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Janina Nikoleiski

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Beschreibung

Louisa Bundel ist eine ehrgeizige und lebenslustige junge Frau. Doch sie fühlt sich oft beobachtet und bald gibt es genug Hinweise, dass es sich bei ihren Ängsten nicht nur um Hirngespinste handelt. Jemand beobachtet sie und versucht ihr immer mehr Angst zu machen. Mehr denn je ist sie auf die Unterstützung ihrer treuen Freunde angewiesen. Ein neuer Mann in ihrem Leben und der Umzug ihrer besten Freundin nach Berlin, bringen Louisas Leben zusätzlich durcheinander. Wird sie es mit der Hilfe ihrer Freunde schaffen, die Ängste zu beseitigen? Und welche Rolle wird Kay dabei spielen?

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Janina Nikoleiski

Direkt

vor

deiner

Tür

Roman

Copyright: © Janina Nikoleiski

Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-8372-5

-1-

Schon wieder dieses eigenartige Gefühl, nicht allein zu sein.

Beobachtet zu werden.

Wieder dieses unangenehme Kribbeln im Nacken.

Bei der Arbeit war es mal wieder spät geworden, aber der riesige Aktenstapel auf meinem Schreibtisch, hatte heute mal wieder keinen pünktlichen Feierabend zugelassen. Wie so oft im Winter, bekam ich dann nicht viel vom Tageslicht zusehen und ich musste schon wieder im Dunkeln nach Hause, was normalerweise kein Problem darstellte.

Doch in letzter Zeit beschlich mich immer öfter das bedrückende Gefühl, beobachtet zu werden. Auf dem Weg zur Arbeit und wieder nach Hause, besonders aber zu Hause.

Kalte Schauer liefen mir über den Rücken. Ich zog meinen Schal etwas fester um den Hals und machte den Reißverschluss ein Stück weiter zu. Doch es half nichts. Mir lief es immer noch eiskalt den Rücken hinunter.

Das kam oft vor, in letzter Zeit. Leider viel zu oft.

Immer wieder drehte ich mich um, konnte jedoch in der Dunkelheit nichts und niemanden erkennen. Die Straße war an diesem Stück und zu dieser Zeit recht unbelebt. Allem Anschein nach war ich allein. Nur ein paar Autos standen in der Straße. Ich versuchte mich zu beruhigen, da mein Weg bereits nach der nächsten Ecke auf die große Hauptstraße führte.

Das war doch albern!

Sicher hatten die Anderen recht und es handelte sich nur um Hirngespinste. Warum also Angst haben?

Wem versuchte ich, das gerade einzureden?

Um mich abzulenken, ging ich im Kopf eine Liste mit Dingen durch, die ich am Wochenende erledigen wollte. Lebensmittel einkaufen stand ganz oben auf meiner Liste. Dazu war ich in den letzten Tagen nicht gekommen. Zum Glück gab es hier in der Großstadt immer Möglichkeiten, auch am Sonntag einkaufen zu gehen.

Unter der Woche war neben der Arbeit kaum daran zu denken. Dank meines Chefs, der zu viele Aufträge angenommen hatte, musste ich mich durch ganze Türme von Papieren und Akten arbeiten. Und als wenn das allein nicht reichen würde, kamen auch noch ständig kleine und besonders eilige Aufträge hinzu. Sein Augenzwinkern, wenn er mir persönlich einen Auftrag rein reichte, waren sein Zeichen für mich, diesen bestimmten Fall den anderen Akten vorzuziehen und möglichst schnell abzuschließen.

Etwas erfreulicher waren die Pläne an diesem Wochenende mit meiner besten Freundin Chrissi. Sie wollte unbedingt ihren Geburtstag mit mir nachfeiern, da sie eine Weile in Berlin gewesen war, um dort einen potenziellen Geschäftspartner zu treffen. Sie würde später zu mir kommen, wir wollten kochen und eventuell noch ein wenig tanzen gehen. Das würde bestimmt mal wieder ein schöner Abend.

Ich schaute auf die Uhr. 20:40 Uhr. Mir blieb nicht mal mehr eine Stunde, um zu duschen und ein wenig zu entspannen, bevor Chrissi kommen würde.

Endlich stand ich vor dem hölzernen Gartenzaun, der das Grundstück auf dem ich wohnte, vom Fußgängerweg abgrenzte. Im Dunkeln sah er etwas weniger schäbig aus, als bei Tageslicht. Die Vermieter steckten ihr Geld nur in ihr eigenes Haus und ihren Garten, anstatt hier mal ein paar Dinge renovieren zu lassen.

