Die Weisheit des Traumas - Anouk Bindels - E-Book

Die Weisheit des Traumas E-Book

Anouk Bindels

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Beschreibung

Wie heilen wir unser Herz nach einem emotionalen Trauma? In Die Weisheit des Traumas vermittelt die Autorin fundiertes Wissen sowie praktische Werkzeuge für einen ganzheitlichen und spirituellen Heilungsansatz. Anhand des von ihr entwickelten Herz-Gehirn-Heilungsprozesses zeigt sie Menschen mit Verlust- und Traumaerfahrungen einen Weg, wie sie auf liebevolle Weise und in ihrem eigenen Tempo ihren Lebensfaden von innen heraus wieder aufnehmen können und sich mit klarem Fokus eine neue Realität in einem gesunden Körper aufbauen können. Anouk Bindels legt dar, wie es möglich wird, bewusst andere und bessere Entscheidungen zu treffen, indem wir rationalen Verstand und Emotion, Körper und Geist, Herz und Gehirn miteinander verbinden – zum Wohle des Einzelnen wie unserer Gesellschaft. Im eigenen Leben sowie in ihrer beruflichen Praxis musste die Autorin immer wieder feststellen, dass die gängigen Denk- und Behandlungsmodelle für viele Menschen nicht genügend Ansatzpunkte für die komplexen mentalen, emotionalen und körperlichen Prozesse bieten, die mit Trauma und Verlust einhergehen. In diesem Buch beschreibt sie ihre Erfahrungen und Visionen und zeigt, wie wichtig es ist, das Gefühl der Liebe und natürliche Behandlungsmethoden zur Selbstheilung und Selbstregulierung in den Mittelpunkt zu stellen. Den roten Faden bildet Anouks persönliche und sehr beeindruckende Geschichte der Heilung von Trauma und Verlust. Die Weisheit des Traumas gibt u. a. Antworten auf die folgenden Fragen: Wie lassen wir die Vergangenheit los? Wie heilen wir unser Herz nach einem emotionalen Trauma? Wie verdrahten wir unser Gehirn neu? Wie können wir Stress abbauen und die Kontrolle über uns selbst erlangen? Wie nutzen wir unsere Fähigkeit zur Selbstheilung und Selbstregulierung? Wie bereiten wir unseren Körper emotional auf eine neue Zukunft vor? Wie können wir persönliche Führungsqualitäten entwickeln und unsere Resilienz stärken? Wie führen wir ein Leben voller Liebe und Inspiration?

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Anouk Bindels

Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Liebe ist Licht und erleuchtet diejenigen, die sie geben und empfangen können
Trauma-Auswirkungen
Erster Bereich
Die Kraft deiner inneren Psychologie kennenlernen
1. Im Trauma gefangen
Die grausame Realität
Erkennst du dich wieder?
Geht es noch schlimmer?
2. Überleben und das Gehirn
3. Emotionen:Herz und Gehirn in Aktion
Chemie der Emotionen?
Chemie und Energie
Emotionen und Bewusstsein?
Bewusstsein als Quelle der Heilung
4. Das Denken und das Tun
Zweiteilung und Schmerz
Zusammenfassung der ›Denk-und-Fühl-Schleife‹
5. Östliche oder westliche Psychologie
6. Die Strategie zur Veränderung
Übung 1: Tagebuch des neuen Denkens
Übung 2: Die körperliche Erfahrung einer Emotion visualisieren
Übung 3: Die Atmung
Zweiter Bereich
Der intelligente Körper
1. In deinem Körper erwachen
2. Vorwärts in die Vergangenheit
3. Die Biologie der gespeicherten Überzeugung und die Folgen für den Körper
4. Bewusstsein und Meditation
Übung 2: Werde Meister im Manifestieren von Intentionen
Übung 3: Meditationen
Dritter Bereich
Die äußere Umgebung und die Rückgewinnung des eigenen Lebens
1. Der Einfluss der unmittelbaren Umgebung auf Denken, Fühlen und Verhalten
2. Resilienz entwickeln und das Leben wieder in Besitz nehmen
Erfahrungsberichte aus der Familie
Übung 1: Dankbarkeitsübung
Übung 2: Stärken und Schwächen bilanzieren
Übung 3: Einfluss der externen Umgebung
Vierter Bereich
Spiritualität und die Wiederherstellungder inneren Verbindung
1. Die innere Verbindung wiederherstellen
2. Höherdimensionale Energiesysteme und Energiezentren
Übung 1: Meditationen zu den Energiezentren
3. Meditation undBewusstseinserweiterung
4. Meditation im Alltag
5. Warum sind dieNeurowissenschaften wichtig für Coaches,Trainer und Therapeuten?
Nachwort:Ein neues Modell
Danksagung
Über die Autorin
Die Meditationen
Literaturverzeichnis

