Diva - Chuck Palahniuk - E-Book

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Chuck Palahniuk

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Beschreibung

Eine alternde Diva und ein Fan, der nur ihr Bestes will: ihre Geschichte – mit dem Tod als Höhepunkt …

Hazie Coogan würde alles für ihre »Miss Kathie« tun. Seit Jahrzehnten kümmert sie sich um die Bedürfnisse der großen Hollywood-Diva. Daher verwundert es nicht, dass auch sie es ist, die Alarm schlägt, als der windige Webster Carlton Westward III. in das Leben der großartigen Katherine Kenton tritt. Denn schnell findet Hazie heraus, dass er nur eines will: seine fünfzehn Minuten Ruhm. In Websters Schublade liegt bereits ein fertig verfasstes Enthüllungsbuch über den Star – inklusive Sterbeszene –, das ihn seinem Ziel näher bringen soll. Doch Hazie Coogan hat sich nicht jahrelang abgemüht, nur um jetzt ihren Star an einen skrupellosen Gigolo zu verlieren. Und sie hat auch schon einen Plan …

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Seitenzahl: 215

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Inhaltsverzeichnis

Widmung1. AKT, ERSTE SZENE1. AKT, ZWEITE SZENE1. AKT, DRITTE SZENE1. AKT, VIERTE SZENE1. AKT, FÜNFTE SZENE1. AKT, SECHSTE SZENE1. AKT, SIEBTE SZENE1. AKT, ACHTE SZENE1. AKT, NEUNTE SZENE1. AKT, ZEHNTE SZENE1. AKT, ELFTE SZENE1. AKT, ZWÖLFTE SZENE1. AKT, DREIZEHNTE SZENE1. AKT, VIERZEHNTE SZENE2. AKT, ERSTE SZENE2. AKT, ZWEITE SZENE2. AKT, DRITTE SZENE2. AKT, VIERTE SZENE2. AKT, FÜNFTE SZENE2. AKT, SECHSTE SZENE2. AKT, SIEBTE SZENE2. AKT, ACHTE SZENE2. AKT, NEUNTE SZENE2. AKT, ZEHNTE SZENE2. AKT, ELFTE SZENE3. AKT, ERSTE SZENE3. AKT, ZWEITE SZENE3. AKT, DRITTE SZENE3. AKT, VIERTE SZENE3. AKT, FÜNFTE SZENE3. AKT, SECHSTE SZENE3. AKT, SIEBTE SZENE3. AKT, ACHTE SZENECopyright

Für E. A. H.

Junge trifft Mädchen. Junge kriegt Mädchen. Junge tötet Mädchen?

1. AKT, ERSTE SZENE

Die erste Szene des ersten Akts beginnt damit, dass Lillian Hellman sich stolpernd durch das dornige nächtliche Unterholz irgendeines deutschen Schwarzwalds wühlt, an jede Zitze ein Judenbaby gedrückt, weitere Säuglinge auf dem Rücken. Lilly kraxelt voran, kämpft sich durchs Brombeergestrüpp, das sich in den Goldstickereien ihres Balenciaga-Pyjamas verfängt, an den schwarzen Samt klammern sich Scharen todgeweihter Babys, die sie vor den Öfen eines Todeslagers der Nazis retten will. Noch mehr unschuldige Knirpse sind an Lillians muskulöse Schenkel geschnallt. Hilflose Juden-, Zigeuner- und Homosexuellenbabys. Nazigestapokugeln pfeifen in der Dunkelheit um sie her, zerfetzen das Laub des Waldes, es riecht nach Schießpulver und Kiefernnadeln. Der aufregende Duft ihres Chanel No. 5. Kugeln und Handgranaten zischen an Miss Hellmans perfekt frisiertem Hattie-Carnegie-Chignon vorbei, so dicht, dass ihre Cartier-Ohrgehänge zersplittern und in einem Regenbogen aus kostbaren Diamanten niederge . Rubinrote und smaragdgrüne Granatsplitter peitschen in die makellose Haut ihrer vollkommenen, bleichen Wangen… Aus dieser Actionsequenz blenden wir über zu:

Neues Bild: das Innere einer vornehmen Sutton-Place- Villa. Ein Haus wie von Billie Burke, ausgestattet von Billy Haines, förmlich gekleidete Gäste sitzen an einem langen Tisch in einem von Kerzen erleuchteten, holzgetäfelten Zimmer. Livrierte Lakaien stehen an den Wänden. Miss Hellman sitzt fast am Kopfende dieser sehr großen Dinnergesellschaft und schildert die hektische Fluchtszene, die wir soeben gesehen haben. Die Kamera fährt langsam über die geprägten Tischkarten mit den Namen der Gäste, ein veritables Who is Who der Geschichte des frühen zwanzigsten Jahrhunderts: Prinz Nikolaus von Rumänien, Pablo Picasso, Cordell Hull und Josef von Sternberg. Die versammelte Prominenz scheint sich von Samuel Beckett über Gene Autry und Marjorie Main bis an den Horizont zu erstrecken.

