Die wichtigsten historischen Romane von Henryk Sienkiewicz - Henryk Sienkiewicz - E-Book

Die wichtigsten historischen Romane von Henryk Sienkiewicz E-Book

Henryk Sienkiewicz

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Beschreibung

In "Die wichtigsten historischen Romane von Henryk Sienkiewicz" entfaltet der Nobelpreisträger eine facettenreiche Erzählkunst, die tief in die polnische Geschichte eintaucht. Seine Werke zeichnen sich durch eine eindrucksvolle stilistische Vielfältigkeit aus, die von poetischer Prosa bis zu fesselnder Dramaturgie reicht. Sienkiewicz gelingt es, historische Ereignisse lebendig werden zu lassen, indem er fiktive Figuren in reale Kontexte einbettet und so die Leser mit der Vergangenheit vertraut macht. Die Themen von Ehre, Tapferkeit und nationale Identität reflektieren nicht nur die Geschichte Polens, sondern spielen auch im breiteren europäischen Kontext eine bedeutende Rolle. Henryk Sienkiewicz, geboren 1846 in Polen, war ein engagierter Schriftsteller, dessen Leben von der politischen Instabilität und der Suche nach nationaler Identität geprägt war. Diese persönlichen Erfahrungen und seine tiefgehende Auseinandersetzung mit der polnischen Kultur und Geschichte beeinflussten seinen literarischen Werdegang maßgeblich. Sienkiewiczs Werke sind geprägt von einem starken patriotischen Geist, der den Leser nicht nur fesselt, sondern auch zum Nachdenken über die eigene Identität anregt. Für alle, die sich für historische Romane und die verworrene Geschichte Polens interessieren, ist Sienkiewiczs Werk unerlässlich. Seine Bücher sind nicht nur Unterhaltung, sondern auch ein tiefes Eintauchen in die Fragen von Macht, Moral und der menschlichen Natur. Ein literarisches Abenteuer, das dazu einlädt, die eigene Geschichtswahrnehmung zu hinterfragen und zum Nachdenken über die Werte der Menschheit anzuregen. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine prägnante Einführung verortet die zeitlose Anziehungskraft und Themen des Werkes. - Die Synopsis skizziert die Haupthandlung und hebt wichtige Entwicklungen hervor, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. - Ein ausführlicher historischer Kontext versetzt Sie in die Ereignisse und Einflüsse der Epoche, die das Schreiben geprägt haben. - Eine Autorenbiografie beleuchtet wichtige Stationen im Leben des Autors und vermittelt die persönlichen Einsichten hinter dem Text. - Eine gründliche Analyse seziert Symbole, Motive und Charakterentwicklungen, um tiefere Bedeutungen offenzulegen. - Reflexionsfragen laden Sie dazu ein, sich persönlich mit den Botschaften des Werkes auseinanderzusetzen und sie mit dem modernen Leben in Verbindung zu bringen. - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Henryk Sienkiewicz

Die wichtigsten historischen Romane von Henryk Sienkiewicz

Bereicherte Ausgabe. Epische Geschichten aus dem 17. Jahrhundert von einem polnischen Literaturmeister
In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen
Einführung, Studien und Kommentare von Sterling Hale
Bearbeitet und veröffentlicht von Good Press, 2023
EAN 8596547675716

Inhaltsverzeichnis

Einführung
Autorenbiografie
Historischer Kontext
Synopsis (Auswahl)
Die wichtigsten historischen Romane von Henryk Sienkiewicz
Analyse
Reflexion
Unvergessliche Zitate

Einführung

Inhaltsverzeichnis

Diese Sammlung bündelt die wichtigsten historischen Romane von Henryk Sienkiewicz in einer konzentrierten Auswahl. Sie zielt darauf, zentrale Linien seines erzählerischen Werks sichtbar zu machen und Leserinnen und Leser mit jener historischen Imagination vertraut zu machen, die sein Ansehen begründet hat. Der Band versteht sich nicht als Gesamtwerk, sondern als kuratierte Zusammenstellung prägender Romane, die exemplarisch für Umfang, Ambition und Reichweite seines Schaffens stehen. Er soll sowohl eine verlässliche Einführung für Erstlesende bieten als auch Kennerinnen und Kennern eine strukturierte Wiederbegegnung mit den großen Themen und erzählerischen Verfahren dieses Autors ermöglichen.

Im Zentrum stehen vollständig präsentierte Romane, die in der Rezeptionsgeschichte wiederholt als Höhepunkte gewürdigt wurden. Enthalten sind Auf dem Felde der Ehre, Die Kreuzritter, Mit Feuer und Schwert, Sintflut, Pan Wolodyowski, der kleine Ritter sowie Quo Vadis?. Diese Auswahl bildet einen repräsentativen Bogen über Sienkiewicz’ historisches Erzählen. Sie zeigt, wie er aus unterschiedlichen Epochen heraus Figuren, Gemeinschaften und Konflikte gestaltet, ohne den inneren Zusammenhang seines Werks zu verlieren. Die Zusammenstellung folgt dabei dem Anspruch, Vielfalt und Kohärenz in einem Band zu vereinen, statt bloß chronologisch oder enzyklopädisch zu verfahren.

Die zeitlichen Horizonte der enthaltenen Romane spannen sich weit: von der Welt des frühen Christentums im Rom des 1. Jahrhunderts über das spätmittelalterliche Mitteleuropa bis in die konfliktreichen Jahrzehnte der Frühen Neuzeit. Besonders prägnant erscheint die vielgestaltige Geschichte des polnisch-litauischen Raumes im 17. Jahrhundert, die in mehreren Werken aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet wird. Daneben markiert Die Kreuzritter den Blick in das 15. Jahrhundert, während Auf dem Felde der Ehre die spätere Jahrhundertwende in den Blick nimmt. Zusammen bieten die Texte ein breit gefächertes Tableau historischer Erfahrung, das zugleich historisch differenziert und erzählerisch bündig bleibt.

Der Band versammelt ausschließlich historische Romane. Er enthält keine Dramen, keine Gedichtzyklen, keine Essays und keine Briefwechsel. Die Entscheidung für diese Gattung schärft den Blick für Sienkiewicz’ erzählerische Kernkompetenzen: epische Anlage, szenische Verdichtung und Figurenführung über längere Bögen hinweg. Die Werke zeigen, wie die Form des Romans komplexe Entwicklungen von Charakteren und Gesellschaften aufzunehmen vermag. Wer Interesse an weiteren Textsorten des Autors hat, findet sie außerhalb dieser Edition; die vorliegende Sammlung konzentriert sich bewusst auf die Langform, um ein konsistentes Leseerlebnis und eine gut vergleichbare Basis über die Epochen hinweg zu ermöglichen.

Innerhalb der Romangattung variiert Sienkiewicz die Tonlagen und Bauformen. Abenteuer- und Kriegsnarrative werden mit Familien- und Gesellschaftsromanen verschränkt; historische Kulissen tragen Liebes-, Freundschafts- und Loyalitätsgeschichten, ohne ihre Eigenlogik zu verlieren. Viele Texte wurden ursprünglich als Fortsetzungsromane publiziert, was sich in episodischen Spannungsbögen, klaren Szenenübergängen und prägnanten Kapitelrhythmen spiegelt. Zugleich wahrt jeder Roman eine innere kompositorische Geschlossenheit. So begegnen sich Panorama und Nahsicht: breit angelegte historische Räume und intime Momente der Entscheidung. Dieses Wechselspiel macht die Texte eingängig und zugleich vielschichtig, wodurch sie sowohl kontinuierliches Lesen als auch abschnittweise Lektüre belohnen.

Verbindende Themen sind die Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft, die Bewährung unter Druck und die Suche nach Maßstäben in unübersichtlichen Zeiten. Fragen von Recht und Ordnung, Ehre und Gewissen, Glauben und Toleranz ziehen sich als Leitmotive durch die Auswahl. Sienkiewicz interessiert die Spannung zwischen persönlichem Glück und öffentlichem Auftrag ebenso wie die langfristigen Folgen politischer und militärischer Entscheidungen. Wiederkehrend ist der Blick auf Heimat als kulturellen und moralischen Raum, der nicht selbstverständlich ist, sondern verteidigt, neu begründet und mit Leben gefüllt werden will. Diese Konstanten verbinden Epochen, Figuren und Schauplätze miteinander.

Stilistisch verbinden die Romane epische Weite mit erzählerischer Präzision. Bildkräftige Szenen, klare Handlungsführung und ein ausgeprägtes Gespür für Dialog und Rhythmus prägen die Lektüre. Sienkiewicz gestaltet Charaktere, die archetypische Züge tragen und dennoch individuelle Kontur gewinnen. Humor, Ironie und Pathos sind dosiert eingesetzt, um Spannung und Entlastung zu balancieren. In der deutschen Überlieferung zeigen die Übersetzungen oft eine historisierende Diktion, die das Gefühl von Zeitdifferenz vermittelt, ohne Verständlichkeit einzubüßen. Das Ergebnis ist eine Prosa, die gleichermaßen trägt, wenn sie Kämpfe, Riten und Rituale schildert oder leise, private Augenblicke ins Zentrum rückt.

Die historische Dimension beruht auf erkennbarer Quellenkenntnis und sorgfältiger Auswahl des Materials. Reale Ereignisse und Personen bilden vielfach den Rahmen, innerhalb dessen fiktive Handlungen und Figuren agieren. Dadurch entsteht eine glaubwürdige Verknüpfung von Geschichte und erzählerischer Erfindung, die den Lesefluss trägt, ohne dokumentarisch zu wirken. Sienkiewicz bevorzugt kein museales Detailhäufen, sondern nutzt Anschaulichkeit, um soziale Strukturen, Mentalitäten und Konfliktlagen zu erfassen. Zugleich bleibt er ein Romancier, dem die innere Logik der Erzählung wichtig ist. Diese Balance macht die Werke zu einem anhaltend reizvollen Zugang zu vergangenen Zeiten.

Die enthaltenen Romane haben eine herausragende Wirkungsgeschichte in Polen und darüber hinaus entfaltet. Ihre Popularität gründet in der Verbindung von erzählerischem Sog, historischer Anschaulichkeit und ethischer Fragestellung. Sienkiewicz wurde 1905 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet; die hier versammelten Werke veranschaulichen jene epische Kraft, die seine internationale Anerkennung mitgetragen hat. Sie wurden vielfach rezipiert, adaptiert und diskutiert, weil sie das Bedürfnis nach Orientierung mit literarischer Erlebnisdichte verbinden. Gerade in Grenzsituationen – politisch, kulturell, religiös – zeigen sie, wie Literatur Verständigung stiften und Erinnerung formen kann, ohne zur bloßen Historie zu erstarren.

