Die Wette - Richard Woodman - E-Book

Die Wette E-Book

Richard Woodman

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Beschreibung

Für die Kapitäne der schnellen Teeklipper zählt nur eines: als Erste mit der neuen Ernte in London anzukommen. Die tollkühnsten unter ihnen schließen darauf sogar Wetten ab – wie Kapitän Kemball von der Erl King und Kapitän Richards von der Seawitch, 1869 unterwegs von Shanghai nach London. Wer wird zuerst in London sein und die wertvolle Ladung auf den Markt bringen? Gewinnt Richards, bekommt er Kemballs schöne Tochter Hannah. Die beiden Klipper stürmen durch die Ozeane, aber ihre Kapitäne haben die Rechnung ohne die willensstarke Hannah gemacht. Als ihr Vater bei einem Piratenüberfall ums Leben kommt, nimmt sie ihr Schicksal selbst in die Hand und stellt sich dem wilden Richards in einem atemberaubenden Zweikampf.

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Seitenzahl: 448

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Über dieses Buch

Für die Kapitäne der schnellen Teeklipper zählt nur eines – als Erste mit der neuen Ernte in London anzukommen. Kapitän Kemball von der Erl King und Kapitän Richards von der Seawitch schließen darauf eine tollkühne Wette ab: Gewinnt Richards, bekommt er Kemballs schöne Tochter. Aber sie haben die Rechnung ohne die willensstarke Hannah gemacht.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Richard Woodman (*1944) fuhr bereits mit sechzehn Jahren zur See und machte dort Karriere bis zum Rang des Kapitäns. 1997 ging er vorzeitig in den Ruhestand, um sich ganz dem Schreiben zu widmen, vorwiegend über marinehistorische Themen.

Zur Webseite von Richard Woodman.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Richard Woodman

Die Wette

Roman

Aus dem Englischen von Brunhild Seeler

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Die Originalausgabe erschien 1990 unter dem Titel Wager im Verlag Sphere Books, London.

Die deutsche Erstausgabe erschien 1992 im Ullstein Verlag.

Originaltitel: Wager

© 1990 by Richard Woodman

© by Unionsverlag, Zürich 2024

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30865-7

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

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Version vom 18.05.2024, 00:05h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

DIE WETTE

1 – Hannah Kemball stand gegen die Heckreling des Teeklippers …2 – Da ihr Vater nicht an Bord war …3 – Die kühle Verachtung, mit der Hannah die Kapitäne …4 – Die warme, stehende Luft, die summenden Fliegen und …5 – »Du musst wissen, meine Liebe, dass wir um …6 – Enright … Hannah verbrachte den Rest der Nacht …7 – Das unbekannte Schiff stand am Vormittag mit dem …8 – Obgleich er nach seiner Wache sehr müde war …9 – Hannahs Verwandlung war zur rechten Zeit gekommen …10 – »Es wäre wirklich gut, wenn wir frisches Obst …11 – »Das Wetter schlägt um, Madam«, sagte Munro …12 – »Er hieß gar nicht Andrew Johnson.« Mit versteinertem …13 – »Dieser verfluchte Gegenwind!«14 – In der fest gefügten Welt Islingtons wäre es …15 – »Missie … Missie, bitte!«, flüsterte Mai Li beschwörend …16 – Hannahs Enttäuschung darüber, dass sie den ersten Schlepper …17 – Die Droschke, die Hannah bestellt hatte, stand eine …18 – »Er war gestern Abend hier und hat Gift …19 – Mr Munro stand auf der Poop. Kiste um …

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Für Abigail in Liebe

1

Hannah Kemball stand gegen die Heckreling des Teeklippers Erl King (Erlkönig) gelehnt und schaute über das lehmige Wasser des Huangpu zur Häuserfront von Schanghai. In einer unbewussten Liebkosung strichen ihre Finger über das unbehandelte Teakholz. Ihre Bewegung schien die Prozedur nachzuvollziehen, welche die Kadetten dem Schiff täglich angedeihen ließen, indem sie es unter dem wachsamen Blick des Ersten Offiziers mit einem Segeltuchlappen und einer Mischung aus Sand und Seewasser schrubbten.

Der Fluss in seiner ganzen Vielfalt, die ständig wechselnden Bilder, die er dem Auge bot, hatten etwas Ewiges und faszinierten sie stets aufs Neue. Mächtige Dschunken mit ihren eigentümlichen Fledermaussegeln zogen gemächlich stromaufwärts, in ihrer geduldigen Unermüdlichkeit gleichsam eine Verkörperung Chinas, das in seiner Weite zu unendlich war, als dass sie es je hätte verstehen können. Zwischen den majestätisch dahingleitenden Dschunken hüpften, getrieben von Segeln oder Wriggriemen, kleinere Sampans über die kurzen Wellen. Viele wurden von Frauen gesteuert, schwarz gekleideten, birnenförmigen Gestalten, die, ihre Babys auf den Rücken gebunden, die Schiffe durch pausenloses Wriggen in der unerbittlichen Strömung auf Kurs hielten. Einige der Sampans, die sich direkt unter Erl Kings überhängendem Heck eingefunden hatten, rührten sich nicht von der Stelle. Erwartungsvoll schauten die Frauen, mit einem Arm den langen yuloh bedienend und den anderen mit der universellen Geste der Bettler emporgestreckt, zu ihr auf. Küchenabfälle, Münzen oder Holzreste – fast alles konnten diese genügsamen und emsigen Menschen mit ihrer geradezu genialen Improvisationsgabe gebrauchen. Hannah schüttelte den Kopf; sie hatte einer der Frauen schon ein paar Pence zugeworfen und war durch diese mitleidige Geste sofort mit weiterer Not konfrontiert worden, einer endlosen Prozession flacher, breiter Gesichter, die versucht hatten, ihr Mitleid zu erregen.

Aber seit Mr Enright, der Erste Offizier, den Kadetten verboten hatte, weiterhin Holzabfälle in den Fluss zu werfen, befand sich ohnehin nichts mehr an Deck der Erl King. Wieder schüttelte Hannah den Kopf, verärgert über die Hartnäckigkeit besonders einer Frau.

»Nein«, rief sie, »nichts – gar nichts«, und fügte, das Pidgin der Crew nachahmend, hinzu: »Nichts da sein.« Doch die Frau schaute, sich breitbeinig auf die Planken ihrer Nussschale stemmend, unverwandt zu ihr empor; der hochgeschlossene samfoo-Pyjama, schwarz und unförmig, umflatterte lose ihren sich im Rhythmus des auf und ab tanzenden Sampans wiegenden Körper. Unablässig bewegte ihr brauner Arm den langen yuloh, um das Boot gegen die starke Strömung auf der Stelle zu halten, während ihre Linke, den Handteller nach oben gedreht, ausgestreckt blieb. Hinter dem gelblichen Gesicht mit dem straff zurückgekämmten schwarzen Haar bemerkte Hannah den ruckenden Kopf eines Babys.

»Bitte, Missie … für Baby!«

Hannah schaute sich um, denn sie empfand plötzlich Mitleid mit der armen Frau unter sich. Mr Munro, der Zweite Offizier, stand hinter dem Kreuzmast auf der anderen Seite des Achterschiffs, und an seinem Rücken erkannte sie, dass er beschäftigt war. Ein paar Männer drückten sich in Erwartung des Abendessens mit ihrem Essgeschirr in der Nähe der Kombüsentür herum. Sie war also unbeobachtet. Ihr Blick blieb an der weißen Hanfleine hängen, die sauber aufgeschossen in ihrem lackierten Kasten neben dem Ruder lag.

Hannah glitt näher heran und zögerte einen Moment, denn ihr war bewusst, dass sie im Begriff war, leichtfertig zu handeln. Die Logleine war schließlich ein wichtiger Teil der Ausrüstung eines Klippers. Aber sie schob den Gedanken beiseite. In der Kajüte ihres Vaters befand sich ein Ersatzlog mit Leine, und die Chinesin tat ihr leid. Schnell bückte sie sich und winkte der Frau mit dem am Ende der Leine befestigten Bleigewicht zu. Die Kulifrau nickte heftig und wriggte dichter heran. Hannah packte den Armvoll Leine, warf sie, so schnell sie konnte, über Bord und stellte sich dann mit Unschuldsmiene wieder an ihren Platz an der Reling. Unter ihr fischte die Frau in dem trüben Wasser nach dem weißen Knäuel. Sie hatte den in seiner Lasching hängenden yuloh losgelassen, sodass der Sampan langsam stromabwärts driftete. Auf ihrem sich energisch bewegenden Rücken schien der winzige Kopf des Babys ein wildes Adieu zu nicken.

