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Wem würdest du in einem Königreich folgen, das durch ein Netz von Intrigen gesponnen, dir niemals verrät, wer Freund oder wer Feind ist? Der Auftakt zu einer atemberaubenden High-Fantasy-Serie um die weiße Magierin Rael und die Welt von Perdosien! Intrigen und Verrat – das hatte Rael nicht erwartet, als sie nach Prelon ging, um sich an der Magierakademie ausbilden zu lassen. Doch Prelon wird von den mächtigen Häusern des Südens beherrscht, die das Potential der jungen Magierin schnell erkennen und auszunutzen wissen. In einer Stadt, in der das Gesetz des Stärkeren alles ist was zählt, muss Rael das Geheimnis um ihre Vergangenheit lüften, sich gegen die Intrigen der Fürstenhäuser wehren und ihre Stärke im drohenden Krieg beweisen. Und als wäre dies alles nicht genug, verdreht der junge Schwertmeister Nolan ihr auch noch den Kopf... Eine Geschichte über Freundschaft und Liebe, die einen mit bitterer Erkenntnis aber auch Hoffnung zurücklässt...
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Mehr über unsere Autoren und Bücher: www.piper.de© Piper Verlag GmbH, München 2019 Redaktion: Franz LeipoldKarte: Tatjana KargCovergestaltung: Cover&Books by Rica AitzetmüllerCovermotiv: Evgenia Tiplyashina / Adobe Stock; studybos / Adobe StockSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.
Cover & Impressum
Karte
Intro
Kapitel 1: Eine ungeplante Begegnung
Kapitel 2: Lodernde Flammen
Kapitel 3: Auf dem Weg nach Prelon
Kapitel 4: In der Hand der Rebellen
Kapitel 5: Offene Fragen
Kapitel 6: Die Akademie
Kapitel 7: Die schwarze Schule des Geistes
Kapitel 8: Die weiße Schule der Beherrschung
Kapitel 9: Raschaki, die magischen Krieger
Kapitel 10: Letzte Zweifel
Kapitel 11: Die Prüfung
Kapitel 12: Ein klärendes Gespräch
Kapitel 13: Andere Pläne
Kapitel 14: Die erste Unterrichtsstunde
Kapitel 15: In der Bibliothek
Kapitel 16: Die erste Ebene der Beherrschung
Kapitel 17: Ein Mord mit Folgen
Kapitel 18: Zum rostigen Anker
Kapitel 19: Beunruhigende Neuigkeiten
Kapitel 20: Die zweite Ebene der Beherrschung
Kapitel 21: Serena
Kapitel 22: Die Verbindung des Geistes
Kapitel 23: Ein Geheimnis, das keines mehr ist
Kapitel 24: In Gefangenschaft
Kapitel 25: Hilfe von unerwarteter Seite
Kapitel 26: Alte Freunde, neue Feinde
Kapitel 27: Die Ratsversammlung
Kapitel 28: Des Königs Pläne
Kapitel 29: Etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt!
Kapitel 30: Verwirrung & Versteckspiel
Kapitel 31: Eine Zweckgemeinschaft
Kapitel 32: Unter Aufsicht
Kapitel 33: Auch nur ein Mann
Kapitel 34: Ein Gespräch unter Freunden
Kapitel 35: Die Geistesebene
Kapitel 36: Das Spiel beginnt
Kapitel 37: Ein fast perfekter Plan
Kapitel 38: Tag der Abrechnung
Kapitel 39: Der Fürst des zweiten Hauses
Kapitel 40: Erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung
Kapitel 41: Ein treuer Diener
Kapitel 42: Eine neue Spielfigur
Kapitel 43: Das Fest der Könige
Kapitel 44: Schwierige Entscheidungen
Kapitel 45: Vergangenheit & Gegenwart
Kapitel 46: Man erntet, was man sät …
Danksagung
Glossar
Prelon
Karutien
Arania
Nenin
Yidak
»Es war zu einer Zeit, als alle Hoffnung verloren schien. Die Kriegsherren der fünf Reiche trieben ihre Armeen unaufhörlich in den Kampf, und die Schlachten tobten schon lange nicht mehr nur an den Grenzlanden, sondern hatten längst die Städte erreicht. Menschen flohen tiefer ins Landesinnere hinein und suchten Schutz in den Tempeln der Göttin, doch der Krieg hielt auch hier Einzug. Und wenn du jetzt glaubst, dass die meisten damals durch die Klinge eines Schwertes starben, so sei dir gesagt, dass es weit schlimmere Wege gibt, diese Welt zu verlassen. Kaum ein Bauer bestellte noch seine Felder. Hungersnöte machten sich breit, und Krankheiten schwächten die Männer und Frauen, die seit Jahren durch die Lande zogen, um für ihren König in der nächsten Schlacht einen Sieg zu erringen oder ehrenvoll zu sterben. Kein Reich blieb davon verschont, und die Reihen der Krieger lichteten sich. An ihre Stelle traten Jünglinge.« Der Alte gab dem kleinen Jungen neckisch einen Stupser auf die Nase. »Manche waren nicht älter als du.«
»Ich wäre voller Stolz für mein Reich in die Schlacht gezogen!«, gab der Junge entschlossen zurück.
Der Alte lachte. »Ja, da bin ich mir sicher. Doch du kennst nur die Lieder der Barden, die stets dazu neigen, einen Krieg durch seine Helden zu glorifizieren. Dabei sparen sie die unschönen Einzelheiten aus.«
»Aber wir haben den Krieg doch gewonnen.«
»Nein, kleiner Prinz. Im Krieg gibt es keine Sieger. Nur bittere Erkenntnis, Schmerz, Leid und Tod. Auf allen Seiten. Selbst als es uns dank der Göttin gelang, die prelonischen Armeen zurückzudrängen, wussten die Weisesten unter uns, dass auch wir verloren hatten. Denn nach der Schlacht folgten eine Leere und Hilflosigkeit, die unserem Volk alle Hoffnung nahmen. Daher hat dein Urgroßvater gemeinsam mit den anderen Königen beschlossen, ein Friedensabkommen zu schließen. Du wirst einst König sein. Es ist deine Aufgabe, dieses Abkommen aufrechtzuerhalten und, wenn der Tag gekommen ist, deinen Erben ein Reich in Frieden zu übergeben.«
Der Prinz schaute seinen alten Lehrmeister skeptisch an. »Aber wenn wir unsere Feinde besiegen, dann haben wir doch Frieden bis in alle Zeiten?«
Der Alte lächelte. »So dachten deine Vorfahren auch. Die Folge war ein Krieg, der Jahrhunderte währte.« Behutsam legte er dem Jungen eine Hand auf die Schulter. »Du solltest ihre Fehler nicht wiederholen«, sagte er leise.
Der Prinz wirkte nachdenklich. »Aber die Göttin ist auf unserer Seite. Sie hat uns einmal geholfen, sie wird es wieder tun.«
»Die Göttin steht auf der Seite von niemandem, Prinz Thanatos. Sie wurde des Krieges überdrüssig und entsandte ihre Rächer, um diesem Wahnsinn ein Ende zu setzen. Hätten wir damals vor den Toren Prelons gestanden, hätte ihr Zorn uns getroffen. Sei nicht so töricht zu glauben, dass die Sonnengöttin jemals Partei ergreifen würde. Seit einhundert Jahren herrscht Frieden. Seit einhundert Jahren hat sie sich nicht mehr in die Belange der fünf Reiche eingemischt. Wir sollten dankbar dafür sein.«
»Aber …«, begann Thanatos.
»Nein, es ist genug für heute«, entgegnete der Alte sanft. »Schlaf jetzt, kleiner Prinz, und vergiss meine Worte nicht.«
Doch einhundert Jahre nach dem großen Krieg, im zweiten Zeitalter nach Gerion, keimte die Saat, die Perdosien erneut an den Rand eines Krieges führte. Im Königreich Prelon, einem Land gezeichnet durch Intrigen und Verrat, schlossen wenige einen Pakt, der das Schicksal vieler bestimmen sollte. Die Geschicke Perdosiens lagen nun erneut in den Händen der fünf Könige.
Perdosien erzählt die Geschichte eines jungen Prinzen, der zum König des Westens heranwuchs, und einer Königin, die, von Rachsucht getrieben, ihren Weg mit Blut beschritt; es berichtet vom König des Südens, dem es gelingen musste, Freund von Feind zu unterscheiden; und es erzählt die Geschichte der Wüstenkönigin und des Himmelskönigs, die ihre wahren Absichten und Ziele lange im Verborgenen hielten.
Sie alle werden Geschichte schreiben, eine Geschichte, die erzählt werden will …
Rael ging langsam durch den Wald und hielt nach Brennholz Ausschau. Eigentlich war sie froh, dass Alruna sie mit dieser Aufgabe betraut hatte, so konnte sie einige Zeit für sich sein. Sie liebte die Stille des Waldes und die Ruhe, die ihn umgab. Aber vor allem konnte sie auf diese Weise ihrer Ziehmutter einer Weile entfliehen. Sie blickte nach oben und beobachtete, wie sich die Nachmittagssonne ihren Weg durch das Blattwerk bahnte. Nur wenige Sonnenstrahlen erreichten den Boden, und trotzdem lag eine Hitze in der Luft, bei der man selbst durch einfache Arbeiten leicht ins Schwitzen geriet. Es war einer dieser typischen Sommertage, an denen man die Kühle der Abendstunden herbeisehnte.
