Digitale Daseinsvorsorge -  - E-Book

Digitale Daseinsvorsorge E-Book

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Beschreibung

Die Arbeitsschwerpunkte in dem sich verändernden Staatswesen in Zeiten der Digitalisierung werden nun für das nächste Kolloquium unter der Leitidee »Synergia Politeia« auf die Digitalisierungsentwicklung und die »Digitale Daseinsvorsorge« gelegt. Die Digitale Daseinsvorsorge ist die Grundlage für die Handlungsweise des Staates. Die Digitalisierung ist in jedem Bereich präsent, und dementsprechend muss gehandelt werden, um die Gesellschaft und den Staat auf die Veränderungen vorzubereiten. Aufgegriffen sowie historisch eingeordnet wird der aktuelle Diskussionsstand »Was ist Dasseinsvorsorge?«. Thematisiert wird die veränderte Funktion der öffentlichen Verwaltung im deutschen Föderalismus. Der Ausgangspunkt dafür ist: »Wo stehen wir mit der Digitalisierung in Deutschland?« Ferner kommt die Frage auf, wie die Kommunen künftig aufgestellt sein werden. Hier ist die Politik, auf EU-Ebene und national, gefordert. Ist das digitale Bildungsangebot für Schulen oder das kulturelle Angebot eine öffentliche Aufgabe? Werden Plattformen für soziale Dienste zukünftig als Internetdienste erbracht oder von den Sozialleistungsträgern der Gegenwart? Welchen Beitrag kann die Digitale Daseinsvorsorge im Zusammenhang mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit leisten? »Fit for Future« – Welche Kompetenzen benötigen die Beschäftigten? Dieses Buch enthält sämtliche Redebeiträge des Kolloquiums in aufgearbeiteter Form sowie darüber hinausgehende Informationen. Es ist für den nach dieser Tagung weitergehenden Diskurs unverzichtbar.

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Freie Hansestadt Bremen – Senator für Finanzen – in Kooperation mit Dataport, der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt), dem Deutschen Städtetag und dem Deutschen Landkreistag

Henning Lühr (Hrsg.)

Ergebnisse des Kolloquiums im Bremer Rathaus am 24./25. Februar 2020

Digitale

Daseinsvorsorge

Bremer Gespräche zur digitalen Staatskunst

Dieses Buch ist bei der Deutschen Nationalbibliothek registriert.

Die bibliografischen Daten können online angesehen werden: http://dnb.d-nb.de

Vorwort des Herausgebers

Die um sich greifende und alle Lebenssituationen nachhaltig beeinflussende Corona-Krise gibt uns im Nachhinein noch einmal Recht bei der Auswahl unseres inhaltlichen Schwerpunktes des Forums »Digitale Daseinsvorsorge«.

Um die gesellschaftspolitischen, staatstheoretischen, verfassungsrechtlichen und verwaltungswissenschaftlichen Fragen der Herausforderungen für das Staats- und Verwaltungshandeln auf der kommunalen Ebene durch die digitale Entwicklung zu thematisieren und in einem wissenschaftlichen Diskurs weiter zu verbreiten, haben wir uns in Bremen entschlossen, zu einem Kolloquium zum Thema »Digitale Daseinsvorsorge« einzuladen.

Wie verankern wir »das Örtliche« in der »digitalen Welt«? Eigentlich sich ausschließende Gegensätze! Wir haben beides zusammengebracht unter der Leitformel »Digitale Daseinsvorsorge«. Dazu muss wieder die »Staatskunst« aktiviert werden, die altgriechische Philosophie bemüht werden.

Von dem zwar aus der altgriechischen Philosophie entliehenen Begriff »Staatskunst« haben wir uns größere Wirkung in der öffentlichen Auseinandersetzung und politischen Diskussion versprochen, als wenn auf die klassischen politikwissenschaftlichen Begriffe »Regierungslehre in Zeit der Digitalisierung« oder auf Anglizismen wie »Staatsmanagement« oder »der Staat als Stakeholder der Digitalisierung« zurückgegriffen worden wäre.

Diese mediale Wirkung ist eingetreten! Auf anderen Tagungen und Kongressen und in der politischen Diskussion wird der Begriff »Staatskunst« aufgegriffen und damit die politische Auseinandersetzung über Digitalisierung gefördert.

Am 24./25. Februar 2020 fand im Bremer Rathaus das Kolloquium mit 240 Wissenschaftlern*innen, Politiker*innen, Vertreter*innen der Wirtschaft, Verwaltungsfachleuten und Studierenden statt.

Der vorliegende Band dokumentiert die Beiträge und die Diskussion.

Ganz besonders danke ich Jolina Uhrner, Claudia Carola Arndt, Eugen Konrad, Christian Jost, Michaela Meyer und Anna Komissarova für die tatkräftige Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung.

Bremen, im April 2020

Henning Lühr

»Digitale Daseinsvorsorge« – Bremer Gespräche zur Digitalen Staatskunst am 24./25. Februar 2020

Patricia Grashoff, Peter Kalmbach, Henning Lühr

1 Eine Einführung (Henning Lühr)

1.2 Überlegungen zur Einordnung des Themas

Ausgehend von der politischen Grundaussage zum sich veränderten Staatswesen in Zeiten der Digitalisierung wurden für das Kolloquium 2020 die Leitidee »Synergia Politeia«, die Arbeitsschwerpunkte auf Status der Digitalisierungsentwicklung in Deutschland und auf »Digitale Daseinsvorsorge« festgelegt.

1.2 Digitale Daseinsvorsorge

»Daseinsvorsorge« ist ein rechtswissenschaftlicher »Kunstbegriff«, um verschiedene Staatstätigkeiten kategorisieren zu können, insbesondere um einen Ordnungsrahmen zu institutionalisieren. In den letzten Jahrzehnten hat sich die von E. Forsthoff begründete juristische Meinung zu einem gesellschafts- und staatstheoretischen Erklärungsansatz sozialstaatlicher Ausgestaltung entwickelt. An diese neuere Entwicklung wollen wir unter dem Gesichtspunkt der Digitalisierung anknüpfen. Wir werden den aktuellen Diskussionsstand (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Was ist Daseinsvorsorge? Berlin 2006, als pdf-Datei verfügbar) natürlich aufgreifen und historisch einordnen. Dabei werden wir auch die besondere Rolle dieser kategorialen Einordnung von E. Forsthoff vor dem Hintergrund der veränderten Funktion der öffentlichen Verwaltung im deutschen Faschismus (Vorsorge/Fürsorge im »totalen« Staat und der Volksgemeinschaft) reflektieren und in die Diskussion des Forums einbringen.

Ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt ist daher auch die Aufgabenorientierung der öffentlichen Dienstleistungserbringung, die einen differenzierteren Ansatz zur Digitalisierung erfordert.

Es geht nicht nur um den Kern einer digitalen Leistungsverwaltung, sondern um alle Angebote und Leistungen von Kommunen selbst, von Einrichtungen der Zivilgesellschaft und von öffentlichen und privaten Unternehmen, um die Infrastrukturleistungen an sich!

Ausgangspunkt ist dabei: Wo stehen wir mit der Digitalisierung in Deutschland? Weitere Kernfrage: Wie sind die Kommunen künftig aufgestellt?

Digitale Daseinsvorsorge fokussiert die Frage, welche Infrastrukturen und Dienste für das Leben und Wirtschaften in der digitalen Gesellschaft von solcher Bedeutung sind, dass sie nicht den Eigengesetzlichkeiten der Plattformökonomie überlassen bleiben, sondern unter öffentlicher Regie und Verantwortung errichtet, betrieben und weiterentwickelt werden. Soweit man eine öffentliche Aktivität in diesem Bereich möchte, in welcher Form, unter welchen Rahmenbedingungen und welchen Betriebsmodellen soll sie stattfinden? Damit ist die Beantwortung der Frage nach einer öffentlich-rechtlichen Institutionalisierung von Plattformen unausweichlich. Hier ist die Politik, auf EU-Ebene und national, gefordert.

Diese Frage ist sektoral für Verwaltung oder gemeinsam für Verwaltung und Wirtschaft in einzelnen Handlungsfeldern abzubilden: Ist das digitale Bildungsangebot für Schulen oder das kulturelle Angebot eine öffentliche Aufgabe oder überlassen wir es Google, Amazon & Co? Folgen die digitalen Angebote dem Prinzip der Datenökonomie (Leistung gegen Daten) oder werden sie nach den Prinzipien der rechtstaatlichen Fairness, des gleichen Zugangs und der Datenschutzkonformität gestaltet und betrieben? Werden die Marktplätze und Messen der Zukunft wie die konventionellen Marktplätze öffentlich gestaltet oder werden sie privatwirtschaftlich domestiziert? Werden Plattformen für soziale Dienste zukünftig als Internetdienste vom Markt erbracht oder von den Sozialleistungsträgern der Gegenwart?

Neu zu justieren sind im digitalen Zeitalter die Sphären von Verantwortung, aber nicht der Macht wegen, sondern um demokratische Entscheidungen und Freiheitsentfaltung zu ermöglichen und Sozialstaatlichkeit zu gewährleisten.

»Digitale Daseinsvorsorge« hat viele Anknüpfungspunkte: Wie entwickeln sich die Staatstätigkeit und die kommunale Selbstverwaltung? Wird kommunale Daseinsvorsorge auch auf EU-Ebene eine besondere Rolle spielen? Ergeben sich hier vielleicht neue Arbeitsteilungen im Föderalismus, auch als Folge der Digitalisierung? Gibt es bei der OZG-Umsetzung nur eine Elektronifizierung der klassischen öffentlichen Dienste oder werden auch öffentliche Aufgaben neu gedacht, in neuen Prozessen? Wie Innovation organisieren? »Users first« als Prinzip erfordert, dass die Verwaltung dort ist, wo die Menschen sind. Wie kann das gewährleistet werden? Benötigen wir neue Vertrauensdimensionen in der digitalen Alltagsbewältigung im kommunalen Sozialraum? Digitale Souveränität oder private und oder öffentlich/private Plattformen? Gibt es neue Formen der föderalen Zusammenarbeit bei Plattformen, z. B. in Genossenschaften? Gibt es neue Kooperationsformen zwischen Wirtschaft und Staat? Smart City, smarte Regionen, smarter Staat? Wie gelingt die Verknüpfung mit der aktuellen Politik: Welchen Beitrag kann die digitale Daseinsvorsorge im Zusammenhang mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit leisten?

Zu einzelnen Schwerpunkten der Digitalen Daseinsvorsorge wird es Sachstandsberichte und wissenschaftliche Analysen geben.

1.3 Der Gestaltungsauftrag »Qualifizierung«

Ein besonderer Schwerpunkt der Digitalisierung und Gestaltung der Arbeit wird die Qualifizierung der Beschäftigten sein. Fragestellungen:

»Fit for Future« – Welche Kompetenzen benötigen die Beschäftigten in einer veränderten Verwaltung? Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden und was müssen die Beschäftigten lernen, damit sie mitgestalten können?

Dafür benötigen wir Impulse aus der Wissenschaft, Verwaltungspraxis und Politik.

