Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 462 - Vanessa von Falk - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 462 E-Book

Vanessa von Falk

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Beschreibung

Millionen für ein einzig‛ Herz
Es war ein langer Weg ins Glück

Während Alfonso Materna, von entsetzlichem Schmerz zerrissen, ziellos durch die Straßen irrt, wird seine geliebte Frau, die tödlich verunglückte Trapezkünstlerin Elena, in Kapstadt zu Grabe getragen.
Nachdem die Trauernden sich zerstreut haben, schicken sich vier Männer an, die Grube mit Erde zu füllen. Plötzlich hören sie ein Klopfen, leise Rufe. Woher kommen die Geräusche? Aus dem Jenseits? Nein, sie dringen aus dem offenen Grab.
Einer der Totengräber steigt hinab, öffnet den Sarg und schaut in das geisterhafte Antlitz der von den Toten auferstandenen schönen Frau. Von nacktem Grauen erfüllt, gleitet Elenas Blick über die hohen Erdwände des Grabes. Dann richtet sie sich auf und öffnet den Mund zu einem Schrei ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Millionen für ein einzig‘ Herz

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Artush / iStockphoto

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 9-783-7325-8383-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Millionen für ein einzig‘ Herz

Es war ein langer Weg ins Glück

Während Alfonso Materna, von entsetzlichem Schmerz zerrissen, ziellos durch die Straßen irrt, wird seine geliebte Frau, die tödlich verunglückte Trapezkünstlerin Elena, in Kapstadt zu Grabe getragen.

Nachdem die Trauernden sich zerstreut haben, schicken sich vier Männer an, die Grube mit Erde zu füllen. Plötzlich hören sie ein Klopfen, leise Rufe. Woher kommen die Geräusche? Aus dem Jenseits? Nein, sie dringen aus dem offenen Grab.

Einer der Totengräber steigt hinab, öffnet den Sarg und schaut in das geisterhafte Antlitz der von den Toten auferstandenen schönen Frau. Von nacktem Grauen erfüllt, gleitet Elenas Blick über die hohen Erdwände des Grabes. Dann richtet sie sich auf und öffnet den Mund zu einem Schrei …

Durch die gepolsterten Türen der eleganten Garderobe dringt gedämpft die Musik aus dem Zuschauerraum. Leise surrt der Deckenventilator. Es ist angenehm kühl. Die Jalousien sind herabgelassen, aber die frische Brise, die vom Atlantischen Ozean herüberweht, dringt durch die Stäbe und streicht in den Raum.

Elena Materna sitzt vor dem Schminktisch, um Rouge auf die Wangen aufzutragen. Ihr wunderbares Braunhaar schimmert im Licht der Seitenleuchten. Die Hand, die den Schminkstift hält, zittert leise. Denn noch sind die Ereignisse dieses Tages nicht in ihr abgeklungen, vermeint sie noch immer die Orgel zu vernehmen, die Stimme des Geistlichen, das Dröhnen der Flugzeugpropeller.

Wenn sie die Augen schließt, erlebt sie diese beseligenden Stunden ein zweites Mal: die Trauung in der romantischen Holzkirche von San Sisto, wo ein Chor gesungen und der Organist ein Präludium gespielt hat. Neben ihr Alfonso, der Geliebte, den sie in einem schwedischen Wanderzirkus kennengelernt und heute geheiratet hat.

Diese Monate des gemeinsamen Engagements sind ein wahrer Rausch des Glücks gewesen. Noch jetzt fühlt sie, wie ihr damals das zarte Rot in die Wangen stieg, wenn sein leuchtender Blick auf ihrem erglühenden Antlitz ruhte.

Dann kam jene stille Stunde am Strand des Sees: Sie waren hinausgeschwommen und lagen danach, heftig atmend vom Kampf mit den Wellen, im heißen Sand. Um sie herum wogender Strandhafer, das Zirpen der Grillen, güldener Sonnenschein, schreiende Möwen.

Da ergriff er ihre Hand und zog sie zart an seine Lippen.

„Ohne dich kann ich mir ein ferneres Leben nicht mehr vorstellen, Elena. Willst du meine Frau werden?“, fragte er sie.

Und sie schlug nur stumm und selig die Augen auf und nickte.

Die Hochzeit musste rasch vor sich gehen. Also löste sie den Vertrag mit ihrem Truppenchef, um in anstrengendem Nachttraining zu erarbeiten, was Alfonso von ihr, der Partnerin und Verlobten, erwartete.

