Die wittenbergische Nachtigall -  - E-Book

Die wittenbergische Nachtigall E-Book

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Beschreibung

Die geschmackvoll aufgemachte Anthologie vereinigt 40 Gedichte über Leben und Werk Martin Luthers. Der repräsentative Gang durch die Jahrhunderte, der von Hans Sachs über Herder, Goethe, Schiller und Fontane bis in die Gegenwart reicht, lädt zu einer poetischen Begegnung mit dem deutschen Reformator ein. Beim Lesen und Vorlesen stößt man auf unterschiedliche Blickwinkel und Gewichtungen – von der glorifizierenden Huldigung bis zur kritischen Distanz. Bei solcher Fülle mag es kommen, dass man an der einen oder anderen Stelle lesend innehält und Martin Luther als eine Jahrhundertfigur entdeckt, die 'man auch heute noch bewundern kann' (Gottfried Benn).

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Seitenzahl: 79

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JOHANNES BLOCK (HG.)

Die wittenbergische

Nachtigall

Luther im Gedicht

JOHANNESBLOCK, Dr. theol., Jahrgang 1965, studierte Evangelische Theologie in Bonn, Heidelberg und Zürich. Er ist Pfarrer an der Stadtkirche Wittenberg und Privatdozent für Praktische Theologie an der Universität Leipzig.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2013 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.

Gesamtgestaltung: Ulrike Vetter, Leipzig

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

ISBN 978-3-374-03424-6

www.eva-leipzig.de

Detlev Block zum 80. Geburtstag

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Der Autor

Impressum

Widmung

1. Luther im Gedicht. Zur Einführung  Johannes Block

2. Luthers Herkunft und Leben im Erzähl-Gedicht

Herkunft  Wilhelm Horkel

Die Thesen  Wilhelm Horkel

Worms  Wilhelm Horkel

3. Luther im Gedicht durch die Jahrhunderte

Die wittenbergische Nachtigall, die man jetzt höret überall  Hans Sachs

Dreierlei Glauben  Friedrich von Logau

Auf Doktor Martin Luther  Daniel Georg Morhof

Die deutsche Bibel  Friedrich Gottlieb Klopstock

[Luther]  Johann Gottfried Herder

Reformation  Johann Gottfried Herder

Dem 31. Oktober 1817  Johann Wolfgang von Goethe

[Hört, ihr Herrn]  Johann Wolfgang von Goethe

[Schwere Ketten drückten alle]  Friedrich Schiller

Luthers Monolog, eh’ er in die Reichsversammlung geht. Dramatisches Fragment  Theodor Körner

Licht und Schatten  August H. Hoffmann v. Fallersleben

Kirchenhistorisches  August H. Hoffmann v. Fallersleben

Glosse  David Friedrich Strauß

Reformation  Emanuel Geibel

Reformation  Gottfried Keller

[Tritt ein für deines Herzens Meinung] Aus den Sprüchen Nr.7  Theodor Fontane

Die deutsche Bibel  Conrad Ferdinand Meyer

Luther  Conrad Ferdinand Meyer

Lutherlied  Conrad Ferdinand Meyer

Lutherzelle auf der Wartburg  Gerhart Hauptmann

[Ob lutherischer oder päpstlicher Christ] Aus den Sprüchen Nr.1  Börries von Münchhausen

Was meinte Luther mit dem Apfelbaum?  Gottfried Benn

Luther  Ludwig Bäte

Kriegschoral  Rudolf Otto Wiemer

Anhänglichkeit  Heinz Erhardt

Die Wormser Nacht  Richard Willy Biesold

gerecht  Kurt Marti

Nach 500 Jahren  Erich Fried

Martin Luther  Inge Meidinger-Geise

Warumb  Eva Zeller

Was ich Luther sagen wollte  Eva Zeller

Luther und die Lutherin  Eva Zeller

Lutherischer Augenblick  Detlev Block

Tischrede  Kurt Hutterli

Martins Let It Be  Wilhelm Bartsch

Luther im Gedicht. Zur Einführung

Johannes Block

Der Ruf und Schall der »wittenbergischen Nachtigall« blieb nicht ohne Resonanz und Widerhall. Die Wirkungsgeschichte Martin Luthers, der Initialfigur der Reformationsbewegung, ist gewaltig. Bereits zu Luthers Lebzeiten finden dessen Thesen, Vorlesungen, Schriften, Predigten, Briefe, Bibelübersetzungen und Tischreden ein breites Echo. Luther verfasst zahlreiche Bücher, die in hohen Auflagen gedruckt werden. Luther ist in aller Munde – in deutschen Landen und darüber hinaus. Nie zuvor und nie danach hat ein deutscher Universitätsprofessor, der Luther zeitlebens blieb, eine derartige Wirkungsgeschichte ausgelöst, die gleichermaßen auf Politik und Kirche, auf Freiheitskampf und Gewissensbildung, auf Sprache und Volksbildung, auf Nationalgefühl und Konfessionsidentität Einfluss genommen hat.

