Dissecting a Topia - Svenja Knisel - E-Book

Dissecting a Topia E-Book

Svenja Knisel

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Beschreibung

"Die numerische Sprache der Kontrolle besteht aus Codes, die den Zugang zu Informationen kennzeichnen oder verweigern. Es geht nicht mehr länger um das Begriffspaar Masse/Individuum. Individuen wurden zu 'Dividuen' und Massen wurden zu Stichproben, Datensätzen, Märkten oder 'Banken'." Gilles Deleuze (Postscript on the Societies of Control) Wien (jetzt Dobona-City) war die erste Stadt, die vor 200 Jahren nach dem Exodus der Menschen ins All, wiederbesiedelt wurde. Hier trifft das Vermächtnis der Zerstörung der eigenen Lebensgrundlage auf eine neue Gesellschaftsstruktur, deren zentrale Elemente Hirn-Computer-Interfaces, intergalaktische Vernetzung und Communityzugehörigkeit (anstatt geografischer Grenzen) sind. Ein Stromausfall legt die 12 Millionen Stadt lahm. Ursache ist eine komplexe technische Apparatur, die von einem Team niederrangiger Polizeieinheiten in den Ruinen des DC-Towers gefunden wird. Schon vor Ort bekommen die Analyseeinheit Jaro und der Polizeileutnant Yilka Margreier einen Einblick in Aufzeichnungen, die sich dort auf riesigen Datenträgern befinden. Einige davon zeigen Einblicke in groteske, surreale Szenarien, andere Alltägliches. Es besteht Interesse an schneller Aufklärung, weil eine Technologie die die Stromversorgung einer ganzen Stadt lahmlegen kann den fragilen Frieden mit einer arachnoiden extraterrestrischen Spezies gefährdet. Yilka muss während der Ermittlungen ihr Doppelleben zwischen Gesetzeshüterin und Rebellin gegen die Technokratie navigieren.

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Seitenzahl: 334

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Dieses Buch ist im Speziellen zwei Menschen gewidmet. Meiner Mama Alexandra, ohne die ich nie so viel Liebe für Literatur entwickelt hätte und Pino, der meine Recherche unterstützt hat und mir mit Rat, Liebe und Fürsorge sowie fantastischem Essen zur Seite gestanden ist. Im Allgemeinen widme ich das Buch allen Menschen, die Sorge- und Pflegearbeit leisten und allen Aktivist*innen, die versuchen unsere Welt zu einem liebevolleren, freieren, offeneren und schönen Ort für ALLE zu machen. Viele von ihnen, die ich kennenlernen durfte, haben Figuren in diesem Buch inspiriert, diesen gilt dieses Werk besonders. Genauso wie dem Team des MARK Salzburg, das junge Kunst und Kultur offen und inklusiv möglich macht und Räume für echte Gemeinschaft bietet.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Überlastung

Kapitel 2: Evaluierung

Kapitel 3: Perspektiven

Kapitel 4: Parallel

Kapitel 5: Merkmale

Kapitel 6: Analyse

Kapitel 7: Unterhaltung

Kapitel 8: Hinterzimmer

Kapitel 9: Paradoxon

Kapitel 10: Widerstand

Kapitel 11: Täuschungen

Kapitel 12: Wandertag

Gebiet des ehemaligen Wiens, Jahr 2725 alter Zeitrechnung / 350 nach neuer Zeitrechnung

Kapitel 1 Überlastung

Dunkelheit lag über der ganzen Stadt und verbarg ihre Formen. Echte Dunkelheit. Nicht jener Zustand, der nur aus generationenalter Gewohnheit noch mit dem Begriff verbunden war. Das Pechschwarz schien sich physisch zu manifestieren, es klebte an allen Oberflächen und übte Druck auf Yilka aus, die nach nur wenigen Schritten in Richtung des Flusslaufs das Team, mit dem sie am Einsatzort eingetroffen war, nicht mehr sehen konnte. Wenn Yilka die Augen zusammenkniff, vermischten sich ihre Erinnerungen an diesen Platz mit der schwarzen Leinwand. Sie glaubte, sich ungefähr vorstellen zu können, wo sie gerade stehen geblieben war – zwischen den Mauerüberresten quadratisch abgegrenzter Flächen, die nur mehr Schutt und Sand enthielten wo einmal Blumen und Gräser sprießten. Gegenüber, am anderen Ufer des Nube-Rivers, wäre an jedem anderen Tag ein farbenfrohes Mural an der Mauer rund um Opija zu sehen gewesen. Yilka rief sich die organische Linienführung der in kalten Farben gestalteten Alien-Tänzerin in den Kopf und ihr Mundwinkel rutschte leicht nach oben. Das weiche Türkis-Blau ihrer Federn hatte Yilka zum Farbcode für ihre Haartönung inspiriert.

Bevor sie ihren Cerebellink wieder aktivierte, legte sie noch einmal den Kopf in den Nacken und unzählige Sterne funkelten ihr hinter dem Glas der Kuppel entgegen. Ihr Unterkiefer zitterte und die Lichter aus fernen Universen verschwammen in die Länge, als kleine Tröpfchen sich an der Kante ihres Unterlides sammelten und ihre Hornhaut benetzten. Zum ersten Mal sah sie aus der Ferne, wohin andere Menschen regelmäßig reisten. Sie schluckte, leckte sich mit der Zunge über die Lippen und ließ zu, dass ihr Sichtfeld wieder von den Anzeigen ihrer Irislens eingenommen wurde. Unaufbörlich trafen manische Thrums entfernter Bekannter ein, die hofften in ihr eine Quelle der Information bezüglich des Stromausfalles zu finden. Einige Diagramme der Polizeisoftware forderten mit aggressiv steigenden Graphen ihre Aufmerksamkeit ein – Panikreaktionen, Suizidgedanken, Paranoia, Verschwörungserzählungen. Verärgert blinzelte Yilka die Augments weg. „Nur Situationsrelevantes.“ Sofort klärte sich ihr Blick und es waren nur noch wenige bläulich leuchtende Schriftzüge zu sehen. Außerdem zeichnete ihre Irislens dünne weiße Kanten in die Dunkelheit, sodass sie die Umrisse der Umgebung wieder wahrnehmen konnte. Auch die Silhouetten ihres Teams wurden dargestellt. Sie warteten auf ihre Anweisungen.

Noch bevor sich der Gedanke vollständig in ihrem Bewusstsein gebildet hatte, öffneten ihre Osseusneuronen einen Kanal zu den anderen.

„Leutnant“, meldete sich der Ermittler mit dem nächstniederen Rang.

Yilka begann sofort: „Die Analyse ist abgeschlossen. Scheinbar wird tatsächlich sämtliche Elektrizität in diesen Haufen Bauschrott geleitet. In den obersten Stock. Findet einen sicheren Ein- und Aufgang!“ Ihre letzten Worte klangen schärfer. Sie biss sich auf die Lippe. Hoffentlich gab es eine Möglichkeit nach oben.

„Ja, Leutnant!“, schallten mehrere Stimmen im Einklang aus den kleinen Lautsprechern der implantierten Technologie.