Dieses Buch widme ich:
Meinen Kindern Frans & Ariane,
meinem größten Geschenk.
Ton, meinem liebsten Mann,
der mir Kraft und Ruhe gibt.

Erster Bereich

Die Kraft deiner inneren Psychologie kennenlernen

Es ist notwendig, ein beobachtendes Bewusstsein zu
entwickeln, um die innere Psychologie kennenzulernen
und zu verstehen.
Deine innere Architektur aus Denken, Fühlen, Handeln
hat Auswirkungen. Wie du im Hier und Jetzt denkst, fühlst und handelst, 
ist das Ergebnis früherer und heutiger
Erfahrungen.
Alle Lebenserfahrungen von unserer Geburt bis heute
haben Auswirkungen. Sie haben unsere innere
Architektur geformt.
Wer bist du?
Was ist deine Lebensgeschichte?
Wo willst du hin?

1. Im Trauma gefangen

Der buddhistischen Lehre zufolge bereitet uns
das Leben selbst auf Leben und Tod vor.
Sie besagt, dass wir nicht auf den schmerzhaften Tod
eines Menschen warten müssen, um unser eigenes
Leben zu betrachten.
Auch müssen wir nicht auf eine Krise oder ein
traumatisches Erlebnis warten.
Sie sagt außerdem, dass wir,
je bewusster wir leben, dem Schmerz des Verlustes
nicht mit leeren Händen gegenüberstehen müssen.1
Wir alle können hier und jetzt den Sinn des Lebens finden! Nach jenem Tag, an dem mein Liebster sich das Leben nahm, stand ich leider doch mit leeren Händen da. Ich verlor den Sinn meines Lebens ganz und gar und fand keinen Ansatz, um mit dieser überwältigenden Erfahrung, mit dem emotionalen Schmerz umgehen zu können. Das Erlebnis warf mich um und versetzte mich in eine vollkommen neue, entsetzliche und sehr schmerzhafte Realität.
Seit über 25 Jahren arbeite ich mit traumatisierten Menschen und Familien und weiß, dass viele geistige und körperliche Beschwerden aus traumatischen Erfahrungen entstehen. Die Spuren, die diese hinterlassen, liegen oft im Unbewussten verborgen. Im Kern eines jeden Traumas stecken Isolation und Angst. Beide verursachen starke Veränderungen in Gehirn und Körper.
Mein Leben lang war ich auf der Suche nach einem Ausweg aus einer mir unverständlichen Angst, einer Angst, die ich immer bei mir trug. Sie äußerte sich in Form von körperlicher und emotionaler Taubheit und dem Unvermögen, mich an Begebenheiten aus meiner Kindheit zu erinnern. Es fiel mir schwer, Vertrauensverhältnisse aufzubauen, mich in meinem Körper zu Hause zu fühlen und ein Gefühl der Kontrolle über mich selbst zu haben.
Weil ich meine eigenen inneren Kämpfe besser verstehen wollte, beschloss ich, nach meiner Pflegeausbildung Verhaltenswissenschaften und Psychologie zu studieren. Den Schlüssel zu meinen versteckten Kammern der Angst und Unsicherheit fand ich allerdings nicht während der verschiedenen Therapien, die ich im Zuge meiner Ausbildung machte, ich entdeckte ihn erst nach der traumatischsten Erfahrung meines Lebens. Nach dem Suizid meines zweiten Mannes lernte ich, mich aus dem Gefängnis meiner Vergangenheit zu befreien.
Als professionell arbeitende Therapeuten erzählen wir unsere eigene Geschichte meist nicht. Das sei unprofessionell, heißt es. Meiner Meinung nach ist das falsch. Ich wäre beruflich niemals zu dem Punkt gelangt, an dem ich jetzt stehe, wenn ich nicht selbst die zerstörerischen Auswirkungen traumatischer Erlebnisse kennengelernt hätte. Immer wieder suchte ich nach erhellenden Erkenntnissen über Ursachen und Folgen der Verletzungen, die ich selbst erlebt hatte. Als Mensch und als Therapeutin forschte ich solange, bis ich neue Spuren entdeckte, ihnen folgte und Wege zur Heilung fand. Meine Suche als Individuum verlief daher zu einem großen Teil parallel zu meiner Suche als Therapeutin und meine persönlichen Erfahrungen und Erkenntnisse trugen wesentlich zu meiner Entwicklung als Therapeutin bei. Darum nehme ich den Leser zunächst mit in meine eigene Geschichte, zu dem Augenblick, an dem für mich ein neuer Weg begann. So zeige ich, wie ich neue Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft mit körperorientierter Psychotherapie und Meditation verbunden habe und wie ich das Ganze in mein persönliches Leben und in meine therapeutische Praxis integriert habe. Ich sehe mich in erster Linie als (Mit-)Mensch und erst danach als Therapeutin.