»Das hätten Sie nicht tun sollen, Miss Kemball. Das wird eine Menge Ärger geben.«

Schuldbewusst errötend, fuhr sie herum. Vor ihr stand Mr Munro. Vorwurfsvoll blickten seine bronzegelben Augen unter der Schirmmütze hervor.

»Das ist Barratterie«, fügte Munro hinzu. »Veruntreuung durch den Schiffsführer oder die Besatzung gegenüber dem Reeder.«

»Dann trifft das auf mich ohnehin nicht zu«, antwortete sie schnell. »Ich bin kein Seemann, Mr Munro. Und außerdem ists sowieso schon passiert.«

»Aye, aber die Schuld dafür wird man anderen geben, Miss.«

Hannah biss sich ärgerlich auf die Unterlippe, und Munro setzte gleich nach. »Ich weiß, Sie sind die Tochter des Kapitäns, Miss Kemball, aber hier auf Reede liegen die Dinge eben anders als auf See.«

»Wie das, Mr Munro?«

»Ach, das ist schwer zu erklären. Ihr Vater wird bestimmt jemanden von der Crew verdächtigen, die Logleine verkauft zu haben – einen Matrosen vielleicht. Die Leute werden ihre Seekisten herzeigen müssen, und sollte wirklich einer auch nur ein bisschen mehr Geld haben, als der Kapitän meint, dass er haben sollte, dann …« Munro zuckte die Achseln.

»Was dann?«, drängte Hannah.

»Nun ja, einmal haben Sie es ja schon erlebt auf dieser Fahrt, Miss Kemball. Dann peitscht er ihn aus.«

»O Gott!« Daran hatte sie nicht gedacht. Sie entsann sich dieses erniedrigenden Zwischenfalls nur allzu gut, denn er hatte sie zutiefst schockiert. Zwar war ihr später klar geworden, dass ihr Vater seine Leute fast nie schlug, doch hatte der Anblick, wie er in Hemdsärmeln mit einem Tau den nackten Rücken eines erwachsenen Mannes peitschte, sie entsetzt. Kapitän Kemball hatte ihr keine Erklärung gegeben, welches Vergehen dem Mann zur Last gelegt wurde, und diese Unkenntnis verstärkte noch den schrecklichen Eindruck, den das Ganze auf sie gemacht hatte.

»Das wollte ich natürlich nicht«, sagte sie und senkte den Kopf, verärgert darüber, dass sie daran nicht eher gedacht hatte.

»Natürlich nicht.«

Als sie die Herablassung in seiner Stimme bemerkte, warf sie trotzig den Kopf zurück. »Ich werde meinem Vater sagen, dass ich es gewesen bin, Mr Munro.«

»Nett von Ihnen, Miss, aber ich glaube nicht, dass es was nützt.«

»Und warum nicht?«, fragte sie patzig.

»Weil«, sagte Munro vorsichtig, »ich bezweifle, dass Ihr Vater vor einem Tag oder zwei zurück sein wird, und wenn er dann wieder an Bord ist, erwartet er ein einsatzbereites Log.«

»Er hat mir ja gar nicht gesagt, dass er von Bord geht«, sagte sie, etwas bestürzt bei dem Gedanken, dass er sie alleingelassen hatte.

»Das pflegt er immer so zu halten, Miss Kemball. Dass er, äh, ein paar Tage nicht an Bord kommt, wenn wir in Schanghai sind.«

»Und wieso?«

»Nun ja …« Munro wand sich verlegen. »Um geschäftliche Dinge zu erledigen und so.«

»Das weiß ich. Aber er hat mir nicht gesagt, dass er über Nacht wegbleibt. Wo wird er denn schlafen?«

»Oh – vermutlich im Klub, Miss.«

»Bestimmt ist er heute Abend wieder hier«, sagte Hannah entschieden.

»Vielleicht haben Sie recht.« Mr Munro war sichtlich erleichtert, dass das Thema abgeschlossen war.

»Und außerdem«, setzte Hannah kühl hinzu, »hat mein Vater ein Ersatzlog in seiner Kajüte.«

»Natürlich haben wir Ersatz dafür. Aber wenn wir dieses Log benutzen müssen, dann tritt doch genau die Situation ein, die wir eigentlich vermeiden wollten, Miss Kemball: keine Reserve mehr an Bord, obwohl wir noch die halbe Welt zu umsegeln haben. Deshalb waren Sie einfach leichtsinnig.«

Hannah schaute den Zweiten Offizier scharf an. Mit seinen drei- oder vierundzwanzig Jahren mochte er höchstens ein Jahr älter sein als sie, und bisher hatte sie ihn immer als gleichaltrig empfunden. Aber als er jetzt so mit ihr sprach, war nicht zu überhören, dass er den überlegenen Mann und seine größere Erfahrung herauskehrte, eine Haltung, die sie sonst eigentlich nur an dem ihr verhassten Mr Enright kannte. Am Anfang, als sie in nautischen Dingen noch völlig unbewandert gewesen war, hatte sie das hingenommen, jetzt aber ärgerte es sie zunehmend. Und wenn es von Mr Munro kam, schien es ihr noch viel ungehöriger. Aber sie wollte ihren Ärger nicht zeigen, und deshalb lächelte sie den Zweiten Offizier an.

»Ich bin sicher, dass auch Sie Mitleid mit der armen Frau gehabt hätten, Mr Munro. Verglichen mit ihr, sind wir hier doch Könige an Bord der Erl King.«

»In China wimmelt es von Armen, Miss Kemball. Deshalb können Sie aber nicht das ganze Schiff verschenken.«

»Nein«, lächelte Hannah, jetzt wirklich amüsiert. »Und Sie hätten schließlich auch ein Boot hinter dem Sampan mit unserer Logleine herschicken können.«

»Aye«, sagte Munro, der nun selbst einen Moment nicht auf der Hut gewesen war, weil er sich in die Betrachtung ihres weichen Mundes versenkt hatte. Es war nicht das erste Mal, dass er sich von ihrer Schönheit stark angezogen fühlte. Wäre der Schatten Kapitän Kemballs nicht allgegenwärtig gewesen, er hätte sich vorgebeugt und sie geküsst.

»Dann haben Sie also etwas Mitleid mit mir und meiner misslichen Lage, Mr Munro?«

»Natürlich, Miss Kemball«, sagte er und verschwand, eine Entschuldigung murmelnd, in Richtung Vorschiff, weil es Mittag geglast hatte. Immer noch lächelnd, wandte Hannah sich wieder dem weiten Panorama des Flusses zu, während die vier Doppelschläge von acht Glasen übers Wasser hallten. Sie wurden beantwortet von den Glocken acht weiterer Klipper, die auf der Reede von Garden Reach vor Anker lagen. Eine Bewegung ließ sie nach unten schauen, wo eine weitere Kulifrau, mit der einen Hand wriggend, die andere zu ihr emporgestreckt, sich auf Erl Kings Heck zutreiben ließ.

Es war fast sechs Monate her, seit Hannah ihre Mutter zu Grabe getragen hatte, und seither war sie zum ersten Mal von ihrem Vater getrennt. Davor, die gesamten einundzwanzig Jahre ihres Lebens, war sie in der abgeschirmten Welt eines gutbürgerlichen Londoner Stadtteils aufgewachsen, überbehütet von einer äußerst besitzergreifenden Mutter. Die Besuche ihres Vaters in jener anderen Welt waren immer nur kurze Unterbrechungen in ihrem ansonsten ereignislosen Dasein gewesen.

