Doing Fach.Didaktik -  - E-Book

Doing Fach.Didaktik E-Book

0,0

Beschreibung

"Doing Fach.Didaktik" beleuchtet das Zusammenspiel von Fachwissenschaft und Fachdidaktik, wie es in der Ringvorlesung an der Universität Innsbruck initiiert wurde. Der Sammelband bietet spannende Einblicke in aktuelle Forschung und Praxis, von inter- und transkulturellem Lernen über innovative Medien wie Instapoetry bis hin zur Aufgabenorientierung im Sprachunterricht. Die Autor:innen vereinen wissenschaftliche Tiefe mit praxisnahen Ansätzen und stellen so wertvolle Impulse für Lehrkräfte, Studierende und Verantwortliche in der Lehrer:innenbildung bereit. Ob Mehrsprachigkeit, Literatur oder neue Medien - dieses Buch zeigt, wie Theorie und Praxis Hand in Hand gehen, um Bildung zukunftsfähig zu gestalten. Ein Muss für alle, die Fachdidaktik mitgestalten möchten!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 445

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Birgit Mertz-Baumgartner / Wolfgang Stadler (Hrsg.)

Doing Fach.Didaktik

Wissen. Lehren. Verbinden  unter Mitarbeit von Paul Valentin Mayr

Umschlagabbildung: iStock-679719236, © TasiPas

 

Diese Publikation wurde mit finanzieller Unterstützung des Vizerektorats für Forschung, des Dekanats der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät und des Dekanats der Fakultät für LehrerInnenbildung sowie des Forschungsschwerpunkts „Kulturelle Begegnungen – Kulturelle Konflikte“ gedruckt.

 

DOI: https://doi.org/10.24053/9783381135622

 

© 2025 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

ISBN 978-3-381-13561-5 (Print)

ISBN 978-3-381-13563-9 (ePub)

Inhalt

Zwei Grußworte der DekanInnen und StudiendekanInnen zu BeginnVorwort der HerausgeberInnenLiteraturverzeichnisDie AutorInnenTeil I  Inter- und transkulturelle Kompetenzen entwickeln. Literarische Texte, Songs und Geschichten1 Mehrsprachig lesen und lernen! Mehrsprachigkeit als Gegenstand, Gestaltungsverfahren und Ziel des fremdsprachlichen Literaturunterrichts1 Einleitung – Mehrsprachigkeit als (unerfülltes) Ziel, Gegenstand und Gestaltungsverfahren des Fremdsprachenunterrichts2 Literatur und Mehrsprachigkeitsförderung3 Das spezifische Potenzial mehrsprachiger Literatur am Beispiel der Chicano/a-Lyrik4 Der Einsatz mehrsprachiger Chicano/a-Texte im Englischunterricht: Vorstellung des Untersuchungsdesigns5 Die ‚fremde‘ und ‚eigene‘ Mehrsprachigkeit als Gegenstand des Englischunterrichts6 Mit kreativen Schreibanlässen den Fremdsprachenunterricht mehrsprachig (mit)gestalten7 Fazit8 Literaturverzeichnis2 Populärmusik als Vermittlungsmöglichkeit literarischer, audiovisueller und (trans)kultureller Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht Italienisch1 Einleitung2 Wichtige Konzepte der (zeitgenössischen) Populärmusikforschung. Text–Musik–Interpretation3 Beispiele neapolitanischer Populärmusik aus fachwissenschaftlicher Perspektive4 Canzone napoletana im Fremdsprachenunterricht Italienisch5 Konklusion6 Literaturverzeichnis7 Diskographie3 When Opossum Rhymes with Blossom – Intercultural Learning and Literature in English as a Foreign Language1 Introduction2 Theoretical underpinnings3 Research project4 Conclusion5 ReferencesTeil II  Mit alten und neuen Medien lernen. Theater, Film, Instapoetry4 Back to School: Joseph Reschs neulateinische Dramen als Chance für den Lateinunterricht1 Mittel- und neulateinische Texte in der Schule: Der Status quo2 Neulateinisches Theater und Schule3 Das Projekt Brixner Schultheater im 18. Jahrhundert: Edition und Übersetzung der neulateinischen Dramen von Joseph Resch4 Joseph Reschs Rückkehr an die Brixner Schule5 Abschließende Betrachtung6 Literaturverzeichnis5 Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus: Was Spielfilme dazu beitragen können1 Einleitung2 Filmvermittlung als Teil der Kritischen Fremdsprachendidaktik3 Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht – Ein Tabuthema?4 Sprechen über Krieg und Konflikt am Beispiel von Mandariinid (2013)5 Zusammenfassung und Ausblick6 Film- und Literaturverzeichnis7 Abbildungsverzeichnis8 Lösungsschlüssel6 Affordanz, Transliteracy und Multimodale AutorInnenschaft: Instapoetry im Fremdsprachenunterricht1 Einleitung2 Transliteracy3 Instapoetry4 (Didaktische) Affordanzen von Instagram5 Konklusion6 LiteraturverzeichnisTeil III  Sprache(n) lernen. Materialentwicklung und Aufgabenorientierung7 Die russische Umgangssprache im typologischen Vergleich und im Klassenzimmer1 Einleitung2 Phonetik – Phonologie3 Morphologie4 Lexik5 Syntax6 Die russische Umgangssprache im Unterricht7 Die russische Umgangssprache außerhalb des Lehrbuchs8 Ein Fallbeispiel9 Zusammenfassung10 Literaturverzeichnis8 Phraseodidaktik goes Aufgabenorientierung: Einblicke in die kollaborative Entwicklung korpusbasierter Lernmaterialien für das Italienische1 Einleitung2 Geschichte und Status Quo der Phraseodidaktik3 Aufgabenorientierung und Phraseodidaktik4 Ein konkretes Beispiel – Das Lernmaterial Facciamo bella figura!5 Konklusion und weiterführende Perspektiven6 Literaturverzeichnis9 Tasks in the foreign language classroom. A potential for an interdisciplinary perspective on language education?1 Introduction2 Theoretical background3 Task-based language teaching as a potential for interdisciplinarity?4 Tasks in second language acquisition research5 Focus on form in the foreign language classroom6 Tasks with a developmentally moderated focus on form7 Conclusion8 ReferencesTeil IV  Lehrkräftebildung – quo vadis?10 Fachdidaktik, Fachwissenschaft, Fachlichkeit1 Einleitung2 Das didaktische Missverständnis in zwei Vignetten3 Ein strukturtheoretischer Bestimmungsversuch4 Fachdidaktik, Fachwissenschaft, Fachlichkeit5 Interdidaktische Kaffeepause6 Literaturverzeichnis

Zwei Grußworte der DekanInnen und StudiendekanInnen zu Beginn

Die Gründung der Fakultät für LehrerInnenbildung (damals noch unter dem Namen „School of Education“) als 16. Fakultät im Oktober 2012 hob das Lehramtsstudium und die LehrerInnenbildung an der Leopold-​Franzens-​Universität Innsbruck auf ein neues Level. Sie war ein klares Bekenntnis zur großen Bedeutung dieses Lehr- und Forschungsbereichs für unsere Alma Mater. Zuvor integrales Element von anderweitig fachwissenschaftlich ausgerichteten Studien, Instituten und Fakultäten, erlangte die LehrerInnenbildung nun eine weithin sichtbare institutionelle Eigenständigkeit. Damit waren viele Vorteile, aber auch Herausforderungen verbunden. Eine davon bestand darin, die für eine erfolgreiche LehrerInnenausbildung substanzielle Verknüpfung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik trotz der nun bestehenden organisatorischen Trennung beider Bereiche aufrechtzuerhalten und zu verbessern. Ein gutes Zusammenspiel von Fach- und Fachdidaktiklehrenden ist für das Lehramtsstudium unerlässlich.

Genau diese Intention liegt der im Wintersemester 2022/23 abgehaltenen Ringvorlesung „Doing.Fachdidaktik“ zugrunde, aus der die vorliegende Publikation entstanden ist. Die Initiative ging von Wolfgang Stadler aus, dem es aufgrund seines Engagements sowohl im Bereich der Russischen Sprachwissenschaft als auch der Fachdidaktik sowie durch sein Wirken als Dekan der Fakultät für LehrerInnenbildung von 2017 bis 2021 immer wieder gelang, Brücken zu bauen und die Bedeutung der Kooperation von Fachwissenschaft und (Fach-)Didaktik in besonderem Maße sichtbar zu machen.

In einer intensiven und ausgesprochen konstruktiven Vorbereitungsphase erarbeiteten KollegInnen aus beiden Bereichen ein Konzept für diese interfakultäre Lehrveranstaltung. Gewählt wurde schließlich das Format von Tandemvorträgen, gemeinsam bestritten von VertreterInnen verschiedener Unterrichtsfächer. Diese Zusammenarbeit machte die Verknüpfung von Fach und Fachdidaktik in ganz unterschiedlichen Teilgebieten von Sprache, Kultur und Literatur sowohl für die Studierenden als auch die Vortragenden selbst in intensiver Weise erlebbar.

Als VertreterInnen der Fakultät für LehrerInnenbildung und der Philologisch-​Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck möchten wir allen OrganisatorInnen und Mitwirkenden dieser Ringvorlesung sehr herzlich für ihr Engagement danken.

Ganz besonderer Dank gilt aber den AutorInnen der einzelnen Beiträge dieses Sammelbandes. Ist es hier doch gelungen, den interdisziplinären Diskurs, der eine Volluniversität auszeichnet, festzuhalten und für die Weiterentwicklung des Lehramtsstudiums an der Universität Innsbruck nutzbar zu machen.