Zu den Momenten einer Wirkungsgeschichte enormen Ausmaßes gehört, dass sich überzeugte Anhänger wie radikale Gegner finden. Luther polarisiert. Die Äußerungen über seine Person und sein Werk sind Legion.1 Sie enthalten Belobigung und Verteufelung, Heroisierung und Ächtung, Bewunderung und Befremden. Zuweilen reiben sich Bewunderung und Befremden wie zwei Seelen in einer Brust. Eine klassisch gewordene Äußerung findet sich bei Thomas Mann:

Martin Luther […] ich liebe ihn nicht, das gestehe ich ganz offen. Das Deutsche in Reinkultur, das Separatistisch-Antirömische, Anti-Europäische befremdet und ängstigt mich, auch wenn es als evangelische Freiheit und geistige Emanzipation erscheint, und das spezifisch Lutherische, das Cholerisch-Grobianische, das Schimpfen, Speien und Wüten, das fürchterlich Robuste, verbunden mit zarter Gemütstiefe und dem massivsten Aberglauben an Dämonen, Incubi und Kielkröpfe, erregt meine instinktive Abneigung. Ich hätte nicht Luthers Tischgast sein mögen, ich hätte mich wahrscheinlich bei ihm wie im trauten Heim eines Ogers gefühlt und bin überzeugt, daß ich mit LeoX., Giovanni de Medici, dem freundlichen Humanisten, den Luther ›des Teufels Sau, der Babst‹ nannte, viel besser ausgekommen wäre. […]

Nichts gegen die Größe Luthers! Er hat nicht nur durch seine gewaltige Bibelübersetzung die deutsche Sprache erst recht geschaffen, die Goethe und Nietzsche dann zur Vollendung führten, er hat auch durch die Sprengung der scholastischen Fesseln und die Erneuerung des Gewissens der Freiheit der Forschung, der Kritik, der philosophischen Spekulation gewaltigen Vorschub geleistet. Indem er die Unmittelbarkeit des Verhältnisses des Menschen zu seinem Gott herstellt, hat er die europäische Demokratie befördert, denn ›Jedermann sein eigener Priester‹, das ist Demokratie.2

Dass sich im Blick auf Luther Bewunderung und Befremden kreuzen, zieht sich bis in Äußerungen aus jüngerer Zeit hinein. Wilhelm Bartsch, der als ein zeitgenössischer Autor in diesem Band vertreten ist, zeigt sich hin- und hergerissen zwischen dem erstaunlich altertümlichen und dem anregend marktkritischen Luther:

Luther war ein Mann mit vielen Ecken und Kanten. Luther war äußerst schwach im Rechnen. Kopernikus hielt er für einen Dummkopf, der nicht richtig in den Himmel gucken konnte, und die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus war für Luther ein unwichtiges Randereignis. Luther glaubte an Gespenster und Teufel, an Elfen, Kobolde und Hexen. Er warf mit Tintenfässern nach ihnen und prahlte nicht, wenn er sagte: »Wenn so viele Teufel zu Worms wären wie Ziegel auf den Dächern, wollte ich doch hinein!«

Dennoch war Luther kein Narr und liebte ausdrücklich »Wein, Weib und Gesang«. Selbst der »Weihnachtsbaum« wird ihm manchmal zugeschrieben. Aber vor allem hatte er als ein Bauern- und Bergmannssohn aus dem Mansfeld sein Gerechtigkeitsgefühl. Doch empörte er sich erst, wenn es nicht mehr anders ging. Und natürlich konnte Luther auch nicht in die Zukunft schauen. Luther wusste oft auch nicht, ob sein Handeln wirklich richtig war. Doch er handelte. Aber ein Händler war er gar nicht. ICH BIN SO FREI, rief Luther im »Großen Sermon vom Wucher« 1524: »Wie kann es nach göttlichem und menschlichem Recht so zugehen, dass jemand in so kurzer Zeit so reich wird, dass er Könige und Kaiser auskaufen kann?«

