Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 645 - Vanessa von Falk - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 645 E-Book

Vanessa von Falk

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Beschreibung

Anstelle einer ehemaligen Schulkameradin tritt die aparte Eva von Malden als Erzieherin des kleinen Andreas ihren Dienst auf Schloss Schlichting an. Vom ersten Augenblick an fühlen Graf Stefan, der Onkel des elternlosen Jungen, und Eva, dass sie sich lieben, und bald wird Verlobung gefeiert.
Dem Glück der beiden jungen Menschen steht scheinbar nichts im Wege. Dann jedoch erhält Eva anonyme Briefe, die sie vor Stefan warnen. Ist ihr Leben und das des ihr anvertrauten Kindes wirklich in Gefahr? War Graf Stefan schuld am Tode von Andreas‘ Eltern?
Die sich überstürzenden Ereignisse lassen in ihr den Verdacht aufkommen, dass in den Briefen die Wahrheit stand ...


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Inhalt

Cover

Das Bankett des Grafen S.

Vorschau

Impressum

Das Bankett des Grafen S.

Erfolgsroman um eine große menschliche Prüfung

Anstelle einer ehemaligen Schulkameradin tritt die aparte Eva von Malden als Erzieherin des kleinen Andreas ihren Dienst auf Schloss Schlichting an. Vom ersten Augenblick an fühlen Graf Stefan, der Onkel des elternlosen Jungen, und Eva, dass sie sich lieben, und bald wird Verlobung gefeiert.

Dem Glück der beiden jungen Menschen steht scheinbar nichts im Wege. Dann jedoch erhält Eva anonyme Briefe, die sie vor Stefan warnen. Ist ihr Leben und das des ihr anvertrauten Kindes wirklich in Gefahr? War Graf Stefan schuld am Tode von Andreas' Eltern?

Die sich überstürzenden Ereignisse lassen in ihr den Verdacht aufkommen, dass in den Briefen die Wahrheit stand ...

Als Gloria Kürten auf dem Münchener Faschingsball Tango tanzte und ihren Partner dabei schmachtend anblickte, die lang bewimperten Augen zu ihm aufschlug und alle Künste einer mondänen Frau anwandte, um dem hochgewachsenen blonden Mann mit dem eleganten schwarzen Domino zu gefallen, ahnte sie noch nicht, wer ihr Partner war.

Gloria Kürten war eine kleine Chargenschauspielerin am bekannten Gärtnerplatztheater ohne wesentliche Zukunftschancen. Sie war hübsch – sehr hübsch sogar mit ihrem platinblonden Haar, den großen, ein wenig naiv wirkenden Augen und dem vollen roten Mund. Aber hübsch zu sein, das genügte nicht, wenn die Leistung nicht entsprechend war.

Vermutlich würde Gloria Kürten immer eine mittelmäßige Schauspielerin bleiben, wenn nicht ein Filmregisseur sie wegen ihres hübschen Gesichtes zufällig einmal entdecken würde.

Auf diesen Augenblick wartete Gloria. Ihr augenblicklicher Tanzpartner jedoch war bestimmt kein Filmregisseur. Seiner Aussprache nach schien er jedenfalls aus Schleswig-Holstein zu stammen. Auch sein Wesen war trotz der karnevalistischen Lustigkeit, die er zur Schau trug, von einem merkwürdigen Ernst überstrahlt.

»Wie heißt du?«, fragte Gloria, voller Selbstverständlichkeit das faschingsübliche »Du« gebrauchend. »Ich möchte mehr von dir wissen.«

»Stefan«, erwiderte der Mann. »Und du?«

»Ich heiße Gloria«, erwiderte das Mädchen und presste sich eng an Stefan.

»Schön, Gloria, gehen wir für einen Augenblick an die Bar?« Die Worte, das spürte Gloria, waren ohne allzu große Begeisterung gesprochen.

