Diese Welt hat keinen Platz für mich - Marina - E-Book

Diese Welt hat keinen Platz für mich E-Book

Marina

4,7

Beschreibung

Die hochbegabte Marina wird in der Schule gemobbt. Sie wird depressiv. Ein von ihr freiwillig gewählter Aufenthalt in einer offenen psychiatrischen Station für Kinder und Jugend­liche soll ihr helfen, wieder gesund zu werden. Doch was so hoffnungsvoll beginnt, wird zum Albtraum für sie und ihre Eltern. Eine wahre Geschichte und ein aufrüttelndes, berührendes Plädoyer für eine verantwortungs­volle, individuelle, einfach bessere psychia­trische Behandlung.

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Marina

Diese Welt hatkeinen Platzfür mich

Wie ein Mädchen in der Psychiatrie zerbricht

Aus datenschutzrechtlichen Gründen werden im Buch keine Namen und keine Orte genannt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2014 by edition fischer GmbH

Orber Str. 30, D-60386 Frankfurt/Main

Alle Rechte vorbehalten

Schriftart: Times 11 pt

Herstellung: ef/bf

ISBN 978-3-89950-832-1 EPUB

Gewidmet allen Menschen,die durch Mobbing, Ausgrenzungoder psychiatrische Behandlungmenschenunwürdige Erfahrungengemacht haben.

INHALT

Vorwort

Prolog

Meine Geschichte

Marinas Gedichte

Erfahrungsbericht der Mutter

VORWORT

Unsere Tochter hat in den letzten Wochen ihres Lebens ihre Geschichte geschrieben. Wir fanden den Text nach ihrem Tod, gespeichert in ihrem Computer. Es ist die Ursachenbeschreibung und Schilderung des Weges in ein tiefes Leid, dem sie letztlich nur durch den Tod entkommen konnte.

Sie erwähnt in ihrer Geschichte nicht mehr die guten Seiten ihres Lebens, nicht die Freunde, nicht ihre vielen Hobbys, nicht ihre zahlreichen Stärken. Sie schreibt nicht über ihre guten Erlebnisse, nicht über ihre frühere große Lebenslust, nicht über ihre ehemalige intensive Lebensfreude und ihren guten Charakter. Sie berichtet nicht darüber, dass sie einmal körperlich gesund war, gut aussehend, ein herzensguter Mensch, kreativ, hochsensibel, hochbegabt und voller Potenzial.

Sie berichtet über ihr Innenleben.

Wir haben einen Prolog vorangestellt, damit auch ihr Außenleben einen Platz erhält. Nach Marinas Geschichte folgt ein Kapitel mit ihren Gedichten, danach der Erfahrungsbericht der Mutter.

Unsere Tochter wurde nur etwas über 16 Jahre alt.

Wir möchten an dieser Stelle allen danken, die uns seit dem Tod unserer Tochter zur Seite stehen und uns helfen.

In unendlicher Trauer

ihre Eltern

PROLOG

Marinas Weg beginnt an einem Sonntag im April 1996, drei Wochen früher als vorausberechnet.

Zu diesem Zeitpunkt hat sie außer ihren Eltern zwei Großväter, eine Großmutter, drei Tanten, einen Onkel, zwei Cousinen und drei Cousins sowie viele weitere entfernte Verwandte.

Sie entwickelt sich rasch. Mit elf Monaten beginnt sie zu laufen. Mit 18 Monaten spricht sie ihre ersten Wörter und mit zwei Jahren Fünf-Wort-Sätze. Im Kindergarten löst sie Puzzles, die für ihre älteren Kameraden gedacht waren. Sie kann es kaum erwarten, in die Schule zu gehen. Sie ist dann enttäuscht über das langsame Lerntempo. Um die Langeweile auszugleichen, besucht sie die Musikschule, in der sie Klavier spielen lernt, und die Schule der Fantasie, in der sie malt und bastelt. Nachmittags spielt sie altersgerechte Spiele am Computer. Marina beginnt in der zweiten Klasse mit Freude, Bücher zu lesen. Das wird für sie ein wichtiger, schöner und dauerhafter Zeitvertreib. Zu jeder Zeit hat sie Freunde und Freundinnen, mit denen sie spielt und Spaß hat.