Zu diesem Zweck hatte er eine leere Fabrikhalle gemietet. Unter dem Trapez war ein Netz gespannt. Zunächst arbeitete sie an der Longe, einem an der Decke befestigten Strick, dessen eines Ende Alfonso in der Hand hielt, während das andere an einem breiten Ledergurt befestigt war, den sie um den Leib schnallen musste.

Unzählige Male war sie abgestürzt und schier verzweifelt an der Aufgabe, die der Geliebte ihr stellte. Allein sein Zuspruch ließ die gewaltsam aufsteigenden Tränen verebben und sie nach solchem Versagen von Neuem beginnen.

Endlich war es so weit: Sicher landete sie in Alfonsos Händen und arbeitete die Nummer, wie er sie sich vorstellte.

Elena schreckt zusammen. Ein Summton erklingt über dem Schminktisch. Er ist das Zeichen, dass sie in fünfzehn Minuten auf der Bühne sein muss.

Es ist schön, von der Vergangenheit zu träumen. Elenas Vater, ein Artist der alten Schule, hat erst Einwendungen erheben wollen. Allein das Glück, das aus den Augen der Tochter leuchtete, bezwang ihn. Bereitwillig gab er schließlich seine Erlaubnis, dass Alfonso sie zum Traualtar führen und ins Engagement nach Afrika nehmen dürfe.

Zeit war ihnen an diesem Tage kaum verblieben. Die Trauung fand in aller Eile statt, weil die eingeladenen Kollegen nachmittags auftreten und Alfonso mit seiner entzückenden jungen Frau bald zum Flugplatz musste. In einem nahe gelegenen Restaurant hatte er ein Büfett aufstellen lassen, um die Gäste zu bewirten. Dann war er mit Elena zum Flugplatz geeilt, wo sich der riesige Vogel der italienischen Gesellschaft Minuten später in die Lüfte erhob.

Allmählich versank unter ihnen die Stadt, und das Mittelmeer wurde sichtbar. Tief unten Schiffe, eine gebirgige Halbinsel, vermutlich Sizilien. Nach einer Weile tauchte fern am Horizont ein gelb-grüner Streifen auf: die tripolitanische Küste, Libyen.

Die Maschine senkte sich. Man erkannte Einzelheiten: Hafenanlagen, weiße Landschlösser an der Küste, moderne Geschäftsbauten in den Straßenzeilen am Ufer. Flugplatz Tripolis.

Neunzig Minuten verblieben ihnen. Sie bestiegen ein Taxi, und auf dieser kurzen Fahrt lernte Elena die Reize einer afrikanischen Stadt kennen.

Dann ging der Flug weiter.

Unter ihnen gelber Wüstensand, vereinzelte grüne Tupfer, wie hingezaubert von einem Maler: Oasen. Ansiedlungen. Hütten der Eingeborenen, die man nur wahrnahm, wenn die Maschine tiefer flog.

Im mittleren Sudan schließlich die Grenze zwischen Äquatorialafrika und Nigeria, der Tschadsee.

Still ruhte Elena in ihrem weichen Sessel und nahm trunkenen Auges die Schönheit des Landes in sich auf. Aber all die vielen Eindrücke machten sie müde, ließen sie bald einschlafen und erst in Kapstadt erwachen. Dort stand der Wagen bereit, um sie zum „Star-Varieté“ zu bringen, wo die Direktion sie erwartete.

„Glückwunsch zur Vermählung“, empfing sie der Direktor. „Geschenke gibt’s nachher. Zuerst das Geschäftliche: Ich habe Sie als Zugnummer herausgestellt.“ Der kleine, rundliche Mann mit der spiegelblanken Glatze unterstrich seine Worte mit rudernden Bewegungen. „Fast fürchtete ich, Sie würden nicht eintreffen. Dabei sind wir wieder ausverkauft. Es wird Ihnen bei uns gefallen. Auf gute Zusammenarbeit.“

Er geleitete sie zu ihrer Garderobe, wo Blumen standen und Telegramme bereitlagen aus der Heimat, aufgegeben von Verwandten, Freunden und Agenten.

Hastig packten sie aus, und Alfonso beobachtete den Aufbau seiner Apparatur. Von der gewissenhaften Anbringung der Absegelungen hingen Elenas und sein Leben ab. Er überprüfte das Gerät und befand es als einwandfrei.

Beruhigt kehrte Alfonso in die Garderobe zurück.