Dr. Andreas Bovenschulte, Bürgermeister und Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen sowie Senator für Kultur, begrüßt die Referent*innen und Zuhörer*innen. Er betont den Stellenwert der Veranstaltung, die wichtige Antworten im Spannungsfeld von Digitalisierung und Verwaltungswissenschaften liefert, wobei die digitale Daseinsvorsorge ein zentrales Thema darstellt. Gerade in dieser Gegenwart, in der Künstliche Intelligenz zu einer beherrschenden Strategie in der Datenverarbeitung wird, muss die Verwirklichung von Grundrechten noch stärker Gewicht erhalten.

Schutz der Menschenwürde, Verhinderung von Ungleichheiten und Datensicherheit … auch diese Begriffe sind eng mit der Digitalisierung verbunden. Insoweit fordert der Redner dazu auf, auch für die digitale Teilhabe einzutreten, denn sie ist nunmehr eine Voraussetzung für die Freiheitsentfaltung geworden. Es gilt, alle Facetten der neuen Technologien grundrechtskonform in das Gemeinwesen zu etablieren.

Motivation und Aufgabe in der zunehmenden Etablierung einer digitalisierten Verwaltung muss auch weiterhin die Sozialstaatlichkeit und aus ihr heraus der staatliche Auftrag der Daseinsvorsorge sein. Dieser Rechtsbegriff jedoch bedarf noch der Ausdifferenzierung, wozu die Tagung ihren Beitrag leistet.

Eine digitale Spaltung existiert bereits jetzt, eine Spaltung in online und offline. Dies aber, so Bovenschulte, ist weder Schicksal noch Evolution, sondern unterliegt der politischen Gestaltung und ist demnach abänderbar. Daher müssen insbesondere ältere Menschen bedürfnisgerecht unterstützt werden.

Der Bürgermeister schließt seinen einführenden Vortrag mit einem besonderen Dank an Henning Lühr für seine jahrelangen Bemühungen um ein Vorankommen der Digitalisierung in Deutschland sowie für sein Engagement zur Etablierung der Staatskunst-Gespräche in Bremen. Im Schlusssatz zitiert Bovenschulte Francis Bacon: »Wenn Zukunft eine Perspektive ist, dann sollten wir beginnen, sie zu gestalten!«

Dietmar Strehl, Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen, richtet ebenfalls Grüße an die Anwesenden und betont die Notwendigkeit zur vertieften Diskussion rund um die digitale Daseinsvorsorge. Sein Vortrag steht unter der Überschrift »Nachhaltigkeit, Klimaschutz, soziale und demokratische Teilhabe – Digitalisierung ist ein politisches Gestaltungsfeld«. Die Digitalisierung, betont er, ist bereits als nachhaltiges Feld der Politik erkannt, die grundlegenden Fragen daraufhin eingegrenzt und erörtert worden. Jetzt ist die Zeit gekommen, um die bisherigen Themen vertiefend zu diskutieren.

Das digitale Zeitalter fordert derzeit das demokratische Gemeinwesen auf verschiedene Weise: Filterblasen und Hass im Netz sind die vorgeblichen Stichworte, als Problem zeigt sich aber auch die Frage nach dem Umgang mit Unternehmen, die marktbeherrschende Stellungen innehaben. Regierungen und Parlamente haben entsprechend Sorge zu tragen, dass keine rechtsfreien Räume entstehen. Leitplanken sind gefordert, um sichere Rahmenbedingungen vorzuhalten und Grundrechten den notwendigen Schutz zu gewährleisten. Man muss sich auch damit auseinandersetzen, inwieweit ein Recht auf eine menschliche Entscheidung Platz greift. Elementar ist dabei das Feld der Vorsorge.

Digitalisierung zeigt sich dergestalt vornehmlich als sozialstaatliche Aufgabe. Die Freie Hansestadt Bremen wird sich einbringen, wird sich auch jenen Bereichen widmen, die sich neben der klassischen Daseinsvorsorge neu gestalten werden. Neben dem Kongress selbst wird beispielhaft angeführt, dass im Verbund mit anderen »Dataportländern« die OSI-Plattform geschaffen wird. Jederzeit wird dabei eine Interaktion mit Bürger*innen angestrebt.

Man wird deutlich zeigen, dass die Digitalisierung nicht als reine Elektrifizierung der bestehenden Bürokratie abgetan wird, sondern als Aufbruch in eine neue Moderne, die zum Wohle aller gestaltet wird. Dies kann durch starke Effekte wie Aufwandreduzierung, Barrierefreiheit, verbesserte Informationsmöglichkeiten sowie einen Ausbau von Teilhabe geschehen.

Die FHB hat ihre Innovationskraft an dem Projekt ELFE bereits gezeigt und eine App entwickelt, die es Menschen einfach macht, Behördenkontakte nach der Geburt eines Kindes effektiv und zeitsparend zu nutzen. Begleitend dazu werden auf Bundesebene Gesetzesänderungen vorangetrieben. Nach Abschluss der Vorbereitungen wird sich ELFE etablieren und als Vorbild für andere Behördenleistungen zeigen.

Es gilt, die Chancen der Digitalisierung auch dahingehend ergreifen, mit ihnen die größten Probleme des 21. Jahrhunderts, Umweltverschmutzung und Klimawandel, anzugehen. Deswegen ist auch Energieeffizienz in den Fokus zu nehmen, Beschaffung muss sozial und ökologisch verträglich organisiert werden.

Gertrud Ingestad, Generaldirektorin der Generaldirektion Informatik (GD DIGIT) der Europäischen Kommission, betont in ihrer Keynote »Digitale Souveränität und Digitale Daseinsvorsorge – Herausforderungen für Europa!«, dass der Blick auf die digitale Transformation des öffentlichen Sektors für die Zukunft Europas unverzichtbar sei. Zu lange sei dem öffentlichen Sektor in der Debatte um die Digitalisierung zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Das habe sich nun glücklicherweise geändert, denn Europa müsse für die digitale Zukunft gerüstet sein. Die Digitalisierung bringe nicht nur die Menschen zueinander, die Digitalisierung ermögliche es, für Menschen und Unternehmen bessere und gerechtere Dienstleistungen, mehr Teilhabe und Transparenz und öffentliche Kontrolle zu gewährleisten. Ingestad verbindet den altgriechischen Begriff der Staatskunst mit den Anforderungen der Gegenwart und mit der Chance für europäische Regierungen, die digitale Zukunft im Sinne der Menschen zu gestalten. Was wir heute diskutieren, werde Europa verändern. Dazu brauchen wir gemeinsame Investitionen in strategische Technologien, in Cybersicherheit und in Informatik und Datenwissenschaften. An dieser Stelle müssten die EU-Mitgliedsstaaten erst noch den richtigen Mannschaftsgeist entwickeln, um sich gegenüber den »digitalen Großmächten« auch für die Zukunft behaupten zu können. Sie appelliert eindringlich daran, gemeinsam Europa digital zu gestalten und die digitale Souveränität Europas zu gewährleisten. Die digitale Souveränität werde zwar ihren Preis haben, der werde jedoch niedriger sein als die Kosten, die entstünden, würde jetzt nicht gemeinsam gehandelt werden. Wir sind jetzt gefordert, unsere Kräfte zu bündeln und den öffentlichen Sektor in Europa mit den Werkzeugen der digitalen Zukunft auszustatten. Auch wenn nicht immer einheitliche Lösungen für alle gefunden werden könnten, so seien doch die Herausforderungen für alle dieselben: Datenflüsse und Datennutzung, Cybersicherheit und Interoperabilität. Ingestad sieht die EU als die größte gemeinsame Aktionärsgemeinschaft für die digitale Regierungsinfrastruktur. Mit Hilfe der Digitaltechnik könnten die Dienstleistungen für die Menschen in einer kleinsten Kommune genauso vollständig und individuell gestaltet werden wie in einer europäischen Großstadt. Dank der Digitaltechnik können Dienste lokal in einem EU-Land beginnen und in einem anderen Land enden, je nach den Bedürfnissen der Bürger*innen und der Unternehmen. Der digitale öffentliche Dienst sei der bessere öffentliche Dienst!

»Wo stehen wir mit der Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland?«, Klaus Vitt, Staatssekretär im Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat, Vorsitzender des IT-Planungsrates, betont die Digitalisierung als dominierendes Thema der Gegenwart und unterstreicht die Potentiale, die die Digitalisierung der Verwaltung für Wirtschaft und Gesellschaft hat. Dabei stellt er heraus, dass auch aus seiner Sicht diese Prozesse nicht ohne Cybersicherheit gedacht werden können.

Er betont gleichzeitig, dass Mitarbeiter*innen und Beschäftigte im digitalen Transformationsprozess neue Fähigkeiten erwerben müssten. Dazu gehörten zweifelsohne Agilität, die Bereitschaft zum Umgang mit den neuen Technologien und die Bereitschaft, sich auf sich ändernde Prozesse einzulassen. Denn eines sei sicher, Behörden und Arbeitsprozesse und -organisationen werden sich grundlegend verändern.

Und dabei muss die Digitalisierung nach seiner Auffassung den Nutzer*innen dienen – »Users first«. Deshalb wirbt er für ein zentrales Portal, das für jede*n Bürger*in/jedes Unternehmen zugänglich ist, egal wo und auf welcher Ebene der/die Büger*in oder das Unternehmen einsteigt – auch wenn ein sehr hoher Aufwand mit der Implementierung eines Portalverbundes verbunden ist.

Vitt betont noch einmal, dass im Rahmen der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) die Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen etwa 575 Verwaltungsleistungen bis zum 31.12.2022 auch online anbieten müssten. Dabei muss das Ziel sein, dass die Lösungen nutzer*innenorientiert sind. Als Beispiel hebt er das Bremer Projekt ELFE hervor, für dessen Umsetzung alleine 11 Fachgesetze auf Bundesebene geändert werden mussten. Er betont in diesem Zusammenhang auch, wie wichtig es ist, dass die Leistungen, die im Rahmen der Digitalisierung von den einzelnen Bundesländern entwickelt werden, auch von den anderen Ländern übernommen werden. Er appelliert in diesem Zusammenhang, dafür eine opensource basierte Verwaltungscloud für die bundesweit nutzbaren Verwaltungsdienste aufzubauen.

Lena Sophie Müller, Geschäftsführerin der Initiative D21/Netzwerk für die Digitale Gesellschaft, stellt sich in ihrem Vortrag der Frage »Digital first? Was wollen eigentlich die Bürgerinnen und Bürger?« und bezieht sich dazu auf Material einer Studie aus dem Jahr 2018. Demnach wird eGovernment zwar genutzt, überwiegend aber nutzen Menschen Verwaltungsangebote vor Ort. Über das Internet findet vornehmlich Informationssuche statt, was allerdings in einem ähnlichen Umfang auch via Telefon geschieht. In der Summe ist davon auszugehen, dass zum jetzigen Zeitpunkt ein digital first für Nutzer*innen eben nicht an erster Stelle steht.

Müller leitet daraus zwei Thesen ab. Demnach sei die bisherige Gestaltung zu unpersönlich und zu kompliziert. Möglicherweise handele es sich zum Teil auch um eine Vertrauensproblematik.

Für die Befassung sei unbedingt zu beachten, dass es kaum möglich sei, unverwechselbare Einstufungen vorzunehmen. Die Referentin geht allerdings davon aus, dass eine strukturierte Befassung durch ideelle Nutzertypen möglich sei, sodass empirische Ergebnisse im Rahmen des eGovernment generiert werden könnten.