Rael raffte ihren Rock, um über eine große Baumwurzel zu steigen, als sie plötzlich einen lauten Knall vernahm, gefolgt von einem Scheppern und dem Wiehern von Pferden. Sie beschleunigte ihre Schritte und hechtete durch das Unterholz in die Richtung, aus der sie den Lärm vermutete.
Als sie sich an einem Busch vorbeizwängte und auf einen breiteren Weg einbog, sah sie schließlich, was diese Geräusche verursacht hatte.
Eine große Kutsche lag auf der Seite in der Nähe eines Baumes am Wegesrand. Sie musste irgendwie vom Pfad abgekommen und verunglückt sein. Pferde konnte sie keine erkennen, sie hatten sich vermutlich bei dem Aufprall befreit und waren davongaloppiert.
Plötzlich vernahm sie ein leises Stöhnen.
Raels Puls beschleunigte sich. Die Kutsche erweckte nicht den Anschein, dass irgendjemand diesen Aufprall überlebt haben konnte. Im Grunde ließ sich nur mit etwas Fantasie und anhand der großen Räder, von denen sich eines noch drehte, feststellen, dass es mal eine Kutsche gewesen war.
Sie ließ ihren Tuchbeutel fallen und rannte hinüber. Ihr Blick fiel auf den Kutscher, der reglos auf der Seite lag, das Gesicht voller Blut. Nein, von ihm kamen die Geräusche nicht. Dann spähte sie in das, was von der Kabine noch übrig war, und erkannte zwei Männer. Der eine hatte eine Glatze, trug ein rotes Gewand und lag völlig regungslos weiter unten. Der andere mit schulterlangen sandblonden Haaren schlug langsam die Augen auf. Sein Gesicht war voller Blut. Offensichtlich hatte er sich bei dem Aufprall den Kopf angeschlagen.
Sein Blick traf auf den ihren.
»Was ist passiert?«, fragte er leise.
»Eure Kutsche … Ihr seid verunglückt. Kommt, ich helfe Euch.« Rael streckte ihm die Hand entgegen und zog ihm aus der Kabine heraus. Er war sehr viel größer, als sie zunächst angenommen hatte, und er wirkte etwas verstört. Seine schlichte weiße Tunika war mit Blut besudelt, das aber nicht zwingend sein eigenes sein musste, denn außer der Verletzung am Kopf konnte sie keine weiteren Wunden erkennen.
»Euer Freund?« Sie zeigte auf die Kutsche und blickte ihn besorgt an. »Ist er …?«
»Nein, dem geht es gut«, antwortete er in einem Tonfall, als würde sein Gefährte nur ein Nickerchen halten. »Der erholt sich schon wieder.«
Dann setzte er sich auf den Boden und hielt sich den Kopf. »Aber mein Schädel brummt.«
»Kann ich Euch irgendwie helfen?«, fragte Rael, doch er schüttelte den Kopf. Dann schaute er sie an, als wäre ihm gerade erst aufgefallen, dass sie anwesend war. Er musterte die junge Frau, während er sich die Schläfen rieb, um den Schmerz zu vertreiben. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. »Ich bin übrigens Nolan«, stellte er sich lächelnd vor.
»Mein Name ist Rael«, erwiderte sie und lächelte ebenfalls. Als er jedoch auf einmal zu taumeln anfing, musste sie ihn festhalten, damit er nicht umfiel. Skeptisch fragte sie: »Seid Ihr sicher, dass ich Euch nicht helfen kann?« Doch er antwortete nicht, stattdessen widmete er seine Aufmerksamkeit der Kutsche.
»Jerdan, kommst du jetzt bitte endlich da raus.« Nolan klang genervt und ungeduldig. Sie folgte seinem Blick. Etwas bewegte sich in der Kutsche und schob die Bretter zur Seite, die beim Aufprall herausgerissen worden waren. Sie zog überrascht eine Augenbraue nach oben, als der andere Mann, den sie auf etwa Mitte vierzig schätzte, herauskletterte und auf sie zukam. Noch vor wenigen Sekunden hatte er vollkommen regungslos in der Kutsche gelegen. Sie war sich sicher, dass er verletzt gewesen sein musste, wenn nicht sogar tot. Doch weder hinkte er, noch konnte sie irgendeine andere Verletzung erkennen. Zu ihrer Überraschung schien er sogar etwas erheitert. Er lächelte sie an und nickte ihr kurz zu, als er an ihr vorbei schritt. Dann hockte er sich neben Nolan und legte ihm die rechte Hand auf die Stirn.
Rael traute ihren Augen nicht. Bei seiner Berührung fing die Wunde an, sich langsam zu schließen, bis sie schließlich völlig verschwunden war.
»Danke«, sagte Nolan, stand auf und klopfte sich den Schmutz von seinem Gewand.
»Ihr seid Magier«, stellte Rael bewundernd fest. Nolan nickte, doch der glatzköpfige Mann bedachte sie nur mit einem merkwürdigen Blick.
»Du bist ebenfalls magisch begabt«, bemerkte er und schaute zu seinem Gefährten.
Nolan runzelte die Stirn und fing seinen Blick auf, bevor er zu der jungen Frau herüberschaute.
»Woher wollt Ihr das wissen?«, fragte sie unsicher.
»Ich erkenne Magie, wenn ich sie sehe«, erwiderte Jerdan.
Ja, als Gauklerin besaß sie selbst einige magische Fähigkeiten, doch waren diese weit entfernt von den Möglichkeiten eines richtigen Magiers.
Rael machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. »Viele Menschen in Perdosien sind magisch begabt. Ich bin Tänzerin. Das ist nichts. Nur ein bisschen Gauklermagie. Nichts im Vergleich zu dem, was Ihr tun könnt. Ihr könnt heilen. Das ist unglaublich. Ich habe gehört, dass es Magier geben soll, die solche Fähigkeiten haben, aber ich habe es noch nie mit eigenen Augen gesehen.« Begeisterung schwang in ihrer Stimme mit. Sie war neugierig und wollte unbedingt mehr über die Fähigkeiten der beiden Männer erfahren. Doch sie wusste nicht recht, was sie fragen sollte, oder ob es überhaupt höflich war, sie in diesem Moment damit zu belästigen. Immerhin waren sie gerade erst schwer verunglückt und hatten in dieser Situation sicher andere Sorgen, als ihre Neugier zu befriedigen. Also hielt sie sich zurück.
Jerdan grinste. »Gauklermagie, hm? Na, wenn du das sagst.« Er ging zu dem Kutscher, hockte sich vor ihm hin, schüttelte aber nach wenigen Sekunden den Kopf. Dann fing er an, in den Überresten der Kutsche etwas zu suchen.
»Tänzerin?«, fragte Nolan neugierig. »Und du läufst hier ganz allein im Wald herum? Das kann gefährlich sein.«
»Unser Lager ist nicht weit von hier. Ich besorge nur etwas Brennholz für diese Nacht.«
Jerdan schob ein paar Bretter zur Seite, die mit einem lauten Knall zu Boden fielen.
»Wie es aussieht, haben wir genug Brennholz«, sagte Nolan zu Rael und schmunzelte.
Sie erwiderte sein Lächeln. »Sieht so aus.«
»Kannst du mir sagen, wie weit die nächste Stadt entfernt ist?«, wollte er wissen.
»Bis Verlen liegen noch zwei ganze Tagesreisen vor uns.«
»Zu Fuß dürfte es vermutlich noch etwas länger sein«, grübelte er.
Da hatte er nicht ganz unrecht. Außerdem dämmerte es bald, und die beiden Männer würden einen Platz für die Nachtruhe finden müssen. Ohne Vorräte und zu Fuß stand ihre Weiterreise unter keinem guten Stern. Sie würden Hilfe brauchen, wenn sie Verlen sicher erreichen wollten.
Jerdan hatte mittlerweile von der Kutsche abgelassen und sich wieder zu ihnen gesellt. Er überreichte Nolan einen Schwertgürtel, den dieser sofort anlegte.
»Vielleicht könntet Ihr mit uns reisen?«, schlug sie vor. Sie war sich zwar nicht sicher, wie Alruna darauf reagieren würde, doch sie wollte die Männer auch nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.
»Ich meine, Ihr könnt wohl schlecht hier nächtigen, und allein und zu Fuß wäre die Weiterreise für Euch auch eher beschwerlich.«
»Das klingt doch gar nicht so schlecht«, bemerkte Nolan.
Rael lächelte und ging auf den Wald zu. »Es ist nicht weit.« Mit einer Handbewegung gebot sie ihnen, ihr zu folgen.
Nolan schaute ihr mit einem neugierigen Blick hinterher, dann hielt er Jerdan am Arm fest. »Was hast du gesehen?«, flüsterte er.
»Mehr als bloße Gauklermagie, wie sie es nennt.«
»Wie stark?«
»Nicht sonderlich. Vermutlich ist sie ein natürliches Talent.«
»Interessant.«
»Wir haben dafür aber keine Zeit«, erinnerte Jerdan seinen Gefährten.
Nolan schaute zurück zu ihrer Kutsche. »Ich sehe nicht, dass wir irgendwie eine andere Wahl hätten.«
Rael führte die beiden Männer weiter durch den Wald, bis sie schließlich die große Lichtung erreichten. Schon aus der Ferne hatten sie Stimmen und die Geräusche von Tieren vernommen. Es herrschte ein hektisches Treiben, das trotzdem einem gewissen Muster zu folgen schien.
