Dombey und Sohn - Charles Dickens - E-Book

Dombey und Sohn E-Book

Charles Dickens.

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Beschreibung

Dombey und Sohn Charles Dickens - Dies ist die Vollversion Teil 1 und 2 - Dickens' "Dombey und Sohn" ist die düster-witzige Geschichte über den Kampf ums Glück zweier Geschwister, die zeitlebens immer im Schatten des stolzen Vaters stehen. Für Paul Dombey ist das Geschäft sein "ein und alles", Geld kann für ihn alles bewirken und alle Probleme lösen. Genauso steht er auch seiner Familie vor: rational, abschätzend, kaltherzig. Die einzige Person, um die er sich kümmert, ist sein gebrechlicher Sohn, der ihn für den Eintritt in das Familienunternehmen pflegt. Seine Tochter Florence, verlassen und ignoriert, sehnt sich nach Zuneigung von ihrem lieblosen Vater, für ihn ist sie nur eine "eine falsche Münze, die nirgends angelegt werden konnte – ein missratenes Ding, weiter nichts". Während sich Dombeys Herzlosigkeit auf andere erstreckt - von seiner trotzigen zweiten Frau Edith bis hin zu Florences Verehrer Walter Gay - sät er die Samen seiner eigenen Zerstörung.

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Charles Dickens
Dombey und Sohn

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Einleitung.

Den Roman »Dombey und Sohn« schuf Dickens in den Jahren 1846 bis 1848, also nach den »Weihnachtserzählungen« und vor »David Copperfield«. Der damals etwa Fünfunddreißigjährige, auf der Höhe seines Schaffens stehend, beschäftigt sich auch hier wieder, wie schon in seinen früheren Arbeiten, mit den »moralischen Problemen« des Lebens, wenn man sich so ausdrücken darf. Die Probleme laufen alle auf die eine Hauptfrage hinaus: Wie ist das Leben recht zu gestalten, so daß wir nicht im Unmaß verhärten? Das rechte Maßhalten bedingt den schönen, wahren und guten Menschen. Aber alles Unmaß ist Sünde und führt ins Verderben. Unmaß im Besitz führt zur Habgier und zum Geiz und zu der Vereinsamung, wie sie Scrooge im »Weihnachtsabend« an sich erfahren hat. Unmaß im Selbstbewußtsein aber leiten zu Hochmut und Stolz und zu jener selbstgewählten grausam marternden Einsamkeit, unter deren Auswirkungen die Kinder des reichen Kaufherrn Dombey so schwer leiden.

Das ganze Werk ist eine großartige psychologische Darstellung der Geschichte eines solchen stolzen, eisernen Herzens, das sich mit Hochmut umpanzert, bis die Katastrophe hereinbricht: Wehe dem Wesen, das nicht zu lieben gelernt hat! Es mag die ganze Welt gewinnen, sie bleibt äußerer Glanz und erwärmt nicht sein Inneres. Es mag zuzeiten stolz und unnahbar dastehen und glauben, die liebende Demut sei Torheit und überflüssig. Aber es wird erfahren, daß zuletzt aller Hochmut aushöhlt, die Seele leer läßt und sie in der Einöde der Heimatlosigkeit frieren läßt, bis sie zu spät ihre Armseligkeit erkennt.

Für all das bietet der stolze Dombey das erschütternde Beispiel. Sein Ehrgeiz läßt ihn überall auf falsche Karten setzen. So verliert er den sorgfältig geschützten und gehegten Sohn Paul, den er nicht um des Kindes selbst willen, sondern um der Firma, des Geschäfts, des äußeren Ansehens willen liebt. So jagt er, den Verlust seiner ersten, wirklich guten Frau gar nicht empfindend, einer blendend schönen Erscheinung nach, der unglückseligen Edith, deren Mutter eine ränkevolle elegante Kupplerin ist. Durch die Verbindung mit dieser äußeren Schönheit, die er nicht liebt, sondern sich durch reiche Ausstattung erkauft, glaubt er sein Ansehen in der Welt erhöhen zu können. Aber Edith betrügt ihn mit seinem Geschäftsführer, und der äußerlich vornehme, dünkelhafte Dombey wird seelisch in den völligen Bankerott gestürzt, den er sich selbst verdient hat. Das Schicksal, das er erlebt, ist zugleich strenge Gerechtigkeit.