Zu Beginn dieses Nachtdienstes hatte sich der frisch beförderte Polizeileutnant nicht erwartet, dass sie zu einem integralen Bestandteil eines Ereignisses werden würde, von dem schon jetzt klar war, dass es in der Geschichtsaufzeichnung Erwähnung finden würde. Die ganze Stadt war betroffen. Vielleicht sogar alles, was auch nur entfernt mit den Stromkreisen von Dobona-City verbunden war – schwer zu sagen, da die meisten kleineren Ansiedlungen sich gezielt von der Kommunikation mit dem Ballungszentrum abgrenzten. Jedes Watt, das eingespeist wurde, floss hier her – in ein Hochhaus, das seit der mittleren Glaszeit nicht mehr benutzt wurde. Zuerst hatten sie es für einen Bug in einem der Analyseprogramme gehalten, irgendeinen seltsamen Fehler und nicht für das reale Ergebnis von Messungen und Berechnungen. Während die zusätzlich gerufenen Einsatzkräfte sich auf die Kraftwerke und Verteilerzentralen aufteilten, wurde das im Dienst befindliche Team von Cizarmil nur um sicher zu gehen – und wegen direkter Nähe ihrer Zentrale zur Ruine – hierher geschickt. Niemand hatte ernsthaft gedacht, dass es hier etwas zu tun gab. Die Dringlichkeit der Situation gebot nun, da das Gegenteil bewiesen war, dass Yilka Verantwortung für die Wiederherstellung der Stromversorgung trug.

Die Augments, die über ihrer Wahrnehmung lagen, gaukelten ihr vor, dass sie sehen konnte, wie Inspektor Tomažin auf sie zukam. Seine Stimme kam nicht aus seiner Richtung, sondern wurde direkt in ihren Gehörgang übertragen und nahm ihre volle auditive Aufmerksamkeit in Anspruch: „Alle Eingänge sind versiegelt. Wenn sich Personen im Gebäude befinden, müssen sie auf einem höherliegenden Level durch eines der glaslosen Fenster eingedrungen sein. Bis Stock 29 sind laut aktuellsten Satellitenbildern noch alle Scheiben intakt.“

Ihr Emotionsassistent blendete in Yilkas rechtem oberen Blickfeld ein, dass der Inspektor angespannt war, deshalb schlug die Software ihr vor, bestärkende Worte für den Mann zu finden. Durch einen kurzen Gedankenimpuls öffnete sie den Gesprächskanal wieder für das ganze Team: „Inspektorin Yaman, schneiden Sie einen Eingang in die Versiegelung. Ich will so schnell wie möglich in das Gebäude. Inspektoren Resch und Zauner, überprüfen Sie Möglichkeiten, um in die Tiefgarage zu gelangen, dort könnte sich eventuell ein effizienterer Weg hinein befinden. Möglicherweise ist eines der beiden anderen Gebäude betretbar, sie sind alle von derselben Garage unterbaut. Die ehemalige Einfahrt wurde leider zugeschüttet.“

Leicht versetzt erreichten sie drei Bestätigungen ihrer Befehle. Kurz darauf wurde die Nacht von dem schrillen Kreischen eines sich in Metall bohrenden Sägeblatts erfüllt und Funken sprühten dort, wo Inspektorin Yaman Chrom, Werkzeug und Muskeln ihres Armes zum Einsatz brachte. Nun wandte sich Yilka dem neben ihr stehenden Inspektor Tomažin zu, dabei ignorierte sie nach wie vor die Hinweise ihres Emotionsassistenten: „Was bringt Sie zu der Vermutung, dass Personen involviert sind?“

„Ich sagte, wenn Personen…“

„Im Moment gehen wir von einem seltenen Fehler aus, der zufällig von irgendeinem noch zu ermittelnden Ereignis ausgelöst wurde“, wiederholte sie Wort für Wort das, was ihr Vorgesetzter ihr mitgeteilt hatte. Ein Blinken im rechten Augenwinkel signalisierte ihr die Emotion Wut, beziehungsweise eine Angst-Wut Kombination. Sie würde gerne ein ernstes Wörtchen mit dem Entwicklungsteam dieses für sie personalisierten Softwaremonstrums wechseln.

Die Simulation von Inspektor Tomažins uniformiertem Körper straffte sich. „Ich wollte lediglich alle Eventualitäten mitbedenken, Leutnant. Verzeihung.“ Er räusperte sich.

Yilka nickte in Richtung der drei Türme, deren Umrisse in weißen Linien dargestellt wurden – in der Annahme, dass der Inspektor dasselbe Bild vor Augen hatte. Zwei davon standen sich gegenüber. Jeweils eine Gebäudeseite schlug Zacken – beim einen zehn, beim anderen fünfzehn versetzte Ausbuchtungen über die Breite der Gebäude hinweg. Alle unterteilt durch ein feines Raster aus hohen Fenstern ohne Rahmen. Die Türme waren so angelegt, dass ihre Silhouetten wie zwei Teile eines Ganzen wirkten. Vor dem schwarzen Hintergrund des Stromausfalls ergaben die Linien der Irislens-Computergrafik eine Neonröhren-Architekturzeichnung.

„Könnte auch gut ein Kunstwerk sein, das einen Kommentar zur Bürohauskultur im alten Europa abgibt“, meinte sie beiläufig. Der Inspektor warf sich in eine Denkerpose und tat so, als würde er über den Anblick, den er vor sich hatte, sinnieren. „Ich sehe Inspirationen in der Beyond-Pop-Art-Bewegung der 2170er Jahre, auch ein Hauch ironischer Warhol als noch weiteren Rückgriff – was nicht besonders zeitgemäß ist, wenn Sie mich fragen.“

Ein Schnauben signalisierte Yilkas Amüsement. „Immer wieder faszinierend, wie ähnlich unsere Realität manchen Werken alter Meister ist.“

„Schade, dass wir nicht mehr nachvollziehen können, ob sie uns warnen oder bestärken wollten“, lachte der Inspektor.

„Die beiden anderen Gebäude sind ebenso versiegelt wie der Zielturm. Kein Eingang in die Tiefgarage zu finden“, unterbrach Inspektor Zauner das pseudointellektuelle Geplänkel der beiden.

„Kommt zurück und helft Inspektorin Yaman“, sagte Yilka, nachdem sie ihren Stimmkanal wieder für alle hörbar geschalten hatte. Inspektor Tomažin grunzte belustigt. „Was?“, wandte sie sich wieder direkt an ihn.

„Inspektorin Yaman“, wiederholte er ihre letzten Worte und grunze erneut. Irritiert hob Yilka eine Braue, dann rollte sie mit den Augen – immer dasselbe. „So ist es korrekt. Titel und Nachname. Nicht nur Nachname“, knirschte sie.

„Keine Hilfe mehr nötig!“, verkündete die triumphierende Stimme der Frau, die gerade eine massive Metallplatte mit einem Tritt in das Innere des Gebäudes befördert hatte. Das Aufkommen ihres Fußes auf der Oberfläche klang dabei wie Metall auf Metall – schwer zu sagen wie viel Fleisch noch an ihrem Skelett hing. Sie war erst seit zwei Wochen im Team – seit Yilkas Beförderung.

