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George Sand

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Beschreibung

Eines der bekanntesten Reisebücher der Weltliteratur und gleichzeitig eine große Liebesgeschichte. Ein Muss für alle Mallorca-Liebhaber!

Im November 1838 betritt ein berühmtes Liebespaar den Boden Mallorcas: George Sand und Frédéric Chopin. Erst nach längerem Suchen finden sie ein Quartier: das verlassene Kloster von Valldemosa. Auch wenn sie auf manchen Komfort verzichten müssen, genießt George Sand das Leben an diesem abgeschiedenen Ort. Ihr Bericht über die Zeit auf Mallorca ist ein bewegendes Stimmungsbild. Die Schilderungen der Landschaft und ihrer Bewohner sind geprägt durch ihre ganz persönlichen Erfahrungen auf der Insel, einem Ort, an den sich damals nur selten Fremde verirrten.

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Inhaltsverzeichnis
 
Buch
Autorin
Vorwort
Brief eines ehemaligen Reisenden an einen seßhaften Freund
 
Erster Teil
I
II
 
Copyright
Buch
Im November 1838 betritt ein berühmtes Liebespaar den Boden Mallorcas: George Sand und Frederic Chopin. Doch der Aufenthalt ist zunächst weniger romantisch, als es einem die beiden Namen, Inbegriff romantischen Künstlertums, auf den ersten Blick nahelegen. Die beiden Liebenden sind nicht allein, man reist als Familie: Maurice und Solange, die Kinder von George Sand, sind mit von der Partie. Und den Reisenden begegnet so manche Schwierigkeit: Nur mit Mühe finden sie eine Unterkunft in Palma, die sie jedoch bald wieder verlassen müssen. Schließlich glaubt Sand, den idealen Ort für ihren Aufenthalt gefunden zu haben: das verlassene Kloster von Valldemosa. Sand ist begeistert, auch wenn das alltägliche Leben in den kleinen Klosterzellen sich alles andere als komfortabel gestaltet und der Gesundheit ihres Geliebten, der an Tuberkulose leidet, wenig zuträglich ist. Im März 1839 verlassen die Liebenden die Insel und kehren nach Paris zurück. George Sands Bericht über die Zeit auf Mallorca ist ein subjektives Stimmungsbild, die Schilderungen der Landschaft und ihrer Bewohner sind geprägt durch ihre ganz persönlichen Erfahrungen auf der Insel - damals ein Ort, an den sich nur selten Fremde verirrten.
Autorin
George Sand (1804-1876), eigentlich Amantine-Aurore-Lucile Dupin, verheiratete Baronin Dudevant, zählt zu den großen Autorinnen der Weltliteratur. Die französische Schriftstellerin und frühe Kämpferin für die Rechte der Frau war Mitarbeiterin von »Le Figaro« und verfaßte zahlreiche Romane und Dramen. Sie war mit vielen Schriftstellern und Künstlern ihrer Zeit befreundet und hatte unter anderem Beziehungen mit Franz Liszt, Hector Berlioz, Honoré de Balzac und Frederic Chopin. George Sands libertäres Auftreten - sie trug gerne Männerkleidung - und ihre Vorstellungen hinsichtlich der Rolle der Frau sorgten in der Pariser Gesellschaft für Skandale.