Das Tor knarrte und ächzte laut, als es aufschwang, bis es kratzend und schabend durch die schlecht verlegten Gehwegplatten gestoppt wurde. Es war völlig verzogen.

Ich leerte den Briefkasten. Es war viel zu dunkel, um auf den Umschlägen etwas zu erkennen. Das Licht der nächsten Straßenlaterne reichte kaum bis hier her. Ich würde sie gleich im Flur sortieren. Nur nicht zu viel Zeit hier draußen im Dunkeln verbringen.

Ein kurzer Weg und dann kam dieser verhasste Mauervorsprung. Die Glühbirne der Laterne am Hauseingang war im Laufe der Woche durchgebrannt und so war es hier stockfinster. Mein Mitbewohner hätte die Glühbirne auswechseln sollen, da er den ganzen Tag zuhause war. Doch wie so oft war kein Verlass auf ihn. Es konnte sich nur noch um Wochen handeln, bis er sich endlich mal aufraffte. Doch gedanklich schrieb ich schon einen weiteren Punkt auf meine To-do-List fürs Wochenende. Auf ihn war ja doch kein Verlass.

So sauer, wie ich gerade war, fiel es mir ausnahmsweise nicht schwer, einfach in die Finsternis um die Ecke zu gehen. Normalerweise war dazu in letzter Zeit etwas mehr Überwindung nötig. Gerade, wenn es dank der fehlenden Beleuchtung so finster war, dass man kaum das kleine Podest vor der Eingangstür erkennen konnte. Denn bis hier her reichte das Licht der Straßenlaternen bei Weitem nicht mehr.

Aber auch heute stand nur der rostige, öltriefende Roller meines Mitbewohners Tom an seinem gewohnten Platz. Ganz beiläufig stellte sich mir die Frage, wie lange der Roller schon nicht mehr bewegt wurde. Funktionierte das Teil überhaupt noch? Wahrscheinlich war er schon lange schrottreif.

Verdammt!

Jetzt waren mir auch noch die Schlüssel herunter gefallen!

Erneut schoss mein Puls in die Höhe. Eigentlich wollte ich nur so schnell wie möglich aus der kalten Dunkelheit hinein ins Warme. Da, wo ich mir sicher sein konnte, dass niemand hinter mir lauerte. Stattdessen tastete ich nun wie blind und mit zitternden, feuchten Händen auf dem kalten Boden herum.

Nervös schaute ich mich immer wieder in der Finsternis um und konnte nichts weiter erkennen, als die Regentonne und die Hecken, die das Grundstück säumten. Und dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, dass da etwas in der Dunkelheit lauerte.

Angst stieg in mir auf. Alles wirkte unglaublich düster und bedrohlich. In meinem Kopf entstanden Szenarien, wie man sie aus Horrorfilmen kannte.

Ich erschrak heftig, als plötzlich durch das schmutzige Wellblechdach des Carports, das unseren Eingang schützte, schummriges Licht aufleuchtete. Meine Nachbarn im Nebenhaus hatten im Wohnzimmer das Licht angeschaltet. Wenn es mir hier unten doch nur wenigstens etwas Helligkeit bringen würde. Aber das Fenster war zu hoch und das Dach zu dreckig. Auch eine Sache, die die Vermieter schon lange mal in Angriff hatten nehmen wollen.

Mit zittrigen Fingern steifte ich endlich den Filzanhänger meines Schlüsselbundes und griff mit einem erleichterten Seufzen danach. Das metallische Klimpern zerschnitt die beklemmende Stille und klang angenehm vertraut. So schnell es ging, schloss ich die Haustür auf und konnte sie mit großer Erleichterung und heftigem Herzklopfen von innen hinter mir ins Schloss fallen lassen.

Ich hatte es geschafft.

Ich atmete einmal tief ein und wieder aus, um mein trommelndes Herz etwas zu beruhigen. Von oben war Musik zu hören. Tom war scheinbar schon wieder dabei, alleine zu feiern und sein Gehalt zu verkiffen. Der Geruch, der mir entgegen kam, als ich die Treppe hinaufstieg, sprach jedenfalls dafür. Nebenbei bemerkte ich, dass ich die Briefe noch in meiner Hand hielt, und sortierte sie durch, während ich meine Stiefel auszog und erst mal achtlos in die Ecke kickte. Zwei der sechs Briefe waren an mich adressiert. Meine Gehaltsabrechnung aus der Firma und eine Rechnung. Beides keine Überraschungen.

Mit meinen warmen Hausschuhen ging ich durch den Flur zu der angelehnten Tür, aus deren Spalt süßlich riechender Qualm hervor drang. Mit einem lauten Klopfen ging ich direkt rein. Wenn die Tür nicht geschlossen war, brauchten wir hier nicht lange auf ein Zeichen des Anderen zu warten.