Die Trilogie Mit Feuer und Schwert, Sintflut und Pan Wolodyowski, der kleine Ritter wird häufig in ihrer internen Abfolge gelesen, doch jeder Band ist auch eigenständig verständlich. Diese Sammlung ermöglicht beide Wege: das chronologische Eintauchen in einen langen Erzählbogen oder die selektive Lektüre einzelner Romane nach Interesse an Epoche, Motiv oder Tonfall. Die Kreuzritter und Quo Vadis? erweitern den Horizont über Jahrhunderte und Räume hinweg und setzen eigene Akzente. Auf dem Felde der Ehre ergänzt das Spektrum um eine weitere historische Konstellation. So entsteht ein variables Leseangebot, das Orientierung gibt, ohne Freiheit einzuschränken.

Die Romane sprechen sowohl historisch interessierte Leserinnen und Leser als auch Freundinnen und Freunde großer Erzählkunst an. Wer sich für politische Kultur, religiöse Vorstellungen und Alltagsleben vergangener Epochen interessiert, findet anschauliche Kontexte; wer vor allem Spannung, Figurenentwicklung und sprachliche Eigenart sucht, wird gleichermaßen bedient. Die sprachlichen Register reichen von feierlich bis volksnah, der Ton bleibt dabei kontrolliert und der Erzählfluss klar. Das erleichtert den Zugang zu komplexen Themen. Zugleich lädt die Vielfalt der Schauplätze zu vergleichendem Lesen ein: Wie verändern sich Werte, Bündnisse und Selbstverständnisse, wenn Zeit, Ort und Herausforderung wechseln?

Diese Sammlung ist als verlässlicher Leitfaden durch das historische Erzählen Henryk Sienkiewicz’ konzipiert. Sie zeigt, wie seine Romane aus unterschiedlichen Zeiten heraus Fragen formulieren, die über ihre jeweiligen Epochen hinausweisen. Der Band verfolgt die Zielsetzung, Orientierung und Vertiefung zugleich zu ermöglichen: Er bündelt kanonische Texte, die das Bild des Autors geprägt haben, und eröffnet Zugänge zu ihrer thematischen und stilistischen Vielfalt. Wer sich auf diese Auswahl einlässt, erhält ein zusammenhängendes Panorama von Konflikt, Gemeinschaft und Gewissen – und eine Einladung, in der Literaturgeschichte das Gespräch mit der Vergangenheit fortzuführen.

Autorenbiografie

Inhaltsverzeichnis

Henryk Sienkiewicz (1846–1916) war ein polnischer Romancier und Publizist, dessen epische Erzählkunst ihm 1905 den Nobelpreis für Literatur einbrachte. Entstanden im politischen Kontext der Teilungen Polens, verbinden seine Werke nationale Erinnerung mit breiten europäischen Stoffen und moralischen Fragestellungen. International wurde er vor allem durch Quo Vadis bekannt, während in Polen die historischen Romane der sogenannten Trilogie und Krzyżacy kanonischen Rang erhielten. Stilistisch verband er realistische Darstellung, pathetische Rhetorik und sorgfältige Recherche, wodurch er populäre Lesbarkeit mit historischer Imagination verknüpfte. Sein Werk prägte das kulturelle Selbstverständnis vieler Leserinnen und Leser weit über seine Epoche hinaus.

Aufgewachsen im damaligen Königreich Polen, formte Sienkiewicz seine Bildung in Warschau, wo er in den späten 1860er-Jahren an der Szkoła Główna und der nachfolgenden kaiserlichen Universität studierte, mit Schwerpunkt auf Philologie und Geschichte. Früh knüpfte er Kontakte zur Presse, was seinen Blick für gesellschaftliche Prozesse und erzählerische Form schärfte. Literarisch stand er an der Schnittstelle von polnischem Positivismus und romantischer Tradition; zugleich rezipierte er die europäische Historienroman-Linie von Walter Scott. Diese Kombination aus empirischem Interesse und historischer Imagination wurde bestimmend. Sie prägt sein Verständnis von Literatur als moralisch wirksamer, zugleich unterhaltender öffentlicher Kunst.

Sienkiewicz begann seine Laufbahn als Journalist und Feuilletonist in Warschau, wo er Reportagen, Skizzen und Kulturkritik veröffentlichte. In den späten 1870er-Jahren reiste er als Korrespondent in die Vereinigten Staaten und verarbeitete die Eindrücke in den vielgelesenen Listy z podróży do Ameryki. Die Begegnungen mit der polnischen Diaspora, dem amerikanischen Westen und urbaner Moderne weiteten seine Perspektive und stärkten seine Beobachtungsgabe. Später folgten Reisen nach Westeuropa und nach Ostafrika, aus denen die Listy z Afryki hervorgingen. Die Reiseschriften dokumentieren seine Aufmerksamkeit für soziale Milieus, Landschaften und kulturelle Vergleiche, die auch seine Fiktion subtil informierten.

Vor seinen großen Epen profilierte sich Sienkiewicz mit Novellen und Erzählungen, darunter Latarnik, Janko Muzykant, Sachem und Bartek Zwycięzca. Sie verbinden knappe Form, psychologische Genauigkeit und ein Augenmerk für marginalisierte Figuren. In den 1890er-Jahren wandte er sich auch dem psychologischen und zeitgenössischen Roman zu: Bez dogmatu (Ohne Dogma) nutzt die Tagebuchform, um innere Konflikte zu beleuchten, während Rodzina Połanieckich (Die Familie Połaniecki) bürgerliche Lebenswelten beobachtet. Diese Phase festigte seinen Ruf als vielseitiger Prosaist. Sie zeigt sein Interesse an individueller Moral, sozialer Dynamik und narrativer Ökonomie, das später die breiteren historischen Panoramen unterfütterte.

Seinen Ruhm in Polen begründete Sienkiewicz mit der Trilogie über das 17. Jahrhundert: Ogniem i mieczem (Mit Feuer und Schwert), Potop (Die Sintflut) und Pan Wołodyjowski. Die Romane verbinden Abenteuer, Patriotismus und detaillierte Rekonstruktion einer konfliktreichen Epoche der polnisch-litauischen Adelsrepublik. Sie wurden zu identitätsstiftenden Texten in einer Zeit politischer Unfreiheit und prägten generationsübergreifend Geschichtsbilder. Mit Krzyżacy (Die Kreuzritter) wandte er sich einem noch älteren Kapitel zu und thematisierte die Auseinandersetzung mit dem Deutschen Orden. Zugleich achtete er auf eingängige Figurenführung, Tempo und rhetorische Zuspitzung, was die anhaltende Breitenwirkung dieser historischen Prosa erklärt.

Quo Vadis, im späten 19. Jahrhundert entstanden, versetzte Sienkiewicz ins Rom der Neronenzeit und wurde ein globaler Bestseller, vielfach übersetzt und adaptiert. Der internationale Erfolg trug maßgeblich zu seiner Auszeichnung mit dem Nobelpreis für Literatur 1905 bei. Neben der Historie blieb er Reiseschriftsteller; die ostafrikanischen Erfahrungen bündelte er in Listy z Afryki. Später schrieb er W pustyni i w puszczy, einen Abenteuerroman vor kolonialem Hintergrund aus der Perspektive junger Protagonisten. Um 1900 erhielt er als nationale Ehrengabe ein Landgut, das heute museal genutzt wird. Öffentlich engagierte er sich außerdem in kulturellen und wohltätigen Initiativen.

Die letzten Jahre verbrachte Sienkiewicz vor allem in der Schweiz, wohin ihn der Erste Weltkrieg führte. Er setzte sich dort für Hilfsaktionen zugunsten von Kriegsopfern in Polen ein und starb 1916 in Vevey. In den 1920er-Jahren wurden seine sterblichen Überreste nach Polen überführt, was seine symbolische Stellung im nationalen Gedächtnis unterstrich. Sein Vermächtnis ist ambivalent produktiv: gefeiert für erzählerische Kraft, sprachliche Klarheit und epischen Atem, zugleich Gegenstand kritischer Diskussionen über Nationalbilder und koloniale Blickregime einzelner Texte. Ungeachtet solcher Debatten bleiben seine Romane weltweit präsent, in Übersetzungen, Lehrplänen sowie zahlreichen Bühnen-, Fernseh- und Filmadaptionen.

Historischer Kontext

Inhaltsverzeichnis

Henryk Sienkiewicz (1846–1916) entwarf seine historischen Romane als Antwort auf die politischen Entbehrungen des geteilten Polens. Sein Epos umfasst Zeithorizonte vom antiken Rom Neros (54–68 n. Chr.) über das mittelalterliche Polen im Konflikt mit dem Deutschen Orden bis zu den Kriegsstürmen des 17. Jahrhunderts in der Adelsrepublik. Gemeinsam ist den Stoffen die Suche nach moralischer Festigkeit, bürgerlicher Tugend und nationaler Selbstvergewisserung. In Zeiten der Zensur und eingeschränkten Öffentlichkeit wurden Vergangenheitsschau und Erzähltradition zu Instrumenten kollektiver Stärkung. Sienkiewicz bündelte Helden- und Leidensgeschichte zu einem historischen Panorama, das sich an ein breites, durch Serienpublikationen geprägtes Lesepublikum richtete.

Die politischen Rahmenbedingungen seiner Laufbahn wurden von den drei Teilungen Polens (1772, 1793, 1795) und den repressiven Maßnahmen der Teilungsmächte geprägt. Nach dem Januaraufstand von 1863 verschärften sich in Kongresspolen (unter russischer Herrschaft) Zensur und Russifizierung; 1869 wurde die Warschauer Hauptschule in eine kaiserliche Universität umgewandelt. Literarische Öffentlichkeit verlagerte sich in die Presse, in Salons und Vereine. Historische Stoffe boten eine im tsarischen Polen geduldete, zugleich symbolisch aufgeladene Bühne für Debatten über Ordnung, Recht, Glaube und Gemeinsinn. Diese politische Enge erklärt die besondere Dignität des Vergangenheitsromans als Identitätsmedium des späten 19. Jahrhunderts.

Sienkiewicz formte sein Schreiben im Spannungsfeld von Romantik und Positivismus. Nach der Niederlage von 1863 setzten polnische Publizisten auf „organische Arbeit“: Bildung, Wirtschaft, Presse als stille Nationserneuerung. Gleichzeitig blieb das romantische Pathos von Selbstopfer, Ehre und Freiheitsstreben lebendig. Seine historischen Erzählungen kombinieren positivistische Genauigkeit in Detail und Milieu mit romantischer Emphase und exemplarischen Figuren. So verknüpfen sich Recherche, Quellenstudium und journalistische Beobachtung mit mythischer Überhöhung und epischer Geste. Dieses stilistische Doppel register erlaubte es, breites Publikum anzusprechen und zugleich der didaktischen Zielsetzung nach seelischer Stärkung einer politisch entrechteten Gesellschaft zu dienen.