Vorbemerkung
Dieses Buch trägt sein Entstehungsdatum in einem Widmungsbrief an meinen Freund François Rollinat und seine Daseinsberechtigung in den Überlegungen, die das vierte Kapitel eröffnen; ich könnte sie nur wiederholen: »Warum reisen, wenn man nicht dazu gezwungen ist?« Heute, da ich von denselben Breitengraden zurückkehre, die ich jetzt allerdings an einem anderen Ort Südeuropas durchquert habe, gebe ich mir die gleiche Antwort wie damals bei meiner Rückkehr aus Mallorca: »Es geht weniger darum, zu reisen als wegzufahren: Wer von uns hätte nicht irgendeinen Schmerz zu überwinden oder ein Joch abzuschütteln?«
 
Nohant, 25. August 1885 GEORGE SAND
Brief eines ehemaligen Reisenden an einen seßhaften Freund
Du, mein lieber François, der Du ein Seßhafter aus Pflicht bist, denkst, daß ich von der stolzen und eigensinnigen Manie der Unabhängigkeit getragen werde und auf dieser Welt keine brennendere Lust gekannt habe, als Meere und Berge, Seen und Täler zu durchstreifen. Ach! Meine schönsten und lieblichsten Reisen habe ich am heimischen Kamin gemacht, die Füße in die warme Asche gestreckt, meine Ellenbogen auf den zerschlissenen Armlehnen des Sessels meiner Großmutter. Ich zweifle nicht daran, daß Du ebenso angenehme und tausendmal poetischere Reisen machst: deshalb rate ich Dir, Deinen Müßiggang nicht allzu sehr zu beklagen, Dich weder nach den Unannehmlichkeiten zu sehnen, Deinem Schwitzen unter tropischer Hitze, Deinen erfrorenen Füßen auf den schneebedeckten Ebenen des Pols, den schrecklichen auf dem Meere durchlittenen Stürmen, den Angriffen von Räubern, noch nach den Gefahren und Erschöpfungen, die Du jeden Abend nur in der Vorstellung erlebst, ohne aus Deinen Pantoffeln zu schlüpfen und ohne einen größeren Schaden davonzutragen als einige Brandlöcher auf dem Kragen Deines Wamses.
Um Dich mit der Entbehrung wirklicher Weiten und körperlicher Bewegung zu versöhnen, schicke ich Dir den Bericht der letzten Reise, die ich außerhalb Frankreichs unternommen habe; ich bin sicher, daß Du mich eher bedauern als beneiden wirst und daß Du die wenigen Anwandlungen von Bewunderung und Stunden der Verzückung, die ich dem Unglück abtrotzen konnte, als zu teuer erkauft empfinden wirst.
Dieser Reisebericht, den ich bereits vor einem Jahr geschrieben habe, hat mir eine außerordentlich wütende und komische Schmähschrift von seiten der Bewohner Mallorcas beschert. Ich bedauere, daß sie zu lang ist, um im Anschluß an meinen Bericht veröffentlicht zu werden; denn der Ton, in dem sie gehalten ist, und die Grobheit der Vorwürfe, die darin an mich gerichtet werden, würden meine Aussagen über die Gastfreundlichkeit, den Geschmack und das Zartgefühl der Mallorquiner gegenüber Fremden nur bestätigen. Sie wäre eine kuriose Verteidigungsschrift; aber wer würde sie bis zum Ende lesen? Wenn im übrigen bereits einige Eitelkeit und Dummheit darin steckt, Komplimente über sich selbst zu veröffentlichen, wieviel mehr dann erst darin, in Zeiten wie diesen viel Aufhebens um Schmähungen zu machen, denen man ausgesetzt ist?
Ich erspare sie Dir also und beschränke mich darauf, zur Vervollständigung der Details, die ich Dir über die mallorquinische Bevölkerung schulde, zu berichten, daß die geschicktesten Anwälte von Palma - vierzig an der Zahl, wie man mir zutrug - sich nach der Lektüre meines Berichtes versammelten, um auf eigene Kosten ein schreckliches Machwerk gegen den unmoralischen Schriftsteller zu verfassen, der sich erlaubt hatte, über ihre Gewinnsucht und ihre Sorge um die Aufzucht von Schweinen zu lachen. Um es mit dem bekannten Bonmot zu sagen: Hier hatten vierzig den Geist von vieren.
Aber lassen wir diese guten Leute in Ruhe, die sich so über mich erregt haben; sie hatten inzwischen Zeit, sich zu beruhigen, und ich meinerseits hatte Zeit, ihre Art des Handelns, des Sprechens und des Schreibens zu vergessen. Von allen Inselbewohnern dieses schönen Landes erinnere ich mich nur noch an fünf oder sechs Personen, deren zuvorkommender Empfang und deren liebenswürdige Umgangsformen als Wiedergutmachung und Wohltat des Schicksals für immer in meinem Gedächtnis bleiben werden. Wenn ich sie nicht genannt habe, so deshalb, weil ich mich selbst nicht als wichtig genug erachte, sie durch meine Dankbarkeit zu ehren und auszuzeichnen. Ich bin allerdings sicher (und ich glaube, dies im Laufe meines Berichtes zum Ausdruck gebracht zu haben), daß sie mich in freundschaftlicher Erinnerung behalten; deshalb werden sie sich auch in meinen respektlosen Spott nicht einbegriffen glauben und an meinen Gefühlen ihnen gegenüber nicht zweifeln.