Mehrere Planwagen standen bereits in einem ordentlichen Kreis, andere wurden gerade in ihre Position geschoben. Bewaffnete Männer auf Pferden patrouillierten am Waldesrand entlang und ließen ihren Blick durch das Gestrüpp wandern. Frauen trugen Körbe durch die Gegend, andere waren damit beschäftigt, Lagerfeuer zu entzünden. Es waren sicher an die fünfzig Menschen, die hier rasteten.
»Wer seid ihr?«, erklang eine dunkle Stimme.
Nolan blickte auf. Der hochgewachsene Mann mit kurzem dunklem Haar saß auf einem schwarzen Pferd, das unruhig hin und her tänzelte. Er hatte einen durchbohrenden Blick. Während er sie musterte, hielt er eine Peitsche in der einen und die Zügel seines Pferdes in der anderen Hand. Seine Muskeln zeichneten sich deutlich durch sein eng anliegendes Leinenhemd ab.
Auf jeden anderen hätte sein Erscheinungsbild vermutlich einschüchternd gewirkt, doch Nolan schmunzelte nur.
»Es sind Reisende, Zordan«, erklärte Rael leise. Es entging Nolan nicht, dass sie nervös wirkte. Unsicher drehte und wendete sie den Tuchbeutel in ihren Händen und nahm sogar etwas Abstand von dem Reiter. »Ihre Kutsche ist verunglückt. Sie brauchen Hilfe. Ich dachte, sie könnten vielleicht … «
Seine Peitsche knallte durch die Luft, bevor sie ihren Satz beendet hatte. Die junge Frau riss die Arme hoch und drehte sie weg, doch es war zu spät. Der Schlag hatte sie bereits erwischt. Sie fiel auf den Boden und tastete langsam ihr Gesicht ab. Die Wunde, die ihr der Peitschenhieb zugefügt hatte, war nicht tief, und doch zog sie sich über die komplette Wange. Nur knapp hatte er ihr Auge verfehlt.
»Du dummes Kind!«, schrie er sie an.
Nolan runzelte die Stirn. Weder schrie sie ob des Schmerzes, der ihr zugefügt worden war, noch jammerte sie. Sie starrte den Mann nur voller Angst und Entsetzen an.
»Zordan, ich wollte nicht …«, begann sie.
»Was ist hier los?«, fragte plötzlich eine Frau mit barscher Stimme. Sie hatte ihr graues Haar zu einem strengen Dutt gebunden. Ihr von Falten durchzogenes Gesicht erfasste die Szene. Sie blickte von Rael zu den beiden Männern und schließlich zu dem Reiter.
»Du sollst sie nicht ins Gesicht schlagen! Wenn du sie schon verprügeln musst, dann mach es dort, wo man es nicht sieht!«, herrschte sie Zordan an.
»Ich hingegen rate Euch, sie gar nicht mehr zu schlagen«, sprach Nolan ruhig.
Rael schaute überrascht zu ihm auf, und auch die alte Frau musterte ihn. »Ihr seid nicht in der Position, Forderungen zu stellen. Wie ich mit meiner Tochter umgehe, ist allein meine Sache! Wer seid Ihr überhaupt?«, spie sie ihm entgegen.
Nolan lachte. »Ich bin immer in der Position, Forderungen zu stellen; würdet Ihr mich kennen, wüsstet Ihr dies.«
»Wer seid ihr?«, fragte die Alte noch einmal, aber diesmal mit einer gewissen Vorsicht und einer Spur Neugier in ihrer Stimme.
»Das hat Euch nicht zu interessieren«, sagte Jerdan kühl. »Wir sind auf dem Weg nach Prelon, doch leider ist unsere Kutsche verunglückt. Eure Tochter hat uns Hilfe zugesagt. Ich würde es daher begrüßen, wenn Ihr ihren Versprechungen Taten folgen lasst, anstatt uns mit Euren Worten zu langweilen.«
Ihre Augen weiteten sich, und ihr Blick ging von ihm zu Nolan. »Ihr seid Preloner?« Es war keine Frage, eher eine Feststellung.
Jerdan grinste. »Da Ihr das nun erkannt habt, muss ich Euch ja nicht erklären, was es bedeutet. Wir brauchen neue Kleidung, etwas Proviant und zwei Pferde. Dann sind wir auch schon wieder verschwunden. Natürlich werden wir Euch für Eure Unannehmlichkeiten entschädigen.«
Die alte Frau ging einen Schritt zurück und deutete eine Verbeugung an. »Es tut mir leid, mein Herr. Ich hatte ja keine Ahnung.« Die Unterwürfigkeit, mit der sie ihnen plötzlich begegnete, war abstoßend. »Wir können leider keine Pferde entbehren. Allerdings könnt Ihr uns bis Verlen begleiten. Dort werdet Ihr bekommen, was Ihr benötigt. Bis dahin seid uns als Gäste willkommen«, fuhr sie fort.
Nolan tauschte einen schnellen Blick mit Jerdan. Welche Wahl hatten sie schon? Allein und zu Fuß würde es zu lange dauern, bis sie Verlen erreichten. Außerdem befanden sie sich in einem gefährlichen Gebiet. Die Wälder vor und hinter der Stadt waren ihr Gebiet: Gesetzlose. Unwürdige. Sie würden nicht zögern, sie zu töten, wenn sie erkannten, wer sie waren. Die Rebellen.
Es wäre auch mit der Kutsche der schwierigere Teil ihrer Reise gewesen. Unerkannt durch die Wälder zu kommen war beinahe unmöglich.
Unter anderen Umständen hätten sie die Wälder nur mit vielen Wachen und Magiern durchquert, doch das hätte zu viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Und Aufmerksamkeit konnten sie sich nicht leisten. Im Schutz dieser Gaukler könnten sie vermutlich sogar unerkannt bis Prelon kommen. Ja, das wäre möglich, dachte Nolan. Vielleicht meinte die Göttin es mit ihnen ja sogar besser, als es ursprünglich den Anschein hatte.
»Einverstanden«, sagte Nolan knapp.
Alruna lächelte. »Folgt mir. Ihr seid sicher durstig und hungrig.« Die beiden Männer nickten nur knapp und folgten ihr ein paar Schritte auf die Lichtung hinaus.
»Steh auf Mädchen!«, brüllte die Alte Rael an. »Mach das Feuer an und koche die Suppe.«
Die junge Frau stand etwas zu hastig auf und wäre beinahe wieder hingefallen, doch sie konnte gerade noch ihr Gleichgewicht halten. Alruna rollte mit den Augen. »Heute noch!«
Rael nickte nur und eilte an ihnen vorbei.
Über der kleinen Feuerstelle hing ein schwarzer Kessel, der behelfsmäßig an einer Holzkonstruktion angebracht war. Die Suppe köchelte leise vor sich hin. Rael hatte ihr Gemüse, reichlich Kräuter und ein paar Zwiebeln beigefügt. Der Duft verteilte sich langsam in der Luft und kündigte die Mahlzeit an. Die beiden Männer saßen auf Baumstümpfen, die sie um die Feuerstelle verteilt hatte, und beobachteten sie aufmerksam.
Schließlich füllte sie zwei Holzschalen und reichte sie den Männern.
»Willst du nicht mitessen?«, fragte Nolan sie.
»Ich esse später«, antwortete sie und musterte die beiden Männer, die zu essen begannen. »Schmeckt es euch?«, wollte Rael neugierig von ihnen wissen.
Jerdan tunkte seinen Holzlöffel in die Suppe und ließ den Inhalt langsam wieder in seine kleine Holzschale tropfen. »Naja, irgendwie muss man ja überleben«, entgegnete er.
Sie schaute ihn nervös an, unsicher, wie sie auf diesen Kommentar reagieren sollte.
»Hast du auch Wein?«, wollte er wissen.
»Natürlich.« Sofort stand sie auf und ging zu dem großen Planwagen hinüber. Sie kehrte mit einem großen Krug und zwei Bechern zurück. Nachdem sie ihm eingeschenkt hatte, beobachtete sie ihn aufmerksam. Er nahm einen kräftigen Schluck und verzog sogleich das Gesicht. Ganz offensichtlich mundete ihm der Wein auch nicht sonderlich.
»Dieser Wein …«, begann er, doch Nolan rammte ihm den Ellbogen in die Seite und schüttelte den Kopf.
»Man kann ihn trinken«, beendete Jerdan seinen Satz und setzte ein gezwungenes Lächeln auf.
»Hol dir einen Becher, setz dich und trink mit uns«, wandte sich Nolan an sie.
»Alruna würde es nicht gefallen, wenn ich mit Euch trinken würde. Ich habe noch Arbeit zu erledigen.«
Nolan lächelte selbstsicher. »Es ist mir gleich, was ihr gefällt und was nicht. Hat sie nicht sogar gesagt, dass du dich um uns kümmern sollst?«
Sie nickte zögerlich.
»So denn. Setz dich zu uns.«
Rael holte sich einen Becher, schenkte sich etwas von dem Wein ein und nahm auf einen Baumstumpf Platz.
»Dieser Zordan. Wer ist das?«, wollte Nolan wissen.
Rael fuhr sich mit der Hand über ihre Wange. Die Stelle, an der er sie mit der Peitsche erwischt hatte, war noch immer geschwollen.
»Er ist Alrunas Bruder«, erklärte sie ihnen leise. »Er führt unseren Zug an und befehligt die Wachen.«
Jerdan beugte sich zu ihr herüber und streckte die Hand aus. Sie wich ein Stück zurück und schaute ihn skeptisch an.