Zentraler Hintergrund mehrerer Schauplätze ist die Adelsrepublik Polen-Litauen, geformt durch die Lubliner Union von 1569. Ihr System beruhte auf freier Königswahl, Ständeparlament (Sejm) und starker Stellung der Szlachta. Politische Mechanismen wie das liberum veto, ursprünglich Schutzrecht der Minderheit, führten zu Entscheidungsblockaden. Das kulturelle Leitbild des Sarmatismus prägte Lebensstil, Rhetorik und Ehrethos des Adels. In dieser Ordnung rangen Krone, Magnaten und lokale Adelskonföderationen um Macht; Rechts- und Wehrverfassung standen ständig im Wechselspiel mit äußeren Bedrohungen. Diese institutionelle Eigenart bildet die politische Bühne vieler Konflikte, auf der Loyalität, Klientelwesen und Gemeinwohl kollidieren.

Die Republik war ein multiethnischer und multikonfessioneller Raum. Katholiken, Orthodoxe, Protestanten, Juden und muslimische Lipka-Tataren lebten in Städten, Dörfern und Grenzsteppen nebeneinander. Handelswege entlang Weichsel und Dnjepr verbanden Märkte von Wilna, Lemberg und Warschau mit Danzig. Der ukrainisch-litauische Grenzraum blieb durch Kosaken, Tatarenzüge und rivalisierende Magnatenhäuser besonders dynamisch. Religiöse Pluralität und rechtlich begründete Freiheiten standen immer wieder in Spannung zu sozialen Ungleichheiten und staatlicher Ordnung. Diese Verschachtelung von Glaube, Recht und Alltag bildet die Kulisse für Loyalitätsproben, Bündnisse und Zerwürfnisse, die Sienkiewicz’ historische Welt allgemein kennzeichnen.

Die Kriegszüge des 17. Jahrhunderts gaben der Epoche ihr dramatisches Gepräge. 1648 entzündete Bohdan Chmelnyzkyj den Kosakenaufstand; 1655–1660 verwüstete die schwedische „Sintflut“ weite Landesteile; parallel liefen Feldzüge gegen Moskau (u. a. 1654–1667) und das Osmanische Reich. 1672 fiel Kamjanez-Podilskyj, 1673 siegte Jan Sobieski bei Chocim (Khotyn), 1683 führte König Jan III. Sobieski bei Wien den Entsatz gegen die Osmanen. Diese Ereignisse formten ein Arsenal kollektiver Erinnerungsbilder: Belagerungen, Reitergefechte, konfessionell und ethnisch gemischte Truppen. Sie liefern das militärische und emotionale Reservoir, aus dem Sienkiewicz seine großen Konfliktpanoramen schöpft.

Gesellschaftlich basierte die Ordnung auf einem agrarischen Großgrundbesitz mit Fronarbeit, der Getreideexport über Danzig finanzierte. Magnatenhäuser verfügten über privaten Anhang und eigene Festungen; mittlere und arme Adlige verteidigten Ehre und Rechtsprivilegien, oft in Abhängigkeit von Patronen. Städter und Zünfte wahren bürgerliche Autonomie, während jüdische Pacht- und Handelsnetzwerke (Arenda) zwischen Gutsherrschaft und Dorfökonomie vermittelten. Kosaken, Tataren und Grenzmilizen standen für Mobilität und Gewalt an der Peripherie. Dieser gesellschaftliche Druckraum erklärt Loyalitätswechsel, private Fehden, Konföderationen und die Ambivalenz zwischen Gemeinschaftsethos und partikularen Interessen, die Sienkiewicz literarisch verdichtet.

Für das mittelalterliche Bezugsfeld prägend ist der Konflikt mit dem Deutschen Orden, der seit dem 13. Jahrhundert in Preußen einen Ordensstaat errichtete. Unter König Władysław Jagiełło, unterstützt von Großfürst Vytautas, besiegten polnisch-litauische Heere den Orden 1410 bei Grunwald (Tannenberg). Der Zweite Thorner Frieden 1466 sicherte Kronpolen den Zugang zu Königlich Preußen mit Danzig und Thorn. Grunwald wurde zum nationalen Gründungsmythos, der vielfach künstlerisch, politisch und schulisch erinnert wurde. Diese symbolische Kulisse, in der Rittertum, Bündnispolitik und Landesverteidigung zusammenfinden, dient als Spiegel europäischer Machtverschiebungen und polnischer Selbstbehauptung.

Der antike Horizont kreist um die Regierungszeit Neros und die Christenverfolgung nach dem Brand Roms 64 n. Chr. Antike Quellen wie Tacitus’ Annalen und Suetons Kaiserbiographien schildern Hofintrigen, die Domus Aurea und die Inszenierung von Schuldzuweisungen. Die Spannung zwischen heidnischer Stadtkultur, imperialem Spektakel und frühchristlicher Ethik bildet den moralischen Prüfraum, in dem Petrus’ Martyrium und paulinische Verkündigung verortet werden. Römische Topografie – Via Appia, Esquilin, Palatin – liefert die stoffliche Bühne. Die antike Kulisse erlaubt, universale Fragen von Gewissen, Gewalt und Erlösung zu stellen, die Sienkiewicz’ gesamtem Geschichtsbild eingeschrieben sind.

Sienkiewicz wurde 1846 in Wola Okrzejska (Kongresspolen) geboren, studierte in Warschau, arbeitete als Journalist und Redakteur, unter anderem im konservativen Blatt „Słowo“. 1876–1878 reiste er mit Helena Modrzejewska in die USA und verfasste Reisebriefe, 1890/91 nach Afrika; Mitte der 1890er Jahre recherchierte er in Rom. 1905 erhielt er den Nobelpreis für Literatur „für seine hervorragenden Verdienste als epischer Schriftsteller“. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs engagierte er sich in der polnischen Hilfstätigkeit in der Emigration. Er starb 1916 im schweizerischen Vevey; 1924 wurden seine sterblichen Überreste nach Warschau überführt und in der Johanneskathedrale beigesetzt.

Die Entstehung und Verbreitung seiner Romane ist eng mit der Presse verbunden. Großwerke erschienen fortlaufend in Warschauer Tages- und Wochenzeitungen, ehe sie in Buchform gesammelt wurden. Dieses seriell organisierte Lesen schuf Spannung, Leserbindung und eine gemeinsame Diskursgrundlage in einem kulturell zersplitterten Land. Öffentliche Lesungen, Lesezirkel und die Leihbibliotheken der Großstädte erhöhten die Reichweite. Der Buchhandel in Krakau, Posen und Lemberg – unter jeweils anderen staatlichen Regimen – vernetzte polnischsprachige Publika. Diese mediale Infrastruktur trug wesentlich dazu bei, historische Stoffe zu nationalen Referenzpunkten werden zu lassen, die Grenzen politischer Zensur zu unterlaufen.

Quellenarbeit und stilistische Hybridität kennzeichnen Sienkiewicz’ Verfahren. Für das Mittelalter dienten ihm u. a. Jan Długosz’ Chroniken; für das 17. Jahrhundert Memoirenautoren wie Jan Chryzostom Pasek, Landesbeschreibungen, Sejmprotokolle und Militärtraktate; für die Antike Tacitus, Sueton und literarische Satiren. Er mischte archaisierende Redeweisen, Sprichwörter und lateinische Sentenzen mit realistischer Detailfülle und rasanter Aktionsprosa. Die Figuren sind zugleich Typen und Individuen, ihr Pathos wird durch Ironie und Alltagsszenen gebrochen. Diese Verbindung aus Dokument, Legende und theatralischer Dramaturgie ermöglicht es, verschiedenste Epochen in einem wiedererkennbaren, doch historisch verankerten Erzählgestus zu bündeln.

Konfession und Kultur spielen als strukturierende Kräfte eine zentrale Rolle. Die katholische Konfession prägte Elitenbildung, Rechtspraxis und Hospitäler, während die Gegenreformation – getragen von Jesuitenkollegien und der barocken Rhetorik – weite Teile der Adelsrepublik formte. Gleichzeitig blieben Reformierte, Orthodoxe, Juden und Muslime Teil der Rechts- und Lebensordnung. Im römischen Altertumsbezug wird das Christentum als ethische Erneuerung gegenüber dekorativer Staatsreligion inszeniert; in den frühneuzeitlichen Schauplätzen wirkt es als soziale Klammer unter Kriegsdruck. Diese doppelte Perspektive – universal-moralisch und nationenbildend – durchzieht Sienkiewicz’ Gesamtwerk und macht seine religiösen Motive überzeitlich anschlussfähig.

Erinnerungskultur und Politik verflochten sich um 1900 eng. 1890 wurden die Gebeine Adam Mickiewicz’ nach Krakau überführt; 1910 stiftete Ignacy Jan Paderewski das Grunwald-Denkmal ebendort, geschaffen von Antoni Wiwulski. Solche Gedächtnisorte übersetzten Historie in städtischen Raum, Schulbuch und Festkalender. Sienkiewicz’ Romane operieren in diesem Resonanzfeld: Sie lieferten Ikonen, die in Reden, Feiern und Bildern zirkulierten. Der Rückgriff auf mittelalterliche und barocke Glanzzeiten fungierte nicht als Flucht, sondern als politisches Symbol unter preußischem Kulturkampf, österreichischer Kompromisspolitik und russischer Russifizierung – eine kulturelle Strategie der Selbstbehauptung ohne staatliche Souveränität.

Der europäische Kontext bestimmte die Deutung historischer Stoffe. Die Reichsgründung 1871, Nationalismen, Pan-Germanismus und Pan-Slawismus, Kolonialexpansion und Massenpresse veränderten Begriffe von Volk, Staat und Geschichte. In den Teilungsgebieten trafen preußische Schul- und Sprachpolitik (Kulturkampf) und russische Verwaltungspraxis auf polnische Selbstorganisation in Vereinen und Genossenschaften. Historische Romane boten Schaubühnen, auf denen politische Tugenden – Tapferkeit, Rechtschaffenheit, Gemeinsinn – in exemplarischen Krisen erprobt werden. Der Rückbezug auf altpolnische Institutionen und römische Antike ordnete das Nationale in einen größeren europäischen Kanon ein, was internationale Leserschaft besonders anzog.

Die Rezeption war früh transnational. Bereits in den 1890er Jahren erschienen rasche Übersetzungen ins Deutsche, Französische und Englische; Bühnenfassungen und später Stummfilm-Adaptionen erweiterten die Reichweite. Der Nobelpreis von 1905 bestätigte die europäische Geltung. Polnische Diasporagemeinden – etwa in Chicago und Paris – lasen die Werke als Bindeglied zur Heimat. Bibliophile Ausgaben, Schulklassiker-Reihen und Illustrationen popularisierten Motive, Namen und Orte weit über Fachhistorik hinaus. Diese internationale Zirkulation verstärkte den doppelten Status des Œuvres: als Beitrag zur Weltliteratur und als Archiv nationaler Erinnerung, das in Krisenzeiten Orientierung versprach.