Die Vorfreude auf das Gymnasium ist groß. Auch hier fühlt sie sich aber nach kurzer Zeit unterfordert. Als zusätzliches Hobby wählt sie das Hallenklettern und nimmt an der Theaterspielgruppe teil. Sie liest sehr viele Bücher, was dazu führt, dass sie in eine andere Stadtbibliothek wechseln muss, um weiterhin Lesestoff zu erhalten. Am Computer spielt sie nun anspruchsvollere Simulationen und Strategiespiele.

Ihre Freundinnen aus der vierten Klasse wählen einen anderen Zweig oder ziehen weg. Ihre Freundin aus der fünften und sechsten Klasse schafft den Übertritt in das nächste Jahr nicht, so dass sie ab der siebten Klasse keine Freundin mehr in ihrer Klasse hat. Sie verbringt die Schulpausen mit Freundinnen aus der Parallelklasse.

In den Ferien der sechsten Klasse lernt sie im Englisch-Camp ein Mädchen kennen, mit dem sie sich eng anfreundet. Marina trifft sich jedes Wochenende mit ihr und telefoniert unter der Woche fast täglich meist stundenlang mit ihr.

Nachmittags und am Wochenende nutzt sie ihre tägliche Internetzeit, um mit ihrer Freundin an einem Online-Rollenspiel teilzunehmen.

In der siebten Klasse gerät Marina durch andauernde Ausgrenzung immer mehr ins Abseits, worüber sie sehr unglücklich ist und oft weint.

Es wird mit der Schule gesprochen, ob sie eine Klasse überspringen kann, weil sie sich unterfordert fühlt und in der Klasse ausgegrenzt wird. Das wird abgewehrt mit dem Hinweis, dass die Hochbegabung alleine nicht ausreiche und sie mehr Zweier als Einser habe. Ein Wechsel in die Parallelklasse, in der ihre Freundinnen sind, ist aufgrund der Sprachenfolge nicht möglich. Die parallel stattfindende Suche nach einem freien Platz in einer Hochbegabten-Klasse scheitert ebenfalls an der Sprachenfolge, so dass sie sich in Absprache mit ihren Eltern entschließt, in der Klasse zu bleiben. Sie hofft auf bessere Akzeptanz in der Klasse im nächsten Jahr.

Das achte Schuljahr verläuft unauffällig, aber sie wird weiterhin ausgegrenzt. Im Sportunterricht will niemand mit ihr in eine Gruppe, im Segellager ist sie mit den Freundinnen aus der Parallelklasse in einem Zimmer. Mitte der achten Klasse bewirbt sie sich für einen Schüleraustausch nach Frankreich. Die letzten zwei Monate des Schuljahres kommt die Austauschschülerin nach Deutschland und nimmt am Unterricht in Marinas Klasse teil. Mit der Austauschschülerin versteht sie sich sehr gut. In den Sommerferien besucht sie, wie zwei Jahre zuvor, mit Freundinnen eine Spielstadt. Das ist ein modellhaftes Abbild einer wirklichen Stadt, in der die Jugendlichen studieren, arbeiten und Geld verdienen.

Zu Beginn der neunten Klasse ist sie zwei Monate in Frankreich bei ihrer Austauschschülerin, die selbst die zehnte Klasse besucht. Sie wird von der Gastfamilie und deren Freundeskreis sehr gut aufgenommen. Marina kommt selbstbewusst und gereift aus Frankreich zurück.

Den versäumten Stoff lernt sie schnell nach. Von Anfang an hat sie nur sehr gute bis gute Noten. Parallel beschäftigt sie sich mit den Aufgaben des Bundeswettbewerbs für Mathematik. Sie liest nun mit Vorliebe Bücher mit logischen und mathematischen Rätseln. In der Klasse wird sie weiterhin ausgegrenzt. Es gelingt ihr nicht, in die Klassengemeinschaft zu kommen. Die große Wertschätzung und Anerkennung der Lehrer ist dabei eher hinderlich.

In den Weihnachtsferien berichtet Marina, dass sie sich schlecht fühle und nicht verstehe, warum. Auf Nachfrage meint sie, sie könne sich nicht vorstellen, dass es am Mobbing in der Klasse liege. Sie klagt nun häufig über starke Kopfschmerzen.