»Halt still«, forderte er sie auf. »Es geht dir gleich besser.«
Erneut streckte er seine Hand aus, und diesmal bewegte sie sich nicht. Sanft strich er ihr über die Wunde. Sie spürte, wie ihre Wange etwas warm wurde; es war ein angenehmes Gefühl. Der pochende Schmerz, der bis vor wenigen Minuten noch unaufhörlich gehämmert hatte, war verschwunden. »Sieh es als Dank für die … Suppe.«
»Sie hat Euch geschmeckt?«
»Nein, aber ich hatte Hunger.«
Vorsichtig berührte sie die Stelle, die er soeben geheilt hatte. Die Schwellung war vollständig verklungen. Sie lächelte. »Kann man so etwas lernen?«
»Was? Kochen? Ich glaube, man sollte schon ein gewisses Talent mitbringen.«
Rael schaute vergnügt. »Ich meinte das Heilen.«
»Oh. Na ja, auch dafür braucht man ein gewisses Talent«, erwiderte er grinsend.
»Du hast vorher noch nie einen Magier Prelons getroffen?«, wollte Nolan wissen.
»Nein. Obwohl wir weit umhergereist sind, war ich noch nie in diesem Königreich. Doch ich kenne die Lieder der Barden über die goldene Stadt.«
»Und was besingen sie?«, fragte Jerdan. »Das würde mich tatsächlich interessieren.«
»Sie besingen die goldenen Türme und wie die Strahlen der Abendsonne die weißen Dachziegel in ein bronzenes Licht tauchen. Deswegen nennt man sie ja die Stadt der Sonne.« Ihre Augen leuchteten, als sie erzählte. »Sie sagen, dass es eine Stadt sei, in der es auf dem Markt nur die feinsten und teuersten Güter geben würde und dass sich die Wünsche und Träume eines jeden dort erfüllen können.«
»Na ja, wenn man dort lebt, verliert man schnell den Blickwinkel für diese schönen Details«, bemerkte Jerdan und trank einen Schluck Wein aus seinem Becher.
Nolan runzelte die Stirn. »Ihr wollt am Fest der Könige teilnehmen, nicht wahr?«
Rael nickte. Das Fest der Könige fand alle fünf Jahre statt und war dem Erhalt des Friedens in allen fünf Königreichen gewidmet. Zu diesem Anlass kamen die Könige aller Reiche zusammen und feierten ein Fest, das mehrere Tage andauerte. Natürlich gab es dort für einen Gaukler viel Arbeit und natürlich auch viel Geld zu verdienen. Sie hatte schon so viel über Prelon gehört, dass sie es nicht abwarten konnte, die Stadt mit eigenen Augen zu sehen. Nicht einmal Alrunas andauernde schlechte Laune konnte ihr die freudige Erwartung auf das Fest nehmen.
»Wir sind auf dem Weg dorthin. Alruna denkt, dass es sehr einträglich werden wird.«
Bei aller Vorfreude auf das Fest machte ihr im Prinzip genau dies auch Sorgen. Sie wusste nur zu gut, was Alruna meinte, wenn sie von »einträglichen Geschäften« sprach. Solange sie von ihr nur verlangte, für den Pöbel zu tanzen, war dies auch nicht weiter schlimm. Doch meistens blieb es nicht dabei. Sie vergrub ihr Gesicht in dem Holzbecher und nahm einen kräftigen Schluck. Dann setzte sie den Becher wieder ab und umklammerte ihn so fest, dass ihre Handknochen weiß hervortraten.
Obwohl Alruna sie bei sich aufgenommen hatte, als sie noch sehr klein war, war sie nie eine Mutter für sie geworden. Ganz im Gegenteil. Die alte Frau erinnerte sie ständig daran, dass Rael ohne sie vermutlich als Bettlerin oder Hure – wie ihre Mutter – auf der Straße gelandet wäre und dass sie doch dankbar sein sollte für das neue Leben, das ihr geschenkt worden war.
Doch dieses Leben war kein Geschenk.
»Rael!«
Ruckartig drehte sich die junge Frau um und ließ dabei den Becher fallen, als sie in die grauen Augen der alten Frau blickte.
»Was machst du da?«, fuhr Alruna sie barsch an.
Rael stand auf. »Ich … Ich kümmere mich um unsere Gäste, wie du gesagt hast.« Ihre Stimme war leise.
»Geh zu Zordan und hilf ihm, das Podest aufzubauen. Du hast dich lange genug ausgeruht!«
Rael kam der Aufforderung ohne zu zögern nach und eilte auf die andere Seite der Lichtung.
»Sie ist eine ganz passable Tänzerin, doch davon abgesehen ist sie zu nichts zu gebrauchen«, erklärte Alruna den beiden Männern, nachdem Rael gegangen war. »Es wird euch sicher freuen zu hören, dass wir heute Abend für euch spielen werden«, ergänzte sie freundlich.
»Das ist sehr aufmerksam, aber nicht nötig«, entgegnete Jerdan.
»Ich möchte, dass sich meine Gäste wohlfühlen. Bei Sonnenuntergang werden wir die Fackeln anzünden und die Trommeln schlagen lassen«, erläuterte sie und verbeugte sich knapp, bevor sie sich zurückzog.
»Wir hätten es schlimmer treffen können«, murmelte Nolan.
Jerdan schaute auf seinen Weinbecher. »Da bin ich mir nicht so sicher.«
Die Sterne standen bereits hoch am Firmament, und die Lichtung, auf der die Gemeinschaft rastete, wurde nur durch das Licht der Fackeln erhellt. Die Musik der Spielleute hallte durch den Wald.
Nolan war nicht in der Lage, den Blick von Rael abzuwenden. Sie bewegte sich grazil und mit einer solchen Sicherheit, dass sie ihn vollends in ihren Bann gezogen hatte. Die Trommelschläge und Flötenklänge, die ihren Tanz untermalten, nahm er schon gar nicht mehr wahr. Es war, als tanzte sie nur für ihn. Ihr Blick war unwiderstehlich. Sie warf ihre langen braunen Haarlocken keck über ihre Schulter und ließ ihre Augen über die Menge schweifen, während ihre Hüften weiter im Rhythmus der Musik kreisten. War es möglich, dass auch nur einer der Anwesenden sie nicht voller Begierde anstarrte?
Ihre Arme zogen einen Kreis; plötzlich ließ sie diese ruckartig nach vorne schnellen und verharrte in dieser Position. Sie schaute verführerisch in die Menge, bis sie sich sicher schien, dass ein jeder sie betrachtete. Als würde jemand diesem Blick widerstehen können, dachte Nolan, und beim nächsten Trommelschlag loderten plötzlich kleine Flammen auf ihren Handflächen. Sie führte ihren Tanz fort, warf die Flammenbälle in die Luft und begann, damit zu jonglieren.
Was war das? Nolan tauschte einen schnellen Blick mit Jerdan; dieser zog überrascht eine Augenbraue in die Höhe und nickte anerkennend. Es war ihm also auch nicht entgangen.
Jerdan hatte ihm gesagt, dass sie über mehr Magie verfügte als bloße Gauklertricks, doch dies hatte er nicht erwartet. Sie hatte soeben manifestierende Elementarmagie angewendet, da war er sich sicher. Unsicher war er sich hingegen, ob sie sich dessen bewusst war.
»Hast du das gewusst?«, flüsterte Nolan seinem Begleiter zu.
»Nein. Ihre Aura ist schwach, ihre Magie nicht stark ausgeprägt. Im Grunde ist es gar nicht möglich, dass sie diese Art der Magie verwendet. Es sei denn …«
»Es sei denn, sie hat ihr Potenzial noch nicht entwickelt«, beendete Nolan seinen Satz und lächelte.
Das kommt unerwartet, dachte er. Eine Schande, dass sie hier bei diesen Gauklern leben muss; sie sind ganz offensichtlich nicht an ihrem Wohl interessiert und stellen ihre Fähigkeiten lediglich für ein paar Münzen zur Schau. Das war eines Magiers nicht würdig.
Die Menge applaudierte, und Nolan erkannte erst jetzt, dass er offensichtlich den größten Teil ihrer Darbietung nicht mitbekommen hatte, weil er seinen Gedanken nachhing. Ein Gefühl von Enttäuschung stieg ihn ihm auf.
»Hat es euch gefallen?« Rael kam fröhlich lächelnd auf sie zu und setzte sich neben Jerdan, der genau wie Nolan auf dem Boden saß und gegen einen Baumstamm lehnte.
»Du hast Talent«, stellte Jerdan anerkennend fest.
Rael stand auf, stellte sich vor sie und verbeugte sich. Dann sagte sie:
»Des Pöbels Dank, des Gauklers Lohn.
Doch gibt mir das nicht des Königs Thron!
Eine Gabe, und sei sie auch noch so klein,
Sie wird für immer in meinem Herzen sein.«
Sie verbeugte sich noch etwas tiefer und hielt die Hand auf.
Jerdan lachte aus vollem Herzen und legte ihr ein Silberstück in die Hand. »Ja! Du bist wahrlich talentiert.«
»Talentiert genug, um in den Hallen der großen Häuser Prelons zu spielen?« Es war Alruna, die sich in ihr Gespräch einmischte. Doch sie wartete nicht auf eine Antwort der beiden Männer. Ihr Blick wanderte zu Rael.