„Hey Lou! Na, haste endlich Feierabend?“, begrüßte mich Tom breit grinsend. Er hatte heftig gerötete Augen und eine Flasche Bier in der Hand.

„Ja, und ich habe deine Post. Dieser gelbe Brief wird nichts Gutes bedeuten“, antwortete ich und gab die Post über den Tisch, auf dem schon ein paar leere Flaschen standen.

„Ach, das wird schon nichts Schlimmes sein und wenn doch, sollen sie sich hinten anstellen“, gab er zurück und schmiss die Briefe auf einen großen Haufen von Dreckwäsche und Geschirr, ohne einen weiteren Blick auf sie zu werfen. So wie es aussah, hatte er diese Woche in seinem Zimmer scheinbar nicht einen Finger krumm gemacht. Was für ein Saustall!

„Wenn es hier anfängt zu krabbeln, dann bin ich weg, das kannst du mir glauben! Ach ja, und vielen Dank auch für das Auswechseln der Glühbirne!“, rief ich über die Schulter hinweg, als ich in Richtung meines Zimmers trottete.

Hinter mir ertönte nur ein „Ups!“ gefolgt von lautem Lachen und damit war das Thema wohl für ihn erledigt. Einfach unglaublich dieser Typ. Wenigstens achtete er darauf, unsere gemeinsamen Räume ein wenig ordentlicher zu halten und die Miete pünktlich zu überweisen. Und ich hatte sonst meine Ruhe. Er war niemand, der mit einem Haufen Leuten ausschweifende Partys feierte.

Meine Tasche und die Briefe vorerst achtlos auf die Couch geschmissen und blind aus dem Kleiderschrank ein paar frische Klamotten gegriffen, hatte ich es eilig, unter die heiße Dusche zu kommen.

Nachdem ich die hochgesteckten Haare geöffnet hatte, konnte ich es kaum erwarten, das heiße Wasser auf meiner Haut zu spüren. Der kalte Winter und dieses unangenehme Kribbeln im Nacken ließen meine Muskulatur völlig verkrampfen. Mit meinem zitronigen Duschgel und dem heißen Wasser, das auf meiner Haut brannte, gelang es mir für den Moment, jeden Stress fortzuspülen. Beim Rasieren meiner Beine war ich bereits schon völlig mit den Gedanken beim kommenden Abend. Der Arbeitsstress und die Ängste waren von freudiger Erwartung vorerst beiseite gedrängt.

Bald merkte ich, dass das warme Wasser zur Neige ging und musste aus der Dusche raus. Nachdem meine übliche Pflegeprozedur mit der Bodylotion erledigt war, machte ich mich dran, meine Haare zu trocknen und mich ein wenig für den Abend schick zu machen. Das dauerte nicht lange, da ich noch nie der Fan von aufwendigem Styling gewesen war. Ein wenig Lidschatten und Mascara und Labello für die Lippen und schon war ich fertig.

In der Küche war zum Glück nicht viel zu erledigen. Da Tom ja sein schmutziges Geschirr im Zimmer hortete und nicht viel kochte, sondern eher auf die Mikrowelle vertraute, blieb es hier meist sauber. An solch langen Tagen wie heute, hatte ich mir angewöhnt, im Büro zu essen. An Samstagen sowieso.

Also hatte ich nicht mehr so viel zu tun und ich wartete sehnsüchtig auf Chrissi. Ich nahm die Kiste Bier, die noch in der Küche stand und stellte sie auf meine kleine Terrasse, dort würden die Biere sicher schnell kalt werden. Ein Blick auf das Thermometer bestätigte es; gerade so noch ein Grad über null.

Wie ich so draußen stand, liefen mir wieder Schauer über den Rücken. Klar, es war kalt und ich hatte nur ein knappes T-Shirt an, aber diese Schauer hatten nichts mit der Kälte zu tun, da war ich mir sicher.

Es war das gleiche, unangenehme Kribbeln wie immer, wenn ich mich beobachtet fühlte.

Bereits mit einem Bein in meinem Zimmer, drehte ich mich langsam wieder Richtung Straße. Sie war hell beleuchtet, was ja auch nicht verwunderlich war, da ich direkt an einer Hauptstraße in Hamburg lebte. Selbst auf dem Parkplatz gegenüber brannten noch die Laternen. Doch das würde sich bald ändern. Eine Zeitschaltung sorgte dafür dass dort irgendwann die Lichter erloschen.