 

UNIV.-PROF. DR. SUZANNE KAPELARI MA

Dekanin der Fakultät für LehrerInnenbildung (seit 2021)

 

UNIV.-PROF. DR. MARTINA KRAML

Studiendekanin der Fakultät für LehrerInnenbildung (2019-2024)

 

UNIV.-PROF. DR. SEBASTIAN DONAT

Dekan der Philologisch-​Kulturwissenschaftlichen Fakultät (2013-2024)

 

ASS.-PROF. DR. GERHARD PISEK

Studiendekan der Philologisch-​Kulturwissenschaftlichen Fakultät (2013-2024)

 

Mit großer Freude dürfen auch wir Ihnen das Buch Doing Fach.Didaktik präsentieren, das aus einer interdisziplinären und interfakultären Ringvorlesung entstanden ist. Diese Veranstaltungsreihe bot den Studierenden die wertvolle Gelegenheit, über den Tellerrand ihrer eigenen Fachrichtung hinauszuschauen, ein tieferes Verständnis der komplexen Zusammenhänge zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zu bekommen und ihnen neue Perspektiven und Herangehensweisen zu eröffnen.

Der vorliegende Band vereint nun eine Vielzahl an Themen, die die Breite und Tiefe der aktuellen fachwissenschaftlichen und didaktischen Forschung widerspiegeln. Von der Populärmusik als Vermittlungsmöglichkeit literarischer, audiovisueller und (trans)kultureller Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht bis hin zur Analyse der russischen Umgangssprache im typologischen Vergleich und im Klassenzimmer – jede Arbeit in diesem Buch zeigt eindrucksvoll, wie fachdidaktische Ansätze und Innovationen den Bildungsprozess bereichern und vertiefen können.

Ein besonders spannendes Kapitel widmet sich der Rolle von Spielfilmen im Fremdsprachenunterricht. Hier wird aufgezeigt, wie diese nicht nur sprachliche Fähigkeiten fördern, sondern auch eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg ermöglichen. Ebenso beleuchten Beiträge wie „Tasks in the foreign language classroom. A potential for an interdisciplinary perspective on language education?“ und „Phraseodidaktik goes Aufgabenorientierung“ die Bedeutung von Aufgabenkultur und die kooperative Entwicklung digitaler korpusbasierter Lernmaterialien.

Wir sind überzeugt, dass die Verbindung von Literatur- und Mehrsprachigkeitsdidaktik sowie die Untersuchung von inter- bzw. transkulturellem Lernen im Fremdsprachenunterricht zu einem umfassenderen Verständnis und einer tieferen Wertschätzung der Vielfalt und Komplexität des Lehrens und Lernens beitragen.

Besonders erwähnenswert ist auch der Beitrag zu Reschs neulateinischen Dramen als Chance für den Lateinunterricht, der aufzeigt, wie historische Texte und moderne didaktische Ansätze eine fruchtbare Symbiose eingehen können.

Das vorliegende Buch Doing Fach.Didaktik verbindet auf eindrucksvolle Weise Fachwissenschaft und Fachdidaktik. Die Beiträge machen die vielfältigen Verflechtungen dieser beiden Bereiche anhand ganz unterschiedlicher Gegenstände sichtbar und zeigen die Besonderheiten, Chancen und auch die Grenzen interdisziplinären Denkens und Arbeitens auf. Damit wird deutlich, dass die Zusammenarbeit über Disziplingrenzen hinweg nicht nur Herausforderungen, sondern auch sehr viele Chancen mit sich bringt. Diese interdisziplinären Begegnungen bieten eine reichhaltige Diskussionsbasis und Anlässe, um über die zukünftige Gestaltung von Studiengängen und Modulen in curricularen und außercurricularen Settings nachzudenken.

Wir danken allen KollegInnen, die durch ihre Expertise und ihr Engagement zum Gelingen dieser Publikation beigetragen haben, und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, für Ihr Interesse und Ihre Unterstützung.

Mögen die Ringvorlesung und der nunmehr vorliegende Band als inspirierende Grundlage für weitere Diskussionen dienen und impulsgebende Ausgangpunkte für eine Reihe sein, die weiterhin den interdisziplinären Diskurs zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik an zwei Fakultäten in Lehre und Forschung fördert und aufzeigt.

 

MAG. DR. ELISABETH DE FELIP-​JAUD

Studiendekanin der Philologisch-​Kulturwissenschaftlichen Fakultät (seit 2024)

 

UNIV.-PROF. MAG. DR. JÜRGEN FUCHSBAUER

Dekan der Philologisch-​Kulturwissenschaftlichen Fakultät (seit 2024)

Vorwort der HerausgeberInnen

Im WS 2022/23 fand an der Universität Innsbruck erstmals eine Ringvorlesung zum Thema „Doing.Fachdidaktik“ statt, die von zwei Fakultäten, der Philologisch-​Kulturwissenschaftlichen Fakultät und der Fakultät für LehrerInnenbildung organisiert wurde. Ziel dieser Vorlesung war es, durch eine bewusste Verknüpfung von Fach und Fachdidaktik und die Synthese von Forschungsinteressen die Kooperation zwischen FachwissenschafterInnen und FachdidaktikerInnen an den beiden Fakultäten zu stärken und für die universitäre Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Dieses Vorgehen beobachten wir auch an anderen Universitäten: 2016 wurde etwa der Band Fachkulturen in der Lehrerbildung (Universität Bonn) veröffentlicht; 2020 erschien im WVT Verlag das Buch Kontrovers.Literaturdidaktik meets Literaturwissenschaft (Universität Bremen). Darüber hinaus ist zu beobachten, dass auch die Fachdidaktiken der verschiedenen Unterrichtsfächer vermehrt in einen Dialog miteinander treten, wie z. B. die Publikation Grenzgänge und Grenzziehungen. Transdisziplinäre Ansätze in der Lehrer*innenbildung (hrsg. von Brocca, Dittrich & Kolb 2022) zeigt. An der Universität Salzburg fand im Wintersemester 2018/19 eine fachdidaktische Ringvorlesung zu „Demokratie lernen in der Schule. Politische Bildung als Aufgabe für alle Unterrichtsfächer“ statt. Die Universität Kiel organisierte im Sommersemester 2023 eine Ringvorlesung zu „Intersektionalität interdisziplinär – Fachdidaktiken im Dialog.“ Während manche dieser Ringvorlesungen die fachdidaktische und/oder bildungswissenschaftliche Perspektive – aber immer über die Fächergrenzen hinaus – in den Vordergrund rücken, war der Universität Innsbruck daran gelegen, das notwendige Zusammenwirken von Fachwissen und Fachdidaktik aufzuzeigen und klarzumachen, dass die Fachdidaktik nicht nur mehrere Bezugswissenschaften benötigt, sondern als Integrationswissenschaft auch eine eigene wissenschaftliche Disziplin darstellt. In der LehrerInnenbildung ist Fachdidaktik Basis und Handwerkszeug zur Reflexion des eigenen Handelns in Hinblick auf wissenschaftliche Erkenntnisse (Lembens & Peschek 2009).

Die Idee zu dieser Ringvorlesung stammt vom damaligen Dekan der Fakultät für LehrerInnenbildung, Wolfgang Stadler, der mit dem Dekan der Philologisch-​Kulturwissenschaftlichen Fakultät, Sebastian Donat, und unterstützt von den beiden StudiendekanInnen, Martina Kraml und Gerhard Pisek, die ersten Planungsschritte unternahm. Schließlich konnten aus den beiden Fakultäten 26 Personen gewonnen werden, die bereit waren, paarweise ihre Lehrmeinungen und wissenschaftlich-​fachdidaktischen Forschungsansätze zu präsentieren. Die Lehrveranstaltung wurde sowohl Studierenden des Lehramts Sekundarstufe (Allgemeinbildung) als auch den Studierenden der Fachphilologien im Masterstudium zugänglich gemacht. Als Lernergebnis sollten die Teilnehmenden verstehen, welche Ansätze in der philologisch-​fachwissenschaftlichen und der fachdidaktischen Forschung zum Einsatz kommen, welche Vorhaben und Projekte an den Fakultäten im Bereich der (Fremd)Sprachen realisiert werden und ob – beziehungsweise wie – die gewonnenen Daten und Ergebnisse die Weitergabe von Wissen an der Universität sowie die Lehr- und Lernprozesse an den Schulen beeinflussen.

Neben Wolfgang Stadler (Institut für Slawistik, Institut für Fachdidaktik) zeichnete für die Organisation der Ringvorlesung Birgit Mertz-​Baumgartner (Institut für Romanistik) verantwortlich. Die 14 Einheiten boten Vorträge aus folgenden Forschungsbereichen – Spracherwerb und Aufgabenorientierung, Phraseodidaktik und korpusbasierte Lehrmaterialien, Transkulturelles Lernen, Audiovisuelles Lernen (Film, Videospiele, Gamification, Game Studies), Multimodales Lernen (Comics, Graphic novels), Mehrsprachigkeit im Literaturunterricht, Neulateinische Dramen, Textsemantik und Populärmusik, Umgangssprachen im Unterricht, Instapoetry, Korpuslinguistik und Sprachtestung –, wobei es den OrganisatorInnen ein Anliegen war zu zeigen, dass Theorie und Praxis stets in Wechselwirkung begriffen sind: So wie das Fach die Theorie nicht für sich allein in Anspruch nehmen darf, so muss auch die Fachdidaktik einräumen, dass FachkollegInnen ihre eigenen Vorstellungen von Praxis haben. Durch den Austausch in der Vorbereitung auf die gemeinsamen Vorträge sollten Gemeinsamkeiten entdeckt, Grenzen abgesteckt, aber auch überschritten werden. Dabei wurde stets die Optimierung der fachlichen Ausbildung der Studierenden im Auge behalten. In den Diskussionen nach den Vorträgen sollten die Studierenden zum gegenseitigen Meinungs- und Informationsaustausch angeregt werden.