John Kemball, Kapitän des Vollschiffs Erl King, blieb nie lange genug zu Hause, um für seine Tochter selbstverständlich zu werden. Schon äußerlich ein Abbild viktorianischer Geradlinigkeit, mit durchdringenden blauen Augen, einem gewaltigen Schnauzbart und aufrechter Haltung, schien er ihr ein Halbgott zu sein, der hin und wieder vom Olymp seines wundervollen Schiffes herabstieg, um das stille Haus in Islington mit seiner Anwesenheit zu beehren und dessen düstere Gemächer mit immer neuen orientalischen Artefakten vollzustopfen. Wertvolle chinesische Möbel aus Teak-, Sandel- oder Ebenholz, eine Meeresgöttin aus Rosenholz, dazu Elefanten, Tiger und knifflige Puzzles aus Elfenbein – all das blieb nach seiner Abreise zurück und erinnerte Hannah daran, dass dieses märchenhafte Leben für ihn prosaische Wirklichkeit war. Über dem Kamin hing Kapitän Kemballs Porträt, das steife Gemälde eines Chinesen aus Futschau, von dem der Kapitän, ein Glas in der Hand, mit durchdringendem Blick ständig auf die Seinen herabstarrte, sodass sein Geist allgegenwärtig schien. Wollte man diesen scharfen Augen entgehen und wandte sich um, so sah man sich sogleich mit einem weiteren Werk desselben Künstlers konfrontiert, einem Gemälde der Erl King, dem Schiff, das all diese steife Pracht finanziell erst ermöglichte. In dem düsteren Salon schien die weiße Segelpyramide wie von innen heraus zu leuchten. Die chinesische Küste bei Saddle Island war von einem verwaschenen Blau, und das Meer bestand aus weißmähnigen, graugrünen Seen. Die exotische Atmosphäre wurde durch die bizarren Segel einer fernen Dschunke noch verstärkt. In einer solchen Umgebung segelte die Erl King, von der Überlegenheit des Okzidents zeugend, hier durchschnitt ihr schlanker schwarzer Rumpf mit seinem feinen Blattgoldstreifen und der kraftvollen Galionsfigur die Seen, das weiße Gefieder der Bugwelle am Steven.

Stundenlang hätte Hannah dieses Bild anschauen mögen, ganz im Gegensatz zu ihrer Mutter, die es immer nur mit einem kurzen, fast schmerzlichen Blick streifte. Mrs Kemball, Hannahs Mutter, sah ihren Mann einmal im Jahr etwa zwei Monate lang. Aber bereits nach zwei Wochen daheim ließ Kapitän Kemballs Interesse an häuslichen Dingen zusehends nach. Mit dem Herzen war er dann schon wieder am West India Dock und fragte sich, den Wind abschätzend, was dieser Halunke Enright wohl mit seinem Schiff anstellen mochte. Statt von familiären Dingen zu reden, schwelgte Kapitän Kemball in seinen Gesprächen dann immer mehr in Erinnerungen. Je größer und verständiger Hannah wurde, desto mehr fiel ihr auf, dass ihre Mutter in diesem Stadium nervös wurde und die Lippen zu jenem Kräuseln verzog, mit dem sie sonst das Gemälde der Erl King zu betrachten pflegte. Dadurch lernte Hannah schon früh, dass es die Erl King selbst war, mehr noch als des Vaters Abwesenheit, was ihre Eltern einander entfremdete.

Diese Entfremdung war nicht für jedermann erkennbar, denn Emotionen pflegte man in einem so erfolgreichen und als vorbildlich geltenden Haushalt wie dem von Kapitän und Mrs Kemball nicht zu zeigen. Doch je mehr Hannah heranwuchs, desto mehr wuchs in ihr auch die Erkenntnis, dass es eine solche Entfremdung gab. In der verwirrenden Zeit der Pubertät begann sie, die Gründe für die kaum verhüllte Bitterkeit ihrer Mutter zu verstehen. Und mit dieser intuitiven Ahnung nahm sie auch die besitzergreifende Liebe ihrer Mutter klaglos hin. Als Folge davon widerstand sie den plumpen Annäherungsversuchen junger Männer, der Söhne einiger weniger Freundinnen ihrer Mutter, ahnte sie darin doch die Gefahr einer ähnlichen Versklavung. Dabei war sie sich dessen nicht eigentlich bewusst, denn die beharrlichen Regungen ihres eigenen Körpers verwirrten und beschäftigten sie. Eine Verwirrung, die durch einen trivialen, nur halb verstandenen Vorfall in ihrem fünfzehnten Lebensjahr noch verstärkt wurde.

Es war gegen Ende einer jener Phasen gewesen, in denen ihr Vater wieder einmal an Aufbruch dachte. Er hatte erklärt, er wolle nachmittags das Schiff an seinem Liegeplatz inspizieren. Gekränkt hatte ihre Mutter daraufhin beschlossen, eine Freundin zu besuchen, und beim Plausch waren die beiden Frauen übereingekommen, ein paar Bücher auszutauschen. Pflichtbewusst wie immer hatte Hannah sich eilfertig bereit erklärt, nach Hause zurückzukehren, um die Bücher zu holen, nur allzu froh darüber, dem langweiligen Klatsch zu entgehen. Daheim war sie geradewegs in das Schlafzimmer ihrer Eltern geeilt, wo eines der Bücher lag. Als sie Schritte auf der Treppe hörte, rief sie nach dem Dienstmädchen. Die Schritte verstummten, eine Antwort blieb aus. Mit klopfendem Herzen war Hannah zum Treppenabsatz gelaufen. Da kam ihr Vater die Mansardentreppe herunter. Er war in Hemdsärmeln und hatte eine frisch angezündete Zigarre im Mund. Beim Anblick seiner Tochter war schlagartig alle Farbe aus seinem Gesicht gewichen. Weder Vater noch Tochter hatten ein Wort gewechselt, die Stille war nur durch den fröhlichen Gesang aus dem Dienstmädchenzimmer im Dachgeschoss unterbrochen worden.

Dieses einfältige Trällern veranlasste Hannahs Vater zu einer langatmigen, überlauten Erklärung, warum er wegen einer tropfenden Dachrinne nicht zu den Docks habe fahren können. Hannah, unschuldig bis zur Unwissenheit, hatte immerhin begriffen, dass sie Mitwisserin eines Treuebruchs geworden war. Es war ein intuitives Wissen, das auf dem erkennbar schlechten Gewissen ihres Vaters, der schwülen Luft im Haus und dem ungebührlich glücklichen Gesang des Dienstmädchens beruhte.

An jenem Tag war ihr Vater von seinem Podest auf dem Olymp heruntergeglitten, aber gleichzeitig begann Hannah, eine ihm selbst ähnliche Härte und Zielstrebigkeit zu entwickeln, die zum Teil auf Vererbung, zum Teil auf sein Beispiel zurückging. Ihr Mitgefühl für das Los ihrer Mutter nahm noch zu, ihre Ablehnung eines konventionellen Lebensstils, der unvermeidlich zu einer standesgemäßen Ehe führen musste, wurde kompromisslos. Hannah Kemballs Widerspruchsgeist war geweckt. Auch das Schicksal schien ganz in ihrem Sinne und gegen eine Heirat zu entscheiden, denn kurz darauf wurde ihre Mutter krank, und Hannahs Leben als Krankenpflegerin war damit offenbar vorgezeichnet. Während des langen Krankenlagers ihrer Mutter wurde Hannah endgültig erwachsen und musste erkennen, dass auch ihr Vater nur ein gewöhnlicher Sterblicher war. Im Delirium hatte ihre Mutter genügend intime Details ihres Ehelebens enthüllt, um Kapitän Kemball von seinem Sockel zu stürzen und Hannah in ihrem allgemeinen Vorurteil gegen Männer zu bestärken.

In seiner Jugend hatte John Kemball, ein hochgewachsener, stolzer Verehrer, ihrer Mutter so feurig den Hof gemacht, dass die derart Angebetete von der Aufrichtigkeit seiner Gefühle überzeugt war. Vielleicht war Kemball zum Teil auch ein Opfer seines Berufs geworden, denn als kraftvoller junger Offizier der Handelsmarine hatte er Ambitionen, die seine Mittel überstiegen, und wenig Gelegenheit, Frauen seines Alters und seiner Gesellschaftsklasse kennenzulernen. Für Hannahs Mutter indessen war Liebe ohne Ehe undenkbar, und da sie John Kemballs Aufmerksamkeiten und Komplimente als Liebesbezeugungen nahm, wurde sie seine Braut. Eine Weile schien das Glück einen unzerstörbaren Kokon um die junge Frau zu weben, aber das war eine Illusion, die den Verlust ebendieses Glücks am Ende noch unerträglicher machte.