Zum Jahresbeginn wird sie zusehends energieloser. Sie geht zwar zur Schule und liest nachmittags, aber ihr Antrieb ist gedämpft. In einem umfangreichen medizinischen Check wird eine organische Erkrankung ausgeschlossen. Es wird eine leichte Depression diagnostiziert. Der Schulbesuch fällt ihr zunehmend schwerer und sie klagt nun morgens über Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit.

Vor den Osterferien wird sie krankgeschrieben. In dieser Zeit wird klar, dass sie die Schule wechseln möchte. Die Anmeldung in eine Hochbegabtenklasse an einer außerhalb der Stadt gelegenen Schule gibt ihr neuen Lebensmut.

Zu dieser Zeit beginnt sie eine ambulante Therapie bei einer Kinder- und Jugendtherapeutin. Nach drei Wochen ohne wesentliche Besserung ihres inneren Zustands wird sie ungeduldig und ist vom Gedanken der Therapeutin, sich Hilfe in einer therapeutischen Klinik zu suchen, begeistert. Die Bedenken der Eltern überwindet sie mit der Argumentation, dass in einer Klinik durch den intensiven Kontakt mit den Jugendlichen, die Gruppentherapien und eine 24-Stunden-Betreuung alles schneller verlaufen und sie schneller gesund werden würde. Marina will zu Beginn des neuen Schuljahres wieder gesund sein.

Die Suche nach einem Klinikplatz ist schwierig. Wartezeiten von mehreren Monaten werden von allen Kliniken angekündigt, was zu erneuter Frustration führt. Umso überraschender ist es, dass eine psychiatrische Klinik nach ca. drei Wochen kurzfristig einen Platz anbietet.

Den Tag vor ihrem Klinikaufenthalt verbringt sie mit ihrer Freundin in einem Klettergarten. Im Juni 2011 geht Marina im Alter von 15 Jahren voller Erwartung und Hoffnung auf Heilung in die offene psychiatrische Station. Entgegen ihrer Erwartung erfolgt keine Psychotherapie. Die Beschäftigungstherapien helfen nicht. Die Depression verschlimmert sich.

Als sie am Ende der vorgesehenen Zeit in der offenen Klinik Suizidgedanken äußert, wird sie Mitte August 2011 in die geschlossene Abteilung verlegt. Hier soll sie stabilisiert werden. Aber Marinas Zustand verschlimmert sich Woche um Woche, Monat um Monat.

Der Wunsch der Eltern, Marina auf der geschlossenen Station Unterstützung durch einen Psychologen zu geben, wird von den Ärzten stets abgelehnt, vielmehr erfolgt Isolierung und Druck.

Als sie schließlich die Nahrungsaufnahme und künstliche Ernährung verweigert, wird sie fixiert, das heißt auf einem Rollbett an Armen, Beinen und Bauch festgebunden.

Marina wird nicht nur während der Zwangsernährung, sondern drei Tage lang dauerfixiert.

Laut Klinikberichten weint sie während dieser Zeit viel. Danach folgen vier Tage komplette Isolation. Besuche der Eltern werden während dieser sieben Tage nicht erlaubt. Es erfolgt in dieser Zeit keine psychologische Betreuung und sie erhält keinen seelischen Beistand.

Nach dieser Tortur verspricht sie, sich nicht mehr selbst töten zu wollen, ist bereit, alles zu tun und bettelt darum, aus der Klinik entlassen zu werden.

Während ihrer Klinikaufenthalte bekommt sie sieben verschiedene Psychopharmaka, von denen nur eines für Jugendliche zugelassen ist.

Nach ihrer Entlassung Anfang April 2012 ist sie nicht mehr der Mensch, der sie einmal war. Marina hatte Hilfe und Heilung gesucht, doch es endet damit, dass sie vollkommen zerbrochen ist.

Es geht ihr unfassbar schlechter als zu Beginn des Klinikaufenthaltes. Ihre Lebenslust und Energie sind erloschen. Sie sagt, man habe ihr ihre Menschenwürde genommen.

Sie berichtet von einem permanenten inneren, unerträglichen Schmerz, der nun ihr Erleben bestimmt, dessen Unterdrückung fast ihre ganze Kraft beansprucht.

Die nachfolgenden ambulanten Hilfen und Therapien ermöglichen es ihr, einen Teil ihres Selbstbewusstseins zurückzugewinnen und wieder eine begrenzte Freude am Leben zu empfinden. Es gelingt ihr, Kontakt zu anderen aufzunehmen. Sie versucht, zu gesunden und träumt davon, ein normales, schönes Leben führen zu können.

