Disziplinarrecht - Christoph Keller - E-Book

Disziplinarrecht E-Book

Keller Christoph

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Beschreibung

Ob eine schuldhafte Verletzung der Dienstpflichten – und damit ein Dienstvergehen – vorliegt oder in welchen Fällen ein Verhalten außerhalb des Dienstes ein Dienstvergehen sein kann, ist in der Praxis mitunter schwer zu beurteilen. Den disziplinaren Umgang mit unterschiedlichsten Fallkonstellationen zu erleichtern, ist Ziel dieses Buches. Dabei können Ermittlungen disziplinarrechtlicher Art jeden Beamten treffen. Einerseits kann er selbst Betroffener eines Verfahrens sein, andererseits mit der Durchführung der Ermittlungen beauftragt werden. Das vorliegende Buch führt den Leser von der "Einleitung" bis zum Abschluss durch den gesamten Verlauf eines Disziplinarverfahrens. Im Mittelpunkt steht dabei das formelle Disziplinarrecht. Das behördliche Disziplinarverfahren und die Bemessung von Disziplinarmaßnahmen bilden dabei die thematischen Schwerpunkte. Zugrunde gelegt wird nordrhein-westfälisches Landesrecht und Bundesrecht (LDG NRW/BDG). Die Parallelvorschriften der anderen Bundesländer werden in Zusammenhang mit den behandelten Vorschriften des LDG NRW/BDG genannt und auf landesrechtliche Besonderheiten wird bei Bedarf eingegangen. Die 5. Auflage wurde umfassend überarbeitet und erweitert sowie an die Änderungen und Fortentwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung angepasst. Insbesondere die seit der Vorauflage bekannt gewordenen rechtsextremen Chats bei der Polizei führten zu verschiedenen Fallkonstellationen, die eine Ergänzung des Kapitels zum Rechtsextremismus erforderlich machten. In diesem Zusammenhang wird auch auf das Hinweisgeberschutzgesetz vom 31.5.2023 eingegangen, mit dem die sogenannte EU-Whistleblower-Richtlinie umgesetzt wurde. Außerdem wird der Gesetzentwurf zur Beschleunigung von Disziplinarverfahren in der Bundesverwaltung und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften vorgestellt. Eine tabellarische Übersicht einzelner Disziplinarmaßnahmen, die der schnellen Orientierung dient, schließt das Buch ab. Zudem geben Mustervordrucke Hilfestellung bei der Durchführung des Verfahrens.

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Disziplinarrecht

Für die polizeiliche Praxis

vonChristoph Keller, M. A.Leitender Polizeidirektor

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

E-Book

5. Auflage 2023

© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb; Hilden/Rhld., 2023

eISBN 978-3-8011-0933-2

Titelnummer 102140

Buch (Print)

5. Auflage 2023

© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb; Hilden/Rhld., 2023

Druck und Bindung: Plump Druck & Medien GmbH, Rheinbreitbach

ISBN 978-3-8011-0931-8

Titelnummer 102138

Alle Rechte vorbehalten

Unbefugte Nutzungen, wie Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Satz und E-Book: VDP GMBH Buchvertrieb, Hilden

www.vdpolizei.de

E-Mail: [email protected]

Vorwort zur 5. Auflage

Für die 5. Auflage wurde dieses Buch wiederum überarbeitet und ergänzt. Änderungen und Fortentwicklungen in der Rechtsprechung erforderten nach bereits drei Jahren eine Neuauflage.

Überdies förderte die Praxis neue Fallkonstellationen zu Tage. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang vor allem Sachverhalte rund um rechtsextremistische Chatgruppen. Die Bedeutung dieser Thematik erforderte eine gesonderte Bearbeitung.

Mit dem im Dezember 2022 versandten Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat für ein „Gesetz zur Beschleunigung der Disziplinarverfahren in der Bundesverwaltung und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften“ soll die Integrität des öffentlichen Dienstes geschützt werden, indem Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem Dienst entfernt werden können. Disziplinarverfahren sollen bei statusrelevanten Maßnahmen, die alle Dienstvergehen erfassen, unter Wahrung angesichts möglicher sozialer und wirtschaftlicher Folgen eines Disziplinarverfahrens für berechtigte Interessen der Betroffenen, spürbar beschleunigt werden. Von Bedeutung und insofern eine Abkehr vom bisherigen Recht ist vor allem, dass sämtliche Disziplinarmaßnahmen durch Disziplinarverfügungen ausgesprochen werden können sollen (§ 33 BDG-E). Überdies sollen „Fehlanreize“ bei der Entfernung aus dem Dienst beseitigt werden. Die für die (Ermittlungs-)Praxis wesentlichen Änderungen werden im Anhang dargestellt. Die Grundzüge des Gesetzesentwurfs vom 10. April 2023 (BR-Drs. 20/6435) werden vorgestellt. In den vorangegangenen Kapiteln werden Änderungen mit besonderem Praxisbezug eingefügt. Auch vor diesem Hintergrund war auf das sog. Hinweisgeberschutzgesetz einzugehen, welches am 2. Juli 2023 in Kraft getreten ist.

Die tabellarische Übersicht über einzelne Disziplinarmaßnahmen wurde entsprechend ergänzt.

Dass Literatur und Rechtsprechung in Gänze überarbeitet wurden, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

Das bewährte Konzept des Buches wurde beibehalten.

Für Auslassungen und Ungenauigkeiten stehe ich ein und bin für Hinweise darauf dankbar ([email protected]).

Mettingen, Oktober 2023

Christoph Keller

Hinweis:

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern die männliche Form verwendet. Alle Geschlechtszugehörigkeiten und -identitäten sind selbstverständlich einbezogen, auch wenn sie im Folgenden nicht an jeder Stelle explizit benannt werden. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

Vorwort zur 1. Auflage

Ermittlungen disziplinarrechtlicher Art können jeden Beamten treffen, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Einerseits kann er Betroffener eines Disziplinarverfahrens sein, andererseits kann er zum Ermittlungsführer bestimmt werden; dass er schließlich als Vorgesetzter die Grundzüge des Disziplinarrechts kennen muss, ist selbstverständlich.

Der Umgang mit den Vorschriften des Disziplinargesetzes ist aber nicht ohne Anfangsschwierigkeiten zu bewältigen. Durch den Wegfall der Trennung zwischen Vorermittlungen und förmlicher Untersuchung nach altem Recht (DO NRW bzw. BDO) sind höhere Anforderungen insbesondere an den behördlichen Ermittlungsführer zu stellen. Es bedarf einer entsprechenden Qualifikation. Die Eigenverantwortung insbesondere der Ermittlungsführer für die sachgerechte Durchführung der Ermittlungen wird wesentlich gestärkt.

Das vorliegende Buch will Hilfestellung geben und beteiligte Personen (Betroffene, Ermittlungsführer, Bevollmächtigte, Vorgesetzte, Sachbearbeiter der Verwaltung) durch das Verfahren „begleiten“. Das Disziplinarrecht erlangt für den Beamten spätestens dann eine große Bedeutung, wenn er persönlich „betroffen“ ist, also wenn gegen ihn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren oder eben ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde. Dann ist guter Rat teuer.

Im Mittelpunkt des Buches steht das formelle Disziplinarrecht.

Schwerpunkte sind

–das behördliche Verfahren und

–die Bemessung von Disziplinarmaßnahmen.

Aus Sicht des Verfassers besonders relevante Fallgruppen aus der Praxis, unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung, schaffen überdies einen Praxisbezug, der den Zugang zur Materie erleichtert. Mustervordrucke geben abschließend „Hilfestellung“.

Durch Beifügung zahlreicher Quellen (Literatur und Rechtsprechung) wird dem Leser die Möglichkeit eröffnet, bestimmte Rechtsfragen zu vertiefen.

Das Buch legt nordrhein-westfälisches Landesrecht und Bundesrecht (LDG NRW/BDG) zugrunde, wobei LDG NRW und BDG weitgehend deckungsgleich sind.

Die Parallelvorschriften der anderen Bundesländer werden in Zusammenhang mit den behandelten Vorschriften des LDG NRW/BDG genannt. Die Bestimmungen der Bundesländer in den „Landesdisziplinargesetzen“ sind aber inhaltlich weitgehend gleich, sodass das Buch länderübergreifend genutzt werden kann. Auf landesrechtliche Besonderheiten in einzelnen Bundesländern wird gleichwohl eingegangen.

Mettingen, März 2010

Christoph Keller

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur 5. Auflage

Vorwort zur 1. Auflage

Abkürzungsverzeichnis

1Einleitung

1.1Funktionen des Disziplinarrechts

1.1.1Ordnungsfunktion

1.1.2Lösungsfunktion

1.1.3Schutzfunktion

1.2Bundesrecht

1.3Landesrecht (Nordrhein-Westfalen)

2Dienstvergehen

2.1Beamtenstatusgesetz (BeamtStG)

2.1.1Systematik: BeamtStG und LBG NRW

2.1.2Dienstpflichten

2.2Dienstvergehen

2.2.1Tatbestand

2.2.2Rechtswidrigkeit

2.2.3Schuld

2.2.4Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit

2.3Einheit des Dienstvergehens

2.4Legalitätsprinzip

2.5Verwaltungsermittlungen

2.5.1Zulässigkeit von Verwaltungsermittlungen

2.5.2Rechte und Pflichten im Rahmen der Verwaltungsermittlungen

2.5.2.1Wahrheitspflicht

2.5.2.2Aussageverweigerungsrecht

2.5.2.3Fürsorgepflicht

2.5.3Praxishinweise

2.5.3.1Einsichtnahme in dienstliche Akten

2.5.3.2Betreten dienstlicher Räumlichkeiten

2.5.3.3Zugriff auf Arbeitsplatzrechner

2.5.3.4Befragung von Bediensteten

2.5.3.5Verdeckte Ermittlungen

2.5.3.6Durchsuchung und Beschlagnahme

2.6Beendigung des Beamtenverhältnisses

2.7Rechtsschutz in Straf- und/oder Disziplinarverfahren

2.8Dienstunfallschutz bei strafbaren Handlungen

3Behördliches Disziplinarverfahren

3.1Einleitung

(§§ 17 bis 19 LDG NRW; §§ 17 bis 19 BDG)

3.1.1Einleitung von Amts wegen

(§ 17 LDG NRW/BDG)

3.1.2Einleitung auf Antrag

(§ 18 LDG NRW/BDG)

3.1.3Ausdehnung und Beschränkung der Ermittlungen

(§ 19 LDG NRW/BDG)

3.1.3.1Ausdehnung der Ermittlungen

3.1.3.2Beschränkung der Ermittlungen

3.1.4Beschleunigungsgebot

(§ 4 LDG NRW/BDG)

3.1.5Einleitungshindernisse

(§ 17 Abs. 2 LDG NRW/BDG)

3.2Durchführung/Ermittlungen

(§§ 20 bis 31 LDG NRW/BDG)

3.2.1Beteiligte Personen

3.2.1.1Ermittlungsführer

3.2.1.2Betroffener Beamter

3.2.1.3Bevollmächtigte/Beistände

3.2.1.4Beteiligungsrechte Dritter

3.2.1.5Verschwiegenheitspflicht: Personalrat und Gleichstellung

3.2.2Unterrichtung, Belehrung und Anhörung

(§ 20 LDG NRW/BDG)

3.2.2.1Unterrichtung/Substantiierungspflicht

3.2.2.2Belehrung und Anhörung

3.2.2.3Wahrheitspflicht

3.2.3Pflicht zur Durchführung von Ermittlungen

(§ 21 Abs. 1 LDG NRW/BDG)

3.2.3.1Zwingendes Absehen von Ermittlungen

(§ 21 Abs. 2 Satz 1 LDG NRW/BDG)

3.2.3.2Fakultatives Absehen von Ermittlungen

(§ 21 Abs. 2 Satz 2 LDG NRW/BDG)