»Geh! Bring uns Met, Kind. Wir haben Geschäfte zu besprechen.«
Rael zögerte einen Augenblick, bevor sie dieser Aufforderung nachkam. Sie wirkt besorgt, dachte Nolan. Generell verhält sie sich immer etwas merkwürdig, wenn Alruna in der Nähe ist, überlegte er.
»Wenn Ihr wollt, dass sie während der Festlichkeiten in eurem Hause tanzt, so kann ich dies arrangieren«, begann Alruna. »Solltet ihr, nun ja, an anderen Gefälligkeiten interessiert sein, so lässt sich dies ebenfalls einrichten. Zu einem gewissen Preis versteht sich.«
»Ich denke nicht, dass wir an dieser Art von Gefälligkeit interessiert sind«, stellte Jerdan klar.
Nolan nickte. »Doch das bedeutet nicht, dass kein Interesse im Speziellen vorhanden wäre.«
Alruna runzelte die Stirn. »Worauf wollt Ihr hinaus?«, fragte sie skeptisch.
Jerdan räusperte sich »Nun ja. Es wäre eine Verschwendung ihrer Fähigkeiten, sie bloß in Prelon tanzen zu lassen. Findest du nicht auch, Nolan?«
»Ja. Das wäre ein Jammer, würde sie doch mit Leichtigkeit die Prüfung bestehen.«
Alrunas Augen formten sich zu Schlitzen. »Sie ist nicht zu verkaufen«, zischte sie leise.
»Oh. Da haben wir uns leider missverstanden«, erwiderte Jerdan, und in seiner Stimme lag ein theatralisches Bedauern. »Wir sagten nicht, dass wir sie kaufen wollen.«
»Das stimmt«, sagte Nolan. »Wir sagten, sie würde die Prüfung mit Leichtigkeit bestehen. Ihr wisst, welche Prüfung wir meinen?«
»Natürlich weiß sie das«, erwiderte Jerdan wissend, und ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Sie weiß auch, wer wir sind. Und daher sollte sie auch wissen, was passiert, wenn sie sich uns entgegenstellt. Ich kann es sehen – sie hat Angst. Es ist zu einfach, sie liest sich wie ein Buch.«
»Wie könnt Ihr es wagen …«, begann Alruna zornig.
»Nicht doch. Nicht doch.« Jerdan schüttelte den Kopf. »Wir sind doch zivilisierte Menschen.« Dann stand er auf, und seine Stimme hatte etwas Bedrohliches. »Ihr werdet jetzt schön brav sein und keinen Ärger machen. Rael wird uns begleiten. Wir werden sie zur Akademie nach Prelon bringen, wo man sie ausbilden wird …«
Ein Scheppern ließ Nolan aufschrecken. Als er sich umblickte, sah er Rael.
Sie stand hinter ihnen und hatte soeben den Krug mit Met auf den Baumstamm fallen lassen, gegen den er gelehnt hatte.
»Ihr wollt mich zur Akademie bringen?« In ihrer Frage lag Erstaunen, aber zugleich auch Interesse.
»Setz dich«, sagte Jerdan freundlich zu Rael. »Wir haben einiges zu besprechen.«
»Ihr lasst uns besser alleine«, wandte Nolan sich bestimmend an Alruna. Diese funkelte ihn wütend an, sagte aber kein weiteres Wort, als sie sich zurückzog.
Rael konnte nicht fassen, was sie da hörte. Die beiden Männer erklärten ihr, dass sie magisches Potenzial bei ihr erkannt hatten und sie deswegen mit nach Prelon nehmen wollten. Es war für sie wie ein Traum, denn das konnte einfach nicht wahr sein. Ganz sicher würde sie gleich aufwachen und feststellen, dass das alles nicht real war.
Ihre anfängliche Freude schwand, als sie an Alruna dachte. Niemals würde die Alte sie gehen lassen, niemals würde sie dieser Hölle entkommen, die ihr Leben war. Doch nichts wollte sie mehr, als diesem Ort zu entfliehen. Fort von Alruna und ihren Geschäften. Fort von dem Zwang, Dinge tun zu müssen, die sie in ihren Albträumen heimsuchten und an die aus ihrer Erinnerung verbannen wollte.
Rael senkte den Blick. »Alruna wird mich nicht gehen lassen«, bemerkte sie leise.
»Ich wüsste nicht, was sie tun könnte, um uns daran zu hindern, dich mit uns zu nehmen«, sagte Nolan grinsend. »Vorausgesetzt, du möchtest mit uns kommen?«, fügte er fragend hinzu.
»Natürlich möchte ich das. Ich … Aber sie wird …« Rael schüttelte den Kopf. »Ihr wisst nicht, wie sie ist.«
Nolan ergriff ihre Hand und drückte sie sanft. »Zuerst einmal bedarf es keiner Förmlichkeiten. Du kannst mich ruhig duzen, und zweitens sei dieser Alruna gesagt, dass sie besser beraten ist, wenn sie sich nicht weiter einmischt. Sollte sie dich noch einmal schlagen lassen oder sich uns in den Weg stellen, werden wir ihr zeigen, warum die prelonischen Magier so berühmt sind.« Er konnte sich ein selbstgefälliges Lächeln nicht verkneifen, als er einen Schluck von dem Met trank, den ein Junge gebracht hatte.
Rael hatte den Honigwein abgelehnt, sie war zu aufgewühlt. Sie spürte die Hoffnung, die in ihr aufstieg, aber gleichzeitig hatte sie auch nicht den Hauch einer Ahnung, was sie in Prelon erwarten würde. Doch der Drang, von hier fortzukommen, war stärker als die Angst, die etwas Neues und Unbekanntes mit sich brachte. Sie hatte so viele Fragen, die ihr im Kopf herumschwirrten, doch Nolan sagte ihr, dass sie erst einmal schlafen gehen sollte. Sie hätten auf ihrer Reise nach Verlen noch genug Zeit zum Reden.
Widerwillig ging sie zu ihrem Planwagen und legte sich auf ihre Schlafstätte. Sie würde die ganze Nacht kein Auge zubekommen, da war sie sich sicher.
Alruna lag ebenfalls im Wagen. Ihre Atmung ging langsam und gleichmäßig. Sie schlief. Rael schaute zur Decke und hing ihren Gedanken nach. Irgendwann fielen ihre Lider zu, und sie glitt hinüber in einen unruhigen Schlaf.
Langsam öffnete sie die Augen, als sie bemerkte, dass sich etwas neben ihr bewegte. Rael hob den Kopf und sah einen Schatten, der aus dem Wagen kletterte. Sie schaute nach rechts. Alruna lag nicht mehr in ihrer Schlafstätte.
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch erhob sich Rael und schlich auch hinaus. Der abnehmende Mond wurde von einigen Wolken verdeckt, und nur noch wenige Fackeln spendeten Licht. Nachdem sie den Wagen schließlich umrundet hatte, erblickte sie Alruna.
Sie stand den Rücken zu ihr gekehrt ganz in der Nähe der beiden Magier, die vor dem Wagen in Decken gehüllt schliefen.
»Alruna, was tust du da?«, fragte Rael bestürzt.
Die alte Frau hielt inne und drehte sich um.
»Sieh sie dir an. Die mächtigen Magier, unfähig, einem leichten Schlafpulver zu widerstehen, das ich in ihren Wein getan habe.« Alruna spuckte auf den Boden. »Ich kenne die Preloner und ihre Arroganz, als würde es nichts auf dieser Welt geben, das ihnen Schaden zufügen könnte. Doch da haben sie sich wohl geirrt.« Sie grinste hämisch. »Ich werde nicht zulassen, dass sie dich mit sich nehmen!«
»Nein, Alruna, tu das nicht, bitte!«, flehte Rael, doch sie reagierte nicht. Die Alte zog einen Dolch aus ihrem Stiefel und beugte sich über Jerdan.
Rael schluckte, und ihr Herz begann zu rasen. Sie erinnerte sich an den Blick, den Alruna Nolan zugeworfen hatte, als er ihr gesagt hatte, sie solle sie alleine lassen. Sorgenfalten erschienen auf ihrer Stirn. Sie wusste, wozu diese Frau fähig war. Noch nie hatte sie kampflos aufgegeben. Sie würde diese Männer töten. Und damit wäre ihre einzige Hoffnung auf ein neues Leben dahin. Ein neuer Anfang. Fort von hier. Daran hatte sie sich geklammert, das hatte sie sich immer gewünscht. Und jetzt, wo sie so kurz davor stand, würde Alruna ihr all diese Hoffnung wieder nehmen. Es würde weitergehen wie bisher. Wieder und wieder würde Alruna sie zu widerwärtigen Dingen zwingen, sie erniedrigen und schlagen. Rael hasste sie für alles, was sie ihr angetan hatte.
»Nein!«, rief Rael. »Du wirst mir das nicht nehmen!«
»Sei still! Es ist gleich vorbei«, blaffte Alruna sie an, ohne sich umzudrehen. Ihr Dolch fing das Licht der Fackeln auf und schimmerte leicht im Schein des Feuers.
»Nein!«, schrie Rael, doch sie hörte sich selbst nur wie aus weiter Ferne. Lass mich frei … Wut wich ihrer Verzweiflung. Ich kann nicht zulassen, dass sie das tut. Gib dich hin … Entzünde mich … Auf dein Ziel … Lass mich frei!!!
Sie verließ ihren Körper und blickte auf sich herab. Verblüfft erkannte sie ihr eigenes Gesicht, doch es schien so fremd. Es war voller Zorn. Sie sah sich selbst nur drei Meter entfernt von Alruna stehen, die Hand auf sie gerichtet, und plötzlich geschah es.