Lillian unterbricht sich und nimmt einen tiefen Zug an ihrer Zigarette. Bläst den Rauch in Richtung Pola Negri und Adolph Zukor und sagt: »In dieser entsetzlichen Lage wünschte ich mir, ich hätte damals zu Franklin Delano Roosevelt einfach gesagt: ›Nein, vielen Dank.‹« Lilly klopft Zigarettenasche auf ihren Brotteller, schüttelt den Kopf und sagt: »Keine Geheimaufträge für diese Frau.«

Während die Lakaien Wein nachschenken und die Sorbetschüsseln abräumen, schwimmen Lillians Hände durch die Luft, der Rauch ihrer Zigarette schlängelt hinterher, ihre Fingernägel klammern sich um unsichtbares Gezweig, sie kraxelt senkrechte Felswände hoch, ihre Stöckelschuhe bahnen sich einen Schlammpfad in die Freiheit, und nie versagen ihre Kräfte unter der Last dieser kleinen Juden- und Homosexuellenbälger.

Die Augen aller an der langen Tafel sind gebannt auf Lilly gerichtet. Eine Hand kreuzt zwei Finger unter der Damastserviette in jedem Schoß, und jeder Gast betet stumm, Miss Hellman möge ihr Hühnchen Prinz Anatole Demidoff unzerkaut verschlingen, daran ersticken und um sich schlagend auf dem Teppich des Speisezimmers verenden.

Die Augen nahezu aller. Ausgenommen ein Paar veilchenblauer Augen … ein Paar brauner Augen … und natürlich meine eigenen müden Augen.

Der Gedanke zu sterben, bevor Lillian Hellman, der Schrecken einer ganzen Generation, das Zeitliche gesegnet hat. Zu sterben und als Futter für Lillys Mundwerk zu enden. Das ganze Leben und Ansehen eines Menschen zu einem Golem geworden, zu einem Frankenstein -Monster, das Miss Hellman reanimieren und für ihre Zwecke manipulieren kann.

Nach ihren einleitenden Worten wird Lillians Vortrag zu einem dieser Dschungel-Tonspuren, die man im Hintergrund jedes Tarzan-Films hört  – das ewige Geschrei von Tropenvögeln und Johnny Weissmüller und Brüllaffen. Kläff, kläff, kreisch …Emerald Cunard. Kläff, knurr, kreisch …Cecil Beaton.

Lillys Gefasel stellt vermutlich eine bizarre Form des Tourette-Syndroms dar, zwanghaftes Eindruckschinden mit berühmten Namen. Oder es handelt sich um das Endstadium einer ausgesetzten Presseagentin, die von Wölfen großgezogen und gelehrt wurde, laut aus Walter Winchells Kolumnen vorzulesen.

Ihr wahrhaft pathologisches Geschwätz.

Gluck, oink, kläff …Jean Negulesco.

So spinnt Lilly das vierundzwanzigkarätige Gold des wirklichen Lebens anderer Leute in ihr eigenes blechernes Stroh.

Bitte verraten Sie NIEMANDEM, dass Sie das von mir haben.

In Reichweite dieser heldenhaft fliegenden Ellbogen sitzt meine Miss Kathie und starrt aus der Wolkenbank von Zigarettenrauch heraus. Eine Schauspielerin von Katherine-Kenton -Format. Ihre veilchenblauen Augen, zeitlebens gewohnt, nie mit etwas anderem als dem Objektiv einer Filmkamera Kontakt aufzunehmen. Nie einem andern in die Augen zu sehen, sondern sich stets auf Ohrläppchen oder Lippen zu konzentrieren. Trotz solcher Gewohnheiten späht meine Miss Kathie mit flatternden Wimpern den Tisch hinunter. Die schlanken Finger einer berühmten weißen Hand spielen mit den kastanienbraunen Locken ihrer Perücke. Die mit Juwelen geschmückten Finger von Miss Kathies anderer Hand streichen über die sechsreihige Perlenkette, die die Faltenfurchen der schlaffen Haut an ihrem Hals verbergen.

Im nächsten Augenblick, während die Lakaien Fingerschalen reichen, dreht Lillian sich auf ihrem Stuhl, hebt ein unsichtbares Scharfschützengewehr an die Schulter und ballert herum, bis der Ladestreifen leer ist. Immer noch triefend von Hebräer- und Kommunistenbabys. Beladen mit der Fracht semitischer Waisen. Als sie das glühend heiße Gewehr nicht mehr halten kann, stößt Miss Hellman ein wildes Kriegsgeschrei aus und schleudert die dampfende Waffe nach den verfolgenden SA-Männern.