Der Leutnant trat hinter der anderen Frau in die Hochhausruine. Was ihr an der alten Bürohauskultur gefiel, war, dass es damals noch bei allen Beförderungsformen die Option gab, „Nein“ zu sagen – zumindest hatte sie das mal gehört.

„Lokalisiere die Aufzüge“, befahl Yilka den Systemen – auch die Software ihres Teams würde Folge leisten. Unverzüglich erschienen Linien auf dem Boden, die in eine bestimmte Richtung flossen und ihnen so den Weg durch die Gebäudeleiche zeigten, deren Schemen sie nur durch die Augments wahrnehmen konnten.

Zu fünft in einer Reihe kamen sie, flankiert von Aufzügen, zum Stehen. Alle zehn Türen waren verschlossen, nichts gab ein Indiz darauf, in welchem Stock sich die Körbe befanden. Eine Echolot-Sender-Empfänger-Kombination richtete sich aus dem Ohrenimplantat auf, das Inspektor Zauner an seiner rechten Gesichtshälfte trug. Es war verbunden mit einem filigranen Exoskelett, dessen wenige Millimeter dicke, schwarze Stränge von der Software der Irislens als bläuliche Linien dargestellt wurden, die sich über seinen ganzen Nacken ausbreiteten und unter seiner Uniform verschwanden. Er deutete auf einen der Aufzüge. Sofort näherte sich Inspektorin Yaman dem schmalen Spalt zwischen den geschlossenen Metalltüren. Dabei begann sich ihr aus einem komplexen Geflecht von Mechanismen, und Einzelteilen bestehender Arm zu verformen und bot ihr ein zweiköpfiges Werkzeug, mit dem sie ihre maximale Kraft nutzen konnte, um die Türen auseinander zu spreizen. Yilka ließ sich von ihrem Emotionsassistenten an ein anerkennendes Nicken erinnern und betrat den Aufzug. Jetzt war der Moment gekommen, in dem es darauf ankam, dass sie wusste, was sie tat. Hier waren die Rollen nicht klar, die Aufgaben nicht offensichtlich, die Handgriffe nicht routiniert.

Yilka atmete tief durch und ließ ihren Cerebellink Gebrauch von einer bei ihr häufig auftretenden Wahrnehmungsstörung machen, die dafür sorgte, dass es sich anfühlte, als würde alles um sie herum sich langsamer bewegen als sie selbst. Die Technologie verstärkte und verlängerte den Effekt. Sie deutete nach oben, während sie Inspektorin Yaman mit ihren Augen fixierte: „Zwanzig Zentimeter Loch, vierzig Zentimeter Abstand zum Mittelpunkt.“ Dann wandte sie sich an alle. Noch einmal rief sie die Informationen ab, die sie schon in der Zentrale kurz vor ihren Augen hatte vorbei laufen lassen: „Inspektor Resch, durch das Loch haben Sie den richtigen Winkel für einen Schuss auf die Ankerscheibe – sie hält den Aufzug in Position. Löst sich das daran fixierte Gewicht, fährt der Aufzug nach oben. Ich übertrage Ihnen die genaue Lokalisierung und den Punkt, den Sie treffen müssen. Genau treffen.“

Ihre Worte waren zuerst begleitet vom leisen Klappern und Klirren sich neu arrangierender Metallteile, anschließend von dem Surren eines Lasercutters. Durch die Reflexion des Lichts an den verspiegelten Wänden des Fahrstuhls war die Szenerie nun in mehrere breite Streifen Rot getaucht. Die fünf konnten nun zum ersten Mal seit drei Stunden die Anspannung in den Gesichtern der jeweils anderen sehen.

„Macht euch alle bereit, nach dem Schuss haben wir exakt 38 Sekunden Zeit bis Inspektorin Yaman und Inspektor Zauner im obersten Stock gegen die Aufzugtür springen, um sie aus dem Weg zu räumen. Inspektoren Tomažin und Resch springen mit mir gemeinsam exakt zwei Sekunden später durch die Öffnung. Entsprechende Aufstellung.“

Kniend brachte Inspektor Resch eine Langstielpistole mit einer Mündung, die einen Durchmesser von gerade mal einem Zentimeter hatte, in Position. Sie ruhte auf zwei Stangen aus einer Aluminiumlegierung, die der Mann mit Nieten vorne und hinten an seinem Oberkörper befestigte. Eine zweite Fixierung folgte an der Schulter. Durch ein Gelenk war es ihm möglich, die Waffe präzise auszurichten. Dies tat er, indem er einen Pin aus seinem Hinterkopf zog und sein Gehirn direkt daran verband. In derselben Zeit hatte Inspektorin Yaman ihre Tätigkeit beendet. Während sie sich in der ersten der beiden Reihen, die das Team bildete, aufstellte, formte sich ihr Arm zu der massivsten der möglichen Kombinationen der filigranen Einzelteile – er wirkte beinahe monolithisch, wie ein einziger großer Metallklotz.

Inspektor Tomažin stand neben Yilka, in zweiter Reihe so, sodass ihre Schultern zehn Zentimeter voneinander entfernt waren. Sie würden geradeaus rennen, nachdem der Timer, der auf den Schuss – gerade einmal so laut wie das Fallen einer Schraube – folgte, abgelaufen war. Sie alle hörten ihn aus ihren Osseusneuronen. Inspektor Resch bezog neben dem Leutnant Position. 32. 31. 30. 29. 28. 27. Im Stakkato. 24. 23. 21. 20. 19. 18. 17. 16. 15. 14. 13. 12. 11. Zehn. Neun. Acht. Sieben. Sechs. Fünf. Vier. Drei. Zwei. Eins. Yaman und Zauner sprangen. Eins. Zwei. Es krachte. Gleißendes Licht und Lärm überall.

Diejenigen von ihnen, die nicht schon nach dem Sprung zu Boden gegangen waren, sackten in sich zusammen. Hände wurden über Ohren und Augen gepresst. Gleichzeitig versuchte die Software der Augments den Angriff auf ihre Sinne zu kontern. Schwierigkeiten, die richtigen Frequenzen zu finden, führten dazu, dass die überwältigende Helligkeit in unregelmäßigen Takten aus ihrer Wahrnehmung verschwand und für den Bruchteil einer Sekunde Sehen ermöglichte – anschließend blendete sie der Schein noch greller. Es war, als würde sich das Licht gegen die Technologie zur Wehr setzen. Jedes Mal, wenn es den Implantaten einer Person gelang, für einen Moment klare Sicht herzustellen, schwoll der Geräuschpegel an. Ein Kreischen, das menschliches Schreien transzendierte, bildete die Basis die von Schichten weißen Rauschens überlagert wurde.

