Die Wundertüte einer Kindheit - Cordula Herold - E-Book

Die Wundertüte einer Kindheit E-Book

Cordula Herold

4,8

Beschreibung

Von Seelenzöpfen und Groschentüten Kindheit in den 50er Jahren, manchmal witzig, manchmal lehrreich, manchmal nachdenklich. Die Geschichten von und über Monika Blume, mit lyrischen Texten erweitert, sind Märchenersatz. Diese Geschichten wiegten Kinder in den Schlaf und wenn die Erzählerin es einmal wagte, mit einem Märchenbuch unter dem Arm das Kinderzimmer zur Gute-Nacht-Geschichten-Stunde zu betreten, so schallte ihr gleich entgegen: “Ach, erzähle uns doch lieber eine Geschichte von Monika Blume.“ Es bleibt nicht bei einer Geschichte, gut vierzig sind hier zusammen gekommen, sie erzählen von Groschentüten und Seelenzöpfen, vom Glanzbildertausch und vom Huckekasten. Erinnern Sie sich mit!

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Seitenzahl: 149

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Für

Alexander, Florian, Antje und Guntram.

Inhaltsübersicht

Widmung an Fabian

Zwei kleine Mädchen und ihre Welt

Das Taubenei

Die Seelenzöpfe

Der Sonntag Laetare

Die Nähmaschine

Die Küken

Maikäfer flieg

Der Schornsteinfeger

Die Groschentüte

Der Huckekasten

Das Kleeblatt

Der Bunzlauer Krug

Roter Mohn

Die erwachende Symphonie

Der Bär mit Nasenring und Kette

Der Sonnenthron

Traumveranda

Die Schachtel ohne Inhalt

Kacke, Pisse, Sch...

Herr über schwarze Panter

Monika Blumes Geburtstagsfeier

Hast du mir was mitgebracht?

Michaeli

Glanzbildertausch

Du Struhkupp

Der Lehrer

Die halbe Freundin

Frau Schlimme

Das erwürgte Lamm

Die Harmonika

Pfaffermannlas Weihnachtssorgen

Nachklang

Lieber Fabian,

du hast mich gebeten, meine alten Kindergeschichten einmal aufzuschreiben. Zuerst hielt ich es für zu belanglos. Dann fiel mir Dr. Koch ein, der seiner Frau Notizblock um Notizblock schenkte, damit sie aufschreibe, was sich jeden Tag an niedlichen, fröhlichen und witzigen Geschichten um ihre wachsende Kinderschar rankte. Nun, sie hat nie ein Wort niedergeschrieben. Damals war ich zwölf Jahre alt und half der armen Frau Koch, indem ich mit ihren Kindern spielte. In dieser Zeit saß sie selbst oft einfach nur so stumpf im Sessel und starrte vor sich hin.

Erst später konnte ich das verstehen, als ihr klein wart. Da war ich oft so erschöpft, dass ich dachte: „Immer hast du dir so sehr eine Familie mit Kindern gewünscht und jetzt musst du sicher sterben, bevor du deine Kinder hast großziehen können.“ So sind mir die unzähligen lustigen Geschichten um euch verflogen, ohne dass ich sie noch recht erhaschen kann. Vielleicht oder sicher werden sie wieder kommen, wenn es für mich gilt, eure Kinder damit zu wonnigen Träumen zu führen. Was sich mir aber unauslöschlich eingeprägt hat, das sind meine eigenen Kindheitsgeschichten. Als junge Mutter brachte ich es niemals fertig, euch zu belehren. Ich konnte es einfach nicht. Weil es aber so furchtbar modern war und überall mit wachsender Begeisterung betrieben wurde, dachte ich mir, du wirst nicht darum herum kommen, irgendwie deine Kinder für das Leben vorzubereiten. Und so erzählte ich euch die Geschichten, die mir meine Freundin Monika Blume während unserer gemeinsamen Kleinkinderzeit angetan hatte, denn ich war als kleines Mädchen ebenso wie Frau Koch. Ich saß scheinbar nur stumpf herum und doch saß ich auf meinem Himmelsthron und schaute den Engeln bei ihren Werken zu. Das hat aber niemand gewusst und so kam es, dass außer den Großeltern kein Mensch eine gute Meinung von mir hatte, nur Monika Blume. Sie hat sich an mir zu einem selbstbewussten properen Menschen entwickelt, der allen Situationen im Leben gewachsen ist. Nun, diese Geschichten, mit denen ich euch damals in den Schlaf wiegte, nanntest du, lieber Fabian „Monika-Blume-Geschichten“ und wenn ich dann einmal wagte, mit einem Märchenbuch unter dem Arm das Kinderzimmer zur Gute-Nacht-Geschichten-Stunde zu betreten, so riefst du mir gleich entgegen: “Ach Mama, erzähle uns doch lieber eine Geschichte von Monika Blume.“