Fauch, kläff, kreisch … Peter Lorre. Oink, kläff, quiek … Averill Harriman.

Es ist ein Schicksal, schlimmer als der Tod, die Ewigkeit als Lilly Hellmans Zombie zu verbringen, zum Leben erweckt für ihre Dinnerpartys. Ihre Radiosendungen. Unterdessen stößt Miss Hellman das nächste Bündel unsichtbarer Babys, gerettete Zigeunerkinder, in Richtung Kronleuchter hoch, als katapultiere sie sie über den schneebedeckten Gipfel des Matterhorns in die sichere Schweiz.

Grunz, heul, quiek …Sarah Bernhardt.

Derweil krallt Lillian Hellman beide Fäuste um den unsichtbaren Hals von Adolf Hitler, führt die Szene auf, wie sie sich, als Leni Riefenstahl verkleidet und mit Schwarzmarktstangen Lucky Strike und Parliament beladen, in seinen unterirdischen Bunker in Berlin eingeschlichen und den schlafenden Diktator im Bett erdrosselt hat.

I-aah, kläff, wieher … Basil Rathbone.

Lilly schmeißt einen imaginierten erschrockenen Hitler mitten auf die heutige Speisetafel, beißt hinein, kratzt ihm mit ihren manikürten Fingernägeln die Naziaugen aus. Sie hält mit beiden Fäusten die unsichtbare Luftröhre umklammert und hämmert den unsichtbaren Führerschädel aufs Tischtuch, dass Besteck und Weingläser klirrend aufspringen.

Kreisch, miau, piep … Wallis Simpson.

Heul, i-aah, quiek … Diana Vreeland.

Kurz vor Hitlers endgültiger Ermordung blickt George Cukor auf, von seinen Fingerspitzen tropft eiskaltes Wasser in seine Fingerschale, es riecht nach frisch aufgeschnittenen Zitronen, und George sagt: »Bitte, Lillian.« Der arme George sagt: »Würdest du bitte damit aufhören.«

Ganz am unteren Ende der Tafel, beim Fußvolk der Branche, bei den Statisten, den Drogenhändlern, den Hypnotiseuren, den exilierten Weißrussen und bei dem armen Lorenz Hart, wirklich am äußersten Horizont der heutigen Essenstafel, hebt ein junger Mann den Blick. Platziert ans hinterste Ende. Seine Augen sind vom hellen Braun einer Vierter-Juli-Sonne, die durch ein großes Glas Rootbeer scheint. Ein amerikanisches Prachtstück. Ein klassisches Antlitz von vollendetem Ebenmaß, ein exakt ausbalanciertes Gesicht, das man in seinen Träumen sieht, wie es einem lächelnd zwischen die Schenkel taucht und sich dort zu schaffen macht.

Aber das ist das Dumme, wenn man nur einen einzigen Blick auf einen Stern am Horizont werfen kann. Wie Elsa Maxwell sagen würde: »Man kann sich niemals sicher sein, ob dieses funkelnde, leuchtende Ding am Aufgehen oder am Untergehen ist.«

Lillian inhaliert das Schweigen durch ihre brennende Zigarette. Klopft die graue Asche auf ihren Brotteller. Stößt Rauch aus und sagt: »Habt ihr gehört?« Sie sagt: »Tatsache, Eleanor Roosevelt hat jedes Haar an meinem Busch einzeln gezählt.«

Zigarettenrauch und Lügen und der Zweite Weltkrieg   – durch das alles hindurch blicken die hellbraunen Augen des Prachtstücks den Tisch entlang, die soziale Leiter hinauf, blicken tief in die berühmten, flackernden veilchenblauen Augen meiner Arbeitgeberin.

1. AKT, ZWEITE SZENE

Wenn Sie gestatten, dass ich kurz vor den Vorhang trete, mein Name ist Hazie Coogan.

Mein Beruf ist nicht der einer bezahlten Gesellschafterin, noch bin ich Haushälterin. Meine Rolle als alte Frau ist die, dass ich dieselben Töpfe und Pfannen schrubbe, die ich bereits als junge Frau geschrubbt habe  – ich habe damit meinen Frieden geschlossen  –, und auch wenn sie diese Töpfe und Pfannen selbst niemals angerührt hat, haben sie doch immer der majestätischen, der ruhmreichen Filmschauspielerin Miss Katherine Kenton gehört.