Yilkas Rücken krümmte sich instinktiv und sie verspürte den Drang ihren Kopf zu schützen. Teile der Geräuschkulisse klangen, als würden Glas und Stahl über ihnen einbrechen. Ihre Fingernägel gruben sich in die zarte Haut ihrer Handflächen, ihre Gelenke versteiften und ihre Knochen schienen in ihren Betten aus Fett und Muskelgewebe zu vibrieren. Es kam ihr vor, als würde ihr Skelett jeden Moment in Milliarden Stücke zersplittern. Das Lockern ihres Kiefers war begleitet von Schmerzen, doch sie musste versuchen, Worte an ihr Team zu richten: „Nach links.“

Sie hoffte, dass eine Übertragung zu den anderen gelang, hatte jedoch keine Möglichkeit dies zu überprüfen, während sie ihren Körper aus dem Fahrstuhlgang hinausschleppte. Im rechten Winkel zu diesem befand sich ein langer Gang, der zu dem großen Raum führte, der die meiste Fläche des Obergeschosses einnahm. Die dürftige Menge an Echtzeitdaten, die sie noch von ihren Augments empfing, deutete darauf hin, dass sie auf die Quelle der sensorischen Folter zusteuerte. Vor mehr als fünfhundert Jahren hatten sich hier Geschäftsessen und Dinnerdates nebeneinander abgespielt.

Gerade in dem Moment, als Yilkas Implantate endlich in der Lage waren, die Intensität von Licht und Lärm zu dämmen, riss Inspektor Zauner sie zu Boden. Seiner Sinne beraubt war er in hektische Bewegungen verfallen, die ihn unkontrolliert von einer Seite des Ganges zur anderen taumeln ließen. Die Frau fing den Sturz mit ihren Unterarmen ab und rollte zur Seite. Gerade noch rechtzeitig, um dem Schwall Erbrochenes auszuweichen, der von der Fontäne aus Inspektor Zauners Mund in ihre Richtung spritzte. Er brach über der Lache aus Magensäure und halb verdauten Essensstücken zusammen und rollte sich in Embryostellung ein. Mit Daumen und Zeigefinger fuhrwerkte er an seinem Ohrenimplantat herum. Das starke Zittern seiner Glieder hinderte ihn jedoch daran, es zu deaktivieren. Er schaffte es nicht, das Notaus zu entriegeln. „Damir… Hil-…fe“, schrie der Mann flehend und streckte einen Arm nach Inspektor Tomažin aus, der sich, mit an die Wand gepressten Handflächen und Gesicht, vorantastete.

Unterdes hatte Yilka sich aufgerappelt. Ihre Sicht war von weißem Lichtnebel verhangen und der Lärm war nach wie vor wahrnehmbar. Es war jetzt so, als würde sie ihn unter Wasser hören. Das Boosten ihrer reizdämmenden Augments zum Maximum kostete sie eine beträchtliche Menge Bioenergie. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, sich die zahllosen Kabel aus dem Hinterkopf zu reißen und die Verbindung zu ihrem Link zu unterbrechen. Allerdings würde sie dies nicht nur ihren Job, sondern auch ihr Dasein als Individuum kosten.

Mit gebeugtem Rücken schleppte sie sich weiter in Richtung des ehemaligen Restaurantbereiches. Inspektorin Yaman holte sie schließlich ein – überholte sie und war als erstes in direkter Nähe zur Geräusch- und Lichtquelle. Ihr unscharfer Umriss hob sich schwarz vor dem gleißenden Hintergrund ab. Yilka konnte erkennen, dass sie ihren Kopf ruckartig hin und her riss. Dabei schien er keine zweimal dieselbe Position einzunehmen. Immer leicht versetzt von links nach rechts in unmenschlichem Tempo und viel zu abgehakt für eine natürliche Bewegung. Entweder das Licht wurde dunkler oder die in Yilka verbaute Technologie hatte sich noch einmal neu kalibriert und erzielte jetzt bessere Ergebnisse. Plötzlich sah sie Rechenmaschinen über Rechenmaschinen, dicke Kabel, die den Boden bedeckten wie Schlangen, die einander in die Schwänze bissen und Bildschirme, die die gesamte Wand hinter den schwarz-spiegelnden Überresten der Bar überzogen. Von ihnen kam das Leuchten.

Dicht aufeinanderfolgende Schüsse zerrissen den Teppich aus schrillem Lärm und schwarze Scherben riesiger Mattscheiben flogen durch den Raum. Der Kugelhagel stoppte nicht, nicht einmal als die Reizüberflutung abrupt abbrach. Dunkelheit umhüllte sie erneut. Yilkas Irislens brauchte einen Moment, um ihr wieder visuelle Anhaltspunkte zu geben – kurz sah sie nur das Mündungsfeuer, das sich immer wieder am Ende von Inspektor Yamans Arm entzündete.

„Feuer einstellen!“, brüllte der Leutnant. Die Inspektorin hörte nicht auf den Befehl. Oder hörte den Befehl nicht. „Feuer einstellen!“ Erneut keine Reaktion. Es dürfen nicht noch mehr Beweismittel beschädigt werden, schoss es Yilka durch den Kopf.

Mit einem gewaltigen Satz warf der Leutnant sich gegen die andere Frau und brachte sie zu Fall. Überrascht riss Inspektorin Yaman ihren Waffenarm nach oben und ein Schuss hinterließ ein Loch in einer der silbernen Deckenplatten. Auf dem Weg zum Boden lösten sich noch zwei weitere Kugeln. Die eine bohrte sich in einen der Stahlträger des Außengerüstes, die andere durchschlug Inspektor Reschs Brust und brachte die riesige Glasscheibe hinter dem Mann zum Explodieren. Sein Körper fiel zweihundert Meter in die Tiefe. Die Lichter der Stadt begannen wieder zu leuchten.

Rotorblätter knatterten über ihren Köpfen. In der Bewegung verschwammen die Außenkanten der Aluminiumruder zu einem halbdeckenden Kreis über der Hartglaskammer des Helikopters, der durch den wieder aufziehenden Lichtsmog der Stadt navigierte. Der Pilot, der mit erweiterten Neuronen an Handgelenken, Fußgelenken und Hals an einer mit Leiterbahnen übersäten Platte Novaremdium angeschlossen war, lenkte das Fluggerät so präzise, dass die Ebene auf der Jaro stand keinen Grad an Steigung zu- oder abnahm. Der Boden war der einzige Teil des Helikopters, der nicht durchsichtig war. Mattes schwarz kontrastierte hier die Sockel der milchglasigen Präzisionsgeräte und die weißen Kabel die den Fußraum überzogen. Jaros bewaffnete Eskorte sprach ohne ins Sichtfeld zu kommen: „Warum da Strom wohl wieda da is‘? Fühlt sich a bissl so an, als war da ganz’n Stadt die Sicherung g’flogn.“

Es war Jaro nicht möglich, den altertümlichen Dialekt in Echtzeit zu erfassen. Mit Anglo-Mandarin als Systemsprache brauchte es mehrere Stufen der Übersetzung, bis klar war, was der Zivilschutzbeamte sagte. Der Blick der Analyseeinheit blieb fixiert auf die hell erleuchtete Hochhausruine, auf die sie zusteuerten. Wenn die Aufzeichnungen des Stadtdatenspeichers stimmten – und da diese seit Neugründung der Stadt vor 149 Jahren bis auf 0,08 % der Tage lückenlos waren, war die Wahrscheinlichkeit dafür groß genug – war in den letzten 134,2 Jahren durch keine der Leitungen dieser archäologischen Stätte Strom geflossen. Die letzte Aktivität auf diesem Platz waren die Festlichkeiten zum Abschluss der Forschungsvermessung für das Geschichtssimluationsarchiv der Knjižnica-Kolonie gewesen. Das Treten von einem Fuß auf den anderen, das der Zivilschutsbeamte in einem unsauberen Dreivierteltakt vollführte, signalisierte Jaro sein Unbehagen angesichts des Schweigens und vermutlich auch bedingt durch die Gesamtsituation.