Für den vorliegenden Sammelband boten 18 KollegInnen an, einen Beitrag zu verfassen. Auch hier wollten wir, so wie bei der Ringvorlesung, dem Prinzip des Arbeitens im Team folgen und Fachwissen mit Lehrmeinungen der Didaktik verbinden. Doch die eine oder andere Absage ließ das nicht in allen Fällen zu. Dennoch sind nach unserem Erachten die Forschungsdisziplinen der zwei Fakultäten gut abgebildet und finden konkret ihren Niederschlag in den einschlägigen Bereichen der Fachdidaktik an der Fakultät für LehrerInnenbildung (Kompetenzerwerb, Aufgabenkultur, Medien und Digitalität, Global Citizenship Education) sowie in der einen oder anderen Aktivität der Forschungszentren und -schwerpunkte an der Philologisch-​Kulturwissenschaftlichen Fakultät (Kulturen in Kontakt und Kulturelle Begegnungen, kulturelle Konflikte).

Unser Dank gilt allen KollegInnen, die mit viel Eifer und Enthusiasmus zum Erfolg der Ringvorlesung beigetragen und interessante, lesenswerte Beiträge für dieses Buch beigesteuert haben. Das gilt auch für Leo Will, der als Gastautor eine deutsche und eine transatlantische Perspektive zur Position einer Fakultät für LehrerInnenbildung im Allgemeinen und zu unserem Sammelband im Speziellen einbringt.

Teil I
Interkulturelle Kompetenzen entwickeln. Literarische Texte, Songs und Geschichten

 

NEVENA STAMENKOVIĆ demonstriert in „Mehrsprachig lesen und lernen! Mehrsprachigkeit als Gegenstand, Gestaltungsverfahren und Ziel des fremdsprachlichen Literaturunterrichts“, welches Potenzial literarische Texte, in ihrem Fall Texte von Chicano/a-​AutorInnen, für die Mehrsprachigkeitsförderung im Fremdsprachenunterricht haben. Sie nimmt an, dass sich mehrsprachige Literatur besonders gut eignet, Lernende für ihre eigene Mehrsprachigkeit zu sensibilisieren, sodass sowohl fremde als auch eigene Mehrsprachigkeit zum Gegenstand des Unterrichts werden können. Mit Hilfe mehrsprachiger Aufgabenformate soll es den SchülerInnen auch ermöglicht werden, ihre Identitäten durch lyrisches Schreiben kreativ zum Ausdruck zu bringen und so ihre eigene Mehrsprachigkeit mitzugestalten.

 

GERHILD FUCHS und BIRGIT MERTZ-​BAUMGARTNER zeigen mit ihrem Beitrag „Populärmusik als Vermittlungsmöglichkeit literarischer, audiovisueller und (trans)kultureller Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht Italienisch“, dass bei der Beschäftigung mit Canzoni nicht unbedingt das Verstehen der Texte im Mittelpunkt stehen muss, sondern auch Zugriffe über die musikalische Gestaltung sowie die stimmliche Interpretation interessant sein können. Der Beitrag schenkt der Vermittlung von transkulturellen Kompetenzen besondere Bedeutung und zeigt an ausgewählten Beispielen aus der Musikszene Neapels, wie ein solches audiovisuelles und transkulturelles Lernen aussehen könnte.

 

JASMIN PESKOLLER und ULLA RATHEISER präsentieren in „When Opossum Rhymes with Blossom – Intercultural Learning and Literature in English as a Foreign Language“ den Fremdsprachenunterricht als idealen Ort für die Auseinandersetzung mit verschiedenen Dimensionen des interkulturellen Lernens. In ihrem Beitrag verdeutlichen sie am Beispiel von Margaret Mahys Gedicht “Christmas in New Zealand”, wie Literatur im Englischunterricht zur Ausbildung und Vertiefung interkultureller Kompetenzen eingesetzt werden kann. Darüber hinaus präsentieren sie die Ergebnisse einer Pilotstudie, die in einer Allgemeinbildenden Höheren Schule (Sekundarstufe II) in Österreich durchgeführt wurde, und die die Eignung des gewählten lyrischen Textes für interkulturelles Lernen untersuchte.

Teil II
Mit alten und neuen Medien lernen. Theater, Film, Instapoetry

WOLFGANG KOFLER und MARTIN BAUER-​ZETZMANN loten in „Back to School: Joseph Reschs neulateinische Dramen als Chance für den Lateinunterricht“ das Potenzial der neulateinischen Dramen von Joseph Resch (1716–1782) für einen modernen Lateinunterricht aus. Sie stellen das Innsbrucker Forschungsprojekt vor, das diesem Autor gewidmet war und aus einem fachwissenschaftlichen (z. B. Editionen) und einem fachdidaktischen Teil bestand. Aufbauend auf einer umfassenden Kontextualisierung der Dramen Reschs und einer Darstellung von deren Bedeutung im Schulbetrieb des 18. Jahrhunderts, wird eine Unterrichtsreihe zu Rhetorica vorgestellt, die das Ziel verfolgt, die Fertigkeiten der SchülerInnen im Bereich der lateinischen Morphologie und Syntax zu verbessern und ihre De- und Recodierungskompetenzen auszubauen.

 

EVA BINDER und MAGDALENA KALTSEIS gehen in „Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus: Was Spielfilme dazu beitragen können“ auf Krieg und Konflikt als herausfordernde Themen im Unterricht ein. Das Sprechen darüber sei wichtig, um einerseits auf Ängste, Fragen und Sorgen der SchülerInnen einzugehen; andererseits kann durch dieses Thema die Demokratieerziehung gefördert und Werte wie Humanität, Solidarität und Toleranz gestärkt werden. Anhand des estnisch-​georgischen Antikriegsfilms Mandariinid präsentieren sie Möglichkeiten für seinen Einsatz sowohl im Russischunterricht als auch in der fächerübergreifenden Zusammenarbeit.

 

CHRISTOPH SINGER setzt sich in „Affordanz, Transliteracy und Multimodale AutorInnenschaft: Instapoetry im Fremdsprachenunterricht“ mit der noch jungen Gattung der Instapoetry auseinander, insbesondere mit deren multimodaler Beschaffenheit, die sie deutlich von Poetry unterscheidet. Er diskutiert, wie soziale Netzwerke wie Instagram neue Formen von AutorInnenschaft ermöglichen und es BenutzerInnen erlauben, sich in mehrsprachigen und multikulturellen Kontexten auszutauschen und auch selbst kreativ zu werden. Er präsentiert, wie die Beschäftigung mit Instapoetry im Fremdsprachenunterricht es möglich machen könnte, Besonderheiten der Gattung und Formen von AutorInnenschaft zu diskutieren und sich mit neuen medialen Formen des Schreibens und Lesens auseinanderzusetzen.

Teil III
Sprache(n) lernen. Aufgabenorientierung und Materialentwicklung

EMANUEL KLOTZ und WOLFGANG STADLER thematisieren in „Die russische Umgangssprache im typologischen Vergleich und im Klassenzimmer“ die Tatsache, dass Umgangssprachen oft als minderwertige Varianten der Standardsprachen betrachtet werden. Diese Subsysteme folgen jedoch eigenen Normen und Regeln und weisen eine Vielfalt an sprachlichen Besonderheiten auf, die auch im Russischunterricht genutzt werden sollten. Die Autoren schlagen vor, mit Lernenden ausgewählte Charakteristika zunächst auf rezeptiver Ebene zu üben, indem einzelne Repliken standardsprachlicher Dialoge mit ihren umgangssprachlichen Entsprechungen z. B. in sozialen Medien oder literarischen Texten verglichen und mit Hilfe der lexikalischen und soziopragmatischen Skalen nach GeR operationalisiert werden.

 

CHRISTINE KONECNY und KATRIN SCHMIDERER stellen in ihrem Aufsatz „Phraseodidaktik goes Aufgabenorientierung: Einblicke in die kollaborative Entwicklung korpusbasierter Lernmaterialien für das Italienische“ ein Projekt zur Entwicklung von Lernmaterialen für Italienisch als Fremdsprache mit phraseologischem Fokus vor. Dabei zeigen sie, wie das entstandene Lernmaterial den Ansatz der Aufgabenorientierung mit den Ergebnissen korpuslinguistischer Untersuchungen verknüpft. Im Beitrag werden einerseits die Potenziale und Herausforderungen dieser Vorgehensweise identifiziert und andererseits wird das Projekt als Beispiel für eine gewinnbringende Kooperation zwischen der Phraseologie als linguistischer Subdisziplin und der Fremdsprachendidaktik diskutiert.

 

EVA MARIA HIRZINGER-​UNTERRAINER und ANKE LENZING untersuchen in ihrem Beitrag „Tasks in the foreign language classroom. A potential for an interdisciplinary perspective on language education?” Aufgaben im Zweitspracherwerb. Sie kombinieren dabei psycholinguistische und sprachpädagogische Aspekte und nutzen Pienemanns Prozessabilitätstheorie, um einerseits die Lehrbarkeit grammatischer Strukturen zu erklären, und andererseits zu zeigen, wie Aufgaben verwendet werden können, um die Entwicklungsstufen von L2-LernerInnen zu diagnostizieren. In einem weiteren Schritt erläutern sie, wie Aufgaben im Sprachunterricht eingesetzt werden können, um LernerInnen in ihrem Spracherwerbsprozess zu unterstützen und Kontexte für die Verwendung bestimmter grammatischer Strukturen zu schaffen.

Teil IV
Lehrkräfteausbildung – quo vadis?

LEO WILL bringt als Gastautor abschließend eine sehr persönliche Sichtweise ein, wenn er die Eigenheiten der Begrifflichkeiten „Fachdidaktik, Fachwissenschaft und Fachlichkeit“ und ihr Wechselspiel aus einer deutschen und transatlantischen Perspektive diskutiert. Fachdidaktik als akademische Disziplin sei eine institutionalisierte Errungenschaft in den deutschsprachigen Ländern, ihre Forschungstradition eine andere als im anglo-​amerikanischen Bereich, was nicht selten zu Missverständnissen führt. Die Zerrissenheit der Disziplin zwischen Theorie und Praxis, zwischen Forschung und LehrerInnen(aus)bildung zeigt Will am Beispiel der Englischdidaktik und ihrer Interaktion mit der Sprach- und Literaturwissenschaft auf. Dabei geht er ansatzweise auch auf Vor- und Nachteile für angehende Sprachlehrkräfte ein, die während ihres Studiums an der Universität mit allen drei Bereichen – Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Fachlichkeit – in Kontakt kommen.