Viele Autos waren nicht mehr zu sehen. Einige Anwohner der Gegend nutzten den Parkplatz gerade abends, wenn sie keinen Parkplatz mehr direkt vor der Haustür gefunden hatten. Kein Mensch war dort drüben zu sehen.

Nur die streunende Katze, die ich schon ein paar Wochen beobachtete, huschte gerade von den Hecken zu einem der parkenden Wagen. Ein wenig wunderte es mich, dass sie noch lebte, da wir nachts bereits den ersten Frost gehabt hatten. Das Tier verkroch sich nachts immer in den Radkästen der parkenden Autos, wo es nicht so kalt war.

Doch was war das?

In einem Auto, einem unscheinbaren alten Ford Escort, bildete ich mir ein, eine glühende Zigarette gesehen zu haben. Sicherlich irrte ich mich, denn sonst war nichts zu sehen. Es war einer der Wagen, die direkt in Richtung meiner Terrasse geparkt standen.

Da!

Wieder leuchtete die Glut einer Zigarette auf. Nur ein winziger glühender Punkt in der Dunkelheit, auf dem Fahrersitz. Nun war ich mich sicher.

Wer saß denn bitte allein im Dunkeln, in seinem Auto und rauchte bei geschlossenem Fenster eine Zigarette? Allein bei dem Gedanken an dem Gestank schüttelte es mich.

Ich war Nichtraucherin, jedoch keine von diesen Penetranten. Wo doch in unserer Wohngemeinschaft mein Zimmer das einzige war, was nicht komplett verqualmt war. Doch im Auto ohne geöffnetes Fenster musste es ziemlich stinken.

Ich erschrak heftig, als es klingelte und ich aus meinen Gedanken über den rauchenden Fremden gegenüber auf dem Parkplatz gerissen wurde. Das kribbelnde Gefühl im Nacken hielt jedoch an, obwohl ich bereits wieder in meinem Zimmer war.

Chrissi war heute pünktlich, was äußerst selten geschah.

Tom klopfte und fragte, ob ich jemanden erwartete. Als er sah, dass ich schon auf dem Weg durch mein Zimmer eilte und nicht wie abends üblich in Jogginghosen und altem T-Shirt auf dem Sofa saß, konnte er sich wahrscheinlich denken, dass ich Besuch erwartete, also nickte ich nur, während ich an ihm vorbei huschte.

So schnell ich konnte lief ich die Treppe hinunter und stolperte fast über einen Schuh, den Tom mal wieder mitten im Weg liegen gelassen hatte. Dieser Typ war einfach unmöglich! Ohne mich noch weiter zu ärgern, ging ich an die Tür und öffnete sie strahlend.

Kaum, dass ich etwas sagen konnte, fiel mir meine beste Freundin schon um den Hals und drückte mir fast die Luft ab.

„Du glaubst nicht, welchen Wein ich besorgt habe!“, war das Erste, was sie mir direkt ins Ohr jubelte, sodass es ein wenig zu klingeln begann.

„Nun sag schon“, forderte ich sie auf, während ich mich aus ihrer Umarmung befreite, um nicht mit ihr zu stolpern.

„Ich war extra bei unserem Lieblingsgriechen und habe unseren Imiglykos gekauft. Soll dich auch schön von Alex grüßen. Er hat noch eine kleine Flasche mit drauf gelegt.“ Während sie mir das stolz erzählte, trugen wir zwei schwere Einkaufstaschen und einen Korb in die Küche. Sie hatte mal wieder für mich den halben Wocheneinkauf erledigt, wie es schien. Für heute Abend hatten wir nur Tintenfisch in scharfer Tomatensoße und Nudeln geplant.

Was ich jetzt jedoch alles im Kühlschrank und meinem Vorratsschrank verstaute, waren lauter Köstlichkeiten.

„Du bist wirklich ein Schatz, dafür lade ich dich heute Abend ein, da kannst du dir sicher sein, meine Süße!“, sagte ich und nahm Chrissi in die Arme. Die fing laut an zu lachen und erklärte, dass sie mal wieder mit ihrem Vater einkaufen gewesen wäre und der ganze Einkauf sie nicht einen Cent gekostet hatte.

Das Verhältnis mit ihrem Vater war recht merkwürdig. Er hatte eine ziemlich wohlhabende Frau geheiratet und diese war nicht sehr von seiner Tochter begeistert. Was jedoch auf Gegenseitigkeit beruhte. Chrissi konnte die neue Frau an der Seite ihres Vaters nicht ausstehen.

Als Ersatz für die wenige Zeit die er nun mit seiner Tochter verbringen konnte, ging er regelmäßig mit ihr shoppen, oder mit ihr im Großmarkt einkaufen, wo er lauter teure Lebensmittel einpackte.

