Die vierzig Geheimnisse der Liebe - Elif Shafak - E-Book
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Die vierzig Geheimnisse der Liebe E-Book

Elif Shafak

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Beschreibung

Ella ist vierzig Jahre alt, hat einen Ehemann, drei Kinder im Teenageralter und ein schönes Zuhause in einer amerikanischen Kleinstadt. Eigentlich sollte sie glücklich sein, in ihrem Herzen breitet sich aber eine Leere aus, die früher von Liebe gefüllt war. Als Gutachterin für eine Literaturagentur taucht sie tief in einen Roman über den Sufi-Dichter und Mystiker Rumi und die vierzig ewigen, geheimnisvollen Regeln der Liebe ein. Trotz der Ansiedlung im 13. Jahrhundert scheint ihr der Roman immer mehr eine Spiegelung ihrer eigenen Geschichte zu sein. Zusehends distanziert von ihrem Ehemann, beginnt Ella, ihr bisheriges Leben zu hinterfragen. Sie besucht den Verfasser des Buches, Aziz Zahara, mit dem sie sich schriftlich schon rege und sehr persönlich ausgetauscht hat - und erfährt eine derart grundlegende persönliche Veränderung, wie sie es sich nie hätte ausmalen können.

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INHALT

» Über die Autorin

» Über das Buch

» Buch lesen

» Danksagung, Glossar, Quellen, Anmerkung der Übersetzerin, Impressum

» Weitere eBooks von Kein & Aber

» www.keinundaber.ch

ÜBER DIE AUTORIN

Elif Shafak, 1971 in Straßburg geboren, gehört zu den meistgelesenen Schriftstellerinnen in der Türkei. Ihre Bücher sind in über dreißig Ländern erschienen. Sie studierte Internationale Beziehungen an der Technischen Universität des Nahen Ostens in Ankara, erhielt einen Master of Sciences in Gender and Women’s Studies und promovierte an derselben Universität. Die preisgekrönte Autorin von zwölf Büchern, darunter Die vierzig Geheimnisse der Liebe, schreibt auf Türkisch und Englisch. Elif Shafak lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in London und Istanbul. www.elifshafak.com

»Die besten Leser sind die, die einen Roman mit dem Herzen lesen können.«

Elif Shafak

ÜBER DAS BUCH

Ella ist vierzig Jahre alt, hat einen Ehemann, drei Kinder im Teenageralter und ein schönes Zuhause in einer amerikanischen Kleinstadt. Eigentlich sollte sie glücklich sein, in ihrem Herzen breitet sich aber eine Leere aus, die früher von Liebe gefüllt war. Als Gutachterin für eine Literaturagentur taucht sie tief in einen Roman über den Sufi-Dichter und Mystiker Rumi und die vierzig ewigen, geheimnisvollen Regeln der Liebe ein. Trotz der Ansiedlung im 13. Jahrhundert scheint ihr der Roman immer mehr eine Spiegelung ihrer eigenen Geschichte zu sein. Zusehends distanziert von ihrem Ehemann, beginnt Ella, ihr bisheriges Leben zu hinterfragen. Sie besucht den Verfasser des Buches, Aziz Zahara, mit dem sie sich schriftlich schon rege und sehr persönlich ausgetauscht hat – und erfährt eine derart grundlegende persönliche Veränderung, wie sie es sich nie hätte ausmalen können.

»Eine leidenschaftliche Verteidigung der Liebe.«

The Times

»Mit seiner aktuellen und anregenden Botschaft verdient dieser Roman von Elif Shafak, ein weltweites Verkaufsphänomen zu werden.«

The Independent

Für Zahir und Zelda

Als Kind sah ich Gott,

sah ich Engel;

ich betrachtete die Mysterien der höheren und niederen Welt. Ich glaubte, alle Menschen sähen dasselbe. Doch dann erkannte ich, dass sie nichts sahen …

SCHAMS-E TABRIZI

PROLOG

Bewirkst du etwas, wenn du einen Stein in ein fließendes Gewässer wirfst? Es ist schwer zu erkennen. Dort, wo er die Oberfläche durchbricht, beginnt sich das Wasser zu kräuseln; dann ertönt ein platschendes Geräusch, das gedämpft wird vom Rauschen des Flusses. Mehr nicht.

Doch wirf einen Stein in einen See. Was das bewirkt, ist nicht nur gut zu sehen, es hält auch sehr viel länger an. Der Stein durchbricht das stille Wasser. Dort, wo er auftrifft, bildet sich ein Kreis, aus dem ein weiterer entsteht und dann noch einer. Nach einem einzigen Steinwurf breiten sich binnen Kurzem die Wellen in Ringen so aus, dass sie überall auf dem Spiegel des Sees zu spüren sind. Erst wenn sie aufs Ufer treffen, machen sie Halt und vergehen.

Fällt ein Stein in einen Fluss, dann behandelt der Fluss ihn wie jede andere Erschütterung in seinem ohnehin ungestümen Lauf. Nichts von Bedeutung, nichts, dessen man nicht Herr werden würde.

Fällt der Stein jedoch in einen See, dann wird der See nie mehr so sein wie zuvor.

Vierzig Jahre lang glich Ella Rubinsteins Leben einem ruhigen Gewässer, es war nichts als eine vorhersehbare Abfolge von Gewohnheiten, Bedürfnissen und Vorlieben. Doch dieses in vielerlei Hinsicht monotone, so ganz und gar normale Leben war ihr nie langweilig geworden. In den zurückliegenden zwanzig Jahren war jeder ihrer Wünsche, jeder Mensch, mit dem sie sich angefreundet, und jede Entscheidung, die sie getroffen hatte, durch den Filter ihrer Ehe gelaufen. David, ihr Mann, war ein erfolgreicher Zahnarzt; er arbeitete hart und verdiente viel Geld. Von Anfang an wusste sie, dass diese Ehe keiner tiefen inneren Verbindung entsprang, aber gefühlsmäßige Verbundenheit stand ihrer Meinung nach nicht unbedingt ganz oben auf der Prioritätenliste eines Ehepaars, vor allem wenn ein Mann und eine Frau schon so lange miteinander verheiratet waren. In einer Ehe gab es Wichtigeres als Liebe und Leidenschaft – gegenseitiges Verständnis beispielsweise, Zuneigung, Mitgefühl und die Fähigkeit, die jeden, der sie besaß, fast gottgleich werden ließ – die Fähigkeit zu verzeihen. Verglichen damit war die Liebe etwas Nebensächliches. Es sei denn, man lebte in Schnulzenfilmen oder Schmökern – dort hatten die Hauptfiguren immer etwas Übermenschliches, und ihre Liebe grenzte immer ans Sagenhafte.