Literaturverzeichnis

Brocca, N., Dittrich, A.-K. & Kolb, J. (Hg.) (2022): Grenzgänge und Grenzziehungen. Transdisziplinäre Ansätze in der Lehrer*innenbildung. Innsbruck: iup.

Geiss, P., Ißler, R. & Kaenders, R. (Hg.) (2016): Fachkulturen in der Lehrerbildung. Göttingen: V&R unipress.

Grünewald, A., Hethey, M. & Struve, Karen (Hg.) (2020): KONTROVERS. Literaturdidaktik meets Literaturwissenschaft. Trier: WVT Verlag.

Lembens, A. & Peschek, W. (2009): Was Fachdidaktiken sind und was sie wollen. IMST-​Newsletter Jahrgang 8, Ausgabe 28. Winter/Frühjahr. Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung (IUS) der Alpen-​Adria-​Universität Klagenfurt. Spittal/Drau & Villach: Kreiner Druck.

Die AutorInnen

BAUER-​ZETZMANN, MARTIN (Institut für Klassische Philologie und Neulateinische Studien) ist Senior Scientist für Klassische Philologie und Fachdidaktik Latein/Griechisch an der Universität Innsbruck. Er ist Mitherausgeber der Schulbuchreihe Artes und Schriftleiter der fachdidaktischen Zeitschriften IANUS – Informationen zum altsprachlichen Unterricht und Didaktische Informationen. Seine breiten Forschungsinteressen umfassen u. a. frühgriechische Epik und Lyrik, antike Historiographie und Epigraphik, griechisches und lateinisches Theater, Reiseliteratur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Antikenrezeption, Spracherwerbsforschung und Testtheorie im altsprachlichen Unterricht.

 

BINDER, EVA (Institut für Slawistik) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Slawistik der Universität Innsbruck im Bereich der Kultur- und Medienwissenschaft. Ihr Forschungsinteresse gilt der russischen Kultur des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart, dem osteuropäischen Gegenwartskino und dem Dokumentarfilm. Gemeinsam mit Magdalena Kaltseis, mit der sie den Beitrag für den vorliegenden Sammelband verfasst hat, hat Eva Binder 2024 und 2025 zwei weitere Publikationen im Bereich Fremdsprachendidaktik vorgelegt: die Monografie Audiovisuelle Medien im Russischunterricht (Narr-​Francke, 2025) sowie einen Artikel mit dem Titel „Critical Language Pedagogy in the Classroom: The TV Talk Show 60 Minutes as a ‚Lesson‘ on Russian Propaganda“ in der Fachzeitschrift Russian Language Journal (RLJ). Gemeinsam mit Magdalena Kaltseis ist sie auch im Bereich der Fort- und Weiterbildung von RussischlehrerInnen in Österreich und Deutschland aktiv.

 

FUCHS, GERHILD (Institut für Romanistik) ist Dozentin für italienische und französische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Innsbruck. Sie ist Leiterin des Archivs „Textmusik in der Romania“ und Mitherausgeberin der Open-​Access-​Zeitschrift ATeM. Ihre wichtigsten aktuellen Forschungsschwerpunkte sind die zeitgenössische Erzählliteratur Italiens (Baricco, Benati, Cavazzoni, Celati, Ferrante, Guccini/Macchiavelli, Maraini, Malerba, Vassalli), der Film (Bertolucci, Fellini, Pasolini) und die Populärmusik (Schwerpunkte Neapel und Komik) in Italien. Zu ihren wichtigsten Publikationen zählen u. a. Italienisches Theater. Geschichte und Gattungen von 1480 bis 1890 (2015, gem. mit Sabine Schrader und Daniel Winkler) sowie Entangled Histories and Voices. Popular Music & Postcolonial Approaches (AteM 2022, gem. mit Gianpaolo Chiriacò und Birgit Mertz-​Baumgartner).

 

HIRZINGER-​UNTERRAINER, EVA MARIA (Institut für Fachdidaktik) ist Professorin für Fremdsprachendidaktik an der Universität Innsbruck. Sie promovierte zur sprachenübergreifenden Ausbildung in der Fremdsprachendidaktik aus studentischer Perspektive und habilitierte sich mit einer Arbeit zum mediengestützten Wortschatzerwerb am Beispiel des Italienischen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Mehrsprachigkeit, Wortschatzerwerb und LehrerInnenbildung. Sie hat kürzlich einen Sammelband über die Aufgabenorientierung im Italienischunterricht veröffentlicht (Narr 2024). Eva M. Hirzinger-​Unterrainer war Projektpartnerin im Erasmus+ Projekt „Mehrsprachigkeitsfördernde Module für Fremdsprachenunterricht (MEMO) – Beispiele für einen sprachen- und kulturensensiblen Anfangsunterricht Französisch“ und ist eine der Co-​ProjektleiterInnen der Erasmus+ Teacher Academy „Meta-​Scientific Literacies in the (Mis-)Information Age.“

 

KALTSEIS, MAGDALENA (Institut für Slawistik, Institut für Fachdidaktik) ist Assistenzprofessorin für russische Sprachwissenschaft und Fachdidaktik Russisch an der Universität Innsbruck. Ihr Forschungsinteresse gilt der Angewandten Linguistik, insbesondere der kritischen Soziolinguistik, der Diskursanalyse, den russischen zeitgenössischen Medien sowie der Fremdsprachendidaktik. Gemeinsam mit Eva Binder, mit der sie den Beitrag für den vorliegenden Sammelband verfasst hat, hat Magdalena Kaltseis 2024 und 2025 zwei weitere Publikationen zum Bereich Fremdsprachendidaktik vorgelegt: die Monografie Audiovisuelle Medien im Russischunterricht (Narr-​Francke 2025) sowie einen Artikel mit dem Titel „Critical Language Pedagogy in the Classroom: The TV Talk Show 60 Minutes as a ‚Lesson‘ on Russian Propaganda“ in der Fachzeitschrift Russian Language Journal. Magdalena Kaltseis ist zudem im Editorial Board der Open-​Access-​Zeitschrift Didaktik slawischer Sprachen (DiSlaw), für die sie gemeinsam mit Eva Binder 2025 das Heft 1 „Audiovisuelle Medien im Unterricht slawischer Sprachen“ herausgegeben hat. Gemeinsam leiten die beiden außerdem Workshops zur Fort- und Weiterbildung von RussischlehrerInnen in Österreich und Deutschland.

 

KLOTZ, EMANUEL (Institut für Slawistik) ist Projektmitarbeiter am Institut für Slawistik der Universität Innsbruck. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der historisch-​vergleichenden slawischen Sprachwissenschaft, insbesondere in der Erforschung des Slawischen des Mittelalters und dessen Sprachkontakten. Er ist Autor des nun in zweiter Auflage erschienenen Urslawischen Wörterbuchs sowie eines Buches zu romanisch vermittelten Toponymen an der slawischen Adriaküste. Derzeit arbeitet Emanuel Klotz an einem FWF-​Projekt zu den slawischen Ortsnamen Osttirols und an seiner Habilitation zum selben Thema.

 

KOFLER, WOLFGANG (Institut für Klassische Philologie und Neulateinische Studien) ist Professor an der Universität Innsbruck. Er hat neben zahlreichen fachwissenschaftlichen Forschungsinteressen auch einen Schwerpunkt in der Fachdidaktik: Er zählt zu den Mitbegründern des Innsbrucker Modells der Fremdsprachendidaktik (IMoF), hat von 2001 bis 2009 die Didaktischen Informationen herausgegeben und war von 2013 bis 2020 Mitglied des Qualitätssicherungsrates für die PädagogInnenbildung. Darüber hinaus ist Wolfgang Kofler auch ein Kenner anderer Bildungssysteme: Als gebürtiger Südtiroler hat er in Italien die Schule besucht und dort vor seiner universitären Laufbahn auch als Lehrer gewirkt. Mit der deutschen Bildungslandschaft ist er aus seiner Zeit in Freiburg i. Br. vertraut, wo er zwischen 2009 und 2012 den latinistischen Lehrstuhl bekleidet hat.

 

KONECNY, CHRISTINE (Institut für Romanistik) ist assoziierte Professorin für Italienische Sprachwissenschaft am Institut für Romanistik der Universität Innsbruck, wo sie sich 2015 habilitierte. Ihr Forschungsinteresse gilt der lexikalischen Semantik, der kontrastiven Linguistik und insbesondere der Phraseologie, wo sie durch ihre mehrfach ausgezeichnete Dissertation zu italienischen Kollokationen internationale Bekanntheit erlangt hat, an mehreren Forschungsprojekten als Leiterin oder Mitwirkende beteiligt war bzw. ist und auf zahlreiche Publikationen verweisen kann. Kürzlich fungierte sie u. a. als Co-​Herausgeberin des Sammelbandes Dialektale und zweisprachige Phraseographie (Stauffenburg 2023) sowie des Themenhefts Fraseografia e metafraseografia delle varietà diatopiche (Linguistik online 125/1, 2024).

 

LENZING, ANKE (Institut für Fachdidaktik) ist Professorin für englische Fachdidaktik an der Universität Innsbruck. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich des Zweitspracherwerbs und der Sprachlernforschung. Ihre Arbeit behandelt psycholinguistische Aspekte der Sprachproduktion, des Sprachverstehens und der Interaktion. Sie hat u. a. zu Entwicklungssequenzen im Grammatikerwerb, zum Gebrauch formelhafter Sequenzen sowie zum Sprachtransfer publiziert. Aktuelle Projekte beschäftigen sich mit dem Erwerb des Turn-​Taking sowie mit Anwendungen der mathematischen Theorie zu dynamischen Systemen auf den Zweitspracherwerb.