Es wäre ungerecht zu sagen, John Kemball habe seine Frau nicht geliebt. Sie war in Gestalt und Habitus eine durchaus attraktive Erscheinung, und ihr Mangel an Erfahrung wurde von ihrem Mann, dessen Sexualität von den geschickten und kunstvollen Praktikerinnen des Orients geweckt worden war, bald behoben. Er war nicht unfreundlich oder ungalant zu ihr, auch ließ er es nicht, so fand jedenfalls er, an Aufmerksamkeit fehlen. Doch zu sagen, er habe ebenfalls nur aus romantischer Liebe geheiratet, wäre nicht ganz korrekt. Ohne dass die junge Braut es damals wusste, war er durch die Heirat in den Genuss einer Mitgift gekommen, die für John Kemball weit wichtiger war als die Person seiner Frau.

Kemballs neuer Schwiegervater war zugleich auch sein Arbeitgeber, ein Reeder mit gutem Blick für vielversprechenden Nachwuchs. Kemballs Fähigkeiten waren ihm nicht entgangen, und sein Vertrauen in ihn war so groß, dass er den ehrgeizigen jungen Mann auf seinem neuen Teeklipper, der Erl King, in die Koje des Ersten Offiziers beförderte. Auf der Rückreise von ihrer Jungfernfahrt war Erl Kings Kapitän krank geworden, und unter Kemballs Führung, der die Gelegenheit geschickt nutzte, war der Klipper schneller gewesen als der Wind und als Erster daheim. Der Reeder, höchst erfreut über den Gewinn aus dieser schnellen Reise, hatte – wohl wissend, dass er es hier mit einer glückhaften Kombination von Mann und Schiff zu tun hatte – John Kemball auf seinem Posten als Kapitän bestätigt. Er gewährte dem ehrgeizigen Skipper auch Zutritt zu seinem Haus und hatte nichts dagegen, als dieser immer öfter die Gesellschaft seiner Tochter suchte. Bei der sich daraus ergebenden Eheschließung machte er eine großzügige Geste: Einundzwanzig der in den Statuten vorgesehenen vierundsechzig Parten der Erl King wurden ihrem neuen Kapitän wie versprochen an seinem Hochzeitstag ausgehändigt.

Nach der den Flitterwochen folgenden ersten Reise war Kapitän Kemballs Leidenschaft abgekühlt, um nie mehr ihre ursprüngliche Intensität zurückzugewinnen. Nur hin und wieder flammte sie erneut auf. Zwei winzige Särge und Hannah zeugten davon. Doch die regelmäßig aufgezwungene Einsamkeit, der Schmerz um zwei tote Kinder und die sie zutiefst kränkende Zurückweisung durch ihren vitalen Ehemann hatten Mrs Kemballs Gesundheit allmählich untergraben.

Nur die überwältigende Freude bei Hannahs glücklicher Geburt entschädigte sie für die große Enttäuschung ihres Lebens. Sie umhegte das Kind in der beschützenden Abgeschiedenheit des düsteren Islingtoner Hauses, das sie sich dank Kapitän Kemballs Geschäftstüchtigkeit leisten konnten. Er hatte dem Großvater noch weitere fünfzehn Parten an der Erl King abgerungen: fünf für jedes Enkelkind, nicht zurückzahlbar, auch wenn diese vor ihrem eigenen Vater sterben sollten. »Sie sind wirklich hart im Nehmen, Captain«, hatte sein Schwiegervater gesagt, der den Mann seiner Tochter nie anders angeredet hatte. Doch Kemball sah dabei Bewunderung im Blick des alten Gauners schimmern: John Kemball würde das Vermögen des Reeders schützen, denn eine Frau – noch dazu eine so versponnene und kränkelnde Kreatur, wie seine Tochter es geworden war – wäre dazu nie in der Lage gewesen. So sehr schätzte also der alte Mann seinen Schwiegersohn.

Kapitän Kemball kam rechtzeitig mit dem ersten Tee der Saison zum Begräbnis seiner Frau in England an. Sein Sinn für Timing war wohl ebenso drastisch wie alles andere, was er tat. Die lange Trennung und der schmerzliche Verlust vermochten Vater und Tochter einander nicht näherzubringen, denn zwischen ihnen stand mehr als der Sarg, als sie der Verstorbenen die letzte Ehre erwiesen. Später, als Hannah am Grab stand, tränenlos, aber überwältigt von erstickender Trauer über das Unglück dieser Welt, empfand sie seltsamerweise keine Angst vor der Zukunft. Sie hatte ihr noch keinerlei Beachtung geschenkt. Die Dinge, vermutete sie, würden so bleiben, wie sie waren. Nur langsam wurde ihr die künftige Selbstständigkeit bewusst, aber dann schöpfte sie enormen Trost daraus. Als sie sich vom Grab abwandte, hatte sie ihren Vater fast vergessen, bis sie behandschuhte Finger auf ihrem Arm spürte.

»Hannah, meine Liebe …«

Sie drehte sich um und erkannte für einen Augenblick eine gewisse Weichheit in seinen Zügen. Aber er unterdrückte diese Regung schnell und räusperte sich.

»Nun musst du also mit mir kommen«, sagte er.

»Mit dir, Vater?«, fragte sie verständnislos.

»Aufs Schiff, Liebes.«

»Bis nach – bis nach China?«, fragte sie ungläubig.

Höflich einigen Trauergästen zunickend, zog er sie an der Hand, die sie unter seinen Arm geschoben hatte, hinter sich her. »Natürlich«, sagte er und setzte seinen hohen schwarzen Hut auf. »Wohin sonst?«

Mit dieser lapidaren Äußerung war die gefährlichste Klippe in Hannahs Leben umschifft. Die Furcht, im Altjungfernstand zu verkümmern, wich mit einem Schlag von ihr. Vage sah sie Bilder vor sich, die mit dem Ölgemälde über ihrem Buffet übereinstimmten. Ihre Verwirrung wuchs allerdings, als ihr plötzlich klar wurde, dass ihre künftige Selbstständigkeit nicht auf den häuslichen Horizont begrenzt sein würde. Stattdessen sollte sie nun zu einer für Frauen bisher unzugänglichen Männerwelt zugelassen werden, von der auch ihre leidende Mutter ausgeschlossen gewesen war. In der Kutsche starrte Hannah ihren Vater an und fragte sich, ob er wusste, was er soeben in ihr angerichtet hatte. Doch sein Blick schien sich an fernen Horizonten zu verlieren. In ihr stieg eine seltsam unloyale Erregung auf, ein Gefühl, das überschattet wurde von einem Anflug von Reue. Aber diese verging so schnell wieder, wie sie gekommen war, und mochte nur eine letzte Heimsuchung durch die Seele ihrer verstorbenen Mutter gewesen sein.

Für Kapitän Kemball brachte der Tod seiner Frau einiges an Komplikationen mit sich. Deshalb war er, als er ihre letzte Ruhestätte verließ, in Gedanken mit weniger metaphysischen Dingen beschäftigt als seine Tochter. Rasch überwand er die momentane Rührung, die ihn am Grab übermannt hatte, und war nun wieder ganz der unbeugsame Geschäftsmann. Seine Frau hatte ein Testament hinterlassen und die Parten, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, in einem letzten sanften Protest nicht ihrem Mann, sondern Hannah vererbt. Nun war der Kapitän fest entschlossen, dieses Vermögen seiner Tochter, von seinem eigenen ganz zu schweigen, vor zwielichtigen Freiern und dergleichen zu schützen. Gewiss stellte er auch andere, väterliche Überlegungen an, aber die standen in seinem stets berechnenden Verstand nicht an erster Stelle. Denn außer den Parten seiner Tochter, die er de facto schon als seine eigenen ansah, gab es noch zehn weitere Anteile an dem Schiff, die ihm nicht gehörten.

Als Kapitän Kemball vor ein paar Jahren vorübergehend in Finanznot geraten war, weil er in einem Taifun den Großmast, Spieren und Segel verloren und weitere schwere Schäden am Schiff erlitten hatte, war er gezwungen gewesen, in China überstürzt eine ziemliche Menge Geld aufzutreiben, um nicht die Frachtrate zu verlieren, die in jenem Jahr immerhin fast sechs Pfund pro Tonne betrug. Ihm war damals keine andere Wahl geblieben, als zehn Parten an Mr Len-Kua zu verkaufen, einen chinesischen Kaufmann und Agenten von beneidenswerter Geschäftstüchtigkeit und anerkannter Ehrlichkeit. Das also war die Situation, die der Kapitän auf seiner nächsten Reise zu ändern gedachte, und diese Überlegungen verdrängten die Trauer, die er am Grab seiner Frau kurz empfunden hatte.

