Die wahrhaftige Geschichte des kleinen Gribouille - George Sand - E-Book

Die wahrhaftige Geschichte des kleinen Gribouille E-Book

George Sand

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die wahrhaftige Geschichte des kleinen Gribouille‹ ist geheimnisvoll, spannend und auch ein bißchen traurig. Gribouille ist ein Träumer, der von zu Hause flieht, aus seiner trostlosen Welt voller Habgier und Schlechtigkeit, und sich aufmacht, die sagenhafte Welt des Feenreichs zu suchen, eine Welt voller Schönheit und Friedfertigkeit. ›Gribouille‹ war George Sands erste Erzählung für Kinder. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 85

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



George Sand

Die wahrhaftige Geschichte des kleinen Gribouille

Herausgegeben von Ulrich C. A. Krebs

Aus dem Französischen von Ulrich C. A. Krebs

FISCHER Digital

Mit Illustrationen von Maurice Sand

Inhalt

Fischer SchatzinselHerausgegeben von Klaus [...]Erster Teil Wie Gribouille in den Fluß sprang, weil er Angst hatte, naß zu werdenZweiter Teil Wie Gribouille ins Feuer sprang, weil er Angst hatte, sich zu verbrennen

Fischer SchatzinselHerausgegeben von Klaus Humann

Erster Teil Wie Gribouille in den Fluß sprang, weil er Angst hatte, naß zu werden

Es waren einmal ein Vater und eine Mutter, die hatten einen Sohn. Dieser Sohn hieß Gribouille, die Mutter hieß Brigoule, und der Vater hieß Bredouille. Vater und Mutter hatten noch sechs andere Kinder, drei Buben und drei Mädchen, also sieben, und Gribouille war der kleinste von ihnen.

Vater Bredouille war Jagdhüter des Königs in diesem Lande und stand sich gut dabei. Er hatte ein hübsches Haus auf einer hübschen Lichtung mitten im tiefen Wald mit einem hübschen Garten; es lag an einem hübschen Bach, der den Wald von einem Ende zum anderen durchfloß. Bredouille durfte jagen, fischen, Bäume für das Brennholz fällen, ein gutes Stück Land bebauen; er bekam dazu noch Geld vom König für seine Arbeit als Jagdhüter und als Pfleger der Fasanerie. Aber für diesen bösen Mann war das alles noch nicht genug. Er wollte noch reicher sein. Er bestahl und prellte die Reisenden und verkaufte des Königs Wildbret. Er brachte arme Leute ins Gefängnis, wenn sie drei Zweige trockenen Reisigs aufsammelten, während er gut zahlende Reiche im königlichen Forst jagen ließ, soviel sie wollten. Der König war schon zu alt, um auf die Jagd zu gehen, und ahnte nichts davon.

Mutter Brigoule war nicht ganz so schlimm wie ihr Mann, doch viel besser war sie auch nicht. Sie liebte das Geld, und sie störte sich nicht daran, wenn er aus Raffgier etwas Böses getan hatte. Wenn er aber aus reiner Bosheit seine üblen Späße trieb, hätte sie ihn am liebsten verprügelt.

Durch das schlechte Beispiel waren die sechs größeren Kinder von Vater Bredouille und Mutter Brigoule zu rechten Galgenstricken herangewachsen. Die Eltern liebten sie sehr und fanden sie recht gescheit, weil sie zu klauen und schwindeln gelernt hatten, seit sie laufen und sprechen konnten. Nur der kleine Gribouille wurde geprügelt und umhergestoßen, weil er angeblich zu einfältig und zu feige war, um es den anderen nachzutun.

Dabei sah der Kleine sehr niedlich aus und hielt sich sauber und ordentlich. Er riß sich nicht mutwillig Löcher in die Hose und machte sich nicht schmutzig. Er tat niemandem weh, anderen nicht und sich selbst auch nicht. Er dachte sich allerhand Sachen aus, die anderen dumm vorkamen, in Wirklichkeit aber zeigten, daß er ein kluges Kind war. War ihm heiß, trank er nur wenig, weil er herausgefunden hatte, daß man um so durstiger wird, je mehr man trinkt. Wenn er mit Appetit aß und ein armer Mann bat ihn um sein Stück Brot, dann gab er es ihm und sagte sich:

»Ich weiß, wie Hunger quält, und ich darf andere nicht leiden lassen.«

Gribouille kam als einer der ersten auf die Idee, sich Hände und Füße mit Schnee abzureiben, um keine Frostbeulen mehr zu bekommen. Sein liebstes Spielzeug gab er den Kindern, die er am wenigsten mochte, und wenn man ihn fragte, warum er das tat, antwortete er, er wolle dadurch erreichen, auch diese bösen Kameraden liebzuhaben. Er hatte nämlich herausgefunden, daß man denen zugetan wird, denen man gefällig war.