Vielleicht war es zuerst Luther, der sich empört hat, dass man für Geld alles, bis hin zu einem reinen Gewissen, kaufen zu können glaubte! Anlass zu Luthers Thesen und zur Reformation war ja, dass der Papst den Vatikan neu und prächtig, wie er heute noch steht, erbauen wollte und dazu der deutsche Kardinal in Halle so süchtig nach den kostbarsten Reliquien war! Beide brauchten also Unsummen, die sie auch durch Ablasshandel eintreiben wollten. Ein Mörder konnte zum Beispiel einen entsprechend teuren Ablassbrief kaufen, der ihn vom Mord freisprach. Es gab Ablassbriefe für noch nicht begangene Sünden, selbst für Sünden der Kinder und Kindeskinder! Luthers brennende Aktualität besteht vor allem darin, dass er mit seinem Wort, mit seiner Tat zeigte, dass – DA FREI ICH BIN – nicht alles käuflich ist! Und schon gar nicht Würde, Freiheit und wahres Glück! Luther war anscheinend einer der besten Katholiken aller Zeiten! Er war so großartig alltäglich und wichtig auf unserer Erde, dass ihn der Papst wohl erst in etwa dreihundert Jahren heilig sprechen könnte!3

Resonanz und Widerhall hat die »wittenbergische Nachtigall« auch in der Poesie gefunden. Das in diesem Band aufgenommene Spruchgedicht von Hans Sachs zeigt, dass Luthers Weg und Werk von früh auf zum Stoff der Poesie geworden ist. Das Ausmaß der poetischen Produktion ist unübersehbar:

Ungezählt sind Produkte der Literatur, die Romane, Novellen, Epen, Gedichte, Dramen und Filme, deren Gegenstand Luther ist. Daß keines mehr als ephemere Bedeutung hat, von der literarischen Qualität ganz zu schweigen, folgt aus einem Doppelten: Entweder handelt es sich um Tendenzliteratur […] Oder es handelt sich um das Herausgreifen einzelner Züge, die notwendig zu einer Verflachung des Lutherbildes führen.4

Die vorliegende Auswahl konzentriert sich in einem repräsentativen Gang durch die Jahrhunderte auf namhafte Autoren und ist an einer profilierten Aussage interessiert, die über die Tradition des konfessionell und national überhöhten Pathos hinausgeht.5 Hagiographische Züge finden sich freilich auch in einigen Gedichten dieses Bandes, was unvermeidlich zur Typik einer jeweiligen Epoche gehört. Neben die Darstellung und Glorifizierung eines Vorbildes, das allgemeinbildend auf poetischem Weg vergegenwärtigt wird, treten zunehmend Distanz und Kritik. Auf die Stiftung und Etablierung des Lutherstoffs folgt die kritische Inspektion einer deutschen Jahrhundertfigur. Die zweifache Reaktion von Bewunderung und Befremden durchzieht auch das Lutherbild in der Poesie. Die Texte von Rudolf Otto Wiemer, Kurt Marti, Erich Fried oder Kurt Hutterli stiften ein kritisches Gedächtnis. Bei Johann Wolfgang von Goethe, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Emanuel Geibel oder Gottfried Keller ergeben sich von Luther aus Impulse für ein erneuertes Aufleben der Kirche. Im Blick auf das 500-jährige Reformationsjubiläum bedarf es weiterer Gedichte, die auf neue Wege führen und etwa Luther als internationale und überkonfessionelle Figur entdecken und entgrenzen. Auch Luthers Polemik wider die Altgläubigen, wider die Juden oder im Bauernkrieg ließe sich poetisch verarbeiten. Dann träte das Menschenmaß einer Jahrhundertfigur in all ihrer Begrenztheit vor Augen. Das Aufleuchten einer begrenzten Humanitas wäre in einer Epoche entlastend, in der der Mensch auf der atemlosen Suche nach Lebensfülle und Perfektion scheinbar von keinem Maß und keiner Grenze weiß. Das Menschenmaß in all seiner Begrenztheit würde den Lutherstoff, der größtenteils im poetischen Gloria lebt, durch ein poetisches Kyrie weiten.