»Gern, wenn du mir einen Champagner-Cocktail spendierst.«

»Natürlich tue ich das. Alles, was du magst, nur komme rasch, damit wir diesen stickigen Saal verlassen können. Es ist ja kaum zum Aushalten.«

Gloria hakte sich ohne Umstände bei Stefan ein, der sie um einen guten Kopf überragte.

Sie betraten die lauschige Bar des »Bayrischen Hofes«, wo der Ball stattfand. Stefan bestellte einen Champagner-Cocktail für seine Partnerin und einen Whisky Soda für sich selbst.

»Erzähl mir von dir«, bat Gloria und kuschelte sich an den blonden Stefan.

»Da gibt es nicht viel zu erzählen«, antwortete er, und die Ablehnung war deutlich aus seinen knappen Worten erkennbar. »Aber wie wäre es, wenn du ein wenig von dir erzählen würdest?«

»Ich heiße Gloria Kürten, bin dreiundzwanzig Jahre alt und von Beruf – na, rate mal!«

»Schauspielerin?«, vermutete Stefan vage und, wie es Gloria schien, uninteressiert. Offensichtlich lagen Schauspielerinnen nicht »auf seiner Linie«, wie sie es in Gedanken nannte.

»Ganz falsch«, log sie darum ohne schlechtes Gewissen. Immerhin war heute Fasching!

»Fotomodell?«, riet Stefan, und wieder glaubte Gloria einen leisen Ton von Verächtlichkeit aus seiner Stimme zu hören. Das brachte sie in Rage. Was dachte sich dieser blendend aussehende Bursche eigentlich, dass er die Modeberufe mit diesem leisen Hauch von Herablassung oder Verachtung aussprach?

»Hm, hm«, meinte sie kopfschüttelnd.

»Mannequin?«, fragte der blonde Stefan.

Warum nur, warum, dachte Gloria verzweifelt, ordnet er mich ausgerechnet in diese Berufssparte ein, von der alle Mädchen träumen, der aber immer noch ein leichter Hauch des Verruchten anhaftete? Trotzig warf die kleine Schauspielerin Gloria Kürten den platinblonden Kopf zurück.

»Sie werden lachen: Krankenschwester.«

»Krankenschwester?«, staunte Stefan. Endlich schien es Gloria gelungen zu sein, sein Interesse zu wecken.

»Genau genommen Kinderschwester«, schwindelte Gloria verzweifelt.

Der blonde Stefan gefiel ihr von Minute zu Minute besser. Nach dem seriösen und soliden Äußeren des schlanken, eleganten Mannes zu schließen, gehörte er zu jener Sorte Männer, die kinderliebe und häusliche Frauen schätzen, und sie wollte ihm gefallen, dem blonden Stefan, und wenn möglich nicht nur für eine Nacht.

»Dann haben Sie allerdings heute eine völlig andere Gestalt angenommen, Gloria«, sagte er. »Es ist Ihnen ausgezeichnet gelungen, in die Haut eines frivolen, leichtherzigen Playgirls zu schlüpfen.«

»Wissen Sie«, log Gloria drauflos, »wenn man tagtäglich an ein Kinderkrankenhaus gefesselt ist, mit Oberschwestern und Ärzten zu kämpfen und sich in den grauen Alltag der sterilen Atmosphäre zu fügen hat, dann macht es Spaß, ein wenig aus sich selbst herauszuschlüpfen und eine völlig andere zu sein.«

Zum ersten Mal ruhte Stefans Blick voller echtem Interesse auf dem Mädchen.

»Ich verstehe dich«, sagte er langsam, »aber beinahe hätten wir über dem ernsten Gespräch vergessen, dass wir Fasching haben.«

Gloria nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Cocktailglas.

»Nun weißt du wenigstens, wer ich bin. Und wer bist du?«

»Soldat«, erwiderte Stefan knapp.