„Aufgeregt, Liebste?“

„Ja, ich bin furchtbar aufgeregt“, gab Elena zu.

Sie suchte Schutz an seiner Brust und kuschelte sich in seinen Arm.

„Warum?“

„Ich scheue deinen Tadel, wenn es nicht so klappt, wie du es dir gedacht hast.“

Sein Kuss verschloss ihr den Mund. Rasend klopfte ihr Herz gegen die Brust. Stundenlang hätte sie in dieser Umarmung verweilen mögen, doch die Pflicht rief.

Das war vor einer Stunde etwa …

Wieder schreckt die junge Frau zusammen. Abermals ist der Summton erklungen, mahnend, fordernd, unerbittlich. Jetzt sind es noch zehn Minuten bis zu ihrem Auftritt.

♥♥♥

In diesem Augenblick öffnet sich die Tür.

Ein Mann tritt ein. Er ist groß, schlank, mit sympathischen, regelmäßigen Gesichtszügen. Seine Augen leuchten auf, als er Elena gewahrt. Sie läuft ihm entgegen, breitet die Arme aus, lässt sich auffangen von ihm und küssen, immer, immer wieder.

„Liebste“, flüstert er, „ich vermag nicht zu sagen, wie dankbar ich dem Schicksal bin, dass es dich mir über den Weg führte. Manchmal will es mir scheinen, als könne dieses unfassbare Glück nicht von Dauer sein, als müsse es mir gleich entgleiten.“

Ihre Hände streichen liebkosend über seine Schultern.

„Weshalb diese törichten Gedanken? Hast du mir nicht in der Kirche Treue gelobt für ein ganzes Leben?“, fragt sie lächelnd.

Er schaut ihr in die Augen, und sein Blick verrät, dass er sie über alles liebt, dass es ohne sie kein Glück mehr gibt.

Ein beseligender Schauer rieselt über ihren Rücken.

„Komm, Liebste, wir müssen auf die Bühne. Dein Auftritt wartet, unser großes Debüt: Elena und Alfonso. Nicht mehr lange, und wir sind unter dieser Firmierung ein Begriff für die ganze Welt.“

Er öffnet die Tür und lässt ihr den Vortritt.

Wie in allen Varietés dreht er den Schlüssel nur um und lässt ihn stecken, weil unter Artisten kein Misstrauen herrscht.

Sie gehen über den Flur. Kollegen begegnen ihnen. Manche kennt Alfonso. Er ist viel gereist, und namhafte Künstler, die in internationalen Häusern abschließen können, sind rar.

Die beiden werden gegrüßt. Man wechselt ein paar Worte, weiß, dass die zwei gleich nach der kirchlichen Trauung ins Flugzeug gestiegen sind, um das Engagement pünktlich anzutreten. Nun freut man sich auf die Festlichkeit, die Alfonso nach Vorstellungsschluss in Aussicht gestellt hat.

Am Schwarzen Brett hängt schon die Einladung an alle. Man wird gemütlich beisammensitzen und fachsimpeln, von Freud und Leid des Artistenlebens sprechen. So haben es die Alten gehalten, die noch in der Maringotte reisten, jenem mit kleinen Fenstern versehenen Wohnwagen, der von Ort zu Ort pilgerte, bevor die reisende Gesellschaft in steinernen Zirkusbauten und Varietés ihre Künste zeigen konnte.

Manch bewundernder Blick trifft Elena, und viele Hände muss sie schütteln, bevor sie die Stufen emporsteigt, die zur oberen Bühne führen, wo man mit dem Aufbau einer Kaskadeurnummer beschäftigt ist.

Vor dem zweiten Vorhang arbeitet ein Percheakt. Gedämpft klingt Beifall auf. Musik. Trommelwirbel. Vom Untermann auf die Schulter balanciert, klettert der Partner die mehrere Meter lange Stange empor, um an deren Ende seine Tricks zu zeigen. Kleine Lederringe an großen Stricken dienen ihm dabei als Fußhalt. Tusch. Beifall.

Ein Mann im weißen Kittel wendet sich an Alfonso, um etwas zu fragen. Der Artist antwortet. Elena hört nicht, um was es sich handelt. Vielleicht ist es der Bühnenmeister oder ein Beleuchter, der einen besonderen Lichteffekt plant.

Jemand schiebt sie nach vorn. Alfonso nickt ihr zu.