3.2.4Verhältnis zum Strafverfahren oder anderen Verfahren, Aussetzung

(§§ 22, 23 LDG NRW/BDG)

3.2.4.1Aussetzung des Disziplinarverfahrens (§ 22 LDG NRW/BDG)

3.2.4.2Bindungswirkung (§ 23 LDG NRW/BDG)

3.2.5Beweiserhebung (§ 24 LDG NRW/BDG)

3.2.5.1Verwertung von Niederschriften (§ 24 Abs. 2 LDG NRW/BDG)

3.2.5.2Beweisanträge (§ 24 Abs. 3 LDG NRW/BDG)

3.2.5.3Anwesenheits-/Fragerechte (§ 24 Abs. 4 LDG NRW/BDG)

3.2.5.4Aussagepflicht für Zeugen und Sachverständige

(§ 25 LDG NRW/BDG)

3.2.5.5Herausgabe von Unterlagen (§ 26 LDG NRW/BDG)

3.2.5.6Beschlagnahme und Durchsuchung (§ 27 LDG NRW/BDG)

3.2.5.7Observation

3.2.5.8Gutachten über den psychischen Zustand (§ 28 LDG NRW)

3.2.5.9Protokollierung (§ 29 LDG NRW, § 28 BDG)

3.2.5.10Innerdienstliche Informationen (§ 30 LDG NRW/§ 29 BDG)

3.2.6Akteneinsicht

3.2.7Ergebnis der Ermittlungen

3.2.8Abschließende Anhörung (§ 31 LDG NRW/§ 30 BDG)

3.2.9Abgabe des Disziplinarverfahrens (§ 31 BDG)

3.3Abschlussentscheidung (§§ 32 bis 37 LDG NRW/BDG)

3.3.1Zuständigkeiten (§ 32 LDG NRW/§ 33 BDG)

3.3.2Einstellung (§ 33 LDG NRW/§ 32 BDG)

3.3.2.1Verfahrensbezogene Einstellung

3.3.2.2Statusbezogene Einstellung

3.3.2.3Abänderungsentscheidung des höheren Dienstvorgesetzten

3.3.3Disziplinarverfügung (§ 34 LDG NRW/§ 33 BDG)

3.3.3.1Form der Disziplinarverfügung

3.3.3.2Begründung der Disziplinarverfügung

3.3.4Disziplinarklage (§ 35 LDG NRW/§ 34 BDG)

3.4Verfahren bei nachträglicher Entscheidung im Straf- oder Bußgeldverfahren (§ 36 LDG NRW/BDG)

3.5Kostentragungspflicht (§ 37 LDG NRW/BDG)

3.6Begleitmaßnahmen im behördlichen Disziplinarverfahren

(§§ 38 bis 40 LDG NRW/BDG)

3.6.1Vorläufige Dienstenthebung (§ 38 Abs. 1 LDG NRW/BDG)

3.6.1.1Voraussichtliche Entfernung aus dem Beamtenverhältnis

3.6.1.2Beeinträchtigung des Dienstbetriebs oder der Ermittlungen

3.6.2Verbot der Führung der Dienstgeschäfte (§ 39 BeamtStG, § 66 BBG)

3.6.3Einbehaltung von Bezügen (§ 38 Abs. 2 LDG NRW/BDG)

3.6.4Verfall und Nachzahlung der einbehaltenen Bezüge

(§ 40 LDG NRW/BDG)

3.6.5Rechtsmittel

3.7Widerspruchsverfahren

3.8Auswirkungen laufender Disziplinarverfahren auf Beförderungen

3.9Auswirkungen laufender Disziplinarverfahren auf Jubiläumszuwendungen

3.10Mängel im behördlichen Disziplinarverfahren

4Gerichtliches Disziplinarverfahren

4.1Zuständigkeiten

4.2Kammern für Disziplinarsachen

4.3Senate für Disziplinarsachen (OVG/VGH)

4.4Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)

4.5Klageverfahren

4.6Erhebung der Disziplinarklage

4.6.1Nachtragsdisziplinarklage

4.6.2Beschränkung des Disziplinarverfahrens

4.6.3Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens oder der Klageschrift

4.6.4Bindung an tatsächliche Feststellungen aus anderen Verfahren

4.6.5Beweisaufnahme

4.6.6Nichtöffentlichkeit der Verhandlung

4.6.7Mündliche Verhandlung, Entscheidung durch Urteil

4.6.8Entscheidung durch Beschluss

4.6.9Grenzen der erneuten Ausübung der Disziplinarbefugnisse

4.7Besondere Verfahren

4.7.1Antrag auf gerichtliche Fristsetzung

4.7.2Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Bezügen

4.8Übrige Klagen

4.9Disziplinarverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG/VGH)

4.9.1Berufung

4.9.1.1Berufung gegen Urteil einer Disziplinarklage

4.9.1.2Berufung gegen sonstiges Urteil

4.9.1.3Berufungsverfahren

4.9.2Beschwerde

4.10Disziplinarverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)

4.11Wiederaufnahme des gerichtlichen Disziplinarverfahrens

4.12Kostenentscheidung im gerichtlichen Disziplinarverfahren

5Disziplinarmaßnahmen

5.1Abgrenzungen

5.1.1Missbilligende Äußerung

5.1.2Abgrenzung: Umsetzung

5.2Die einzelnen Disziplinarmaßnahmen

5.2.1Verweis (§ 6 LDG NRW/BDG)

5.2.2Geldbuße (§ 7 LDG NRW/BDG)

5.2.3Kürzung der Dienstbezüge (§ 8 LDG NRW/BDG)

5.2.4Zurückstufung (§ 9 LDG NRW/BDG)

5.2.5Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 LDG NRW/BDG)

5.2.6Kürzung des Ruhegehaltes (§ 11 LDG NRW/BDG)

5.2.7Aberkennung des Ruhegehaltes (§ 12 LDG NRW/BDG)

5.2.8Begnadigung

5.3Ermessensausübung (§ 13 LDG NRW/BDG)

5.3.1Schwere des Dienstvergehens

5.3.1.1Objektive Handlungsmerkmale

5.3.1.2Subjektive Handlungsmerkmale

5.3.1.3Unmittelbare Folgen des Dienstvergehens

5.3.2Persönlichkeitsbild

5.3.3Vertrauensschädigung

5.3.4Abstrakte Strafandrohung und konkrete strafrechtliche Sanktion als Orientierungsrahmen

5.3.4.1Außerdienstliches Dienstvergehen: abstrakte Strafandrohung

5.3.4.2Außerdienstliches Dienstvergehen: konkrete strafrechtliche Sanktion

5.3.4.3Innerdienstliches Dienstvergehen: abstrakte Strafandrohung

5.3.4.4Innerdienstliches Dienstvergehen: konkrete strafrechtliche Sanktion

5.3.5Bedeutung des § 14 LDG NRW/BDG bei der Maßnahmebemessung

5.3.6Spezialprävention

5.4Allgemeine Bemessungsgrundsätze

5.5Milderungsgründe

5.5.1Wiedergutmachung des Schadens vor Tatentdeckung

5.5.2Bagatellschäden

5.5.3Einmalige, persönlichkeitsfremde Augenblickstat

5.5.4Psychische Ausnahmesituationen

5.5.5Unverschuldete wirtschaftliche Notlage

5.5.6Abgeschlossene negative Lebensphase

5.5.7Übermäßige Dauer des Disziplinarverfahrens

5.5.8Mitverschulden von Vorgesetzten

5.5.9Spielsucht

5.5.10Alkoholsucht

5.5.11Alter des Beamten

5.5.12Überdurchschnittliche Leistungen über längeren Zeitraum

5.5.13Positive Zukunftsprognose

5.6Erschwernisgründe

5.7Maßnahmeverbot nach Straf-/Bußgeldverfahren

(§ 14 LDG NRW/BDG)

5.7.1Unzulässige Maßnahmen (absolutes Maßnahmeverbot)

5.7.2Zulässige Maßnahmen

5.7.3Bedingt zulässige Maßnahmen (relatives Maßnahmeverbot)

5.7.4Sachverhaltsidentität

5.7.5Disziplinarer Überhang

5.7.6Missbilligung nach Einstellung wegen Maßnahmeverbots

5.8Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs (§ 15 LDG NRW/BDG)

5.8.1Fristunterbrechung

5.8.2Hemmung

5.9Verwertungsverbot und Entfernung aus der Personalakte

(§ 16 LDG NRW/BDG)

5.9.1Verwertungsverbot

5.9.2Entfernung aus der Personalakte

5.10Disziplinarmaßnahmen gegen Beamte auf Probe und Widerruf

5.10.1Beamte auf Probe

5.10.2Beamte auf Widerruf

5.11Beförderungsverbote

6Fallgruppen

6.1Verkehrsstraftaten

6.2Sonstige Straftaten

6.2.1Innerdienstliche Straftaten

6.2.1.1Diebstahl und Unterschlagung (Zugriffsdelikte)

6.2.1.2Betrug und Untreue gegenüber dem Dienstherrn

6.2.1.3Arbeitszeitbetrug

6.2.1.4Urkundenfälschung

6.2.1.5Anonyme Telefonanrufe

6.2.2Außerdienstliche Straftaten

6.2.3Außerdienstliche Kenntnisnahme von Straftaten

6.3Außerdienstlicher Diebstahl

6.4Sexualdelikte

6.5Besitz kinderpornografischer Schriften

6.5.1Nicht strafbares pflichtwidriges Verhalten

6.5.2Strafbares innerdienstliches Verhalten

6.5.3Strafbares außerdienstliches Verhalten

6.5.4Strafandrohung und Orientierungsrahmen, Rechtsprechung

6.6Körperverletzung im Amt

6.7Rechtsextremismus und öffentlicher Dienst

6.7.1Pflicht zur Verfassungstreue

6.7.2Rechtsextremes Gedankengut in sozialen Medien (Chatgruppen)

6.7.2.1Einstellen nationalsozialistischer Inhalte

6.7.2.2Zustimmendes Kommentieren von Inhalten

6.7.2.3Bloße Kenntnisnahme von Inhalten durch Mitgliedschaft

6.7.2.4Handlungspflicht zum Gruppenaustritt, Kommunikationsabbruch

6.7.2.5Berücksichtigung der aus der Handlung sprechenden Gesinnung

6.7.3Meldepflichten

6.7.3.1Unterrichtung vorgesetzter Stellen

6.7.3.2Strafprozessuales Legalitätsprinzip

6.7.4Whistleblowing über Verstöße gegen die Pflicht zur Verfassungstreue

6.7.4.1Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie der Europäischen Union

6.7.4.2Hinweisgeberschutzgesetz – HinSchG

6.7.4.3Einrichtung verwaltungsinterner Whistleblowing-Stellen

6.7.5Conclusio

6.8Korruption

6.9Verletzung von Dienstgeheimnissen

6.10Unzulässige Informations- und Datenverarbeitung

6.11Verschuldung

6.12Fernbleiben vom Dienst

6.13Verquickung von Amt und Privatinteressen

6.14Nebentätigkeiten

6.15Alkohol

6.15.1Alkoholismus als Krankheit

6.15.2Intervention des Vorgesetzten

6.15.3Disziplinarrechtliche Interventionsschwelle

6.15.4Handlungspflicht des betroffenen Beamten

6.15.4.1Gesunderhaltungspflicht

6.15.4.2Therapie

6.15.5Belehrung des Beamten

6.15.6Rückfall

6.15.6.1Vorsätzlicher Rückfall

6.15.6.2Bedingt vorsätzlicher Rückfall

6.15.6.3Fahrlässiger Rückfall

6.15.7Nachsorge

6.15.8Alco-Test

6.15.9Blutprobe

6.16Betäubungsmittel

6.17Mobbing

6.18Sexuelle Belästigung

6.19Prostitutionsausübung

6.20Teilnahme an sozialen Netzwerken

6.20.1Beamtenrechtlicher Pflichtenkreis in sozialen Netzwerken

6.20.2Verhalten in Datingportalen

6.21Streikverbot

6.22Steuerhinterziehung

6.23Polizeibeamte im Kontext der Reichsbürgerbewegung

6.24Flucht in die Öffentlichkeit

6.25Tätowierungen als Dienstvergehen

6.26Verletzung persönlicher Lebensbereiche im Innenverhältnis

6.27Religiös motivierte Verhaltensweisen im Innenverhältnis („Handschlagverweigerung“)