An erster Stelle auf Ellas Prioritätenliste standen ihre Kinder. David und sie hatten eine wunderschöne Tochter, Jeannette, die aufs College ging, und Zwillinge im Teenageralter, Orly und Avi. Außerdem hatten sie einen zwölf Jahre alten Golden Retriever namens Spirit, der Ella schon als Welpe auf ihrer morgendlichen Runde begleitet hatte, ein stets aufmunternder Gefährte an ihrer Seite. Jetzt war er alt, übergewichtig, vollkommen taub und nahezu blind. Bald würde seine Zeit gekommen sein, aber Ella machte sich lieber vor, er würde ewig leben. So war sie nun mal. Nie setzte sie sich mit dem Ende von irgendetwas auseinander, sei es das Ende einer Gewohnheit, einer Phase oder einer Ehe – nicht einmal wenn es ihr klar und unausweichlich vor Augen stand.

Die Rubinsteins wohnten in Northampton, Massachusetts, in einem großen viktorianischen Haus, das zwar renovierungsbedürftig, aber immer noch prachtvoll war. Fünf Schlafzimmer, drei Bäder, glänzende Hartholzböden, Dreiergarage, Flügeltüren und, das Beste von allem, ein Whirlpool im Freien. Sie hatten Lebensversicherungen, Kraftfahrzeugversicherungen, einen Sparvertrag für die Altersvorsorge, einen Finanzierungsplan für die Collegeausbildung, gemeinsame Bankkonten und besaßen zusätzlich zu dem Haus, in dem sie lebten, zwei repräsentative Wohnungen, eine in Boston, die andere in Rhode Island. Für all das hatten David und sie hart gearbeitet. Ein großes Haus voller Leben, ein Haus mit Kindern und eleganten Möbeln und dem Duft von selbst gebackenem Kuchen mag dem einen oder anderen klischeehaft erscheinen, aber für David und Ella entsprach es dem Abbild eines idealen Lebens. Um diese gemeinsame Vorstellung herum hatten sie ihre Ehe gebaut und das meiste von dem, was sie sich erträumt hatten, wenn nicht sogar alles, erreicht.

Zum letzten Valentinstag hatte Ella von ihrem Mann einen herzförmigen Diamantanhänger geschenkt bekommen und eine Karte mit folgenden Zeilen:

Für meine liebe Ella –

die so viel Ruhe ausstrahlt, ein so großes Herz hat und über eine Engelsgeduld verfügt. Danke, dass Du mich nimmst, wie ich bin. Danke, dass Du meine Frau bist.

In Liebe

David

Ella hatte es David nie gesagt, aber als sie die Karte las, hatte sie das Gefühl, einen Nachruf zu lesen. So wird man über mich schreiben, wenn ich tot bin, hatte sie gedacht. Und wenn man ehrlich war, würde man hinzufügen:

Ella, deren ganzes Dasein sich um ihren Mann und ihre Kinder drehte, beherrschte nicht eine einzige Überlebenstechnik, um selbständig die Härten des Lebens zu meistern. Es war nicht ihre Art, alle Bedenken in den Wind zu schlagen. Für sie bedeutete es schon eine gewaltige Anstrengung, auch nur ihre gewohnte Kaffeemarke zu wechseln.

Weshalb sich niemand, auch Ella selbst nicht, erklären konnte, warum sie im Herbst 2008 nach zwanzig Jahren Ehe die Scheidung einreichte.

Aber es gab einen Grund: Liebe.

Sie lebten nicht in derselben Stadt, nicht einmal auf demselben Kontinent. Die beiden trennten nicht nur viele Kilometer, sie waren auch unterschiedlich wie Tag und Nacht. Ihr Leben war so verschieden, dass es ihnen unmöglich erschien, die Gegenwart des jeweils anderen zu ertragen, geschweige denn sich ineinander zu verlieben. Aber es geschah. Und es geschah schnell, so schnell, dass Ella gar nicht dazu kam, sich das Ganze bewusst zu machen und auf der Hut zu sein – falls man vor der Liebe überhaupt auf der Hut sein kann.

Die Liebe überfiel Ella so plötzlich und mit solch einer Wucht, als hätte jemand aus dem Nichts heraus einen Stein in den stillen Teich ihres Lebens geschleudert.

ELLA

NORTHAMPTON, 17. MAI 2008

Balsamisch war die Luft an diesem milden Frühlingstag, und vor dem Küchenfenster sangen die Vögel. Im Nachhinein ließ Ella die Szene so oft noch einmal Revue passieren, dass sie ihr schließlich nicht mehr wie ein Fragment aus der Vergangenheit, sondern wie ein Augenblick vorkam, der irgendwo draußen im Universum bis in alle Ewigkeit andauerte.