Aber wundervoll ist es nun zu beobachten, wie Dickens es versteht, neben dieser Welt der Kälte, der Berechnung, der lieblosen Hoffahrt eine Welt der Liebe, Hilfsbereitschaft und Güte aufblühen zu lassen. Neben der Gerechtigkeit waltet nun die Gnade und das erlösende Erbarmen, das die Eisesstarre des stolzen Herzens der Dombey-Welt schmilzt und einen Lebensfrühling schließlich heraufzaubert im Sinne von: Ende gut, alles gut! Ohne diese Losung, ohne diesen Glauben an die schließliche Siegeskraft des Guten in der Welt, hat Dickens, wie wir es schon aus den früheren Bänden dieser Ausgabe wissen, überhaupt keinen Roman schreiben und zum Abschluß bringen können. Diese Welt der Liebe blüht auf in den von Dombey verachteten Gestalten, die ihn später retten: in einer lieblichen Tochter, Florence, in der der Dichter ein Idealbild reiner Mädchenhaftigkeit und Weiblichkeit gezeichnet hat, in den originellen Käuzen, wie dem alten Instrumentenmacher Gills und dem wackeren Kapitän Cuttle, einem braven Seebären von rührend-komischer Unbeholfenheit, aber dem treuesten Herzen, das es auf der Welt geben kann. Dickens zeigt hier, wie echtes Gold sich oft unter unscheinbar rauher Außenhülle verbirgt. Endlich in dem prächtigen Walter, dem frischen Jungen, der sich in schweren Sturmesnöten zum gutgearteten Jüngling entwickelt. In den liebenden Mächten, die diese Gestalten verkörpern, läßt der Dichter den Titelhelden seines Romans die Rettung aus dem Zusammenbruch finden.

Außer den immer bleibenden menschlichen Wahrheiten, die sich in diesem Werke herausheben, bietet das Buch ein schon kulturhistorisch interessantes Spiegelbild der damaligen englischen Gesellschaft. Wir sind geneigt, über manche altmodische Umständlichkeiten jener empfindsameren Zeit, als die unsere ist, zu lächeln. Aber wer weiß: werden nicht auch unsere Enkel wieder lächeln über manche Torheiten unserer heutigen Gesellschaft, über Torheiten, die wir heute noch gar nicht als solche empfinden? Man muß Dickens mit Zeit und Behagen lesen, wie wir schon in der Einleitung zu den »Pickwickiern« ausführten. Dann wird man gerade aus dem zeitlichen Kolorit manchen erkenntniswerten Schatz auch für unsere moderne Zeit mitnehmen.

Die Durcharbeitung dieses Werkes fiel für den Herausgeber in eine Zeit, da er selbst durch Amtsgeschäfte und berufliche Tätigkeit sehr in Anspruch genommen war. Um so dankbarer ist er daher seiner bisherigen treuen Helferin an diesem Unternehmen, Frau Clara Weinberg, für die geleistete Unterstützung.

Den 26. Januar 1928.

P. Th. H.

Erstes Kapitel.

Dombey und Sohn.

Dombey saß in der Ecke des abgedunkelten Zimmers in dem großen Lehnstuhl neben dem Bett, und Sohn lag, warm eingewickelt, in einem Korbnestchen, das unmittelbar vor dem Feuer auf einem niedrigen Schemel stand und der Glut sich so nah befand, als ob die Konstitution des jungen Herrleins Ähnlichkeit habe mit der einer Semmel, die braun geröstet werden muß, solange sie noch frisch ist.