Wenn er tagsüber schläfrig wurde, schüttelte er sich wach, um in der Nacht um so besser schlafen zu können. Wenn er sich fürchtete, so sang er, um denen bang zu machen, die ihm Angst hatten einjagen wollen. Stand sein Sinn nach Spiel, beherrschte er sich, bis er mit seiner Arbeit fertig war, um sich danach von ganzem Herzen und mit gutem Gewissen vergnügen zu können.

Kurzum, er machte sich seine eigenen Gedanken über die beste Art, vernünftig und zufrieden zu sein.

Da seine Eltern darüber ganz anders dachten, wurde er gehänselt und wegen seiner besseren Einfälle ausgelacht. Seine Mutter schlug ihn oft, und sein Vater schob ihn jedesmal weg, wenn der Kleine kam und ihn umarmen wollte.

»Mach dich fort, Dummkopf!« sagte der Vater grob. »Du wirst immer ein Nichtsnutz bleiben.«

Seine Brüder und Schwestern merkten, daß die Eltern Gribouille nicht mochten, und fingen an, ihn zu verachten. Sie quälten ihn, was Gribouille mit viel Geduld, aber nicht ohne Kummer ertrug. Dann ging er oft für sich allein durch den Wald, um sich heimlich auszuweinen und um darüber nachzudenken, wie er seine Eltern dazu bringen könnte, ihn ebenso zu lieben, wie er sie liebhatte.

In diesem Wald gab es eine Eiche, die Gribouille besonders gern hatte. Es war ein riesiger, uralter hohler Baum. Er war von schönem Efeu umrankt und mit den frischesten grünen Moospolstern besetzt. Dieser Ort war ziemlich weit vom Elternhaus entfernt und hieß Hummelkreuzweg.

Niemand im Land erinnerte sich daran, warum man diesen Weg so genannt hatte. Man nahm an, ein reicher Mann namens Hummel habe die Eiche gepflanzt, aber mehr wußte man nicht.

Selten kam jemand dorthin; denn der Zugang über Felsbrocken und durch Brombeergestrüpp war beschwerlich. Doch dicht bei der Eiche war eine herrliche Wiese mit vielen Blumen und eine kleine Quelle, die über das Moos sprudelte und sich dann in den Felsen verlor.

Eines Tages hatte man Gribouille noch mehr gequält als sonst, und er war noch trauriger. Er war hierher gekommen, um sich unter der Eiche auszuweinen. Plötzlich spürte er einen Stich am Arm, schaute hin und sah eine große Hummel, die sich nicht rührte und aussah, als wolle sie sich über ihn lustig machen. Gribouille faßte sie bei den Flügeln und setzte sie auf seine Hand.

»Warum tust du mir weh, dabei habe ich dir doch nichts getan? Sind die Tiere denn ebenso böse wie die Menschen? Eigentlich ist das ganz natürlich, denn sie sind ja Tiere, und es wäre an den Menschen, ihnen ein besseres Beispiel zu geben. Also flieg und sei glücklich! Ich will dich nicht töten. Du hast mich vermutlich für einen Feind gehalten, doch ich bin es nicht. Dein Tod würde den Stich nicht heilen, den du mir beigebracht hast!«

Statt einer Antwort fing die Hummel an, auf seiner kleinen Hand einen Buckel zu machen. Sie rieb sich mit den Beinchen über Nase und Flügel, wie es eine Hummel tut, die sich wohl fühlt und ihre Dummheiten längst vergessen hat.