Es ist Sonntag, der 10. Juni 2007. Ein sonniger, warmer Tag. Ich sitze in meinem roten Ledersessel im Wohnzimmer und versuche, einen Artikel zur Weiterbildung zu lesen. Ich bin nicht wirklich bei der Sache.
Die Terrassentüren stehen offen, die Gardinen wehen leise im Wind. Draußen zwitschern die Vögel, Kinder spielen und lachen. Ich höre das spritzende Wasser in einem Pool im Nachbargarten. Fröhliche, entspannte Geräusche eines schönen Frühlingstages. Mein zwölfjähriger Sohn liegt auf dem Sofa und liest ein Buch, während meine elfjährige Tochter oben spielt und singt.
Ich frage mich, wo mein Mann ist. Ich habe ihn schon mehrfach auf dem Handy angerufen. Heute Morgen um 9:00 Uhr hat er das Haus verlassen, ohne zu sagen, wo er hinwollte. Als er ging, stand ich unter der Dusche, die Kinder schauten im Wohnzimmer einen Film. Er hatte sich aus dem Haus geschlichen, obwohl wir abgesprochen hatten, dass er warten würde, bis ich im Bad fertig bin. Wir hatten eigentlich vor, gemeinsam mit den Kindern und dem Hund im Wald spazieren zu gehen, damit der ruhelose, sich ständig drehende Geist meines Mannes in der Natur zur Ruhe kommen konnte. Das half ihm immer.
Während ich duschte, hörte ich, wie sich die Haustür schloss. Das Badfenster liegt direkt über dem Eingang und ich schaute umgehend nach draußen. Ich sah ihn mit seinem schwarzen Lederrucksack in der Hand zum Auto gehen. Er öffnete die hintere Autotür und legte den Rucksack auf die Rückbank. Ich öffnete das Badfenster und rief ihn, doch er drehte sich nicht um. Ich rief noch einmal, lauter. Er schaute nicht auf, blickte sich nicht um. Als er die Fahrertür öffnete, schrie ich regelrecht seinen Namen. Bewusst vermied er meinen Blick und ignorierte meine Rufe, als er einstieg. Er legte den Rückwärtsgang ein und wendete – jetzt schaute er mich im Wegfahren kurz an. Ich sah ein aschgraues Gesicht und einen leeren Blick. Voller Unruhe darüber, was gerade passiert war, zog ich mich an und lief, so schnell ich konnte, nach unten zu den Kindern. Sie erzählten mir, er habe ihnen gesagt, dass er nach Amsterdam zu einer Lesung fahren wollte. Sie wussten weiter nichts und ich wurde immer nervöser.
Um 11.00 Uhr rief ich dann vom Schlafzimmer aus in Panik meine Mutter an, weil ich meinen Mann nicht am Handy erreichen konnte. Ich schilderte ihr meine sorgenvollen Gedanken über die seltsame Situation, über sein plötzliches Wegfahren, sein Nicht-Beachten meiner Rufe. Ich erzählte ihr auch von meiner beängstigenden Vorahnung und meinen Gefühlen des Verlassen-Seins und der Einsamkeit. Die Angst fraß sich durch meinen Körper. Meine Mutter versuchte vergeblich, mich zu beruhigen. Im Anschluss rief ich meine Schwägerin an, die in Haamstede auf einer Familienfeier war, und dann noch eine Freundin.
Ich esse mit den Kindern zu Mittag. Immer wieder rufe ich meinen Mann an. Keine Reaktion! Die Zeit vergeht und es wird 15.00 Uhr. Er war seit morgens um 9.00 Uhr weg und hatte seit Stunden nichts von sich hören lassen.
Um 15.30 Uhr klingelt es. Ich gehe zur Haustür und sehe zwei Polizeibeamte davor stehen, einen Mann und eine Frau. Sehr höflich fragen sie, ob sie hereinkommen dürfen. Ich sehe an ihren Gesichtern, dass sie keine guten Nachrichten dabeihaben. Ich lasse sie ins Haus. In der Tat bringen sie sehr schlechte Neuigkeiten für mich und meine Kinder. Sie teilen uns mit, dass mein Mann, ihr Vater, um etwa 10.00 Uhr an diesem Vormittag Suizid begangen hatte, indem er vom Dach des Parkhauses am Bijenkorf sprang. Er war tatsächlich nach Amsterdam gefahren … aber nicht zu einer Lesung!