„Eine Stadt hat keine einzelne Sicherung“, zusammengezogene Augenbrauen und eine gerunzelte Stirn begleiteten die Worte, „Ganz im Gegenteil, Stromversorgung ist meist dezentral org-…“

„Jojo, i‘ woaß i‘ woaß.“ Der Zivilschutzbeamte knirschte mit den Zähnen, seine klobige Hand ruhte schwer auf Jaros Schulter, nachdem er kumpelhafte Schläge damit ausgeführt hatte. Er war groß und breit und schwarz.

„Wie hoaß i?“, fragte der Mann nach kurzer Stille. Seine Mundwinkel verzogen sich nach oben und seine gelb-belegten Zähne kamen zum Vorschein, während sein Blick Jaro von der Seite fixierte.

„Diese Information kann ich nicht abrufen. Namen irritieren Mustererkennung, verzerren Kausalitätsfindung. Zu viele vermeintliche Zusammenhänge im Zufälligen.“ Jaros Lippen pressten sich zu einem Strich zusammen.

Der Zivilschutsbeamte trat in Jaros Sichtlinie. Sein Zeigefinger – genauer gesagt der etwas hervorstehende Nagel, unter dem sich Metallabrieb angesammelt hatte – bohrte sich in die Haut auf Jaros Stirn. „Schonmal abg‘schalt‘n?“ – der Mann suchte direkten Blickkontakt – „Kannst sicha ka Madl zum mit dir hamgeh’n bringen, wennst da ihr‘n Namen nit merkn konnst!“ Grunzendes Lachen erfüllte die Glaskammer. Jaros Algorithmen markierten, dass der Beamte annahm, dass sich hinter der durch Nanotechnologie unkenntlich gemachten Form der Analyseeinheit ein Mann befand. Bei weitem die häufigere Einschätzung.

Jaro öffnete den Mund zu einer Erwiderung, doch das Gegenüber war gar nicht auf eine Antwort aus. Vielmehr war der Gesprächsinhalt eine Form der Anspannungsabfuhr, losgelöst von Subjektinteraktion, so kategorisierten es jedenfalls Jaros Algorithmen. „Scheiße, bist überhaupt a hawara? Wie vermehrts‘n ihr eich?“ Spucke klatschte auf den dunklen Boden und für den Bruchteil einer Sekunde war sie durch eine dünne Verbindung noch Teil der Mundflora des Zivilschutzbeamten, bevor der Faden abriss.

Jaro schnappte reflexartig nach Luft. Die Aggression, die die Luft im Innenraum des Helikopters aufzuladen schien, durchdrang die Blockaden der künstlichen Synapsen des Cerebellinks und die Reaktion des sympathischen Nervensystems sprang an – wenn auch deutlich abgedämpft. Weniger als zwei Sekunden dauerte das Ziehen der kleinen Handlaserwaffe, deren roter Sucherpunkt sich durch die Reflexion der Glatze des Zivilschutzbeamten in die Länge zog.

„Wenn es Sie ernsthaft interessiert: Der Vorgang der Produktion von reinen Analyseeinheiten ist genauestens im Membrain der Datenbehörde nachzulesen, sonst würde ich anraten, das Verbreiten von fehlerhafter Information über die Bildung unserer Datendienstleistungsorganisation zu unterlassen, außer Sie möchten, dass ein Einflussermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet wird und Sie Umkreissanktionen erleiden müssen.“ Die Drohung verschlug dem Zivilschutzbeamten die Sprache.

Ein riesiger hydraulischer Arm mit zwei Gelenken fuhr aus dem Bauch des Helikopters. An seinem losen Ende schoben und zogen sich filigrane Einzelteile in Position, um ein gummiähnliches Material konkav zu spannen, sodass ein Saugmechanismus mit einem Durchmesser von zwei Metern und fünfzig Zentimetern entstand. Mit einem lauten thud dockte das Fluggerät an der gläsernen Wand der Hochhausruine an. Der mit der Maschine in Symbiose stehende Pilot lenkte die Bewegungen des Helikopterarmes so, dass ein ebener Einstieg in den Stock des Hochhauses möglich war, in dem das Polizeiteam auf die Analyseeinheit wartete. Laut abgegebenem Kurzbericht des Leutnants gab es zwei Leichen als Datenpunkte am Ort des Geschehens sowie bekannte technologische Einzelteile in einer unbekannten Zusammensetzung mit unbekannter Funktion. Einige der Geräte waren in Folge einer nicht vorberechneten psychischen Reaktion der Gewalteinheit auf ein unbekanntes audiovisuelles Phänomen zu Schaden gekommen. Die Lärmkulisse, sowie das Leben eines Inspektors wurden dadurch beendet. Zweite Leiche: unbekannt, nicht klar ob menschlich. Zustand nicht erfassbar.

„Sie haben mir zu wenige Datenpunkte für irgendeine Form von Vorarbeit übertragen“, stellte Jaro trocken fest, nachdem der Leutnant ihre Begrüßungsworte an die Neuankömmlinge gerichtet hatte. Sie kannte den Zivilschutzbeamten – das konnte Jaro aus dem persönlichen Geplänkel ableiten, das der Mann an sie richtete und dessen Verankerung in Jaros Hippocampus von den Neuronen des Cerebellink verhindert wurde.

„Ich war nicht in der Lage Videomaterial aufzunehmen, mein Team ebenso wenig. Es befindet sich eine Form von nichtidentifizierbarem Störfeld im Gebäude, das allerhand Tricks mit unseren Augments aufführt“, rechtfertigte sich der Leutnant.