»Du meinst Offizier?«

»Nun ja«, gab Stefan widerstrebend zu, »aber auch als Oberleutnant ist man Soldat.«

»Also, Oberleutnant Stefan: cheerio!«

»Cheerio, Schwester Gloria!«, erwiderte Stefan fröhlich. »Und nun stelle ich fest, dass die Tanzfläche sich geleert hat. Wollen wir uns wieder ins Getriebe stürzen?«

Begeistert folgte Gloria ihrem Tanzpartner. Dieser Stefan war ein Mann nach ihrem Herzen, ein Mann, nach dem sie sich gesehnt hatte: männlich, gut aussehend, elegant und dennoch seriös.

Fast schien es, als hätte Gloria es geschafft, das Interesse und die Zuneigung ihres blendend aussehenden Partners zu erringen. Der Griff um ihre Taille wurde fester, seine Augen tauchten häufiger und begehrender als zuvor in die ihren mit den langen angeklebten Wimpern, sein Mund näherte sich dem ihren ...

Fasching ist's – Fasching in München, dachte Stefan. Warum nicht einen süßen, vollen Mund küssen, wenn er sich so freiwillig bot?

Und als das Licht gedämpfter wurde, die Scheinwerfer vom rosigsten Rot in tiefes Nachtblau wechselten, da zog Stefan das junge, lebenshungrige Ding an sich und küsste den süßen Mund.

Eine halbe Stunde später betrat Gloria die Damengarderobe, wo Frau Bellmann ihren Dienst versah. Frau Bellmann, an anderen Tagen Theater-Garderobiere, heute als Aushilfe von der Direktion des »Bayrischen Hofes« herangezogen, lächelte das Mädchen vergnügt an, das sie vom Theater her kannte.

»Na, Gloriachen«, sagte sie gemütlich, »ist's Ihnen tatsächlich gelungen, den jungen Grafen zu erobern? Dann halten Sie ihn man fest, den Stefan. Er ist millionenschwer.«

Gloria ließ die Puderquaste sinken.

»Wer ist das?«

»Stefan Graf von Schlichting, der zweite Sohn des Grafen von Schlichting. Alter schleswig-holsteinischer Adel. Haben ein Schloss da oben in der Nähe von Schleswig.«

»Aber, Bellmännchen, woher wissen Sie das?«

»Meine Cousine, die Bertha, war mal Kammerzofe bei der Mutter des jungen Grafen, ehe sie heiratete. Weißt du, Gloriachen, das sind halt noch so Aristokraten von altem Schrot und Korn. Mit Butler, Kammerzofe, Gesellschafterin und Erzieherin.«

Gloria spitzte die Ohren.

»Auch nach ihrer Heirat hat die Bertha noch das Leben auf Schloss Schlichting verfolgt«, fuhr Frau Bellmann fort. »Und alles hat sie mir erzählt. Du, Gloriachen, da geht's noch zu wie im Märchen. Halte dich nur an den Grafen, Kindchen. Es ist heute nichts Außergewöhnliches mehr, dass Grafen bürgerliche Mädchen heiraten, und Künstlerinnen stehen sogar hoch im Kurs. Zwar bist du keine«, fuhr die alte Frau gutmütig fort, »aber mit etwas Geschick müsste es dir gelingen, den jungen Grafen zu halten.«

»Danke«, sagte eine recht nachdenklich gewordene Gloria zu der alten Betreuerin des Theaters.

Gloria Gräfin von Schlichting, ging es durch das ehrgeizige Köpfchen des Mädchens. Es liegt bei mir, mir den Grafen einzufangen.

Als sie, erfrischt und frisch geschminkt, zum Grafen zurückkehrte, sah sie die Richtschnur vor sich, an die sie sich halten musste, wollte sie den jungen Grafen tatsächlich an sich binden.