Die grausame Realität

Bis heute spüre ich den Augenblick, in dem ich die Nachricht erhielt. Ich habe die Bilder sofort vor Augen, wenn ich meine Gedanken zurückhole. Die Erinnerung ist so stark, dass ich immer noch spüre, wie mir der Atem in der Kehle stecken bleibt.
Als ich vom Tod meines Mannes erfuhr, begann ich zu zittern und fühlte eine riesige Stresslawine durch meinen Körper fließen. Ich versuchte, dies vor meinen Kindern zu verbergen. Auf der Stelle bekam ich pochende Kopfschmerzen, mein Hals und meine Schultern wurden steif. Meine Gedanken begannen zu rasen und wurden chaotisch. Die Kinder erlebten ähnliche Reaktionen im Körper, wie ich später von ihnen erfuhr.
Jetzt, da ich ›rückwärts verstehe‹, kann ich sagen, dass dies die Stressreaktion war, die uns in den Überlebensmodus versetzte. Mit allen Tricks nahm ich mich, um meiner Kinder willen, zusammen. Ich fühlte mich machtlos und zugleich in meinem innersten Kern irreparabel beschädigt, verlassen und verraten. Das Schlimmste war meine Furcht, dass es den Kindern genauso gehen könnte.
Neun Monate später, es war Karfreitag, der 21. März 2008: Ich liege mit gelähmten Beinen in einem Krankenhausbett, neben mir steht ein Rollstuhl. Eine Autoimmunreaktion hat mein Nervensystem angegriffen, im sogenannten Caudabereich, von der Mitte meines Körpers aus abwärts – in der Fachsprache wird dies Neuritis genannt. »Ursache unbekannt«, sagen die Neurologen und behandeln die Symptome intravenös mit einer hohen Dosis Corticosteroide. Das ist offensichtlich die Behandlungsleitlinie für dieses Krankheitsbild.
Kurze Zeit später ergreift ein unangenehmes Bakterium Besitz von meinem Körper und ich muss über einen langen Zeitraum erneut intravenös behandelt werden, diesmal mit Antibiotika. Als ich nach mehreren Wochen das Krankenhaus verlasse, ist das Gefühl in eins meiner Beine zurückgekehrt, in das andere noch nicht ganz. Ohne Krücken kann ich mich nicht fortbewegen. Ich fühle mich in jeder Hinsicht wie ein Wrack – emotional, geistig und körperlich.
Über ein Jahr werde ich mit Corticosteroiden und Antibiotika behandelt. An mehreren Stellen in meinem Beckenboden habe ich kein Gefühl mehr und kann daher den Urin nicht gut einhalten. Ich bin nicht in der Lage zu arbeiten, da ich keine Energie dazu habe. Das Konzentrieren fällt mir schwer, vergesse bestimmte Dinge ständig – ich leide an einer kognitiven Störung. Trotz Behandlung mit den besten Medikamenten wird es nicht besser. Anfang 2009 beschließe ich, einen Psychiater hinzuzuziehen und eine Therapie zu beginnen. Er diagnostiziert eine Depression infolge einer ›aufgeschobenen Trauerreaktion‹ und gibt mir ein weiteres Medikament, ein Antidepressivum.
Die ganze Zeit über bleibt mein Denken negativ und kreist immer in denselben Gedankenspuren:
»Er hätte sich nicht umbringen dürfen.«»Er hätte seine Kinder nicht einfach ohne Vater zurücklassen dürfen.«»Er hätte mich nicht mit diesem finanziellen Durcheinander sitzen lassen dürfen.«»Wie konnte er einfach so gehen und mich und die Kinder ohne eine Nachricht zurücklassen?«»Was für ein Schuft, mich einfach so zu verlassen, sodass ich die Kinder alleine erziehen muss.«»Ich hasse ihn, weil er keine Nachricht zurückgelassen hat.«»Ich vermisse ihn.«»Ich fühle mich einsam ohne ihn.«»Ich will mit ihm sprechen und ich will eine Erklärung. So kann es nicht weitergehen.«
Das Antidepressivum macht mich schlapp und lustlos und ich verliere noch mehr von mir.