Dombey war ungefähr achtundvierzig Jahre alt, Sohn etwa achtundvierzig Minuten. Dombey war etwas kahl, ziemlich rot und, obschon sonst ein wohlproportionierter Mann, doch zu ernst und zu pomphaft in seinem Äußern, um durch dieses sonderlich anzusprechen, während Sohn sehr kahl, sehr rot und, wenn auch unleugbar ein sehr schönes Kind, im allgemeinen vorderhand etwas zerdrückt und verbeult aussah. Auf Dombeys Stirn hatten Zeit und Sorge, wie an einem Baum, der bald zum Fällen reif ist, allerlei Merkmale eingegraben: denn besagte beiden Schwestern schreiten schonungslos durch die Menschenforsten und lassen überall die Zeichen ihres Dagewesenseins zurück. Das Gesicht von Sohn aber war von tausend kleinen Furchen gekreuzt, die dieselbe hinterlistige Zeit mit dem flachen Teil ihrer Sense auszuglätten bestimmt war – eine Vorbereitung für die tieferen Eindrücke späterer Jahre.

Überglücklich ob der langersehnten Ereignisse klimperte und klimperte Dombey mit der schweren goldenen Uhrkette, die unter dem eleganten blauen Frack hervorblitzte, während die Knöpfe des erwähnten Kleidungsstückes in den matten Strahlen des fernen Feuers phosphorisch funkelten. Sohn dagegen reckte seine Händchen in die Höhe, ballte sie zu Fäustchen und schien mit dem Dasein, in das es so unerwartet getreten war, Händel anfangen zu wollen.

»Mrs. Dombey«, begann Mr. Dombey, »das Haus wird fortan nicht bloß der Firma nach, sondern nun auch wieder in der Tat Dombey und Sohn sein. Dombey und Sohn!«

Diese Worte übten einen so starken Einfluß aus, daß der Sprecher (freilich nicht ohne einiges Zögern, da er an dergleichen nicht gewöhnt zu sein schien) dem Namen der Mrs. Dombey einen Ausdruck der Zärtlichkeit beifügte, er sagte nämlich:

»Mrs. Dombey, meine – meine Liebe,«

Ein flüchtiges Rot, das Merkzeichen einer kleinen Überraschung, glitt über da« Antlitz der Wöchnerin, als sie ihre Blicke zu Mr. Dombey erhob.

»Er wird in der Taufe den Namen Paul erhalten, meine Mrs. Dombey, – natürlich.«

Sie wiederholte matt das »natürlich«, oder schien es wenigstens durch die Bewegung ihrer Lippen tun zu wollen; dann aber schloß sie die Augen wieder.

»Seines Vaters Name, Mrs. Dombey, und seines Großvaters! Wollte Gott, sein Großvater hätte diesen Tag erlebt.«

Und abermals fügte er – genau in demselben Ton wie früher – bei:

»Dombey und Sohn!«

Diese drei Worte umfaßten die einzige Idee von Mr. Dombeys Leben. Die Erde war nur da, damit Dombey und Sohn Geschäfte darin machen konnten, und Sonne und Mond hatten bloß die Bestimmung, für Dombey und Sohn zu scheinen, Flüsse und Meere waren da, um die Schiffe der Firma zu tragen; die Regenbogen versprachen nur ihr schönes Wetter; Sterne und Planeten liefen in ihren Kreisen, um unabänderlich einem System zu folgen, von dem Dombey und Sohn den Mittelpunkt bildete. Gewöhnliche Abkürzungen erhielten in seinen Augen ganz neue Bedeutungen, die bloß auf seine Firma Bezug hatten, und A. D. lautete in seiner Zeitrechnung nicht als Annus Domini, sondern als Annus Dombei – und Sohn.