 

MERTZ-​BAUMGARTNER, BIRGIT (Institut für Romanistik) ist Professorin für Französische und Spanische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Innsbruck. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die zeitgenössischen französischsprachigen Literaturen (insbesondere Frankreichs und des Maghreb) sowie die französisch- und spanischsprachige Populärmusik der Gegenwart. Ihre Analysen bauen auf Theorien und Konzepten der Postcolonial Studies, der Transkulturalitätsforschung und der Gender Studies auf. Darüber hinaus gilt ihr Interesse der Literatur- und Chansondidaktik. Zu ihren wichtigsten Publikationen zählen u. a. Passages et ancrages en France. Dictionnaire des écrivains migrants (Honoré Champion 2012, gem. mit Ursula Moser) sowie Lyrik transkulturell (Königshausen & Neumann 2016, gem. mit Eva Binder und Sieglinde Klettenhammer). Gemeinsam mit Gerhild Fuchs gibt sie die Open-​Access-​Zeitschrift ATeM heraus.

 

PESKOLLER, JASMIN (Institut für Fachdidaktik) ist Projektmitarbeiterin in der Erasmus+ Teacher Academy „SciLMi – Meta-​Scientific Literacies in the (Mis-)Information Age“ am Institut für Fachdidaktik der Universität Innsbruck. Sie ist zudem als Dozentin für Englische Fachdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Tirol sowie als Lehrperson für Englisch und Mathematik an einem Gymnasium tätig. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich des interkulturellen Lernens, der globalen und nachhaltigen Bildung sowie bei Themen der Diversität und Qualität im schulischen (Fremdsprachen)Unterricht und in der kritischen LehrerInnenbildung. Ihre Publikationen umfassen u. a. die Monographie The Multicultural Classroom. Learning from Australian First Nations Perspectives (ibidem/Columbia UP) und den Open Access-​Beitrag “Unity in Diversity. Exploring intercultural teaching and learning practices in secondary education and teacher training in Austria.”

 

RATHEISER, ULLA (Institut für Anglistik) ist Senior Scientist an der Universität Innsbruck, wo sie im Bereich der Literatur- und Kulturwissenschaft lehrt und forscht. In jüngster Zeit konzentrieren sich ihre Forschungsinteressen auf Populärkultur, Migrationsnarrative und die Darstellung von Monarchien. Dazu publizierte sie kürzlich einen Beitrag in Migrant Narratives. Storytelling as Agency, Belonging and Community (Routledge, 2024), mit dem Titel “‘None of these are jokes, it’s just my life…’: Migrant narratives and female agency in Shazia Mirza’s comedy”. Sie ist Mitherausgeberin der Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik/Agenda: Advancing Anglophone Studies (Narr). Ihr Engagement gilt auch der Literaturdidaktik, wozu sie LehrerInnenfortbildungen anbietet.

 

SCHMIDERER, KATRIN (Institut für Fachdidaktik) ist Post-​Doc-​Universitätsassistentin am Institut für Fachdidaktik (Bereich Sprachen) der Universität Innsbruck, Gymnasiallehrerin für Italienisch und Spanisch sowie Kursleiterin von LehrerInnenfortbildungen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im L2-Erwerb im schulischen Kontext (insbesondere Italienisch und Spanisch), der aufgabenorientierten Entwicklung (digitaler) Lernmaterialien sowie der Mehrsprachigkeit in der LehrerInnenbildung. Nach ihrer Promotion 2022 wurde ihre Dissertation unter dem Titel Produktiver und rezeptiver Grammatikerwerb im schulischen Italienischunterricht. Eine Lernersprachenanalyse (Narr 2023) publiziert.

 

SINGER, CHRISTOPH (Institut für Anglistik) ist seit 2021 Professor für britische und anglophone Kulturwissenschaften an der Universität Innsbruck. Einer seiner Schwerpunkte sind die Border Studies, in deren Kontext er eine Studie zu liminalen Grenzräumen in britischer und anglophoner Literatur veröffentlicht hat: Sea Change: The Shore from Shakespeare to Banville (Rodopi 2014). In diesem Forschungsbereich angesiedelt sind auch Publikationen zur Teilung Indiens und zu digitalen Formen der Erinnerung. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich kultur- sowie literaturwissenschaftlicher Narrative der Krise und Traumatheorie. So beschäftigt sich etwa seine Habilitation mit der Verbindung von Temporalität und Trauma. Christoph Singer ist Mitherausgeber der Buchreihe Narratives and Mental Health (Brill).

 

STADLER, WOLFGANG (Institut für Slawistik, Institut für Fachdidaktik) war Professor für Russistik und Fachdidaktik an der Universität Innsbruck und Mitbegründer des Innsbrucker Modells der Fremdsprachendidaktik (IMoF). Er übte die Funktion des Studiendekans der Philologisch-​Kulturwissenschaftlichen Fakultät aus und war Dekan der Fakultät für LehrerInnenbildung. Seine Forschungsinteressen liegen nach wie vor im Bereich der Angewandten Linguistik, der Soziopragmatik, der Fremdsprachendidaktik und der Testforschung. Er ist Initiator der Open-​Access-​Zeitschrift Didaktik slawischer Sprachen (DiSlaw), (Mit-)Herausgeber von 12 Monografien bzw. Sammelbänden und (Co-)Autor von mehr als 100 Beiträgen. In jüngster Zeit hat er mit Leo Will (Gießen) und Irma Eloff (Pretoria) den Sammelband Authenticity across languages and cultures: Themes of identity in foreign language teaching and learning (Multilingual Matters 2023) herausgegeben.

 

STAMENKOVIĆ, NEVENA ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Romanistik (Didaktik der romanischen Sprachen und Literaturen) an der Freien Universität Berlin tätig. Ihr Forschungsinteresse gilt der Mehrsprachigkeits-, der Literatur- und der Kulturdidaktik sowie dem aufgabenorientierten Fremdsprachenlernen. Sie hat kürzlich eine Monografie über den Einsatz mehrsprachiger Chicano/a-​Literatur im fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht veröffentlicht (Narr 2023).

 

WILL, LEO (Institut für Anglistik) unterrichtet Teaching English as a Foreign Language (TEFL) an der Justus-​Liebig-​Universität in Gießen. Seine Dissertation (Ludwig-​Maximilians-​Universität München) Authenticity in English language teaching wurde 2018 bei Waxmann veröffentlicht. Als Habilitationsprojekt führt er derzeit eine phänomenologische Studie zur universitären Englischlehrkräftebildung durch. Will forscht außerdem zu digital gestützten Kooperationen von Schule und Universität sowie zu didaktischen Utopien. Neben seiner Tätigkeit an der Justus-​Liebig-​Universität ist Leo Will Adjunct Professor an der Saint Mary’s University in Halifax (Kanada).

Teil I  Inter- und transkulturelle Kompetenzen entwickeln. Literarische Texte, Songs und Geschichten

1 Mehrsprachig lesen und lernen! Mehrsprachigkeit als Gegenstand, Gestaltungsverfahren und Ziel des fremdsprachlichen Literaturunterrichts

NEVENA STAMENKOVIĆ

Reading and learning in multiple languages! Teaching plurilingualism through literature in the foreign language classroom

Based on selected examples from an empirical study conducted in advanced EFL classes, this article examines how engaging with multilingual Chicano/a texts can foster plurilingualism in the foreign language classroom. Code-​switching between English and Spanish, an important literary device in Chicano/a literature, varies in intensity – from single Spanish words embedded in predominantly English texts to more intense code-​switching in poetry.

Research on how (multilingual) literary texts can enhance plurilingualism in the foreign language classroom remains limited. This article proposes that multilingual literature helps students gain insight into the multilingualism of the Chicano/a community and encourages them to reflect on their plurilingualism. The data suggest that this goal can be accomplished through tasks that promote creativity and language play. Creative writing in multiple languages can motivate students to articulate and develop their plurilingual identities. By examining two multilingual student poems, the chapter shows how such activities can deepen learners’ understanding of their plurilingualism and their attitudes toward heritage languages. Finally, it addresses potential challenges these activities may present for both teachers and learners.

1Einleitung – Mehrsprachigkeit als (unerfülltes) Ziel, Gegenstand und Gestaltungsverfahren des Fremdsprachenunterrichts

Mehrsprachigkeitsförderung wird im deutschsprachigen Raum häufig und in erster Linie als bildungspolitische Forderung verstanden, die spätestens seit der Publikation des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (vgl. Europarat 2001) als wichtiges Ziel europäischer Bildungspolitik formuliert wurde und anschließend auch Eingang in die Bildungsstandards (vgl. KMK 2023) und in die Lehrpläne (vgl. z. B. Senatsverwaltung Berlin 2014) fand. Die Mehrsprachigkeitsdidaktik in Deutschland blickt auf eine umfangreiche Forschung zurück, was insbesondere die Didaktik der romanischen Sprachen und darunter die Interkomprehensionsdidaktik betrifft (vgl. z. B. Meißner & Reinfried 1998; Morkötter 2005; Bär 2009). Trotz der relativ großen Aufmerksamkeit, die ihr seitens der fremdsprachendidaktischen Forschung und der Bildungspolitik entgegengebracht wurden, zeigen Studien neueren Datums, dass Mehrsprachigkeit vor allem ein theoretisches Konstrukt bleibt und mit der Unterrichtsrealität an deutschen Schulen wenig zu tun hat (vgl. z. B. Jakisch 2015; Schädlich 2020). In der Realität komme es – abgesehen von ein paar unsystematischen Sprachvergleichen – äußerst selten als Gestaltungsprinzip des Fremdsprachenunterrichts vor.