Es zählt zu meinen Aufgaben, ihr täglich ein weiches Ei zu kochen. Den Linoleumboden ihrer Küche zu bohnern. Das endlose Abstauben und Polieren der nicht unbeträchtlichen Zahl von Nippsachen und des ganzen vergoldeten Plunders, der Miss Kathie verliehen wurde, zählt ebenfalls zu meinen Aufgaben. Aber bin ich Miss Katherine Kentons Dienstmädchen? So wenig, wie der Metzger die Magd des zarten Lamms ist.

Mein Zweck ist es, Ordnung in Miss Kathies Chaos zu bringen … ihre legendären Künstlerkapricen zu disziplinieren. Ich bin die Person, die Lolly Parsons einmal »das Ersatzrückgrat« genannt hat.

Gewiss gehe ich mit dem Staubsauger durch Miss Kathies Haus und gebe die Bestellungen an den Lebensmittelhändler durch, aber meine eigentliche Berufsbezeichnung ist nicht Haushälterin, sondern Organisationsgenie. Es könnte den Anschein haben, Miss Kathie sei meine Arbeitgeberin in dem Sinn, dass sie mir Geld für meine Zeit und Mühen erstattet und dass sie ein müßiges Leben führt, während ich schufte; doch mit derselben Logik könnte man sagen, ein Bauer sei der Angestellte von Junghennen und Steckrüben.

Die elegante Katherine Kenton ist so wenig meine Herrin wie das Klavier der Herr von Ignaz Jan Paderewski ist… um Joseph L. Mankiewicz zu paraphrasieren, der mich paraphrasiert hat, der als Erster die unerhört klugen Dinge gesagt und getan hat, die später anderen Leuten zu Ruhm verholfen haben. In diesem Sinn kennen Sie mich bereits. Wenn Sie gesehen haben, wie Linda Darnell in Mord in der Hochzeitsnacht sich einen Bleistift hinters Ohr steckt, haben Sie mich gesehen. Das hat die Darnell von mir geklaut. Genau wie Barbara Lawrence, wenn sie in Oklahoma ihr Eselschrei-Lachen ausstößt. So viele große Schauspielerinnen haben meine wirkungsvollsten Eigenarten abgekupfert und von meinem absolut treffsicheren Spiel gelernt, dass Sie zwangsläufig irgendetwas von mir in Rollen von Alice Faye und Margaret Dumont und Rise Stevens gesehen haben. Teilaspekte von mir  – eine hochgezogene Augenbraue, eine nervöse Hand, die an der Schnur eines Telefonhörers herumzwirbelt  – kennen Sie aus zahllosen alten Filmen.

Mir entgeht nicht die Ironie der Tatsache, dass ich mit den roten Knien einer Putzfrau und den geschwollenen Händen eines Spülmädchens herumlaufe, während Eleanor Powell sich meiner vielen Schleifchen als modisches Markenzeichen bedient. Kein geringerer berühmter Scherzkeks als Darryl Zanuck hat mich einmal abfällig mit Clifton Webb im Schottenrock verglichen. Mervyn LeRoy streute das Gerücht, ich sei das verheimlichte uneheliche Kind von Wally Berry und seiner oftmaligen Filmpartnerin Marie Dressler.

Zu den regelmäßigen Aufgaben meiner Stellung zählt unter anderem das Abtauen von Miss Kathies elektrischem Kühlschrank und das Bügeln ihrer Bettbezüge, doch ist meine Stellung nicht die einer Wäscherin. Mein Beruf ist nicht der einer Köchin, meine Berufung nicht die einer Hausdienerin. Mein Leben wird viel weniger von Katherine Kenton gelenkt als das ihre von mir. Miss Kathies tägliche Anforderungen und Bedürfnisse mögen mein Handeln bestimmen, aber nicht mehr als die Leistungsgrenzen eines Rennwagens das Verhalten des Fahrers bestimmt.

Ich bin nicht bloß eine Frau, die in einer Fabrik daran arbeitet, die allzeit hinreißende Katherine Kenton zu produzieren. Ich bin die Fabrik selbst. Mit den Worten, die ich hier schreibe, bin ich nicht nur Kamerafrau, ich bin das Objektiv  – ich beschönige, akzentuiere, verzerre  – und zeichne auf, wie die Welt meine kokette Miss Kathie in Erinnerung behalten wird.

Aber ich bin nicht bloß eine Zauberin. Ich bin die Quelle.