Sienkiewicz’ Gesamtwerk balanciert zwischen Verklärung und Kritik. Es feiert Heldenmut und Loyalität, kennt aber auch die Schäden von Liberum-veto-Anarchie, Fraktionskämpfen und sozialer Härte. Historische Genauigkeit und epische Dramaturgie stehen in produktiver Spannung: Mythische Bilder stiften Sinn, Quellenbezüge verankern. Nach 1918 wurden seine Stoffe in der Zweiten Republik schulisch kanonisiert, später unterschiedlich politisch gedeutet, doch die Kernfragen – Gemeinschaft, Verantwortung, Glaube – blieben wirksam. So bildet das Œuvre einen kulturellen Resonanzraum, in dem mittelalterliche, frühneuzeitliche und antike Szenen gemeinsam eine moderne Nationen- und Moralerzählung tragen, die über die Einzelwerke hinausweist.

Synopsis (Auswahl)

Inhaltsverzeichnis

Auf dem Felde der Ehre

Ein Abenteuer- und Gesellschaftsroman aus der Zeit Jan III. Sobieskis, in dem Adlige um Ehre, Liebe und Einfluss ringen, während die Polnisch-Litauische Adelsrepublik zur Abwehr der Osmanen mobilmacht. Die Wege der Figuren führen vom höfischen Intrigenspiel in den Sog des Feldzugs, der auf die Entsatzschlacht bei Wien zuläuft.

Die Kreuzritter

Im spätmittelalterlichen Polen-Litauen eskaliert der Konflikt zwischen dem Königreich und dem Deutschen Orden, gespiegelt in ritterlichen Fehden, Entführungen und Familienfeindschaften. Die Handlung steuert auf die Entscheidung um 1410 (Schlacht bei Tannenberg/Grunwald) zu, ohne den persönlichen Kern aus den Augen zu verlieren.

Mit Feuer und Schwert

Vor dem Hintergrund des Chmielnicki-Aufstands ringen polnisch-litauische Adlige, Kosaken und Tataren um Macht und Sicherheit; Romanzen und Rivalitäten verschränken sich mit Feldzügen und Belagerungen. Als Auftakt der Trilogie stellt der Roman die Heldengruppe vor und prüft ihre Loyalitäten im Bürgerkrieg.

Sintflut

Während der schwedischen Invasion ('Potop') drohen Staat und Sitten zu erodieren, und der impulsive Edelmann Andrzej Kmicic beginnt einen Weg der Läuterung vom Draufgänger zum Patriot. Verrat, Besatzung und symbolische Widerstandsakte treiben das Epos voran.

Pan Wolodyowski, der kleine Ritter

Der kleine, unerschrockene Offizier Michał Wołodyjowski verteidigt die östlichen Grenzlande gegen Osmanen und Tataren, während er persönliche Verluste und neue Bindungen bewältigt. Grenzkrieg, Spionage und Ehrenkodex führen zur Vorbereitung entscheidender Auseinandersetzungen.

Quo Vadis?

Im Rom Neros kollidieren Hofpracht und Dekadenz mit der jungen christlichen Bewegung; die Beziehung zwischen Marcus Vinicius und der Christin Lygia wird zum Prüfstein von Glauben, Macht und Gewissen. Intrigen, Verfolgungen und Spektakel zeigen die moralische Krise des Imperiums.

Die wichtigsten historischen Romane von Henryk Sienkiewicz

Hauptinhaltsverzeichnis
Auf dem Felde der Ehre
Die Kreuzritter
Mit Feuer und Schwert
Sintflut
Pan Wolodyowski, der kleine Ritter
Quo Vadis?

Auf dem Felde der Ehre

Inhaltsverzeichnis
Inhalt
1. Kapitel. Wölfe und Eber
2. Kapitel. Nimm sie hin!
3. Kapitel. Nach einer Nacht auf dem Aste
4. Kapitel. Die Erbberechtigten
5. Kapitel. Die Herausforderung
6. Kapitel. Ein guter Hirt
7. Kapitel. Zweikämpfe
8. Kapitel. Eifersucht
9. Kapitel. Bruch
10. Kapitel. Annettens Reue
11. Kapitel. Die Ausrüstung des Husaren
12. Kapitel. Briefwechsel
13. Kapitel. Ich bin kein Taczewski
14. Kapitel. Die Bosheit der vier Brüder
15. Kapitel. Beratung
16. Kapitel. Die Werbung
17. Kapitel. Verlobung und Tod
18. Kapitel. Die Leichenfeier
19. Kapitel. Geschäft
20. Kapitel. Die Tollköpfe
21. Kapitel. Der Angriff
22. Kapitel. Unter Dach
23. Kapitel. Erwägungen
24. Kapitel. Das gefiederte Ungetüm
25. Kapitel. Pläne
26. Kapitel. Das Zusammentreffen
27. Kapitel. Das Verhör
28. Kapitel. Annette und Jakob
29. Kapitel. Das Geschenk
30. Kapitel. Am Altar
31. Kapitel. Das Heer, das siegen wird

1. Kapitel. Wölfe und Eber

Inhaltsverzeichnis

Der Winter von 1682 auf 1683 war so streng, daß die ältesten Greise sich nicht erinnern konnten, je seinesgleichen erlebt zu haben. Nach wochenlangem Regen schlug gegen Mitte des Novembers der erste Frost die Gewässer in Bann und überzog die Bäume mit kristallner Kruste. In den Wäldern zerbrach der Rauhreif die Zweige der Kiefern. Anfang Dezember wurde der Frost noch schärfer. Scharen von Vögeln ließen sich in die Dörfer und Städte nieder. Die fleischfressenden Tiere kamen aus ihren Schlupfwinkeln hervor, um sich den menschlichen Wohnungen zu nähern. Um den Sankt-Damasus-Tag bedeckte sich der Himmel mit finstern Wolken; zehn Tage lang fiel Schnee, glich alle Erhebungen des Bodens aus und schüttete die Fenster der Hütten zu.

Mit Schaufeln bahnten die Leute sich einen Weg zu den Ställen und den Scheunen. Endlich nahm der Schneefall ein Ende, aber es gefror von neuem zum Steinzerbrechen, und die Bäume knackten wie Büchsen.

Die Bauern begaben sich truppweise in den Wald, um sich mit Holz zu versorgen, und hatten alle Angst, dort von der Nacht überrascht zu werden. Sobald die Sonne verschwunden war, wagten sie sich nur noch mit der Mistgabel oder der Axt in der Faust über ihre Schwelle. Bis zum Morgengrauen hörte man die Hunde, die den Wolf witterten, furchtsam bellen.

In einer dieser trostlosen Nächte glitt auf dem Waldwege, dessen Spur sich auf der einförmigen weißen Fläche fast verlor, eine auf Schlittenkufen festgemachte Kutsche schweigend dahin. Sie war mit vier Pferden bespannt, und eine Geleitmannschaft ritt daneben. An der Spitze trabte ein Diener. Er hielt an einer langen Stange ein eisernes Becken in die Höhe, darin ein Kienscheit brannte – nicht um den Weg zu beleuchten, denn der Mond schien hell, sondern um die Wölfe fernzuhalten.

Der Kutscher thronte auf dem Bock. Ein Knecht saß auf einem der beiden vorderen Pferde. Zu beiden Seiten der Kutsche ritten Männer, die mit Donnerbüchsen und Säbeln bewaffnet waren.

Der Zug kam nur mühsam vorwärts. Diese Langsamkeit verdroß Pan Gideon Pongowski und beunruhigte ihn auch. Als er sich entschloß, von Radom aufzubrechen, hatte er vorher gewußt, auf welche Schwierigkeiten man gefaßt sein müsse; der Weg nach Belczonka, dem Ziel seiner Reise, führte durch die gefährlichen Wälder von Kozienice. Aber er vertraute auf die Stärke seiner Begleitmannschaft. Am Morgen hatte er Radom verlassen und rechnete darauf, noch ehe der Tag zur Rüste ging, sein Haus zu erreichen. Doch zu wiederholten Malen mußte namentlich an den Biegungen des Weges der hochgewehte Schnee weggeräumt werden, was zu Verzögerungen führte. Als der Abend dämmerte, gelangte die Karawane nach Jedlinka. Obwohl die Bewohner die Reisenden aufforderten, dort die Nacht zuzubringen, setzte Pan Gideon, da er sich bei dem Schmied des Städtchens Kienscheite hatte verschaffen können, die Reise fort.

Jetzt drohte die Nacht ihn mitten im Walde zu überraschen.

Immer mühsamer wurde das Weiterkommen. Alle Augenblicke versperrten Schneewehen den Weg. Gideon schimpfte zuerst, dann begann er zu fluchen – doch stets auf lateinisch, um seine Reisegefährtinnen, Frau Winnicka, Das c wird wie z ausgesprochen, also Winnizka, Kaminiez etc. eine Verwandte von ihm, und Fräulein Siëninska, sein Mündel, nicht zu erschrecken.

Mit der Sorglosigkeit der Jugend verriet die Schöne gar keine Beängstigung. Leichten Fingers schob sie den Ledervorhang auf seiner Stange zurück und gab einem Diener den Wink, ihr nicht die Aussicht zu verstellen. Nun guckte sie vergnügt hinaus. Die Kiefern zogen an ihrem Blick vorüber, bekleidet mit weißem Schnee, auf dem der rote Schein der Fackel mit dem meergrünen Schimmer des Mondlichts stritt. Welche Kurzweil, dieses zarte Farbenspiel zu betrachten! Die Backen aufblasend und rosig erglühend wie eine Flamme, hauchte sie auf die Scheibe und wunderte sich, ihren eigenen Atem zu sehen.

Als furchtsame Person – was bei ihrem Alter entschuldbar war – erging sich dagegen Frau Winnicka in Klagen.

»Warum mußte man durchaus Radom verlassen? Warum ist man nicht wenigstens in Jedlinka geblieben? Bis nach Belczonka war es noch ein weiter Weg. In diesem endlosen Walde wird man noch von Wölfen angefallen werden. Nur der Erzengel Gabriel, der Beschützer gefährdeter Reisender, kann uns in dieser Lage helfen. Aber verdient man denn auch seine Hilfe?«

Dieses Gejammer raubte Pan Gideon Pongowski den Rest von Geduld.