Erkennst du dich wieder?

Es erfordert extrem viel Energie, nach einer solchen überwältigenden Erfahrung weiter zu funktionieren. Mir war nicht klar, dass ich die Erinnerung an diesen Schmerz immer so weit wie möglich aus meinen Gedanken halten wollte. Das war eine große Anstrengung, vergleichbar mit einem Vollzeitjob.
Lange Zeit tat ich so, als ob nichts geschehen wäre. Ich nahm mein Leben kurz nach der Beerdigung wieder auf und ging bald wieder arbeiten. Während ich innerlich immer noch sehr erregt, verwundbar und vor allem vollkommen wehrlos war, fand ich mitten in meinem Krankheitsprozess eine neue Beziehung, verkaufte mein Haus und zog ans andere Ende des Landes. Ich gab alles auf, um mit diesem neuen Mann zusammenzuleben!
Es ist bekannt, dass traumatisierte Menschen oft Schwierigkeiten haben, intime Beziehungen einzugehen, und dass es ihnen sehr schwerfällt, wieder zu vertrauen. Ironischerweise geraten sie oft in eine neue traumatische Beziehung. Das war auch bei mir der Fall. Die Dynamik in meiner neuen Beziehung sah so aus, dass meine Angst vor dem Verlassenwerden, vor Verrat und intensiven Einsamkeitsgefühlen immer wieder getriggert wurde. Dadurch wurden in meinem Gehirn immer wieder dieselben Schaltkreise aktiviert und riesige Mengen von Stresshormonen ausgeschüttet. Die Folge waren unangenehme Gefühle und intensive körperliche Empfindungen, die mich überwältigten, sodass meine Gesundheit sich nicht verbesserte. Mit einem Fachbegriff ausgedrückt: Ich geriet in einen Kreislauf der Retraumatisierung.
Meine Emotionen schossen zwischen Scham, Schuld, Wut, Angst, Trauer, Hoffnungslosigkeit, tiefer Verlassenheit und Einsamkeit hin und her. Mein Verhalten war von Wut geprägt. Ich kämpfte gegen alle, die mir lieb waren und das Beste für mich wollten, stieß Menschen zurück. Dazu steckte ich in einer Beziehung mit einem Mann, der sich genauso verhielt und der – wie sich später herausstellte – selbst schwer traumatisiert war.
Im Lauf des Jahres 2009 bekam ich noch mehr körperliche Probleme. Meine Mundschleimhäute entzündeten sich und es bildeten sich Geschwüre in meinem Mund. Eine weitere Autoimmunerkrankung wurde festgestellt: erosiver Lichen planus, eine Plattenepithelkrankheit. Dagegen bekam ich noch mehr Corticosteroide in Form von Salben und Pillen. Diese Medikamente störten meine Speichelproduktion. Eine schmerzhafte Erfahrung.
2010 steigerten sich meine Gesundheits- und Beziehungsprobleme weiter. Allmählich wurde mir bewusst, dass ich in einer Abhängigkeitsbeziehung zu einem Mann steckte, der mich und meine Kinder weiter traumatisierte. Er verstand sich nicht mit den Kindern und gab ihnen ständig das Gefühl, dass es sie nicht geben sollte. Wir waren schließlich in sein Haus gezogen! Es wurde nie unser Zuhause. Im Mai jenes Jahres verlor ich meinen Arbeitsplatz, meinen einzigen noch sicheren, wiedererkennbaren Ort. Ein weiterer Verlust.
Im Verlauf des Jahres litt ich immer stärker unter der Erosion der Schleimhäute in meinem Körper (Mund, Vagina, Anus, Speiseröhre). Mein Immunsystem war mittlerweile fast zusammengebrochen und neben Hautproblemen bekam ich es auch mit allerlei Allergien zu tun.
Infolge der Spannungen in meiner Beziehung und meiner gesundheitlichen Probleme war ich emotional sehr angeschlagen und lebte in ständigem Stress. Es blieb mir immer weniger Vitalität und Energie zum Leben. Ich ging durch die dunkelste Nacht meiner Seele. Damals konnte ich es nachvollziehen, warum jemand seinem Leben ein Ende setzen wollte. Ich ertappte mich bei Gedanken, die in diese Richtung gingen.
Das Antidepressivum half mir in diesem Kampf mit mir selbst nicht. Ich trank mehr, als mir lieb war, nahm regelmäßig Drogen (Cannabis) und verlor die Kontrolle über meine Kinder und die Verbindung zu ihnen. Nach außen hin hielt ich mich aufrecht. Meine mentale Flexibilität nahm jedoch drastisch ab, ebenso meine Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Geht es noch schlimmer?