»Ich habe mich schminken müssen, Stefan«, sagte sie arglos. »Es hat lange gedauert, da ich nicht daran gewöhnt bin, mir mein Gesicht anzustreichen. Als Kinderschwester ist es mir natürlich während des Dienstes nicht erlaubt, und ich habe nicht das leiseste Geschick dazu.«

»Das Ergebnis ist bezaubernd«, sagte Graf Stefan höflich, aber es war wirklich nur Höflichkeit. In Wahrheit interessierte das aufpolierte Geschöpf mit den angeklebten Wimpern den jungen Grafen herzlich wenig, und jener Kuss im nachtblauen Scheinwerferlicht war eine reine Intuitivhandlung von ihm gewesen. Fasching, Laune, lockere Moral. Was sollte es.

Doch Gloria überhörte die Gleichgültigkeit in des Grafen Stimme.

»Morgen beginnt der Ernst des Lebens wieder«, sagte sie melancholisch. »Fünfzig Babys warten auf mich, fünfzig Milchfläschchen wollen gefüllt sein. Wenn ich sie nur nicht alle so lieben würde, diese kleinen, hilflosen Dinger.«

Gloria schloss mit einem Seufzer. In Wahrheit hatte sie noch nie viel Interesse oder gar Liebe für Babys gehabt, aber sie wollte, musste ihr Spiel gewinnen.

»Es ehrt dich, Gloria«, sagte der junge Graf, dessen Identität sie nun kannte, ohne dass er es wusste. »Wer Kinder liebt, ist ein guter Mensch.«

Gloria senkte in gespielter Bescheidenheit den platinblonden Kopf.

»Ich liebe sie alle, als wären sie meine eigenen«, lispelte sie verschämt.

Zweimal noch wechselte an diesem Ballabend das rote Licht in tiefstes Nachtblau. Zweimal noch küsste Graf Stefan die schwellenden Lippen seiner Partnerin heiß und innig. Graf Stefan war jung. Die Nacht war lockend und lockend der rote Mund.

Vergebens aber wartete die kleine Schauspielerin Gloria Kürten auf den Vorschlag zu einem Wiedersehen. Graf Stefan bat Gloria nicht darum, sich wieder mit ihm zu treffen. Plötzlich und unerwartet war er verschwunden, als hätte die Nacht ihn verschlungen. Vergebens suchte ihn Gloria in dem verschwenderisch lauten Treiben des Faschings.

Graf Stefan war fortgegangen, ohne sich von Gloria zu verabschieden. Die kleine, mittelmäßige Chargenschauspielerin Gloria Kürten stand einsam vor dem »Bayrischen Hof«, nach einem Taxi Ausschau haltend, einsam und allein in ihrem dünnen, kurzen Kleidchen. Sollte auch dieser Abend ein Misserfolg gewesen sein?

Gloria Gräfin von Schlichting, ging es ihr unablässig durch den Sinn.

♥♥♥

Gloria Kürten musste in der nächsten Zeit gar manchen Tadel von Regisseur und Intendant einstecken. Sie war liederlich und unaufmerksam geworden. Zu den Proben kam sie zu spät, ihre Texte sprach sie gleichmütig dahin, und den Kollegen gegenüber trug sie ein unleidliches Wesen zur Schau. Manche Rüge hatte Gloria Kürten einzustecken.

Doch eines Tages erschien sie zur Verwunderung aller Kollegen mit einem rätselhaften Ausdruck im Gesicht. Während der ganzen Probe blieb sie grübelnd und nachdenklich. Die Rügen des Regisseurs, die sie während der letzten Zeit meist patzig und verächtlich quittiert hatte, nahm sie heute geduldig und mit einer demütigen Entschuldigung hin.

Schuld daran waren eine Zeitungsanzeige und ein sich daran anschließender Artikel, die sie am heutigen Morgen gelesen hatte.

Durch einen tragischen Unfall verstarben heute mein geliebter Sohn Reinhold und seine junge Gattin, meine herzensgute Schwiegertochter Vera. Wir werden beiden ein immerwährendes Andenken bewahren.

Carola Gräfin von Schlichting

Stefan Graf von Schlichting

Andreas von Schlichting.

Schloss Schlichting am 15. Juli.

Es folgten zahlreiche Anzeigen eines Reitervereins, des Golfklubs, des Landwirtschaftlichen Komitees, des Raiffeisenbundes und mehr.