Nicht, dass Chrissi es nötig hätte. Sie war mit einer kleinen Marketingfirma selbstständig und verdiente nicht schlecht. Da sie und ihr Vater oft viel zu viel einkauften, bekam ich manchmal einen gar nicht so kleinen Teil davon nach Hause. Das schonte nicht nur den Geldbeutel, sondern schmeckte auch einfach fantastisch. Außerdem brauchte ich mich nicht am Wochenende mit einem riesigen Einkauf quälen.

Während wir kochten und die erste Flasche Wein öffneten, berichteten wir uns gegenseitig über die letzte Woche. Das heißt, es wurde alles berichtet, was wir nicht in unseren täglichen Gesprächen über Skype untergebracht hatten, während sie in Berlin gewesen war.

Es war, als wäre sie gar nicht in Berlin gewesen. Na ja, fast. Jeden Abend hatte ich detaillierte Beschreibungen der Stadt, ihrer Geschäftspartner und aller anderen neuen Eindrücke bekommen. Mal ganz abgesehen von den unzähligen Bildern, die über den Tag verteilt auf mein Handy gesendet worden waren.

Dieser Mädelsabend verfehlte nicht seine Wirkung. Es war schon etwas Anderes, die beste Freundin direkt um sich zu haben, und mit ihr anzustoßen, zu kochen und einfach ausgiebig zu lachen.

Kaum hatte Tom unser Essen gerochen, kam er auch schon aus seinem Zimmer.

Wir bekamen ihn wirklich nicht oft zu Gesicht, denn normalerweise gingen wir ihm an solchen Abenden ziemlich auf die Nerven. Jedoch wenn es etwas zu essen gab, war er schnell dabei um zu sehen, ob es etwas Leckeres abzustauben gab.

Heute ließen wir ihn auflaufen und er ging maulend wieder in sein Zimmer.

Als das Essen fertig war, nahmen wir alles mit in mein Zimmer und schlossen die Tür. Das eindeutige Zeichen für Tom, dass er uns in Frieden lassen sollte.

Seit einer Weile versuchte er ständig an Chrissi herum zu baggern und bekam einen Korb nach dem anderen. Aber das schien ihn gar nicht zu stören. Er versuchte es einfach immer und immer wieder.

Das Essen war fantastisch geworden. Genau die richtige Schärfe und der Wein passte perfekt dazu. Im Hintergrund lief leise Musik und wir überlegten, wo wir heute noch hingehen konnten. Wir wollten unbedingt mal wieder tanzen gehen, also beschlossen wir mal nachzusehen, was der Kiez heute so hergeben würde.

Nachdem wir noch eine Weile vor dem Kleiderschrank verbracht hatten, um uns noch ein passendes Outfit zusammenzusuchen und dabei weiter den Wein genossen, standen wir vor meinem großen Spiegel und begutachteten uns und unsere Outfits. Chrissi trug ein kurzes Jeanskleid, das ihr schon immer besser gestanden hatte, als mir. Ich hatte mich für ein grünes Kleid entschieden, das zu meinen Augen passte und zum Tanzen genau das Richtige war.

„Wir sollten die Ohrringe tauschen! Meine passen viel besser zu deinem Kleid!“, kicherte Chrissi. Sobald das noch erledigt war, brachen wir auf.

Als Erstes wollten wir einen kleinen Zwischenhalt in der Kneipe von Freunden machen und dort noch etwas trinken.

In der Bahn war es schon recht voll mit lauter angeheiterten Jugendlichen und einer kam auf uns zu und hockte sich auf den Sitz gegenüber. Er versuchte uns etwas zu erzählen, doch wir konnten ihn nicht mehr verstehen, da er kaum mehr als ein Lallen herausbrachte. Wir mussten fürchterlich lachen, als er feststellte, dass wir nicht antworteten, er aufstand und zu den nächsten Mädels schwankte, denen er ebenfalls etwas vor lallte.

In der Kneipe war noch kein so großer Betrieb und als wir eintraten, kamen uns unsere beiden Freunde schon entgegen.

„Na, wen haben wir denn hier? Das ist ja mal eine tolle Überraschung!“‚ rief Daniel, als er mich erreichte und mir ein Küsschen auf die Wange drückte und mich dann betrachtete.

„Ja, und wie immer seid ihr so wahnsinnig gut angezogen. Manchmal wünschte ich, ich wäre auch eine Frau“, fügte Robert hinzu. Die Beiden waren in unserem Freundeskreis das einzige Pärchen und einfach tolle Freunde.