Miss Kathie macht sich nur sehr wenig Mühe, sie selbst zu sein. Der Großteil dieser Handarbeit wird von mir geleistet, zusammen mit einer Phalanx von Perückenmachern, Schönheitschirurgen und Diätspezialisten. Seit ihren frühesten Zeiten im Studio habe ich meinen Lebensunterhalt damit verdient, ihr oft blondes, manchmal brünettes, gelegentlich rotes Haar zu kämmen und zu frisieren. Ich trainiere ihre affektierte Sprechweise, damit jede ihrer Äußerungen sich wie eine eigens für sie geschriebene Dialogzeile von Thornton Wilder ausnimmt. Nichts an Miss Kathie ist angeboren, abgesehen von der fast übernatürlichen Veilchenfarbe ihrer Augen. Ihre Pflicht ist es, ihren Thron im selben eisigen Pantheon neben Greta Garbo und Grace Kelly und Lana Turner einzunehmen, meine Pflicht ist es, sie da hinaufzuhieven.

Jede gut ausgebildete Hausdienerin sollte danach streben, unsichtbar zu bleiben, so auch jeder gute Puppenspieler. Unter meiner Herrschaft scheint Miss Kathies Haushalt wie von allein zu laufen, sie scheint ihr Leben im Griff zu haben.

Meine Stellung ist nicht die einer Pflegerin oder eines Hausmädchens oder einer Sekretärin. Ich diene auch nicht als professionelle Therapeutin oder Chauffeuse oder Leibwächterin. Doch obgleich meine Berufsbezeichnung nichts von alldem ist, erfülle ich alle diese Aufgaben. Jeden Abend ziehe ich die Vorhänge zu. Führe den Hund aus. Verschließe die Türen. Stelle das Telefon ab, damit die Außenwelt bleibt, wo sie hingehört. Mehr und mehr besteht jedoch meine Aufgabe darin, Miss Kathie vor sich selbst zu schützen.

Schnitt zu einer Innenaufnahme, nachts. Wir sehen das üppige Boudoir der Katherine Kenton unmittelbar nach der heutigen Dinnerparty, wir sehen die Tür des Badezimmers, hinter der Miss Kathie eingeschlossen ist. Wir hören das Zischen und Prasseln einer voll aufgedrehten Dusche.

So gern darüber spekuliert wird, erfreuen Miss Katherine Kenton und ich uns nicht dessen, was Walter Winchell eine »fingertiefe Freundschaft« nennen würde. Und wir geben uns auch nicht Verhaltensweisen hin, die Confidential berechtigen würden, uns als »Biberpelzfreundinnen« zu brandmarken oder, mit einem Wort von Hedda Hopper, als »Leckschwestern« zu bezeichnen. Zu meinen Aufgaben gehört es, in das Cloisonné-Schälchen auf Miss Kathies Nachttisch eine Nembutal und eine Luminal zu legen. Des Weiteren, ein altmodisches Glas bis über den Rand mit Eiswürfeln zu füllen und tröpfchenweise 2cl Whiskey auf das Eis zu geben. Das Ganze mit weiteren 2cl Whiskey zu wiederholen. Und schließlich den Rest des Glases mit Selters aufzufüllen.

Bei dem Nachttisch handelt es sich bloß um einen Stapel Drehbücher. Der schwankende Turm wurde von Ruth Gordon und Garson Kanin eingeschickt, zusammen mit der Bitte an Miss Kathie, sie möge ein Comeback erwägen. Genaugenommen haben sie darum gebettelt. Darunter waren spekulative Broadway-Musicals, in denen die Darsteller als Dinosaurier oder Emma Goldman verkleidet auftraten. Abendfüllende Zeichentrickversionen von William Shakespeares Macbeth mit Tierbabys als Helden. Reine Sprechrollen. Angepriesen als: Bertolt Brecht plus Lerner und Loewe geteilt durch Eugene O’Neill. Die Blätter gelb und wellig und voller Flecken von schottischem Whiskey und Zigarettenrauch. Das Papier übersät mit den braunen Ringen, die jede einzelne Tasse mit Miss Kathies schwarzem Kaffee hinterlassen hat.

Wir wiederholen dieses Ritual jeden Abend nach den Dinnerpartys oder Premieren, die Miss Kathie besucht. Wenn sie in ihr Stadthaus zurückkommt, öffne ich das Häkchen am Kragen ihres Kleids und ziehe den Reißverschluss auf. Mache den Fernseher an. Wechsle den Sender. Wechsle den Sender noch einmal. Kippe den Inhalt ihres Abendtäschchens auf die Satindecke ihres Betts, Miss Kathies Helena-Rubinstein-Lippenstift, Schlüssel, Kreditkarten, und befördere das alles in ihre Tagestasche. Ich stecke die Schuhspanner in ihre Schuhe. Befestige ihre kastanienbraune Perücke an ihrem Styropor-Kopf. Als Nächstes entzünde ich die Vanilleduftkerzen auf dem Sims ihres Schlafzimmerkamins.