Dazu war im »Münchener Merkur«, den Gloria sich hielt, ein längerer Artikel erschienen.

Durch einen tragischen Unglücksfall kam in der Nacht vom 13. zum 14. Juli der Sohn und Erbe des Schlosses Schlichting in Schleswig-Holstein ums Leben. Aufgrund des Versagens der Bremsen des Wagens kam dieser ins Schleudern.

Graf und Gräfin von Schlichting waren auf dem Weg vom Stammschloss Schlichting in Schleswig zurück zu ihrer Stadtwohnung in Kiel. Der Wagen stürzte in der Nähe des Wasserfalles nahe des Schlosses in den Abgrund. Wie durch ein Wunder überlebte der kleine vierjährige Andreas, der Sohn des Paares, den Sturz. Er wurde durch die Umsicht eines Schlossangestellten gerettet.

Stefan Graf von Schlichting, zurzeit Oberleutnant der Armee, hat unverzüglich seinen Dienst quittiert, um seiner Mutter bei der Verwaltung des Schlosses zur Seite zu stehen. Er wird das Schloss Schlichting bis zur Mündigsprechung des kleinen Erben Andreas verwalten.

Tief nachdenklich hatte Gloria Kürten auf die Anzeige und den Artikel gestarrt. Dann war sie zum nächsten Zeitungskiosk geeilt und hatte sich weitere Zeitungen besorgt. Und in allen, einschließlich der einschlägigen Blätter der sogenannten »illustrierten Regenbogenpresse«, war die Nachricht über den Tod des Erstgeborenen der Schlichtings und seiner jungen Gattin Vera erschienen. Die Grafen von Schlichting schienen eine große Rolle in deutschen Adelskreisen zu spielen.

»Jetzt heißt's aufpassen und die Augen offenhalten, Gloriachen«, flüsterte Frau Bellmann der jungen Schauspielerin ins Ohr.

»Wieso, Bellmännchen?«, fragte Gloria ahnungslos.

»Ich weiß es von meiner Cousine, Gloriachen, die alte Gräfin ist an die sechzig. Als Erzieherin eines vierjährigen kleinen Jungen kann ich sie mir schlecht vorstellen. Über kurz oder lang wird man eine Erzieherin oder Kinderschwester für den kleinen Erben suchen. Und haben Sie sich nicht auf dem Faschingsball als Kinderschwester ausgegeben?«

Das war der Grund für Glorias Bescheidenheit, Zurückhaltung und gute Laune bei den nächsten Proben.

Und die kluge Garderobiere Bellmann hatte sich nicht getäuscht. Schon wenige Tage später erschien ein Inserat in sämtlichen überregionalen Zeitungen:

Suche für meinen vierjährigen Enkel eine Kinderschwester, die auch die Rolle einer Erzieherin des Kindes übernehmen kann. Voraussetzung: seriöses Auftreten, gute Schulbildung. Bewerbungsunterlagen an Carola Gräfin von Schlichting, Schloss Schlichting, Schleswig.

Mit brennenden Augen starrte Gloria auf das Inserat. Graf Stefan, der Onkel des Kleinen, der das Erbe bis zur Mündigsprechung des Kindes verwaltete, hielt sie für eine Kinderschwester, denn als solche hatte sie sich auf dem Faschingsball ausgegeben.

Zeugnisse? Empfehlungsschreiben? Gloria schürzte verächtlich die Lippen. Sie kannte ihre »Clique«. Wenn sie mit genügend Überzeugungskraft erzählen würde, es handele sich um eine Wette, wären sie gern bereit, ihr mit ein paar gefälschten Papieren auszuhelfen.

Gloria war fantasievoll aus Leidenschaft zu dem jungen Grafen Stefan. Sie war ehrgeizig. Ihr Ziel war es, Gräfin von Schlichting zu werden, und sie war skrupellos. An den kleinen Andreas, den sie betreuen wollte, verschwendete sie keinen Gedanken.