„Lou, schön, dass du dich mal wieder sehen lässt, dein Chef spannt dich ganz schon ein, was?“, fragte Daniel, während Robert sich mit Chrissi bereits angeregt über Berlin unterhielt.

„Du hast ja keine Ahnung. Aber lass uns nicht von der Arbeit reden, ich bin froh, dass endlich Wochenende ist!“, gab ich zurück und hakte mich bei Daniel ein, der mich zur Theke führte und mir einen Schnaps hinstellte. Ich verzog das Gesicht. Auf Schnaps hatte ich gar keine Lust.

„Muss das sein?“‚ jammerte ich und musste aber bereits grinsen, denn Daniel machte Hundeaugen, schob die Unterlippe vor und hielt mir sein Gläschen zum Anstoßen entgegen. Es war fürchterlich, denn er wusste nur zu genau, dass er seinen Willen bekommen würde.

„Bitte, nur den einen. Zur Feier des Tages!“, bettelte er, wobei ich schon meinen Schnaps in der Hand hielt. Es war etwas Klares, aber ich wollte gar nicht wissen, was drin war. „Na geht doch, meine Süße! Prost!“, wir stießen sachte an und leerten die kleinen Gläser mit einem Zug. Es war nicht so schlimm wie ich befürchtet  hatte. Daniel hatte uns einen milden Wodka eingeschenkt.

„So, aber jetzt bitte keinen Schnaps mehr, ich würde gerne den heutigen Abend noch genießen. Wie läuft´s bei euch beiden?“, fragte ich, um vom Thema Schnaps und Arbeit abzulenken.

„Also zwischen Robert und mir läuft es super, da kann ich mich nicht beschweren. Du weißt ja, er ist einfach toll! Und der Laden brummt auch. Aber immer die Nächte durch feiern, das bekommt mir nicht mehr so gut.“ Er blickte gerade rüber zu Chrissi und Robert, die auf der kleinen Tanzfläche in der Ecke des Lokals herum hüpften, wie kleine Kinder. Wir mussten lachen.

„Der Mann hat nur Flausen im Kopf. Aber gerade deshalb muss ich ihn lieben“, stieß Daniel hervor, noch bevor er sich wieder ganz beruhigt hatte. Ich machte eine Geste, als müsste ich vor lauter Schmalz würgen, um ihn ein wenig auf den Arm zu nehmen.

In einem Freundeskreis aus lauter Singles mussten sich die Beiden als einziges Paar hin und wieder scherzhafte Sprüche anhören, wenn sie sich so anschmachteten. Das waren sie also gewohnt und nahmen es aber auch niemandem böse. Ganz im Gegenteil, sie machten sich sogar oft einen Spaß daraus, und übertrieben es absichtlich mit den Liebesbekenntnissen.

Ich genoss die angenehme Atmosphäre und freute mich, meine Freunde um mich herum zu haben.

„Gibst du mir bitte ein Bier?“‚ fragte Chrissi, die plötzlich neben mir aufgetaucht war. Sie war schon leicht verschwitzt und völlig außer Atem. Doch Robert schien mit ihr noch nicht fertig zu sein, denn er zog sie ungeduldig am Ellbogen wieder in Richtung Tanzfläche. Daniel schaffte es gerade noch ihr eine Flasche Bier in die Hand zu drücken, bevor sie wieder verschwunden waren.

„Und wie geht es dir, Kleines? Was macht deine Angst?“, fragte Daniel nun im ernsten Ton, als wir wieder unter uns waren.

„Es ist zum Verzweifeln. Manchmal frage ich mich, ob ich nicht einfach zu sensibel reagiere. Heute hat wieder jemand in einem Auto auf dem Parkplatz gegenüber geraucht. Aber es war wieder ein anderer Wagen, als beim letzten Mal. Bestimmt bilde ich mir das alles nur ein, und es steckt gar nichts dahinter“, sagte ich schnell, um das Thema zu beenden. Ich wollte mir auch davon nicht den Abend verderben lassen, nicht zu viel darüber nachdenken. Aber Daniel meinte seine Frage ernst und war allgemein einer der wenigen, der meine Ängste sehr ernst nahm.

„Du weißt, wenn was ist, kannst du uns immer anrufen. Für dich mache ich auch den Laden dicht, wenn es sein muss.“ Er griff meine linke Hand und drückte sich sanft, als wenn er seinen Worten Nachdruck verleihen wollte. Aber in seinen Augen lag ein solch ernster Ausdruck, dass sowieso ich keine Zweifel haben konnte.

„Danke, das weiß ich wirklich zu schätzen“, antwortete ich und bemühte mich um ein Lächeln. Wieder kam mir der Moment auf der Terrasse in den Kopf und ich bekam eine Gänsehaut.