Ein Feuerstrahl schoss aus ihrer rechten Hand direkt auf Alruna, die sich vor Schmerzen krümmte und schreiend zusammenbrach. Sie lag bereits leblos am Boden, doch das Feuer brannte weiter, bis nur noch ein verkohlter Körper übrig blieb. Rael vernahm Stimmen. Menschen rannten auf sie zu. Sie trugen Waffen. Sie sind eine Gefahr … Sie sah, wie sie ihre Hand in die Richtung der Wachen hielt. Nein, das darf ich nicht tun … doch sie hatte keine Kontrolle mehr. Die Wachen schrien, als sie in Flammen gehüllt wurden. Da kommen noch mehr … Sie richtete das Feuer auch gegen diese Männer und sah mit an, wie sie schreiend in den Flammen verbrannten.
Menschen stiegen aus den Wagen und liefen davon, als sie Rael erblickten. Sie versuchen zu entkommen … Nein, hör auf! … Sie müssen brennen, für das, was sie dir angetan haben … Eine Wand aus Flammen zog sich durch die Lichtung. Die Menschen flohen panisch in alle Himmelsrichtungen. Dann sah sie Nolan. Er war aufgewacht. Sein Blick wanderte voller Entsetzen über die Lichtung, dann schaute er sie an. Er wird dir schaden … Nein … Verschwinde! Er wird dir wehtun … Ich sagte, verschwinde! Dann spürte sie plötzlich eine unendliche Freiheit.
Rael fiel auf die Knie, sie fühlte sich müde und kraftlos. In der Ferne hörte sie Stimmen, doch das kümmerte sie nicht. Die Dunkelheit war verführerischer und umarmte sie wie ein alter Bekannter.
»Rael, wach auf!«
Langsam öffnete sie ihre Augen. Die Sterne verrieten ihr, dass es mitten in der Nacht sein musste, und doch war es unnatürlich hell. Es lag an dem Feuer. Es brannte noch immer. Als sie sich umsah und die brennenden Wagen sah, kam die Erinnerung zurück.
»Nein«, schrie sie und schlug die Hand vor den Mund. »Was habe ich getan?«
»Beruhige dich. Es ist vorbei«, versuchte Nolan, sie zu besänftigen.
Sie blickte ihn entsetzt an, dann wanderte ihr Blick über die verkohlten Leichen. Sie hatte einige dieser Männer und Frauen gut gekannt.
»Ich habe sie getötet«, flüsterte sie geschockt.
»Es ist jetzt nicht die Zeit, die Toten zu betrauern, Rael. Wir müssen verschwinden.« Nolan zog sie hoch, und widerstrebend ließ sie ihn gewähren. Plötzlich sah sie Jerdan. Er kam mit drei Pferden im Schlepptau auf sie zu.
»Die meisten haben sich in die Wälder zurückgezogen. Wir sollten nicht darauf warten, dass sie den Mut wiederfinden, ihre gefallenen Kameraden zu rächen.«
Nolan nickte ihm zu, griff nach dem Zügel eines Pferdes und schob Rael vorwärts.
»Steig auf!«
»Wo ist Alruna?«, fragte sie leise.
»Rael, verdammt nochmal. Steig auf das Pferd!«
»Sie ist verbrannt …«, sagte Rael zu sich selbst. Nolan zögerte nicht länger, er hob sie hoch und setzte sie auf das Tier. Dann bestieg er sein eigenes, ergriff die Zügel von Raels Pferd und führte es davon.
Trotz der nächtlichen Dunkelheit hetzten die drei Reiter so schnell sie konnten durch den Wald. Jerdan führte die kleine Gruppe an, gefolgt von Nolan, der gleichzeitig auch Raels Pferd führte.
Es dämmerte bereits als, Jerdan endlich das Tempo verringerte. Sie hatten eine kleine Lichtung an einem Fluss erreicht.
»Wir sollten etwas essen und ein wenig rasten, bevor wir weiterreiten«, sagte Jerdan, während er von seinem Rappen sprang; er sattelte ihn ab und band ihn an einen Baum fest. Nolan half Rael, von ihrem Pferd abzusteigen, und band ihre beiden Tiere ebenfalls an einen Baum, nachdem er die Sättel abgenommen hatte.
Dann dreht er sich zu Rael. »Wie fühlst du dich?«
»Müde«, murmelte sie träge.
»Ja, das kann ich mir vorstellen«, entgegnete er wissend. »Die Magie hat dir fast all deine Kraft genommen, deswegen bist du auch ohnmächtig geworden. Setz dich hin und ruh dich etwas aus.«
Nolan sammelte ein paar Äste zusammen. Er spitzte einige von ihnen mit seinem Dolch an und legte sie beiseite. Die anderen häufte er zu einer Feuerstelle auf, die er mit ein paar Steinen abgrenzte. Rael beobachtete ihn eine Weile, aber schließlich wurde die Müdigkeit in ihr stärker. Sie setzte sich in der Nähe des Flusses an einen Baum und schloss die Augen.
Bilder der vergangenen Nacht erschienen. Sie sah ihr eigenes Gesicht, das so voller Wut gewesen war. Sie hörte die Schreie der Wachen, die in den Flammen umgekommen waren, und sah ihre verkohlten Leichen. Männer, die hilflos die Arme ausstreckten, als könnten sie etwas erreichen, das ihnen in dieser Situation helfen würde. Frauen, deren lange Haare Feuer fingen. Sie waren nicht in der Lage gewesen, das Feuer zu löschen, bevor es ihren Kopf erreicht hatte. Nichts hatte dieses Naturelement löschen können. Die verkohlten Körper waren über die ganze Lichtung verteilt, wie Skulpturen, grotesk verrenkt in unterschiedlichen Haltungen. Sie waren alle tot …
Rael schlug die Augen auf. »Ich glaub, mir wird schlecht.« Sie rannte um den Baum herum, an dem sie eben noch gesessen hatte, und übergab sich.
Nolan und Jerdan tauschten einen wissenden Blick.
Rael ging zum Fluss, wusch sich den Mund aus und spritzte sich das kühle Wasser ins Gesicht. Dann drehte sie sich um und blickten zu den beiden Männern hinüber.
»Könnt ihr mir erklären, was genau passiert ist?«
»Du hast ziemlich viele Menschen getötet«, erklärte Jerdan ohne den Hauch einer Gefühlsregung in seiner Stimme.
»Jerdan, bitte.« Nolan rollte mit den Augen. »Besorg uns einfach etwas zu essen.« Jerdan zuckte mit den Schultern und machte sich auf in Richtung des Flusses.
Nolan ging zu Rael, legte ihr einen Arm um die Schulter und führte sie zurück zu dem Baum, gegen den sie sich vorher gelehnt hatte. Sie setzten sich.
»Du wirst lernen, es zu kontrollieren. Das verspreche ich dir!«, sagte er sanft.
»Die Stimme, die ich gehört habe.« Rael schwieg einen kurzen Moment. »Sie wollte, dass ich das alles mache. Diese Magie ist böse.«
»Nein. Pass auf, ich zeige dir was.« Nolan nahm seinen kleinen Dolch, hockte sich hin und hielt ihn ein paar Zentimeter über den Boden. Zuerst passierte nichts, doch auf einmal begann die Klinge des Dolches zu glühen. Der Waldboden öffnete sich einen Spalt breit, und ein kleiner grüner Stängel kam heraus. Er wuchs langsam. Kleine Blätter und Knospen bildeten sich, und schließlich verwandelten sich die Knospen in viele blaue Blüten.
»Magie kann auch Leben schaffen und Schönes bewirken.« Er lächelte zufrieden, als er ihren erstaunten und interessierten Gesichtsausdruck sah.
»Wir sind uns gar nicht so unähnlich. Wir sind beide weiße Magier, da wir über die Elemente gebieten können. Deines ist das Feuer, Rael.«
Rael blickte auf die kleine Blume, während er sprach.
»Erde«, sagte sie knapp.
Nolan nickte. »Deswegen glaub mir bitte. Ich weiß genau, was du gerade durchmachst.«
»Ist Jerdan auch ein weißer Magier?«
Nolan lachte. »Oh nein. Er ist das, was wir einen Schwarzmagier nennen, aber das ist etwas komplizierter zu erklären. In erster Linie ist Jerdan Archivar. Er arbeitet in der großen Bibliothek der Akademie von Prelon.«
Von schwarzer oder weißer Magie hatte Rael noch nie gehört. Die Gaukler machten hier keine Unterschiede. Entweder man war magisch begabt, oder man war es eben nicht. Es wurde nicht genauer klassifiziert. Sie glaubte verstanden zu haben, was weiße Magie war, doch was ein Schwarzmagier konnte, wusste sie nicht. Sie erinnerte sich aber, dass Jerdan Nolan geheilt hatte. Vielleicht waren sie ja genau das – Heiler.
Sie schaute zu dem kahlköpfigen Magier hinüber, der am Fluss stand und diesen bewegungslos anstarrte. In diesem Moment sprang ein Fisch aus dem Wasser und landete neben ihm, direkt zu seinen Füßen.
»Was tut er da?«, fragte Rael verblüfft.
»Er besorgt unser Frühstück.«
Die Magie, die diese beiden Männer benutzten, war nicht zu vergleichen mit dem, was sie auf ihren Reisen gesehen hatte. Gaukler waren in der Lage, kleinere Illusionen hervorzurufen. Die Bewegungen der Tänzerinnen konnten betörend wirken, und die Lieder der Barden konnten die Stimmung eines Menschen verändern. Was sie mitunter auch dazu bringen konnte, ihr Publikum einzuschläfern. Sie konnten aber definitiv den Fischen nicht befehlen, aus dem Wasser zu springen.