♥♥♥

Eva von Malten, die Leiterin eines kleinen privaten Kindergartens in Bogenhausen, wunderte sich, als die Helferin ihr den Besuch Gloria Kürtens meldete.

Gloria Kürten – mein Gott, wie lange hatte sie die Schulkameradin nicht gesehen!

Enge Beziehungen hatten Eva von Malten und Gloria Kürten niemals verbunden. Die ehrgeizige, nicht sehr sympathische Gloria hatte der Schülerin Eva von Malten, die von einem großen Gut am Rhein stammte, niemals gelegen.

Schon in der Untersekunda hatte Gloria von Lippenstift und Puder zu viel Gebrauch gemacht. Bei den Lehrern war sie nie beliebt gewesen, und die Schülerinnen hatten sich von ihr zurückgezogen, weil sie für nichts als Theater, Film und Männer Interesse gezeigt hatte.

»Führen Sie sie in mein Arbeitszimmer, Minni«, sagte Eva von Malten, während ihre schöne Stirn sich krauste und sie überlegte, was die Schulkameradin wohl von ihr wollte.

Trotzdem versuchte sie, mit einiger Herzlichkeit der geschminkten und mit billiger Eleganz gekleideten Gloria die Hand entgegenzustrecken.

»Gloria, nach so vielen Jahren. Wie geht es dir?«

»Mehr schlecht als recht, Eva«, erwiderte die Schauspielerin. »Aber du sitzt, wie ich sehe, fest im Sattel. Bist du glücklich mit den vielen kleinen Kindern, die du zu betreuen hast?«

»Sehr glücklich, Gloria«, antwortete Eva. »Die kleinen Kinder bedeuten meinen ganzen Lebensinhalt.«

Gloria schürzte verächtlich die Lippen.

»Ich komme mit einer großen Bitte zu dir, Eva«, sagte sie. »Willst du so lieb sein, mich für eine kurze Zeit als – sagen wir mal – Aushilfe in deinem Kindergarten zu beschäftigen?«

Eva zog die schmalen Brauen hoch.

»Dich, Gloria? Ausgerechnet dich?«

»Du wirst lachen, Eva. Ich habe mich als Erzieherin und Kindergärtnerin beworben und bin – ich bin selbst überrascht – angenommen worden.«

»Aber, Gloria, dir fehlen doch sämtliche Qualifikationen«, wunderte sich Eva von Malten.

»Eben.« Gloria nickte selbstzufrieden. »Und darum möchte ich mich gern ein wenig mit Kindern einarbeiten.«

»Darf ich fragen, Gloria, wer deine Arbeitgeber sind?«

»Darfst du, Eva«, erwiderte Gloria gönnerhaft, »ich werde auf Schloss Schlichting in Schleswig den kleinen Erben Andreas betreuen.«

»Schloss Schlichting in Schleswig?«, fragte Eva nach, während ihre feinen Brauen sich hochzogen. »Über diese Adelsfamilie wurde doch neulich ausführlich in den Zeitungen berichtet. Ist nicht der älteste Sohn und Erbe mit dem Auto verunglückt?«

»Genau«, bestätigte Gloria. »Graf Reinhold und Gräfin Vera kamen um. Einzig der kleine vierjährige Andreas wurde gerettet. Gräfin Carola, die Großmutter des Kleinen, suchte eine Erzieherin für ihn. Ich habe mich beworben und wurde angenommen.«

»Aber, Gloria, ich bitte dich, du bist Schauspielerin!«, wunderte sich Eva von Malten. »Von Kinderpflege hast du keine Ahnung.«

»Die kann man sich aneignen«, widersprach Gloria, »und außerdem verdanke ich meine Einstellung der Fürsprache des Grafen Stefan. Er ist der zweite Sohn. Er hat seinen Dienst bei der Armee quittiert, um Schloss und Landbesitz zu verwalten, bis der kleine Andreas ihn übernehmen kann.«