Leider war es nicht das erste Mal gewesen, dass gegenüber auf dem Parkplatz jemand in einem Auto gesessen hatte. Nie waren es dieselben Autos. Immer unterschiedliche Marken. Seit etwa 2 Monaten ging das nun schon so. Dieser Raucher in den unterschiedlichen Wagen, drüben auf dem Parkplatz. Und das ständige Gefühl, beobachtet zu werden. Nicht allein zu sein.

Wenn jemand anderes davon erfuhr, dann wurde es oft mit der Begründung abgetan, dass ich einfach nur zu sensibel war und wahrscheinlich zu viele Horrorfilme geschaut hatte. Und wenn ich ehrlich war, wäre mir das die liebste Erklärung gewesen. Doch ich konnte mich selbst nicht davon überzeugen und immer überfiel mich von Neuem dieses mulmige Gefühl.

Robert tauchte jetzt bei Daniel hinter der Theke auf und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Wange, bevor er sich sein Glas mit Cola nahm. Robert trank seit einer Weile keinen Alkohol mehr, da er, seit die Beiden die Eigentümer der Kneipe waren, einfach zu viel getrunken hatte.

„Chrissi ist furchtbar schlimm, mit ihr zu tanzen ist eine echte Herausforderung“, stöhnte er und trank den Rest Cola in einem Zug.

„Ach, das war ja noch gar nichts, du Weichei! Warte mal ab, bis ihr mal mit uns ausgeht, dann wirst du schon sehen, wie es ist, mit uns die Nacht durch zu tanzen!“, kicherte Chrissi und legte mir einen Arm um die Schulter. „Die Männer von heute, zu nichts mehr zu gebrauchen“, flüsterte sie mir gewollt laut zu und alle fingen an zu lachen. Chrissi mit ihrer großen Klappe. Nicht selten hatte sie damit schon eine Menge Ärger riskiert. Doch wir liebten sie so, wie sie war.

Wir tranken noch unser Bier in Ruhe aus und beschlossen dann weiter zu ziehen und die Jungs mal in Ruhe arbeiten zu lassen, da sich die Kneipe nun rasch mit Gästen füllte. Zum Abschied gab es wieder Küsschen und ich sprach eine Einladung aus, dass die Jungs doch gerne mal wieder zu mir kommen könnten. Aber das würde wohl erst wieder im Sommer soweit sein, wenn wir in der Sonne auf meiner Terrasse sitzen und grillen konnten.

Das kleine Stück zum nächsten Club wollten wir laufen, um noch ein wenig frische Luft zu bekommen. Wir traten aus der Tür und fielen wir fast vom Glauben ab.

„Schnee!“, rief ich ungläubig aus. Das war ja das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte. Gut, dass wir trotz des Feierns warm genug angezogen waren. Aber Ich hasste Schnee.

„Stell dich nicht so an, wenn wir später über den Fischmarkt gehen und frühstücken, dann wird sicher nichts mehr davon zu sehen sein!“, versuchte Chrissi mich aufzuheitern.

Im Club war es dann heiß und stickig und wir tanzten ausgelassen, sodass ich den Schnee, meine Ängste und die Arbeit völlig vergaß. Wir strafen viele Bekannte feierten mit ihnen und hatten eine Menge Spaß.

Irgendwann war immer weniger im Club los und wir bekamen langsam Hunger. Ein Blick auf die Uhr sagte uns dann, dass es Zeit war, auf dem Fischmarkt ein paar Fischbrötchen zu frühstücken. Und zum Glück hatte es tatsächlich aufgehört zu schneien und es war auch nichts liegen geblieben.

Es dämmerte und an manchen Ständen war ein ziemliches Gedränge.

Wir gingen zu unserem Lieblingswagen und gaben die übliche Bestellung auf. Zwei Backfischbrötchen mit ordentlich Remoulade und zwei mit Lachs.

„Na min Deern, so ausgehungert nach dem Feiern?“, trällerte die Verkäuferin und zwinkerte mir zu, als ich beherzt in mein erstes Brötchen biss. So voll, wie ich den Mund hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als zu lächeln und zu nicken. „Dann lasst es euch mal schmecken!“‚ sprach die Alte auf dem Wagen und bediente dann den nächsten Kunden. Fischbrötchen nach dem Feiern waren bei Chrissi und mir ein Ritual geworden. Etwas Besseres gab es kaum, um einen Kater zu verhindern und man wachte nicht völlig hungrig auf.

Chrissi wollte heute mit zu mir kommen und bei mir übernachten. In der Bahn schlief sie wie gewohnt ein und ich musste mich wachhalten, damit wir nicht die Haltestelle verpassten.