Leider verliert sie in den letzten Wochen ihres Lebens die Hoffnung, dass ihr geholfen werden kann. Und damit stirbt die Hoffnung auf ein erfülltes Leben, auf ein Leben ohne Schmerz.

Sie dokumentiert ihre Leidensgeschichte, die wir nach ihrem Tod in ihrem Computer gefunden haben.

Einer Freundin schreibt sie:

»Kann man diesen Schaden jemals wieder heilen? Ich glaube nicht, dass das möglich ist. Das ist eigentlich traurig für mich, denn eine Sache ist mir klar geworden: ich will mein Bewusstsein nicht auslöschen. Ich mache mir keine Vorwürfe, ich hasse mich nicht, nein ich mag mich eigentlich und ich finde, dass ich meinen Traum verdient hätte …«

Einem Freund schreibt sie am 10. August 2012: »… Ich kann nicht mehr … Meine Zeit geht zu Ende … Ich habe gut geplant … Ich weiß, was ich tue … Ich habe kein schlechtes Gewissen, weil ich aufgebe …«

Marina beendet ihr Leben am 17. August 2012 im Alter von 16 Jahren, um sich von ihrem Leid zu erlösen.

Manche Menschen glauben, dass man an einemabsoluten Tiefpunkt im Leben angelangt ist, wennman sterben möchte. Aber das stimmt nicht.Man kann tiefer fallen. Viel, viel tiefer.

(Aus Marinas Aufzeichnungen)

MEINE GESCHICHTE

(Geschrieben von Marina in der Zeit von Mitte Juli bis Mitte August 2012. Dieser Text wurde nicht bearbeitet, um seine Authentizität nicht zu verletzen.)

Das hier ist meine persönliche Lebensgeschichte. Sie beginnt, als ich ein kleines Kind war. Damals war die Welt für mich noch in Ordnung.

Natürlich hatte ich auch schon schlechte Erfahrungen gemacht, an die ich mich allerdings nicht mehr erinnern kann und die, denke ich, auch keine große Rolle spielen, da mein damaliges Verhalten nicht darauf hinweist, dass es mich belastet hat und ich glaube, dass das emotionale Gedächtnis kleiner Kinder nicht so gut ist, wenn auf negative Erfahrungen ausgleichende positive (auf ähnliche Situationen bezogene) Erfahrungen folgen.

Auch damals schien mir und anderen schon aufgefallen zu sein, dass ich irgendwie anders war als die meisten Kinder, aber es hat sich nicht einschneidend auf mein Leben ausgewirkt.

Mit der Einschulung hat sich das geändert. Ich kann mich daran zwar kaum bzw. überhaupt fast nur indirekt (weil ich noch weiß, wie es später in meinen Erinnerungen war) erinnern, aber ich glaube, dass ich in der Schule (nachdem die Kontakte, die ich ganz am Anfang z. B. von vor der Schulzeit noch gehabt hatte, auseinandergegangen waren) dieses »anders sein« zum ersten Mal als stark negativ erlebt habe.

Anders sein, alleine sein, unverstanden sein. Diese Dinge müssen eine große Rolle gespielt haben. Ich bin still geworden, nachdenklich, in einem Alter, in dem man sich normalerweise sofort langweilt, wenn man nichts zu tun hat.

Ich war irgendwie verletzlich, habe oft geweint und konnte oft kaum mehr aufhören, wenn es mal angefangen hatte.

Als ich etwas älter geworden bin, hat sich die Situation etwas verändert. Ich habe irgendwie doch ein paar Freunde gefunden und wollte mich ändern, meine Schwäche hinter mir lassen, stark sein, mich durchsetzen und in der Umsetzung war ich eigentlich auch ganz gut. Klar, war es wohl nur mein Weg, die Dinge mit denen ich nicht klar kam, unten zu halten und auch wenn ich nach außen vielleicht manchmal hart war, war ich innen wahnsinnig verletzlich.

Ich bin irgendwie auch etwas aggressiv und leicht provozierbar geworden. Ich kann mich sicher noch daran erinnern, auch mal einen Jungen unter mir auf dem Boden gehabt zu haben, auch wenn ich mir genauso sicher bin, dass ich nie jemanden wirklich verletzt hätte. Aber na ja, ich war schließlich auch höchstens zehn …

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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