Es war Samstagnachmittag, und sie hatten sich alle zu einem späten Mittagessen um den Tisch versammelt. Ellas Mann häufte sich gebratene Hähnchenschenkel, seine Leibspeise, auf den Teller. Avi spielte mit Messer und Gabel herum, als wären es Trommelstöcke, während seine Zwillingsschwester Orly auszurechnen versuchte, wie viele Bissen wovon sie essen durfte, ohne ihre Diät – 650 Kalorien pro Tag – zu vermasseln. Jeannette, die noch nicht lange aufs nahe gelegene Mount Holyoke College ging, strich gedankenverloren Frischkäse auf ihre zweite Scheibe Brot. Mit am Tisch saß Tante Esther, die kurz vorbeigeschaut hatte, um einen ihrer berühmten Marmorkuchen abzuliefern, und zum Essen geblieben war. Auch wenn ein Haufen Arbeit auf Ella wartete, wollte sie noch ein Weilchen sitzen bleiben. In letzter Zeit waren die gemeinsamen Essen selten geworden, und da war die Gelegenheit günstig, wieder einmal alle miteinander ins Gespräch zu bringen.

»Hat Ella dir eigentlich schon die schöne Neuigkeit mitgeteilt, Esther?«, fragte David unvermittelt. »Sie hat einen tollen Job gefunden.«

Ella war zwar diplomierte Anglistin und liebte Literatur, hatte aber in diesem Bereich nach dem College nichts mehr gemacht, außer kurze Texte für Frauenzeitschriften zu redigieren, die eine oder andere Lesegruppe zu besuchen und gelegentlich eine Buchbesprechung für ein Lokalblatt zu verfassen. Früher einmal hatte sie davon geträumt, eine prominente Literaturkritikerin zu werden, doch dann hatte das Leben eine andere Wendung genommen, sie zu einer fleißigen Hausfrau mit drei Kindern und einer endlosen Menge häuslicher Pflichten gemacht, und sie hatte sich gefügt.

Sie beklagte sich nicht. Ihre Aufgaben als Mutter, Ehefrau, Hundeausführerin und Haushälterin nahmen sie mehr als genug in Beschlag. Da musste sie nicht auch noch die Brötchen verdienen. Ihre feministischen Freundinnen vom Smith College missbilligten ihre Entscheidung, aber sie selbst war gern Mutter und Hausfrau und dankbar dafür, dass ihr Mann und sie sich das leisten konnten. Außerdem hatte sie ihre Liebe zur Literatur nie aufgegeben und war nach wie vor eine passionierte Leserin.

Seit ein paar Jahren jedoch begannen sich die Dinge zu ändern. Die Kinder wurden erwachsen und gaben deutlich zu verstehen, dass sie ihre Mutter nicht mehr so brauchten wie früher. Als Ella klar geworden war, dass sie jetzt mehr Freizeit hatte, aber niemanden, mit dem sie sie verbringen konnte, hatte sie erwogen, sich einen Job zu suchen. David hatte sie ermutigt, aber trotz der vielen Gespräche, die sie darüber führten, hatte sie kaum eine Bewerbung losgeschickt, und wenn doch, dann hatten die möglichen Arbeitgeber immer eine jüngere Kraft oder jemanden mit mehr Erfahrung gesucht. Und aus Angst, immer wieder abgelehnt zu werden, hatte sie damit irgendwann für sich abgeschlossen.

Durch welches Hindernis auch immer ihre Jobsuche jahrelang blockiert gewesen war, im Mai 2008 war es verschwunden. Zwei Wochen vor ihrem vierzigsten Geburtstag arbeitete sie von einem Tag auf den anderen für eine in Boston ansässige Literaturagentur. Den Job hatte David aufgetan, über einen seiner Patienten – oder eine seiner Geliebten.

»Ach, das ist keine große Sache«, entgegnete Ella jetzt hastig. »Nur ein Halbtagsjob – Gutachen für eine Literaturagentur schreiben.«

Doch David lag offenbar viel daran, dass sie ihren neuen Job nicht kleinredete. »Jetzt sag schon, dass es eine sehr bekannte Agentur ist«, drängte er und knuffte sie, und als sie weiterhin schwieg, stimmte er sich selbst lautstark zu. »Das ist ein ganz renommiertes Unternehmen, Esther. Du solltest mal die anderen Mitarbeiter sehen – Jungs und Mädels frisch von den besten Colleges! Ella ist da die Einzige, die nach jahrelangem Hausfrauendasein ins Berufsleben zurückkehrt. Nicht schlecht, oder?«

Ella überlegte, ob ihr Mann sich womöglich schuldig fühlte, weil sie seinetwegen keine Karriere gemacht hatte – oder aber, weil er sie betrog. Andere Gründe für seine übertriebene Begeisterung fielen ihr nicht ein.

Immer noch lächelnd beendete David seine Ausführungen mit den Worten: »So was nenn ich Chuzpe – wir sind richtig stolz auf sie!«

»Sie war einfach immer schon ein Goldstück«, sagte Tante Esther in so sentimentalem Ton, als säße Ella längst gar nicht mehr mit am Tisch.

Liebevoll richteten sich alle Blick auf sie. Selbst Avi verzichtete auf eine zynische Bemerkung, und Orly schien ausnahmsweise einmal etwas anderes als ihr Äußeres wichtig zu nehmen. Ella zwang sich dazu, diesen Moment allgemeinen Wohlwollens zu genießen, empfand dabei aber eine erdrückende Erschöpfung, wie sie sie noch nie zuvor erlebt hatte, und betete innerlich, jemand möge das Thema wechseln.

Jeannette musste das heimliche Stoßgebet gehört haben, denn sie sagte plötzlich: »Ich habe auch eine gute Nachricht.«

Neugierig wandten sich ihr alle Blicke zu.

»Scott und ich haben beschlossen zu heiraten«, verkündete Jeannette. »Ja, ja, ich kann mir schon denken, was ihr davon haltet. Dass wir noch nicht mit dem College fertig sind und so weiter. Aber wir sind jetzt einfach beide bereit für den nächsten großen Schritt.«

Peinliche Stille senkte sich über den Küchentisch, und mit einem Mal war die Herzlichkeit, die eben noch zwischen allen geherrscht hatte, verpufft. Orly und Avi sahen einander verdutzt an, und Tante Esther erstarrte, in der Hand ein Glas Apfelsaft. David legte die Gabel nieder, als wäre ihm der Appetit vergangen, und richtete die hellbraunen, von tiefen Lachfalten gesäumten Augen fragend auf Jeannette. Nach Lachen schien ihm jetzt allerdings nicht zumute zu sein. Er verzog den Mund, als hätte er gerade einen ordentlichen Schluck Essig getrunken.