Während Miss Kathie sich im Rauschen und Dampfen der Dusche aufführt, dröhnt ihre Stimme durch die Badezimmertür: kläff, muh, miau … William Randolph Hearst. Knurr, quiek, zwitscher …Anita Loos.

Mitten auf der Satindecke räkelt sich ihr Pekinese Loverboy zwischen zerknüllten Bonbonpapierchen, den zwei Papphälften einer herzförmigen Bonbonschachtel, den daraufgehefteten plissierten rosa Rosen aus Brokat und Seide und den gerüschten Spitzen an den Schachtelrändern. Die wogende rote Satindecke, ein einziges Durcheinander aus Bonbonpapierchen und dem sich räkelnden Pekinesen.

Aus Miss Kathies Abendtäschchen fällt ihr Feuerzeug, ein Päckchen Pall Mall, ihre winzige, mit Rubinen und Turmalinen besetzte Pillendose, in der Tuinal und Dexamyl klappern. Kläff, gluck, quiek … Nembutal.

Brüll, wieher, oink … Seconal.

Miau, zwitscher, muh … Demerol.

Dann flattert ein weißes Kärtchen heraus. Landet auf dem Bett, eine geprägte Tischkarte vom Essen dieses Abends. Auf der weißen Karte steht in fetten schwarzen Lettern der Name Webster Carlton Westward III.

Ein »Hollywood-Leben«, wie Hedda Hopper diesen Augenblick nennen würde, erlischt.

Standbild. Nahaufnahme der kleinen weißen Karte auf dem Satin neben dem reglosen Hund.

Im Fernsehen spielt Miss Kathie die Rolle der spanischen Königin Isabella I., die ihren königlichen Pflichten in der Alhambra entlaufen ist, um einen Kurzurlaub in Miami Beach einzulegen, wo sie sich als einfache Zirkustänzerin ausgibt, um das Herz von Christoph Columbus zu erobern, der von Ramón Novarro gespielt wird. Schnitt. Gastauftritt von Lucille Ball, ausgeliehen von Warner Bros., die hier Miss Kathies Rivalin Königin Elisabeth I. spielt.

Hier haben wir die ganze Geschichte des Westens, interpretiert vom Luder William Wylers.

Hinter der Badezimmertür, im Sturzbach heißen Wassers, sagt meine Miss Kathie: Kläff, i-aah, oink … J. Edgar Hoover. Ich spitze die Ohren, damit mir nichts von ihrem Geschwätz entgeht.

Fransen baumeln vom Rand der Satindecke, vom Betthimmel, vom Fenstervolant. Alles mit rotem Samt gepolstert, Rippensamt. Beflockte Tapeten. Die Wände scharlachrot, gepolstert und mit Zierknöpfen, und überall Louis-XIV-Spiegel. Die Lampen behängt mit facettierten Kristallen, hektisch funkelndem Flitterkram. Der Kamin, geformt aus rosa Onyx und Rosenquarz. Die Gesamtwirkung gedämpft und lautlos, als schliefe man tief im Innern der Vagina von Mae West.

Das Himmelbett, Zierleisten und Seitenbretter rot lackiert und poliert, bis das Holz nass aussieht. Und auf dem Bett die Bonbonpapierchen, der Hund, die Tischkarte.

Webster Carlton Westward III, das amerikanische Prachtstück mit den hellbraunen Augen. Rootbeer-Augen. Der junge Mann, der beim Essen heute Abend so weit unten am Tisch gesessen hat. Eine Telefonnummer, handschriftlich, Vorwahl von Murray Hill.

Im Fernsehen durchschreitet Joan Crawford die Tore von Madrid, sie trägt ein durchsichtiges Haremsgewand und mit beiden Händen einen Weidenkorb, der von Kartoffeln und kubanischen Zigarren überquillt, ihre unbekleideten Arme und Beine und ihr Gesicht sind schwarz bemalt, um anzudeuten, dass sie eine erbeutete Maya-Sklavin ist. Unterschwellig soll das heißen, entweder hat Crawford Syphilis, oder sie ist insgeheim Kannibalin. Verdorbene Überreste der Neuen Welt. Eine Konkubine. Vielleicht ist sie Aztekin.

Das leichte Anheben einer nackten Schulter, Crawfords geringschätziges Achselzucken: noch ein Markenzeichen, das man mir geklaut hat.