Dies scheint vielfältige Gründe zu haben. Sie reichen von mangelnder Offenheit und nicht vorhandener entsprechender Ausbildung der FremdsprachenlehrerInnen über kaum existierende geeignete Unterrichtsmaterialien bis hin zu dem grundsätzlichen strukturellen Problem, dass der Fremdsprachenunterricht an deutschsprachigen Schulen als Einzelsprachenunterricht durchgeführt wird (vgl. Schädlich 2020; Schmelter et al. 2023). Einige Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass Lehrkräfte grundsätzlich von Mehrsprachigkeitsförderung überzeugt sind und darin Vorteile für ihre Fremdsprachen­lernenden sehen, dass sie diese aber in ihrem Unterricht nicht systematisch verfolgen und nur eine begrenzte Anzahl von Unterrichtsdesigns bzw. Unterrichtsaktivitäten kennen, die zu deren Förderung beitragen können (vgl. Heyder & Schädlich 2014).

Tatsächlich gibt es bis auf einzelne Ausnahmen (vgl. z. B. Holzinger et al. 2012; von Kahlden et al. 2015) wenige Lehrmaterialien und Handreichungen, die hier Unterstützung bieten können. Die bereits vorhandenen Unterrichtsaktivitäten erwecken häufig den Eindruck einer Materialsammlung, die zwischendurch, etwa für Vertretungsstunden eingesetzt werden kann. Möchte man im Sinne eines kompetenz- und aufgabenorientierten Unterrichts eine ganze Sequenz planen, die Mehrsprachigkeit oder mehrsprachig verhandelte Inhalte fokussiert und eine sprachenübergreifende Unterrichtsgestaltung ermöglicht, sind die Unterrichtsvorschläge sowohl für den Englischunterricht als auch für den Unterricht zweiter oder dritter Fremdsprachen rar.

Die These dieses Beitrags ist, dass es für die Implementation mehrsprachigkeitsfördernder Maßnahmen Unterrichtsaktivitäten und Aufgabenarrangements braucht, die sich an lebens­weltlichen mehrsprachigen Diskursen orientieren, also Inhalte abbilden, die in der Realität mehrsprachig verhandelt werden oder von globaler und transkultureller Relevanz sind. Dazu liegen einige bereits ältere Beiträge von Hallet zu Holocaust Childhoods (2002) oder zu den Olympischen Spielen (2008) vor. Zentral für den Fremdsprachenunterricht erscheint mir sowohl die Anerkennung und die Auseinandersetzung mit der mehrsprachigen Verfasstheit von Diskursen als auch die Thematisierung von mehrsprachigen und mehrkulturellen Identitäts- und Handlungsentwürfen. Mehrsprachigkeit sollte deshalb auch unbedingt als Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts verstanden werden. Dies bedeutet, dass die lebensweltlichen Erfahrungen der SchülerInnen mit Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität einen zentralen Stellenwert im Fremdsprachenunterricht einnehmen müssen. Mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass die lebensweltliche Mehrsprachigkeit der Kinder und Jugendlichen nicht nur eine untergeordnete Rolle im Fremdsprachenunterricht spielt, sondern sogar als Hindernis oder Defizit für den Bildungserfolg begriffen wird (vgl. Gogolin et al. 2020). Das bedeutet aber keinesfalls, dass nur die Erfahrungen der lebensweltlich mehrsprachigen SchülerInnen zum Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts werden sollen. Es bedeutet vielmehr, dass alle SchülerInnen Gelegenheit erhalten sollen, über ihre Erlebnisse und Erfahrungen mit Sprache(n) und Identität(en) zu sprechen, diese für das (fremd-)sprachliche Lernen als relevant zu erleben und dies wahlweise auch in ihren Fremd- und Herkunftssprachen zu tun.

Damit im Zusammenhang steht auch das dritte Stichwort der Überschrift, die Mehrsprachigkeit als Gestaltungsverfahren. Für Hallet und Königs (2010: 305) ist das Ziel der Mehrsprachigkeits­förderung die Ausbildung einer mehrsprachigen Diskursfähigkeit, d. h. der Fähigkeit zur „Parti­zipation an mehrsprachigen gesellschaftlichen Diskursen auch in einer anderen als in der eigenen Sprache“ und somit „die Fähigkeit, Sachverhalte aller Art in und zwischen ver­schiedenen Sprachen kommunizieren zu können“ (ibid.). Die mehrsprachige Bildung zielt laut dieser Definition nicht nur darauf ab, SchülerInnen Kenntnisse in möglichst vielen Sprachen zu vermitteln, sondern sie auch dazu zu befähigen, am gesellschaftlichen Leben über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg teilzunehmen, indem sie lernen, Inhalte „in und zwischen“ (ibid.) Sprachen zu verhandeln. Damit wird zum einen angedeutet, dass gesellschaftliche Teilhabe über das Aushandeln von Inhalten erreicht wird, und zum anderen, dass dieses Aushandeln nicht nur in einer Sprache, sondern zwischen Sprachen geschieht, also auch eine Verhandlungsfähigkeit erfordert. Didaktisch-​methodisch ergibt sich daraus die Konse­quenz, dass der Unterricht die Komplexität der mehrsprachigen Kommunikation wahren, d. h. Situationen schaffen sollte, in denen SchülerInnen in verschiedenen Sprachen kommunizieren, in denen sie aber auch über die verschiedenen Wirkungen ihrer Äußerungen und über die damit verbundenen Werte und Identitätsvorstellungen reflektieren (vgl. Kramsch 2011: 356).

Ziel dieses Beitrags ist es aufzuzeigen, wie durch die Arbeit mit mehrsprachigen literarischen Texten fremde und eigene Mehrsprachigkeit zum Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts werden kann, wie dies durch eine auf Mehrsprachigkeitsförderung ausgerichtete didaktisch-​methodische Gestaltung des Unterrichts gelingt und wie damit letztlich auch das Mehrsprachig­keitslernen als Ziel des Fremdsprachenunterrichts angebahnt werden kann. Die folgenden Überlegungen stützen sich auf die Ergebnisse einer empirischen Studie zum Einsatz englisch-​spanischer Chicano/a-​Literatur, die ich im Rahmen meiner Promotion an vier weiterführenden Schulen (Gymnasien und Sekundarschulen1) in Berlin im fortgeschrittenen Englischunterricht durchgeführt habe (vgl. Stamenković 2023). Bevor ich auf die Chicano/a-​Literatur als Gegen­stand dieses Beitrags eingehe und das Untersuchungsdesign näher darstelle, widme ich mich zunächst der Frage, welchen Beitrag der Einsatz mehrsprachiger Literatur zur Umsetzung des bisher unerfüllten Ziels der Mehrsprachigkeitsförderung im Fremdsprachenunterricht leisten kann.

2Literatur und Mehrsprachigkeitsförderung

Viele Mehrsprachigkeitsansätze zielen auf eine sprachstrukturelle Auseinandersetzung mit Sprache(n), so vor allem die Interkomprehensionsdidaktik (vgl. Meißner & Reinfreid 1998). Sicherlich ist die Fähigkeit, mit Hilfe bereits gelernter Sprachen Texte in anderen benachbarten Sprachen zu dekodieren und diese auch nachhaltig als Lernstrategie zu nutzen, für die Entwicklung von Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz höchst relevant, aber sie muss in Richtung produktiver Kompetenzen und über das sprachstrukturelle Wissen und Können hinaus gedacht werden. Zentral ist die Frage, wie eine integrative Mehrsprachigkeitsdidaktik aussehen kann, die sprach- und inhaltsbasiertes, analytisches und kreativ-​produktives Lernen kombiniert. Benötigt werden also Ansätze, die Lernende als ganzheitliche Individuen ansprechen, die nicht nur denken, dekodieren und verstehen, sondern auch Sprachen erfahren und erleben; ihren Klang, Rhythmus und Melodie mit bestimmten Emotionen, Erlebnissen und Erfahrungen verbinden.

In ihrer Studie The Multilingual Subject zeigt Kramsch (2009) eindrucksvoll, dass das Fremdsprachenlernen eine ganzheitliche Erfahrung ist: „the foreign language is first and foremost experienced physically, linguistically, emotionally, artistically“ (ibid.: 60). Lange wurde die Beteiligung von Emotionen beim Fremdsprachenlernen zugunsten kognitiver Lernfaktoren vernachlässigt (vgl. Burwitz-​Melzer et al. 2020). Dies gilt in besonderer Weise für die Mehrsprachigkeitsdidaktik, die vornehmlich die leichter zu operationalisierenden kognitiven und metakognitiven Fähigkeiten fokussiert hat und die Rolle von Emotionen lediglich im Bereich der Einstellungen und Haltungen berücksichtigt (z. B. bei Deskriptoren, die Interesse/Neugierde am Sprachlernen oder die Bereitschaft zur Flexibilität/Anpassung betreffen, vgl. Meißner 2013: 39ff.).

Die These dieses Aufsatzes ist, dass sich die Lernenden bei der Arbeit mit literarischen Texten als Mehrsprachige erfahren können, indem sie ihre sprachlichen Ressourcen und ihre Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität einsetzen, um die in den Texten dargestellten Identitäts- und Handlungsentwürfe zu verstehen und vor dem Hintergrund der literarischen Texte über ihre eigenen sprachlichen und kulturellen Zugehörigkeiten nachzu­denken.

Kramsch (2009) geht davon aus, dass Mehrsprachige über eine höhere Anzahl an sprachlichen und nicht-​sprachlichen Ressourcen verfügen und lernen sollen, die ihnen zur Verfügung stehenden semiotischen Ressourcen so zu nutzen, dass sie Diskurse nicht nur verstehen und reflektieren, sondern darauf auch aktiv Einfluss nehmen können. Diese Fähigkeit bezeichnet sie als „symbolische Kompetenz“ (symbolic competence): „an ability to draw on the semiotic diversity afforded by multiple languages to reframe ways of seeing familiar events, create alternative realities, and find an appropriate language position ‘between languages’“ (ibid.: 201). Der letzte Teil der Definition erinnert an die oben zitierte Aussage von Hallet und Königs (2010), in welcher die „mehrsprachige Diskursfähigkeit“ ebenfalls als eine Verhandlungsfähigkeit zwischen den Sprachen verstanden wird. Für Kramsch (2009) ist sie vor allem eine Fähigkeit zur Positionierung bzw. zum Ausprobieren verschiedener subject positions. Im Prozess des Sprachenlernens komme es zur Herausbildung neuer Identitäten, sie bezeichnet diesen Prozess als „the construction of imagined identities that are every bit as real as those imposed by society“ (ibid: 17). Sollen Identitätsbildungsprozesse im Fremdsprachenunterricht angestoßen werden, müssen SchülerInnen lernen, sich gegenüber anderen in und zwischen ihren Sprachen und Kulturen zu verorten, denn „Subjekte“ bilden sich nur in Interaktion mit anderen aus: „Our subjectivity is constituted and shaped in interaction with our environment through the discourse of others – a subjectivity-​in-​process. […] We only learn who we are through the mirror of others, and, in turn, we only understand others by understanding ourselves as Other“ (ibid.: 18).