»Du bereust nichts«, sagte Gribouille, »und du bist nicht einmal dankbar. Daß du kein gutes Herz hast, verstimmt mich, denn du bist eine schöne Hummel, das muß man dir lassen. Du bist die größte Hummel, die ich je gesehen habe, und du hast ein schwarzes Kleid mit einem violetten Schimmer, was zwar nicht lustig wirkt, aber wie ein Königsmantel aussieht. Vielleicht bist du eine ganz besondere Hummel und stichst deshalb auch so kräftig?«

Dieses Kompliment, das Gribouille lächelnd gemacht hatte, obwohl dem armen Kind noch die Tränen in den Augen standen, schien der Hummel zu gefallen, denn sie surrte mit den Flügeln, richtete sich auf den Hinterbeinen auf, gab dumpfe Töne wie eine Baßgeige von sich und flog davon.

Der Stich tat Gribouille weh. Aber er kannte die Eigenschaften der Waldkräuter, wusch den Arm im Bach, pflückte verschiedene Blätter, legte sie auf die wunde Stelle und schlief ein.

Im ersten Schlaf hörte er eine seltsame Musik. Sie klang wie die tiefen Stimmen eines Männerchors in der Kirche und kam aus der Erde:

Summt, summt, summt

unser König kummt.

Und der Bach, der über das Geröll hüpfte, schien den Blumen an seinen Ufern zuzurufen:

Zittert vor Bangen,

der Feind kommt gegangen.

Die dicken Eichenwurzeln schienen sich zu ringeln und sich wie Nattern über das Moos zu schlängeln. Immergrün und Margeriten drehten sich wie toll auf ihren Stielen. Die großen schwarzen Ameisen, die in der Borke gern auf Raub ausgehen, krabbelten an der Eiche herunter und stellten sich ganz erstaunt auf die Hinterbeine. Die Grillen kamen aus ihren Löchern und drückten ihre Nasen über den Rand. Dabei zitterten und zischelten die Blätter und Binsen so laut, daß der arme Gribouille durch all den Lärm aus dem Schlaf geschreckt wurde.

Erstaunt sah er vor sich einen großen, wohlbeleibten Herrn in altmodischen schwarzen Kleidern, der ihn mit kugelrunden Augen betrachtete.

»Du hast mir einen großen Dienst erwiesen, den ich dir nie vergessen werde«, sagte der Herr mit tiefer, schnarrender Stimme. »Du darfst dir wünschen, was du willst! Ich werde es dir erfüllen.«

»Ach, mein Herr!« rief Gribouille schlotternd vor Angst. »Das, worum ich Sie bitten möchte, können Sie nicht vollbringen. Meine Eltern lieben mich nicht, und ich möchte so gern, daß sie es tun.«

»Du hast recht, das ist nicht einfach«, sagte der Herr in Schwarz. »Aber ich könnte immerhin etwas für dich tun. Du hast ein gutes Herz, das weiß ich. Nur deinem Verstand müßte man nachhelfen.«

»Oh, mein Herr!« rief Gribouille. »Wenn ich böse werden muß, um Verstand zu haben, will ich keinen. Dann bleibe ich lieber dumm und gut.«

«Und was willst du gut unter all den bösen Menschen anfangen?« fragte der rundliche Herr und rollte dabei die Augen, die wie feurige Kohlen glimmten.

«Ich weiß nicht, was ich Ihnen darauf antworten soll«, sagte Gribouille kleinlaut. »Ich habe nicht genug Verstand, um mich Ihnen verständlich zu machen. Ich habe nie jemandem etwas Böses getan. Ich will es weder können noch wollen.«

»Du bist ein Dummkopf!« rief der schwarze Herr. »Doch Schluß jetzt, ich muß gehen. Ich habe nicht so viel Zeit, um dir den Kopf zurechtzurücken. Wir sehen uns wieder! Wenn du irgend etwas brauchst, so weißt du nun, daß ich dir keinen Wunsch abschlagen werde.«

»Sie meinen es gut mit mir«, stotterte Gribouille, dessen Zähne vor Furcht klapperten. Doch der Herr drehte sich um. Sein Anzug aus schwarzem Samt wurde zuerst leuchtend blau, dann prächtig violett, als er von den Sonnenstrahlen getroffen wurde. Sein Bart sträubte sich, sein Umhang blähte sich auf. Mit einem dumpfen Fauchen, das Gribouille schrecklicher schien als das eines Löwen, hob er sich schwerfällig von der Erde ab und verschwand durch das Laub der Eiche.