Im Januar 2011 war ich dann zur Gastroskopie im Krankenhaus. Seit etwa drei Monaten litt ich unter Magensäurereflux. Wenn ich aß, hatte ich das Gefühl, dass das Essen stecken blieb und nicht richtig nach unten rutschte. Bei dieser Gastroskopie war zu sehen, dass ein beginnender Tumor am Übergang zwischen Speiseröhre und Magen saß. Dadurch konnte die Nahrung tatsächlich nicht weitertransportiert werden und blieb auf dem Weg zum Magen stecken. Das war ein weiterer, schwerwiegender körperlicher, geistiger und emotionaler Anschlag auf mein System. Das dünne Eis unter meinen Füßen brach und ich war am Ertrinken.
Ich war ganz allein, als ich die endgültige Diagnose bekam. Der Mann, in dessen Haus ich gezogen war, ließ sich buchstäblich nirgends blicken. Er hielt sich in Südamerika auf. Wir hatten im Grunde schon lange Zeit nebeneinander hergelebt und ich hatte mich in dieser Beziehung im Laufe der Zeit immer einsamer gefühlt. Allein gelassen begann ich die Chemotherapie und überlegte, ihn zu verlassen.
2011, an einem Februarmorgen, fand ich mich im Haus des Mannes, zu dem ich gezogen war, auf dem Fußboden wieder. Mein Herz raste, ich schwitzte und aus meinen Muskeln schien alle Energie zu entweichen. Ich fing unkontrolliert an zu weinen, kroch über den Boden und stöhnte voller Verzweiflung. Ich ging auf die Knie und begann zu beten.
In diesem Jahr würde ich 50 Jahre alt werden: Wollte ich mit meinem Leben, meinen Kindern und meiner Gesundheit so weitermachen? Ich betete um eine Lösung. Wenn sie käme, würde ich den Rest meines Lebens dankbar sein und jeden Tag genießen. Ich bat um Führung und Unterstützung. Wie konnte ich die Abwärtsspirale wenden? Dieser Augenblick der Verzweiflung wurde zum Wendepunkt in meinem Leben.
Als erstes beschloss ich, mit den konventionellen Behandlungen aufzuhören. Ich bekam eine Diagnose nach der anderen, aber keine Lösungen. Niemand betrachtete das größere Bild. Alle blieben bei ihrem Fachgebiet und inzwischen war ich Patientin bei einem Internisten, einem Neurologen, einem Dermatologen, einem Arzt für Mundheilkunde und einem Psychiater. Sie verteilten alle reichlich Medikamente, aber im Grunde fühlte ich mich von keinem von ihnen verstanden, ja, nicht einmal gesehen oder gehört. Ich teilte meine Entscheidung, die Medikamente abzusetzen, den Ärzten bewusst nicht mit, sondern ging einfach nicht mehr hin. Mein Hausarzt nannte mich naiv. Übrigens hat mich weder einer der Spezialisten noch eine Krankenhausabteilung je danach angerufen oder Fragen gestellt. Dieser bewusste Augenblick im Februar 2011, am Boden, betend und um Hilfe flehend, gab mir die Kraft, neue Entscheidungen zu treffen. Ich begann meine Suche nach einer eigenen Wohnung und nach alternativen Behandlungsmethoden.