Über dem Kamin hängt ein von Salvatore Dalí gemaltes Porträt von Miss Katherine; es erhebt sich aus einem Dickicht geprägter Einladungskarten und in Silber gerahmter Fotografien von Männern, die Walter Winchell »das Meer der Verflossenen« bezeichnen würde. Exgatten. Das Porträt meiner Miss Kathie, überrascht nach oben gewölbte Augenbrauen, die schweren Wimpern jedoch gesenkt, die Lider vor Langeweile fast geschlossen. Sie hält die Hände an ihre berühmten Wangenknochen, die gespreizten Finger verlieren sich in ihrer hochgesteckten kastanienbraunen Filmstarfrisur. Ihr Mund ein Mittelding zwischen Lachen und Gähnen. Valium und Dexedrine. Zwischen Lillian Gish und Tallulah Bankhead. Das Porträt erhebt sich aus den Einladungen und Fotografien, kommenden Partys und vergangenen Ehen; von flackernden Kerzen und halbtoten Zigaretten, ausgedrückt in Kristallaschenbechern, kräuseln sich weihrauchgleich weiße Rauchfäden nach oben. Der Altar meiner Katherine Kenton.

Und ich die ewige Hüterin dieses Schreins. Nicht so sehr Dienerin als vielmehr Hohepriesterin.

In, wie Winchell sagen würde, »einer New Yorker Minute« trage ich die Tischkarte zum Kamin. Halte sie in eine Kerzenflamme, bis sie Feuer fängt. Mit einer Hand greife ich in den Kamin, tief in die offene Höhlung aus rosa Onyx und Rosenquarz hinein, taste im Dunkeln, bis meine Finger den Schieber finden und aufreißen. Ich halte die weiße Karte, Webster Carlton Westward III, drehe ihn im Zug des Kamins hin und her und sehe zu, wie die Flamme Namen und Telefonnummer frisst. Der Geruch von Vanille. Die Asche rieselt auf den kalten Kaminboden.

Im Fernsehen treten Preston Sturges und Harpo Marx als Tycho Brahe und Kopernikus auf. Ersterer erklärt, die Erde kreise um die Sonne, Letzterer beharrt darauf, dass die Welt sich in Wahrheit um Rita Hayworth drehe. Der Film heißt Armada der Liebe und wurde voriges Jahr von David O. Selznick auf dem Außengelände von Universal gedreht, als jeder zweite Song im Radio »Bewitched, Bothered and Bewildered« von Helen O’Connell und der Jimmy-Dorsey-Band war.

Die Badezimmertür schwingt auf, und Miss Kathies Stimme sagt: Kläff, fiep, gack-gack … Maxwell Anderson. Ein weißes Badetuch als Turban um ihr Katherine-Kenton -Haar. Eine Maske aus Avocadobrei und Gelée Royal auf ihrem Gesicht. Meine Miss Kathie zieht den Gürtel ihres Bademantels stramm und sieht nach dem Lippenstift auf ihrem Bett. Feuerzeug und Schlüssel und Kreditkarten. Das leere Abendtäschchen. Ihr Blick schwebt zu mir am Kamin, verweilt bei den Kerzenflammen, die unter ihrem Porträt hochlecken, dem »Meer der Verflossenen«, den Einladungen, all diesen künftigen Verpflichtungen, sich zu amüsieren, und  – natürlich  – den Blumen.

Auf dem Kaminsims, dem Altar, stehen immer genug Blumen für eine Honeymoon-Suite oder eine Beerdigung. Heute Abend ein gewaltiges Arrangement aus weißen Sommerastern, weißen Lilien und gelben Orchideen, frisch und munter wie ein Schwarm Schmetterlinge.

Miss Kathie wischt mit einer Hand Lippenstift und Schlüssel und Zigarettenpackung beiseite, setzt sich zwischen die Bonbonpapiere auf die Satindecke und sagt: »Hast du gerade etwas verbrannt?«

Katherine Kenton gehört zu der Generation von Frauen, die in der Erektion des Mannes die einzige aufrichtige Form von Schmeichelei erblicken. Heutzutage, erkläre ich ihr, sind Erektionen weniger ein Kompliment als vielmehr das Ergebnis eines medizinischen Durchbruchs. Transplantierte Affendrüsen oder eine dieser neuen Wunderpillen.

Als ob Menschen  – insbesondere Männer  – noch eine neue Art zu lügen nötig hätten.

Ich frage, ob sie was verlegt hat?

Ihre veilchenblauen Augen schweben zu meinen Händen. Sie tätschelt ihren Pekinesen Loverboy, zieht eine Hand durch sein langes Fell und sagt: »Ich habe es so satt, mir meine Blumen selbst zu kaufen …«

Meine Hände, schwarz verschmiert und verdreckt vom Griff des Kaminschiebers. Beschmutzt mit Ruß von der verbrannten Tischkarte. Ich wische sie an meinem Tweedrock ab. Ich sage, ich hätte bloß etwas Müll verbrannt. Nur ein unbedeutendes Stück wertlosen Mülls den Flammen übergeben.