Er hatte sich, wie vor ihm sein Vater, im Laufe der Zeit vom Sohn zu Dombey heraufgearbeitet und fast zwanzig Jahre lang die Firma als alleiniger Repräsentant vertreten. Die Hälfte dieser Periode war ihm im Ehestand entschwunden – wie einige sagen, mit einer Dame, die ihm nicht ihr Herz zur Morgengabe brachte, sondern ihr Glück in der Vergangenheit suchte und sich darin fügen mußte, den gebrochenen Geist an das ergebungsvolle Dulden der Gegenwart zu fesseln. Dergleichen Gerede kam übrigens nicht leicht Mr. Dombey zu Ohren, wie sehr er auch dabei beteiligt war, und wenn es je auch so weit gekommen wäre, so würde er zu allerletzt daran geglaubt haben. Dombey und Sohn hatten zwar schon oft in Häuten, nie aber in Herzen Geschäfte gemacht, denn letztere waren ein Geschäftszweig, den sie gerne jungen Burschen und Mädchen, den Kostschülern und den Bücherschreibern überließen. Mr. Dombey pflegte zu sagen, daß ein Ehebund mit ihm an und für sich jedem auch nur mit gewöhnlichem Verstand begabten Frauenzimmer sehr wünschenswert und ehrenvoll sein müsse, und die Hoffnung, einem solchen Hause einen neuen Associé zu geben, könne nicht fehlen, in der anspruchslosesten Weiberbrust ein Gefühl des glühendsten Ehrgeizes zu wecken. Mrs. Dombey habe mit ihm diesen sozialen Ehevertrag eingegangen, der ihr, selbst eine Bezugnahme auf die Fortpflanzung der Familienfirma, fast notwendig die Teilnahme an einer gentilen und wohlhabenden Stellung sicherte, und alle diese Vorteile vollkommen eingesehen, ja noch außerdem durch tägliche Erfahrung sich überzeugen können, welche Stellung er in der Gesellschaft einnehme; sie habe stets an seiner Tafel obenan gesessen, und habe die Honneurs seines Hauses nicht nur in geziemender Weise, sondern auch mit dem Anstand einer seinen Dame gemacht; sie müsse daher notwendig glücklich sein, ob sie nun wolle oder nicht. Oder jedenfalls lag ihr dabei nur ein einziger Hemmstein im Wege. Ja. Dies würde er zugegeben haben. Nur ein einziger, der aber zuverlässig viel in sich faßte. Sie waren zehn Jahre verheiratet gewesen, ohne bis auf die Stunde, in welcher Mr. Dombey auf dem Lehnstuhl neben dem Bette mit der goldenen Uhrkette klimperte, einen Sprößling erzielt zu haben.

Daß ich's recht sage, wenigstens keinen erheblichen. Vor etwa sechs Jahren war zwar ein Mädchen geboren, und das Kind, das sich eben erst unbemerkt ins Gemach gestohlen hatte, duckte sich jetzt schüchtern in eine Ecke, von der aus es seiner Mutter ins Gesicht sehen konnte. Aber was war ein Mädchen für Dombey und Sohn! In dem Kapitel des Firmanamens und der Firmawürde erschien ein solches Kind nur wie eine falsche Münze, die nirgends angelegt werden konnte – ein mißratenes Ding, weiter nichts.

Im gegenwärtigen Augenblick war übrigens Mr. Dombeys Wonnebecher so zum Überquellen angefüllt, daß er fühlte, er könne wohl einige Tröpflein des Inhalts missen, um den Staub auf dem Nebenpfade seiner kleinen Tochter damit zu benetzen. Er sagte daher:

»Florence, du kannst hingehen und dein Brüderlein ansehen, denn ich denke mir, daß dies dein Wunsch ist. Aber rühre es beileibe nicht an.«

Die Kleine warf einen lebhaften Blick auf den blauen Frack und die steife weiße Halsbinde, welche nebst ein Paar knarrenden Stiefeln und einer laut tickenden Taschenuhr ihre Idee von einem Vater verkörperten; aber ihre Augen kehrten unmittelbar darauf wieder zu dem Gesicht ihrer Mutter zurück, und sie rührte sich nicht von der Stelle, während sie zugleich ihre Lippen geschlossen hielt.