Ich habe Dir nichts von Barcelona erzählt, wo wir mehrere recht ausgefüllte Tage verbrachten, bevor wir uns nach Mallorca einschifften. Der Meerweg von Port-Vendres nach Barcelona ist bei schönem Wetter und auf einem guten Dampfschiff eine reizvolle Spazierfahrt. An der Küste von Katalonien fanden wir die Frühlingsluft wieder, die wir im November gerade noch in Nimes genossen hatten, die uns aber in Perpignan verlassen hatte; auf Mallorca erwartete uns Sommerhitze. In Barcelona milderte eine frische Seebrise die strahlende Sonne und fegte jede Wolke vom breiten Horizont, der in weiter Ferne von kahlen, schwarzen und von schneeweißen Gipfeln eingerahmt wurde. Wir machten einen Ausflug aufs Land und achteten darauf, daß die kleinen andalusischen Pferde, die uns trugen, genügend Hafer gefressen hatten, um uns im Falle einer unangenehmen Begegnung hurtig wieder in die Mauern der Zitadelle zurückbringen zu können.
Du weißt, daß zu dieser Zeit (1838) die Aufrührer in umherstreunenden Banden das ganze Land durchquerten, die Straßen versperrten, in Städte und Dörfer einfielen, die kleinsten Behausungen brandschatzten, sich in Landhäusern bis auf eine halbe Wegstunde vor der Stadt festsetzten und plötzlich hinter jeder Felsmulde hervorkommen konnten, um vom Reisenden Geld oder Leben zu fordern.
Dennoch wagten wir uns mehrere Meilen weit entlang der Küste und trafen nur auf Truppenteile der Christinos, die in Richtung Barcelona marschierten. Man sagte uns, dies seien die schönsten Truppen Spaniens; es waren recht ansehnliche Männer, in nicht allzu schlechter Verfassung für Soldaten, die aus einem Feldzug zurückkommen; aber Männer wie Pferde waren so mager: Die einen hatten gelbe und abgezehrte Gesichter, den anderen hing der Kopf so tief und die Flanken waren so eingefallen, daß man bei ihrem Anblick gleichsam den Hunger nagen spürte.
Einen noch traurigeren Anblick boten die Befestigungen, die um die kleinsten Dörfer und vor der Tür der kleinsten Hütten errichtet waren: eine kleine Einfriedungsmauer aus trockenen Steinen, ein mit Zinnen bewehrter Turm, groß und dick wie ein Mandelkuchen, vor jeder Tür oder kleine Mäuerchen mit Schießscharten um jedes Dach herum. All das zeugte davon, daß sich kein Bewohner dieser reichen Landstriche in Sicherheit wog. Vielerorts trugen diese kleinen zerstörten Befestigungen frische Spuren von Angriff und Verteidigung.
Nachdem wir die beeindruckenden enormen Befestigungsanlagen von Barcelona passiert hatten, zu denen unzählige Tore, Zugbrücken, Hohlgänge und Wälle gehörten, deutete nichts mehr darauf hin, daß wir uns in einer Stadt im Kriegszustand befanden. Hinter einer dreifachen Umfassung aus Kanonen und durch Straßenraub und Bürgerkrieg vom übrigen Spanien getrennt, flanierte die stolze Jugend im Sonnenschein über die rambla, eine lange Allee, die wie unsere Boulevards von Bäumen und Häusern gesäumt wird. Die Frauen waren schön, elegant, kokett und nur mit dem Faltenwurf ihres Schleiertuches und mit dem Spiel ihrer Fächer beschäftigt; die Männer, Zigarre rauchend, lachend und schwatzend, schauten verstohlen nach den Damen, unterhielten sich über die italienische Oper und schienen nicht zu ahnen, was jenseits ihrer Mauern vor sich ging. Aber wenn die Nacht anbrach, die Oper zu Ende, die Gitarren weit weg und die Stadt den umsichtigen Wachgängen der serenos überlassen war, dann hörte man inmitten des monotonen Meeresrauschens nur noch die unheilvollen Rufe der Schildwache und noch bedrohlichere Schüsse, die in ungleichen Abständen von unterschiedlichen Stellen aus abgegeben wurden, gelegentlich zögernd, dann überstürzt, mal abwechselnd, mal spontan, manchmal weit entfernt, dann wieder recht nah, und dies fortgesetzt bis zum Morgengrauen. Dann wurde für ein, zwei Stunden alles still, und die Bürger schienen tief zu schlafen, während der Hafen erwachte und das Volk der Matrosen sich zu regen begann.