»Auch das noch!« knurrte er. »Wir sollten uns verirren? Und das auf einer Straße, die so schnurgerade dahinläuft wie ein Pfeil. Die Wölfe? Die mögen kommen oder nicht kommen. Wenn sie kommen, werden meine Leute sie in Empfang nehmen. Lassen Sie sich übrigens sagen, der Wolf denkt als verständiges Tier gar nicht dran, einen Edelmann, das heißt also einen Soldaten, anzugreifen, denn der Soldat ist's, der ihn am besten mit Nahrung versorgt. Nicht ohne Grund nennt man den Krieg: die Ernte für die Wölfe.«

Trotz dieser Worte, mit denen Herr Pongowski den Wölfen zu schmeicheln gedachte, fühlte er doch einige Besorgnis. Wäre es nicht angebracht, einen seiner Leute absitzen und in der Kutsche Platz nehmen zu lassen, damit er im Notfall eine der Kutschentüren verteidigte, während er, Pongowski, die andere übernahm? Und damit wäre auch gleich eine sehr nützliche Vorsichtsmaßregel getroffen; denn im Augenblick der Gefahr würde das sich selbst überlassene Pferd die Flucht ergreifen und die Wölfe hinter sich herziehen.

Aber man hatte noch immer Zeit, sich das zu überlegen.

Einstweilen begnügte sich Pan Gideon, der mit Frau Winnicka auf dem Polster des Rücksitzes saß, neben das ihm gegenübersitzende Fräulein Siëninska ein Paar Pistolen und ein Dolchmesser zu legen. Er brauchte nun im Moment, wo es nottäte, nur den Arm auszustrecken, den rechten Arm, wohlverstanden, denn dessen allein konnte er sich noch bedienen, der linke war ihm vor langer Zeit abgenommen worden.

Sie fuhren ein gutes Stück, ohne daß etwas Unangenehmes geschah.

Der Weg wurde breiter. Pongowski stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, denn er kannte den Weg bis in die kleinsten Einzelheiten.

»Wir nähern uns der Lichtung,« stellte er fest.

Aber jetzt warf der an der Spitze trabende Vorreiter sein Pferd herum, kam im Galopp zur Kutsche zurück und sprach mit der Begleitmannschaft. Auf seine überstürzten Worte erwiderten sie kurz und rasch, wie es in Momenten drohender Gefahr geschieht.

»Heda! Was ist los?« rief der Herr.

»Gnädiger Herr, von der Lichtung schallt Lärm herüber – es klingt fast, als wenn –«

»Nun, was denn? Als wenn's Wölfe wären?«

»Wohl möglich. Gott mag's wissen.«

Pongowski dachte, an einer offenen Stelle könne man sich leichter verteidigen als mitten im Walde. Er gab Befehl, die Fahrt zu beschleunigen.

Nach einigen Minuten erschien der Vorreiter wieder am Kutschenschlag.

»Wildschweine, gnädiger Herr,« meldete er diesmal.

»Was? Wildschweine?«

»Kein Irrtum möglich. Ich höre sie dort unten rechts von der Straße grunzen.«

»Um so besser!«

»Sie sind vielleicht von einem Rudel Wölfe umringt.«

»Um so besser, sage ich dir. So werden wir unbehelligt vorüberkommen. Vorwärts!«

Auf der Lichtung angelangt, sahen die Reisenden zu ihrer Rechten, in der Entfernung von zwei bis drei Bogenschüssen, eine dichte Schar von Wildschweinen, die von einem beweglichen Gürtel von Wölfen umgeben war. Die Kutsche fuhr weiter. Von ihren Sätteln herab beobachteten die Leute der Begleitmannschaft das Verhalten der beiden feindlichen Gruppen. Die Wölfe wagten nicht, sich auf die grunzende Masse zu stürzen, sondern zogen ihre Angriffslinie nur ein wenig enger zusammen.

Zu einem runden Knäuel zusammengeschart, wobei die alten Keiler unerschrocken als Wache rings im Kreise aufgestellt waren – so bildeten die Wildschweine eine lebendige Festung, wo hier und dort wie Waffenblitzen das Weiße der Hauer hervorleuchtete.

Mit tückischen Sprüngen näherten sich die verwegensten der Wölfe, doch um alsbald zurückzuweichen, erschreckt durch das Fletschen der Zähne und noch mehr durch das furchtbare Grunzen.

Wenn der Kampf die ganze Aufmerksamkeit der Gegner in Anspruch genommen hätte, so wäre die Kutsche ohne Zweifel gefahrlos über die Lichtung hinübergekommen. Aber die wilden Tiere hielten dabei noch ununterbrochen Ausschau.

Es war also zu befürchten, daß die Wölfe von dem gefährlichen Feinde ablassen und über die neue Beute herfallen würden.

Einige von ihnen lösten sich denn auch schon von dem Rudel ab und näherten sich der Kutsche. Andere folgten ihnen. Aber der Anblick der bereitgehaltenen Waffen schreckte sie ab. Nun begannen sie ihre übliche Taktik. Sie scharten sich hinter dem Wagen zusammen, liefen vorüber, um sich hundert Schritte von ihm aufzustellen, oder umkreisten ihn mit wilden Sprüngen, wie um einander anzuspornen.

Die Leute Pongowskis wollten von ihren Waffen Gebrauch machen, allein ihr Herr gebot ihnen Einhalt. Durch Schüsse hätte man die ganze Bande herbeilocken können.

Schon drängten die Pferde, obschon an derartige Vorfälle gewöhnt, sich Seite an Seite, wandten die Köpfe hin und her und schnaubten laut. Ein unerwarteter Zwischenfall vermehrte alsbald die Gefahr.

Der junge Hengst, auf dem der Vorreiter saß, bäumte sich vor Schreck senkrecht empor. Aus dem Sattel kommen, bedeutete auf der Stelle unter den Zähnen der Wölfe sterben. Instinktiv klammerte der Mann sich an den Sattelknauf und ließ dabei das eiserne Becken mit den Kienscheiten fallen, die im Schnee versanken. Die Flamme verbreitete einen blutigen Schein, ehe sie erlosch; dann beleuchtete nur noch der Mond die Fläche.

Der Kutscher, ein Ruthene, fing an Gebete zu murmeln. Die Knechte dagegen – als gute Masuren, die sie waren – fluchten.

In der Finsternis wurden die Wölfe kühner. Die Haare sträubend und mit den Zähnen knirschend, kamen sie heran, und jetzt sah man deutlicher ihre blutunterlaufenen Augen glänzen.

Die Lage schien verzweifelt.

»Sollen wir schießen, gnädiger Herr?«

»Nein. Versucht sie durch Schreien abzuschrecken.«

Ein betäubendes Gebrüll erhob sich: »Ahu! Ahu!« Die Pferde schöpften wieder Mut, während die Wölfe, auf welche die menschliche Stimme immer Eindruck macht, um zehn Schritte zurückwichen.

Doch wie durch ein Wunder warf das Echo des Waldes plötzlich dieses Geschrei in hundertfacher Stärke zurück. Und es schien fast, als wenn ein wildes Lachen mitten in dem furchtbaren Getöse erscholl. Die dunkeln Gestalten von Reitern tauchten auf, schlossen sich zu einer Gruppe zusammen und brausten wie eine Lawine über die belagernden Wölfe und das Rudel Wildschweine herein.

Wie vom Winde weggefegt, zerstreuten sich im Augenblick die einen und die andern.

Schüsse, Geschrei und von neuem jene Heiterkeitsausbrüche waren zu hören. Die Leute des Pan Pongowski eilten auf die Reiter zu, die ihnen zu Hilfe gekommen waren. Nur der Kutscher und der Vorreiter blieben auf ihrem Posten.

Die vornehmen Reisenden im Wagen waren vor Erstaunen sprachlos.

»Und das Wort ist Fleisch geworden!« rief endlich Frau Winnicka. »Dieser Beistand kommt uns gewiß vom Himmel.«

»Gesegnet sei er, von wannen er auch komme!« erklärte Pan Pongowski.

Nun fügte auch Fräulein Siëninska ein Wort bei: »Gott selbst,« sagte sie, »hat uns diese jungen Ritter zugesandt.«

Woher sie wußte, daß diese Ankömmlinge Ritter und im besondern gar junge Ritter seien, hätte sich schwer sagen lassen; denn sie waren wie ein Windsturm vor dem Schlitten vorübergesprengt.

Die Lichtung hallte noch von dem Lärm der Verfolgung wider. Dicht neben der Kutsche heulte ein Wolf, dem das Rückgrat zerschmettert war, seinen Schmerz gen Himmel, und es klang so markerschütternd, daß der Vorreiter zu Boden sprang und hinlief, ihm den Gnadenstoß zu geben. Das Todesröcheln des Tieres machte die Pferde scheu, sie schlugen aus und bäumten sich, daß zuletzt die Deichsel zu zerbrechen drohte.

Jetzt zeichneten sich die Silhouetten der Reiter deutlich vom Schnee ab, und man sah im Mondlicht ihre Rosse dampfen. Lachend und singend kamen sie auf den Schlitten zu.

Mit lustiger, klangvoller Stimme fragte einer, sich zu dem Kutschschlag herüberneigend: »Wer da?«

»Pongowski, Gutsherr von Belczonka. Wem verdanke ich meine Rettung?«

Die Herren stellten sich vor.

»Stanislaus Cypryanowicz aus Jedlinka.«

»Die Brüder Bukojemski.«

»Dank sei euch abgestattet, meine Herren! Der Himmel hat euch rechtzeitig geschickt.«

»Dank sei euch abgestattet, meine Herren!« wiederholte eine jugendliche Frauenstimme.

»Laßt uns Gott loben, der uns im rechten Augenblick dazukommen ließ!«

Und Cypryanowicz lüftete seine Pelzmütze.

»Durch welches Wunder, meine Herren, waret ihr über unsere Notlage unterrichtet?« fragte Pongowski.

»Wir wußten nichts davon, Pan. Auf gut Glück, weil uns bekannt war, daß die Wölfe sich zu Rudeln zusammenscharten, machten wir uns auf den Weg, um Hilfe zu leisten, wo immer solche nottun mochte. Wir danken der Vorsehung, daß sie unsern guten Willen so erlauchten Personen zustatten kommen ließ,« sagte Cypryanowicz mit höflichem Gruße.

»Und daß sie uns eine so reiche Beute an Tierfellen bescherte« setzte einer der Brüder Bukojemski hinzu.

»Eine ritterliche Handlung, wahrhaftig, oder ich will nichts davon verstehen,« erklärte Gideon, »und eine gute Jagd, die was Schönes einbringen wird. Wolle Gott uns nur bald Gelegenheit geben, euch unsere Dankbarkeit zu bezeigen. Ich denke mir, ihr habt einstweilen den Wölfen den Appetit auf Menschenfleisch verdorben. Wir werden also ohne weitere Fährnis heimkehren können.«

»Ganz so sicher ist das nicht. Die Wölfe sind zäh.«

»Dann um so schlimmer. Wir müssen uns eben wieder durchschlagen. Ich sehe kein anderes Mittel.«

»O doch! Ein ganz einfaches Mittel. Wir werden die Ehre haben, Euch bis Belczonka zu begleiten. Bei dieser Gelegenheit können wir vielleicht auch noch andern Reisenden Beistand leisten.«

»Ich wagte es von mir aus nicht, die Bitte auszusprechen, doch da ihr uns eure Hilfe anbietet, so nehmen wir sie an. Nun werden meine Damen keine Angst mehr haben.«

»Angst hatte ich überhaupt nicht,« widersprach Fräulein Siëninska. »O, deshalb danke ich euch nicht minder von ganzem Herzen.«

Die Karawane setzte sich wieder in Bewegung. Aber kaum hatte die Kutsche ein kurzes Stück zurückgelegt, so blieb sie stehen, die beschädigte Deichsel war zerbrochen.