Das ist die Mittelbühne. Hier ist die Musik lauter.

Tusch. Applaus. Der silberne Vorhang fällt. Die Kollegen der Perchenummer müssen noch einmal hinaus. Stärker prasselt der Beifall.

Da sind sie wieder, schweißbedeckt, erschöpft. Den Untermann erkennt man an seiner herkulischen Figur.

„Prima Publikum“, sagt der Obermann im Vorbeigehen.

Jetzt eine Mikrofonstimme. Elena hört ihren Namen, dann den von Alfonso.

„Hals- und Beinbruch“, ruft jemand.

„Wird schon schiefgehen“, erwidert Alfonso mit einem dankbaren Lächeln.

„Fertig!“, ruft der Bühnenmeister und drückt die beiden Knöpfe auf seinem Schaltbrett, Zeichen für Kapellmeister und Chefbeleuchter.

Alfonso vernimmt seine Auftrittsmusik, legt die Hand um Elenas linken Arm, zieht sie durch den Vorhang auf die Vorbühne.

Scheinwerfer flammen auf. Die Artisten verneigen sich.

Elena sieht vor sich eine milchige Masse vor schwarzem Hintergrund: die Gesichter der Zuschauer im Saal. Es ist plötzlich alles so unwirklich.

Ein Seil wird aus der Höhe herabgelassen. Alfonso ergreift es und hält es ihr mit aufmunternder Geste hin. Noch einmal schaut sie den Liebsten an. Dann stößt sie sich ab und hangelt sich nach oben. Dabei verzichtet sie auf die Hilfe der Beine, verlässt sich allein auf die Kraft ihrer Arme.

Die Hälfte der Scheinwerfer ruht auf ihr. Tausende Augenpaare folgen ihren anmutigen Bewegungen. Ah, die Spitzennummer des Programms: Elena und Alfonso am „Todestrapez“. Danach wird Pause sein.

♥♥♥

Mit kühnem Schwung steuert Dr. Menaos seinen Wagen auf den zementierten Parkplatz des „Star-Varietés“.

„Bugsieren Sie ihn in eine Lücke!“, ruft er dem herbeieilenden Wächter zu. „Den Schlüssel hole ich nach der Vorstellung.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, läuft er zu dem marmornen Gebäude, von dem aus man einen prächtigen Blick hat auf den Atlantischen Ozean. Die Westterrasse des Varietés, in dem auch namhafte europäische Tanzkapellen auftreten, schließt mit dem Rand der felsigen Steilküste ab und ist mit ihrem Barbetrieb ein beliebtes Ziel für alle, die ungern früh zu Bett gehen.

Der Arzt hat für die im Abendsonnenschein gleißende Wasserfläche keinen Blick, weil die Vorstellung bereits angefangen hat. Wenn der Professor erfährt, dass er sich abermals zum Bereitschaftsdienst verspätet, gibt es Unannehmlichkeiten.

Er stürzt durch das Foyer und drückt der Logenschließerin eine Münze in die Hand.

„Falle ich auf?“

„Nein“, erwidert sie, „es kommen dauernd Nachzügler.“ Sie öffnet eine der hohen Flügeltüren.

Menaos’ Platz ist an der Ecke der neunten Orchestersesselreihe. Sein Kommen bleibt unbemerkt. Allmählich gewöhnen sich seine Augen an die Dunkelheit des Zuschauerraums. Er sieht in den Logen Bekannte. Das ist in Kapstadt nicht verwunderlich, denn die Prominenz ist jedem vertraut. Zudem ist Menaos in einer Klinik tätig, die sich regen Zuspruchs erfreut, sodass er schon darum mit den einflussreichen Persönlichkeiten in Berührung kommt.

Dr. Menaos hat nichts übrig für diesen Theaterdienst, den er sich als junger Arzt mit seinen Kollegen teilt. Es ist jedoch Vorschrift, dass in jeder Vorstellung ein Mediziner zugegen sein muss. Eigentlich unnötig, denn bislang ist nie etwas Ernstliches gewesen. Und Hautabschürfungen oder eine Verstauchung kann man auch in einer Praxis behandeln.

Er schaut nicht zur Bühne. Die bringen ja doch ihre üblichen Tricks: mit Karten, verschwundenen Kaninchen, die an den unmöglichsten Stellen auftauchen; mit Wasserfontänen, die sich in Wein oder, auf Wunsch, in Cognac verwandeln; mit Zylindern, die leer auf den Kopf gesetzt werden und sich zur Überraschung des Publikums als Taubenschlag erweisen.