In den folgenden Wochen verblasste Hannahs Erinnerung an ihre Mutter und an ihr Leben in Islington immer mehr. Stattdessen wurde ihre Welt eine Abfolge immer neuer Bilder, ein Kaleidoskop von Eindrücken und Empfindungen, die ihr keine Zeit für besinnliche Momente ließen. Überraschend weckte die Seemannschaft, die sie nun täglich erlebte, nach der geistlosen Routine am Krankenbett ein ganz unweibliches Interesse in ihr und setzte den unziemlichen, aber oft frustrierten Wunsch zu lernen in ihr frei. Der Schwulst eines viktorianischen Hauses wurde durch eine stets in Bewegung befindliche, nie gleichbleibende und wunderschöne Umgebung ersetzt, geprägt nur vom Wind und den anstürmenden Seen. Ihre neue Welt besaß fast archaische Proportionen, die sie entzückten und stimulierten, sie endgültig von ihrer Vergangenheit lösten und dazu führten, dass sie ihren Vater, den sie nun in seinem ureigenen Milieu erlebte, ganz neu kennenlernte. Seine nie nachlassende Energie, sein unbestreitbares Können, seine Zuverlässigkeit und seine etwas raue Wertschätzung für die Crew ließen sie allmählich Seiten entdecken, die sie an ihm nie vermutet hätte. Zwar war er, besonders ihr gegenüber, nach wie vor von einer unergründlichen Gleichmut; aber er pflegte seinen Gefühlen immer dann nachdrücklich Luft zu machen, wenn er sein Schiff durch einen Sturm knüppelte.

Neun Tage lang hatte er um jeden Zoll Luvraum gekämpft, den dieses geschmeidige, willige Schiff nur hergeben wollte, und deshalb war das Auspeitschen des Matrosen, der gegen Mr Enright ein Messer gezückt hatte, umso schockierender für sie gewesen. Später aber, als sie miterlebte, wie ihn irgendeine Dummheit des Dritten Offiziers erboste und sie das Ausmaß seiner Wut fast genauso stark zu spüren bekam wie der arme junge Offizier, hatte sie fast Verständnis für sein Verhalten empfunden. Sie sah, welche Verantwortung auf ihm lastete, und begriff, dass es einzig und allein sein Wille war, wenn die Erl King zielstrebig wie ein Zugvogel den weiten Ozean überquerte.

Außerdem begann der Kapitän, sich ihr gegenüber zusehends zu öffnen, vor allem, wenn er ihr sein Schiff erklärte. Als sie die Seekrankheit überwunden hatte und die Erl King, eine große weiße Bugwelle aufwerfend, unter vollen Segeln vor dem Nordostpassat gen Süden stürmte, fand er mehr Zeit, sie zu unterweisen. Sie begann, dem Navigationsunterricht beizuwohnen, den Mr Munro den Kadetten erteilte, und ihr schneller, bisher so vernachlässigter Intellekt wurde zusehends weniger von ihren emotionalen Zuständen als vielmehr durch das Erfassen technischer Zusammenhänge gefordert.

Zunächst war der Kapitän recht gönnerhaft zu Hannah gewesen und hatte ihr damit zu verstehen gegeben, dass er sie mit ihren einundzwanzig Jahren fast noch als Kind betrachtete. Sie hatte ihren einundzwanzigsten Geburtstag gefeiert, als das Schiff den zwölften nördlichen Breitengrad überquerte. Die Nachricht hatte an Bord die Runde gemacht und zu einer bewegenden kleinen Feier geführt, als nämlich beide Wachen nach achtern gekommen waren, um ihr alles Gute zu wünschen und die Hoffnung zu äußern, dass sie dem Schiff Glück und Wohlergehen bringen möge, vor allem auf der Heimreise mit seiner wertvollen Teeladung. Sie war über diese nette Geste der Crew sehr gerührt gewesen, ahnte sie doch nicht, dass ihre Anwesenheit an Bord bei dem hartherzigen Knicker, den alle nur »den Alten« nannten, etwas zum Schmelzen gebracht hatte. Die Männer fuhren unter ihrem Vater, weil sie wussten, dass er ein guter Seemann war, einer der besten im Chinahandel, gemeinhin »Cracker Jack« genannt, ein Teufelskerl, der, wann immer möglich, unter Vollzeug lief. Seine Kritiker indessen nannten ihn wegen seines Wagemuts lieber »Jack Crackers«, den »verrückten Jack«, doch sprach aus diesem Wortspiel nur der pure Neid. Kapitän Kemball war bei einem Teerennen von China nach London einmal der Erste und ansonsten immer unter den ersten Sechs gewesen, die mit der neuen Ernte in England angekommen waren. Daher waren er und sein Schiff sehr umworben von Männern, die unbedingt von den höheren Löhnen profitieren wollten, die auf den schnellsten Teeklippern gezahlt wurden, ungeachtet der Tatsache, dass Kapitän Kemball auch für seine Knausrigkeit, seine Härte und seine Unbeugsamkeit bekannt war.

In dieser Hinsicht hatte Hannahs Anwesenheit an Bord der Mannschaft schon etwas Glück gebracht. Selbst Mr Enright, der Erste Offizier, hatte sich in seiner Willkür so weit gemäßigt, dass er nicht mehr der bösartige Sklaventreiber voriger Reisen zu sein schien. Da sie es zudem fertiggebracht hatte, dass ihr Vater seinen Leuten manchmal zulächelte, wenn er hoheitsvoll auf der Poop einherstolzierte, und da sie sogar schon Strafaufschub für die Männer erschmeichelt hatte, wurde sie von der Mehrheit der Leute als guter Geist betrachtet. Natürlich gab es auch andere, die diese Meinung nicht teilten, doch galten Frauen an Bord zu jener Zeit noch nicht automatisch als Unglücksbringer. »Es hätte ja auch seine Ehefrau sein können, Jungs«, hob einer der Vorschiffsgäste zu philosophieren an, als die Wache, bis zum Bauch im Wasser stehend, eine Leebrasse belegte, während die Erl King mit der Steuerbordreling untertauchte und ihren langen Klüverbaum in den südlichen Himmel reckte. »Und wo wären wir dann?«

Erleichtert kämpften sie sich aus dem Wasser, spuckten nach Lee und guckten nach achtern, wo Hannah am Kreuzmast stand und mit ihrem Vater ein nach Norden segelndes Schiff beobachtete. Der Wind presste ihr die schwere Kleidung an den Körper und enthüllte den Betrachtern seine sanften Rundungen.

»Mein Gott, wie gern würde ich …«

»Halts Maul! Die Offiziere kämen sowieso vor uns dran.«

»Ach, Quatsch. Eine Frau wie die braucht einen richtigen Mann, nicht eine wandelnde Bohnenstange mit Lametta an der Mütze.«

»Geiles Schwein! Sie ist jung genug, um deine Tochter zu sein.«

»Aye, aber so einen alten Knoblauchstinker wie dich würde sie schon gar nicht anrühren.«

»Ich kanns immer noch …«

»Nur über die Leiche des Alten!«

»Aye, Gopher, du kannst dich ja in Schanghai austoben.«

Eine Lachsalve folgte dieser Bemerkung, dann zerstreuten sich die Männer.

»Aye. Aber solche Titten gibts in ganz Schanghai nicht«, murmelte Gopher melancholisch.