Jaro nickte knapp und brach weiteres Sprechen ihrerseits mit einer Handbewegung ab. Die eisblaue Iris des linken Auges verschwand nach oben in die Stirnhöhle und ein Mikro-Kameraobjektiv, das in eine sechseckige Ausbuchtung des Glaskörpers eingelassen war, schob sich hinter dem Unterlid hervor. Leise Klickgeräusche begleiteten die systematischen Bewegungen, die das Auge in unnatürlicher Präzision ausführte, während Jaro in Richtung des Mittelpunktes des Schauplatzes schritt. Der Leutnant ging mit einigem Abstand nebenher und versuchte zu verfolgen, worauf der analytische Blick fiel, um gegebenenfalls verbale Ergänzungen zu liefern. Die Augenbewegungen rissen abrupt ab, als die Leiche sichtbar wurde, die inmitten von teilbeschädigten, kaputten und noch leise brummenden Computervariationen, Netzwerkelementen, Kabeln und Virtualitätshafenpunkten lag. Die eisblaue Iris kehrte in ihr Kammerwasserbad zwischen Wimpernkränzen zurück und vertrieb das Kameraobjektiv. Jaro sprach: „Einige Gesetzmäßigkeiten der Lichtbrechung werden bei Betrachtung des Körpers außer Kraft gesetzt.“ Ein Deuten zur Leiche folgte den Worten. Jaros Synapsen begannen auf einer anderen Ebene die Wahrnehmungsdaten der Szenerie zu verarbeiten. Eine Algorithmen-gestützte Kategorisierung, Zählung und Nachverfolgung zeigte, dass jedes einzelne der Kabel, die Boden und Decke bedeckten und Monitore und Rechner miteinander verbanden, schlussendlich mit Pins an Nervenbahnen und Blutgefäße der Leiche angeschlossen war. 43 743 Kabel mit Durchmessern zwischen einem halben Millimeter und drei Zentimetern. 62,49 % der Kabel für Dateninput, 25,68 % für Datenoutput, 4,49 % für Bioenergiestabilisation und Ernährung, 4,33 % zur Stromversorgung, 1,58 % waren medizinische Datenleitungen zur Muskel-, Zell-, und Synapsenprogrammierung und die verbleibenden 1,43 % waren hausgemacht modifiziert – wahrscheinlich zur Übertragung von psychoaktiven Codes oder anderer Drogenprotokolle. Die Kabelzusammensetzung entsprach keinem geläufigen Hackersetup und es waren auch keine Virtualisierungsmaschinen am Markt verfügbar, die genügend Parameter erfüllten, um in Betracht zu kommen. Der zweite Analyseschritt zeigte: die Geräte, die zu einem frankenstein‘schen Computermonster zusammen gedoktert waren, waren von unterschiedlichen Herstellern und es ließ sich keine Systematik hinter den vorhandenen Einzelteilen erkennen. Die Funktion ließ sich nicht schlussfolgern. Die nächste Ähnlichkeit der Anlage konnte zu einem Universitätsexperiment zur Vergrößerung subatomarer Felder gezogen werden. Doch selbst der großzügigste Vergleich schätzte die Wahrscheinlichkeit dieser assoziativen Verbindung auf weniger als fünfzig Prozent.

Jaros Aufmerksamkeit fiel nun auf die Leiche. Alle Berechnungen, die die im Hirn verbaute Technologie durch synaptische Bahnen jagte, brachen ab – die Analyse kam zu einem Stillstand. Nichts konnte herangezogen werden, das den Zustand der Überreste über das hinaus erklärte, was mit bloßem Auge erfasst werden konnte. Egal was Jaro versuchte auszulesen – DNS, chemische Spuren am Körper, Hinweise auf den Hergang der Ereignisse – das Ergebnis war eine nicht endenwollende Abfolge von Nullen, die vor Jaros innerem Auge vorbeilief.

Jedes sichtbare Detail musste genauestens beschrieben und grafisch simuliert werden, um für die fehlenden Videoaufnahmen zu kompensieren. Jaro hob den Arm um das durchsichtige, zwei Zentimeter dicke Neuronenband zu beäugen, das sich um das Handgelenk schlängelte. Das kurze blaue Pulsieren kleiner Leiterbahnen signalisierte die Verarbeitung der Bioenergie des Blutes zu erweiterter Verstandesleistung – zu wenig, um die Daten in ausreichender Qualität zu generieren und an die richtige Membrain weiterzuleiten.

Jaro rief die technischen Details der anwesenden Polizeieinheiten und des Zivilschutzbeamten ab. „Inspektoren Zauner und Tomažin extrahieren Sie einen prozeduralen Pin aus Ihrem Pons, verbinden Sie sich mit Leutnant Margreiers linker Hemisphäre und gehen Sie in den Stand-by-Modus. Ich reaktiviere Sie, wenn Ich ihre Rechenleistung nicht mehr benötige.“

Während die Polizeieinheiten ihre Befehle befolgten,meldete sich der Zivilschutzbeamte – der in gebührlichem Abstand zum Schauplatz stehen geblieben war – zu Wort: „I hab‘ gedocht es Analischtn kennts‘ kane Namen wiss’n?“

Die Inspektorin erwachte aus der Starre, in die sie verfallen war, nachdem sie sich vom Boden aufgerappelt und ihre Rolle bei einem Tod begriffen hatte.

„Moruk!“- polterte sie – „Programmieren sie bei euch Spätverbundenen immer noch kein tieferes Verständnis von BiCies ein oder ist dein Hirn genetisch so degeneriert, dass die fortschrittlichste Technologie nichts mehr hilft, um dir was beizubringen?“

Inspektor Z lachte auf, während er einen der dünnen Drähte, die aus seinem Hinterkopf ragten und dessen Ende er zwischen zwei Fingerspitzen hielt, in eine Buchse am obersten Halswirbel des Leutnants einführte.

„Schade, dass man noch nicht draufgekommen ist, wie der Code für die Eigenschaft aussieht, die Fresse zu halten, wenn man nichts Kluges zu sagen hat. Das würde uns das dumme Geschwätz von solchen wie dir ersparen.“ Mit den letzten Worten wandte sich Inspektor Z direkt an den Zivilschutzbeamten. Der Mann setzte zur verbalen Explosion an, doch ein langer Blick des Leutnants gepaart mit einem subtilen Kopfschütteln ließ die Energie verpuffen, bevor es zur Detonation kam.

Yilka fühlte sich viel zu wach. Ihre beiden männlichen Kollegenwaren in sich zusammengesunken. Ihre Körper waren gerade nichts weiter als leblose Haufen. Sie waren mit langen Pins an Yilkas Hinterkopf angebracht und schränkten ihre Mobilität ein. Jaro trat an den Leutnant heran und zog mit einem Ruck zwei Pins aus der Buchse ihres Cerebellinks. Dabei rutschte Yilkas Blick an der Silhouette der Datenanalyseeinheit ab. Ihre Sinne waren nicht in der Lage Details von Jaros Aussehen aufzunehmen und in ihren Synapsen zu speichern. „Versuchen Sie alle Gefühlsregungen die aufkommen zu unterdrücken, damit so wenig Subjektivität wie möglich in das Analyseprotokoll einfließt. Sie haben genetisch beste Voraussetzungen zur Assistenz einer Analyseeinheit, also keine Sorge.“ Jaro schloss Yilkas Pins an einer Buchse zwischen den Schulterblättern an. Der Cerebellink der Analyseeinheit war am Hinterkopf nicht von außen zugänglich. Dieser kleine, weiße Anschluss über der Wirbelsäule war die einzige Möglichkeit auf die Hardware zuzugreifen. Analyse-BiCies verfügten auch nicht über den Strang bunter Pins vom Hinterkopf zum Wirbelsäulenmodul, an dem sonst der Datenreichtum eines Menschen, sowie die synaptische Spezialisierung ablesbar war.

Nachdem eine stabile Verbindung eingerichtet war, hefteten sich ihre beiden Augenpaare an die durchscheinende Haut der Leiche. Muskelfasern, Fettgewebe, innere Organe und Knochen, alles war sichtbar – wie in Frischhaltefolie verpackt. Alles davon farblos. Sämtliche Einzelteile der Innereien entfalteten sich in verzerrten Perspektiven, die sich im Flux befanden. Sie überlappten sich, aber schienen sich trotzdem nicht zu verdecken. Lange Strähnen üppigen Haares umrahmten den gläsern wirkenden Leichnam bis zur Hüfte – auch sie waren farblos, durchscheinend. Vielleicht floss Elektrizität oder eine andere Form von Energie durch sie hindurch – vielleicht waren die blauen Blitze, die immer wieder in Jaros und Yilkas geteilter Wahrnehmung auftauchten auch nur eine Täuschung der seltsamen physikalischen Gegebenheiten rund um den reglosen Frauenkörper.