So bildete ich mir damals ein, meine Erziehungsabsichten hätten fruchtbaren Boden gefunden und ihr würdet nun gefeit davor, dass euch jemals so dumme Missgeschicke passieren könnten, wie mir damals. Es musste sich aber das weise Wort auch an euch erfüllen, dass meine liebe Frau Starke, die mir die größte Lebenshilfe war, nachdem die Großeltern nicht mehr für mich sorgen konnten, in der Pubertätszeit zu mir sprach: „Jeder muss seine eigenen blöden Erfahrungen selbst durchleben.“ Und so konnte ich euch nur dies eine mitgeben, dass man über dumme Begebenheiten in späterer Zeit oft herzlich lachen kann, wenn man es nur fertig bringt, sich den Humor durch das ganze Leben kindlich lebendig zu erhalten. So rufe ich dir noch einmal als erwachsenem Manne zu, der mir als kleiner Junge so oft das Wort:“ Ulkig, ulkig, ulkig“, entgegen geschmettert hat, „lass den Menschen in dir nicht sterben!“

Zwei kleine Mädchen und ihre Welt

Zwei kleine Mädchen und ihre Welt

Zu Franzi und Monika wirst du gesellt

Die reichen dir freundschaftlich ihre Hand

Und nehmen dich gleich mit ins Traumkinderland

Und bist du auch ein kleiner Wicht

Sie ziehen dich mit

Darum zögere nicht

Fall ein in ihren Pferdchensprung

Fühlst du dich zu alt

Wirst du gleich wieder jung

Ist dir dein Leben auch mal ein Graus

Mit Franzi hältst du es wieder aus

Und Monika schenkt dir neuen Mut

Sie wird deine Freundin

Und alles ist gut

So blättre frisch weiter

Erringe den Kranz

Und wahre Freundschaft

Erfüllet dich ganz

Das Taubenei

Onkel Fritz, der nach dem Krieg seinen Bauernhof verloren hatte, machte seiner großen Liebe zu den Tieren auf dem Grundstück seines Häuschens so viel Platz, wie dieses nur irgendwie hergab. Dort, wo jetzt die Garage steht, stand einst sein Hühnerhaus. Es hatte ein nur wenig schräges Dach, das mit Teerpappe bedeckt war. Auf jeder Seite konnte sich ein Kind bequem längs ausstrecken und hatte noch genug Raum für mitgebrachtes Spielzeug.

Die erste Sonne des Jahres erwärmte das Dach so wohlig, kuschelig warm, dass wir uns auf ihm wie in einem Himmelsmärchenhaus vorkamen; überragt von dem Taubenhaus, das sich auf einem Pfahl daneben in die Höhe streckte. Monika Blume und ich hockten auf einer Seite des Daches, dicht an dicht. Ich fühlte mich so paradiesisch wohl neben meiner besten Freundin da oben auf dem warmen Hühnerhausdach. Damals hatten wir Mädchen nämlich noch keine Hosen an. Wir trugen Leibchen und kratzige wollene Strümpfe und man spürte doch oft die Kälte an den Oberschenkeln, besonders wenn die Strümpfe schon ein wenig kurz geworden waren.

Traum und Wirklichkeit flossen für mich ineinander in dieser Kinderwelt neben Monika Blume auf dem Hühnerhausdach. Für Monika Blume allerdings war das sture Dahocken viel zu langweilig. Sie hatte schon wieder etwas viel Interessanteres entdeckt. „Franzi“, brüllte sie mich aus meinen Träumen wach, „siehst du denn das Ei gar nicht?“ Ich schaute hinunter auf den von den Hühnern matschig gescharrten Platz vor dem Häuschen, auf dem kein Grashalm mehr wachsen konnte. Neben dem Teich, den Onkel Fritz für die Enten angelegt hatte, lag ein kleines Ei, kleiner als ein Hühnerei. Es war aus dem Taubenschlag in den Hühnerhof gefallen, aber auf dem Matsch weich aufgefangen worden und heil geblieben. Jetzt lächelte mich Monika an. – Wie liebte ich ihr weißblondes Engelshaar und ihre blauen Augen - „Franzi, was mag wohl in diesem Ei drin sein?“, seufzte Monika. Wir blickten nun beide auf das Ei hinab, unterbrochen von Seufzern, die ab und zu aus Monika herausstöhnten: „Was kann nur drin sein in dem Ei? Das möchte, möchte, möchte ich so gerne, wissen. - Wie gerne, gerne, gerne, möchte ich es wissen, was wohl in diesem Ei da drin ist? - Ganz unbedingt muss ich doch jetzt gleich wissen, was da drin ist in dem Ei?“