Im nächsten Moment öffnete die Dame ihre Augen und wurde des Kindes ansichtig. Die Kleine eilte auf sie zu, stand auf die Zehen, um ihr Gesichtchen besser an dem mütterlichen Busen verbergen zu können, und klammerte sich an die Wöchnerin mit einer so verzweifelten Innigkeit, wie man sie in ihren Jahren nicht erwartet hätte.

»O Gott behüte mich!« sagte Mr. Dombey, indem er ärgerlich aufstand. »Wahrhaftig, dies ist ein sehr unbesonnenes Benehmen und wird das Fieber nur steigern. Es ist wohl am besten, ich frage bei Doktor Peps an, ob er nicht vielleicht die Güte haben will, noch einmal heraufzukommen. Ich will hinunter gehen. Es wird nicht nötig sein, daß ich Euch erst bitte«, fügte er bei, während er bei der Chaiselongue vor dem Feuer einen Augenblick stehen blieb, »auf diesen jungen Gentleman ganz besondere Sorgfalt zu verwenden, Mrs. –«

»Blockitt, Sir?« ergänzte die Wärterin, ein jungferliches Stückchen verblichener Geziertheit, das sich nicht erdreistete, seinen Namen als Tatsache hinzustellen, sondern ihn nur in der Form einer milden Frage andeuten wollte. »Auf diesen jungen Gentleman, Mrs. Blockitt.«

»Nein, Sir, gewiß nicht. Ich erinnere mich, als Miß Florence geboren wurde –«

»Ja, ja, schon gut«, entgegnete Mr. Dombey, indem er sich über das Korbbettchen beugte und zu gleicher Zeit die Stirne runzelte, »Bei Miß Florence war es schon recht, aber hier ist der Fall anders. Dieser junge Gentleman hat eine Bestimmung zu erfüllen. Eine Bestimmung, kleiner Bursch!«

Während dieser Anrede erhob er eines von den Händchen des Knaben an seine Lippen und küßte es: dann aber schien er sich zu besinnen, daß diese Handlung seiner Würde Abbruch getan haben könnte, und er verließ deshalb etwas verlegen das Gemach.

Doktor Parker Peps, einer der Hofärzte und ein Mann, der wegen seiner Kunst in der Beihilfe zur Vergrößerung bedeutender Familien sich eines hohen Rufs erfreute, ging mit auf dem Rücken gekreuzten Händen im Besuchzimmer auf und ab, zur unaussprechlichen Bewunderung des Hausarztes, der schon seit sechs Wochen unter allen seinen Patienten, Freunden und Bekannten den Fall als einen solchen ausposaunt hatte, der ihm keinen Augenblick Ruhe lasse, weil er Tag und Nacht jede Stunde gewärtig sein müsse, in Gemeinschaft mit Doktor Parker Peps beigezogen zu werden.

»Habt Ihr gefunden, Sir«, begann Doktor Parker Peps mit tiefer, klangreicher Stimme, die übrigens gleich dem Türklopfer für den gegenwärtigen Anlaß gedämpft war, »daß Eure teure Gemahlin durch Euren Besuch aufgeregt wurde?«

»Stimuliert, sozusagen?« fügte der Hausarzt leise bei und verbeugte sich sodann gegen den Doktor, als wollte er sagen: »Entschuldigt, daß ich ein Wörtchen einflocht, aber es handelt sich hier um eine wertvolle Kundschaft.«

Mr. Dombey war sehr betroffen ob dieser Frage, denn er hatte so wenig an die Patientin gedacht, daß er nichts darauf zu antworten wußte. Seine Erwiderung lautete dahin, daß es ihm zur Beruhigung gereichen werde, wenn Doktor Peps noch einmal oben einen Besuch machen wolle.