Jerdan, der mittlerweile genügend Fische gefangen hatte, gesellte sich wieder zu ihnen; sein Blick fiel auf die Feuerstelle.
»Es wäre vermutlich unsensibel, sie zu fragen, ob sie uns kurz Feuer machen könnte, oder?«, fragte er Nolan.
»Jerdan!« Nolan klang vorwurfsvoll.
»Ich mein ja nur.« Jerdan setzte einen unschuldigen Gesichtsausdruck auf. »Es wäre halt praktisch!«
Nolan seufzte. »Mach es auf die herkömmliche Art.« Jerdan nickte widerstrebend und machte sich an die Arbeit.
Sie nutzten die angespitzten Äste, die Nolan vorbereitet hatte, um den Fisch über dem Feuer zu braten. Als sie ihr Mahl schließlich beendet hatten, beschlossen sie weiterzureisen. Je schneller sie nach Prelon kommen würden, desto besser.
Rael war gerade dabei, die Pferde wieder zu satteln, als Jerdan Nolan beiseitezog.
»Magie kann auch Leben schaffen und Schönes bewirken?«, wiederholte Jerdan seine Worte in abwertendem Ton. »Du weißt schon, dass wir sie nach Prelon bringen wollen? Was soll dieser gefühlsduselige Mist?«
»Sie brauchte eine Ermutigung«, flüsterte Nolan. »Ihre Gabe ist zu selten. Ich wollte sichergehen, dass sie mit uns kommt.«
»Du willst, dass sie sich deinem Haus anschließt?«
»Ja.«
»Das Haus deines Vaters wird großes Ansehen erhalten, wenn es eine weiße Magierin ihrer Stärke besitzt.«
Nolan nickte. »Ich weiß.«
»Und was springt dabei für mich raus?«, flüsterte Jerdan.
»Du wirst schon nicht leer ausgehen. Außerdem hat dein Haus schon eine Adeptin.«
»Ich werde dich daran erinnern, alter Freund.«
»Kommt ihr jetzt?«, rief Rael. »Wir müssen los.«
Die beiden Männer beendeten ihr Gespräch und stiegen auf die Pferde.
Sie rasteten nur, um zu essen oder um sich ein paar Stunden Schlaf und den Pferden etwas Erholung zu gönnen. Rael schlief nicht viel. Immer wieder wachte sie mit den Erinnerungen an jene Nacht auf. Einzig Nolans Worte gaben ihr etwas Mut. Er hatte ihr gesagt, dass man sie lehren würde, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und zu kontrollieren. Es gab ihr ein Ziel und etwas Hoffnung. Sie wollte auf keinen Fall, dass noch einmal Menschen wegen ihr sterben mussten. Zum Glück hatte sie diese Stimme bisher nicht wieder gehört.
Rael saß, den Blick ins Feuer gerichtet, auf dem harten Waldboden und hing ihren Gedanken nach. Jerdan schlief bereits. Sein Schnarchen war so laut, dass man ihn vermutlich im ganzen Wald hören konnte. Wenn sie irgendjemand verfolgte, dann würde er sie dank dieses Lärms sicher leicht finden. Nolan schienen ähnliche Gedanken durch den Kopf zu gehen. Er ging einmal um die Feuerstelle herum und trat ihn gegen sein Bein. Jerdan schnaubte, zog die Decke über seinen Kopf, drehte sich auf die andere Seite und schlief weiter. Rael schmunzelte. Zumindest hatte er aufgehört zu schnarchen.
»Du solltest auch etwas schlafen«, sagte Nolan leise. »Wir haben morgen einen gefährlichen Ritt vor uns.«
»Wieso gefährlich?«
»Wir sind nahe ihrem Gebiet. Diese Wälder gehören den Rebellen. Wenn wir Glück haben, kommen wir unerkannt durch. Wenn nicht … « Er strich sich durch sein langes blondes Haar. »Nun ja, dann wird es interessant«, erklärte er mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen.
»Das klingt nicht gut. Wer sind die Rebellen?«
»Es sind Gesetzlose, Ausgestoßene oder Verräter. Die meisten von ihnen stammen aus Prelon.«
Rael seufzte, zog die Knie an den Körper und schlug die Arme darum.
»Mach dir keine Sorgen um die Rebellen.«
»Ehrlich gesagt, sind diese Gesetzlosen derzeit mein kleinstes Problem«, murmelte sie leise.
»Du wirst lernen, es zu kontrollieren. Ich werde mit meinem Vater reden; ich hege keinen Zweifel, dass er dich in unserem Haus willkommen heißen wird. Wir werden deine Ausbildung unterstützen.«
»Haus? Was meinst du damit?«, fragte sie verwirrt, aber auch neugierig, was es damit auf sich hatte.
»Ich hatte vergessen, dass du noch nie in Prelon warst«, antwortete er und lächelte entschuldigend. »Die Preloner Familien sind in Häusern organisiert. Unseres ist das Haus Callora. Wir stehen in der Hierarchie des Reiches an elfter Stelle. Doch wir verfügen über genug Mittel und Einfluss, um dir eine Ausbildung zu ermöglichen. Du musst wissen, dass es in Prelon nicht möglich ist, an der Akademie angenommen zu werden, wenn man nicht einem Haus angehört. So ist das Gesetz.«
Rael runzelte die Stirn. »Und was bedeutet das für mich? Muss ich irgendetwas tun, um in deinem Haus aufgenommen zu werden?«
»Mein Vater wird dich aufnehmen, wenn du die Aufnahmeprüfung der Akademie bestanden hast.«
»Aufnahmeprüfung?« Sie schaute ihn unsicher an. Davon hatte er bis jetzt noch gar nichts erwähnt.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte er beschwichtigend. »Du hast bereits eindrucksvoll bewiesen, dass du Magie wirken kannst. Ich sehe da keine Schwierigkeiten. Es handelt sich nur um eine Formalität.«
»Und wie sieht diese Prüfung aus?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Sie laufen jedes Mal unterschiedlich ab. Je nach Magier und dem jeweiligen Spezialgebiet passen sie sich dem Adepten an.« Nolan rutsche etwas näher zu ihr und sprach nun etwas leiser. »Mach dir nicht so viele Gedanken. Es handelt sich wie gesagt nur um eine Formalität. Wichtig ist, dass du lernst, es zielgerichtet einsetzen zu können. Das wird man dich lehren. Danach wirst du es kontrollieren können, und das, was dir letzte Nacht passiert ist, wird nicht mehr vorkommen.«
Rael seufzte, das war ein schöner Gedanke. Sie wollte unter keinen Umständen noch einmal die Kontrolle verlieren und einem Menschen Schaden zufügen.
Nolan streichelte ihr durchs Haar. »Am besten du schläfst jetzt etwas«, sagte er sanft.
Rael nickte und zog sich auf ihre Schafstätte zurück. Sie war wirklich müde. Ob sie allerdings Schlaf finden würde, war fraglich.
Am Mittag des zweiten Tages erreichten die drei Gefährten die große Stadt Verlen. Nolan bestand darauf, dass sie ihre Kleidung und Pferde wechselten, bevor sie weiter ritten.
Jerdan tauschte seine rote Robe gegen dunkle Lederhosen und ein weißes Leinenhemd. Nolan wählte ähnliche Kleidung für sich selbst aus. Sie hatten keine Goldstücke bei sich, und doch übergab ihnen der Tuchhändler alles, was sie benötigten. Alles, was sie dafür gaben, war ein Name. Jerdan von Vindu. So hatte Jerdan sich vorgestellt und dem Händler versichert, dass sein Fürst für jegliche Unannehmlichkeiten aufkommen würde. Rael hatte nicht schlecht gestaunt, dass dieses Versprechen dem Händler tatsächlich genügt hatte.
Sie selbst brauchte ihre Kleidung nicht zu wechseln. Sie trug noch immer ihren langen Rock und das bauchfreie Oberteil. Beides war in einfachen Brauntönen gehalten. Nolan hielt es für unauffällig genug, um den letzten Teil ihrer Reise zu überstehen. Sie wusste, worauf er anspielte: die Rebellen. Er hatte sie bereits erwähnt.
Nachdem sie die Räumlichkeiten des Händlers verlassen und Vorräte gekauft hatten, machten sie sich wieder auf den Weg.
Rael ritt einen Schimmel, der langsam hinter den Männern her trottete. Es schien ein älteres Tier zu sein, denn der ganze Lärm der Marktstände und der Menschen, die schrien, um ihre Ware anzupreisen, brachten ihn nicht einmal ansatzweise aus der Ruhe. Sie passierten den großen Marktplatz, den sie sich gerne etwas genauer angesehen hätte. Doch Nolan trieb sie zur Eile. Sie erhaschte nur einen kurzen Blick auf das Wahrzeichen der Stadt – den Brunnen der Könige, wie man ihn nannte. Sie hatte von ihm gehört, doch ihn leider bisher niemals persönlich betrachten können. Angeblich waren die Könige, die einst vor hundert Jahren das Friedensabkommen geschlossen hatten, dort in Stein verewigt. Mit etwas Wehmut schaute sie über die Schulter, als sie ihn auch schon passiert hatten.