Unter Monikas sehnsuchtsvollem Gestöhne verfiel ich wieder in eigene Träume und träumte in wunderbarer Vielfältigkeit von all den herrlichen Dingen, von denen ich mir nun vorstellte, sie könnten sich doch wohl in dem Ei befinden. Jetzt rüttelte mich Monika unsanft wach. Ich war nicht so sicher auf den Beinen wie Monika, strauchelte und wäre fast vom Dach heruntergepurzelt, wenn sie mich nicht festgehalten hätte. Dieser Schreck verdrängte alle anderen Empfindungen in mir. Ich schaute meine Freundin an und sah schon diese Falten auf ihrer Stirn, die sie immer bekam, wenn ich nicht schnell genug ihren Gedankengängen folgen konnte. Als so kleines Mädchen konnte sie ihre glatte Stirn plötzlich verrunzeln, dass sich hässliche Vorwurfsfalten gegen mich bis um ihre Nase zogen. Und nun kam`s über mich, wovor ich mich immer so fürchtete. Die Falten des Zorns hatten einen Riegel vor Monikas Freundinnenblick geschoben. Ich hatte keinen Zugang mehr zu ihr, wenn ich ihrer Forderung, dem Freundschaftsbeweis, nicht nachkommen würde.

„Hol das Ei hoch, damit wir es genau ansehen können.“ Als sie den Satz das vierte Mal wiederholt hatte, war ich reif, ihr zu gehorchen. Ich tastete mit dem gesunden Bein nach der Hühnerleiter und kletterte in den Matsch. Mit langsamer, zitternder Hand griff ich vorsichtig nach dem Ei, spülte es im Ententümpel sauber und kletterte zu Monika zurück. Sie empfing das Ei voller Befriedigung. In der nun folgenden Ruhe versuchte ich mich zu erholen und mein pochendes Herz zu beruhigen. Da drangen wieder neue Sätze in mein Inneres, die mich langsam erstarren ließen. „Franzi, zerbrich das Ei, damit wir endlich sehen können, was drin ist. – Franzi, schlag das Ei auf! – Du musst das Ei aufmachen, sonst bist du nicht mehr meine beste Freundin!“ Mehr konnte meine geplagte Seele nicht ertragen und das für mich so kostbare Geschenk, ihre beste Freundin sein zu dürfen, konnte und wollte ich mir nicht wieder nehmen lassen. Ich schlug das Ei an der Dachkante auf und blitzschnell musste ich in beiden Händen auffangen, was drin war. Schleimig, klebrig, durchsichtig ergoss sich das Eiweiß in meinen Schoß und schmierte meine Kleidung voll. Nur das kleine Eigelb blieb wie eine kleine erloschene Sonne in meiner Hände Schale zurück. Die Profanität dieses Ergebnisses riss mich aus allen Himmeln auf die Erde zurück, denn ich hörte die Gartenpforte schlagen. Meine Mutter kam gerade von der Arbeit zum Mittagessen herein. Schon sprang Monika Blume in die Höhe. Schon sprang sie von Dach herunter. Schon rannte sie meiner Mutter entgegen. Die ganze Zeit ihr Gebrüll ertönen lassend: „Frau Schwarz, Frau Schwarz, die Franzi hat was Böses getan. Die Franzi hat was Schlimmes gemacht! Die Franzi hat ein Ei zerschlagen!“ Mit meiner Mutter an der Hand kam Monika Blume zu mir zurück. Ich konnte mich nicht bewegen mit dem an mir triefenden Eiklar und dem Eigelb in den Händen. Meine Mutter störte das nicht. Sie riss mich vom Dach herunter, riss mir das zu kurze Mäntelchen hoch und schlug mich sehr feste und sehr oft auf den Po und die freien Stellen, die von Unterhose und Strümpfen nicht bedeckt werden konnten. Ich gab keinen Ton von mir, aber ich fühlte mich unendlich verraten.