»Gut. Wir dürfen es Euch nicht verbergen, Sir«, sagte Doktor Peps, »daß der Mangel an Kräften bei Ihren Gnaden, der Frau Herzogin – bitt' um Verzeihung, ich verwechsle die Namen: wollte sagen, bei Eurer liebenswürdigen Gemahlin sehr groß ist. Wir haben es mit einem gewissen Grad von languor zu tun, mit einer allgemeinen Abwesenheit von Elastizität, die wir lieber – nicht –«

»Sehen möchten«, setzte der Hausarzt mit einer abermaligen Kopfverbeugung hinzu.

»Ganz richtig«, entgegnete Doktor Parker Peps: »die wir lieber nicht sehen möchten. Es kommt mir vor, als ob dieses System der Lady Cankaby – entschuldigt, ich meinte, der Mrs. Dombey: ich verwechsle die Namen der Fälle –«

»Sie kommen so gar häufig vor«, murmelte der Hausarzt, »daß sich in der Tat nichts anderes erwarten läßt. Wäre es ein Wunder, wenn's nicht so sei, bei der großen Praxis, die Doktor Parker Peps im Westend hat –«

»Danke, vollkommen richtig bemerkt«, versetzte der Doktor. »Es kommt mir vor, als habe das System unserer Patientin einen Stoß erlitten, von dem sie nur durch eine große, kräftige und –«

»Nachdrückliche«, murmelte der Hausarzt.

»Ganz recht«, pflichtete der Doktor bei – »durch eine nachdrückliche Kraftanstrengung sich wird erholen können. Mr. Pilkins hier, der vermöge seiner Stellung als Hausarzt dieser Familie – ich muß sagen, ich kenne niemand, der eines solchen Vertrauens würdiger wäre –«

»O!« murmelte der Hausarzt. »Lob von Sir Hubert Stanley!«

»Ihr seid allzu gütig«, erwiderte Doktor Parker Peps. »Mr. Pilkins, der kann sein Fach am besten ausfüllen, der mit der Konstitution der Patientin im normalen Zustand bekannt ist – und ein solches Wissen ist für uns bei der Bildung unserer Ansichten über solche Fälle von hoher Wichtigkeit – teilt mein Dafürhalten, daß die Natur zu einer vollen Widerstandsfähigkeit veranlaßt werden muß, und wenn unsere interessante Freundin, die Gräfin von Dombey – ich bitte wieder um Verzeihung – Mrs. Dombey – nicht imstande –«

»Sein sollte«, ergänzte der Hausarzt.

»Diese erfolgreich zu überstehen«, fuhr Doktor Parker Peps fort, »so dürfte es wohl zu einer Krisis kommen, die wir beide aufrichtig beklagen würden.«

Hierauf blieben sie einige Minuten stehen und sahen zu Boden; dann aber gingen sie auf einen stummen Wink des Doktor Parker in das obere Gemach. Der Hausarzt öffnete seinem beruflich höher stehenden Kollegen die Tür und folgte ihm voll der unterwürfigsten Höflichkeit.

Wenn wir sagen wollten, Dombey sei durch die Worte der Arzte nicht nach seiner Art ergriffen worden, so würden wir ihm Unrecht tun. Er war allerdings nicht der Mann, der einer Erschütterung im eigentlichen Sinne zugänglich war, trug aber doch ein gewisses Bewußtsein in sich, daß es ihm sehr leid tun würde, wenn seine Gattin ernstlich erkrankte und stürbe, da ihm dann für sein Silberzeug, seine Möbel und die Hausgerätschaften etwas fehlte, was wohl zu ihnen gehörte. Aber ohne Zweifel hätte seine Trauer einen gewissen ruhigen, gentlemanischen, geschäftsmäßigen und gefaßten Charakter behauptet.