Besonders offen gegenüber den neuen Verwaltungsleistungen und einer zunehmenden Digitalisierung zeigen sich demnach jene – als Enthusiasten bezeichneten – Menschen, die sich insgesamt offen gegenüber technischen Entwicklungen zeigen und das Internet umfangreich gebrauchen. Die sogenannten Power-User, Personen, die bereits hohe Erfahrungswerte mit der digitalen Verwaltung gesammelt haben, machen jedoch eine ausgesprochen kleine Gruppe aus. Dem stehen wiederum auch Bürger*innen gegenüber, die sich ausgesprochen besorgt hinsichtlich Datensicherheit zeigen oder die eine ablehnende Haltung einnehmen, weil sie Wert auf persönliche Beratung und Behandlung legen.

Als Fazit benennt Lena-Sophie Müller eine nur schwache Tendenz eines digital first. Dem könne durch ein human first im Rahmen strategischer Überlegungen in Politik und Verwaltung begegnet werden.

Prof. Dr. Kubicek, emeritierter Hochschullehrer der Universität Bremen, verbindet in seinem Beitrag, »Von ›Users first‹ zum Recht auf digitale Teilhabe« zwei Leitgedanken des Kolloquiums. Er definiert die Voranstellung der Wünsche und Bedürfnisse der Bürger*innen weniger als eine angewandte Methode denn als eine Zielbestimmung.

Der Referent setzt bei jenen an, die sich mit der Digitalisierung schwertun, zumal bei jenen, die sich zwar offen zeigen, aber aus unterschiedlichen Gründen Barrieren überwinden müssen. Hier sieht er großen Nachholbedarf und mahnt, man dürfe bei Neuentwicklungen nicht Gebrauchs- mit Nutzerfreundlichkeit verwechseln. Er rät insoweit analytisch vorzugehen, wobei der jeweilige Kontext entscheidend sei. Um tatsächlich bei schlanken, unkomplizierten Lösungen anzulangen, müssten sich die Entwickler*innen umfänglich auf die Lebenswelt von Nutzergruppen einlassen. Auf diese Weise, so Kubicek, erreiche man fundierte Ansätze und müsse sich nicht auf reine Improvisationen einlassen.

Kubicek führt die Zuhörer*innen mittels einer beispielhaften Exkursion in die realen Problematiken der Verwaltungsdigitalisierung. Er verweist auf jenen Bevölkerungsteil, der bisher noch keine Erfahrungen mit PCs und vor allem mit dem Internet gemacht hat. Zwar sei es zunächst ein richtiger Ansatz, hier mit Bildungsangeboten beizuspringen, allerdings fielen hier jene durch das Raster, die aus körperlichen oder geistigen Gründen nicht die notwendige Mobilität aufbrächten, um in Kursen geschult zu werden. Zudem sei (Alters-)Armut eine finanzielle Hürde, die es mitunter ausschlösse, in Hard- und Software zu investieren. Es gelte Bedingungen einzubeziehen, die bei jungen Menschen – und damit beim momentanen Durchschnittsnutzer – abwegig seien, nämlich das Aufbringen von ausreichend Selbstvertrauen, um sich mit den technischen Neuerungen vertraut zu machen. Hier spielten auch starke Unsicherheiten hinein, etwa die Angst vor einem falschen Mausklick und rechtlichen Konsequenzen, die sich daraus ergeben könnten.

Christine Behle, die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di, überschreibt ihren Beitrag als »Gestaltung der künftigen Arbeitswelt – Arbeitsschwerpunkte der Gewerkschaft ver.di zur Gestaltung der Digitalisierung und KI« und betrachtet die digitale Daseinsvorsorge zunächst aus der Perspektive des Schutzes persönlicher Daten. Sie sieht digitale Teilhabe vor allem darin verwirklicht, wenn Sicherheit und Zugangsrechte gewahrt würden. Daseinsvorsorge hieße auch, dass der Anspruch bedient werde, den jeweiligen Stand der technischen Entwicklung umzusetzen. Die Kommunen könnten hier als Innovatoren wie auch als Beschäftigungsmotoren fungieren.

Sie verweist auf die Wichtigkeit eines einheitlichen Zugangsportals und geht davon aus, dass die Schaffung von E-Mail-Accounts für Bürger*innen durch Landes- und/oder kommunale Einrichtungen leistbar sei. Als unabdingbare Größe für Teilhabe an der fortschreitenden Digitalisierung nennt sie technische bzw. berufliche Qualifizierung. Werde dies nicht erkannt und bedient, so sei eine Verstärkung des Gefälles zwischen arm und reich ebenso zu befürchten wie zwischen Land und Stadt. Der aus der Digitalisierung geschöpfte Gewinn müsse daher derart umgeschichtet werden, dass eine Gemeinwohlorientierung im Allgemeinen gewährleistet sei, aber auch eine Berücksichtigung der größten Bedarfe im Speziellen stattfinde.

Eine zentrale Aufgabe des öffentlichen Dienstes, so die Referentin, wird die berufliche Aus- und Fortbildung in den genannten Bereichen sein. Hier gilt es überdies, Versäumnisse der Vergangenheit aufzuarbeiten. Als berufliche Gruppe, die nachteilig betroffen sein wird, macht Behle den mittleren Dienst aus. Für viele Mitarbeiter*innen, konstatiert Christine Behle unter Berufung auf eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (»Ämter ohne Aktenordner«), müssten künftig neue Perspektiven, neue Beschäftigungsmöglichkeiten gefunden werden. Möglicherweise wird es dann nicht um technische Kompetenzen gehen, sondern gar vielmehr um soziale Fähigkeiten.

ver.di nimmt hier seine Pflicht als Arbeitnehmerorganisation wahr und begleitet den Veränderungsprozess mit der gebotenen Mandatssicht. Es müsse kritisch darauf geachtet werden, dass sich Arbeitsinhalte zu Lasten Einzelner nicht verdichten. Die Grundforderung nach einer Digitalstrategie durch ver.di wird auch durch den IT-Planungsrat geteilt.

Ein hohes Maß an Sicherheit kann hier ein Tarifvertrag schaffen, der Arbeitnehmer in die digitale Zukunft leitet und sowohl Ängste vor einem Job- wie auch einem Prestigeverlust nehmen kann:

Manche sehen die Gefahr, dass Menschen mitunter zu Anhängseln der für sie arbeitenden Maschinen werden. Für die Arbeitnehmer müssen greifbare Gestaltungsspielräume verbleiben und bei den Bürger*innen darf nicht das Gefühl Platz greifen, man sei der Technik ausgeliefert. Solange die KI ein Mittel zum Zweck bleibt, kann sie unproblematisch in den Dienst der Gesellschaft gestellt werden – und dann bleibt digitale Arbeit auch im ethischen Sinne gute Arbeit.

Abschließend knüpft die Referentin an den Vortrag von Frank Bsirske an, der bereits im Jahr zuvor im Rahmen des Kolloquiums zur digitalen Staatskunst den Stellenwert eines Tarifvertrages unterstrich und ihn mit Leitplanken verglich, die eine Garantie für sichere Arbeitsplätze seien und eine feste Basis für die Gestaltung digitalisierter Arbeit bedeuten.

Prof. Dr. Dian Schefold, Emeritus der Universität Bremen, leitet seinen Vortrag »Digitale Daseinsvorsorge – eine ideologiekritische Annäherung« mit einem »Hilferuf aus der Froschperspektive« ein: Wer mit den zahllosen Feinheiten digitaler Kommunikation nicht zurechtkommt – der hat das Nachsehen.

Zwar hat der Gesetzgeber durch Schaffung des § 3a Verwaltungsverfahrensgesetz einen praktikablen Versuch unternommen, den elektronischen Rechtsverkehr zu händeln und sachlich zu erleichtern. Gleichwohl durch die bewährte Regelung die Dialogfähigkeit zwischen Bürger*innen und der Verwaltung gestärkt wurde – es wurden auch neue Ungleichheiten geschaffen:

Der Online-Zugang zu Verwaltungsleistungen bedarf der Überwindung praktischer Hürden. Dazu gehören Komponenten, die finanziell aufwendig sind, aber es geht auch um ein Maß an Bildung. Dort, wo ein Zugang zum Internet fehlt, führt die elektronische Kommunikation zu einem totalen Ausschluss. Durch eine derartige Rationierung wird die Gleichheit des Verwaltungsverfahrens eingeschränkt und damit verfassungsrechtlich garantierte Teilhabe reduziert.

Freilich können Sachgründe zu Beschränkungen grundgesetzlicher Freiheiten führen und dergestalt gibt es Bereiche staatlicher Leistungen, die reglementiert sind, beispielsweise den Anwaltszwang vor einigen Gerichten, während Art. 19 Abs. 4 GG zunächst eine offene Nutzung gerichtlichen Rechtsschutzes vorsieht.

Ob es aber in der freiheitlichen Demokratie des bundesdeutschen Gemeinwesens zweckbestimmte Gründe gibt, die es rechtfertigen würden, den Zugang zu Staatsleistungen im Zuge einer digitalisierten Verwaltung zu beeinträchtigen, dies ist fraglich.

Um einer Ungleichheit vorzubeugen, fordert Schefold Änderungen im Bildungswesen. Um ausreichendes Knowhow aufzubauen, seien intensive Medienschulungen vonnöten. Dies müsse man als tiefgreifende Bildungsreform verstehen, die, nachhaltig umgesetzt, die Dimension einer zweiten Alphabetisierung erreichen werde.

Diesen Bildungsauftrag müsse man als zentrale Aufgabe der digitalen Staatskunst begreifen. Es sei angebracht, insoweit wieder vom Pathos der Volksbefreiung zu sprechen, denn eine Vertiefung der ungleichen Teilhabe werde den demokratischen Diskurs unterlaufen und zu regelrechten Zementierungen der Ungleichheit führen.

Zu beachten ist insbesondere die Bedeutung des Sozialstaatsprinzips, da dies vom BVerfG wiederholt als elementar für die Geltung der Menschenwürde genannt worden ist. Daseinsvorsorge ist demnach als Verfassungsgebot zu deuten – dies gilt in gleicher Weise wie für Bildung oder Wasserversorgung auch in digitaler Hinsicht. Demnach ist der Zugang zum elektronischen Verwaltungsverfahren in gleicher Weise für alle Grundrechtsberechtigten zugänglich und nutzbar zu machen. Staatskunst zeigt sich insofern wieder als Umsetzung zentraler Verfassungsgebote.

Dr. Klaus Lenk,

emeritierter Professor an der Universität Oldenburg, möchte mit seinem Vortrag »Transformation der Daseinsvorsorge« ausdrücklich zum Weiterdenken einladen und sieht große Umwälzungen auf die Menschheit zukommen. Ihm geht es um weitreichende strategische Konzeptionen und stellt in den Raum, wie sich Gesellschaften künftig positionieren wollen. Es gehe mithin auch um die Gestaltung des menschlichen Lebensraums und die Beziehungen von Populationen zu der Natur. Hier, so der Referent, würden normale Nachhaltigkeitsüberlegungen nicht ausreichen, sondern weitreichendere Antworten seien gefragt. Man müsse die generelle Bereitschaft der Menschen zur Veränderung hinterfragen. Lenk sieht eine Gefahr darin, dass sich Gesellschaften allzu intensiv auf reine Automatismen einlassen. Möglichkeiten der Entfaltung sollten durch die Digitalisierung weiter befördert werden und weiterhin zum kreativen Denken einladen.