Wenn man tagsüber während der Stunden der Lustbarkeiten und Spaziergänge darauf verfiel, nach den fremdartigen und erschreckenden Geräuschen der Nacht zu fragen, bekam man die von einem Lächeln begleitete Antwort, dies gehe niemanden etwas an, und es sei unklug, sich danach zu erkundigen.
Erster Teil
I
Zwei englische Touristen entdeckten vor, ich glaube, fünfzig Jahren das Tal von Chamonix, wie eine in den Fels gemeißelte Inschrift am Eingang der Mer-de-Glace bezeugt. Dieser Anspruch erscheint ein bißchen übertrieben, wenn man die geographische Lage dieses Tales berücksichtigt. Er wäre allerdings bis zu einem gewissen Grade gerechtfertigt, wenn diese Touristen, deren Namen ich mir nicht gemerkt habe, wirklich die ersten gewesen sein sollten, die den Dichtern und Malern diesen romantischen Ort gezeigt haben, an dem Byron sein wunderbares Stück Manfred ersann.
Im allgemeinen kann man sagen, daß die Schweiz von der feinen Welt und von den Künstlern erst im letzten Jahrhundert entdeckt wurde, sprich in Mode kam. Jean-Jacques Rousseau ist der wahre Christoph Kolumbus der Alpenpoesie, und wie Monsieur de Chateaubriand sehr richtig beobachtet hat, ist er auch der Vater der französischen Romantik.
Da ich nun doch nicht das gleiche Anrecht auf Unsterblichkeit habe wie Jean-Jacques und immer noch etwas suche, das ich für mich beanspruchen kann, dachte ich, ich könnte mich vielleicht, ähnlich wie die beiden Engländer im Tal von Chamonix, dadurch hervortun, daß ich für mich die Ehre reklamiere, die Insel Mallorca entdeckt zu haben. Aber die Welt ist so anspruchsvoll geworden, daß es heute nicht mehr ausreichen würde, meinen Namen in irgendeinen Fels der Balearen einzumeißeln. Man hätte von mir eine recht genaue Beschreibung oder zumindest einen recht poetischen Bericht über meine Reise gefordert, damit die Touristen auf meine Darstellung hin Lust bekämen, sie ihrerseits zu unternehmen. Da ich mich in jenem Lande jedoch nicht in einer ausreichend verzückten Geistesverfassung befand, habe ich auf den Ruhm meiner Entdeckung verzichtet und werde weder auf Granit noch auf dem Papier ein Anrecht auf sie einfordern.
Hätte ich unter dem direkten Einfluß des Kummers und der Widrigkeiten geschrieben, die ich damals erlebte, dann hätte ich mich dieser Entdeckung unmöglich rühmen können; denn jeder hätte mir nach der Lektüre meines Berichts erwidert, daß es keinen Grund dazu gebe. Heute wage ich zu behaupten, daß es doch einen Grund gab; denn für die Maler ist Mallorca eines der schönsten Länder der Erde und eines der unbekanntesten noch dazu. Dort, wo man nur die malerische Schönheit beschreiben kann, sind die Möglichkeiten des literarischen Ausdrucks so gering und so eingeschränkt, daß ich nicht einmal mit dem Gedanken spielte, mich damit zu befassen. Man braucht Bleistift und Radiernadel eines Zeichners, um den Reisefreudigen die Größe und die Anmut der Natur nahezubringen.
Wenn ich also heute meine Erinnerungen aus ihrer Lethargie rüttle, dann nur deshalb, weil ich vor ein paar Tagen morgens auf meinem Tisch ein schönes Buch fand mit dem Titel:
Souvenirs d’un Voyage d’art à l’île de Majorque
(Erinnerungen an eine Kunstreise auf die Insel Mallorca) von J.-B. Laurens.