Seine Betrachtungen über diesen Gegenstand wurden aber bald durch das Rauschen von Kleidern auf der Treppe und dann durch das plötzliche Hereinstürzen einer Dame unterbrochen, die, obwohl sie in den mittleren Jahren stand, sich aber, was die Enge des Korsetts betraf, sehr jugendlich trug. Sie eilte mit einem gewissen verschraubten Wesen in Gesicht und Haltung auf ihn zu, schlang ihre Arme um seinen Hals und rief mit erstickter Stimme:

»Mein teurer Paul, er ist ganz ein Dombey!«

»O, schon gut!« entgegnete ihr Bruder – denn dies war Mr. Dombey – »ich denke selbst auch, daß er den Familienzug trägt. Aber sei nicht so ungestüm, Louisa.« »Es ist sehr töricht von mir«, sagte Louisa, indem sie Platz nahm und ihr Taschentuch herauszog, »aber er – er ist ein so vollkommener Dombey! In meinem Leben habe ich nie etwas Ähnlicheres gesehen!«

»Aber wie steht es mit Fanny selbst?« fragte Mr. Dombey. »Was hältst du von ihrem Zustand?«

»Mein lieber Paul, es ist durchaus nichts«, antwortete Louisa – »mein Wort dafür, durchaus nichts. Allerdings ist sie erschöpft, aber lang nicht in dem Grade, wie bei mir, als ich mit George oder Frederik Wöchnerin war. Man muß ihr wieder zu Kräften verhelfen, das ist alles. Wenn die liebe Fanny eine Dombey wäre! Trotzdem, ich stehe dafür, sie wird sich machen: ich zweifle nicht daran, daß sie sich noch machen wird. Mein lieber Paul, ich weiß, es ist sehr schwach und töricht von mir, daß ich vom Kopf bis zu den Füßen so zittere: aber es ist mir so seltsam, daß ich dich um ein Glas Wein und um einen Bissen von diesem Kuchen bitten muß. Ich meinte, ich müsse zum Treppenfenster hinausstürzen, als ich von meinem Besuch bei Fanny und bei dem kleinen Schnäbelchen herunterkam.«

Die letzten Worte hatten ihren Ursprung in einer plötzlichen lebhaften Erinnerung an den Neugeborenen. Sie hatte aber kaum ausgesprochen, als sich an der Tür ein leises Pochen vernehmen ließ.

»Mrs. Chick«, sagte draußen eine sehr sanfte weibliche Stimme, »wie geht es Euch jetzt, meine liebe Freundin?«

»Mein teurer Paul«, nahm Louisa leise das Wort, indem sie sich zugleich von ihrem Sitze erhob, »es ist Miß Tox – das wohlwollendste Geschöpf. Ohne sie hätte ich nicht herauskommen können. Miß Tox, mein Bruder Mr. Dombey. Lieber Paul, meine ganz besondere Freundin, Miß Tox.«

Die so speziell vorgestellte Dame war ein langes mageres Frauenzimmer von so verblichener Außenseite, daß es den Anschein hatte, als sei sie, wie es die Modewarenhändler nennen, von Haus aus nicht »echtfarbig« gewesen, und deshalb in der Wäsche allmählich ganz und gar verschossen. Außerdem aber hätte man sie als die wahre Blume von Sanftmut und Höflichkeit bezeichnen können. Infolge ihrer langen Gewohnheit, allem, was in ihrer Gegenwart gesprochen wurde, ein bewunderndes Ohr zu schenken, wobei sie die Redenden anzusehen pflegte, als sei sie innerlich beschäftigt, die Bilder derselben in ihre Seele aufzunehmen und sich nur mit dem Leben von ihnen zu trennen, hatte sich ihr Kopf völlig nach der einen Seite verschoben. An ihren Händen bemerkte man stets ein krampfhaftes Zucken, sich wie in unwillkürlicher Bewunderung aus eignem Antrieb zu erheben, und ihre Augen waren einer ähnlichen Manier unterworfen. Sie hatte die weichste Stimme, die man nur hören kann, und ihre erstaunlich sperberartige Nase war in der Mitte oder am Schlußsteine des Rückens mit einem kleinen Knauf versehen, der gegen ihr Gesicht abwärts lief, wie in unüberwindlicher Entschlossenheit, nie ein Aufwerfen des gedachten Gesichtsvorsprungs zu gestatten.