Meine Liebe zu meiner besten Freundin Monika Blume gab ich deswegen nicht auf. Ich blieb ihre beste Freundin in Ewigkeit und kein Menschenhass konnte mich von dieser Empfindung abbringen. Als meine Mutter zu Mittag gegessen hatte, erklärte sie mir, bevor sie wieder zur Arbeit ging, dass man dem armen Onkel Fritz, der eine für ihn so wichtige Taubenzucht beginnen wollte, kein Ei zerbrechen dürfe, weil doch daraus ein Taubenküken ausgebrütet werden sollte. Am Nachmittag ging ich zu meinem Onkel Fritz, um mich zu entschuldigen. Er sagte, das Ei sei schon zu kalt geworden und hätte deswegen niemals mehr ausgebrütet werden können.

Das Taubenei

Was ist wohl drin?

Mein Fragen war –

So dringlich und geheim.

Was ist wohl drin -

Im Taubenei?

Was kann darin wohl sein?

Was ist wohl drin -

Im Taubenei?

Die Frage mich bewegt.

So wichtig ist mir dieses Ei,

Als hätt’ ich’s selbst gelegt.

So sag mir doch mein Taubenei –

Du liebes Taubenei –

So sag mir doch, was in dir ist –

Sonst brech’ ich dich entzwei!

Die Seelenzöpfe

Monika Blume konnte sich allein anziehen und kämmen, ehe sie über die Straße rannte, um mit mir zu spielen. Meistens legte meine Großmutter den Zeigefinger auf den Mund, wenn Monika zu ihr in die Küche stürmte. „Franzi schläft noch!“ Monika hielt inne und seufzte, hatte aber gleich einen passenden Einfall. „Soll ich mal die Tür knallen?“ Auf Zehenspitzen schlich Großmutter mit Monika an der Hand über den Flur in Mamas Zimmer. „Wir wollen mal leise nachschauen.“ Erwachend blinzelte ich meiner lieben Freundin durch die Stäbe des Gitterbettes entgegen. „Na, bist du endlich ausgebacken?“, rief Monika froh. „Hier kommt deine Goldmarie und zieht dich heraus.“ Schwupp kletterte sie zu mir ins Bett und zog mich schnell an beiden Armen hoch. Anziehen und Kämmen dauerte bei mir länger. Während Großmutter einen Zopf flocht, versuchte sich Monika an dem anderen.

„Ich wünsche mir eine Stehpuppe mit Schlafaugen und Zöpfen“, sagte sie zur Großmutter. „Hast du schon gefrühstückt?“, fragte Großmutter zurück. „Nein, ich bin gleich zu euch rübergelaufen“, entgegnete sie kopfschüttelnd.

Monika Blume und ich setzten uns nun aufs Kanapee in der Küche und Großmutter begann den Haferbrei für uns zu kochen. Sie nahm ihr Litermaß, ließ einen halben Liter Wasser hineinlaufen und schüttete ihn in den Milchtopf. Aus der Tüte gab sie zwei Hände von Haferflocken in den Topf, würzte mit einem Teelöffel Salz und zwei Esslöffeln Zucker, rührte um und brachte alles zum Kochen. Mit einem Schuss Dosenmilch verfeinerte sie den Haferbrei und ließ ihn zwei Minuten durchziehen, bevor sie unsere himmlische Mahlzeit auf zwei Teller verteilte. „Mmmh!“, nie hat mich etwas besser gesättigt und tagestauglicher gemacht. Monika Blume und ich hatten unsererseits Mecki und den Bären mit Nasenring und Kette eingeladen und vor uns auf den Küchentisch gesetzt. Wir führten unsere Löffel zuerst an ihre Schnäuzchen, aßen dann aber ganz schnell selber auf, um nicht zu merken, dass die beiden nichts genommen hatten. Wir rieben uns die Bäuche und schüttelten unsere Köpfe. „Pass auf, dass du keinen Zopf in den Brei tunkst!“, sagte Großmutter. Monika Blume legte mir die Zöpfe liebevoll auf den Rücken.

Nach dem Frühstück nahm Großmutter meine alte Babydecke und ging mit uns in den Keller, Sandeimer, Schaufeln, Sieb und Förmchen holen. Im Sandkasten legte sie uns die Decke unter den Po, weil es noch recht frisch war. Wir fingen eifrig an, unsere Brote und Kuchen zu backen, die wir auf den Brettern der Sandkasteneinfassung aufreihten. Wir siebten fleißig Mehl und Puderzucker und dekorierten unsere Torten mit Gänseblümchenköpfen.