»Na toll! Ich dachte, ihr freut euch, und dann verpasst ihr mir eine kalte Dusche!«, maulte Jeannette.

»Du hast gerade gesagt, du willst heiraten«, erklärte David, als wüsste Jeannette nicht, was sie gesagt hatte, und müsste ins Bild gesetzt werden.

»Ich weiß, dass es ein bisschen früh ist, Dad, aber Scott hat mir vor ein paar Tagen einen Antrag gemacht, und ich habe schon ja gesagt.«

»Aber warum nur?«, fragte Ella.

Dem Blick, den Jeannette ihr zuwarf, konnte Ella entnehmen, dass ihre Tochter alles, nur nicht diese Frage erwartet hatte. Dass ihr ein »Wann denn?« oder »Und wie?« lieber gewesen wäre, denn das hätte bedeutet, sie könnte sich auf die Suche nach einem Brautkleid machen. Bei einem »Warum nur?« lagen die Dinge dagegen völlig anders, und das hatte Jeannette völlig unvorbereitet erwischt.

»Vielleicht weil ich ihn liebe?«, sagte sie in leicht herablassendem Ton.

»Ich meinte, warum es unbedingt so schnell gehen muss, Schatz«, erwiderte Ella. »Bist du schwanger?«

Tante Esther zuckte peinlich berührt zusammen und machte ein strenges Gesicht. Dann fischte sie eine Tablette gegen Sodbrennen aus ihrer Tasche und begann darauf herumzukauen.

»Ich werde Onkel!«, warf Avi kichernd ein.

Ella nahm Jeannettes Hand und drückte sie sanft. »Du kannst uns immer alles sagen, das weißt du doch. Wir stehen dir bei, egal was passiert.«

»Hörst du bitte mal auf damit, Mom?«, fauchte Jeannette und zog ihre Hand zurück. »Es hat nicht das Geringste mit Schwangersein zu tun. Du blamierst mich hier vor allen!«

»Ich wollte dir doch nur helfen«, entgegnete Ella ruhig, obwohl Ruhe ein Zustand war, den zu erreichen ihr in letzter Zeit zunehmend schwerfiel.

»Indem du mich beleidigst? Offenbar kannst du dir keinen anderen Grund für eine Hochzeit vorstellen, als dass Scott mich geschwängert hat. Ist dir noch nie der Gedanke gekommen, dass ich den Typen möglicherweise – möglicherweise! – heiraten will, weil ich ihn liebe? Immerhin sind wir schon acht Monate zusammen!«

Ella fühlte sich zu einer spöttischen Bemerkung veranlasst. »Ach ja, als ob man nach acht Monaten den Charakter eines Mannes kennen würde! Dein Vater und ich sind seit fast zwanzig Jahren verheiratet, und nicht mal wir können behaupten, alles übereinander zu wissen. Acht Monate sind nichts in einer Beziehung!«

»Gott hat gerade mal sechs Tage gebraucht, um das ganze Universum zu erschaffen«, wandte Avi strahlend ein, aber die kühlen Blicke aller am Tisch brachten ihn sofort zum Schweigen.

David, der die wachsende Spannung spürte, schaute seine Älteste an und gab stirnrunzelnd zu bedenken: »Deine Mutter will damit doch nur sagen, dass Beziehung das eine und Ehe etwas ganz anderes ist, mein Engel.«

»Hast du wirklich geglaubt, wir würden ewig unverheiratet bleiben, Dad?«, fragte Jeannette.

Ella holte tief Luft. »Um ganz ehrlich zu sein – wir hatten gehofft, dass du einen Besseren findest. Du bist noch viel zu jung für eine ernsthafte Beziehung.«

»Weißt du, was ich glaube, Mom?«, erwiderte Jeannette mit so tonloser Stimme, dass sie fast nicht zu hören war. »Ich glaube, dass du deine eigenen Ängste auf mich projizierst. Aber dass du so früh geheiratet und schon in meinem Alter ein Kind bekommen hast, heißt nicht, dass ich denselben Fehler machen werde.«

Ella lief so rot an, als hätte man sie ins Gesicht geschlagen. Aus den Tiefen ihres Gedächtnisses stiegen die Erinnerungen an die schwierige Schwangerschaft und an Jeannettes Geburt weit vor dem Termin herauf. Weil ihre kleine Tochter sie all ihre Kraft gekostet hatte, war sie erst nach sechs Jahren zu einem nächsten Kind bereit gewesen.

»Wir haben uns wirklich für dich gefreut, als du Scott kennengelernt hast«, warf David vorsichtig ein, um es mit einer neuen Strategie zu versuchen. »Er ist ein netter Kerl. Aber wer weiß, wie du die Sache nach Abschluss des Studiums siehst. Dann werden die Karten neu gemischt.«

Wie um Zustimmung zu heucheln, nickte Jeannette kaum merklich. Dann sagte sie: »Hat es damit zu tun, dass Scott kein Jude ist?«

David rollte fassungslos mit den Augen. Er war immer stolz darauf gewesen, ein aufgeschlossener und kultivierter Vater zu sein, dem nie eine abschätzige Bemerkung hinsichtlich Rasse, Religion oder Geschlecht über die Lippen kam.

