auf der Kings Road weitergezogen, um schließlich den Höhepunkt des Tages im London Eye zu verbringen. 135 Meter über der unter ihnen liegenden Stadt hatte ihm Julie plötzlich einen melancholischen Blick zugeworfen. Und schließlich jene Worte gesagt, die sich bei ihm bis heute eingebrannt hatten. Warum kann ich nicht einfach bei dir leben, Dad?

 

»Wo bist du mit deinen Gedanken?«

Lomberg ließ die Frage unbeantwortet und blickte auf sein Handy, das den Eingang einer WhatsApp meldete. »Entschuldige, das ist wichtig.« Er überflog die wenigen Zeilen und nickte. Dann führte er das iPhone an seinen Mund und sprach ins Mikro. »Danke, Alex. Keine Sorge, McEwan bellt nur, aber er beißt nicht. Meld dich bitte nach dem Gespräch bei mir. Ab zwanzig Uhr bin ich erreichbar. Am Donnerstag bin ich zurück in London. Dann können wir uns sehen. Take care.«

»Wer ist Alex?«, wollte Julie wissen.

Lomberg öffnete die Website, die er bereits kurz nach dem Termin mit McEwan aufgerufen hatte. Dann drehte er sein Handy zu Julie, die sich wieder zu ihm über den Tisch beugen musste.

»Dr. Alexandra Cullen? Kenne ich nicht.«

»Englands schärfstes Schwert bei der Entlarvung von Kunstfälschungen«, klärte Lomberg auf und sah seine Tochter an, die sofort verstand.

»Victoria? Das von der Wand gefallene Bild?«

»Bingo.«

»Und du kennst diese Alex persönlich?«

»Von Christie’s. Wann immer ich damals ein Gutachten benötigt habe, auf das wirklich Verlass sein musste, war Alex meine erste Wahl. Sie ist eine Koryphäe auf ihrem Gebiet. Und war immer eine loyale Kollegin.«

»Loyal? Sollte eine unabhängige Gutachterin nicht vor allem unbestechlich sein?«