Es war eine wahre Freude für mich, Mallorca mit seinen Palmen, seinen Aloen, seinen arabischen Denkmälern und seinen griechischen Trachten wiederzuentdecken. Ich erkannte alle Orte mit ihrem jeweiligen poetischen Kolorit wieder, und meine - wie mir schien - schon sehr verblaßten Eindrücke wurden wieder lebendig. Es gab nicht eine Hütte, nicht einen Busch, die in mir nicht eine Welt von Erinnerungen wachriefen, wie man heute so schön sagt. Ich spürte die Kraft, wenn nicht von meiner eigenen, dann aber von Monsieur Laurens’ Reise zu berichten, eines intelligenten und arbeitsamen Künstlers von großer Schnelligkeit und Gewissenhaftigkeit in der Ausführung. Ihm gebührt ohne Zweifel die Ehre, die ich eigentlich mir zugeschrieben hatte, nämlich, die Insel Mallorca entdeckt zu haben.
Diese Reise von Monsieur Laurens an das Ende des Mittelmeers, an die Küsten, wo das Meer manchmal so wenig gastfreundlich ist wie die Bewohner, ist viel verdienstvoller als der Spaziergang unserer beiden Engländer im Montenvers. Sollte aber die europäische Zivilisation eines Tages soweit kommen, Zöllner und Polizisten, diese sichtbaren Bekundungen von nationalem Mißtrauen und Antipathie, abzuschaffen, und sollte die Dampfschiffahrt direkt von uns bis in seine Gewässer organisiert werden, dann könnte Mallorca der Schweiz bald großen Schaden zufügen; denn man brauchte ebenso wenige Tage für die Reise dorthin, und man würde ohne Zweifel eine ebenso anmutige Schönheit und Szenerien von einzigartiger und erhabener Größe vorfinden, die die Malerei neu befruchten könnten.
Derzeit kann ich diese Reise guten Gewissens allerdings nur körperlich robusten Künstlern von leidenschaftlichem Geist empfehlen. Ohne Zweifel wird eine Zeit kommen, da auch empfindsame Kunstliebhaber und sogar schöne Frauen ohne größere Ermüdung und Unannehmlichkeiten nach Palma fahren können als nach Genf.
Monsieur Laurens, der lange Zeit an den künstlerischen Arbeiten des Monsieur Taylor über die alten Denkmäler Frankreichs beteiligt war und der jetzt ganz auf sich gestellt ist, faßte im letzten Jahr den Entschluß, die Balearen zu bereisen. Er besaß darüber so wenig Informationen, daß er, wie er gesteht, starkes Herzklopfen beim Betreten der Gestade verspürte, wo vielleicht als Antwort auf seine goldenen Träume so viele Enttäuschungen auf ihn warteten. Doch alles, was er dort gesucht hatte, fand er auch vor, und all seine Hoffnungen wurden erfüllt; denn, ich wiederhole es, Mallorca ist das Eldorado der Malerei. Alles ist dort malerisch, von der Bauernhütte, die bis ins kleinste Baudetail die Tradition des arabischen Stils erhalten hat, bis zum in Lumpen gehüllten und in seiner groβartigen Dreckigkeit triumphierenden Kind, wie Heinrich Heine angesichts der Frauen des Veroneser Kräutermarktes zu sagen pflegt. Die Landschaft ist vegetationsreicher als die von Afrika im allgemeinen, weist jedoch eine ebensolche Weiträumigkeit, Ruhe und Einfachheit auf. Es ist das grüne Helvetien unter dem Himmel von Kalabrien, mit der Feierlichkeit und der Stille des Orients.
In der Schweiz bescheren der überall rollende Donner und die ohne Unterlaß vorbeiziehenden Wolken den Ansichten einen Wechsel der Farben und eine ständige Bewegung, die die Malerei nicht immer gut wiedergeben kann. Die Natur scheint den Künstler an der Nase herumzuführen. In Mallorca hat man eher den Eindruck, daß sie auf ihn wartet und ihn einlädt... Dort nimmt die Vegetation erhabene und bizarre Formen an; aber sie entfaltet nicht diesen ungeordneten Luxus, unter dem die Linien der schweizerischen Landschaft zu oft verschwinden. Eine Felsspitze malt ihre scharf begrenzten Umrisse auf einen funkelnden Himmel, eine Palme neigt sich über die Abhänge, ohne daß die launische Brise ihre majestätische Haarpracht durcheinanderbringt und bis hin zum verkrüppelten Kaktus am Wegesrand scheint sich alles in einer Art Gefallsucht als Augenschmaus darzubieten.