Jeannette jedoch war noch längst nicht auf dem Rückzug. Sie wandte sich an ihre Mutter. »Kannst du mir in die Augen sehen und dabei sagen, dass du dieselben Einwände hättest, wenn Scott Jude wäre und Aaron heißen würde?«

»Ich will ganz offen mit dir reden, mein Herzblatt, auch wenn du es nicht gern hörst. Ich weiß, wie schön es ist, jung und verliebt zu sein, glaub mir. Aber einen Mann mit einem anderen kulturellen Hintergrund zu heiraten ist äußerst riskant. Und wir als deine Eltern wollen sichergehen, dass du das Richtige tust.«

»Und woher wollt ihr wissen, dass euer Richtiges auch das Richtige für mich ist?«

Die Frage brachte Ella ein wenig ins Schlingern. Seufzend begann sie sich die Stirn zu massieren, als bekäme sie jeden Moment Migräne.

»Ich liebe ihn, Mom. Sagt dir das was? Kannst du dich von irgendwoher an dieses Wort erinnern? Er lässt mein Herz schneller schlagen. Ich kann nicht ohne ihn leben.«

Ella hörte sich kichern. Sie wollte sich nicht über die Gefühle ihrer Tochter lustig machen, ganz und gar nicht, aber genau danach klang dieses Lachen wohl. Sie war nervös und wusste nicht, warum. Schon oft hatte sie sich mit Jeannette gestritten, schon hundertmal, aber heute war es, als würde sie mit etwas anderem streiten, mit etwas Größerem.

»Warst du denn nie verliebt, Mom?«, erwiderte Jeannette mit einem Anflug von Verachtung in der Stimme.

»Also bitte! Hör auf zu träumen und komm auf den Boden der Realität zurück! Du bist ja dermaßen …« Ellas Blick schoss zum Fenster, sie suchte nach einem Wort mit genügend Effekt und fand es schließlich: »… romantisch!«

»Was ist falsch am Romantischsein?«, fragte Jeannette beleidigt.

Ja, was war eigentlich falsch daran?, dachte Ella. Seit wann regte es sie so auf? Obwohl sie keine Antwort auf diese im Hinterkopf lauernden Fragen hatte, fuhr sie fort. »Ich bitte dich, meine Kleine, in welchem Jahrhundert lebst du denn? Du solltest endlich begreifen, dass man als Frau nicht den Mann heiratet, in den man sich verliebt hat. Wenn es ernst wird, nimmt man den, der mal ein guter Vater und verlässlicher Ehemann sein wird. Liebe ist nichts weiter als ein wunderschönes Gefühl, das eines Tages unweigerlich wieder verschwindet, so wie es gekommen ist.«

Als sie geendet hatte, wandte Ella sich ihrem Mann zu. David hatte langsam, wie gegen einen Widerstand, die Hände vor sich gefaltet und betrachtete seine Frau, als sähe er sie zum ersten Mal.

»Ich weiß, warum du das sagst«, rief Jeannette. »Du neidest mir mein Glück und meine Jugend. Du willst eine unglückliche Hausfrau aus mir machen. Du willst, dass ich wie du werde, Mom.«

In Ellas Magen breitete sich ein flaues Gefühl aus. War sie eine unglückliche Hausfrau? Eine Mutter mittleren Alters, gefangen in einer Ehe kurz vorm Scheitern? Sahen ihre Kinder sie so? Und ihr Mann auch? Und die Freunde und Nachbarn? Plötzlich kam es ihr so vor, als hätten alle rings umher Mitleid mit ihr, und diese Vermutung tat so weh, dass sie nach Luft rang.

»Du solltest dich bei deiner Mutter entschuldigen«, sagte David verärgert zu Jeannette.

»Schon gut, ich erwarte keine Entschuldigung«, entgegnete Ella niedergeschlagen.

Jeannette bedachte ihre Mutter mit einem gespielten Grinsen. Dann schob sie unvermittelt ihren Stuhl zurück, warf die Serviette auf den Tisch und verließ die Küche. Sofort taten Orly und Avi es ihr gleich – sei es aus einer ungewöhnlichen Solidarität mit ihrer älteren Schwester heraus oder weil das ganze Erwachsenengerede sie inzwischen langweilte. Als Nächste ging, unter einem dahingenuschelten fadenscheinigen Vorwand und indem sie heftig ihre letzte Tablette gegen Sodbrennen zerkaute, Tante Esther.

David und Ella blieben sitzen. Das Unbehagen zwischen ihnen war mit Händen zu greifen. Es schmerzte Ella, dieses Gefühl der Leere zu empfinden, das, wie beide wussten, weder etwas mit Jeannette noch mit einem ihrer anderen Kinder zu tun hatte.

David ergriff die Gabel, die er neben den Teller gelegt hatte, und betrachtete sie eine Weile. »Dann muss ich also davon ausgehen, dass du nicht den Mann geheiratet hast, den du liebtest.«

»David, ich bitte dich, so habe ich es doch nicht gemeint!«

»Wie denn dann?«, fragte David, ohne den Blick von der Gabel zu wenden. »Ich dachte, du wärst bei unserer Hochzeit in mich verliebt gewesen.«

»Ich war ja auch in dich verliebt«, versicherte ihm Ella, auch wenn sie sich den Zusatz »damals« nicht verkneifen konnte.

»Und wann hast du aufgehört, mich zu lieben?«, fragte David mit ausdrucksloser Miene.

Ella blickte ihren Mann so erstaunt an wie jemand, der sich zum ersten Mal einen Spiegel vors Gesicht hält. Hatte sie aufgehört, ihn zu lieben? Diese Frage hatte sie sich noch nie gestellt. Sie wollte antworten, aber es ging nicht; nicht weil sie nicht wollte, sondern weil ihr die Worte fehlten. In ihrem tiefsten Inneren wusste sie, dass David und sie sich eher umeinander sorgen sollten als um ihre Kinder. Stattdessen taten sie, was sie am besten konnten: die Tage vergehen, die Routine Überhand gewinnen und der Zeit ihren unabänderlich trägen Lauf lassen.

Außerstande, diese hartnäckige Traurigkeit, die, ohne dass sie es bemerkt hatte, ein Teil von ihr geworden war, niederzuringen, begann sie zu weinen. David wandte gequält sein Gesicht von ihr ab. Beide wussten, dass er Tränen nicht ausstehen konnte – ebenso wenig, wie sie es ausstehen konnte, vor ihm zu weinen. Zum Glück klingelte genau in diesem Moment das Telefon und rettete sie.