6.28Außerdienstliche politische Meinungs- und Betätigungsfreiheit

7Mustervordrucke

7.1Einleitungsverfügung

7.2Bestellung zum Ermittlungsführer

7.3Ladung zur Anhörung

7.4Ladung zur Zeugenvernehmung an Beamte (Teilnahmerecht)

7.5Ladung zur Zeugenvernehmung an Zeugen

7.6Ermittlungergebnis (Aufbau)

7.7Ermittlungsergebnis und abschließende Anhörung

7.8Ladung zur abschließenden Anhörung

7.9Abschließende Anhörung (Niederschrift)

7.10Disziplinarklage (Schrift zur Klageerhebung)

7.11Durchsuchungs-/Beschlagnahmebeschluss (Antrag): „Reichsbürger“

8Disziplinarmaßnahmen (tabellarische Übersicht)

Anhang:

Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Beschleunigung von Disziplinarverfahren in der Bundesverwaltung und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften – BT-Drs. 20/6435 v. 19.04.2023

1Ziele und Inhalt des Gesetzentwurfs

2Verlust der Beamtenrechte auch bei Freiheitsstrafen für den Tatbestand der Volksverhetzung

2.1§ 24 BeamtStG-E (§ 41 BBG-E): Verlust der Beamtenrechte

2.2§ 59 BeamtVG-E: Erlöschen der Versorgungsbezüge wegen Verurteilung

3Änderungen im BDG – BT-Drs. 20/6435

3.1Bemessung der Disziplinarmaßnahme („Bemessungstatbestände“)

3.2Wegfall der Disziplinarklage (§§ 33, 34 BDG-E)

3.3Wegfall der gerichtlichen Disziplinargewalt

3.4Zulassungsvorbehalt für Berufung

3.5Vorläufige Dienstenthebung, Einbehaltung von Bezügen, Bezügerückzahlung

3.6Sonstige Änderungen

4Sonstige geänderte und teilweise aufgehobene Vorschriften des BDG – BT-Drs. 20/6435

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

a. A.

anderer Ansicht, Auffassung

a. a. O.

am angegebenen Ort

a. F.

alte Fassung

Abs.

Absatz

AG

Amtsgericht

Alt.

Alternative

apf

Ausbildung – Prüfung – Fachpraxis, Zeitschrift für die staatliche und kommunale Verwaltung

Art.

Artikel

BAK

Blutalkoholkonzentration

BayObLG

Bayerisches Oberstes Landesgericht

BeamtStG

Beamtenstatusgesetz

BBG

Bundesbeamtengesetz

BDG

Bundesdisziplinargesetz

BDiszG

Bundesdisziplinargericht

BDO

Bundesdisziplinarordnung

Bf.

Beschwerdeführer

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BSchG

Beschäftigungsschutzgesetz: Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz

BtM

Betäubungsmittel

BT-Drs.

Bundestagsdrucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes

BW

Baden-Württemberg

BY

Bayern

BZRG

Bundeszentralregistergesetz

bzw.

beziehungsweise

ca.

circa

DG

Disziplinargesetz

d. h.

das heißt

DÖD

Der öffentliche Dienst (Zeitschrift)

DO

Disziplinarordnung

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift)

DokBer.

Dokumentarische Berichte aus dem Bundesverwaltungsgericht

Drs.

Drucksache

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)

DVP

Deutsche Verwaltungspraxis (Zeitschrift)

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

f./ff.

folgende

fdGO

freiheitliche demokratische Grundordnung

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

ggf.

gegebenenfalls

GVBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt

GV.NRW.

Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

h. M.

herrschende Meinung

Hs.

Halbsatz

i. d. R.

in der Regel

i. S. d.

im Sinne des (der)

i. S. v.

im Sinne von

i. R. v.

im Rahmen von

i. V. m.

in Verbindung mit

IÖD

Informationsdienst Öffentliches Dienstrecht (Zeitschrift)

JA

Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift)

JMBl. NRW

Justizministerialblatt Nordrhein-Westfalen

JR

Juristische Rundschau (Zeitschrift)

Jura

Juristische Ausbildung (Zeitschrift)

JurisPR

Juris Praxisreport

JUS

Juristische Schulung (Zeitschrift)

JuSchG

Jugendschutzgesetz

JustG NRW

Justizgesetz Nordrhein-Westfalen

KG

Kammergericht Berlin

KHK

Kriminalhauptkommissar

KorruptionsbG NRW

Korruptionsbekämpfungsgesetz NRW

LBG NRW

Beamtengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesbeamtengesetz)

LDG

Landesdisziplinargesetz

Leits.

Leitsatz

LG

Landgericht

LNR

LexisNexis Rechtsprechung

LPVG NRW

Personalvertretungsgesetz für das LandNordrhein-Westfalen

LT-Drs.

Landtagsdrucksache

LZG NRW

Verwaltungszustellungsgesetz für das LandNordrhein-Westfalen (Landeszustellungsgesetz)

MBl. NRW.

Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen

m. E.

meines Erachtens

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

NJW

Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)

Nr./Nrn.

Nummer, Nummern

NRW

Nordrhein-Westfalen

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht (Zeitschrift)

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Zeitschrift)

NVwZ-RR

NVwZ-Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift)

NWVBl.

Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (Zeitschrift)

o. Ä.

oder Ähnliche(s)

o. g.

oben genannt

OLG

Oberlandesgericht

OVG

Oberverwaltungsgericht

OVGE

Rechtsprechungssammlung der Oberverwaltungsgerichte Münster und Lüneburg

PersR

Der Personalrat (Zeitschrift)

PersV

Die Personalvertretung (Zeitschrift)

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Polizeigesetz des Landes Baden-Württemberg

PolG NRW

Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen

PP

Polizeipräsidium

RdErl.

Runderlass

RDG

Rechtsdienstleistungsgesetz

resp.

respektive

RIA

Recht im öffentlichen Amt (Zeitschrift)

Rn.

Randnummer/Randnummern

RPflG

Rechtspflegergesetz

SMBl. NRW

Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen

sog.

sogenannte, sogenannter

Thür

Thüringen

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozessordnung

u. a.

unter anderem

u. Ä.

und Ähnliche(s)

usw.

und so weiter

u. U.

unter Umständen

v.

vom

VA

Verwaltungsakt

VG

Verwaltungsgericht

VBl.

Verwaltungsblätter

VGH

Verwaltungsgerichtshof

vgl.

vergleiche

VV

Verwaltungsvorschrift

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

VwVfG NRW

Verwaltungsverfahrensgesetzfür das Land Nordrhein-Westfalen

VwZG

Verwaltungszustellungsgesetz

z. B.

zum Beispiel

ZBR

Zeitschrift für Beamtenrecht

zit.

zitiert

z. N.

zum Nachteil

1Einleitung

Während das allgemeine Strafrecht alle strafmündigen Bürgerinnen und Bürger erfasst, wendet sich das Disziplinarrecht an einen begrenzten Personenkreis, nämlich den in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehenden Beamten.1 Wie die unbedingt notwendige Ordnung im Staat nur dann aufrechtzuerhalten ist, wenn der Bürger nötigenfalls dazu gezwungen werden kann, so ist letztlich auch die Aufrechterhaltung der Ordnung unter den Beamten als „Dienern des Staates“ und deren gewissenhafte Pflichterfüllung nur zu gewährleisten, wenn Nachlässige durch disziplinarische Mittel zur gewissenhaften Erfüllung ihrer Aufgabe angehalten und gezwungen werden können. Das ist auch deshalb besonders wichtig, weil das Beamtenverhältnis als Dauerrechtsverhältnis (auf Lebenszeit) ausgelegt ist und die bei den Arbeitnehmern der freien Wirtschaft und des öffentlichen Dienstes mögliche Entlassung bei diesem Personenkreis bei verliehener Eigenschaft eines Beamten auf Lebenszeit ausgeschlossen ist.2 Das Disziplinarrecht ist somit kein besonderes Strafprozessrecht, sondern Teil des Beamtenrechts. Es erfüllt eine Ordnungsfunktion.3

Die Rechtsgebiete „Strafrecht“ und „Disziplinarrecht“ sind ihrem Wesen nach unterschiedlich. Zweck des Strafrechts ist die Vergeltung für begangenes Unrecht. Aufgabe einer Disziplinarmaßnahme ist es, den Beamten zur korrekten Pflichterfüllung anzuhalten (Pflichtenmahnung) oder ihn, wenn er nicht mehr tragbar ist, aus dem Dienst zu entfernen (Lösung des Beamtenverhältnisses). Aus diesem Unterschied folgt, dass eine Disziplinarmaßnahme neben einer Kriminalstrafe verhängt werden kann, ohne dass gegen das Verbot der Doppelbestrafung verstoßen wird.4 Disziplinarrecht ist kein Sonderstrafrecht.5 Das Disziplinarrecht verfolgt also im Falle von Pflichtverletzungen einerseits das Ziel, die Leistungsfähigkeit der Verwaltung zu sichern und andererseits, das Ansehen des Beamtentums in der Öffentlichkeit zu wahren. Hier zeigt sich der Unterschied zum Strafrecht, welches vom Vergeltungsgedanken und dem Ziel der Generalprävention getragen wird. Straf- und Disziplinarverfahren verfolgen eine unterschiedliche Intention (BVerwG, NVwZ-RR 2006, 553).

Im Gegensatz zum Strafrecht sucht Disziplinarrecht nicht ein sozialschädliches Verhalten abzuwehren, sondern begnügt sich sektoral damit, die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes zu verteidigen. Gegenstand ist somit (allein) der Interessenschutz des öffentlichen Dienstes, „bar irrationaler Zielvorstellungen“.6

1.1Funktionen des Disziplinarrechts

Überwiegend wird davon ausgegangen, dass die Intention des Disziplinarrechts nicht die Sanktion ist, sondern die „Reinhaltung“ des Berufsbeamtentums, die Erziehung des Beamten und die Wahrung, Festigung und Sicherung der Dienstordnung im Interesse der Gesamtheit.7

Die Disziplinarbefugnis dient der Funktionssicherung des öffentlichen Dienstes. Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der gesamten Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten (BVerwG ZBR 2013, 351).

In einem Disziplinarverfahren soll zum einen eine Maßnahme gefunden werden, durch die ein gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn wieder aufgebaut werden kann (Erziehungsfunktion). Zum anderen soll festgestellt werden, ob das Vertrauensverhältnis so nachhaltig zerstört ist, dass es nicht wieder hergestellt werden kann, der Beamte also zu entlassen ist (Reinhaltung). Das Disziplinarrecht ist in seiner verfahrensrechtlichen Ausgestaltung zugleich Schutzrecht des Beamten. Es ist nicht dazu bestimmt, die „soziale Repräsentanz des Staates“ gegenüber der Gesellschaft zu sichern. Ihm haben moralische oder strafrechtliche Maßstäbe ebenso fremd zu sein wie berufsethische Formeln „halb lyrischer, halb theologischer Art“. Disziplinarrecht ist Interessenschutz des öffentlichen Dienstes, der die Abwägung der Interessen beider Partner des gegenseitigen Vertrauensverhältnisses erfordert.8

Ohne Bedeutung sind die allgemein im Strafrecht bekannten Institute wie Fortsetzungszusammenhang, Tateinheit, Tatmehrheit, Versuch und Teilnahme. Zudem ist anerkannt, dass außerdienstliche Straftaten nicht immer zugleich Dienstvergehen darstellen. Auch in den Verfolgungsgrundsätzen unterscheidet sich das Disziplinarrecht vom Strafrecht. Während § 152 Abs. 2 StPO die Staatsanwaltschaft verpflichtet, gegen alle strafbaren Handlungen einzuschreiten (Legalitätsprinzip), gilt Gleiches nur für die „Aufklärung“ durch die nach § 17 Abs. 1 LDG NRW/BDG einzuleitenden Ermittlungen, nicht aber für die weitere Verfolgung/Maßregelung. Insoweit gilt für den Dienstvorgesetzten das Opportunitätsprinzip.