Marc Groß, Leiter des Programmbereichs Organisations- und Informationsmanagement bei der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement, gibt mit seinem Beitrag »Schlüsselfaktor kommunale Selbstwirksamkeit: Verantwortung für eine wirksame digitale Daseinsvorsorge – Ergebnisse der Befragung von Oberbürgermeistern, Landräten und kommunalen IT-Verantwortlichen« einen »Werkstattbericht«. Dabei geht es um die Frage, welche Aufgaben die Kommunen im digitalen Zeitalter vermehrt wahrzunehmen haben. Der Referent plädiert für eine Stärkung der kommunalen Verwaltungen, da dies im Zuge der vermehrten Elektronifizierung der Verwaltungsverfahren und -vorgänge helfen wird, den sozialen Zusammenhalt zu fördern. Dafür müssten durch die politischen Akteure geeignete Steuerungsinstrumente und verbesserte Rahmenbedingungen geschaffen werden. Man müsse sich Ziele setzen, gemeinsam Visionen erarbeiten. Wichtig sei aber auch, dass den Kommunen die notwendigen (wie auch verfassungsrechtlich gebotenen) Freiräume belassen werden.

Eine wichtige Frage, die es zu beantworten gelte, sei, wie Leistungen gebündelt werden könnten. Vielleicht könnten und sollten Kommunen insoweit eigene Kommunikationsplattformen kreieren und betreiben. Freilich müssten auch Kompetenzen aufgebaut werden, um den wachsenden fachlichen Bedarfen gerecht zu werden. Diesbezüglich müsse auch ein professioneller und sicherer Umgang mit Daten vertieft werden. Schlussendlich mahnt Groß an, dass auch jene nicht vernachlässigt werden dürfen, die das Internet nicht nutzen wollen oder können. Eine Schere zwischen Onlinern und Offlinern dürfe insoweit nicht aufgehen.

Dr. Uda Bastians, Beigeordnete beim Deutschen Städtetag und Vertreterin des Städtetags im IT-Planungsrat, bringt mit ihrem Beitrag »kommunale Mitgestaltung im föderalen digitalen Staat – OZG and beyond« den besonderen Blick aus der Praxis kommunaler Verwaltungstätigkeit ein. Gerade in diesem Bereich, der einen erheblichen Teil der gesamten behördlichen Leistungen trägt, müssen Chancen der Digitalisierung genutzt werden.

Dabei betont sie den Wert althergebrachter Leistungen und Strukturen – insoweit ist über Jahrzehnte nicht nur eine starke Verwaltung entstanden, sondern auch Vertrauen aufgebaut worden. Nun aber ist die Zeit gekommen, so die Referentin, keine Erstarrung eintreten zu lassen, sondern die Notwendigkeit zu erkennen, Bequemlichkeiten nicht über Innovation zu stellen.

Aus Sicht der Städte sollte der Reformkurs unbedingt die praktische Nutzbarkeit von Neuerungen berücksichtigen und optimal aus der Perspektive von Bürger*innen denken. Auf diese Weise kann bestehendes Vertrauen erhalten und weiter ausgebaut werden.

Eine Verwaltungsdigitalisierung, deren Potential kreativ ausgenutzt wird, sieht Bastians auch als Entlastung in der Arbeitsdurchführung, die es vermag, dass kommunale Selbstverwaltung wieder mehr Freiräume wird nutzen können. Auf diese Weise kann als Nebeneffekt vielerorts eine Förderung der Ortsgestaltung eintreten.

Möglich kann dies etwa dadurch werden, dass Aufgaben, die durch den Bund geregelt werden, auch verstärkt durch seine eigenen Organe und zentralisiert wahrgenommen werden können.

Auch Sabine Kuhlmann, Professorin an der Universität Potsdam und stellvertretende Vorsitzende des Normenkontrollrates der Bundesregierung, nimmt in ihrem Vortrag »Kommune 2030: digitale Transformation, Organisationswandel und Governance« eine spezialisierte Betrachtungsweise ein und referiert über Standpunkte des Nationalen Normenkontrollrates und dort generierte Forschungsergebnisse.

Demnach geht die Entwicklung des eGovernments in der Bundesrepublik deutlich langsamer vonstatten als in anderen europäischen Ländern. Hier liegen die Gründe insbesondere darin begründet, dass relevante Basiskomponenten noch nicht angepasst worden sind, beispielsweise fehlt es an einer umfassenden Registermodernisierung. Diese grundlegenden Probleme liegen vor allem darin, dass in der Rechtsetzung und -nutzung ein starker Hang zum Legalismus vorhanden ist und zudem Personal- wie Kapazitätsprobleme Schwierigkeiten bereiten. Unterm Strich zeigt sich eben auch in diesem Bereich ein Fachkräftemangel.

»Digitale Daseinsvorsorge – Aufgabenfelder« ist Titel des Vortrages von Dr. Johann Bizer, dem Vorstandsvorsitzenden von Dataport. Als Kernpunkt künftiger Entwicklung sieht er prozessuale Veränderungsbedarfe, die angegangen werden müssen; insbesondere, um weiter Vereinfachungen zu schaffen, die für Verwaltung und Bürger*innen entlastend wirken. Dergestalt können vielfältig Aufgaben auf die kommunale Ebene transformiert und Verwaltungstätigkeiten unkomplizierter organisiert werden. Eine Schlüsselstellung nehmen dabei die IT-Dienstleister ein. Gemeinsam mit ihnen muss es dem Staat gelingen, gewissermaßen Renditen für die Daseinsvorsorge zu erwirtschaften.

Insofern gehört es allerdings auch zu den staatlichen Pflichten, für eine digitale Freiheitsentfaltung zu sorgen: Im virtuellen Raum muss es Standards und Märkte geben, die diesen genügen. Dabei gilt es, Marktbeherrschung durch einzelne Akteure zu verhindern. Nötigenfalls ist der Staat berufen, bedarfsgerechte virtuelle Güter zur Verfügung zu stellen.

Hier sieht der Referent auch Potenziale für die Digitalisierung von Kultur und Kulturgütern, für die eine größere Teilhabe erreicht werden kann. Auch für die Bildung sind insoweit noch erhebliche Kapazitäten auszuschöpfen. Hier können Staat und Dienstleister Verbindungsplattformen etablieren.

Dr. Bizer erinnert daran, die damit einhergehenden Entscheidungen nicht zu lange aufzuschieben, bevor einflussreiche Marktteilnehmer Fakten schaffen, die nicht zu ignorieren sind.

»W ir brauchen eine neue Plattformökonomie, die zum Gemeinwohl beiträgt« fordert Martin Schallbruch, Deputy Director Digital Society Institute. Er plädiert dafür, herauszufiltern, welche Angelegenheiten derart bedeutsam sind, dass sie nicht allein ökonomischen Kräften überlassen werden können. Würde dies nämlich geschehen, dann könne die verfassungsmäßige Aufgabe der Daseinsvorsorge ins Hintertreffen geraten. Denn eine merkliche Abwesenheit des Staates könnte die bereits jetzt überschaubare Zahl marktstarker Unternehmen gewissermaßen in die Rolle von Feudalherren heben und ihnen die Definitionsmacht über globale Märkte geben.

Sowohl für den Gesundheits- als auch für den Bildungsbereich sollte die Einrichtung und intensive Nutzung von Portalen vorangetrieben werden. Letztlich sollten diese Möglichkeiten für alle Bereiche der Daseinsvorsorge ausgeschöpft werden. Der Verarbeitung personenbezogener Daten wird dabei eine überragende Rolle zukommen.

Wesentliche Aufgabe wird sein, die Plattformökonomie und das Gemeinwohl sinnvoll und bürgerfreundlich zusammenzubringen. Zuviel Staat jedoch ist nicht zuträglich, denn durch seine mitunter überkomplexe Struktur kann er auch eine Innovationsbremse sein. Die Beteiligung rein wirtschaftlicher Leistungserbringer ist daher sinnvoll, um dynamische Entwicklungen zu gewährleisten. Allerdings ist es Sache der Politik, klare Anforderungen zu gestalten. Es bedarf insoweit einer ordentlichen gesetzlichen Reglementierung der Plattformunternehmen, ohne dabei unverhältnismäßig zu agieren. Dabei sollten zudem Gelegenheiten genutzt und aufgebaut werden, ausgleichend zu wirken und darauf hinzuwirken, Plattformbetreiber kooperativ einzubinden, etwa um Schnittstellen bereitzustellen. Dies bedeutet jedoch auch, dass eine Sicht über die Verwaltung hinaus genommen werden muss. Nur so kann einer Zerfaserung effektiv entgegengewirkt werden.

»Digitale Souveränität – Wir können es! Wir müssen uns nur einig sein!« ist die Aussage des zweiten Vortrags des Dataport-Vorstandes Dr. Johann Bizer. Seine Ausführungen beginnt er mit dem Credo: Groß denken, klein anfangen – aber schnell anfangen!

Die Umsetzung weiträumiger konzeptioneller Ideen könne dergestalt in kleinen, korrigierbaren Entwicklungsschritten vorangehen. Eine wichtige Voraussetzung methodischer Art ist agiles Denken und Handeln; darüber hinaus gilt es, jederzeit das Grundprinzip der digitalen Souveränität zu achten und zu wahren: Der Staat muss die dafür relevanten Produktionsmittel in der Hand halten, insbesondere also Software und Daten beherrschen. Dort, wo der Staat (noch) von Konzernen und deren Geschäftsmodellen abhängig ist, muss sich die digitale Souveränität wieder erarbeitet werden. Insbesondere gilt es, Monopole aufzubrechen, ihnen Alternativen entgegenzusetzen. Dies geschieht seitens Dataport etwa hinsichtlich des Open Source Service als Option zu Microsoft und Office. Elementare Komponente eigenständiger Handlungsspielräume ist, so der Referent, die Fähigkeit zum Teilen von Wissen.

Peter Ganten, CEO der Univention GmbH und Vorsitzender der Open Source Business Alliance (OSBA), geht unter dem Vortragstitel »Open Source als Alternative?« auf mögliche Bedrohungen der digitalen Souveränität ein. Der Referent skizziert die Problematik und verweist auf die technischen Möglichkeiten, Daten über Nutzer zu sammeln und mittels Künstlicher Intelligenz einen digitalen Zwilling zu erschaffen, der in der Lage ist, Verhalten vorherzusagen. Diese Auswertungen können einem »amerikanischen Modell« dienlich sein, das hier Vorteile bei der Vermarktung von Produkten für sich in Anspruch nimmt, also rein ökonomischen Zielen untergeordnet ist. Wendet ein Staat oder ein Unternehmen jedoch das »chinesische Modell« der Datennutzung an, werden die Daten zur Überwachung missbraucht.

Solche Tücken müssen schlichtweg erkannt werden und Verantwortliche in Politik und Verwaltung müssen bedacht sein, Unternehmen zu identifizieren, die Server betreiben, welche einer anderen Gesetzbarkeit unterstehen. Geht man insoweit vorsichtig zu Gange, dann können auf erfolgreiche Weise neue Modelle genutzt und insbesondere Open-Source-Möglichkeiten voll ausgeschöpft werden. Abschließend verweist Ganten auf das Projekt GaiaX, das er als erfolgreiche Grundlage für künftige Entwicklungen sieht.