Mit Stricken knüpfte man die Bruchstelle, so gut es ging, zusammen; allein würde diese unvollkommene Reparatur wohl den Erschütterungen, die der Wagen durch die Ungleichheiten des Weges erlitt, noch lange Widerstand leisten können?

Diese Frage stellte sich der junge Cypryanowicz, und er kam daraufhin mit einem neuen Vorschlag heraus:

»Wir sind um die Hälfte näher an Jedlinka als an Belczonka. Erweist uns die Ehre, die Nacht unter unserm Dache zu verbringen, Pan. Bis dorthin können wir ganz gut die Kutsche ziehen. Die Ehre, die Ihr uns antut, wird bei weitem größer sein als der Dienst, den wir Euch geleistet haben. Aber da Ihr dabei nur der harten Notwendigkeit gehorcht, so bilden wir uns überhaupt nichts drauf ein.«

Pongowski antwortete zuerst nicht. Er fühlte einen Vorwurf aus diesen Worten heraus. Als vor zwei Jahren Cypryanowicz, der Vater, nach Belczonka gekommen war, ihm seine Reverenz zu erweisen, hatte er ihn wohl höflich, doch sehr von oben herab aufgenommen und seinen Besuch niemals erwidert. Und das geschah, weil Cypryanowicz ein » homo novus« war, erst seit zwei Generationen zum Adel gehörig und von armenischer Abstammung. Der Urgroßvater betrieb sogar noch einen Seidenhandel in Kaminiec.

Der Sohn dieses Kaufmanns, Jakob, hatte schon unter dem großen Chodkiewicz bei der Artillerie gedient. Er hatte sich unter den Mauern von Chocim ausgezeichnet, und dank der Protektion Stanislaus Lubomirskis war ihm der Adelsbrief zugleich mit der königlichen Domäne Jedlinka verliehen worden, welche er nun als Leibgedinge verwaltete.

Später, nach dem Einfall der Schweden, erhielt Seraphin, Jakobs Sohn, dieses Landgut zum Unterpfand für ein Darlehn, das er dem erschöpften Staatsschatz der Polnischen Republik vorstreckte.

Der junge Kavalier nun, dessen Hilfeleistung so gut angebracht gewesen, war der Sohn besagten Seraphins.

Pan Pongowski hatte die Anspielung verstanden; aber sie wurde mit einer Würde vorgebracht, welche dem alten Adelsherrn nicht mißfiel. Und wie hätte er die Einladung auch abweisen sollen? Der Weg nach Belczonka war lang und voller Hinterhalte. Er zauderte nicht länger.

»Ohne Eure Hilfe, Pan, würden sich jetzt die Wölfe um unsere Gebeine streiten. Fahren wir nach Jedlinka!«

Unter den freudigen Zurufen der Ritter setzte sich der Zug in Bewegung.

2. Kapitel. Nimm sie hin!

Inhaltsverzeichnis

Das mitten im Walde gelegene Jedlinka war nicht mehr weit. Bald erblickte man das riesige vom Wald umrahmte Viereck, das die verstreuten Häuser bildeten. Etwa zwanzig an der Zahl lagen sie wie schwarze Flecke da, aber ihre schneebedeckten Dächer schimmerten im Mondlicht. Am Rande zogen sich die Wirtschaftsgebäude hin, im Hintergrunde lag das herrschaftliche Wohnhaus. Es war ehedem nur eine Herberge der königlichen Förster gewesen. Cypryanowicz hatte es umgebaut und vergrößert, doch sah es im ganzen noch eben so alt und trist aus wie zuvor.

Aus den erleuchteten Fenstern fiel der Schein in rosigen Strahlen auf den Schnee, auf die Mauern, auf die hohen Schwengel der Brunnen.

Ohne Zweifel erwartete der alte Cypryanowicz, daß sein Sohn ihm diese Gäste zuführen werde, denn kaum hatte der Schlitten die Pforte der Einfriedigung überschritten, so liefen Diener mit Fackeln in den Händen herbei und stellten sich zu beiden Seiten der Freitreppe auf. Dann erschien der Herr des Hauses, bekleidet mit einem Marderpelz. Trotz der Kälte nahm er beim Anblick der Kutsche die Pelzmütze ab.

»Was für huldvolle Gäste bringt uns Gott in unsere Einsamkeit?« fragte er mit einer breiten Geste der Bewillkommnung.

Der junge Mann küßte ehrfurchtsvoll die Hand des Vaters, während Pongowski aus dem Wagen stieg und zeremoniös antwortete: »Längst war es mein Vorhaben, aus freien Stücken die Pflicht zu vollziehen, die mich heut die Notwendigkeit ausführen läßt. Ich segne nichtsdestoweniger den Zwang, der so gut mit meinem Wunsche harmoniert.«

»Auf der Welt gibt's immer wieder Ueberraschungen,« erwiderte Cypryanowicz, »und zwar auch freudige, angenehme, wie jetzt diese hier. Erweist mir die Gunst, unter mein Dach zu treten.«

Mit diesen Worten verneigte sich Pan Seraphin von neuem und bot Frau Winnicka den Arm, indem er seine Gäste einlud, ihm in seine Gemächer zu folgen.

Sobald die Reisenden über die Schwelle getreten waren, empfanden sie auch schon jenes Wohlbehagen, das der Uebergang von eisiger Finsternis in Wärme und Licht zu erwecken pflegt. In den Kaminen der Vorhalle und der sehr großen Räume brannten Holzscheite. Die Diener zündeten Kerzen in verschwenderischer Fülle an.

Pan Pongowski beobachtete verstohlen und nicht ohne Erstaunen. Er hatte bei Edelherren der einfachen Klasse noch nie einen solchen Reichtum gefunden.

Beim vereinten Licht der Leuchter und der Kamine bemerkte man kostbare Truhen und hohe florentinische Lehnstühle, daneben Uhren, venezianische Gläser, Kronleuchter. Auf Brokatstoffen hingen orientalische Waffen, mit Türkisen besetzt. Die Füße traten auf das weiche Gewebe der Krim. An den Wänden des Ehrensaals hingen einander gegenüber zwei prachtvolle Gobelins aus Arras, die einem Adelspalast zur Zierde gereicht hätten.

»Alles das haben sie von der Elle und vom Handel her,« dachte Pan Pongowski neidisch. »Und jetzt können sie die Adeligen von oben herab angucken und sich was einbilden auf diesen Luxus, zu dem ihnen ganz gewiß kein Säbelstreich verholfen hat.«

Aber die Zuvorkommenheit und die freimütige Gastlichkeit der Cypryanowicz verscheuchten bald die Mißlaune des alten Herrn; verriet doch auch das Klirren von Gläsern und silbernem Geschirr im benachbarten Speisezimmer, daß ein reichhaltiges Mahl vorbereitet wurde.

Um die eisige Nässe zu vertreiben, von der die Reisenden durchdrungen waren, reichte man ihnen zuerst einen starkgewürzten Glühwein. Die Zungen lösten sich. Die überwundene Gefahr war der Gegenstand der Gespräche. Pongowski zollte dem jungen Cypryanowicz überschwengliches Lob. Dieser junge Mann sei nicht zu Hause geblieben, wo er sich doch die Füße hätte wärmen können; er sei lieber auf die Straße hinausgeeilt, nicht achtend der Kälte, der Anstrengung, der Gefahren.

»Wahrlich,« schloß er, »so handelten die Helden von ehemals, die Tapfern, welche auszogen, Drachen, Vampire, Wehrwölfe und andere Ungeheuer zu töten.«

»Und wenn es zufälligerweise einem solchen Helden glückte,« fiel der junge Herr von Jedlinka ins Wort, »eine verzauberte Prinzessin zu befreien, dann kann er auch keine größere Freude empfunden haben, als sie in diesem Augenblick unsere Seele erfüllt.«

»Gut gesprochen, so wahr Gott lebt! und keiner von ihnen hatte eine zauberhaftere Prinzessin befreit!« stimmten die vier Brüder Bukojemski begeistert bei.

Und Fräulein Siëninska senkte die Augen und lächelte, wobei sich auf ihren frischen Wangen Grübchen zeigten.

Pan Pongowski hielt jedoch dieses Kompliment für zu chevaleresk. Obwohl Fräulein Siëninska eine Waise war und kein Vermögen hatte, blickte sie nichtsdestoweniger auf eine lange Ahnenreihe zurück, die aus lauter Magnaten bestand.

Um dem Gespräch eine Wendung zu geben, fragte er: »Und seit wann sucht ihr nun die Landstraßen ab?«

»Seit dem großen Schneefall, und wir werden es fortsetzen bis zum Eisgang,« antwortete der junge Stanislaus Cypryanowicz.

»Da habt ihr wohl schon viele Wölfe getötet, nicht wahr?«

»So viele, daß wir alle auf lange hinaus mit Pelzen versehen sind.«

Und die Brüder Bukojemski lachten, wie wenn vier Pferde wieherten. Als sie endlich ihre Heiterkeit beschwichtigten, setzte Jan, der älteste von ihnen, hinzu: »Unser huldreicher König wird mit seinen Förstern zufrieden sein.«

»Meiner Treu, es ist wahr!« stimmte Pongowski bei. »Ich habe mir sagen lassen, der König habe euch zu seinen Forsthütern bestellt. Ich glaubte jedoch, die Bukojemskis stammten aus der Ukraine.«

»Wir sind auch aus der Ukraine.«

»So, so. Ein gutes Geschlecht, die Jelo-Bukojemskis – von ausgezeichneter Abstammung – hat auch Verwandtschaft mit hervorragenden Häusern –«

»Und mit dem Apostel Sankt Petrus,« rief Lukas Bukojemski.

»Ach was?« machte Pan Pongowski.

Mit strengem, mißtrauischem Blick sah er den vier Brüdern scharf ins Gesicht. Wagten sie es, ihn zu verspotten? Aber der heitere, überzeugte Ausdruck ihrer Gesichter beruhigte ihn. Alle nickten fast feierlich mit dem Kopf und bestätigten Lukas' Worte.