Zunächst werde ich eine sehr kurze Beschreibung der großen Balearen geben in der Form eines für geographische Handbücher üblichen Artikels. Dies ist nicht so einfach, wie man meint, vor allem, wenn man sich im Lande selbst unterrichten will. Die Vorsicht des Spaniers und das Mißtrauen des Inselbewohners werden hier so weit getrieben, daß ein Fremder niemandem auch nur die beiläufigste Frage stellen kann, ohne für einen politischen Agenten gehalten zu werden. Der gute Monsieur Laurens wurde, nachdem er sich erlaubt hatte, eine Skizze von den Ruinen eines Kastells anzufertigen, dessen Anblick ihm gefiel, vom argwöhnischen Gouverneur mit der Anschuldigung gefangen gesetzt, einen Plan von seiner Festung machen zu wollen. 1 Unser Reisender, der dazu entschlossen war, sein Skizzenbuch andernorts als in den Staatsgefängnissen von Mallorca zu füllen, hat sich denn auch gehütet, sich nach etwas anderem zu erkundigen als nach Bergpfaden und andere Dokumente zu konsultieren als die Steine der Ruinen. Nach den vier Monaten, die ich auf Mallorca verbrachte, wäre ich nicht weiter vorangekommen als er, wenn ich nicht die wenigen Einzelheiten zu Rate gezogen hätte, die uns über diese Landstriche überliefert sind. Doch schon damit begann meine Unsicherheit; denn diese bereits veralteten Werke widersprechen sich untereinander derartig und dementieren und verleumden einander - ganz nach der Sitte der Reisenden - in solchem Maße, daß man nicht umhinkommt, einige Ungenauigkeiten richtigzustellen, auf die Gefahr hin, daß einem viele neue unterlaufen. Hier ist dennoch mein geographischer Lexikonartikel; und, um nicht aus der Rolle des Reisenden zu fallen, erkläre ich zunächst, daß er unbestreitbar besser ist als alle vorhergehenden.
II
Mallorca, das Monsieur Laurens nach den Römern als Balearis Major bezeichnet und das nach Auskunft des Königs der mallorquinischen Geschichtsschreiber, Doktor Juan Dameto, früher Clumba oder Columba genannt wurde, heißt heute nur durch Sprachverderb Mallorca, und die Hauptstadt hieß nie, wie einige unserer Geographen gerne behaupten, Majorque, sondern Palma.
Die Insel ist die größte und fruchtbarste im Inselmeer der Balearen, Überrest eines Kontinents, dessen Tiefebene das Mittelmeer einst erobert haben muß, da sie ohne Zweifel einst Spanien mit Afrika verband und so am Klima und an der Vegetation von beiden teilhat. Sie liegt 25 Seemeilen südwestlich von Barcelona, 45 vom äußersten Punkt der afrikanischen Küste entfernt und, ich glaube, 95 oder 100 von der Reede von Toulon. Ihre Oberfläche hat 1234 Quadrat meilen2, ihr Umfang beträgt 143, ihre größte Ausdehnung 54, ihre kleinste 28 Meilen. Ihre Bevölkerung, die im Jahre 1787 136000 Einwohner zählte, bemißt sich heute auf etwa 160000. Die Stadt Palma besitzt heute 36000 Einwohner gegenüber 32 000 damals.