Prof. Dr. Moreen Heine, Dozentin an der Universität Lübeck und Leiterin des Joint Innovation Lab Lübeck, trägt zu dem Titel »Innovative Kooperation zwischen Kommunen, Wirtschaft und Bürger*innen – Erfolgsmodell oder Interessenkollision?« vor.

Sie legt dar, dass Innovationen schneller und nachhaltiger über Kooperationen gelingen. Angestrebte Lösungen im Zuge der Digitalisierung sollten daher stets unter Einbindung gemeinsamer Ressourcen und Ansätze erstrebt werden. Dergestalt werden Innovationen auch nicht zu einem Selbstzweck, sondern zur Überwindung von Herausforderungen, denen Staat und Gesellschaft gleichermaßen gegenüberstehen. Dort, wo noch bürokratische Denkmuster vorherrschen, sollten diese überwunden werden, um Interaktionen über Regierung und Verwaltung hinaus möglich zu machen.

Bereichernd erweisen sich hier Innolabs, die eine Querschnittsfunktion übernehmen. Dabei erweist es sich als Vorteil, dass sie sich nicht als externe Berater verstehen, aber eben auch nicht Teil des Verwaltungsorganigramms sind. Auch wenn die dortigen Tätigkeiten teils mit enormen Erfolgsdruck verbunden sind, bieten sie beste Ansätze für Innovation.

Prof. Dr. Frank Nullmeier, Hochschullehrer an der Universität Bremen, hält seinen Vortrag zum Thema »Digitale Sozialpolitik – Situation und Perspektiven«. Zunächst hält er fest, dass sich Sozial- und Netzpolitik ausgesprochen überschneiden und einander bedingen. Um digitale Sozialpolitik effektiv und nachhaltig zu gestalten, braucht es eine Verknüpfung der kommunalen Ebene mit den Organisationen der Wohlfahrtspflege. Teilweise wird dies bereits im Zusammenspiel der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände und dem Familienministerium durchgeführt.

Als besonders zukunftsorientiert zeigt sich laut Nullmeier die Caritas, die bereits 2019 die Kampagne »Sozial braucht digital« führte. Die BAG führt mittlerweile unter dem Begriff »Smart Welfare« ein neues Label, unter dem die neuen und zukünftigen Aktivitäten digitalisierter Dienstleistungen laufen werden.

Im Bereich des Personaleinsatzes wird es Veränderungen geben. Typische Face-to-Face-Kommunikation wird zwar nicht vollständig abgelöst, aber durch Mischformen ersetzt, die vor allem durch Onlinetools gestützt sein werden.

Eine Möglichkeit der Etablierung einer umfangreichen Neugestaltung sind Plattformlösungen. Durch Verbundsysteme könnten viele unterschiedliche Angebote gebündelt werden und eine gut durchdachte und bedienungsfreundliche Struktur Hilfesuchende durch die spezialisierten Dienstleistungen lenken. Der Einsatz von KI ist insoweit noch nicht in unmittelbarer Sichtweite, aber vor allem im Fallmanagement denkbar, beispielsweise durch Vorprüfungen, ob bei bestimmten Anzeichen eine persönliche Befassung durch eine*n Sachbearbeiter*in nötig wird.

Die Risiken freilich dürfen nicht aus den Augen verloren werden. Dazu gehören die sorgfältige Beobachtung algorithmischer Entscheidungen, um automatisierte Diskriminierung auszuschalten, sowie die Einhaltung datenschutzrechtlicher Standards. Ein besonderes Gefahrenpotential liegt zudem in dem Ausschluss einzelner. Die Nichtteilhabe oder die erschwerte Teilhabe an digitalen Sozialleistungen würde zu einem regelrechten Ausschluss werden. Die Netzpolitik muss sich daher, so der Referent, mit einem Universalanspruch an die Gesellschaft wenden und einen Zugang für alle garantieren.

Niels Winkler, ministerieller Mitarbeiter des Senators für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen, referiert zu dem Thema »Das Modell der ›Digitalen Ambulanz‹ – Kommunale Daseinsvorsorge als Ergebnis kooperativer Netzwerkarbeit – Bremer Ansätze zur Neuaufstellung«. Als Projektleiter stellt er die Digitale Ambulanz vor, die ältere Bürger*innen unterstützen und damit einen wichtigen Schritt in die Zivilgesellschaft zur kooperativen Zusammenarbeit tun will. Diese Gruppe wurde für das Projekt mit Bedacht gewählt, da hier eine tendenzielle Spaltung in eine On- und Offline-Gesellschaft am Offenkundigsten ist. Ziel ist, mit einem tragfähigen Hilfsangebot die kommunale Daseinsvorsorge mitzugestalten und dauerhafte Unterstützungsleistungen zu etablieren, um auch Nutzungserfahrungen zu vermitteln. Dergestalt soll eine Befähigung zur Teilhabe umgesetzt werden und so die weitere soziale Teilnahme von jenen gefördert werden, die nur einen rudimentären oder gar keinen Zugang zum Internet haben. Teil der Arbeit ist auch die Analyse bereits bestehender Angebote.

»Digitale Gesundheitsvorsorge – Chancen und Risiken mit Blick auf die Daseinsvorsorge« lautet der Titel des Beitrages von Prof. Dr. Hajo Zeeb von der Universität Bremen. Er verweist auf den hohen Stellenwert der Gesundheit, die Teil der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 ist. Zeeb verdeutlicht, dass Gesundheitsversorgung gleichzusetzen ist mit Qualität: Qualität im Sinne von hochwertigen Standards, aber auch als Lebensqualität, die auch eine Voraussetzung für die Wahrung der Menschenwürde ist.

Dieser Stellenwert spiegelt sich auch in zahllosen Angeboten und einer großen Nachfrage in der Gesellschaft wider, die sich gegenwärtig in etlichen Gesundheits-Apps zeigt.

Für eine zunehmende Digitalisierung im Gesundheitswesen macht der Referent Sprachbarrieren als relevantes Problem aus. Möglicherweise können hier Video-Dolmetscherdienste breitgefächert und nutzbringend eingesetzt werden. In Bremen wird diese Möglichkeit bereits von den Sozialen Diensten eingesetzt. Professor Zeeb führt weiter aus, dass sich Vorteile der Digitalisierung auch im Hinblick auf den demografischen Wandel und einer damit verbundenen Zunahme bestimmter Erkrankungen bewähren werde. Zu berücksichtigen sind indes auch hier Problembereiche, wie etwa der Einsatz von KI und Formen des Ausschlusses, weil einzelne Menschen keinen Zugang in diese digitale Welt haben oder nutzen können.

Dr. Christoph Lindner von Dataport referiert zum Thema Bildung im digitalen Zeitalter unter dem Titel »weniger Blech – mehr Inhalte«. Wesentlich für die Zukunft ist demnach der Ausbau der Medienkompetenz, wie sie auf der Bildungsministerkonferenz 2016 bereits als Empfehlung ausgesprochen wurde. Eine tragende Rolle sollte dies bei der Lehramtsausbildung spielen, um frühzeitig und langfristig die Kompetenz der Schüler*innen zu fördern. Zugleich werden sich solche Strategien auch als Vorteil für Lehrer*innen erweisen, die bei stetigem Personalmangel immer komplexere Aufgaben zu bewältigen haben.

Als erfolgreiches Modell werden sich Lernplattformen etablieren. Der Referent bezieht eine Studie aus dem Jahr 2009 ein und empfiehlt ein integriertes Schulmanagement über Portale, die ähnlich aufgebaut sein können wie Bürgerportale und eine Interaktion zwischen allen Beteiligten ermöglichen. Denkbar ist der Einsatz von Chat-Bots auf KI-Basis, um Lehrkräfte beim Einsatz von Lernmaterial zu unterstützen. Wissensinhalte der kommenden Stunde könnten vorab dargeboten werden; ein gezielter Einsatz von Videos wie auch eine spielerische Vermittlung von Lehrinhalten können Abwechslung bieten. Um zugleich ein gutes Klassenklima sicherzustellen, sind regelmäßige Feedbacks über die dort erbrachten Leistungen notwendig. Sichergestellt sein muss dabei, dass alle relevanten Daten auf deutschen Servern gelagert werden.

Dr. Thomas Losse-Müller, Staatssekretär a. D. und Partner bei Ernst & Young, trägt zu »Smart City – Smarty Country – Spannungsfeld zwischen kommunaler Autonomie, Verkehrsbetrieben und privatwirtschaftlichen Einflüssen« vor. Er vertritt die These, dass ein sozioökonomischer Umbau allein durch die Digitalisierung realisierbar ist. Losse-Müller fordert den nachhaltigen Aufbau einer digitalen Infrastruktur, um elementare Leistungen für die Bevölkerung differenziert und flexibel bereitzuhalten. Durch eine umfangreiche Vernetzung einzelner Wohnquartiere könne dergestalt eine an die Bedürfnisse vor Ort perfekt angepasste Versorgung und Daseinsvorsorge möglich sein, beispielsweise hinsichtlich Pflege und Gesundheitsdienstleistungen.

Die zunehmende Nutzung dieser Gestaltungsspielräume wird eine starke Dezentralisierung des Leistungs- und Energiesektors zur Folge haben, wodurch eine Rekommunalisierung der Daseinsvorsorge eintreten wird. Sektorenkonvergenz wird ein essentielles Thema werden. Deutlich wird aber auch wieder zu Tage treten, dass eine Steuerung zum Wohle aller nur durch den Staat gewährleistet werden kann, zumal kollektives Verhalten gelenkt werden muss, damit alle davon profitieren. Beispielhaft verweist der Referent auf die Option im Rahmen der Smart City, die Verkehrsdichte in den Griff zu bekommen. Solange allein durch Freiwilligkeit Verzicht und gemeinwohlorientiertes Verhalten erreicht werden sollen, wird es Probleme geben, da sich dies nicht im Sinne eines Geschäftsmodells auf den ersten Blick vorteilhaft zeigt. Hier muss die Wende mit den Mitteln des Staates erreicht werden.

Zum Ende des zweiten Kolloquiumtags referiert Dr. Bovenschulte in seiner Rolle als Bremischer Kultursenator zum Thema »eCulture als neue kulturpolitische Qualität?«. Er betont den verfassungsrechtlichen Stellenwert der Kultur und das Recht auf Teilhabe von Bürger*innen am kulturellen Leben. Bürgermeister Bovenschulte stellt sich die Frage, wie sich Kultur und Teilhabe im Zeitalter der Digitalisierung entwickeln werden.

Auf der Empfängerseite wird sich vieles vereinfachen, denn die Gebundenheit von Kunst an eine körperliche Struktur wie auch die Orts- und Zeitbezogenheiten schaffen neue Möglichkeiten und einen verbesserten Zugang zu Kultur. Dies gilt zumal im Hinblick auf soziale und physische Beschränkungen, denn insoweit werden Hindernisse eingeebnet und Kunstgenuss für breitere Schichten eröffnet. Auch die Künstler profitieren von der Entwicklung, denn in bestimmten Kunstbereichen reduzieren sich Aufwand und Kosten. Es können mehr Menschen erreicht werden. Eine Tendenz, die geradezu demokratisierend auf den Kulturbetrieb wirkt.