»Verwandte des Heiligen Petrus?« wiederholte Pongowski verblüfft. »Aber quo modo, wenn ich bitten darf?«

»Durch die Przegonowskis.«

»So so! Und die Przegonowskis?«

»Durch die Uswiat.«

»Ich verstehe. Und die Uswiats wieder durch andere,« fuhr der alte Herr erheitert fort. »Und so fort ad infinitum bis zur Geburt unsers Heilands Jesus. Das nenne ich Glück; denn wenn es schon etwas heißen will, Verwandte unter den hohen Personen unsers höchst illustren Senats zu haben, wie viel mehr, solche, die im himmlischen Senat sitzen, zu seinen Ahnen zu zählen. Da ist uns jede Promotion, jede Beförderung gewährleistet. Aber auf welche Weise, sagt mir doch, seid ihr aus der Ukraine in unsere Wälder gekommen? Ich habe gehört, ihr habt euch schon vor mehreren Jahren dort festgesetzt.«

»Vor drei Jahren. Gleich im Anfang des Aufruhrs wurden unsere Besitzungen in der Ukraine dem Erdboden gleichgemacht. Nachher wurden auch die Grenzen verschoben. Wir hatten keine Lust, uns mit Tatarenhorden zu vermischen, nicht wahr? Da nahmen wir Dienst in der Armee; sodann verschafften wir uns Lehnsgüter, und schließlich hat der König uns die Aufsicht über diese Wälder übertragen.«

»Wie klein doch die Welt ist!« bemerkte Cypryanowicz. »Die Launen des Schicksals haben uns alle in diese Gegenden geführt. Der ehemalige Stammsitz Euer Liebden,« fuhr er fort, sich an Pongowski wendend, »ist doch auch in der Ukraine gelegen. Wenigstens bin ich ...«

Pongowski zitterte, als wenn ihm jemand den Finger auf eine Wunde gelegt hätte.

»Dieser Stammsitz,« antwortete er, »ist noch mein eigen. Doch – soll ich es sagen – diese entlegenen Ländereien flößen mir ein Gefühl des Abscheus, des Schreckens ein. Unglücksfälle trafen dort mein Haupt wie Blitzschläge.«

»Des Himmels Wille,« sprach salbungsvoll Cypryanowicz.

»Ohne Zweifel. Und es würde nichts nützen, unsere Gerichte dagegen aufzurufen. Aber hart ist es trotzdem.«

»Euer Liebden haben lange unter unsern Fahnen gedient?«

»Bis zu dem Tage, da ein Säbelhieb mir den linken Arm raubte. Möge unser himmlischer Erlöser mir für jedes Haupt eines Ungläubigen, das ich abgeschlagen habe, eine einzige meiner Sünden erlassen, dann kann ich hoffen, niemals mit der Hölle Bekanntschaft zu machen.«

»Dienen und leiden, das heißt sich seines Vaterlandes würdig erweisen. Doch verbannen wir die traurigen Gedanken!«

»Ich würde sie sehr gern verbannen, doch sie wollen nicht von mir lassen. Doch weg mit diesem Thema! Jetzt bin ich gebrechlich und Vormund dieses Mägdleins, da will ich in Frieden meine Tage verbringen und diese ruhigen Landstriche nicht mehr verlassen, wohin sich keine heidnischen Horden wagen. Wie Euer Gnaden ja auch wissen, komme ich fast gar nicht aus meinen vier Mauern von Belczonka.«

»Das ist auch sehr richtig,« stimmte der alte Cypryanowicz bei. »Die Jugend fühlt sich dort unten hingezogen; diese fernen Bezirke sagen ihrer Abenteuerlust zu. Aber so ruhig sie uns augenblicklich vorkommen, es sind doch unheilbergende, finstere Gegenden, wo ein jeder von uns einen Toten zu beweinen hat.«

Pongowski stützte die Stirn in die Hand und träumte. Dann sprach er in traurigem Tone:

»Wahrhaftig, nur der Bauer und der Magnat können da standhalten. Der Bauer, weil er, sobald die Lawine der Barbaren heranbraust, sich tief in die Wälder flüchten und dort monatelang nach Art der wilden Tiere sein Leben fristen kann; der Magnat, weil seine festen Schlösser ihn beschützen. Ihn beschützen – ach, nicht immer! Die Zolkiewskis sind zugrunde gegangen, die Danilowicz sind zugrunde gegangen; Markus Sobieski, der leibeigene Bruder unseres Königs, ist nicht mehr; man hat einen Wisniowiecki zu Stambul am Kreuze sich winden sehen. Korecki wurde gepfählt; die Kalinowski und vor ihnen die Hubertows und die Jazlowieckis haben den Ungläubigen den Blutzoll bezahlt. Und wie viele von den Siëninski sind schließlich vor dem Feinde gefallen! Ein ungeheurer Leichenzug! Die Opfer alle aufzuzählen, würde bis in den Morgen dauern. Und wenn ich gar dieser langen Martyriologie der Magnaten noch die der einfachen Edelleute hinzufügen wollte, so würde ich in einem Monat nicht damit zu Ende kommen.«

»Beim lebendigen Gott!« rief Cypryanowicz bitter. »Jeder gute Christ hat da wohl das Recht, sich zu wundern, daß der himmlische Vater dieses Gezücht von Tataren und Türken sich in dieser Weise vervielfältigen und ausbreiten läßt. Wenn der Landmann seinen Acker pflügt, hört er auf Schritt und Tritt unter der Pflugschar die Schädel von Ungläubigen krachen. Und der König – um nur ihn zu nennen – wie viele hat er nicht dort unten vernichtet? Mit ihrem Blute könnte sich ein großes Flußbett füllen. Und doch kommen immer wieder welche, immer wieder kommen sie!«

Cypryanowicz übertrieb nicht. Erschöpft von Anarchie, zerrüttet durch das gesetzlose Leben, das allerorten herrschte, konnte die Republik keine Armee mehr stellen, die furchtbar genug gewesen wäre, diese immer wieder auftauchende Geißel endgültig zu vernichten. Auch ganz Europa schien von einer solchen Ohnmacht geschlagen zu sein. Dennoch sah diese selbe Republik, obwohl von Zwistigkeiten erfüllt, ein kriegerisches Geschlecht aus dem Boden erstehen, das fest entschlossen war, sich nicht wehrlos vom Krummsäbel niedermähen zu lassen.

In den entlegenen Gegenden der Ukraine, Podoliens, Rotrußlands Der östliche Teil des heutigen Galiziens., welche von Gräbern übersät, von Blut getränkt waren, strömten denn auch fortwährend neue Scharen zusammen, die nicht nur von der außerordentlichen Fruchtbarkeit des Bodens, sondern auch von eingefleischter Abenteuerlust dorthin gelockt wurden.

Und unaufhaltsam ergoß sich die Flut; masovische Bauern, kampfeslustige Junker, die sich für entehrt gehalten hätten, wenn der Tod sie im Bett überraschte, und endlich auch mächtige Magnaten, die sich nicht damit begnügten, den Feind zurückzuwerfen, wenn er ihre Zitadellen belagerte, sondern bis in die Walachei vordrangen, bis in die Krim, um Beute, Sieg, Tod und Ruhm zu suchen.

Man sagte, es sei den Polen gar nichts daran gelegen, den Krieg mit einem entscheidenden Feldzug zu beenden; sie zögen den Kampf in die Länge, zu dem einzigen Zwecke, länger ihr Vergnügen zu haben. Das entsprach ohne Zweifel nicht der Wahrheit. Ebenso mutig wie aufrührerisch, gefiel es doch immerhin der ganzen Nation, ein stürmisches Leben zu führen.

Der eindringende Feind mußte seine Kühnheit oft blutig bezahlen. Aber die Ländereien der Dobrutscha und um Belgrad herum vermochten ebensowenig wie das unfruchtbare, weithin von Schilfrohr bestandene Gebiet der Krim ihre wilden Einwohner zu nähren, und so trieb sie der Hunger nach den fetten Gegenden jenseits der Grenze, wo reiche Beute, aber auch der Tod zu holen war.

Die schreckliche Glut von Feuersbränden beleuchtete oft Siege und Niederlagen, derengleichen es in der Geschichte keines andern Volkes gibt. Oft zermalmten ein paar abgesandte Regimenter zehnfach zahlreichere Horden. Für die tatarischen Banden war die Hauptsache Schnelligkeit der Bewegungen im Einfall wie im Rückzug denn jeder Zusammenstoß mit einer regulären Miliz im Dienste der Republik wurde ihnen verhängnisvoll.

Bisweilen geschah es, daß von allen Rittern einer Expedition nicht einer in die Krim heimkehrte. Schrecklich klangen in den Ohren der Ungläubigen die Namen von Pretwic c wie z zu sprechen. und von Chmelnicki, und fast jeder einzelne bewahrte im Gedächtnis, in blutigen Letter eingezeichnet, das Andenken an Wolodyjowski, an Pelka, an den älteren Ruszyc – Helden, die nun schon seit zwanzig Jahren im Grabe von ihren Lorbeeren ausruhten.

Und doch hatte unter all diesen berühmten Kriegern kein einziger den Söhnen des Islam so viel Blut abgezapft wie der neue König Johann III. Sobieski.

Unter den Mauern von Podhajce, Kalusz, Chocim und Lemberg bleichten die unbeerdigten Gebeine von Ungläubigen und ließen den Boden wie ein Schneefeld erscheinen. Die Horden waren demoralisiert, die Steppe atmete auf, und als im unersättlichen Eroberungsdurst die Türkei sich einer neuen, leichteren Beute zugewandt hatte, atmete auch die erschöpfte Republik wieder auf.

Aber die schmerzlichen Erinnerungen blieben wach. Dort unten in der Ukraine erhob sich auf dem Gipfel eines Hügels ein Kreuz, in dessen Holz zwei Lanzen gesteckt waren. Mehr als zwanzig Jahre waren seit dem Tage verflossen, da Pongowski dieses Mal über den Trümmern seines niedergebrannten Stammsitzes errichtet hatte.

Und jedesmal, wenn er an dieses Kreuz dachte, an die Leichen, die unter diesen Ruinen bestattet waren, krampfte sich sein altes Herz zusammen.

Hart gegen sich selbst wie gegen andere, schämte er sich der Tränen, die er nur mit vieler Mühe zurückdrängen konnte. Der Wunsch, Mitleid zu erregen, war ihm fremd, und so schnitt er kurz den Bericht seines Unglücks ab und fragte seinen Wirt nach dessen Schicksalen, und ob das Leben, das er mitten in den Wäldern führte, ihm behagte?

Cypryanowicz antwortete ernst:

»Wenn der Sturm nicht im Forst heult und die Wölfe Ruhe halten, kann man eine Schneeflocke fallen hören. Die Stille, ein gutes Feuer im Kamin, ein Krug heißen Weines zum Abend – was braucht man mehr im Alter?«

»Zugegeben. Doch genügt das auch Euerm Sohn?«

»Früher oder später wird der junge Falk den Horst verlassen. Uebrigens geht das undeutliche Gerücht um, ein neuer Krieg werde binnen kurzem Wider den Islam anheben.«

»Alle Wetter! Zu einem solchen Kriege werden auch gern alte Falken, wie ich, die Schwingen noch einmal ausbreiten. O, wie leicht und behend wollte ich mich dem Fluge der Jungen anschließen, wäre ich nur nicht – seht her!«

Und Pongowski bewegte den leeren Aermel.