Da der Bus gerade weg war und wir nicht zwanzig Minuten in der Eiseskälte warten wollten, nahmen wir für das letzte Stück ein Taxi. Laufen kam definitiv nicht mehr in Frage.

Der Taxifahrer war ein wenig aufdringlich und fragte, ob wir vergeben wären, oder ob er unsere Nummer haben dürfe. In solchen Fällen gaben wir uns immer als Pärchen aus. Das klappte meistens und wir hatten unsere Ruhe. So auch dieses Mal.

Endlich Zuhause angekommen, zogen wir uns nur schnell aus, machten die Vorhänge zu und schminkten uns noch schnell ab. Danach verkrochen wir uns ins Bett.

Und wenn es auch nur wenig gab, was man an Tom schätzen konnte, so war die Tatsache, dass er so völlig zu gedröhnt ein Langschläfer war sehr angenehm.

-2-

Wir wurden wach, weil aus der Küche klappernde Geräusche kamen und es nach Kaffee duftete. Chrissi und ich schleppten uns aus dem Bett, beide neugierig, was da in der Küche vor sich ging.

„Guten Morgen Ladies! Na, wie war die Nacht?“, erklang eine sehr bekannte Stimme aus der Küche, als wir die Nasen aus der Tür streckten.

„Daniel!“, riefen wir wie aus einem Mund.

Und tatsächlich, in der Küche war ein tolles Frühstück aufgebaut, frischer Kaffee, Brötchen und frisches Obst standen auf dem Tisch und Robert und Daniel im Partnerlook daneben und strahlten uns an.

„Du hast uns eingeladen, und bevor es wieder ein Jahr dauert, bis es was wird, haben wir uns gedacht, wir kommen einfach gleich heute Morgen vorbei. Wir hoffen, dass du nicht böse bist, weil wir den Ersatzschlüssel benutzt haben“, erklärte Robert und grinste noch breiter.

„Wie könnte ich da denn sauer sein, ich meine, das ist ja ein traumhaftes Frühstück!“‚ rief ich, während ich Robert und Daniel mit einem Küsschen begrüßte.

„Tja Liebes, das war auch das Einzige, was wir machen konnten. Hast du schon rausgeschaut? Wir haben erst überlegt, ob wir dir noch ‘nen Schneemann bauen sollen“, sagte Daniel und zeigte aus dem Fenster.

„Du machst Witze!“‚ stammelte ich und folgte seinem Blick. Und tatsächlich, es lagen da draußen sicherlich 15 Zentimeter Schnee auf dem Dach des Schuppens hinter dem Haus. Chrissi stöhnte auf, drehte mich um und schob mich auf einen Stuhl, reichte mir den Brötchenkorb und wuschelte mir durch die ohnehin schon ungekämmten Haare.

Vergessen war der Schnee und wir frühstückten in Ruhe und erzählten von den Geschehnissen der Nacht.

„... und ob ihr es glaubt, oder nicht, aber wir mussten die Beiden dann in ein Taxi setzen, so besoffen waren die. Also manche Rentner sind noch ganz schon rüstig, das sag ich euch!“‚ beendete Robert gerade seine Erzählung über ein Rentnerpaar, dass in der Kneipe zu tief ins Glas geschaut hatte.

„Sie hatten sogar vorher vorsorglich ihre Adresse aufgeschrieben, damit sie der Taxifahrer sicher nach Hause bringen konnte. Wirklich unglaublich!“, fügte Daniel noch hinzu und bestrich sich sein Brötchen.

Chrissi erzählte gerade von einem der Typen, der ihr heute Nacht immer an die Wäsche gewollt hatte. Irgendwann hatte sie es dann geschafft, ihm klar zu machen, dass er keine Chance hatte. Zwar hatte sie ihm dafür ein halbes Bier über den Kopf kippen müssen, aber danach war sie ihn endlich losgeworden.

Daniel musste so sehr lachen, dass er sich verschluckte. Als er sich wieder beruhigt hatte, hörten wir, wie im Flur eine Tür aufging und Tom steckte den Kopf in die Küche.

„Uh, man siehst du beschissen aus. War 'ne heftige Nacht, was?!“, kicherte Robert und streichelte Daniel ein wenig den Rücken. Wir mussten alle ein über diesen Kommentar lächeln. Tom schien das gar nicht zu verstehen. Oder es war ihm einfach egal. Er ging in einer ziemlich löchrigen Boxershorts an unserem Tisch vorbei und beugte sich über die Spüle, um direkt aus dem Wasserhahn zu trinken.