„Die Organe scheinen weitgehend unbeschädigt. Dichtemessung von Körper oder Einzelteilen zeigt kein Ergebnis. Auch sonstige Vermessung bleibt erfolglos“, stellte Yilka mit monotoner Stimme fest.

„Physische Kontaktaufnahme mit Subjekt wird eingeleitet. Zeit: 03:27“, sagte Jaro fürs Protokoll, bevor die beiden sich mit behutsamen Schritten dem Körper näherten. Dabei gaben sie sich Mühe, auf möglichst wenige der Kabel und Gerätschaften auf dem Boden zu treten – während ihr Bewegungsradius durch die zarten Drahtverbindungen zwischen ihren Cerebellinks deutlich eingeschränkt war. Yilka konnte als erste die Finger an die durchsichtige Haut legen und sie spürte…nichts. Kein haptischer Eindruck stimulierte ihre Nervenenden. Ihr Sehsinn bestätigte ihr, dass Zeigefinger und Mittelfinger ihrer linken Hand den Oberarm der Leiche berührten. Sie konnte diese Berührung jedoch nicht erfahren. Aus der Nähe waren die Augen der toten Frau zu erkennen. Hinter den geschlossenen Lidern war ein Glaskörper zu sehen. Adern zeichneten weiße Muster in das sonst durchscheinende Organ. Die Pupillen inmitten ihrer milchig-trüben Iris waren schwarz. Tiefschwarze Löcher die Blicke verschlangen.

Yilka kam zu sich als Inspektorin Yaman sie in einigem Abstand von Gerätschaften und Leiche zu Boden senkte. Nur gedämpft drang das Hin-und-Her der aufbrausenden Stimme des Zivilschutzbeamten und des gleichgültigen Tonfalls der Analyseeinheit an ihr Trommelfell. Entfernt verstand sie, dass es dabei um den Auslöser für ihre Ohnmacht ging. Die Beamtin rappelte sich auf. Ihre Bewegungen waren etwas langsam, dennoch waren sie kontrolliert und sicher. Anstatt ihre Nachtschicht zu beenden, würde Sie den Vormittag wohl damit verbringen einige Berichtsessions mit dem Speichernetzwerk der Kommandozentrale einzulegen, danach würden Sie und ihr Team zu langen Evaluierungen mit Protokollen des Zivilschutzes angehalten werden – immerhin hatte sie selbst gerade einen technischen Ausfall erlitten und Inspektorin Yaman… Ihr Blick schweifte zu der dunkelhaarigen Frau, die ihr den Rücken gekehrt hatte. Sie hatte bisher keine äußeren Anzeichen einer neuronalen Fehlverarbeitung des Todes von Inspektor Resch gezeigt. Ihr kurzer Rückgriff auf eine Begrifflichkeit ihrer Betriebssystemsprache war mit höherer Wahrscheinlichkeit durch allgemeine Belastung des Nervensystems zu erklären, als spezifisch mit ihrer Verantwortung für das Umkommen des Scharfschützen. Ihre Teil-Schockstarre, die bis zur Ankunft der Analyseeinheit angedauert hatte, deutete auf ein durchschnittliches Maß an kognitiver Vereinnahmung durch Traumaverarbeitung hin. Weiters bot die Dienstgeschichte der Inspektorin keine Hinweise auf schlechten Umgang mit Schuldgefühlen.

Ein Stich in der Schläfe erinnerte Yilka daran, dass sie nicht mehr dieselbe Menge an Rechenleistungen für ihre Überlegungen verwenden konnte als zuvor. Mit einem Räuspern machte sie auf sich aufmerksam, während sich ihr Fokus wieder von ihren Gedankenweg hin zu ihrer Umgebung verschob.

„Was ist passiert?“, erkundigte sie sich. „Unsachg’mäßer Umgong mit interpersönlicher Verkettung dat i sog’n.“

Yilkas Emotionsassistenz vermeldete ihr das Auftreten von Genugtuung bei dem Zivilschutzbeamten, als er einen Seitenblick auf Jaro warf. Inspektorin Yaman murmelte beinahe unhörbar „interpersonelle Verkettung“ und die Analyseeinheit schüttelte nur den Kopf. Nachdem drei Sekunden verstrichen ohne, dass Yilka eine passende Fortführung der Interaktion einfiel, schritt sie zu den beiden Inspektoren, die nach wie vor im Stand-by-Modus auf dem Boden lagen.

„Ist eine weitere Verkettung notwendig?“ Behutsam hob sie die losen Pins auf, mit denen sie vorher an die Cerebellinks ihrer Kollegen angeschlossen gewesen war.

„Des isch koa guade Idee. Es warat schad, wenn ma dei hübsches Köpferl permanent ausschalt’n miasat weil so a deppata Analischt nit gnuag Dat’n hat kriag’n kennen.“ Wiederholt blinzelte Yilka, in der Hoffnung, die Geste würde ihre Irritation verscheuchen. Sie setzte zu einer Antwort an, sog schon Luft ein, um die ersten Worte zu bilden – doch dann stolperte sie über ihr eigenes Unverständnis des Konfliktes, der zwischen der Analyseeinheit und dem Zivilschutzbeamten zu brodeln schien.

„Markus, meine Systeme melden mit über achtzigprozentiger Wahrscheinlichkeit, dass der Ausfall von unbekannten äußeren Faktoren ausgelöst wurde“, reduzierte sie ihren Beitrag zu dem Ganzen auf simple Informationsweitergabe.

Der Zivilschutzbeamte grummelte etwas unverständliches, das von einem blinkenden Verachtung auf Yilkas augmentiertem Sichtfeld begleitet wurde. Verdammte Fehlkonstruktion… beschimpfte sie innerlich ihren Emotionsassistenten.

„Es ist eine weitere Verkettung notwendig. Allerdings brauchen wir die Leistung der beiden nicht mehr. Ich möchte eines der intakten Speichermodule anzapfen. Ein erster Versuch des Erfassens davon, womit wir es hier zu tun haben.“ Jaro machte eine ausladende Geste über Leiche und Technologieaufbau hinweg. Yilka nickte zustimmend und sie verbanden sich mit dem Gerät.