II
Die Temperaturen schwanken beträchtlich zwischen den unterschiedlichen Höhenlagen. Der Sommer ist in der ganzen Ebene brennend heiß; aber die Bergkette, die sich vom Nordosten zum Südwesten hin erstreckt (und deren Richtung ihre Zugehörigkeit zu den entsprechenden Gegenden Afrikas und Spaniens beweist, da die jeweils nächstliegenden Punkte ihre Neigung bestimmen und ihren hervorragenden Höhenzügen entsprechen), beeinflußt die Wintertemperatur sehr stark. So berichtet Miguel de Vargas, daß in der Reede von Palma das Thermometer während des schrecklichen Winters von 1784 nur ein einziges Mal an einem Januartag unter sechs Grad unter Null fiel; daß es an anderen Tagen bis auf 16 Grad über Null anstieg und daß es sich meist um 11 Grad hielt. Allerdings war dies in etwa die Temperatur, die wir während des recht durchschnittlichen Winters in den Bergen von Valldemosa hatten, die bekanntermaßen zu den kältesten Gegenden der Insel zählen. In den strengsten Nächten, als zwei Daumenbreit Schnee lag, hielt sich das Thermometer auf sechs oder sieben Grad. Um acht Uhr morgens war es auf neun oder zehn Grad gestiegen, und um die Mittagszeit zeigte es 12 oder 14 Grad. Normalerweise sank das Thermometer gegen drei Uhr, wenn also die Sonne hinter den uns umgebenden Bergspitzen untergegangen war, plötzlich auf neun oder sogar acht Grad.
Oft toben hier die Nordwinde, und in manchen Jahren gibt es im Winter so andauernde und ergiebige Niederschläge, wie wir es uns in Frankreich kaum vorstellen können. Im ganzen südlichen Teil, der nach Afrika hin abfällt und durch die mittleren Kordilleren und den steilen Abhang der nördlichen Küsten vor diesen wütenden Windstößen geschützt wird, ist das Klima im allgemeinen gesund und fruchtbar. Der Grundriß der Insel besteht also aus einer von Nordwesten
1
»Die einzige Sache, die meine Aufmerksamkeit in diesem Landstrich auf sich lenkte, war eine ockerfarbene, von einer Kakteenhecke gesäumte Hütte. Das war das Kastell von Soller. Kaum hatte ich die groben Linien meiner Zeichnung festgelegt, da fielen vier Gestalten mit angsteinflößenden oder besser zum Lachen reizenden Gesichtszügen über mich her. Ich wurde beschuldigt, gegen die Gesetze des Königreiches verstoßen zu haben, indem ich den Plan der Festung aufgezeichnet hatte. Letztere wurde für mich deshalb im selben Moment zum Gefängnis.
Ich war der spanischen Sprache bei weitem nicht so mächtig, daß ich diese Leute von der Absurdität ihres Vorgehens hätte überzeugen können. Es war notwendig, auf den Schutz des französischen Konsuls von Soller zurückzugreifen, und trotz seiner großen Bemühungen blieb ich drei tödliche Stunden lang Gefangener von Señor Sei-Dedos, dem Gouverneur der Festung, einem wahren Drachen der Hesperiden. Von Zeit zu Zeit ergriff mich die Versuchung, diesen lächerlichen Drachen in seinem militärischen Aufputz von der
Höhe seiner Bastion ins Meer zu stoßen; aber seine Miene ließ meine Wut immer wieder abkühlen. Hätte ich das Talent von Charlet besessen, hätte ich meine Zeit genutzt, um meinen Gouverneur als wunderbares Karikaturmodell zu studieren. Im übrigen verzieh ich ihm seine allzu blinde Ergebenheit gegenüber dem Wohle des Staates. Es war nur natürlich, daß dieser arme Mann, der keine andere Zerstreuung besaß, als seine Zigarre zu rauchen und das Meer zu betrachten, die Gelegenheit nutzte, die ich ihm bot, etwas Abwechslung in seine Geschäfte zu bringen. Ich kam also zurück nach Soller und lachte aus vollem Herzen darüber, daß ich für einen Feind des Vaterlandes und der Verfassung gehalten worden war.« (Souvenirs d’un Voyage d’art à l’île de Majorque, von J.-B. Laurens.)
2
»Medida por el ayre. Cada milla de mil pasos geometricos y un paso de 5 pies geometricos.« (Miguel de Vargas, Descriptiones de la sislae Pilinase y Baleares, Madrid, 1787.)
Originaltitel: Un Hiver à Majorque
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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1. Auflage Taschenbuchausgabe November 2006
Copyright © dieser Ausgabe 2006
by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlagfoto: akg-images NG · Herstellung: Str.
eISBN : 978-3-641-03226-5
 
 
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