Aufgabe des Disziplinarrechts ist es somit, mit besonderen Maßnahmen den Beamten anzuhalten, seine Pflicht zu erfüllen und das Ansehen des Beamtentums zu wahren9; der Zweck liegt also in folgenden Aufgaben:10

–Reinigung von untragbaren Beamten,

–Erziehung von strauchelnden Beamten, bei denen das Vertrauen in sie noch besteht,

–Schutz des Beamtentums,

–Abschreckung von Fehlverhalten.11Zu den bedeutenden Funktionen des Disziplinarrechts, die miteinander korrespondieren, zählen die Ordnungsfunktion, die Schutz- und Lösungsfunktion.12

1.1.1Ordnungsfunktion13

Ziel der Ordnungsfunktion ist es, auf das Verhalten von Beamten einzuwirken, damit diese ihr Fehlverhalten einstellen und künftig dieses Fehlverhalten auch nicht mehr an den Tag legen.14 Insofern handelt es sich um einen Erziehungs- bzw. Pflichtenmahnungszweck. Bleibt das Beamtenverhältnis trotz des Dienstvergehens bestehen, dient die Disziplinarmaßnahme mithin der Erziehung des Beamten zu künftigem pflichtgemäßem Verhalten (BVerwG NJW 1985, 215)

Die Führung von Beamten in diesem Sinne erfolgt durch den Ausspruch bzw. die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme (§ 5 LDG NRW/BDG). Für das Verständnis des Disziplinarrechts ist es von Bedeutung, dass es sich um kein „Sonderstrafrecht“ handelt. Es unterscheidet sich schon dadurch vom Strafrecht, dass es auf einer persönlichen Bindung (Dienst- und Treueverhältnis) in einem konkreten Dienstverhältnis beruht. Im Strafrecht geht es um Vergeltung und Sühne bei festgestellten Rechtsbrüchen. Das Disziplinarrecht unterscheidet sich ganz wesentlich davon, weil es repressive Motive nicht enthalten darf.15 Das Disziplinarrecht ist auf die Erhaltung und Sicherung einer gesetzmäßigen, geordneten und glaubwürdigen Verwaltung ausgerichtet. Die disziplinarrechtliche Ahndung von Dienstvergehen soll den Beamten ermahnen, sich künftig pflichtgemäß zu verhalten und damit die Integrität und Funktionsfähigkeit des Berufsbeamtentums im Interesse der Allgemeinheit aufrechterhalten (OVG Koblenz, RiA 2005, 206). Dies erfolgt primär durch Individualprävention und im Einzelfall durch generalpräventive Überlegungen. Sofern dies nicht ausreichend ist, soll die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung durch Lösung des Beamtenverhältnisses erfolgen. Für das Strafrecht gilt der Resozialisierungsgedanke. Dieser kommt im Disziplinarrecht nur im Rahmen der pflichtenmahnenden Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitation zum Zuge.16

1.1.2Lösungsfunktion17

Die Lösungsfunktion – als Korrelat zur arbeitsrechtlichen Kündigung18 – soll das Beamtenverhältnis beenden oder abändern, wenn der Beamte durch ein Dienstvergehen das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis zerstört hat. Sie ist die Ausnahme im System des grundsätzlich auf lebenslange Beziehung angelegten Sonderstatus des Berufsbeamtentums. Sie kann durchaus als Korrelat zur arbeitsrechtlichen Kündigung angesehen werden. Gegenstand disziplinarrechtlicher Reaktion ist dabei nicht eine einzelne Tat, sondern die dadurch gekennzeichnete Gesamtpersönlichkeit des Beamten im Hinblick auf die Frage, ob er für den öffentlichen Dienst noch tragbar ist oder ob seine Erziehung zu künftiger Pflichterfüllung geboten erscheint, um den Eintritt der Untragbarkeit durch erneute Pflichtverletzungen zu vermeiden. Eine an diesen Zielen orientierte Rechtsanwendung schließt es aus, die Prognose künftigen Missverhaltens auf die Gefahr nur einschlägiger Sachverhaltswiederholungen durch den Beamten zu beschränken (BVerwG NJW 1984, 504).

1.1.3Schutzfunktion19

Das Disziplinarrecht hat daneben (auch) eine Schutzfunktion zugunsten des Beamten; es gewährleistet, dass das Beamtenverhältnis gegen den Willen des Beamten nur bei Nachweis eines schweren Dienstvergehens, nicht aber aus anderen Gründen, beendet werden kann. Der Beamte soll grundsätzlich vor willkürlichen und rechtswidrigen Handlungen des Dienstherrn bewahrt werden.20

Der vom Disziplinarrecht vorgegebene Katalog zulässiger Disziplinarmaßnahmen beschränkt die Befugnisse des Dienstvorgesetzten auf bestimmte Mittel disziplinarer Einwirkungen. Zum Schutz des Beamten entfalten auch die dienstrechtliche Zwangsbeurlaubung und die disziplinarrechtliche Suspendierung Sperrwirkung, d. h. der Dienst- und Disziplinarvorgesetzte ist gehindert, einen Beamten wegen Vermutungen oder Verdachtsäußerungen von der Dienstausübung abzuhalten. Auch dürfen rein beamtenrechtliche Maßnahmen wie Umsetzung, Versetzung, Abordnung oder Zurückstellung von der Beförderung nicht als versteckte disziplinare Erziehungsmaßnahme an deren Stelle ergriffen werden.21 Gerät der Beamte in den Verdacht, eine Straftat oder ein Dienstvergehen begangen zu haben, so kann es allerdings, je nach den obwaltenden Umständen angezeigt sein, ihn bis zur Klärung der Angelegenheit nicht oder jedenfalls nicht bei seiner bisherigen Beschäftigungsbehörde Dienst verrichten zu lassen. Eine solche Maßnahme lässt sich auch ergänzend damit begründen, dass dies auch dem Schutz des Beamten dient.22

Dem Beamten wird deshalb ein rechtsstaatlich geordnetes, verwaltungsrechtliches Verfahren mit dadurch gewährleistetem Anspruch auf rechtliches Gehör und der Möglichkeit gerichtlicher Überprüfung zugestanden. Verhindert werden willkürliche Entlassungen oder Maßregelungen. Das Disziplinarrecht nimmt den Beamten vor Bestrebungen des Dienstherrn im Hinblick auf die Beendigung des Beamtenverhältnisses in Schutz, indem es die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis regelmäßig erst aufgrund eines gerichtlichen Erkenntnisverfahrens zulässt (Richtervorbehalt).23

Auch kann sich der Beamte gegen unberechtigte Vorwürfe seiner Vorgesetzten durch ein sog. Selbstreinigungsverfahren schützen (§ 18 LDG NRW/ BDG).24

1.2Bundesrecht

Zum 01.01.2002 ist das BDG in Kraft getreten.25 Es erfolgt eine (enge) Bindung an verwaltungsrechtliche Vorschriften. Nach der Gesetzesbegründung zum BDG soll die Anwendung vieler strafverfahrensrechtlicher Vorschriften in der Praxis ohnehin nicht selten zu Schwierigkeiten geführt haben.26 Zumindest hat sich das BDiszG immer für die ergänzende Anwendung strafprozessualer Vorschriften ausgesprochen, da es im Disziplinarverfahren (auch) um die Beurteilung menschlichen Fehlverhaltens geht. Das aber ist die Parallele zum Strafrecht.27 Zum 31.12.2003 wurden das BDiszG und die Institution des Bundesdisziplinaranwalts (Einführung 195228) abgeschafft.

Andere Bundesländer folgten größtenteils des Muster des Bundesdisziplinargesetzes, weichen aber in einigen Punkten von dem BDG ab.29

Durch Artikel 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts vom 09.07.2001 (BGBl. I S. 1510), zuletzt geändert durch Gesetz vom 06.12.2011 (BGBl. I S. 2554), traten Änderungen des BDG in Kraft.

1.3Landesrecht (Nordrhein-Westfalen)

Das Landesdisziplinargesetz (LDG NRW) ist am 01.01.2005 in Kraft getreten. Das LDG NRW knüpfte an die Rechtsentwicklung des Bundes an. So reagierte das LDG NRW (auch) auf die Entscheidung des Bundesgesetzgebers, die bis dato eigenständige Disziplinargerichtsbarkeit des Bundes aufzulösen und Entscheidungen in (Bundes-)Disziplinarsachen (erst- und zweitinstanzlich) den Verwaltungsgerichten der Länder zu überantworten.30 Verfahrensrechtlich löste sich das LDG NRW aus der traditionellen Bindung an die StPO und wendete sich entsprechend dem Verwaltungsprozessrecht zu. Zu unterscheiden vom Verwaltungsprozessrecht ist das Verwaltungsverfahrensrecht, das das Handeln der Verwaltung regelt. Es ist kodifiziert in den Verwaltungsverfahrensgesetzen (VwVfG) des Bundes und der Länder.31

Konsequenterweise sind zur Ergänzung des LDG NRW/BDG die Bestimmungen des VwVfG NRW und der VwGO anzuwenden (§ 3 LDG NRW/BDG), soweit sie nicht zu den Bestimmungen dieses Gesetzes in Widerspruch stehen oder soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist (§ 3 Abs. 1 LDG NRW/BDG). Kenntnisse zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind somit unentbehrlich.32

Das LDG NRW kennt nur die Unterscheidung zwischen dem behördlichen und dem gerichtlichen Verfahren. Auch kann die Zahl der Klagen eines Beamten gegen eine Disziplinarverfügung bei verbreitertem Rechtsweg eine Erhöhung der Belastung der (Verwaltungs-)Gerichte mit sich bringen.33

Nach Darstellung der nordrhein-westfälischen Landesregierung hat der tägliche Umgang mit dem zum 01.01.2005 grundlegend novellierten Landesdisziplinargesetz gezeigt, dass einzelne Regelungen einer Änderung bedürften. Insbesondere die Regelung zur Zulässigkeit von Disziplinarverfahren nach Straf- oder Bußgeldverfahren war aufgrund der Rechtsprechung des BVerwG v. 23.02.2005 (1 D 13/04) hinsichtlich der Zurückstufung zu modifizieren. Ferner waren redaktionelle Änderungen erforderlich. So wurde klargestellt, dass das Widerspruchsverfahren durch das Bürokratieabbaugesetz II abgeschafft worden ist.34

Das novellierte LDG NRW trat mit Wirkung vom 01.01.2010 in Kraft.35

Durch das „Siebte Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Inneres und Kommunales sowie zur Änderung weiterer Gesetze“ v. 02.10.2014 wurde § 84 (Befristung) aufgehoben (GV.NRW. S. 622).

1Vertiefend zum „öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis“ Günther ZBR 2012, 678 ff.

2Einleitend auch Loos 1992, S. 103 ff.

3Wichmann/Langer 2017, Rn. 399.

4Leppek 2019, Rn. 189.

5Claussen/Benneke/Schwandt 2010, Rn. 11.

6Vertiefend: Juncker ZBR 2009, 289 (290).

7Das Disziplinarrecht ist keineswegs ein überholtes Instrument aus der Folterkammer erzkonservativer, ja archaischer Dienstherrenmentalität. Vielmehr bietet es, sachgerecht eingesetzt, als Führungsmittel die unterschiedlichsten Möglichkeiten, Leistungsstörungen wirksam zu begegnen; vgl. auch Hoffmann Die Polizei 2006, 170 (171); zum „Zweck des Disziplinarrechts“ auch Kawik et al 2020, S. 215.