Hierfür bieten literarische Texte mit mehrsprachiger und mehrkultureller Thematik ein besonders großes Potenzial, denn sie geben Einblick in die Identitäts- und Handlungsentwürfe anderer mehrsprachiger Menschen, können aber auch als „Modelle bzw. Metaphern für das Verstehen unserer Erfahrungen“ (Bredella 2007: 59) fungieren. Auch für Kramsch (2006: 251) spielen sie eine Schlüsselrolle bei der Förderung der symbolischen Kompetenz: „Symbolic competence has to be nourished by a literary imagination at all levels of the language curriculum. For it is through literature that learners can communicate not only with living others, but also with imagined others and with the other selves they might want to become.“

Viele Studien im Bereich inter- und transkultureller Fremdsprachendidaktik zeigen, dass der Einsatz von fremdsprachiger Literatur die Fähigkeit zu Perspektivenübernahme und Perspek­tiven­koordination fördert sowie für kulturelle Diversität und die Hybridität kollektiver und individueller Identitätskonzepte sensibilisieren kann (vgl. z. B. Freitag-​Hild 2010). Hier soll argumentiert werden, dass gerade literarische Mischtexte, d. h. Texte, die in mehr als in einer Sprache verfasst wurden, von besonderer Relevanz für einen auf Förderung mehrsprachiger Bildung ausgerichteten Fremdsprachenunterricht sind, weil sie die Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität auf sprachlicher und inhaltlicher Ebene modellieren. Dies soll im Folgenden am Beispiel mehrsprachiger Chicano/a-​Literatur illustriert werden.

3Das spezifische Potenzial mehrsprachiger Literatur am Beispiel der Chicano/a-Lyrik

Mehrsprachige literarische Texte spielen sowohl in der Mehrsprachigkeitsdidaktik als auch in der fremdsprachlichen Literaturdidaktik kaum eine Rolle (vgl. Freitag-​Hild 2019: 223). Das Desiderat gilt in besonderer Weise für den Englischunterricht, für den meines Wissens bis auf die hier thematisierte Studie (vgl. Stamenković 2023) keine weiteren systematischen fremd­sprachen­didaktischen Untersuchungen vorliegen. Im Bereich der Didaktik der romanischen Sprachen sind zwei Studien erschienen, die das Potenzial von mehrsprachigen und mehr­kulturellen Texten und Medien für den Fremdsprachenunterricht erforschen (vgl. Mayr 2014; Hennig-​Klein 2018). Sporadisch sind kürzere Beiträge zu mehrsprachiger (Chicano/a-)Lyrik (vgl. z. B. Elsner 2012; Fäcke 2020; Volkmann 2021) oder zu Chicano/a-​Jugendliteratur (vgl. z. B. Aguilar et al. 2024; Blell 2015) zu finden.

Der Begriff „Chicano/a-​Literatur“ bezieht sich in diesem Beitrag auf Texte, die von US-​amerikanischen AutorInnen mexikanischer Herkunft stammen und sich des literarischen code-​switching zwischen Englisch und Spanisch bedienen, um kulturelle Grenzerfahrungen und Hybri­disierungsprozesse in den Borderlands (vgl. Anzaldúa 1987) zwischen den USA und Mexiko zu thematisieren. „Chicano/a“ ist eine politisch motivierte Bezeichnung, die im Zusammenhang mit der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre auftrat und der Legitimierung einer eigenen hybriden Sprache der mexikanisch-​amerikanischen Gemeinschaft dienen sollte (vgl. Martín Rodríguez 1995).

Der Wechsel zwischen Englisch und Spanisch ist ein zentrales Element der literarisch-ästhetischen Gestaltung mehrsprachiger Chicano/a-​Literatur. Blell (2012: 245) spricht in diesem Zusammenhang von „künstlerischer Transkulturalität und Hybridität“, da diese Texte häufig sowohl inhaltlich als auch sprachlich „fragmentiert“ erscheinen. Ein Beispiel hierfür ist das Gedicht „Where you from?“ von Gina Valdés (1986: 23):

Soy de aquí

y soy de allá

from here

and from there

born in L.A.

del otro lado

y de éste

crecí en L.A.

y en Ensenada

my mouth

still tastes

of naranjas

con chile

soy del sur

y del norte

crecí zurda

y norteada

cruzando fron

teras crossing

San Andreas

Tartamuda

Y mareada

where you from?

soy de aquí

y soy de allá

I didn’t build

this border

that halts me

the word fron

tera splits

on my tongue

Das weibliche lyrische Ich befindet sich in einem Identitätskonflikt: Es empfindet eine doppelte kulturelle Zugehörigkeit zum „here/aquí“ und „there/allá“, zum Norden/ L.A. und zum Süden, repräsentiert durch die mexikanische Stadt Ensenada, die in unmittelbarer Nähe zur US-​Grenze liegt. Dass die Grenzüberschreitungserfahrung („cruzando fron/teras“) eine negativ besetzte und konfliktive sein kann, illustrieren die Adjektive „tartamuda“ (stotternd), „norteada“ (orientierungslos) sowie „mareada“ (schwindlig). Das lyrische Ich beschreibt ein Gefühl der Desorientierung, der Ohnmacht und möglicherweise auch einer Sprachlosigkeit. Von den LeserInnen des Gedichtes wird ebenfalls eine solche Grenzüberquerung verlangt, denn sie müssen beim Lesen zwischen Englisch und Spanisch wechseln und über die Zeilengrenzen hinaus lesen (man beachte das Enjambement in „fron/tera“), so dass ihre Bereitschaft, sich auf die sprachliche Fragmentierung des Gedichtes einzulassen zur Voraussetzung des Sinnkonstitutionsprozesses wird. Dabei vollzieht sich der Wechsel zwischen Englisch und Spanisch in ganz unterschiedlichen Formen: Die beiden Sprachen werden nicht nur nacheinander gewechselt und übersetzend wiedergegeben („Soy de aquí/y soy de allá/from here/and from there“), sondern greifen auch ineinander („my mouth/still tastes/of naranjas/con chile“). Auf diese Weise stellt sich auch bei den LeserInnen ein Gefühl der Desorientierung ein, denn der Sprachenwechsel geschieht unerwartet, scheint keinen festen Regeln zu folgen und erschöpft sich nicht in Übersetzungen für die nicht Spanisch sprechende Leserschaft.

 

Wie an diesem Gedicht exemplarisch deutlich wird, können mehrsprachige Chicano/a-​Texte Lernende auf verschiedenen Ebenen herausfordern:

Sie müssen zunächst die sprachliche Oberfläche dekodieren und je nachdem, ob das Gedicht im Englisch- oder im Spanischunterricht eingesetzt wird, die Anteile der jeweils anderen Fremdsprache erfolgreich entschlüsseln, falls dafür keine Übersetzung zur Verfügung gestellt wird. Dies ist im Falle des Spanischunterrichts deutlich einfacher, da man bei Spanischlernenden meist davon ausgehen kann, dass sie bereits Englisch als erste Fremdsprache gelernt haben und Spanisch als zweite oder dritte Fremdsprache lernen. Sicherlich sind zur Dekodierungsarbeit auch Methoden der Interkomprehensionsdidaktik hilfreich, denn Lernende können – dies gilt insbesondere für narrative Chicano/a-​Texte (vgl. Stamenković 2023: 124-131) – ihr Weltwissen oder die Kenntnisse anderer Fremd- und Familiensprachen nutzen, um kontextgebunden die jeweils unbekannten Anteile der Texte zu dekodieren.

Anschließend sollen die Lernenden das im Gedicht entworfene hybride Identitätskonzept des lyrischen Ichs erfassen und analysieren, wie dies durch Mehrsprachigkeit als literarisches Darstellungsverfahren sprachlich realisiert wurde. Beispielsweise könnten im Zusammenhang mit diesem Gedicht folgende Fragen relevant sein: Wer könnte das lyrische Ich sein? Wie fühlt sich die Frau? Welche Rolle spielt die Metapher der Grenze für das Selbstverständnis des lyrischen Ichs? Warum ist das Gedicht zweisprachig verfasst? Was würde sich bei einer einsprachigen Gestaltung an seiner Wirkung verändern? Wie hängen die inhaltliche und die sprachliche Gestaltung des Gedichtes zusammen?

Schließlich kann das Gedicht den SchülerInnen als mehrsprachiges Modell für das Verfassen eines eigenen mehrsprachigen Gedichtes dienen, weil es aufzeigt, wie durch eine kreative Kombination sprachlicher Formen den eigenen Erfahrungen mit Sprachen und Kulturen Ausdruck verliehen werden kann. Eine solche Aufgabe (vgl. Glawion & Stamenković 2015) kann einen Selbstermächtigungseffekt haben, weil ein kreativer und gestalterischer Umgang mit Sprachen unseren Erfahrungen, Gefühlen und Erinnerungen im Kontext von Mehrsprachigkeit Sinn und Kohärenz verleihen kann.