Die Augen, durch die ich zur stummen Beobachterin einer fremden Realität wurde, zeigten mir in den ersten Momenten nur einen sehr kleinen Ausschnitt von Welt. Sonnengebräunte, mit unzähligen Pigmentflecken übersäte Hände führten gemächliche Bewegungen aus, die einen rostroten Wollfaden zwischen zwei Stricknadeln tanzen ließen. Täler und Berge faltiger Haut zeigten die Topografie eines Lebens, das von Handarbeit geprägt war. Kleinere und größere Narbenflecken mit unscharfen Rändern waren heller als die Pigmentflecken und die generelle Hautfarbe der alten Frau. Sie wirkten wie die Spuren von Verbrennungen – vermutlich durch das tägliche Hantieren mit heißen Töpfen und Pfannen. Es war ein seltsames Gefühl zu merken, dass die Hände, die ich als meine wahrnahm, Reihe um Reihe eines Pullovers strickten, ohne, dass ich mich verantwortlich für die Bewegungen fühlte – oder einen Einfluss auf sie nehmen konnte. Während ich von meinem mentalen Rücksitz aus die hypnotisierenden Handgriffe beobachtete, stellte ich mir vor, dass ich meine limitierte Zeit hier damit verbringen würde, 42 Minuten lang einer Transformation von Wolle zum Kleidungsstück beizuwohnen, die mir keinen Aufschluss über den Ort gab, an dem ich mich befand. Möglicherweise konnte ich, wenn ich die Bewegungsabläufe mit verschiedenen Handarbeitstechniken verglich, Ähnlichkeiten und Unterschiede feststellen und daraus Informationen gewinnen. Minute um Minute verstrich, mein Bewusstsein verstrickte sich immer mehr mit dem der alten Frau.

Plötzlich war ein lautes Poltern zu hören, das eine Dissonanz zwischen meinem Erschrecken und dem Gewöhnt-sein meiner Gastgeberin auslöste. Die Richtungen des Lärms - der klang wie Schritte in einem Tunnel - vermittelten den Eindruck, als würden sich Lebewesen durch die Wände und zwischen den Decken bewegen.

Die alte Frau strickte unberührt weiter. Eine Kakophonie aus verzerrten Kinderschreien, Jaulen und Knurren verschluckte das leise Läuten einer Türglocke. Ich konnte die Vibration des scharfen „Aus! Ruhe!“ auf den spröden Lippen der alten Frau spüren. Mit zitternden Händen legte sie Stricknadeln und Wolle beiseite und ich spürte die Gebrechen in ihren Hüftknochen, als sie sich von ihrem Stuhl erhob.

Endlich konnte ich mehr von dem Raum sehen als ein kleines Stück Holzboden und eine Tischkante. Die Deckenhöhe überraschte mich – geschätzte sechs Meter. Ich hatte mit einer niedrigen Blockhütte gerechnet. Die Einrichtung spiegelte genau diese Erwartung wider: Alles aus Holz, klobiges Design, viel Stoff und Polster. Die Maserung der Wandtäfelung und der Möbel hatte einen seltsamen violetten Farbstich, die Sitzpölster auf Eckbank und Stühlen passten zu den Vorhängen – eierschalenfarbener Stoff mit einem Muster aus moosgrünen Spiralen. Die extreme Raumhöhe wurde von Metallschächten gefüllt. An manchen Stellen schienen sie durch die Wand aus anderen Räumen sowie aus dem Stock darüber zu kommen und zogen ein Labyrinth aus Metall und Gitter über die oberen vier Meter. Auf Augenhöhe links und rechts neben der Tür zum Gang hingen Bilderreihen. Auf jedem war dieselbe Frau in verschiedenem Alter zu sehen, um sie war eine wechselnde Anzahl an Kindern geschart. Mädchen und Jungen aller Hautfarben kauerten nackt und mit gekrümmten Rücken rund um ihre Beine. Ihr Alter war schwer zu schätzen, denn sie waren dreckig und ungewöhnlich stark behaart. Etwas an ihnen wirkte… fremd. All ihre Identitäten zu prüfen würde einige Zeit dauern.

Qualitativ konnten die Fotos mit der Auflösung unserer modernen Bildtechnik mithalten, weshalb ich versuchte Spuren weiterer Technologie zu finden, während meine Gastgeberin auf den Gang trat, um die Haustür zu öffnen. Auch im Vorzimmer waren ab zwei Metern Raumhöhe Schächte mit quadratischer Grundform angebracht. Ich glaubte Elektronikverbauungen an gewissen Stellen sehen zu können, aber die Augen der Frau waren kurzsichtig und ihr Fokus lag gerade nicht auf Einrichtungsdetails ihres Hauses. Hoffentlich reichte die Wahrnehmungsaufzeichnung des kurzen, vorbeischweifenden Blicks, um in der späteren Analyse mehr Details zum Vorschein zu bringen. Meine Gastgeberin zog einen geschwungenen Gehstock aus violett-gemasertem Holz aus einem Metallständer im Eck. Damit kam sie schneller voran. Ein Blick durchs Guckloch verriet uns, dass ein Mann in Uniform vor der Tür stand. Er hatte einen großen Seesack dabei, den er in einer Hand hielt. Da ich keine Form von Irritation im Bewusstsein der Alten wahrnahm, konnte ich davon ausgehen, dass der Besuch erwartet oder zumindest üblich war. Ich setzte schnell einen Klipp an der Stelle der Wahrnehmungsübertragung, an der die Tür geöffnet wurde. Der Militäranzug des Mannes bestand aus einem Material, das alles Licht verschluckte. Einige Umrisse seiner Körperformen und der Kleidung waren durch weiße Nähte und silberne Knöpfe betont, alles andere verschwamm zu einer tiefenlosen Silhouette. Es war mir unmöglich zu beurteilen, ob um seine Hüfte ein Waffengurt geschnallt war oder nicht. Seine bleiche Haut und das blonde Haar kontrastierten die Dunkelheit seiner Kleidung.

„Sozialarbeiter Laakso, schön Sie wiederzusehen.“ Wir lächelten mit dem Mund der Alten. Mir wurde bewusst, dass ich die Sprache nicht kannte, die die beiden miteinander sprachen – durch meine Verbindung zu dem Wissensschatz der alten Frau war mir jedoch die Bedeutung der Worte klar. „Die Freude ist ganz meinerseits.“

Auf einmal war das Poltern wieder zu hören, deutlich lauter und klar über unserem Kopf zu lokalisieren. Der Blick der Alten wanderte nach oben und ich sah zu meinem Entsetzen Kinderaugen hinter Gittern aus dem Schacht nach unten blicken. Hallendes Raunen kam aus vier oder fünf Mündern, es waren Fragmente von Worten - einzelne Silben – auszumachen. Doch sie ergaben keinen Sinn. Ein Echo von Menschlichkeit in einem sonst seltsam animalischen Missklang.

„Schu-schu!“, zischte die Alte, während sie mit ihrem Gehstock von unten gegen den Schacht klopfte. Die Kinder verschwanden in dem geschlossenen Teil des Metalltunnels. Der Sozialarbeiter folgte der Frau mit etwas Abstand zurück in den Wohnbereich und sie ließen sich gegenüber voneinander zu Tisch sinken. Er auf der Bank, sie auf dem Stuhl auf dem sie zuvor mit den Stricknadeln am Werk gewesen war. Seinen Seesack ließ er neben sich auf dem Boden stehen.

„Wie viele treten heute zur Testung an?“, fragte der Sozialarbeiter nach vorne gebeugt. Gerade war er dabei, seine Schnürsenkel zu öffnen. Er zog sich die Stiefel aus. Seine Füße steckten in weißen Socken. Ein Geräusch der Entspannung kam über seine Lippen, als er seine Beine auf dem Tisch hochlegte und seine Zehen durchbewegte.