Cypryanowicz füllte ihm schweigend das Glas mit Ungarwein.

»Auf den Erfolg der christlichen Waffen!«

»Gott erhöre Euch! Laßt uns das Glas auf einen Zug leeren!«

Stanislaus seinerseits machte sich um die beiden Damen zu schaffen; dann bediente er die vier Brüder Bukojemski. Frau Winnicka und die junge Siëninska nippten kaum von dem Goldlikör.

Die Bukojemski ließen sich dagegen nicht nötigen. Bald erschien ihnen die Welt wie ein Garten voll Glückseligkeit, und Fräulein Siëninska als das herrlichste Geschöpf dieser Welt. Kein Ausdruck schien ihnen angemessen, ihr Entzücken zu bezeichnen, die Brüder begnügten sich daher, bewundernde Blicke auszutauschen, seufzten wie die Blasebälge und stießen einander mit dem Ellbogen an.

Endlich erklärte Johannes, der älteste: »Es nimmt mich nicht mehr Wunder, edles Fräulein, daß die Wölfe nach so köstlichen, auserlesenen Reizen lüstern waren. Die wildesten Tiere wissen zu beurteilen, was ein Leckerbissen ist.«

Darauf schlugen die drei jüngeren Matthäus, Markus und Lukas sich mit der hohlen Hand auf die Schenkel.

»Ins Schwarze getroffen!«

»Ein Leckerbissen – richtig!«

»Eine Delikatesse!«

Fräulein Siëninska faltete die Hände und nahm einen launischen Ausdruck des Schreckens an, wobei sie sich an den jungen Cypryanowicz wandte: »Schützet mich, ich bitte Euch! Denn ich sehe, diese Herren haben mich den Zähnen der Wölfe nur entrissen, um selber ungestört mich verschlingen zu können.«

»Gnädiges Fräulein,« sagte Stanislaus lebhaft, »mein Freund Jan Bukojemski sagte eben, daß er es den Wölfen nachfühlen könne – und ich, ich kann es meinem Freunde Jan Bukojemski nachfühlen.«

»Herr mein Gott! Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als den Psalm herzusagen: In manus tuas, domine!« In deine Hände, Herr!

Aber die fromme Frau Winnicka unterbrach sie streng: »Treibe keinen Spott mit heiligen Dingen, mein Kind!«

»Aber seht Ihr nicht, Tante, wir laufen große Gefahr, alle beide mit Haut und Haaren gefressen zu werden! Meine Herren, gesteht es nur aufrichtig ein, nicht wahr?«

Die Frage blieb jedoch unbeantwortet. Doch wenn die Lippen schwiegen, so sagten die Blicke der vier Brüder deutlich, daß sie keine große Lust verspürten, sich an dieses zweite Opfer heranzumachen.

Endlich bemerkte Lukas, der an Schalkhaftigkeit und schlagfertigem Witz seinen Brüdern überlegen war: »Jan muß für uns sprechen, er ist der Aelteste von uns.«

Johannes schien nachzudenken, dann sprach er ausweichend: »Keiner von uns weiß, was der morgige Tag ihm bescheren wird.«

»Sehr weise Worte!« stimmte Stanislaus bei. »Aber warum jetzt an Morgen denken?«

»Warum? Wißt Ihr denn nicht, daß die Liebe tausendmal gefährlicher ist als die Wölfe? Wir können wohl über hundert Wölfe totschlagen – aber niemals können wir die Liebe totschlagen.«

»Ganz gewiß nicht. Aber das ist ja nun wieder etwas ganz anderes.«

»Das tut nichts, wenn man den betreffenden Punkt nur geistvoll darstellt.«

Fräulein Siëninska legte rasch die Finger an die Lippen, um ein Lachen zu unterdrücken. Aber schon teilte ihre Lustigkeit sich Stanislaus mit, und dann den vier Brüdern. Die Unterhaltung wollte noch lebhafter werden, als eine Dienerin auf der Schwelle erschien und meldete, das Abendessen sei aufgetragen.

Cypryanowicz, der Vater, bot Frau Winnicka den Arm, Pongowski ging allein, Stanislaus folgte mit Fräulein Siëninska, und die vier Brüder bildeten den Schluß.

Lachend sagte das junge Mädchen zu ihrem Kavalier: »Es ist wirklich schwierig, mit Herrn Jan Bukojemski zu disputieren.«

»Ja, weil seine Argumente wie störrische Pferde sind; das eine zieht hott, das andere hü. Trotzdem hat er aber doch zwei unleugbare Wahrheiten vorgebracht.«

»Welches wäre die erste?«

»Daß man niemals voraussehen kann, was einem am nächsten Tage widerfahren wird. So habe ich zum Beispiel gestern noch nicht geahnt, daß meinen Augen heute die Freude beschieden sein werde, Euch zu betrachten.«

»Und welches wäre die zweite?«

»Daß es tausendmal leichter ist, einen Wolf zu töten, als die Liebe zu unterdrücken.«

Und der junge Cypryanowicz begann zu seufzen, während Fräulein Siëninska plötzlich schwieg und die Augen niederschlug.

Doch bei Tische fand sie ihre fröhliche Anmut wieder.

»Meine Herren,« fragte sie, »werdet ihr uns nicht auch einmal in Belczonka besuchen! Recht bald, ja? Mein Vormund wird sich sehr freuen, Euch seine Dankbarkeit zu bezeigen sowohl für eure tapfere Hilfeleistung, als auch für eure so herzliche Gastfreundschaft.«

Der würzige Wohlgeruch der Speisen schien allmählich die düstere Stimmung des Herrn Pongowski zu verscheuchen. Und als der Herr des Hauses nach einer schwungvollen Ansprache sein Glas geleert hatte, zuerst auf die Gesundheit der Damen und dann auf die seines »illustren Gastes« – da wandte der alte Adelsherr sich seinerseits an den Amphitryon Nach einem Molière'schen Lustspiel typische Bezeichnung für einen gastfreien Wirt. und dankte dann seinen Befreiern, daß sie ihn aus einer sehr mißlichen Lage erlöst hätten. Er würde ihnen dafür in Ewigkeit erkenntlich bleiben.

Dann unterhielt man sich von öffentlichen Dingen, vom König, von seinen Siegen, von dem auf Ende April einberufenen Reichstag, von dem Kriege, mit dem der Padischah den Kaiser bedrohte und den Hieronymus Lubomirski, der Ordensritter von Malta, vorhergesehen, denn deshalb allein warb er im ganzen Gebiet der Republik Freiwillige.

Die Brüder Bukojemski spitzten die Ohren. Die Kaiserlichen – das hörten sie mit Freuden – empfingen jeden Polen mit offenen Armen, und mit Recht, hatten sie doch vor den deutschen Reitern keinen Respekt, während die polnische Kavallerie ihnen Schrecken einflößte.

Darauf sprach Pongowski ein wenig abfällig über den allzugroßen Stolz des Ritters Lubomirski, welcher, wenn er von den Grafen und Baronen des Kaiserreichs sprach, zu sagen pflegte: »Ich stecke zehn davon in jeden meiner Handschuhe.« Dabei aber lobte er über die Maßen seine Heldentaten, seinen Mut, seine militärischen Kenntnisse.

Plötzlich erklärte Lukas Bukojemski in seinem und seiner Brüder Namen: »Sobald der Frühling kommt, werden wir alle vier uns zu dem Banner des Ritters Lubomirski gesellen. Jetzt, solange noch der strenge Frost anhält, müssen wir den Wölfen nachstellen, um die Unbill zu rächen, die sie Fräulein Siëninska zugefügt haben. Jan, der Aelteste von uns, hatte gut reden, als er uns versicherte, er könne den Wölfen die Zudringlichkeit nicht verübeln. Wenn ich bei mir denke, daß diese liebliche Taube ihnen beinahe zur Beute gefallen, dann ergreift mich der Zorn, das Mitleid treibt mir Tränen in die Augen. Und dabei sind die Felle dieser Ungetüme so sehr im Preise gesunken. Die Juden wollen für ihrer drei nicht einmal mehr einen elenden Taler geben. Doch laßt es gut sein! Ich kann vor Schluchzen nicht mehr sprechen. Beim lebendigen Gott! Wen von uns der Anblick der Unschuld und der mißhandelten Tugend nicht mehr rühren sollte, den nenne ich einen Barbaren – barbarus, sage ich – welcher es nicht mehr verdient, ein Adliger und ein Ritter genannt zu werden!«

Er sprach's, und Tränen rannen ihm die Wangen hinab. Sogleich teilte seine Rührung sich den Brüdern mit; denn obwohl die Wölfe nur die Person des Fräuleins Siëninska angegriffen hatten, keineswegs aber ihre Tugend, so wirkte die Beredsamkeit des Lukas doch so ergreifend auf sie, daß ihnen das Herz wie Wachs zerschmolz.

Nach dem Abendessen wollten sie, um ihre Gefühle besser zum Ausdruck zu bringen, zur Ehre der Schönen eine Salve von Pistolenschüssen abfeuern.

Aber Cypryanowicz, der Vater, verbot es ihnen. Er hatte einen Kranken im Hause, einen seiner Waldhüter, einen Mann, den er sehr hochschätzte und dessen Ruhe nicht gestört werden dürfe.

»Ohne Zweifel ein armer Verwandter,« dachte Pongowski, »oder vielleicht einer jener Junker, die ihr Dienstverhältnis noch immer mit den Lumpen ihres Stolzes behängen.«

Dennoch glaubte er sich aus Höflichkeit nach dem Befinden des Kranken erkundigen zu sollen. Und als er erfuhr, es handle sich um einen einfachen Diener, um einen Bauern, konnte er nicht umhin, leicht mit den Achseln zu zucken. Dann sagte er im Tone hochmütiger Nachsicht:

»Ach ja, ich vergaß, was man sich von Eurer großen Menschenfreundlichkeit erzählt!«

»Möge es Gott gefallen,« versetzte Seraphin, »daß mich niemals schwererer Tadel träfe! Ich verdanke diesem braven Manne viel. Und jeder einzelne von euch, meine Herren, könnte noch sein Schuldner werden, denn niemand versteht besser als er die heilenden Eigenschaften der Pflanzen nutzbar zu machen.«

»Sonderbar! Wenn er andere heilen kann, warum fängt er nicht mit sich selbst an? Aber da fällt mir ein, schickt ihn doch mal zu Frau Winnicka, meiner hier anwesenden Base, die ist auch sehr erfahren in der Kunst, Salben und Balsame anzufertigen, Elixiere und Wundmittel. Zu zweit werden sie ihre Patienten noch schneller in eine bessere Welt expedieren. Nachdem ich dies gesagt,