Zwei Monate, nachdem ich für mich beschlossen hatte, dass es so nicht weitergehen konnte und sich etwas ändern musste, ging ich auf Einladung einer Freundin und Kollegin zu einem Vortrag von Joe Dispenza. Seine Herangehensweise an Heilung sprach mein Psychologengehirn direkt an, vor allem, weil er theoretisches Wissen (das Warum) mit einem praktischen Ansatz (das Was und das Wie) kombinierte. Meine Neugier wurde vor allem durch seine Aussage geweckt, dass wir uns in einer Zeit von Schmerz und Leid verändern können, aber auch in Zeiten von Inspiration und Freude. In unserem Leben gehe es um Veränderung, erklärte er, und um in unserem privaten und beruflichen Leben zu überleben und aufzublühen, müssten wir uns immer wieder an neue Situationen anpassen.
Das war leichter gesagt als getan. Weil ich mich von dieser positiven, praktischen Vision sehr angezogen fühlte, begann ich sofort eine intensive Selbsterforschung. Außerdem suchte ich nach weiteren Quellen für diesen Ansatz. In dieser Zeit hatte ich ständig Schmerzen und steckte in meinem Leid fest, war gefangen in meinem Trauma. Ich war am Ende und sah keinen Ausweg. Wenn ich mit jemandem darüber sprach – sei es mit Laien oder Fachleuten – bekam ich meist die Bestätigung, dass mein Leiden eine normale Reaktion auf all das wäre, was ich erlebt hatte.
Joe Dispenza sagte etwas anderes. An diesem ersten Abend nahm ich von seinem Vortrag mit, dass sich meine Persönlichkeit aus dem zusammensetzt, wie ich denke, wie ich handle und wie ich fühle, und dass ich dadurch meine persönliche Wirklichkeit erschaffe … Was hatte ich also durch meine Art zu denken, zu handeln und zu fühlen damals selbst geschaffen? Wie hatte ich das in meinem Körper emotional konditioniert und welche Programme ließ ich daher ablaufen? Wer ich heute bin, ist das Ergebnis meines früheren und heutigen Denkens, Handelns und Fühlens.
Mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass zu den Veränderungen meiner persönlichen Realität auch Veränderungen im Herzen und im Gehirn gehörten und dass diese beiden Organe großen Einfluss auf meinen Körper hatten. Damals wusste ich allerdings noch nicht, dass die Auswirkungen des selbst gewählten Todes meines Mannes sich mit einem Trauma aus meiner Jugend verbunden hatten. ›Sekundäre Traumatisierung‹ nennt man das in Fachkreisen.
Im Juni 2011 beendete ich meine negative Beziehung endgültig, fand eine Wohnung für mich und meine Kinder und ging meinen eigenen Weg. Im Rückblick kann ich sagen, dass damals mein Herz-Gehirn-Heilungsprozess begann.

2. Überleben und das Gehirn

Inzwischen bin ich nicht mehr im Trauma gefangen
und stecke nicht mehr im Überlebensmodus fest.
Die schmerzhafteren Verluste in meinem Leben sind zur wertvollen Etappe eines besonderen Weges geworden.
Sie haben mich gelehrt, den Sinn meines Lebens zu finden und meine Traumata, meinen Schmerz,
meine Wunden zu heilen.
Für mich ist das die Bestätigung dafür, dass emotionaler Schmerz eine wichtige Informationsquelle ist,
mit der wir aufgeklärter und menschlicher umgehen
können, als die meisten von uns bisher gelernt haben.
Um dies in der Praxis umzusetzen, muss zuerst
das Unbewusste bewusst werden. Wenn wir in den ersten Lebensjahren unangenehme Dinge erlebt haben,
ist das schwieriger.
Inzwischen bin ich davon überzeugt,
dass auch frühkindliche Traumatisierung