David nahm den Anruf entgegen. »Hallo? Ja, sie ist da. Augenblick, bitte.«

Ella nahm sich zusammen, hob die Stimme und gab sich die größte Mühe, gut gelaunt zu klingen. »Ja, Ella am Apparat.«

»Hi, hier spricht Michelle. Entschuldigen Sie, dass ich Sie am Wochenende störe«, sagte eine junge Frau munter durch den Hörer. »Aber Steve wollte schon gestern, dass ich mit Ihnen spreche, und ich habe es schlicht und einfach vergessen. Hatten Sie denn schon Gelegenheit, einen Blick in das Manuskript zu werfen?«

»Oh.« Ella seufzte. Erst jetzt fiel ihr wieder ein, was noch auf sie wartete.

Ihr erster Auftrag von der Literaturagentur bestand darin, den Roman eines unbekannten europäischen Autors zu lesen und ein ausführliches Gutachten zu verfassen.

»Sagen Sie ihm, er soll sich keine Sorgen machen, ich habe schon angefangen zu lesen.« Das war eine Lüge, aber Ella wollte die ehrgeizige und etwas eigenwillige Michelle nicht schon beim ersten Mal verärgern.

»Prima! Und, wie ist es?«

Ein paar Sekunden lang war Ella um die Antwort verlegen. Sie wusste nicht das Geringste über das Manuskript, außer dass es sich um einen historischen Roman über das Leben des berühmten Mystikers Rumi handelte, der, wie sie gelernt hatte, »Shakespeare der islamischen Welt« genannt wurde.

Ella kicherte. »Na ja, es ist sehr … mystisch«, sagte sie in der Hoffnung, sich mit einem kleinen Scherz über die Runden zu retten.

Michelle blieb ganz geschäftsmäßig. »Na gut«, sagte sie nur. »Aber sehen Sie zu, dass Sie vorankommen. Ein Gutachten über einen solchen Roman schreibt sich ja nicht von selbst …«

Aus dem Hörer drang jetzt fernes Gemurmel, während Michelles Stimme immer leiser wurde. Ella stellte sich vor, wie ihre Gesprächspartnerin beim Telefonieren zig Dinge auf einmal zu erledigen versuchte – wie sie E-Mails las, eine Rezension über einen ihrer Autoren überflog, von ihrem Thunfischsalat-Sandwich abbiss und sich die Fingernägel lackierte.

»Sind Sie noch dran?«, fragte Michelle.

»Ja.«

»Gut. Hören Sie, bei uns ist die Hölle los, ich muss Schluss machen. Denken Sie dran, Abgabetermin ist in drei Wochen.«

»Ich weiß«, sagte Ella schneidig, um etwas zielstrebiger zu klingen. »Das schaffe ich.«

In Wahrheit wusste sie nicht einmal genau, ob sie überhaupt Lust dazu hatte, das Manuskript zu begutachten. Anfangs war sie noch so gespannt und zuversichtlich gewesen. Sie fand es aufregend, als Allererste den unveröffentlichten Roman eines unbekannten Autors zu lesen und eine, wenn auch noch so kleine Rolle, zu spielen für seinen weiteren Weg. Jetzt aber bezweifelte sie, dass es ihr gelingen würde, sich auf etwas wie den Sufismus und eine so weit zurückliegende Zeit wie das dreizehnte Jahrhundert zu konzentrieren, was mit ihrem Leben so ganz und gar nichts zu tun hatte.

Michelle musste ihre Zögerlichkeit gespürt haben. »Gibt es ein Problem?«, fragte sie. Und als keine Antwort kam, hakte sie nach. »Sie können es mir ruhig sagen.«

Nach kurzem Schweigen beschloss Ella, ihr die Wahrheit zu beichten.

»Ich weiß einfach nicht genau, ob ich zurzeit in der richtigen Verfassung bin, um mich auf einen historischen Roman einzulassen. Ich interessiere mich durchaus für Rumi und so weiter, aber das Thema ist mir doch sehr fremd. Vielleicht könnten Sie mir ein anderes Manuskript geben – etwas mit mehr Bezug zu mir.«

»Das ist ja mal ein richtig schräger Ansatz«, entgegnete Michelle. »Glauben Sie wirklich, Sie täten sich leichter mit Büchern, über deren Inhalt Sie Bescheid wissen? Garantiert nicht! Schließlich können wir ja nicht nur Romane veröffentlichen, die in Massachusetts spielen, bloß weil wir hier leben!«

»So habe ich es nicht gemeint …«, sagte Ella, und ihr wurde schlagartig klar, dass sie diesen Satz an diesem Nachmittag schon viel zu oft von sich gegeben hatte. Sie spähte zu ihrem Mann hinüber, um herauszufinden, ob es ihm auch aufgefallen war, aber Davids Miene ließ sich schwer deuten.

»Wir müssen fast immer Sachen lesen, die nichts mit unserem Leben zu tun haben, das ist nun mal unser Job. Letzte Woche habe ich die Arbeit am Buch einer Iranerin abgeschlossen, die früher ein Bordell in Teheran betrieben hat und aus dem Land fliehen musste. Hätte ich der vielleicht sagen sollen, es wäre besser, wenn sie ihr Manuskript an eine iranische Agentur schickt?«

»Nein, natürlich nicht«, murmelte Ella. Sie kam sich dumm vor und hatte ein schlechtes Gewissen.

»Finden Sie nicht auch, dass es gerade zu den Stärken guter Literatur zählt, den Menschen ferne Länder und Kulturen näherzubringen?«

»Ja, natürlich. Also, vergessen Sie, was ich gesagt habe. Mein Gutachten liegt noch vor dem Abgabetermin auf Ihrem Schreibtisch.« Sie ärgerte sich über Michelle, weil die sie wie die letzte Hinterwäldlerin behandelte, und sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie es zugelassen hatte.