8Wiewiorra/Gericke, Grundlagen des Beamten- und Disziplinarrechts, in: Schriften zur Fortbildung, PPr Berlin – Mediendienst, 2006, S. 27 (28).

9Wattler ZBR 1989, 321 (325).

10Bieler DÖD 1990, 201 (206), Bieler/Lukat 2012, Rn. 2 ff.

11Dies aber auf der Ebene des Bestehens des Disziplinarrechts an sich und der Drohung, bei Fehlverhalten ist mit einer Disziplinierung nach Maßgabe des Gesetzes zu rechnen, nicht aber in dem Sinne, dass ein erwischter Beamter gleichsam drakonisch zur Verantwortung gezogen wird, um am Beispiel dieses Beamten alle anderen von einem solchen Fehlverhalten abzuschrecken. Dies muss zu einer, auf die Person des Beamten bezogen, unangemessenen Disziplinierung führen, die ermessensfehlerhaft wäre; vgl. Bieler DÖD 1990, 201 (206).

12Ausführlich Radloff RiA 2007, 204 ff.

13Baßlsperger 2009, S. 235.

14Fehlverhalten als abweichendes bzw. deviantes Verhalten, welches nicht mit den geltenden Normen und Werten übereinstimmt; aus soziologischer Sicht Savelsberg Kriminalistik 2010, 463 (464): Werte, und daraus abgeleitete Normen und ihre Umsetzung im alltäglichen Umgang miteinander, stellen einen Gradmesser an Zivilisation einer Gesellschaft dar, da sie erkennen lassen, welche Einstellungen eine Gesellschaft zu Problemstellungen des täglichen Zusammenlebens entwickelt hat.

15Lenders 2019, S. 29.

16Lenders 2019, S. 29.

17Der Begriff „Reinigungsfunktion“ gilt indes als überholt; Claussen/Benneke/Schwandt 2010, Rn. 14.; vgl. aber Nokiel DÖD 2018, 297 (304). Disziplinarrecht hat u.a. Reinigungsfunktion.

18Wichmann/Langer, 2017, Rn. 399.

19Baßlsperger 2009, S. 235.

20Radloff/Nokiel 2007, S. 4.

21Herrmann/Sandkuhl 2021, § 4 Rn. 31.

22Fiebig/Wolfering, in: Johlen/Oerder, MAH Verwaltungsrecht 2023, § 5 Rn. 36.

23Allerdings verstößt die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis durch Verwaltungsakt nicht gegen hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums i.S. des Art. 33 Abs. 5 GG. Ein Grundsatz der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur durch Richterspruch oder nur durch eine vom Dienstvorgesetzten verschiedene Stelle existiere nicht. Auch ist das Lebenszeitprinzip durch die Abschaffung der gerichtlichen Disziplinargewalt nicht verletzt (BVerfG, Beschl. v. 14.01.2020 - 2 BvR 2055/16).

24Die Schutzfunktion ist der historische, zugleich eigentliche Grund der Entstehung des Disziplinarrechts, vgl. Schwandt 1997, 73. Zur geschichtlichen Entwicklung auch Schnupp/Havers 1994, 336 ff.

25BT-Drs. 14/5529 v. 12.03.2001; dazu Weiß ZBR 2002, 17 ff.; Rogosch 2001, S. 108 (114).

26BT-Drs. 14/4659, S. 34. Diese (Gesetzes-)Begründung ist indes so ohne Weiteres nicht nachvollziehbar, da sich die Anwendung der Vorschriften der StPO in praxi durchaus bewährt hat.

27Müller-Eising NJW 2001, 3587 (3588).

28Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Dienststrafrechts v. 28.11.1952 (BGBl. I 1952, 749).

29Zängl ZBR 2006, 321.

30Gesetzentwurf der Landesregierung, Drs. 13/5220 v. 29.03.2004, S. 77 ff.

31Das Disziplinarrecht wird als „Ahndungsmittel“ für beamtenrechtliche Dienstpflichtverletzungen also enger an das Verwaltungsrecht gebunden, vgl. Baldarelli/Wölke 2002, S. 68 ff.

32Einen (Kurz-)Überblick zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren gibt Vahle DNP 1992, 291 ff.

33Dazu auch Schwandt RiA 2001, 157 (165).

34LT-Drs. 14/9808.

35GV.NRW. 2009 S. 530.

2Dienstvergehen

Das Beamtenrecht benennt zwei entscheidende Begrifflichkeiten: Das Dienstvergehen und die Pflichtverletzung. Maßgebend ist der Begriff des Dienstvergehens, der Grundlage der disziplinaren Verfolgung ist (§ 17 Abs. 1 LDG NRW/ BDG). Die Pflichtverletzung folgt aus dem konkreten Pflichtentatbestand, der in Landesbeamtengesetzen bzw. im Beamtenstatusgesetz, aber auch in einer allgemeinen Verwaltungsregelung oder in einer Einzelweisung enthalten sein kann. Z. B. kann der Beamte gem. § 103 Abs. 2 Satz 1 LBG NRW Anträge und Beschwerden vorbringen; hierbei hat er den Dienstweg einzuhalten.36 Wird der Dienstweg nicht eingehalten, sind dienstliche Maßnahmen gegenüber dem „Absender“ möglich.37

2.1Beamtenstatusgesetz (BeamtStG)

2.1.1Systematik: BeamtStG und LBG NRW38

Ausgelöst durch die Föderalismusreform I haben im Jahre 2009 Bund und Länder das Beamtenrecht umgestaltet, der Bund durch Erlass des am 01.04.2009 in Kraft getretenen Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) und des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes (DNeuG vom 05.02.2009).39 Zielrichtung des BeamtStG ist die Festlegung der beamtenrechtlichen Grundstrukturen zur Gewährleistung der erforderlichen Einheitlichkeit des Dienstrechts.40 Anders als das Beamtenrechtsrahmengesetz enthält das BeamtStG überwiegend unmittelbar geltende Vorschriften.

Im Zuge dieser Föderalismusreform I sind die Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern durch das Gesetz zur Änderung des GG vom 28.08.200641 neu geregelt worden. Im Bereich des Beamtenrechts verfügt der Bund nur noch über eine stark reduzierte Gesetzgebungskompetenz gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG. Dagegen können die Länder weite Teile des Beamtenrechts selbst regeln.42

§ 1 Abs. 1 LBG NRW legt den Anwendungsbereich des LBG NRW fest und verweist auf die Regelungen des BeamtStG, die daneben in der Rechtspraxis zu berücksichtigen sind. Daraus ergibt sich aber, dass sehr viele Vorschriften, und zwar insbesondere die grundlegenden Bestimmungen, die bislang im LBG NRW a. F. geregelt waren, sich nur noch im BeamtStG wiederfinden. Dies hat zur Folge, dass der Rechtsanwender gezwungen ist, sowohl das Beamtenstatusgesetz als auch die Neufassung des Landesbeamtengesetzes zu beachten. Damit wird die Anwendung des LBG NRW zumindest erschwert.

Gem. § 1 BBG gilt dieses Gesetz für die Beamtinnen und Beamten des Bundes, soweit nicht gesetzlich etwas anderes bestimmt ist.

2.1.2Dienstpflichten

Das Beamtenverhältnis und die sich hieraus ergebende Rechtsstellung des Beamten werden – wie sich aus der Gesetzessystematik ergibt – in erster Linie von den beamtengesetzlichen Beamtenpflichten bestimmt.43 Die unlösbar damit verbundene zweite Determinante stellen die in den Beamtengesetzen normierten Beamtenrechte dar (§§ 33 ff. BeamtStG, §§ 42 ff. LBG NRW, §§ 60 ff. BBG), die keine Privilegien, d. h. unverdiente Vorteile, sondern aus dem Beamtenverhältnis entspringende Ansprüche des Beamten sind.44

Die beamtenrechtlichen Pflichten und Rechte wurden durch das Beamtenstatusgesetz einheitlich und abschließend geregelt (§§ 33 bis 53 BeamtStG; Abschnitt 6 des BeamtStG: Die rechtliche Stellung im Beamtenverhältnis). Durch das BeamtStG wurde eine zeitgemäße Pflichtenregelung (§§ 33 ff.) entsprechend den allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen konkretisiert. Leitbild der Aufgabenerfüllung bleibt das Wohl der Allgemeinheit. Die „volle Hingabe“ an den Beruf, die für Beamtinnen und Beamte aus dem hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 5 GG folgt, wird mit dem Begriff des „vollen persönlichen Einsatzes“ einem modernen Sprachgebrauch angepasst, ohne dass dies die Intensität der Dienstleistungspflicht verringern soll (§ 34 Satz 1 BeamtStG) oder die besonderen Anforderungen, die der Dienst an einen Dienstberuf stellt. Die Einsatzklausel ist inhaltlich identisch mit der „Hingabepflicht“. Gefordert wird ein gesteigerter Einsatz unter Zurückstellung anderer Interessen. Danach reicht eine Erfüllung der allgemeinen Dienstleistungspflicht zur ordnungsgemäßen Berufsausübung des Beamten nicht aus.45 Der Beamte muss sich mit vollem Einsatz seinem Beruf widmen, indem er seine volle Arbeitskraft in das Beamtenverhältnis einbringen und sich dem ihm anvertrauten Hauptamt mit voller Hingabe widmen muss (BVerfG NVwZ-RR 2007, 185).46

Ein weiterer Ansatz ist, die Korruption noch wirksamer zu bekämpfen. Daher gilt die Verschwiegenheitspflicht (§ 37 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BeamtStG) nicht mehr, wenn Anhaltspunkte für Korruptionsdelikte bestehen.

Gem. § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG muss das Verhalten des Beamten innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf erfordert (Wohlverhaltenspflicht). Durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Beamtenstatusgesetzes und des Bundesbeamtengesetzes sowie weiterer dienstrechtlicher Vorschriften v. 29.11.2018 (BGBl. I 2232) wurde Satz 3 der Vorschrift erweitert um die Begriffe „innerhalb und außerhalb des Dienstes“. Diese Ergänzung stellt deklaratorisch klar, dass auch das Verhalten der Beamtinnen und Beamten im Anwendungsbereich des BeamtStG innerhalb wie außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, die ihr Beruf erfordert.47

Das BeamtStG zählt „Verhalten außerhalb des Dienstes“ zum Feld möglicher Dienstvergehen (§ 47 Abs. 1 BeamtStG).

Bei einem Verhalten außerhalb des Dienstes (§ 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) ist der Tatbestand abgeschwächt. Hier macht sich der Wertewandel in der Gesellschaft bemerkbar. Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Der Beamte wird nicht mehr als „immer im Dienst“ angesehen.48 Im Übrigen hat der Bund bei der Kodifikation des Statusrechts die bisherigen Regeln über das Befolgen fachlicher Weisungen nicht verändert (§§ 35, 36 BeamtStG), weder die materiellen noch die formellen Maßgaben.49

Das BeamtStG enthält überwiegend unmittelbar geltende Vorschriften. Es deckt indes nicht das ganze Beamtenrecht ab. Bei der Bearbeitung von Sachverhalten sind sowohl das Beamtenstatusgesetz als auch die Landesbeamtengesetze zu Rate zu ziehen.

–zunächst ist auf die Vorschriften des BeamtStG zurückzugreifen.

–soweit im BeamtStG keine Regelungen enthalten sind oder dem Landesgesetzgeber ein Regelungsspielraum eröffnet wird, ist das Landesrecht heranzuziehen.

Letztlich ist der Rechtsanwender gezwungen, sowohl das BeamtStG als auch die Neufassung der jeweiligen Landesbeamtengesetze zu beachten.