All diese Nummern, gleichgültig, ob es sich um Equilibristen, Exzentriker, Jongleure, Musikalclowns oder Trampolinakte handelt, sind, das weiß Menaos, gut. Das „Star-Varieté“ verpflichtet sie aus Übersee und zahlt hohe Gagen. Die Namen dieser Artisten leuchten sonst von den Anschlagsäulen der größten Häuser in Paris, London, New York, Amsterdam und Athen. Aber Menaos hat sie in abgewandelter Form schon zu oft gesehen, um ihnen noch Interesse abzugewinnen.

Allerdings bei diesen beiden, die da gerade arbeiten, scheint es anders zu sein. Ein mädchenhafter Zauber geht von der Frau aus, die nach jedem Trick ins Publikum lächelt. Es bereitet ihr offenbar Freude, am Trapez zu schwingen und dort, in schwindelerregender Höhe, sensationelle Kunststücke zu zeigen.

Jetzt scheinen Elena und Partner sich für den Abgang vorzubereiten. Der Kapellmeister winkt sein Orchester ab und gibt mit einem fragenden Blick nach oben den Einsatz zum Wirbel. Der rollt zuerst leise, verhalten, dann stärker anschwellend.

Der Mann, den das Programm-Magazin Alfonso nennt, steht auf dem Trapez Kopf. Elena steigt auf seine angewinkelten Beine, lässt sich von den Füßen emporstrecken.

„Eine unwahrscheinliche Leistung“, sagt jemand hinter dem Arzt. „Man sollte es nicht für möglich halten, wozu Artisten es bringen. Die zwei sind einmalig.“

Das ist auch Menaos’ Meinung.

Im gleichen Augenblick, wo Alfonso das Trapez in Schwingungen versetzt, geschieht es.

Sei es, dass Elena durch voreiligen Applaus abgelenkt wird oder sich, durch die grellen Scheinwerfer irritiert, plötzlich unsicher fühlt, den Kontrollpunkt, den ihre Augen sich irgendwo an der Saalwand gesucht haben, verliert – jedenfalls schwankt sie.

Alfonso will Balance halten, greift zu den seitlichen Haltestricken, aber er kann Elena nicht mehr retten. Mit einem Schrei stürzt sie in die Tiefe.

Das Publikum springt auf. Rufe. Eine Frau schreit nach einem Arzt. Zwei, drei Herren springen vor. Die Kapelle setzt mit rhythmischem Schlager ein. Nur jetzt nicht die Nerven verlieren, denkt der Kapellmeister. Noch hat das Telefon, das ihn mit der Bühne verbindet, nicht geklingelt, noch trägt er die Verantwortung.

Durch den Kulissenspion haben sie den Unfall bemerkt. Der Hauptvorhang fliegt auseinander. Die Girls steppen.

Blitzschnell geht alles, so rasch, dass kaum einer zur Besinnung kommt, der es vom Zuschauerraum aus erlebt.

Menaos unterliegt keiner Schrecksekunde. Rücksichtslos bahnt er sich einen Weg durch die Menschen, die, abgelenkt durch die Vorgänge auf der Bühne, zum Teil wieder ihre Plätze einnehmen.

Nun steht er vor der Abgestürzten.

Bleich und schön, als schlafe sie, liegt Elena auf dem roten Teppich des Mittelganges.

Der Arzt beugt sich zu ihr, fühlt nach ihrem Puls, doch seine feinnervigen Finger empfinden nicht den leisesten Schlag. Er fasst in seine Tasche, um den kleinen Spiegel hervorzuziehen, den er ihr vor den leicht geöffneten Mund hält. Aber kein Hauch trübt die blanke Fläche.

Menaos sieht auf, blickt in die schreckerstarrten Augen Alfonsos, der inzwischen herabgeklettert ist. Flehend schaut der Artist ihn an. Selbst Menaos, dem der Tod im Beruf so häufig begegnet ist, fällt es schwer, dem Artisten das Entsetzliche einzugestehen. Stumm reicht er ihm die Hand.

„Versuchen Sie, den Verlust Ihrer Partnerin zu tragen“, sagt er nach einer Weile mit belegter Stimme. „Es ist ein hartes, unabwendbares Geschick.“

Mit einem Verzweiflungsschrei wirft Alfonso sich über die Geliebte. Der Schmerz zerreißt ihm die Brust.