Digitale und digitalisierte Kunst eint in sich Dauerhaftigkeit, aber im Genuss mitunter auch eine Flüchtigkeit. Als problematisch kann sich erweisen, dass der Originalitätsbegriff verloren geht – die Unterscheidung zwischen Original und Kopie verwischt. Auch ist zu bedenken, wie unter solchen Bedingungen Künstler*innen angemessen entlohnt werden, aber auch wie ihre Rechte angemessen gewahrt bleiben. Abgerundet wird diese umfangreiche Problematik durch Fragen des Datenschutzes und der Barrierefreiheit. Dies zusammengenommen macht eCulture zu einem ereignisreichen Prozess, der zu sensibel ist, um ihn durch Märkte regulieren zu lassen.

Juliane Schmeling von Frauenhofer FOKUS leitet die Impulsvorträge ein, die unter dem Titel »Fit for Future?!« zusammengefasst sind. Die Referentin stellt die digitale Kompetenz als Wandlung der Arbeitskultur innerhalb der öffentlichen Verwaltung dar und interpretiert dazu Objekte der analytischen Malerei. Sie streift dabei Gesichtspunkte von Preis-Leistung-Modellen, Privatisierungsansätzen der Verwaltung, Ideen des Open Government, kooperative und inklusive Gestaltungsmöglichkeiten und stellt agiles Arbeiten vor.

Prof. Dr. Margit Seckelmann von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer führt zu gegenwärtigen Diskussionen und der Arbeit von Qualifica Digitalis, einem Forschungs- und Entwicklungsprojekts des IT-Planungsrates, aus. Dabei ist zumal der demografische Wandel im Blick und die damit einhergehende Verrentung eines erheblichen Teils der Mitarbeiter*innen des öffentlichen Dienstes in den nächsten Jahren. Hier gilt es durch Steuerung und Kooperation die Digitalisierung vorteilhaft einzubringen, wie etwa den Ausbau der Telearbeit im Homeoffice. Einen besonderen Stellenwert räumt die Vortragende der (Weiter-)Qualifizierung von Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung ein. Ein Fokus der künftigen Projektarbeit wird daher auch auf Personalentwicklungskonzepte und Arbeitsbedingungen gelegt werden.

Anne Schassan, Personalchefin des IT-Dienstleisters Dataport, legt ihren Schwerpunkt auf das Thema (Arbeits-)Kultur. Sie legt dar, dass für die erfolgreiche Bewältigung gegenwärtiger und zukünftiger Anforderungen eine passende Organisations- und Arbeitskultur förderliche Rahmenbedingungen bieten sollte. Gerade in dieser Hinsicht hat sich Dataport die Bereitschaft auferlegt, Bisheriges zu reflektieren und dort, wo es passend erscheint, neue Wege zu gehen. Insbesondere um das Ziel der Nutzer-orientierung aller digitalisierten Verwaltungsleistungen zu erreichen, bedarf es sinnstiftender Werte und Praktiken für Dienstleistung und Verwaltung Hierbei geht es nicht nur um Methoden, sondern explizit auch um Haltungen. Dazu gehört etwa die Bereitschaft, Wissen zu vermitteln und es zu teilen, mithin eine maximale Bereitschaft zur Kollaboration, aber auch die Bereitschaft, zwar groß zu denken, aber in kleinen Schritten erfolgreich zu experimentieren – und zugleich Fehler als Teil des Erfolgsprozesses zu akzeptieren. Dies ist indes auch als Standortvorteil zu sehen, denn ein positives Wertesystem ist auch geeignet, um als Arbeitsgeber attraktiv zu erscheinen.

Katja Lessing ist Projektleiterin von Qualifica Digitalis und betont die Bedeutung der Digitalisierung als ein Mehr denn ein technischer Fortschritt. Die Informationstechnologie wird die behördliche Arbeit derart stark verändern – und auch die Erwartungshaltung der Bürger*innen –, dass sie sich neben Haushalt, Personal und Organisation zu einer vierten Säule der Verwaltung entwickeln wird. Für die Mitarbeiter*innen wird es künftig um mehr gehen als reine Anwenderkompetenz. Hier gilt es zumal sich der Frage zu stellen, inwieweit Maschinen Entscheidungen fällen dürfen und wie diese wiederum im Einfluss menschlicher Entscheider verbleiben. Es ist Ziel des Projekts, aufgrund wissenschaftlicher Analysen neue Qualifizierungsstrategien zu entwickeln, die Aus-, Fort- und Weiterbildung für den Öffentlichen Dienst zukunftsfähig machen.

Prof. Dr. Dagmar Borchers, Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Philosophie der Universität Bremen, stellt die These auf, dass es eben nicht nur Menschen sind, die in der digitalisierten Verwaltung entscheiden, sondern auch Algorithmen. Daher ist es wichtig, dass sich Mitarbeiter*innen der öffentlichen Verwaltung ihrer besonderen Verantwortung bewusst sein müssen wie auch hinsichtlich ihres kritischen Verhältnisses zu den eingesetzten Maschinen und maschinellen Verfahren. Es bedarf einer besonderen Betonung der Freiheitsrechte aller Menschen in der Ausbildung, es sollte ein sensibles Bewusstsein geschaffen werden, um die Anforderungen digitaler Technologien anzunehmen. Es muss auch zukünftig klar sein, dass Sinnhaftigkeit allein die von einem Menschen getragene Entscheidung vermittelt, denn nur er vermag es, nach humanen Gesichtspunkten zu gewichten und zu beurteilen. (Aus-)Bildung sollte verstärkt Ideen und Werte eines guten Zusammenlebens vermitteln, wie auch ein tiefes Verständnis von Demokratie, Gleichheit, Freiheit und Toleranz. Statt blinder Euphorie gilt die Vermittlung eines profunden ethischen Verständnisses – so kann der Mut zu Entscheiden vorangebracht werden.

Sabine Smentek, Staatssekretärin für Informations- und Kommunikationstechnik, Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin, begrüßt die Arbeit des Projekts Qualifica Digitalis und betont die Wichtigkeit einer tiefgründigen Ausbildung. Insbesondere Großorganisationen wie die Verwaltungsapparate zeigten immer wieder einen beharrenden Charakter, der sich mitunter bremsend auf Eigeninitiative und Verantwortungsfreude jüngerer Mitarbeiter*innen auswirke. Die jetzige Geschwindigkeit der Umwälzung durch die Digitalisierung könnte diese Effekte noch bestärken. Durch die innovative Projektarbeit kann nicht nur die Ausbildung verbessert werden, sondern Verantwortungsbewusstsein, Entscheidungsfreude und visionäre Kraft gefördert werden.

Schlussbemerkung

Henning Lühr, Staatsrat und stellvertretender Vorsitzender des IT-Planungsrates, hält den Schlussvortrag und betont die guten Erfahrungen des letzten Jahres, die dafür genutzt wurden, um mit den Bremer Gesprächen zur Staatskunst in Serie gehen zu können.

Für das kommende Jahr kündigt der Staatsrat eine stärkere Einbindung der Politik an. Zudem verweist er darauf, dass sich der IT-Planungsrat 2019 intensiv thematisch den Kommunen zugewandt hat, die das Rückgrat der Verwaltungstätigkeit bilden. Hieran zeigt sich zumal, dass Digitalisierung nicht von der Rolle des Staates zu trennen ist. Dieser Problematik muss sich die Politik stellen, um ihren Funktionen im Rahmen von Verwaltungshandeln und digitaler Daseinsvorsorge gerecht zu werden. Nicht nur die Rolle der Kommunen spielt mit hinein, sondern hier zeigt sich die Vielschichtigkeit, die über die Länder und den Bund bis auch in die europäische Ebene reicht.

Henning Lühr hebt das hohe Niveau der Beiträge des Kolloquiums hervor und dankt allen Vortragenden und den Diskussionsteilnehmer*innen.

2 Die Kolloquiums-Beiträge im Einzelnen (Patricia Grashoff, Peter Kalmbach)

»Bremer Rathausgespräche zur Digitalen Staatskunst gehen in Serie!«Begrüßung und Eröffnung

Andreas Bovenschulte

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

herzlich willkommen zu den »Bremer Rathausgesprächen zur Digitalen Staatskunst« mit dem diesjährigen Schwerpunkt »Digitale Daseinsvorsorge«. Besonders begrüße ich Frau Generaldirektorin Gertrud Ingestad, Herrn Staatssekretär Klaus Vitt aus dem BMI und Herrn Senator Dietmar Strehl.

Ursprünglich hervorgegangen sind die Rathausgespräche aus der Arbeit des Beirats »Innovative Verwaltungsentwicklung«. Der Beirat hat 2017 bis 2019 als Impulsgeber für Verwaltungsmodernisierung gewirkt.

Mit der Übernahme des Vorsitzes des IT-Planungsrats durch Bremen in 2019 war die Organisation der Rathausgespräche quasi eine logische Konsequenz. Das im Februar 2019 durchgeführte Kolloquium »Brauchen wir eine neue Staatskunst?« war also der Auftakt einer Reihe zu gesellschaftspolitischen, staatstheoretischen, verfassungsrechtlichen und verwaltungswissenschaftlichen Fragen der Digitalisierung und ihren Implikationen für soziale Teilhabe und Chancengerechtigkeit. Jetzt gehen sie in Serie: Aus Innovation wird Tradition und daraus wiederum Brauchtum.

Uns erwartet wieder ein sehr vielfältiges Programm. Ich freue mich immer über das Spannungsfeld zwischen Diskussion über modernste Entwicklungen und dem gediegenen Tagungsort unserer oberen Halle von 1405–1410. Gebaut auf Anweisung vom Bremer Rath, dem Vorläufer des Senats: Wohledler, hochweiser Rath … Das muss irgendwie im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen sein. Andere Dinge sind zeitlos geblieben: »Mehret die städtischen Einnahmen.«

Mein besonderer Dank gilt Staatsrat Henning Lühr und seinem Team, der die Rathausgespräche auch in diesem Jahr wieder persönlich initiiert und organisiert hat.

Das diesjährige Rathausgespräch wird sich mit dem Thema »Digitale Daseinsvorsorge« auseinandersetzen.

Mit der Digitalisierung, die in allen Lebensbereichen wirkt, sind grundlegende Herausforderungen entstanden:

• die Gewährleistung der Grundrechte und von Rechts- und Sozialstaatlichkeit im digitalen Zeitalter

• die Sicherstellung von Datenschutz und Privatsphäre in einer automatisierten Gesellschaft

• die Transparenz, Gleichbehandlung und Gewährleistung der Menschenwürde bei der Nutzung von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz

• die gleichberechtigte Teilhabe aller Bürger*innen in einer digitalisierten Welt

Digitale Entwicklungen dürfen nicht dazu führen, dass sich Ungleichheiten vergrößern und verfestigen und Menschen vom Subjekt zum Objekt gesellschaftlicher Entwicklungen machen. Im Gegenteil: Digitale Teilhabe ist zukünftig wesentliche Voraussetzung für soziale und gesellschaftliche Teilhabe und für die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Es geht darum, Antworten zu finden auf die Frage, wie neue Technologien zu einem nachhaltigen und sozial gerechten Gemeinwesen beitragen können.