Wie aus den obigen Ausführungen deutlich wird, können Lernende beim Umgang mit mehrsprachigen Chicano/a-​Texten einen Einblick in die Mehrsprachigkeit des spezifischen fremdkulturellen Kontexts USA-​Mexiko erhalten, der durch wide-​reading-Strategien (vgl. Hallet 2007) historisch und politisch kontextualisiert werden muss. Sie können sich in die Perspektive von mehrsprachig und mehrkulturell lebenden Personen hineinversetzen oder sich auch darin wiederfinden. Im Sinne der symbolic competence sollte auch eine Reflexionsfähigkeit hinsichtlich der ästhetischen, aber auch der politischen Wirkungen des Sprachenwechsels bei den SchülerInnen angebahnt werden. Dies bedeutet beispielsweise, dass im Unterricht die inferiore Stellung des Spanischen als Minderheitensprache in den 1960er Jahren und der lange Kampf der Chicanos/as, diese Sprache in der Öffentlichkeit nutzen zu dürfen, thematisiert werden müssen. Erst unter diesen Voraussetzungen können Lernende verstehen, wie die Chicano/a-​AutorInnen den Wechsel ins Spanische als ein Instrument der Selbstermächtigung nutzen.

Mehrsprachige Chicano/a-​Texte können des Weiteren als Brücke zwischen ‚fremder‘ und ‚eigener‘ Mehrsprachigkeit der SchülerInnen fungieren, denn aus den rezeptionsästhetischen Arbeiten (vgl. z. B. Bredella 2007, 2010) ist bekannt, dass Lernende bei der Rezeption literarischer Texte an bereits vorhandene Wissens- und Erfahrungsbestände anknüpfen, um die Identitäts- und Handlungsentwürfe der Figuren zu erfassen und die im Text präsentierten Perspektiven auf Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität zu verstehen und zu beurteilen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit einer „doppelten Partizipationsfähigkeit“ (Stamenković 2023: 77), denn die Lernenden erhalten durch diese Texte Zugang zu den fremdkulturellen Diskursen des Grenzraums USA-​Mexiko über ihre Mehrheits- und Minderheitensprache und können diese auf Sichtweisen oder Haltungen zu Mehrsprachigkeit der eigenen Lebenswelt beziehen. Wie dieses Potenzial im Englischunterricht umgesetzt werden kann, wurde mit fortgeschrittenen Englischlernenden an zwei Gymnasien und zwei Sekundarschulen in Berlin erforscht. Im Folgenden werden das Untersuchungsdesign sowie die Phasen der Datenerhebung und der Datenauswertung kurz skizziert, bevor anschließend anhand exemplarisch ausgewählter Daten dargestellt wird, wie Mehrsprachigkeit in den Unterrichtseinheiten zum Gegenstand des Englischunterrichts gemacht wurde und wie dieser wiederum mehrsprachig gestaltet werden konnte.

4Der Einsatz mehrsprachiger Chicano/a-Texte im Englischunterricht: Vorstellung des Untersuchungsdesigns

Das Ziel der hier vorgestellten Studie war es zu erfassen, was SchülerInnen im Umgang mit mehrsprachigen Chicano/a-​Texten (aus Literatur und Filmen) lernen, welche der eingesetzten Unterrichtsdesigns und Unterrichtsaktivitäten in besonderer Weise zur Entwicklung einer mehrsprachigen Diskursfähigkeit beitragen und welche Faktoren diesen Prozess beeinflussen bzw. welche Problemfelder sich für die Unterrichtsplanung und die Unterrichtspraxis ergeben können. Die Studie umfasste Unterrichtseinheiten zu zwei mehrsprachigen Jugendromanen (Caramelo von Sandra Cisneros und Sammy & Juliana in Hollywood von Benjamin Alire Sáenz) sowie zu einem englisch-​spanischen Film (Real Women Have Curves von Patricia Cardoso), die mit der Chicano/a-​Lyrik kombiniert wurden. Die Einheiten wurden an unterschiedlichen Schulformen in Grund- und in Leistungskursen Englisch unterrichtet, d. h., dass zum Zeitpunkt der Durchführung im Schuljahr 2015/2016 die SchülerInnen durchschnittlich neun Jahre Englisch als erste Fremdsprache gelernt haben. Die Lerngruppen umfassten jeweils zwischen 12 und 22 SchülerInnen im Alter von 16 bis 18 Jahren, von denen einige Spanisch als dritte Fremdsprache lernten, andere keine Vorerfahrungen in dieser Sprache hatten, aber über Kenntnisse des Französischen oder des Lateinischen verfügten. Auch der Anteil der SchülerInnen mit nichtdeutscher Herkunftssprache war je nach Lerngruppe sehr unterschiedlich.1 An der Studie haben vier Lehrkräfte teilgenommen, zwei davon unterrichteten Englisch und Spanisch, zwei hatten keine oder kaum Vorkenntnisse im Spanischen. Da die mehrsprachigen Chicano/a-​Texte ein neues Genre für die LehrerInnen darstellten, machte die Forscherin Vorschläge zur Textauswahl und Textkombination; die konkrete didaktisch-​methodische Planung der Einheiten und die Durchführung des Unterrichts übernahmen die Lehrenden selbst. Die beiden Romane Caramelo und Sammy & Juliana in Hollywood wurden in Auszügen gelesen und durch den Einsatz verschiedener Lehrbuchtexte zu der Situation der Chicano/a-​Community in den USA aus gängigen Lehrwerken für den fortgeschrittenen Englischunterricht kontextualisiert.

Vor der Durchführung der Einheit wurden Befragungen mit SchülerInnen und mit der Lehrkraft durchgeführt. Die Lernenden füllten den Fragebogen A (vgl. Stamenković 2023: 268f.) aus, der vor allem aus den Fragen zu sprachlichen Voraussetzungen der SchülerInnen bestand und die sprachliche und die kulturelle Zusammensetzung der Lerngruppe abbilden sollte. Dieser Fragebogen hatte in Kombination mit dem Fragebogen B (ibid.), der nach der Einheit ausgefüllt wurde, eine wichtige Funktion bei der Auswahl der InterviewpartnerInnen für das retrospektive Schülerinterview, denn es sollten zum Interview Lernende mit verschiedenen sprachlichen Hintergründen und mit möglichst verschiedenen Meinungen zur Lehreinheit eingeladen werden. Die Zuordnung der beiden Fragebögen erfolgte durch einen Code, den sich die SchülerInnen selbst geben mussten. Mit den Lehrenden wurde vor Beginn der Einheit ein kurzes Interview geführt, um ihre ersten Eindrücke zu den gelesenen Chicano/a-​Texten zu erheben und einzuschätzen, welches Potenzial sie vorab diesen Texten zuschreiben und wo sie möglicherweise Herausforderungen bei der Durchführung in ihrer Lerngruppe sehen.

Die Einheiten erstreckten sich über 14 bis 19 Stunden und wurden vollständig im Klassenraum videographiert, die Gruppenarbeitsphasen wurden akustisch aufgenommen. Zusätzlich wurden Schülerprodukte (Aufgabenblätter, kreative Texte der SchülerInnen, Reflexionsaufgaben etc.) erhoben. Nach der Durchführung der gesamten Unterrichtseinheit wurde allen SchülerInnen der kurze Fragebogen B ausgehändigt, der drei Fragen zu ersten Einschätzungen der Unterrichtseinheit enthielt. Nach der oben beschriebenen Sampling-​Strategie wurden anschließend sieben bis acht SchülerInnen zu einem leitfadengestützten Gruppeninterview eingeladen, das teilweise – im Sinne eines fokussierten Interviews – Nachfragen zu den Aussagen auf dem Fragebogen B enthielt (vgl. Stamenković 2023: 270f.). Mit den Lehrenden wurde ein ausführliches Einzelinterview geführt, in dem sie beispielsweise nach dem Lernzuwachs ihrer SchülerInnen bzw. nach ihren Einschätzungen zu bestimmten Aufgaben bzw. Lernaktivitäten der SchülerInnen befragt wurden. Alle Interviews wurden akustisch aufgezeichnet.

Die Daten wurden von der Forscherin transkribiert und mittels qualitativer Inhaltsanalyse kodiert (vgl. Mayring 2010; Kuckartz 2018), wobei die deduktive und die induktive Kategorienbildung kombiniert wurden. Die theoriegeleitete deduktive Kategorienbildung stützte sich auf die theoretischen Erkenntnisse der Mehrsprachigkeits- und der Literaturdidaktik (vgl. Stamenković 2023: 35ff.), die als Grundlage für die weitere Hypothesengenerierung dienten. Die Kategorienbildung folgte fünf unterschiedlichen Phasen des Unterrichts und spiegelte so auch den Aufbau der Unterrichtseinheiten wider: (1) Dekodierung des mehrsprachigen Textes, (2) Wahrnehmung und Interpretation der Mehrsprachigkeit literarischer Figuren, (3) Mehrsprachigkeit als literarisches Gestaltungsverfahren, (4) mehrsprachiges Schreiben und (5) die Reflexion des Mehrsprachigkeitslernens. Die induktive Kategorienbildung am Material (vgl. Kuckartz 2018: 72ff.) führte dazu, dass diese deduktiven Kategorien ausdifferenziert und ergänzt werden konnten.

5Die ‚fremde‘ und ‚eigene‘ Mehrsprachigkeit als Gegenstand des Englischunterrichts

Bei der Beantwortung der Frage, welche Themen oder Aufgaben aus der Unterrichtseinheit ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind (Frage 2, Fragebogen B), nahmen viele SchülerInnen Bezug zu den gelesenen Texten und schrieben den Romanen oder dem Film eine große Bedeutung bei der Beurteilung der Unterrichtseinheit zu. Sie fanden es interessant zu erfahren, wie die Situation der Chicano/a-​Community in den 1960er Jahren während der Bürgerrechtsbewegung gewesen war und wie sie sich im Laufe der Jahre verändert hatte (vgl. Stamenković 2023: 167ff.). Dies gilt in besonderer Weise für den Roman Sammy & Juliana in Hollywood