Verlen war eine alte Stadt, im Kreuzungspunkt der wichtigen Handelsstraßen zwischen Karutien, Yidak und Prelon gelegen. Und genau deswegen waren die Menschen, die auf den Straßen unterwegs waren, auch nicht alles Preloner. Sie erkannte eine Gruppe Yidaki. Die typischen langen glatten schwarzen Haare und die gebräunte Haut waren das Markenzeichen der Assassinen aus der Wüste Ya’Draksa. Sie schaute den Männern und Frauen nach, die soeben in einer Taverne verschwunden waren. Dann blickte sie wieder nach vorne. Als sie erkannte, dass Nolan und Jerdan schon etliche Meter vor ihr waren, trieb sie ihren in die Jahre gekommenen Hengst an, um wieder aufzuschließen. Widerwillig gehorchte das Pferd und trabte an, bis sie die Männer erreicht hatte.
Den beiden schien nicht einmal aufgefallen zu sein, dass sie kurz zurückgeblieben war. Sie waren in ein Gespräch vertieft. Rael seufzte und schaute zum großen Stadttor empor, das sie soeben passierten.
Nolan brachte sein Pferd zum Stehen, als sie vor der Stadt standen. »Seid vorsichtig und auf der Hut. Wir müssen dieses Waldstück schnell durchqueren. Vielleicht haben wir Glück.« Er wartete nicht einmal auf einen Kommentar der anderen beiden und trieb sein Pferd an. Sogleich verfiel es in einen leichten Galopp, und Jerdan folgte ihm.
Raels Hengst hingegen fand eine gemütlichere Geschwindigkeit sehr viel angemessener und trottete im langsamen Trab hinter den beiden Männern her.
»Verdammtes Vieh«, grummelte sie und versuchte, ihr Pferd zum Galopp anzutreiben. Der Schimmel verspürte augenscheinlich nicht wirklich Lust, ihrem Wunsch nachzukommen. Er legte die Ohren an und ließ sich zu einem schnelleren Trab überreden. Das war offensichtlich sein Kompromiss. »Störrisches Ding«, fluchte sie und lehnte ihre Schenkel an, um ihn weiter voranzutreiben, doch auch das half nichts.
Jerdan drehte sich um, wendete sein Pferd und kam auf sie zu. »Probleme?«, fragte er.
»Dieses störrische Vieh will einfach nicht schneller laufen«, seufzte sie.
»Das haben wir gleich.« Jerdan fixierte den Schimmel für ein paar Sekunden mit seinen Augen. Dann lächelte er vielsagend. »Versuch es noch einmal.«
Rael schaute den Magier fragend an, tat aber, was er von ihr verlangte. Ohne Probleme ließ sich ihr Pferd nun in den langsamen Galopp treiben. Sie warf Jerdan einen fragenden Blick zu. »Wie hast du das gemacht?«
Der Magier zuckte entschuldigend mit den Schultern und grinste. »Nur etwas Magie.«
Sie schaute ihn skeptisch an, während sie neben ihm her ritt. »Kannst du Tiere beeinflussen?«
»Beeinflussen ist nicht das richtige Wort«, antwortete er. »Ich kann ihnen meinen Willen aufzwingen.«
Sie erinnerte sich daran, dass er den Fischen befohlen hatte, aus dem Fluss zu springen. Er war eindeutig mehr als nur ein Heiler, wie sie zuerst angenommen hatte. Sie bedachte ihn mit einem misstrauischen Blick und folgte Nolan, der schon vorausgaloppiert war.
Sie ritten nebeneinander über einen breiten Waldpfad, als Jerdan plötzlich anhielt. Er hatte wie schon öfter auf ihrer Reise diesen merkwürdigen Blick, als schaue er auf etwas, dass in weiter Ferne vor ihm lag.
»Sind wir schon in ihrem Gebiet?«, fragte Nolan.
»Ja, und sie wissen, dass wir hier sind. Sie kommen«, antwortete Jerdan.
»Wie viele?«, wollte Nolan wissen und schaute sich um. Auch Rael blickte in den Wald, versuchte, zwischen den Bäumen links und rechts neben ihnen etwas zu erkennen. Doch sie sah niemanden.
»Zu viele«, erwiderte Jerdan.
»Haben wir noch Zeit?«
»Nein. Es ist zu spät.« Er streifte seinen Siegelring vom Finger, und Nolan tat es ihm gleich. Sie warfen die Ringe in einen Busch, der am Wegesrand stand.
»Die Rebellen?«, fragte Rael.
»Ja«, bemerkte Jerdan knapp.
»Egal, was du sagst oder tust, sage ihnen weder, dass wir nach Prelon wollen, noch, dass wir Magier sind. Sie würden uns auf der Stelle töten«, instruierte Nolan sie mit raschen Worten.
Rael schluckte. »Wie du wünschst.«
Dann setzten sich die drei wieder in Bewegung.
»Kannst du unsere Aura verhüllen, Jerdan?«
»Schon längst geschehen«, flüsterte er.
Als sie um eine Kurve bogen, sah Rael einen Mann mit kurzen dunklen Haaren, der mitten auf der Straße stand. Er trug ein langes graues Gewand und hielt ein Schwert in seiner rechten Hand. Sein strenger Blick musterte sie durchdringend.
»Wohin des Weges?«
»Wir sind auf dem Weg zum Windbachtal. Wir wollen dort Verwandte besuchen«, log Jerdan, ohne mit der Wimper zu zucken.
Der Mann musterte Jerdan, dann fiel sein Blick auf Rael und Nolan.
»In letzter Zeit gelingt es immer mehr Prelonern, unseren Wachen zu entkommen. Ich werde euch mitnehmen. Nur zur Sicherheit. Wenn Ihr die Wahrheit sagt, so habt ihr nichts zu befürchten und dürft weiterreisen.«
Dann nickte er jemandem zu, den Rael nicht sehen konnte. In diesem Moment traten Männer aus dem Wald, alle schwer bewaffnet, und kamen auf sie zu. Es mussten an die zwanzig sein.
»Verhalte dich ruhig«, flüsterte Nolan ihr zu.
Der Mann sprach zu seinen Leuten. »Nehmt ihnen die Pferde ab und durchsucht sie. Sollte sich einer widersetzen – bringt ihn um!«
Rael hatte Jerdan und Nolan gefühlt seit Stunden nicht mehr gesehen. Man hatte zuerst Jerdan geholt, und nach einer Weile waren wieder ein paar Wachen gekommen, die Nolan fortgebracht hatten.
Sie saß allein in dem Raum und überlegte, was wohl mit ihnen geschehen sein mochte. Diese Rebellen machten keinen sonderlich furchterregenden Eindruck. Auf ihren Reisen durch die westlichen Länder hatte sie schon viel schlimmere Situationen erlebt. Das Volk der Yidaki beispielsweise hätte einen solchen Hinterhalt, wie den der Rebellen, nicht dazu genutzt, sie erst noch fortzuschaffen und zu verhören. Die Yidaki hätten sie auf der Stelle getötet, wenn sie auch nur den leisesten Verdacht gehabt hätten, dass sie Spitzel sein könnten. Sie hätten den Angriff nicht einmal kommen sehen, denn darin war das Volk der Assassinen sehr gut.
Einmal hatte Rael einen solchen Angriff selbst miterlebt. Damals hatten sich Reisende der Nenin ihrer Gemeinschaft angeschlossen, und als sie einen Bergpass passierten, schossen Messer durch die Luft. Sie trafen zielsicher ausschließlich die Nenin, die sich unter ihnen befunden hatten. Spätestens seit diesem Tag wusste sie, dass diese beiden Völker verfeindet waren.
Glücklicherweise waren die Yidaki genauso vergnügungssüchtig wie mordlustig. Daher hatte die Gemeinschaft der Gaukler in der Regel selten Probleme, wenn sie ihr Gebiet durchquert hatten.
Bei diesen Rebellen war sie sich nicht sicher, ob sie die Situation richtig einschätzte. Jerdan und Nolan waren konzentriert und sehr vorsichtig gewesen, das allein stimmte sie nachdenklich.
Ihre Augen waren verbunden worden, als man sie hergebracht hatte. Alles, was Rael bisher gesehen hatte, war der kleine Raum, in dem sie sich befand. Aber sie nahm an, dass es eher eine kleine Hütte war, die sonst nicht als Gefängnis diente. In der Hütte roch es nach Seife, und die unterschiedlichen Verfärbungen der Holzbretter auf dem Boden verrieten, dass dort sonst etwas Großes stand, das selten bewegt wurde. Ein Zuber. Dies war eigentlich eine Waschhütte.
Die Wände der Hütte waren dünn, so konnte sie sich trotz der geschlossenen Fensterläden ein gutes Bild ihrer Umgebung machen. Sie nahm viele unterschiedliche Stimmen wahr. Rael hörte Frauen und Kinder sprechen, aber auch Wachen, die sich allerdings leider nur über belanglose Dinge unterhielten.
Außerdem bildete sie sich ein, in der Ferne das Sägen von Holz gehört zu haben. Sie vermutete, dass man sie in das Dorf der Rebellen gebracht hatte, und empfand es als ziemlich merkwürdig. Wenn die Rebellen doch dachten, dass sie prelonische Magier waren, warum sollten sie sie dann in ihr Dorf bringen, wo sie eine Gefahr für ihre eigenen Familien sein könnten? Außer natürlich, sie hatten nicht ansatzweise Bedenken, mit ihnen fertig zu werden. Ja, das klang logischer, doch das beunruhigte Rael nun doch etwas.