BeamtStG: Rechtliche Stellung im Beamtenverhältnis

Dienstpflichten

§§ BeamtStG

§§ LBG NRW

§§ BBG

Unparteiische Amtsführung/Bekenntnis zur fdGO50

33 Abs. 1

 

60 Abs. 1

Politische Betätigung (Zurückhaltungspflicht)

33 Abs. 2

 

60 Abs. 2

Pflicht zum vollen persönlichen Einsatz

34 S. 1

 

61

Pflicht zur Uneigennützigkeit

34 S. 2

 

61

Wohlverhaltenspflicht

34 S. 3

 

61

Weisungsgebundenheit

35

 

62

Verantwortung für die Rechtmäßigkeit/Remonstration

36

 

63

Verschwiegenheitspflicht

37

 

67–70

Diensteid

38

46

 

Verbot der Führung der Dienstgeschäfte

39

 

66

Nebentätigkeit

40

49 – 58

97–105

Tätigkeit nach Beendigung des Dienstverhältnisses

41

52

 

Verbot der Annahme von Belohnungen, Geschenken und sonstigen Vorteilen

42

59 i.V.m.VV

71

Teilzeitbeschäftigung

43

63, 64

91

Erholungsurlaub

44

73, 74

89

Fürsorgepflicht

45

 

78

Mutterschutz und Elternzeit

46

 

79

Dienstvergehen: Nichterfüllung von Pflichten

47 Abs. 1

 

77

Dienstvergehen bei Ruhestandsbeamten

47 Abs. 2

 

77

Pflicht zum Schadensersatz

48

81–83

75

Übermittlung bei Strafverfahren

49

 

 

Personalakte

50

84, 92

106–115

Personalvertretung

51

 

117

Mitglied in Gewerkschaften und Berufsverbänden

52

 

116

Beteiligung der Spitzenorganisationen

53

94

118

LBG NRW: Rechtliche Stellung im Beamtenverhältnis(Überblick, exemplarisch)

Dienstpflichten

§§ LBG NRW

§§ BBG

Wahrnehmung der Aufgaben/Verhalten („Qualifizierungsverpflichtung“)

42

61

Unterrichtung der Öffentlichkeit

43

70

Aufenthalt in der Nähe des Dienstortes

44

73

Dienstkleidung

45, 113

74

Befreiung von Amtshandlungen

47

 

Pflicht zur Nebentätigkeit

48

 

Arbeitszeit; Mehrarbeit

60 i.V.m. RVO

87

Mehrarbeit

61

88

Fernbleiben vom Dienst

62

96

2.2Dienstvergehen

Im Unterschied zum Strafrecht enthält das Disziplinarrecht keine Aufzählung der Pflichten, deren Verletzung ein Dienstvergehen darstellt. Vielmehr werden durch § 47 Abs. 1 BeamtStG (§ 77 BBG) – quasi in Form einer Generalklausel – alle Pflichtverletzungen erfasst.51

Voraussetzungen eines Dienstvergehens sind im Überblick folgende:

Voraussetzungen eines Dienstvergehens (Überblick):52

–Beamteneigenschaft,

–Handlung (Tun oder Unterlassen) verstößt gegen eine/mehrere Beamtenpflichten (Dienstpflichtverletzung),

–Rechtfertigungsgründe liegen nicht vor,

–Verschulden,

–Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit.

Fehlt eine Voraussetzung, liegt ein Dienstvergehen nicht vor.

2.2.1Tatbestand

Kernvorschrift ist § 47 BeamtStG (§ 77 BBG). Die Norm ist auf den Sonderstatus der Beamten zurückzuführen und stellt eine zulässige Einschränkung des Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG dar (BVerfG NVwZ 2003, 73: Es verstößt nicht gegen die Verfassung, die allgemeine – auch außerdienstliche – Gesetzestreue eines Beamten nach wie vor für eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums anzusehen).

§ 47 Abs. 1 BeamtStG (§ 77 Abs. 1 BBG):Nichterfüllung von Pflichten (1)

Beamtinnen und Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.

Zu den Dienstpflichten gehören insbesondere auch alle Pflichten, die sich aus Fachgesetzen, Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen ergeben, also etwa: Erklärungspflichten aus dem Nebentätigkeits-, Reise- und Umzugskostenrecht, Dienstanweisungen bzgl. der Führung von privaten Telefonaten usw.53

Das Disziplinarrecht gilt auch für Ruhestandsbeamte. Anders als bei aktiven Beamten – hier gilt § 47 Abs. 1 BeamtStG – enthält § 47 Abs. 2 BeamtStG abschließend die Pflichtverletzungen von Ruhestandsbeamten, die disziplinarrechtlich geahndet werden können. Wird gegen Ruhestandsbeamte wegen eines vor dem Eintritt in den Ruhestand begangenen Dienstvergehens ein Disziplinarverfahren eingeleitet, so greift nicht § 47 Abs. 2 BeamtStG. Von den grundsätzlich möglichen Disziplinarmaßnahmen (§ 5 LDG NRW/BDG) kann gegenüber Ruhestandsbeamten stets nur eine Kürzung des Ruhegehalts (§ 11 LDG NRW/BDG) bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts (§ 12 LDG NRW/BDG) ausgesprochen werden.54

Tatbestandsmäßig ergibt sich das Dienstvergehen aus innerdienstlichen und außerdienstlichen Beamtenpflichten, wobei außerdienstlich noch besondere Voraussetzungen vorliegen müssen (§ 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG). Gem. § 34 Satz 1 BeamtStG (§ 61 BBG) haben sich Beamtinnen und Beamte mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Sie haben die übertragenen Aufgaben uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen (§ 34 Satz 2 BeamtStG).55

Ihr Verhalten muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordert. Diese Wohlverhaltenspflicht des § 34 Satz 3 BeamtStG (§ 61 Abs. 1 Satz 3 BBG) wird eingeschränkt durch § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG (§ 77 Abs. 1 Satz 2 BBG). Hiernach ist ein Verhalten außerhalb des Dienstes nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.

Vorsätzliche Verstöße eines zum Schutz der Rechtsordnung berufenen Polizeibeamten gegen elementare Rechtsvorschriften, wie sie die Normen des Strafrechts darstellen, überschreiten regelmäßig in qualitativer und/oder quantitativer Hinsicht deutlich das einer jeden außerdienstlichen Pflichtverletzung innewohnende Maß an disziplinarer Relevanz und weisen deshalb die nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG erforderliche Bedeutsamkeit auf. Polizeibeamte haben Straftaten zu verhüten, aufzuklären und zu verfolgen; sie genießen in der Öffentlichkeit eine besondere Vertrauens- und Garantenstellung. Dieses berufserforderliche Vertrauen wird in besonderem Maße beeinträchtigt, wenn Polizeibeamte selbst erhebliche (Vorsatz-)Straftaten begehen (OVG Münster DVBl 2019, 1011: Besitz von Kinderpornografie – Entfernung aus dem Dienst als regelmäßige Ahndung).

Achtungswürdiges Verhalten wird von den Beamtinnen und Beamten auch außerhalb des Dienstes erwartet. Außerhalb des Dienstes begangene Pflichtverletzungen sind gem. 77 Abs. 1 Satz 2 BBG aber nur dann ein Dienstvergehen, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet sind, das Vertrauen (des Dienstherrn oder der Allgemeinheit) in einer für das Amt oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.56 Bei Länder- und Kommunalbeamten kommt es indes nicht mehr darauf an, ob das „Ansehen des Berufsbeamtentums“ durch ein außerdienstliches Dienstvergehen in bedeutsamer Weise beeinträchtigt wurde, denn in dem entsprechenden § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG ist diese Formulierung entfallen. Man wird hierbei aber nicht davon ausgehen dürfen, dass an das außerdienstliche Verhalten und an die dienstrechtliche Wertung dieses Verhaltens unterschiedliche Maßstäbe anzulegen sind. Es wäre nicht nur geradezu absurd und widersinnig, sondern auch rechtswidrig, eine Unterscheidung nach dem jeweils anwendbaren Recht für Bundesbeamte (BBG) oder Landes- und Kommunalbeamte (BeamtStG) vorzunehmen. Dieses Ergebnis findet seine Grundlage in den geltenden hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 5 GG. Beamte befinden sich – unabhängig von ihrem Dienstherrn – in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis (vgl. § 4 BBG, § 3 Abs. 1 BeamtStG), aus dem sich hinsichtlich ihrer Verhaltenspflicht innerhalb und außerhalb des Dienstes dieselben Grundsätze ergeben. Damit gilt auch für Landes- und Kommunalbeamte: § 34 Satz 3 BeamtStG betrifft das gesamte (inner- und außerdienstliche) Verhalten des Beamten und § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG bezieht das Ansehen des Beamtentums als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in seinen Anwendungsbereich mit ein.57 Die Regelung des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamStG ist in der Praxis nicht einfach zu handhaben, denn nicht jedes achtungs- und vertrauensunwürdige Verhalten ist zwingend ein Dienstvergehen. Wann die Voraussetzungen vorliegen, kann daher nur in jedem Einzelfall bewertet werden (instruktiv BVerfG, Beschl. v. 05.06.2002 – 2 BvR 2257/96, NVwZ 2003, 73: Disziplinarrechtliche Ahndung außerdienstlicher Trunkenheitsfahrten).

Ruhestandsbeamte sind nicht mehr im Dienst. Ihre Handlungen stellen deshalb insgesamt außerdienstliche Verhaltensweisen dar. Es bestehen jedoch weiter bestimmte Pflichten, die zu einer Ahndung nach den Disziplinargesetzen (Kürzung oder Aberkennung des Ruhegehalts nach § 5 Abs. 2 LDG NRW/BDG und dem entsprechenden Landesdisziplinarrecht) führen können. Auch bei Ruhestandsbeamten kommt nach Beendigung des Beamtenverhältnisses die Verfolgung eines Dienstvergehens in Betracht. Nach § 77 Abs. 2 BBG bzw. § 47 Abs. 2 BeamtStG ist dies allerdings nur unter den dort genannten Voraussetzungen der Fall (zum Beispiel Verstoß gegen Verschwiegenheitspflichten, Vergehen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung usw.). Wegen solcher außerdienstlichen Verfehlungen, die während seines früher bestehenden Beamtenverhältnisses begangen wurden, kann der Ruhestandsbeamte nach § 2 Abs. 2 BBG (und dem entsprechenden Landesrecht) aber immer noch belangt werden.58

Bei der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten des Beamten als dienstlich oder als außerdienstlich einzustufen ist, kommt auf es auf die funktionale Beziehung zum Dienst an.59 Dienstliches Verhalten ist gekennzeichnet durch einen funktionalen Zusammenhang mit dem Amt, das dem Beamten übertragen ist. Es kommt nicht auf formale Kriterien an, etwa die Dienstzeit oder den Dienstort.60 Ob ein Fehlverhalten innerhalb des Dienstes vorliegt oder dem außerdienstlichen Bereich zuzurechnen ist, richtet sich nach dessen sachlichem Zusammenhang mit dem Dienst. Entscheidend ist mithin die kausale und logische Einbindung eines Verhaltens in ein Amt und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit (konkreter Dienstbezug).61 Ein Verhalten wird nicht dadurch notwendig innerdienstlich, dass es sich während des Dienstes und in den Diensträumen abspielt. Das wird deutlich bei Pflichtverletzungen wie bspw. der unerlaubten Geschenkannahme, der Bestechlichkeit, der unerlaubten Nebenbeschäftigung oder im Falle des Fernbleibens vom Dienst, die sich teilweise, überwiegend oder vollständig außerhalb der Dienstzeit und der Diensträume abspielen. Dadurch allein verlieren sie nicht ihren innerdienstlichen Charakter. Auch ein Beamter, der z. B. nach Beendigung seines Dienstes mit dem ihm anvertrauten Dienstfahrzeug eine „Schwarzfahrt“ durchführt oder der nach Dienstschluss im Dienstgebäude mit Freunden ein „Zechgelage“ veranstaltet, begeht keineswegs ein außerdienstliches, sondern ein innerdienstliches Dienstvergehen.62

Dabei ist ein Dienstbezug nicht allein in den Fällen gegeben, in denen der Beamte auf seinem Dienstposten mit gerade denjenigen Aufgaben befasst war, die Gegenstand des ihm zur Last gelegten außerdienstlichen Fehlverhaltens sind. Es genügt, wenn das außerdienstliche Verhalten Rückschlüsse auf die Dienstausübung zulässt oder den Beamten in der Dienstausübung beeinträchtigt (BVerwG, Urt. v. 24.10.2019 – 2 C 3/18, NVwZ-RR 2020, 362; BVerwG, Beschl. v. 21.12.2010 − 2 B 29/10, NVwZ-RR 2011, 413). Entscheidend ist die materielle Dienstbezogenheit des Verhaltens. Es kommt somit darauf an, ob durch dieses Verhalten innerdienstliche Pflichten verletzt werden. Von Bedeutung für die rechtliche Einordnung des Verhaltens als innerdienstliche Pflichtverletzung ist mithin dessen kausale und logische Einbindung in ein Amt und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit (BVerwG, Urt. v. 10.12.2015 − 2 C 6.14 − NVwZ 2016, 772; BVerwG, Urt. v. 20.02.2001 – 1 D 55.99, NJW 2002, 155; BVerwG, Urt. v. 05.11.1968 − 1 D 19.68 − BVerwGE 33, 199).