»Super – das ist die richtige Einstellung!«, flötete Michelle am anderen Ende. »Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber denken Sie mal daran, dass es da draußen jede Menge Leute gibt, die sich alle zehn Finger nach Ihrem Job abschlecken. Und die meisten davon sind gerade mal fast halb so alt wie Sie. Das hilft Ihnen bestimmt auf die Sprünge.«

Als Ella aufgelegt hatte, sah sie, dass David sie mit einem ernsten, distanzierten Ausdruck im Gesicht betrachtete. Offenbar wartete er darauf, dass sie da weitermachten, wo sie aufgehört hatten. Aber Ella stand nicht der Sinn danach, sich noch länger den Kopf über die Zukunft ihrer Tochter zu zerbrechen, falls das überhaupt das Thema gewesen war.

Später saß sie allein auf der Veranda in ihrem Lieblingsschaukelstuhl und betrachtete den orangeroten Northamptoner Sonnenuntergang. Der Himmel wirkte so einladend und nah, als bräuchte man nur die Hand auszustrecken. Sie fühlte sich leer, geradezu ermüdet von allem, was in ihrem Kopf umherwirbelte. Die Kreditkartenzahlungen für diesen Monat, Orlys schlimme Essgewohnheiten, Avis schlechte Noten, Tante Esther mit ihren traurigen Kuchen, die schwindende Gesundheit ihres Hundes Spirit, Jeannettes Heiratspläne, die heimlichen Affären ihres Mannes, die fehlende Liebe in ihrem Leben … Einen nach dem anderen sperrte sie ihre Gedanken in kleine Schachteln ein.

In dieser Stimmung nahm sie das Manuskript aus dem Umschlag und hielt es einen Moment in den Händen, wie um es zu wiegen. Auf dem ersten Blatt stand in indigoblauer Schrift der Titel des Romans: Süße Blasphemie.

Ella wusste nur, dass nicht viel über den Autor bekannt war. Es handelte sich um einen gewissen A.Z. Zahara, der in Holland lebte. Sein Manuskript war von Amsterdam aus an die Literaturagentur gesendet worden. Der Umschlag enthielt auch eine Postkarte mit einer Aufnahme von einem Feld voller Tulpen in grellen Rosa-, Gelb- und Violetttönen. Auf der Rückseite stand in zierlicher Handschrift:

Sehr geehrte Damen und Herren,

Grüße aus Amsterdam! Die Geschichte, die ich Ihnen anbei schicke, spielt im dreizehnten Jahrhundert, und zwar in Konya, Kleinasien. Meiner tiefen Überzeugung nach ist es jedoch eine Geschichte, die über Länder, Kulturen und Zeiten hinweg Gültigkeit besitzt.

Ich hoffe, Sie haben Zeit und lesen Süße Blasphemie, einen historischen mystischen Roman über die außergewöhnliche Freundschaft zwischen Rumi, dem größten Dichter und meistverehrten geistlichen Führer in der Geschichte des Islam, und Schams-e Tabrizi, einem so unbekannten wie skandalträchtigen Derwisch, der nach niemandes Pfeife tanzte und stets voller Überraschungen steckte.

Möge Ihr Leben immer voller Liebe und mögen Sie stets von Liebe umgeben sein.

A.Z. Zahara

Ellas Gefühl nach hatte diese Postkarte die Neugier des Agenten geweckt. Aber Steve war nicht der Typ, der sich Zeit für das Werk eines Amateurs nahm. Deshalb hatte er das Päckchen seiner Assistentin Michelle übergeben, die es postwendend an ihre neue Assistentin weitergereicht hatte. So war Süße Blasphemie in Ellas Hände geraten.

Sie konnte nicht ahnen, dass es nicht einfach irgendein Buch war, sondern das Buch, das ihr Leben verändern würde. In der Zeit, in der sie es las, sollte ihr Leben neu geschrieben werden.

Sie blätterte zur zweiten Seite. Dort stand ein kurzer Text über den Autor.

Wenn A.Z. Zahara nicht gerade in der Welt herumreist, lebt er mit seinen Büchern, Katzen und Schildkröten in Amsterdam. Süße Blasphemie ist sein erster Roman und aller Wahrscheinlichkeit nach auch sein letzter. Er hat nicht die Absicht, Schriftsteller zu werden, sondern verfasste dieses Buch einzig aus inniger Bewunderung für den großen Philosophen, Mystiker und Dichter Rumi und dessen geliebte Sonne Schams-e Tabrizi.

Ihre Augen wanderten zur nächsten Zeile, und dort las sie etwas, was ihr merkwürdig vertraut vorkam:

Denn entgegen der Meinung vieler Menschen ist Liebe nicht bloß ein schönes Gefühl, das kommt, um unweigerlich bald wieder zu verschwinden.

Für einen Moment rang Ella um Fassung. Das war genau das Gegenteil dessen, was sie vorhin in der Küche zu ihrer Tochter gesagt hatte. Einen Augenblick lang saß sie reglos da und schauderte bei dem Gedanken, dass sie von irgendeiner rätselhaften Kraft im Universum – oder auch nur von diesem Autor, wer immer er war, ausspioniert wurde. Vielleicht hatte er das Buch schon in dem Wissen verfasst, welche Art von Mensch es als Erstes lesen würde. Während er es schrieb, hatte er sich sie als Leserin vorgestellt. Den Gedanken fand Ella nicht nur beunruhigend, sondern, ohne es sich recht erklären zu können, auch aufregend.

Das einundzwanzigste Jahrhundert unterscheidet sich im Grunde gar nicht so sehr vom dreizehnten. Beide werden als Ära beispielloser religiöser Konflikte, kultureller Missverständnisse sowie einer allgemeinen Verunsicherung und Angst vor dem anderen in die Geschichte eingehen. In solchen Zeiten bedarf es der Liebe mehr denn je.