Kapitän Kemball war sich der allgegenwärtigen Bedrohung für die Tugend seiner Tochter wohl bewusst. Doch war dies eine Gefahr, die man wie das Ertrinken durch Umsicht meiden konnte. Er wusste, dass Hannah vor den Matrosen sicher war; die würden sich höchstens durch Onanieren abreagieren. Doch bei den Offizieren, die praktisch auf Tuchfühlung mit ihr lebten, bestand immerhin die Gefahr, dass sie über der Leidenschaft den gesunden Menschenverstand vergaßen. Daher ließ Kapitän Kemball als der umsichtige und berechnende Mann, der er war, diskret durchblicken, was die Offiziere zu erwarten hätten, falls die Grenzen des Anstands je überschritten würden. Er hatte nichts dagegen, wenn seine Männer herumhurten, ganz gleich ob mit den hübschen chinesischen Blumenmädchen oder mit den geschminkten Nutten Albions. Ein Mann brauchte eben von Zeit zu Zeit eine Frau, irgendeine Frau, wie er selbst nur allzu gut wusste. Doch die Schicklichkeit musste gewahrt bleiben. Ein Brite hatte die Frauen seines eigenen Standes wie ein Gentleman zu behandeln, ganz gleich, wie hoch oder wie niedrig dieser Stand war. Kemballs Moralkodex ging deutlich weiter als der bloße Schutz eines Vaters für seine Tochter, und er verließ sich darauf, dass seine Offiziere wussten, wie er über die Sache dachte. Abgesehen davon hingen ihr Leben und ihre Zukunft von ihm ab; selbst der leichtlebige Enright wusste das. An Bord der Erl King war John Kemball, und nur er allein, der Master nach Gott.

Entgegen seinem langjährigen Vorurteil und zu seiner großen Freude entdeckte Kapitän Kemball, dass Hannah wissbegierig und von schneller Auffassungsgabe war. Bisher hatte er noch nie eine Frau gekannt, die in der Lage gewesen wäre, Nautik und Navigation zu verstehen. Wenn Frauen mit einem verwirrten Kichern auf nautische Fachausdrücke reagierten, hatte das der Kapitän immer als ärgerlich, wenn nicht gar als beleidigend empfunden; denn zur Beschreibung der Seefahrt waren diese Termini nun mal so geeignet, wie es eindeutiger nicht sein konnte. Bis zu einem gewissen Grad versöhnte Hannahs Interesse den Vater mit der Tatsache, dass sie ein Mädchen und nicht der Junge war, den er sich eigentlich gewünscht hatte.

Auf der langen Überfahrt zum Südchinesischen Meer gab Kapitän Kemball daher sein Wissen an die Tochter weiter. »Weißt du, Hannah«, sagte er, »so ein Schiff muss man erspüren, man muss wissen, dass es wie ein Individuum reagiert. Alle Schiffe sind verschieden, selbst wenn sie nach demselben Konstruktionsplan gebaut sind. Nimm zum Beispiel die Erl King: Sie ist ein echtes Vollblut unter ihresgleichen, nicht so ein Ackergaul wie ein Blackwaller oder eine Onker-Barke.«

Hannah hatte nur eine schwache Vorstellung davon, was ein Blackwaller war, und überhaupt keine, was eine Onker-Barke anging, aber aus dem geringschätzigen Ton ihres Vaters schloss sie, dass beide in der Hierarchie der Marine weit unter der Erl King rangierten.

»Also bei einer Sturmbö, beispielsweise«, sagte Kapitän Kemball, beugte sich vor und nahm den kalten Zigarrenstumpen aus dem Mund. »Was würdest du den Herren von der Prüfungskommission erzählen, wenn du wie einer unserer Kadetten deine Prüfung zum Zweiten Offizier ablegen müsstest?«

Hannah zuckte schwach die Achseln.

»Na, hör mal … Natürlich würdest du die Rahen vierkant brassen und vor dem Wind ablaufen, bis die Bö nachlässt. Wenn du etwas anderes antwortest, werden die Prüfer dich gleich rausschmeißen, weil du dann nicht mal Wache gehen könntest auf einem Segelschiff.« Kemball schwieg, um die Spannung zu steigern. »Aber genau das wäre bei uns verkehrt! Fall dann mit der Erl King um Himmels willen nur nicht ab! Sie ist nämlich ein Klipper mit hohen Untermasten und einer achtundsiebzig Fuß langen Großrah, und wenn du damit abfallen und vor den Wind gehen willst, dann packt er dich, noch bevor du ganz herum bist, von querein und drückt dich tief aufs Wasser. Dabei würde deine Leereling unterschneiden, sodass die Männer die Leebrassen nicht bedienen könnten. Und du würdest so harte und schnelle Fahrt machen, dass du die Toppsegelfallen nicht mehr loswerfen kannst, weil das Schiff zu stark krängt, als dass sie noch runterkämen!«

Hannah wusste genug, um sich ein solches Horrorbild auszumalen, das umso entsetzlicher wirkte, als in ihrer Vorstellung bei diesem schrecklichen Ereignis rabenschwarze Nacht herrschte.

»Nein, beim Heiligen Georg, einen Klipper musst du dann anluven lassen wie eine Jacht. Bring ihn einen Strich höher an den Wind, sodass die Segel killen, bis die Bö vorüber ist. Er behält dabei immer noch genug Ruderfahrt. Wenn der Sturm dann nachlässt, leg das Ruder einen Strich nach Lee, und weiter gehts. Dabei verlierst du keinen einzigen Zoll Luvraum!« Kemball steckte seine Zigarre wieder an, die den Salon mit blauem Rauch und dem schweren Aroma der Filipino-Stumpen füllte, und verlieh seinen Ausführungen damit den nötigen Nachdruck. »Aber du darfst nicht zu viel anluven! Wenn du so hoch an den Wind gehst, dass die Segel backkommen, dann wird der Sturm dir alle Stöcke herausreißen!«

»Stöcke?«, fragte Hannah unsicher.

»Masten, Rahen, Segel, stehendes und laufendes Gut – die ganze Wuling fliegt dir dann um die Ohren …« Cracker Jack lächelte sein Wolfslächeln, als sei der Gedanke, so etwas zu riskieren, für ihn die reinste Freude.

Hannah hörte in diesen kurzen Unterrichtsstunden mit gespannter Aufmerksamkeit zu, während sie Tag um Tag die wilde Schönheit der See um sich hatte, die Vögel, Fliegenden Fische, die Wale und die Delfine. Erregt schaute sie zu, wenn die Erl King unter den Befehlen ihres Vaters wie ein Lebewesen erbebte.

Sie begann, das Schiff zu lieben wie ihr Vater. Anders als die Matrosen, die sich abplagen mussten, um den Klipper zum Laufen zu bringen, konnte sie die Erl King mit den Augen eines Ästheten betrachten, nach Art der alten Könige, die sich zuerst in ein Porträt ihrer Braut verliebten, ehe die Realität sie ernüchterte. John Kemball handhabte das Schiff trotz seines berechnenden Charakters mit der Sensibilität eines Liebhabers. Und wenn Hannah, zunächst zögernd und dann mit wachsendem Selbstvertrauen, bei gutem Wetter für kurze Zeit am Ruder stand, dann wurde ihr klar, warum die Erl King in der Chinafahrt bereits zu einer Legende geworden war. Der Klipper machte selbst in der leichtesten Brise noch Fahrt, konnte aber dennoch bei Sturm noch Luvraum gewinnen. Es gab viele gute Schiffe, gewiss, und deren Crews überboten einander dann in den Bordellen mit der Aufzählung ihrer jeweiligen Vorzüge, aber ein gutes Schiff und ein guter Kapitän – diese Kombination war selten. Das Seeverhalten eines Schiffes konnte sich bei einem Wechsel des Kapitäns durchaus verschlechtern, selbst wenn der Neue vorher ihr Erster Offizier gewesen war und seinen Vorgänger in allen Dingen nachahmte. Das war eine zwar seltsame, aber gleichwohl nicht zu leugnende Tatsache.

Während die Erl King, die weißen Segelpyramiden hoch in den majestätischen Tropenhimmel reckend, mit Kurs Nordost quer über den Indischen Ozean auf die Sundastraße zuhielt, saß John Kemball nach dem Nachtmahl oft in Gesellschaft seiner Tochter an Deck und rauchte eine Zigarre. In der ruhigen Schönheit dieser Nächte offenbarte sich Hannah nicht nur sein immenses berufliches Können, er legte dabei auch stets etwas von seiner Seele frei. Das geschah nicht nur aus Zuneigung und Wertschätzung für seine Tochter, sondern auch aus Freude darüber, dass sie offenbar nicht die schwächliche Konstitution ihrer Mutter geerbt hatte. Als wolle er dieser Freude zusätzlich Nachdruck verleihen, erzählte er ihr auch zum ersten Mal von seiner Jugend, und Hannah erfuhr bei dieser Gelegenheit, wie die Erl King zu ihrem legendären Ruf gekommen war.