Im Fernsehen kniet Leo G. Carroll vor Betty Grable, die ihn zu Kaiser Napoleon Bonaparte krönt. Papst Paul IV. ist Robert Young. Barbara Stanwyck spielt eine Kaugummi kauende Jeanne d’Arc.

Meine Miss Kathie sieht sich selbst, sieben Scheidungen zuvor  – was Winchell »Reno-vierungen« nennen würde  – und drei Gesichtsstraffungen zuvor, wie sie ihre Lippen an Novarros Lippen reibt. Ein Typus, den Winchell einen »wilden Mann« nennen würde. Wie Dorothy Parker s Ehemann Alan Campbell, ein Mann, den Lillian Hellman ein »schwules Arschloch« nennen würde. Miss Kathie streichelt ihren Pekinesen mit trägen Bewegungen und sagt: »Sein Speichel hat geschmeckt wie die feuchten Schwänze von zehntausend einsamen Lastwagenfahrern.«

Der Nachttisch an ihrem Bett, erbaut aus tausend hoffnungsvollen Träumen, dieser Drehbuchstapel trägt zwei Barbiturate und einen doppelten Whiskey. Miss Kathies Hand hört auf, die Hundeschnauze zu streicheln; dort ist das Fell dunkel und verfilzt. Sie zieht den Arm zurück, und das Handtuch gleitet von ihrem Kopf, ihr Haar fällt herab, schlaff und grau, rosa Kopfhaut zwischen den Wurzeln. Die grüne Maske ihres Avocadogesichts zerspringt vor Überraschung.

Miss Kathie betrachtet ihre Hand, und Finger und Handfläche sind rot verschmiert und triefen dunkelrot.

1. AKT, DRITTE SZENE

Katherine Kenton hat ein Houdini-Leben geführt. Als Entfesselungskünstler. Alles unwichtig … Ehen, Irrenhäuser, wasserdichte Studioverträge mit Pandro Berman. Meine Miss Kathie ließ sich gern binden, weil es ein so großartiger Triumph war, im letzten Moment den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Das Juristengeschwätz zu torpedieren, das sie zu miserablen Gastspielreisen mit Red Skelton verpflichtete. Als der Hurrikan Hazel näher rückte. Oder als sie im achten Monat war, geschwängert von Huey Long. Immer ergriff meine Miss Kathie Sekunden bevor es zu spät war die Flucht.

Hier wollen wir langsam zu einer Rückblende überblenden. In das Jahr, als jeder zweite Song im Radio »How Much Is That Doggy in the Window?« von Patti Page war. Die Szene zeigt eine Küche im Parterre des eleganten Stadthauses von Katherine Kenton; an der hinteren Bühnenwand: ein Elektroherd, ein Kühlschrank, eine Tür nach draußen, ein staubiges Fenster in besagter Tür.

Im Vordergrund sitze ich bei Tageslicht auf einem weiß gestrichenen Küchenstuhl, die Füße auf einen ähnlichen Tisch gelegt, die Beine an den Knöcheln gekreuzt, einen dicken Stoß Papier in der Hand. Ein Zettel flattert, gehalten von einer Heftklammer am Titelblatt. Auf dem Zettel steht in steiler Handschrift: Lass dir das auf der Zunge zergehen, solange es noch nach meinen Schweißtropfen und Lenden riecht. Unterschrift: Lillian Hellman.

Aber natürlich handelt es sich weniger um eine Unterschrift als vielmehr um Lillys Autogramm.

Auf Seite eins des Drehbuchs zerbricht sich Robert Oppenheimer den Kopf über die beste Methode zur Beschleunigung der Teilchendiffusion, bis Lillian eine Lucky Strike ausdrückt, ein Glas Dewar’s Whiskey hinunterstürzt und Oppenheimer von der verästelten Gleichung wegstößt, die er mit Kreide an eine große Tafel geschrieben hat. Mit Spucke und ihrem Augenbrauenstift von Max Factor korrigiert Lilly die Geschwindigkeit der Spaltung angereicherten Urans, und Albert Einstein schaut ihr zu. Einstein schlägt sich mit einer Hand an die Stirn und sagt: »Lilly, mein Liebchen, du bist ein Genie!«

Etwas klopft von draußen an das Fenster in der Küchentür. Ein Vögelchen, es pickt. Die Spitze von etwas tock-tock-tockt an das Glas. In der Abendsonne schwebt draußen vor dem staubigen Fenster der Schatten von etwas, die leuchtende Spitze pickt und hackt winzige Grübchen in die Außenfläche der Scheibe. Ein verirrter Vogel, der in der Kälte verhungert. Gräbt und hackt winzige Löcher.