Zunächst zum Begriff der Daseinsvorsorge. Es handelt sich dabei um ein politisches Programm und weniger um einen Rechtsbegriff. Gleichzeitig ist der Ausdruck dynamisch. Er befindet sich in einem stetigen Wandel. Ursprünglich geprägt in der NS-Zeit durch Ernst Forsthoff, sollte die Daseinsfürsorge im Zuge des Etatismus das Primat der Verwaltung gegenüber der Privatwirtschaft und dem freien Markt sicherstellen. Nach 1945 erfolgte eine Demokratisierung der Daseinsvorsorge. Im Zuge des Sozialstaatsprinzips, der Grundrechte und der kommunalen Selbstverwaltung hat sich der Begriff zu dem gewandelt, was wir heute darunter verstehen: Die öffentliche Bereitstellung der existenznotwendigen Grundversorgung an Gütern und Dienstleistungen. Heute besteht Konsens darüber, dass auch digitale Teilhabe als Teil einer »modernen« Daseinsvorsorge zu verstehen ist. Ich teile diese Ansicht uneingeschränkt.

Die Trennung der Gesellschaft in »Onliner« und »Offliner« ist heute nachweisbar. Ganze Personengruppen nehmen kaum am digitalen Leben teil. Es zeigt sich, dass Einflussgrößen wie das Alter oder der Bildungsstand großen Einfluss auf die Nutzung neuer Technologien und digitaler Angebote haben.

Es gilt, digitale Teilhabe sicherzustellen, um zu gewährleisten, dass sich bereits vorhandene Spaltungen nicht verfestigen und dass Bürgerinnen und Bürger gleichberechtigt am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben teilhaben können.

Mit den Digitalambulanzen versucht Bremen, sich dieser Herausforderung, in einem ersten Schritt bezogen auf die Alterslücke, anzunehmen. Dabei werden ältere Menschen bedürfnisgerecht beim Aufbau digitaler Kompetenzen unterstützt und eng begleitet.

Es braucht unsere gemeinsamen Anstrengungen, um Digitalkompetenzen auszubilden, alle Menschen an digitale Angebote heranzuführen und digitale Entwicklungen im Sinne unseres Gemeinwesens aktiv mitzugestalten.

Digitale Daseinsvorsorge hat eine Vielzahl von Aspekten, über die im Rahmen dieser Tagung diskutiert werden wird. Davon möchte ich zwei Aspekte herausgreifen:

Gewährleistung der Menschenwürde: Die Grundrechte und insbesondere die in Art. 1 GG ausgeführte Menschenwürde bleiben auch in einer digitalen Welt unantastbar. Technologien und Algorithmen tragen gegebenenfalls Diskriminierungen und Vorurteile weiter und verfestigen diese. Die Identifizierung von Risikofaktoren für bestimmte Krankheitsbilder sowie die Berechnung der Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung für den Einzelnen darf beispielweise keinen Einfluss auf Versicherungsleistungen haben. Das Solidaritätsprinzip, in dem das Kollektiv die Einzelpersonen unterstützt und damit einen für alle tragbaren Beitrag schafft, muss aufrechterhalten werden.

Digitale Souveränität: Die ehemalige EU-Kommissarin für Verbraucherschutz Meglena Kuneva erkannte bereits 2009, dass »persönliche Daten das neue Öl des Internets und die neue Währung der digitalen Welt« sind. Fest steht, dass eine Entwicklung, bei der zunehmend unvorstellbar große Mengen an Daten abgegriffen, gespeichert und weiterverkauft werden, nicht unreguliert hinnehmbar ist. Hier ist staatliches Handeln gefragt. Im Kleinen wie im Großen. Die öffentliche Verwaltung nutzt beispielsweise Softwareprodukte großer IT-Unternehmen wie Microsoft oder SAP. Diese Abhängigkeit führt zu Problemlagen. Die Lizenzen müssen regelmäßig verlängert werden. Große Hersteller besitzen aufgrund ihrer Marktmacht eine hohe Verhandlungsmacht. Die zunehmende Umstellung auf Cloud-Systeme gefährdet wiederum den Datenschutz und die Datensouveränität. Hier müssen Lösungen entwickelt werden, die die digitale Souveränität der öffentlichen Verwaltung und der Daten der Bürger*innen gewährleisten.

Es gilt, digitale Entwicklungen durch unser staatliches und kommunales Handeln zu gestalten. Dafür brauchen wir eine gemeinsame kluge Auseinandersetzung um Lösungen. Francis Bacon stellte einst fest: Wenn Zukunft eine Perspektive ist, dann sollte man in der Gegenwart damit beginnen, sie zu gestalten. In diesem Sinne freue ich mich sehr, dass im Rahmen der Bremer Gespräche über diese herausfordernden Themen diskutiert wird!

Nachhaltigkeit, Klimaschutz, soziale und demokratische Teilhabe – Digitalisierung ist ein politisches Gestaltungsfeld –

Vortrag zur Einführung in das Thema

Dietmar Strehl

Sehr geehrte Generaldirektorin Ingestad, sehr geehrter Herr Staatssekretär Vitt, sehr geehrter Herr Bürgermeister Bovenschulte, sehr geehrte Damen und Herren,

es ist mir eine Freude, Sie alle hier in diesem geschichtsträchtigen Saal begrüßen zu dürfen! Digitales trifft auf Tradition, was kann es Besseres geben?

Die letztjährige Veranstaltung zeigte, dass es notwendig ist, die diskutierten Themen zu vertiefen und den Austausch darüber zu verstetigen. Nachdem im letztjährigen Kolloquium sehr grundlegende Fragen der Staatskunst erörtert wurden, möchten wir mit Ihnen in den nächsten zwei Tagen über Fragen der Daseinsvorsorge unter dem Vorzeichen der Digitalisierung sprechen. Es zeigt sich immer deutlicher: Digitalisierung ist ein fundamentales Gestaltungsfeld der Politik! In allen Bereichen der Gesellschaft taucht das Schlagwort Digitalisierung auf. In allen Facetten des staatlichen Handelns ist die Digitalisierung ein Thema. Nicht grundlos ist die Rede von einem neuen Zeitalter, dem digitalen Zeitalter. Vieles ist im Wandel.

Infolge der Digitalisierung müssen grundlegende ethische und gesellschaftliche Fragen beantwortet werden:

Wie gehen wir um mit Filter-Blasen und Hass im Netz, die den demokratischen Zusammenhalt gefährden? Wie gehen wir mit den Daten-Kraken von Facebook und Co um? Wie weit ist es gut für den Marktmechanismus, dass Unternehmen wie Amazon einen zentralen Marktplatz beherrschen? Wie gehen wir gesellschaftlich damit um, wenn KI Entscheidungen beeinflusst? Dies war ja bereits im letzten Jahr Thema in dem informativen Beitrag der Bremer Professorin Dagmar Borchers. Herr Bürgermeister Bovenschulte hat es bereits angesprochen: Brauchen wir daher ein Recht auf menschliche Entscheidung?

Digitalisierung darf nicht in einem rechtsfreien Raum stattfinden, sondern muss, genauso wie andere soziale Interaktionen, in einen Rechtsrahmen eingebettet sein.Zivilisatorische Errungenschaften, wie die Gewährleistung der Würde des Menschen, dürfen nicht durch die Digitalisierung ausgehebelt werden. Persönlichkeitsrechte und Datenschutz müssen wir dringend ernst nehmen! Sozialstaatliche Errungenschaften, wie die Pfeiler der sozialen Marktwirtschaft, dürfen nicht durch Marktkonzentration und Steuervermeidung der digitalen Giganten ausgehöhlt werden. Bei diesen höchst relevanten Fragen muss der Staat Leitplanken setzen. Hieraus leitet sich ein wichtiger Bereich staatlichen Handelns im Kontext der Digitalisierung ab. Der Staat hat die Aufgabe, den rechtlichen Rahmen für die Digitalisierung zu gestalten.

Es gibt noch einen anderen bedeutsamen Bereich, in dem der Staat tätig werden muss. Er ist damit konfrontiert, seine eigenen Kernfunktionen, Aufgaben und Dienstleistungen zu digitalisieren. Der Staat muss seine Transformation ins digitale Zeitalter zügig bewältigen, denn Deutschland hat im europäischen Vergleich schon einen enormen Nachholbedarf. Um die Transformation in Bremen voranzutreiben, haben wir in den Haushaltsjahren 2020 und 2021 zusätzlich das Handlungsfeld Digitalisierung verankert. Dieses Handlungsfeld ist mit etwa 43 Mio. Euro ausgestattet – für neue Digitalisierungsprojekte. Trotz Haushaltsnotlage arbeiten wir intensiv an diesem Thema.

Digitalisierung ist keine Naturgewalt, die es zu bändigen gilt. Sie ist eine von Menschen gemachte technische Entwicklung. Dies bedeutet, dass sie auch von Menschen maßgeblich beeinflusst und reguliert werden kann – sie ist ein bedeutsames Gestaltungsfeld der Politik! Wirft man einen detaillierteren Blick auf die Gestaltungsfelder der Digitalisierung im öffentlichen Sektor, zeichnen sich viele Gestaltungsfelder ab, die zu berücksichtigen sind. Hierzu zählen die Verwaltungsdigitalisierung – und das sage ich ganz bewusst – als Möglichkeit zur Verwaltungsmodernisierung, die digitale Daseinsvorsorge als sozialstaatliche Aufgabe, die Maßnahmen der Green IT, um den ökologischen Herausforderungen gerecht zu werden, die Entwicklung von KI, um Prozesse zu automatisieren, die Gewährleistung der Sicherheit von Daten und der Infrastruktur sowie eine zukunftsorientierte Qualifizierung der öffentlich Beschäftigten.

Daseinsvorsorge ist eine wichtige Funktion in unserer wohlfahrtsstaatlichen Demokratie. Ich denke es herrscht Einigkeit darüber, dass die »klassische« Daseinsvorsorge von der Digitalisierung stark betroffen ist. Inwiefern gibt es aber auch Aufgaben der Daseinsvorsorge, die durch die Digitalisierung neu entstehen oder sich verändern – Fragen einer digitalen Daseinsvorsorge also? Unter anderem werden wir uns dieser Frage heute und morgen vertiefend widmen. Ich bin gespannt auf den Facettenreichtum in der Debatte zu diesem Begriff.

Sehr konkret finden derzeit schon viele Digitalisierungsprozesse statt. Der Bund und die Länder sind 2017 mit dem Onlinezugangsgesetz einen wichtigen Schritt gegangen, um die Digitalisierung in die deutschen Amtsstuben zu tragen. Bis 2022 sollen 575 Verwaltungsleistungen auch digital über Verwaltungsportale verfügbar sein. Wir arbeiten derzeit in Bremen intensiv an der Umsetzung dieser bedeutsamen Aufgabe und haben in Kooperation mit anderen Ländern und dem Bund Teilbereiche übernommen. Zusammen mit den Dataportländern Hamburg, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt entwickeln wir die OSI-Plattform, welche als zentrale Plattform der digitalen Transformation des öffentlichen Sektors dient. Bremen hat den festen Willen, die Verwaltung zu transferieren und gleichzeitig zu modernisieren. Denn die Digitalisierung beinhaltet die Chance, Verwaltungsprozesse intern sowie besonders auch in Interaktion mit den Bürgerinnen und Bürgern zu modernisieren und zu optimieren. Digitalisierung ist mehr als nur die »Elektronifizierung der bestehenden Bürokratie«. Um dies effizient und im Sinne aller zu gewährleisten, ist uns der Austausch mit der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft enorm wichtig. Mit Hilfe von digitalen Lösungen können Verwaltungsprozesse vereinfacht und beschleunigt werden.