Großvater kam uns besuchen und half uns, eine riesige Burg aufzuschaufeln, die wir ordentlich festklopften. Der Höhepunkt für uns war immer das Graben eines Tunnels unter der Burg hindurch und das Aufjauchzen, wenn sich unsere Hände endlich trafen und wir uns gegenseitig etwas durch den Tunnel hindurchschieben konnten. Manchmal legten wir auch einen Burggraben an, den wir voll Wasser gossen. Wie unvergessen herrlich ist unsere kleine Welt, die wir uns in der Sandkiste schufen. Beim Anblick unserer stolzen Burg dachte ich an meine Muschelsammlung. In Erinnerung an die Ferientage am Meer wurde ich so froh, dass ich Monika Blume fragte, ob wir unsere Burg noch mit Muscheln schmücken wollten. Das gefiel ihr sehr gut und wir klopften uns gegenseitig noch den Sand ab, bevor wir ins Haus gingen. Ich holte die Dose mit den Muscheln unter meinen Kinderecktisch hervor. Es ist der gleiche Tisch gewesen, an dem auch du, lieber Fabian, mit deinen Geschwistern gespielt hast und der sich für euch in die prächtigsten Geburtstagstische verwandelt hat. Er steht heute noch bei uns in der Stubenecke und hat also alle meine Umzüge und Lebensabschnitte überdauert. Mit ihm bin ich alt geworden, obwohl er das schon vorher war. Meine Mutter bekam ihn für mich als ausrangierten Schultisch geschenkt, weil sie selber gar nichts hatte.

Monika Blume und ich saßen auf den Dielen vor dem Ecktischchen und ich öffnete viel versprechend die Muscheldose. Monika freute sich genauso beim Anblick der Muscheln wie ich. Sie meinte, dass die zartrosa und die zartgelben Muscheln zu fein für den Sand seien. So sortierten wir sie aus und füllten unseren Eimer mit den großen weißen Herzmuscheln und den schwarzen Miesmuscheln. Während wir die Muscheln betrachteten und aussortierten, es waren auch zwei getrocknete Seesterne und ein Seepferdchen darunter, baumelten meine Zöpfe wieder nach vorn. Monika Blume sah von den Muscheln auf und nahm meine Zopfenden in ihre Hände. Mit einem verklärten Blick sah sie mir in die Augen, was bei ihr ganz ungewöhnlich war, da sie im Allgemeinen ständig blinzelte oder ihr Gesicht verzog. Voll Freundinnenliebe sah ich in ihre himmelblauen Augen. Ich hatte es also doch immer richtig erkannt. Meine Freundin Monika Blume war so schön wie ein Engel, wenn sie mit ihrem ganzen Wesen einmal wirklich zur Ruhe kam. Ihr kurzes dünnes Haar stand nicht mehr stumpf und verfilzt vom Kopf ab, sondern glänzte wie pures Gold und in ihren Augen lag der ganze Sternenhimmel drin. „Wenn ich nur deine Zöpfe hätte!“, seufzte Monika Blume hingebungsvoll. Bis dahin hatte ich gar nicht gewusst, dass an mir etwas war, dass Monika Blume beneidenswert erschien, denn sie war doch immer viel geschickter, klüger und schneller als ich und suchte sich das selbst auch allenthalben zu beweisen. Aber jetzt hatten meine Zöpfe es fertig gebracht, sie in diesen wunderschönen Zustand der Andacht zu versetzen und damit dem Sauseschritt der Zeit ein Stück Ewigkeit abzuringen.

Verweile doch oh Augenblick, du bist so schön

Liebes Kind, du musst wissen, dass du dir die Fähigkeit alle deine Sinnesempfindungen zu beseelen mit auf die Erde gebracht hast. Wenn du erwachsen sein wirst, wird das Leben, das du als kleines Kind in die Dinge hineingelegt hast, dir wieder aus ihnen entgegen leuchten und du wirst immer ein Heilmittel gegen Traurigkeit und Einsamkeit haben. Das Heilmittel der Andacht vor der Natur, der Ruhe in Dir selbst und der Geduld mit den Menschen. So wirst du ein Friedebringer für die Welt.

Der Sonntag Laetare

„Daheme“, so wurde das Zuhause genannt, von wo die Großeltern, meine Mama, Onkel Fritz, Tante Edith und die anderen Geschwister herkamen. Zu den „Hiesigen“ gehörte zum Beispiel Monika Blume. Während ich noch gut und gerne bis zum Schuleintritt schlesisch sprach, sprach sie hiesig. Wir verstanden uns aber trotzdem. Die ersten amerikanischen Wörter, die in Umlauf kamen, sprach jedoch nur ich richtig aus, während Monika Blume sie so sprach, wie sie geschrieben wurden. Der Schlesier schämte sich nämlich seines Dialekts in der Öffentlichkeit und passte sich dort mit seiner Aussprache vortrefflich an.