Obwohl bei der Abgrenzung von inner- und außerdienstlichem Verhalten in erster Linie eine materielle Betrachtungsweise zugrunde zu legen ist, können auch formale Aspekte als Indizien herangezogen werden. Hiernach liegt ein Fehlverhalten außerhalb des Dienstes (nur dann) vor, wenn es „weder formell in das Amt […] noch materiell in die damit verbundene dienstliche Tätigkeit eingebunden war“ (BVerwG, Urt. v. 18.06.2015 – 2 C 9/14, NVwZ 2015, 1680; BVerwG, Beschl. v. 28.08.2018 – 2 B 5.18; BVerwG, Urt. v. 20.02.2001 – 1 D 55.99; BVerwG, Urt. v. 19.08.2010 – 2 C 5.10, NVwZ 2011, 303).

Um ein mit einer Disziplinarmaßnahme zu ahndendes außerdienstliches Dienstvergehen handelt es sich regelmäßig bei dem nach § 184b Abs. 3 StGB strafbewehrten Besitz einer kinderpornografischen Schrift, die nach ihrer Definition gem. § 11 Abs. 3 StGB Ton- und Bildträgern, Datenspeichern, Abbildungen und anderen Darstellungen gleichsteht. Außerhalb des Dienstes begangene schwere Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe geahndet worden sind, erfüllen in der Regel auch ohne Bezug auf das konkrete Amt die qualifizierenden Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG für ein außerdienstliches Dienstvergehen (VGH Mannheim, Urt. v. 20.06.2017 – DL 13 S 214/17, NVwZ-RR 2018, 154).

Außerdienstlich ist mithin jenes Verhalten, das sich als dasjenige einer Privatperson darstellt (BVerwG, Urt. v. 20.02.2001 – 1 D 55/99, NVwZ 2001, 1410).

Beispiel (OVG Bremen, Beschl. v. 13.07.2018 – 2 B 174/18): Sexuelle Handlungen in einem Whirlpool auf einem Balkon können gegen die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verstoßen und die charakterliche Ungeeignetheit eines Polizeikommissaranwärters begründen.63

Eine innerdienstliche Pflichtverletzung kann außerhalb der Dienstzeit und außerhalb der Diensträume begangen werden, wenn sie in einem funktionalen Zusammenhang mit dem übertragenen Amt des Beamten steht.64

Bei einer Gruppe von typischen Pflichtverletzungen wird deutlich, dass sie zwar ihrer Natur nach außerhalb des Dienstes begangen werden, aber dennoch wegen ihrer engen funktionalen Beziehung zum Amt einen konkreten Dienstbezug aufweisen und damit innerdienstlicher Natur sind. Dies gilt etwa für die Pflichten, eine Nebenbeschäftigung nicht ohne Genehmigung auszuüben, in Bezug auf das Amt keine Belohnungen oder Geschenke anzunehmen oder einen Streik oder ein streikähnliches Verhalten zu unterlassen.65

Verhalten

Innerdienstlich

Außerdienstlich

Polizeibeamter ist privat in Uniform unterwegs und begeht Dienstpflichtverletzung; innerdienstliches Fehlverhalten, weil es auf die Sichtweise des Bürgers ankommt

KHK’in B stiehlt während der Dienstpause einen teuren Lippenstift; Verstoß gegen § 34 Satz 3 BeamtStG

POK B fälscht nach Dienstende zu Hause einen Beihilfeantrag und fingiert Ansprüche in Höhe von 148,50 Euro; u. a. Verstoß gegen § 34 Satz 2 BeamtStG (VGH München, Urt. v. 03.05.2017 – 16a D 15.2087; OVG Münster, Urt. v. 15.08.2018 – 3d A 514/16)

PHK B schreibt als Privatmann einen kritischen Brief zu den Geschwindigkeitskontrollen seiner Kreispolizeibehörde; nicht relevantes Verhalten; ohne jeglichen dienstlichen Bezug

PHK B übt nach dem Dienst eine nicht genehmigte Nebentätigkeit aus; die Pflichten in Bezug auf das Nebentätigkeitsrecht erwachsen gerade erst durch den Eintritt in ein Dienst- und Treueverhältnis

Beamter richtet anonyme schriftliche Drohungen mit einem nicht näher bezeichneten Unglück an private Adressaten und öffentliche Dienststellen (BVerwG, Urt. v. 22.09.1993 – 1 D 78/92, NVwZ-RR 1994, 220: Zurückstufung)

Polizeibeamter verrät um 22:00 Uhr nach Dienstschluss in einer Bar ein Dienstgeheimnis (§ 353b StGB); innerdienstliches Verhalten, obwohl er die Pflichtverletzung in seiner Freizeit begeht, denn es hat inhaltlich mit der Ausübung seines Amtes zu tun.66

Polizeibeamter, der in zur Veröffentlichung bestimmten Videofilmen mit sadomasochistischem Inhalt als Darsteller auftritt, verletzt seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten außerhalb des Dienstes und begeht ein Dienstvergehen (OVG Bautzen, Urt. v. 26.02.2003 – D 6 B 221/01, DÖV 2003, 959)

Polizeibeamter macht anderen Polizeibeamten falsche Angaben zu seiner Person; innerdienstliches Dienstvergehen; Verstoß gegen § 34 Satz 3 BeamtStG, weil er das Vertrauen in seine Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit als Polizeibeamterzu eigenem Vorteil ausgenutzt hat (VG Berlin, Urt. v. 22.11.2012 – VG 80 K 51.11 OL)

Außerdienstlicher sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen durch Polizeibeamten – Der außerdienstliche disziplinarrechtliche Tatvorwurf eines Sittlichkeitsdeliktes gegenüber einer im Obhutsverhältnis stehenden Minderjährigen enthält einen ganz erheblichen Schuldvorwurf und zerstört grundsätzlich das Vertrauensverhältnis zum Beamten (OVG Weimar, Urt. v. 29.09.2005 – 8 DO 330/02, LKV 2006, 421)

Offenkundiges Bekennen zur Ideologie der sog. Reichsbürger und Ausrichten seines Handelns danach als innerdienstliches Dienstvergehen (VG Münster, Urt. v. 10.07.2017 – 13 K 5475/16.O).

Absingen von Wehrmachtsliedern durch einen Polizeivollzugsbeamten in einem Zug der Bahn als Hooligan eines Fußballvereins stellt ein außerdienstliches Dienstvergehen und eine Ansehensschädigung der Polizei als Verstoß gegen die allgemeine beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht dar (VG Magdeburg, Urt. v. 27.09.2018 – 15 A 41/16)

Ein als Leiter des Personalreferats eingesetzter Beamter verletzt das Gebot unparteiischer und gerechter Aufgabenerfüllung, wenn er sich in einem Kantinengespräch mit anderen Bediensteten über Menschen fremder Staatsangehörigkeit oder über Juden in einer Weise äußert, die die Besorgnis rechtfertigt, er werde bei der Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben Personen solcher Herkunft gegenüber anderen Menschen benachteiligen (BVerwG, Urt. v. 20.02. 2001 – 1 D 55/99, NJW 2002, 155)

Verbreitung von Verschwörungstheorien und Verunglimpfung von staatlichen Institutionen und deren Organen im außerdienstlichen Bereich (VG Hannover, Urt. v. 28.04.2022 – 18 A 3735/21)

Verwendung von dienstlich anvertrauten Geldern oder Sachen, z.B. dienstlichen Tankkarte, zu eigenen wirtschaftlichen Zwecken (BVerwG, Urt. v. 28.11.2000 – 1 D 56.99; VG Lüneburg, Urt. v. 29.10.2019 – 10 A 1/19; VG Wiesbaden, Urt. v. 29.01.2019 – 25 K 1139/16)

Einreichung von Scheinrechnungen bei einer privaten Krankenversicherung durch Polizeibeamten (VG Saarlouis, Urt. v. 06.10.2017 – 7 K 266/15)

Private Nutzung des Dienst-PC und des Dienst-Druckers (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 28.05.2019 – OVG 82 D)

Vorzeigen des Dienstausweises bei polizeilicher Drogenkontrolle: Ein Polizist, der bei einem außerdienstlichen Dienstvergehen seine beamtenrechtliche Stellung absichtlich offenbare, schädige das Ansehen nachhaltig. Allerdings werde damit die Dienstpflichtverletzung noch nicht zur innerdienstlichen (VG München, Urt. v. 09.05.2022 – M 13L OK 19.806)

Falsche uneidliche Aussage einer Polizeibeamtin in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung: Dass der ehemalige Lebensgefährte der Beamtin betroffen war, führt nicht dazu, dass deshalb von einem außerdienstlichen Verhalten auszugehen sei (OVG Magdeburg, Urt. v. 07.12.2017 – 10 L 2/17)

Sexualdelikte gegen Kinder unabhängig vom konkreten Amt (BVerwG, Urt. v. 25.03.2010 – 2 C 83/08, NVwZ 2010, 1571); VGH Mannheim, Urt. v. 15.12.2015 – DB 13 S 1634/15; VG Münster, Urt. v. 08.12.2015 – 13 K 1191/14.O, Geschädigte war keine Schülerin des Beamten; OVG Bremen, Urt. v. 30.03.2022 – 4 LD 155/21: Dass ihn Dritte als (ehemalige) Lehrkraft wahrgenommen haben, genügt allein für die Annahme eines dienstlichen Zusammenhangs nicht. Ließe man dies ausreichen, würde die Unterscheidung zwischen inner- und außerdienstlichem Verhalten völlig konturlos und hinge lediglich davon ab, ob das Amt sonstigen beteiligten Personen bekannt ist. Beamte wären gegenüber Personen, denen ihr Amt bekannt ist, immer im Dienst.Verbreiten von kinder- und jugendpornografischen Bild-, Videodateien oder Schriften (OVG Münster, Urt. v. 26.09.2018 – 3d A 1455/16)

Missbrauch behördeninterner Informationssysteme (VG Saarlouis, Urt. v. 10.02.2017 – 7 K 1965/15; VG Magdeburg, Urt. v. 27.09.2018 – 15 A 41/16)

Außerdienstliche Trunkenheitsfahrt eines Polizeibeamten mit einer Blutalkoholkonzentration von bis zu 3,12 Promille (OVG Koblenz, Urt. v. 07.03.2018 – 3 A 11721/17; OVG Magdeburg, Beschl. 17.12.2015 – 10 M 10/15 16)

Ausübung einer ungenehmigten Nebentätigkeit, wenn sie unmittelbar mit der dienstlichen Tätigkeit des Beamten verknüpft ist. Ihre Eigenschaft als Nebentätigkeit erlange sie gerade aufgrund der Dienststellung (OVG Münster, Urt. v. 13.05.2019 – 3d A 2254/16; OVG Münster, Urt. v. 21.03.2018 – 3d A 1043/14.0; OVG Münster, Urt. v. 10.05.2017 – 3d A 971/15.0)

Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch die unbefugte Verbreitung von Bildaufnahmen durch Polizeibeamten (VGH München, Beschl. v. 12.10.2017 – 6 CS 17.1722)

Diebstähle unter Ausnutzung dienstlicher Möglichkeiten (VG Wiesbaden, Urt. v. 09.07.2020 – 25 K 736/19)

Versuchter privater Anabolikaerwerb und -konsum zu Dopingzwecken durch einen Justizvollzugsbeamten (VG Dresden, Urt. v. 22.08.2017 – 10 K 2306/16)

Gemeinschaftliche Gefangenenbefreiung (OVG Münster, Urt. v. 12.09.2018 – 3d A 1975/17)

„Fesselungs-Aktion“ von zwei Kollegen, die die Nacht aneinandergefesselt verbringen und auch intime Tätigkeiten gemeinsam verrichten mussten (VG Düsseldorf, Urt. v. 22.03.2018 – 35 K 10458/16)

Keine Prüfung der Eignung der Vertrauensbeeinträchtigung

Prüfung der Eignung der Vertrauensbeeinträchtigung67

Während die Rechtsprechung für die Unterscheidung stets auf die materielle Dienstbezogenheit abstellt (OVG Münster, Urt. v. 31.10.2018 – 3d A 229/16.BDG), wird dieser Maßstab beim Betrug zulasten des Dienstherrn nicht angewandt. So wird die Inanspruchnahme von Beihilfeleistungen für eine Handlung gehalten, die in das Amt eingebunden und damit vom dienstlichen Pflichtenkreis eines Beamten umfasst ist (VGH München, Urt. v. 03.05.2017 – 16a D 15.2087).68 Hier wird die Einbeziehung in den innerdienstlichen Pflichtenkreis aus der allgemeinen Wahrheitspflicht oder gesetzlich geregelten Anzeigepflichten abgeleitet:

„Ein Beamter, der im Zusammenhang mit der Gewährung von Fürsorgeleistungen der ihm obliegenden Wahrheitspflicht nicht Rechnung trägt und auf diese Weise seinen Dienstherrn finanziell schädigt, verhält sich in hohem Maße pflichtwidrig. Die Verwaltung ist insbesondere in personalintensiven Einheiten bei ihren Entscheidungen im personellen und fürsorgerischen Bereich auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten angewiesen. Da die Behörde nicht jeden ihrer Beschäftigten sorgfältig überwachen kann, muss sie – auch aus Gründen der Sparsamkeit – bestrebt sein, bei der Betreuung ihrer Bediensteten den personellen und materiellen Aufwand so gering wie möglich zu halten. Hinzu kommt, dass Fürsorgeansprüche in der Regel ihren Grund in dem privaten Bereich des Beschäftigten finden. Solche Vorgänge können von der Dienststelle in der Regel nur eingeschränkt überprüft werden. Der Dienstherr ist deshalb im besonderen Maße darauf angewiesen, dass der Beamte der Wahrheitspflicht Rechnung trägt. Kommt er dieser Verpflichtung schuldhaft nicht nach, begeht er eine Dienstpflichtverletzung mit erheblichem Gewicht“ (BVerwG, Urt. v. 12.09.2000 – 1 D 48.98).

Diese Auffassung wird indes kritisch gesehen. Es werden Wertungswidersprüche erhoben, wenn die private Geltendmachung von Fürsorgeleistungen gegenüber dem Dienstherrn in den (Kern-)Bereich der innerdienstlichen Dienstpflichten einbezogen wird. So darf nach Auffassung des BVerwG von Beamten, die von Amts wegen nicht mit Besoldungsangelegenheiten dienstlich befasst sind, nur ein „besoldungsrechtliches Grundwissen“ erwartet werden (BVerwG, Urt. v. 29.04.2004 – 2 A 5/03). Das OVG Lüneburg nahm eine in diesem Sinne nachvollziehbare Abgrenzung für die Pflichten des Beamten bei Überzahlungen des Dienstherrn vor (OVG Lüneburg, Urt. v. 24.06.2014 – 20 BD 1/14, NdsRpfl 2015, 100). Führt der Beamte eine Überzahlung durch fehlerhafte Angaben und Verletzung der Wahrheitspflicht selbst herbei, liegt ein Dienstvergehen vor. Hingegen bedarf das disziplinarrechtliche Einschreiten einer zusätzlichen Rechtfertigung, wenn die Ursache für die Überzahlung im Bereich des Dienstherrn liegt und der Beamte es nur darauf ankommen lässt, ob der Fehler auch von der zuständigen Behörde entdeckt wird und diese eine Rückforderung veranlasst. Selbst die Annahme grober Fahrlässigkeit versperre in diesem Zusammenhang nur die Berufung auf die Einrede der Entreicherung; eine zusätzliche – disziplinarrechtlich zu ahndende – Pflichtwidrigkeit sei damit nicht verbunden.

Ein Verhalten außerhalb des Dienstes erfüllt den objektiven Tatbestand eines Dienstvergehens nur dann, wenn die besonderen qualifizierenden Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG erfüllt sind. Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.

Beamte sind nicht „immer im Dienst”. Sie können sich als Privatperson so wie ein Durchschnittsbürger verhalten. Beamtinnen und Beamte sind nicht die besseren Bürgerinnen und Bürger, ihr Sozialverhalten muss deshalb nicht wesentlich anders sein, als das von jedem Bürger erwartete (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000 – 1 D 37/99, NJW 2001, 1080). Die Beamtin und der Beamten sind nicht Vorbilder in allen Lebenslagen, die besonderen Anforderungen an Moral und Anstand unterliegen (BVerwG, Urt. v. 25.03.2010 – 2 C 83/08, NVwZ 2010, 1571). Bloße Bagatellverstöße gegen die Wohlverhaltensklausel (§ 34 Satz3 BeamtStG) außerhalb des Dienstes dürfen also nicht disziplinarrechtlich geahndet werden.

Beispiel: Das Vorliegen eines Dienstvergehens bei einer außerdienstlich im Straßenverkehr begangenen fahrlässigen Körperverletzung dürfte daher in aller Regel nicht gegeben sein. Nach einer älteren Entscheidung des BVerwG stellt selbst eine im Straßenverkehr begangene fahrlässige Tötung kein Dienstvergehen dar (BVerwGE 33, 58 – NJW 1968, 858). Auch wenn diese Entscheidung des BVerwG von einem Wehrdisziplinarsenat gefällt wurde, kommt man bei der Übertragung dieser Rechtsprechung auf eine von einem Polizeibeamten begangenen fahrlässigen Körperverletzung zu keinem anderen Ergebnis.69

Außerdienstliches Verhalten hat nur dann disziplinarrechtliche Relevanz, wenn es um die Wahrung des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in die Integrität der Amtsführung geht, d. h. wenn die Funktionsfähigkeit des Dienstes beeinträchtigt ist oder gefährdet werden könnte. Nur insoweit vermag das durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützte Interesse an der Funktionstüchtigkeit des öffentlichen Dienstes die im privaten Bereich des Beamten oder Richters wirkenden Grundrechte einzuschränken. Eine tatsächliche Beeinträchtigung muss allerdings nicht nachgewiesen werden. Durch das private Verhalten muss die amtlich übertragene Aufgabe oder Beziehung zur eigenen Behörde konkret und in besonders bedeutsamer Weise tangiert sein – die Beeinträchtigung des Vertrauens „in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise“ erfolgen. Darunter ist eine beachtliche Intensität des Fehlverhaltens zu verstehen, die eine für die Allgemeinheit markante Wirkung entfaltet. Insofern bezieht sich das Merkmal „in bedeutsamer Weise“ auf den „Erfolg“ der möglichen Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung. Die zur Beeinträchtigung in besonderem Maße geeignete Pflichtverletzung weist diese Bedeutsamkeit dann auf, wenn sie in qualitativer oder quantitativer Hinsicht das einer jeden außerdienstlichen Pflichtverletzung innewohnende Maß an disziplinarrechtlicher Relevanz deutlich überschreitet.

Eine besondere Vertrauensbeeinträchtigung i. S. des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG ist nach dem BVerwG insbesondere anzunehmen bei vorsätzlich begangenen Straftaten sowie bei Vorliegen eines Bezuges zwischen dem außerdienstlichen Pflichtverstoß und dem statusrechtlichen Amt des Beamten (BVerwG, Urt. v. 18.06.2015 – 2 C 9/14, NVwZ 2015, 1680).

Zurückliegend vertrat das BVerwG die Auffassung, dass sich die Beeinträchtigung des Vertrauens entweder auf das Amt des Beamten im konkret-funktionellen Sinne (Dienstposten), d.h. auf die Erfüllung der ihm konkret obliegenden Dienstpflichten, oder auf das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beziehen (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000 – 1 D 37/99, NJW 2001, 108070). Noch 2010 ist der 2. Senat des BVerwG davon ausgegangen, dass sich die Beeinträchtigung der Achtung und des Vertrauens auf das Amt des Beamten im konkret-funktionellen Sinne (also aus dem konkret wahrgenommenen Dienstposten) beziehen müsse (BVerwG, Urt. v. 19.08.2010 – 2 C 5.10, NVwZ 2011, 303: Besitzt ein Lehrer außerdienstlich kinderpornografische Schriften, so ergibt sich die Disziplinarwürdigkeit dieser Pflichtverletzung aus dem Bezug zu seinen dienstlichen Pflichten). Die Rechtsstellung des Beamten wird aber im Wesentlichen durch sein Statusamt geprägt (BVerwG, Urt. v. 11.12.2014 – 2 C 51/13, NVwZ-RR 2015, 465: Die dauerhafte Trennung von Amt und Funktion ist mit dem Anspruch des Beamten auf amtsangemessene Beschäftigung nicht vereinbar). Das Statusamt – nicht der Dienstposten – bestimmt, mit welchem Aufgabenbereich Beamte amtsangemessen beschäftigt und (künftig) verwendet werden können. In der Konsequenz muss die spiegelbildliche Frage, ob der Beamte trotz begangener Pflichtverletzungen noch im Beamtenverhältnis verbleiben kann, daher auf sein Amt als Ganzes und nicht auf die Besonderheiten eines begrenzten Tätigkeitsbereichs bezogen werden. Ansonsten hinge die Möglichkeit der Vertrauensbeeinträchtigung von den Zufälligkeiten des jeweiligen Aufgabenzuschnitts und der Abgrenzung der Dienstposten zum Zeitpunkt der Tatbegehung ab. Der Beamte kann aber jederzeit umgesetzt oder versetzt werden.71 Die Bezugnahme auf das Statusamt folgt auch aus der materiellen Pflichtenstellung in § 34 Satz 3 BeamtStG.

Die Regelung nimmt Bezug auf den Beruf, im Unterschied zu § 34 Satz 2 BeamtStG („… nach bestem Gewissen …“).

Folgerichtig nimmt das BVerwG 2015 eine Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung vor:

(Änderung der Rechtsprechung)BVerwG, Urt. v. 18.06.2015 – 2 C 9/14, NVwZ 2015, 1680

Außerdienstliches Verhalten von Beamten ist nur disziplinarwürdig, wenn es zur Beeinträchtigung des berufserforderlichen Vertrauens führen kann. Dies ist insbesondere bei vorsätzlich begangenen Straftaten sowie bei Vorliegen eines Bezuges zwischen dem Pflichtverstoß und dem Amt des Beamten anzunehmen. Anknüpfungspunkt hierfür ist das Amt im statusrechtlichen Sinn.

Polizeibeamte haben Straftaten zu verhüten, aufzuklären und zu verfolgen; sie genießen in der Öffentlichkeit eine besondere Vertrauens- und Garantenstellung. Das zur Ausübung dieser Ämter erforderliche Vertrauen wird in besonderem Maße beeinträchtigt, wenn Polizeibeamte selbst erhebliche Straftaten begehen.