Ich möchte hier auch das Beispiel ELFE nicht unerwähnt lassen: In Bremen entwickeln wir mit dem Projekt ELFE – abgekürzt für »Einfache Leistungen für Eltern« – bereits eine innovative App, die verschiedene Verwaltungsleistungen bündelt und somit eine große Erleichterung für den Behördenkontakt nach der Geburt eines Kindes sein wird. Auch auf Verwaltungsseite kann die Digitalisierung mühsame Arbeit sparen, durch eine direkte Verknüpfung mit den Registern.

Bei der Umsetzung des Projektes ELFE sind wir ganz entscheidend auf eine geänderte Gesetzgebung durch den Bund angewiesen. An dieser Stelle möchte ich Herrn Staatsekretär Vitt und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Bundesministerium des Inneren herzlich für die gute Zusammenarbeit danken. Diese ist notwendig und hilfreich.

Das Prinzip hinter ELFE kann übrigens auch auf andere Verwaltungsleistungen übertragen werden, zum Beispiel bei Wohngeldanträgen oder anderen Sozialleistungen.

Als grüner Senator stelle ich mir grundsätzlich die Frage, wie die Digitalisierung des öffentlichen Sektors nachhaltig gestaltet werden kann. Was bedeutet Nachhaltigkeit im Kontext der Digitalisierung? Meine Damen und Herren – ich bin der festen Überzeugung, dass Nachhaltigkeit nur im Dreiklang von sozialen, ökonomischen und ökologischen Aspekten zu erreichen ist. Diesen Dreiklang müssen wir bei unseren Digitalisierungsbemühungen immer mitdenken!

Der Klimawandel und die Verschmutzung unserer Umwelt sind die größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts! Alles deutet darauf hin, dass die volkswirtschaftlichen Kosten des Klimawandels enorm sein werden. Es droht, dass die Digitalisierung den Klimawandel beschleunigt. Je komplexer die Software wird, desto mehr Rechenleistung ist nötig, sprich mehr Energie wird verbraucht. Besonders Künstliche Intelligenz basiert auf enormen Rechenvorgängen und hat dadurch einen besonders hohen Energiebedarf. Und hier stecken wir ja noch in den Kinderschuhen!

Wenn wir also den eingeschlagenen Pfad der Digitalisierung fortschreiten – darüber, dass wir diesen Pfad gehen wollen, sind wir uns hier im Raum ja einig – führt dies zwangsläufig dazu, dass wir immer mehr Energie und immer größere Rechenzentren benötigen. Dem Anstieg der Energienutzung müssen wir gegensteuern. Energieeffizienz ist hier das Stichwort.

Besonders gravierend wird der Stromverbrauch bei Streaming-Plattformen sichtbar. Laut einem deutschen Stromkonzern verbrauche weltweit das Video-Streaming 2018 so viel Strom wie Deutschland, Italien und Polen zusammen. Die privaten Konzerne stehen in der Verantwortung, ihre stromfressenden Server möglichst energieeffizient zu entwickeln. Deutlich wird hierbei, dass wir einen ökologischen Ordnungsrahmen für die Digitalisierung setzen und digitale Innovationen für den Klimaschutz fördern müssen.

Mit dem »Twin Data Center« bei Dataport haben wir gezeigt, wie sich der Energiebedarf bündeln und reduzieren lässt. Durch das hochmoderne Rechenzentrum konnten wir den Stromverbrauch von 1.2 Megawatt in 2013 auf 0.45 Megawatt in 2018 reduzieren. Das Rechenzentrum ist eins der energieeffizientesten öffentlichen Rechenzentren in Deutschland. Die Abwärme des Rechenzentrums beheizt z. B. nebenbei eine anliegende Turnhalle.

Aus ökologischen Gründen ist es zudem wichtig, über den Ressourcenverbrauch der digitalen Infrastruktur zu sprechen. Staatliches Handeln sollte bei der Beschaffung, bei der Nutzung und Entsorgung seinen ökologischen Fußabdruck nicht aus den Augen verlieren. Das maßgebliche Ziel ist, den Ressourcenverbrauch auf einem möglichst fairen und geringen Niveau zu halten. Bei der Beschaffung von Hardware sollte daher darauf geachtet werden, dass die technischen Geräte möglichst sozial und ökologisch fair produziert wurden.

Lieferketten müssen hinsichtlich dieser Bedingungen beachtet werden. Eine lückenlose Überprüfung stellt sich derzeit allerdings als unlösbare Aufgabe dar.

Langlebigkeit kann durch Modularität gesteigert werden, damit nicht gleich das ganze Gerät entsorgt werden muss, bloß, weil eine Komponente kaputtgegangen ist. Eine hohe Energieeffizienz der Geräte senkt den Energieverbrauch. Dies gilt es ebenso bei der Beschaffung zu berücksichtigen.

Bei Dataport haben wir für IT-Ausschreibungen bereits sehr hohe Maßstäbe gesetzt, die es zu halten und nach Möglichkeit zu erhöhen gilt. Dafür setzen wir Bremer uns seit Jahren ein.

Ergänzend ist es mir ein Anliegen, zu betonen, dass es zu kurz gedacht ist, nur die Produktion und die Nutzung zu betrachten. Wir müssen sicherstellen, dass die ausgedienten Geräte nicht in Afrika auf einer Giftmüllhalde landen!

Doch nicht nur die Hardware lässt sich verbessern. Auch bei der Art und Weise, wie die Software, bzw. die Algorithmen programmiert sind, kann der Energiebedarf beeinflusst werden. Ineffiziente Rechenvorgänge verbrauchen mehr Energie als nötig. Wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie es möglich ist, solche Aspekte bei der Beschaffung von Software zu berücksichtigen.

Digitalisierung bietet die Chance für neue Arbeitsweisen. So können z. B. bei der Durchführung von Videokonferenzen Dienstreisen eingespart werden, was die CO2-Emissionen erheblich reduzieren kann. Bei mir im Ressort wurden beispielsweise 2019 über 1300 Dienstreisen durchgeführt. Dabei wurden 887.000 Kilometer zurückgelegt – übrigens in vorbildlicher Weise davon 821.000 km per Bahn! Unter Berücksichtigung der genutzten Beförderungsmittel macht dies einen CO2-Ausstoß von ca. 40 Tonnen im Jahr – die wir selbstverständlich kompensieren. Jedoch deutlich nachhaltiger wäre es – und den Hinweis möchte ich uns allen geben – diesen Aufwand zum Beispiel durch Videokonferenzen zu reduzieren. Es könnte ein deutlicher Anteil der Dienstreisen durch Videoschaltungen ersetzt werden. Stellen wir uns vor, wir würden ⅓ der Dienstreisen durch Videokonferenzen ersetzen, dass würde über 13 Tonnen CO2 jährlich sparen – nur bei mir im Ressort!

Aus diesem Grund haben wir vor, die schon in der Freien Hansestadt Bremen vorhandenen Videokonferenzanlagen auszubauen. Jede Behörde soll eine Anlage bekommen. Es sollen darüber hinaus mindestens 150 Arbeitsplätze mit Videokonferenztechnik ausgestattet werden. Diese Maßnahme möchten wir auf den im Haushalt neugeschaffenen Klimaschutztopf anmelden.

Die Digitalisierung kann nur erfolgreich sein, wenn wir neben den ökologischen und ökonomischen Erwä-gungen auch ganz zentral die sozialen Aspekte einbeziehen. Staatliche Digitalisierung muss den Bürgerinnen und Bürgern helfen und ist kein Selbstzweck! Sie hat das Potenzial, das Staatswesen und die Demokratie zu stärken.

In Bremen nehmen wir diese Aspekte sehr ernst und versuchen, die Digitalisierung für soziale Dienstleistungen zu nutzen. Die Digitalisierung kann den bürokratischen Aufwand der Antragsstellung reduzieren.

Von Verfahrensvereinfachungen profitieren besonders sozial schwächere Menschen. Digitale Angebote können die Hürde senken, zum Amt zu gehen, denn die Antragsstellung kann alternativ auch bequem von zu Hause geschehen. Für viele Menschen erleichtert das den Zugang zu staatlichen Leistungen.

Für eine nachhaltige Digitalisierung ist es wichtig, dass die Angebote möglichst barrierefrei gestaltet sind. So können Internetauftritte auch in einfacher Sprache angeboten werden, die Nutzeroberfläche nutzerfreundlich gestaltet sein und visuell auf Menschen mit eingeschränkter Sehstärke optimiert werden. Und es können natürlich auch andere Sprachen zur Unterstützung für unsere Kundinnen und Kunden eingesetzt werden.

Die Verwaltungsdigitalisierung hat das Potenzial, die soziale und politische Teilhabe zu stärken. Durch Transparenzportale steigt das Informationsangebot. Durch öffentliche Statistiken und Tools zu deren interaktiven Aufarbeitung können sich interessierte Menschen unmittelbar informieren.

Ganz entscheidend ist, dass wir nicht einfach existierende Verwaltungsprozesse 1 zu 1 in digitaler Form abbilden, sondern die Chance nutzen und Verwaltungshandeln neu denken undmodernisieren. Dabei sollten die Nutzerinnen und Nutzer im Vordergrund stehen. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger in diesen Prozess mit einbeziehen. »Users first« lautet die Parole. Besonders aber auch die Wünsche der Wirtschaft müssen wir berücksichtigen. Verwaltungsleistungen für Unternehmen müssen angemessen gestaltet sein. Die kleinen und mittleren Unternehmen belasten die bürokratischen Anforderungen in besonderem Maße und könnten durch schlanke digitale Angebote erheblich profitieren. Hier arbeiten wir in Bremen sehr intensiv mit der Handelskammer zusammen, um Fehlentwicklungen seitens der Verwaltung zu verhindern.

Meine Damen und Herren, wir müssen die Digitalisierung als ein umfassendes politisches Gesellschaftsfeld betrachten. Bei aller Digitalisierungseuphorie dürfen wir die Aspekte der Nachhaltigkeit nicht vergessen. Wenn wir langfristig Erfolg haben wollen, müssen wir ökonomische, ökologische und soziale Auswirkungen angemessen berücksichtigen.

Daher plädiere ich dafür, die Chancen der Digitalisierung zu ergreifen und eine Transformation des öffentlichen Sektors hin zu einem modernen Staatswesen weitervoranzutreiben, bei gleichzeitiger Berücksichtigung möglicher folgenreicher Auswirkungen unseres Handelns!

Dabei sollten wir die Digitalisierung nicht als Elektronifizierung der bestehenden Bürokratie verstehen, sondern als Chance zur Verwaltungsmodernisierung nutzen!

Zum Schluss möchte ich meinem Staatsrat Henning Lühr und seinem Team für die Organisation der Veranstaltung und das tolle Programm danken. Natürlich auch Ihnen für Ihr Interesse an diesem hoch relevanten Thema. Ich freue mich auf die intensiven Diskussionen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Speech at »Digital Public Administrations – conference on Digital Statecraft«