Plötzlich fuhr ihr eine kühle Bö ins Gesicht und wirbelte die Blätter auf der Veranda durcheinander. Das zauberfarbige Licht der untergehenden Sonne sank auf den westlichen Horizont zu, und die Luft bekam etwas Flaues, Freudloses.

Denn die Liebe ist der eigentliche Kern, der eigentliche Zweck des Lebens. Rumi erinnert uns daran, dass sie jeden trifft, auch den, der sie meidet, und selbst den, der das Wort »romantisch« in missbilligender Absicht verwendet.

Ella war so entgeistert, als hätte sie gelesen: »Die Liebe trifft jeden, selbst eine Northamptoner Hausfrau mittleren Alters namens Ella Rubinstein.«

Etwas in ihrem Inneren sagte ihr, dass sie das Manuskript sofort weglegen, ins Haus gehen, Michelle anrufen und ihr mitteilen müsse, dass sie unmöglich ein Gutachten über diesen Roman schreiben könne, doch stattdessen holte sie tief Luft, blätterte um und begann zu lesen.

A.Z. ZAHARA

Süße Blasphemie

ROMAN

Sufi-Mystikern zufolge liegt das Geheimnis des Koran in der Sure al-Fatiha

Und das Geheimnis von al-Fatiha in den Worten

Bismillahirrahmanirrahim

Und die Quintessenz der Bismillah im Buchstaben ba.

Unter diesem Buchstaben befindet sich ein Punkt.

Der Punkt unter dem ba symbolisiert das ganze Universum.

Das Masnawi beginnt mit ba, dem lateinischen B,

So wie alle Kapitel dieses Romans …

VORWORT

Brodelnde religiöse Konflikte, politische Auseinandersetzungen, endlose Machtkämpfe – in Anatolien war das dreizehnte Jahrhundert eine unruhige Zeit. Im Westen erstürmten und plünderten die Kreuzritter auf ihrem Weg nach Jerusalem die Stadt Konstantinopel, was zur Aufteilung des Byzantinischen Reichs führte. Im Osten breiteten sich rasend schnell hochdisziplinierte Mongolenarmeen unter der Führung des militärischen Genies Dschingis Khan aus. Dazwischen bekriegten verschiedene türkische Stämme sich gegenseitig, während die Byzantiner nichts unversucht ließen, ihr verlorenes Land, ihren Reichtum und ihre Macht zurückzugewinnen. Eine von unerhörtem Chaos geprägte Zeit, in der Christen gegen Christen, Christen gegen Moslems und Moslems gegen Moslems kämpften. Wohin man blickte, herrschten Feindschaft, Leid und große Angst vor dem, was als Nächstes am Horizont heraufziehen würde.

Mitten in diesem Chaos lebte ein angesehener islamischer Gelehrter mit Namen Dschalal ad-Din Rumi. Viele nannten ihn Maulana – »unser Meister« –, denn er hatte Tausende von Schülern und Bewunderern in der ganzen Region und darüber hinaus und galt allen Moslems als ein strahlendes Vorbild.

Im Jahr 1244 lernte Rumi Schams kennen, einen Wanderderwisch mit unkonventionellem Gebaren, der ketzerische Reden schwang. Dieses Zusammentreffen veränderte das Leben beider Männer. Zugleich war es der Beginn einer engen, einzigartigen Freundschaft, die von Sufis in den darauffolgenden Jahrhunderten mit der Vereinigung zweier Ozeane verglichen wurde. Die Begegnung mit diesem außergewöhnlichen Gefährten ließ den orthodoxen Geistlichen Rumi zum leidenschaftlichen Mystiker und Dichter werden, zum Fürsprecher der Liebe und Urheber des ekstatischen Tanzes der kreisenden Derwische und zu einem Mann, der es wagte, sich über alle geltenden Regeln hinwegzusetzen. In einem Zeitalter tief verwurzelten religiösen Eifers und Streits stand er für eine universelle Spiritualität und lieh Menschen jedweder Herkunft ein Ohr. Nicht für einen nach außen gerichteten Dschihad – einen »Krieg gegen die Ungläubigen«, wie er damals wie heute von vielen geführt wurde – sprach Rumi sich aus, sondern für einen nach innen gerichteten Dschihad mit dem Ziel, die Nafs, das Ich, zu bekämpfen und schließlich zu besiegen.

Doch diese Gedanken wurden nicht von allen gutgeheißen, so wie ja auch nicht alle Menschen der Liebe ihr Herz öffnen. Das starke geistige Band zwischen Schams und Rumi wurde zum Ziel von Gerüchten, von Verleumdung und Angriffen. Die beiden Männer wurden missverstanden, beneidet, verunglimpft und schließlich von denen, die ihnen am nächsten standen, verraten. Drei Jahre nach ihrer ersten Begegnung wurden sie auf tragische Weise getrennt.

Doch das bedeutete noch nicht das Ende der Geschichte.

Denn in Wahrheit hörte sie nie auf. Heute, fast achthundert Jahre später, ist der Geist von Schams und Rumi noch immer lebendig und umweht uns alle …

DER MÖRDER

ALEXANDRIA, NOVEMBER 1252

Blut im Brunnen. Tot liegt er nun im dunklen Wasser. Doch sein Blick folgt mir überallhin, der Blick aus diesen glänzenden, beeindruckenden Augen, die wie zwei dunkle Sterne unheilvoll droben am Himmel stehen. Ich kam nach Alexandria in der Hoffnung, der grellen Erinnerung zu entfliehen, wenn ich nur weit genug reiste, und den Klageruf zum Verstummen zu bringen, der in meinem Kopf widerhallt, diesen Schrei, den er ausstieß, bevor sein Gesicht vom Blut überströmt wurde, seine Augen aus den Höhlen traten und seine Kehle sich mitten im letzten Atemzug schloss. Den Abschied eines erstochenen Mannes. Das Heulen eines in die Enge getriebenen Wolfs.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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