»Meine Rivalen«, sagte Kapitän Kemball und lächelte, »behaupten, dass ich mit diesem Schiff verheiratet sei.« Er kicherte in die laue Dunkelheit hinein, ohne sich der Grausamkeit dieser Bemerkung bewusst zu sein. In Hannah regte sich so etwas wie schlechtes Gewissen ihrer Mutter gegenüber, und sie war froh, dass die Nacht ihr Gesicht verbarg. »Die Leute behaupten sogar, ich hätte mein ganzes Geld für sie ausgegeben … Aber du weißt, dass zumindest das nicht stimmt.«

Er schwieg, und Hannah fragte sich, ob er etwa erwartete, dass sie zustimmte. Sie tat ihm nicht den Gefallen. Doch als Kemball weitersprach, wurde ihr klar, dass ihn wegen seines Verhaltens keinerlei Gewissensbisse oder Zweifel quälten, vielmehr schwelgte er in Erinnerungen.

»Wie sie alle lachten, als die Erl King zum ersten Mal nach China kam und in Futschau ankerte! Das Großmaul John Kemball von der Queen Mab – einem Schiff, das für seine verschwenderischen Verzierungen bekannt war – fuhr nun als Erster Offizier auf einem nagelneuen Klipper, so schwarz und schmucklos wie ein Leichenbestatter! Ich sehe sie noch vor mir, wie sie über ihrem Reiswein grinsten und geknackte Melonenkerne ausspuckten wie chinesische Kulis. Ich aber schwor, dass jeder Einzelne dieser Herren Kapitäne und Offiziere noch vor Ablauf von sechs Reisen aus Neid seinen Hut fressen sollte. Weißt du, Hannah, dein Großvater war der gewiefteste Reeder, von dem Lloyd’s jemals eine Prämie bekam. Ich hatte schon als junger Mann für ihn gearbeitet, und er stellte mich als Offizier aufs Heck der Queen Mab, als ich so alt war wie du. Auf einer unserer Rückreisen hörte ich, dass er ein neues Schiff bauen ließ. Es war von einem brillanten jungen Mann entworfen, der gerade von der berühmten MacKay’s-Werft in Neu-England heimgekommen war. Beim Bau sollte an nichts gespart und keine Ausgabe gescheut werden. Alle Tricks, die der junge Mann bei den Yankees gelernt hatte, und noch ein paar seiner eigenen dazu, sollten in diesen Klipper eingehen. Er sollte das eleganteste, schnellste, seetüchtigste, stärkste, leichteste, schönste Schiff werden, das je das trübe Wasser des Clyde River befahren hat, und war für den lukrativen Chinahandel bestimmt.«

Als ihr Vater an seiner Zigarre zog, beschien die aufglimmende Asche plötzlich sein Gesicht: eine kurze, diabolische Erscheinung, die verschwand, sobald er wieder zu reden begann, verborgen hinter dünnen Rauchkringeln, die in der leichten Brise träge leewärts wehten. »Ich war deinem Großvater als Offizier auf der Mab aufgefallen. Die hatte ich wie eine Jacht geknüppelt, auf ihrem Deck war nie auch nur ein Tampen nicht an seinem Platz, und wenn wir im Hafen lagen, dann habe ich zwei Mann zwölf Stunden lang ihr Messing wienern lassen. Auch das an den Mastknöpfen, du weißt schon, die ganz oben im Masttopp. Aye«, seufzte er, »sie war wirklich mein Augapfel – bis ich hörte, dass dein Großvater die Erl King bauen ließ. Ich sah sie zuerst als Konstruktionszeichnung, dann als Halbmodell, das ihr Konstrukteur mir zeigte.«

Kemball schwieg, als sinne er über einen intimen Moment seiner Vergangenheit nach.

»Ich wusste sofort, dass sie ein Renner werden würde. Man sah es an ihren scharfen Rumpflinien, dem weichen Wassereintritt, am schwungvollen Klippersteven, und sie hatte auch nicht diese übertriebene Eleganz der Heckform, mit der sie zwar prächtig achteraus segeln können, dafür aber leicht von achtern einsteigenden Seen niedergedrückt werden. Ich musste irgendwie an ihr teilhaben und sagte das auch dem jungen Mann. Er war ein komischer Kauz. Wenn du mit ihm sprachst, sah er geistesabwesend an dir vorbei, als suche er etwas hinter dir, etwas in weiter Ferne … Dein Großvater hatte ihm freie Hand gelassen, was mich zunächst wunderte, denn Reeder sind von Natur konservative Geizhälse. Sie sitzen auf ihrem Geld und halten nichts von Großzügigkeit, schon gar nicht gegenüber jungen, unbekannten Schiffbauern. Aber der alte Brummbär war ein ganz gerissener Hund. Der junge Mann machte nämlich genau das, was das Schlitzohr vorausgeahnt hatte: Er entwarf ein Meisterstück. Sie legten sie also auf Kiel, verpassten ihr ein neumodisches eisernes Spantengerüst, montierten Decksbalken und Planken; dann schlugen sie die Stopper weg, und sie glitt funkelnd und rasselnd ins Wasser, dass es sich am anderen Ufer des Clyde kaum kräuselte. Worauf die Werftleute in ein dreifaches Hoch ausbrachen.«

Geübt schnippte Kapitän Kemball die glühende Asche seiner Zigarre in elegantem Bogen über Bord.

»Aber eine Woche später hatten sie keinen Grund mehr zum Jubeln. Als die Rate für den Stapellauf fällig wurde und sie die Erl King nun ausrüsten wollten, erklärte man, die Kosten seien zu hoch. Der Vorsitzende des Eignerkonsortiums war an dem Komplott beteiligt. Er machte einen Rückzieher, knauserte bei allen Beschlägen und erst recht bei den Verschönerungsarbeiten, und die Ausrüstung des Schiffs wurde eingestellt. Ich erinnere mich noch gut an diesen Krach und an deinen Großvater, der gleichmütig zwischen dem Konstrukteur und dem Vorsitzenden des Eignerkonsortiums saß. Er wusste genau, was gespielt wurde, er hatte die ganze Sache nämlich eingefädelt. Er hatte den Vormann der Werftarbeiter bestochen, um sicherzustellen, dass beim Rumpf die Baubeschreibung bis auf den letzten Kupferroving eingehalten wurde. Was jedoch die Verzierung und anderen Firlefanz anging – nun, die brachten keine höheren Frachtraten ein, deshalb scherte er sich keinen Deut darum!«

Kapitän Kemball zog eine weitere Zigarre aus der Dose, die er in der Brusttasche seines weißen Drillichjacketts stets bei sich trug. Gekonnt steckte er sie an, während Hannah ihrer Empörung Luft machte: »Und was wurde aus dem armen Konstrukteur? Wusste er, dass er betrogen worden war?«

»Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass er nie wieder ein Segelschiff entwarf, sondern wegzog und sich fortan damit begnügte, Kessel für Dampfschiffe zu zeichnen.«

»Aber das ist ja entsetzlich, Vater …«

»So schlimm nun auch wieder nicht, meine Liebe. Schließlich fährt ein Schiffskonstrukteur, im Gegensatz zu einem Seemann, nicht zur See und riskiert außer seinem Ruf herzlich wenig.«

»Trotzdem finde ich es abscheulich, so etwas vorsätzlich zu tun.«

»Du darfst Gefühl und Geschäft nie miteinander vermengen, Hannah«, sagte Kemball scharf. »Der junge Matthew McAllister hat sein Honorar bekommen und ein Meisterwerk geschaffen. Nur sein Stolz ist verletzt worden, und das können die meisten von uns ohne Schaden überstehen.«

»Hast du deswegen gesagt, das Schiff sei in Futschau so kahl und schwarz wie ein Leichenbestatter angekommen?«

»Genau. Sie unterschied sich von der Queen Mab so stark wie – wie …« »Wie eine Nonne von einer Hure« hatte er eigentlich sagen wollen, suchte nun aber verzweifelt nach einem dezenteren Vergleich.

»Wie ein Baptist von einem Bischof?«

Kemball lachte. »Genau so«, sagte er, erfreut über Hannahs Schlagfertigkeit. »Sie hatte kein einziges glänzendes Messingteil an Bord, und ihre Kritiker zeigten mit den Fingern auf die dürftigen Kringel, die sie statt einer Galionsfigur trug. Dabei merkten sie natürlich, dass sie, wenn sie über ihren Skipper und über mich lachten, eigentlich eine verdammt schlechte Show abzogen. Die Dummköpfe behaupteten allen Ernstes, dass wir vor diesen gelben Barbaren das Gesicht verloren hätten, weil wir uns mit dem schmucklosen Schiff eine Blöße gäben. Sie meinten, die Chinesen würden ungestraft über diese rotgesichtigen fan kwei lachen, die sie für reich und mächtig gehalten hatten und die, wie sie nun sahen, genauso arm waren wie sie selbst. Einfach lächerlich! Ich kann dir sagen, Hannah, mit unserem schmucklosen Schiff wurden wir von der gesamten britischen Kolonie geschnitten. Und selbst als der Kapitän sich beschweren ging, nachdem wir mit den anderen einen Riesenkrach gekriegt hatten, sagte der Vizekonsul zu ihm, das hätten wir uns selbst zuzuschreiben.« Kemball lachte in der Erinnerung. Diesmal wirkte sein Gesicht, das erneut von der aufglühenden Zigarrenasche beleuchtet wurde, nicht mehr diabolisch, sondern strahlte wie das eines freundlichen Nikolaus.

»Sie waren ganz einfach so dumm wie alle oberflächlichen Briten, Gefangene ihrer völlig unbegründeten Verbohrtheit, geradezu besessen von dem äußeren Eindruck, den sie auf die einheimische Bevölkerung machten. Nicht einer dieser selbst ernannten Experten hatte die Schönheit ihrer Linien erkannt oder die Spannweite des Segelrisses. Auch nahmen sie die Aussagen ihrer verschüchterten Crew einfach nicht zur Kenntnis, dass sie in einem Drei-Tage-Sturm fünfzehn Knoten geloggt hätten, ohne mehr als die Marssegel gesetzt zu haben. Und diese elenden Dummköpfe hörten auch nicht zu, wenn wir erwähnten, dass bei uns selbst in den Kalmen noch die Bugwelle rauschte oder dass sie sogar in der Flaute immer noch steuerfähig blieb. Denn weißt du, Hannah, normalerweise geht ein Schiff bei Sturm gut nach Luv und ist dafür schwerfällig in der Flaute, oder aber es ist bei schwerem Wetter geradezu mörderisch, weil es dann jede Menge Wasser übernimmt, bei leichter Brise aber läuft es wie von Zauberhand. Mit der Erl King«, und hier beugte Kemball sich vor und tätschelte gefühlvoll das Deck, »besitzen wir wirklich ein Meisterstück, weil sie – und das wusste ich schon, als ich sie zum ersten Mal auf Papier sah und später dann mit der Hand über ihr Halbmodell fuhr –, weil sie bei Sturm oder Flaute gleich gut reagiert.«

Wieder beleuchtete die Zigarre sein Gesicht, und Hannah fühlte mit diesem Mann, ihrem Vater, plötzlich eine starke Seelenverwandtschaft. Für sie war er nicht mehr ein Gott auf dem Olymp, er hatte seine Schwächen und konnte sogar grausam sein, doch in diesem Moment, da sein Gesicht durch die Dunkelheit schimmerte, fand sie, dass er ein Held war.

»Natürlich glaubte uns niemand«, fuhr er fort. »Wir armen Simpel mussten eben, so meinten sie, aus verletztem Stolz ein bisschen Seemannsgarn spinnen. Und was die Offiziere der Erl King betraf, so wurden wir von den Kollegen auf den anderen Schiffen dermaßen geschnitten, dass wir meistens unter uns blieben und es auch ablehnten, an den jährlichen Barkassenregatten teilzunehmen. Allerdings hatten wir mit Hintergedanken einige Wetten abgeschlossen.« Er kicherte erneut, gutmütig und selbstgefällig, sodass Hannah unwillkürlich lächeln musste. Sie wusste schon, wie die Geschichte weiterging, denn der Beweis dafür umgab sie überall. »Sie haben mich verspottet, wenn ich in den Klub ging oder den Agenten aufsuchte. ›Da geht Jack Crackers, Erster auf einer Missgeburt‹, riefen sie mir nach. Sie saßen auf der Veranda und nannten mich einen Toren, meinten, dass ich mich blamiert hätte, weil ich von der Queen Mab abgemustert hatte, hereingelegt von diesem alten Geizkragen … Ja, den Ruf hatte dein Großvater, das muss ich leider sagen, Hannah. Aber ich ließ mich nicht einschüchtern, und Mr Len-Kua, der Agent, hielt zu mir. Weißt du, ich kannte die Erl King. Ich war ihr Erster Offizier und wusste, wozu sie imstande war. Wir hatten es nur Len-Kua zu verdanken, dass wir gute Frachtraten bekamen … Weißt du übrigens, wer der richtige Erlkönig war, Hannah?«

»O ja, das weiß ich seit meiner Kindheit. Du selbst hast es mir erzählt.«

»Hab ich ganz vergessen.«

»Er war der Elfenkönig und lockte kleine Kinder in den Tod. Ich fand diesen Namen für ein Schiff immer schrecklich.«

»Manchmal«, sagte Kemball so leise, dass Mr Munro ihn nicht hörte und auch nicht der Steuermann, »manchmal sollte man auch andere Mächte versöhnlich stimmen, nicht nur den einen, den die anglikanische Kirche kennt.«

»Vater!«

Aber irgendwie wirkte dieser Aberglaube hier nicht so blasphemisch, wie er in Islington gewirkt hätte. Auf die dunkle See starrend, konnte Hannah sich durchaus vorstellen, dass es Islington überhaupt nicht mehr gab, sondern nur den unendlich weiten Himmel mit seinen unzähligen Sternen.

Kemball kicherte, und Hannah dachte wieder an die dunklen Mächte. »Wer gab dem Schiff den Namen, Vater?«

»Wie? Ach so, ich glaube, das war deine Mutter …«

Und wieder regte sich so etwas wie Schuldbewusstsein in Hannah, als fiele der Schatten ihrer Mutter auf sie. Wollte er sie bei all diesen schlitzohrigen Prahlereien daran erinnern, dass jedes Ding seinen Preis hatte?

Ihr Vater überging die Erwähnung seiner Frau. »Nun ja, meine Liebe«, fuhr er fort, »jedenfalls haben wirs ihnen gezeigt. Denen blieben die Lästerworte später im Halse stecken. Sie hätten sich am liebsten in den Hintern gebissen, weil wir als Zweite nach England zurückkamen. Der gesegelten Zeit nach waren wir aber die Schnellsten, fünfundneunzig Tage von der äußeren Barre bis zum Dock. Dein Großvater stürzte auf der Höhe von Tanjong Datu in einer Regenbö unglücklich und verletzte sich, deshalb brachte ich das Schiff heim und wurde auf der nächsten Fahrt dann ihr Kapitän!«

An dieses Gespräch mit ihrem Vater dachte Hannah jetzt, als sie den Huangpu betrachtete. Unvermittelt drehte sie sich um, weil sie das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Aber dann schob sie den Gedanken als albern beiseite: Er war wohl nur durch das leichte Unbehagen hervorgerufen, das sie überkommen hatte, weil ihr Vater nicht an Bord war.

Sie ließ den Blick über die Reede schweifen und wurde von einem Sonnenstrahl getroffen, der von einem Messingteleskop auf der Poop eines Nachbarschiffs reflektierte. Es war ein schnittiger schwarzer Klipper, der bis auf ein oder zwei Details Erl Kings Schwesterschiff hätte sein können. Von ihrem erhöhten Aussichtspunkt konnte sie auf seinem Heck den Namen lesen: Seawitch, London.

Hinter dem Teleskop erkannte sie flüchtig eine Gestalt, einen Mann in Grau, sah, wie er nach vorn ging und das Fallreep aus Teaksprossen hinunterstieg, das über die Seite der Seawitch hing. Leichtfüßig sprang er in ein schwankendes Beiboot, das daraufhin schwungvoll von der Bordwand des Klippers abstieß, wobei seine blauen Riemenblätter in der Sonne leuchteten. Als es an der Erl King