Obschon ihr Kleid vollkommen nett und gut war, drückte sich doch eine gewisse Eckigkeit und Knappheit darin aus. In ihren Hüten und Hauben pflegte sie wunderliche, unkrautartige Blümchen zu tragen, und in ihrem Haar bemerkte man bisweilen seltsame Gräser: auch konnte jeder, der sich dafür interessierte, an ihren Kragen, Rüschen, Manschetten und sonstigem Spitzenzeug – kurz an allem, was an ihrem Kleid die Bestimmung hatte, sich zu vereinigen, die Wahrnehmung machen, daß die beiden Enden nie auf freundschaftlichem Fuß miteinander standen, sondern stets eine große Neigung verrieten, die Verbindung nicht ohne Kampf vollziehen zu lassen. Für ihren Winterputz hatte sie Pelzkragen, Boas und Muffe, die stets in herausfordernder Weise auf der einen Seite standen und wild ihre Haare sträubten; auch besaß sie die Liebhaberei, stets kleine Beutel mit Federschlössern bei sich zu führen, die, wenn sie geöffnet werden sollten, wie kleine Pistolen losgingen, und sooft sie sich in vollem Putz zeigte, prunkte an ihrem Hals das geschmackloseste aller Schlösser mit einem alten, glotzenden Auge, in dem auch nicht eine Spur von Sinn lag. Diese und andere ähnliche Merkmale dienten dazu, die Ansicht zu verbreiten, Miß Tor sei eine Dame von zwar beschränkten, aber doch unabhängigen Mitteln, die sie im besten Lichte erscheinen ließ. Möglich, daß ihr trippelnder Gang diesen Glauben ermutigte, weil man daraus entnehmen konnte, der Umstand, daß sie einen gewöhnlichen Schritt in drei abteilte, habe notwendig seinen Ursprung in der Gewohnheit, alles aufs beste zu tun.

»In der Tat,« sagte Miß Tor mit einem bewundernswürdigen Knix, »die Ehre, Mr. Dombey vorgestellt zu werden, ist eine Auszeichnung, nach der ich mich längst gesehnt habe, obschon ich sie in diesem Augenblicke nicht erwartet hätte. Meine teure Mrs. Chick – darf ich sagen, Louisa?«

Mrs. Chick nahm die Hand der Freundin in die ihrige, setzte den Fuß ihres Weinglases darauf, unterdrückte eine Träne und sprach mit gedämpfter Stimme:

»Gott behüte, wozu auch diese Frage?«

»Meine teure Louisa also«, versetzte Miß Tor, »meine süße Freundin, wie geht es Euch jetzt?«

»Besser«, erwiderte Mrs. Chick. »Darf ich Euch etwas Wein anbieten? Ihr seid fast ebenso in Sorge gewesen wie ich, und habt es daher wohl verdient.«

Mr. Dombey schenkte ihr ein.

»Miß Tor, Paul«, fuhr Mrs. Chick fort, indem sie noch immer die Hand ihrer Freundin festhielt, »war Zeuge, wie sehr ich mich im voraus auf das Ereignis des heutigen Tage« freute, und hat daher eine kleine Gabe für Fanny angefertigt, die ich ihr zu überreichen versprach. Es ist nur ein Nadelkissen für den Toilettentisch, Paul, aber ich sage und werde stets sagen, ja, ich muß sagen, daß Miß Tor ihre freundliche Gesinnung der Gelegenheit allerliebst angepaßt hat. Den Gruß: ›zum Willkomm des kleinen Dombeylein‹ muß ich Poesie nennen.«

»Lautet so die Inschrift?« fragte ihr Bruder.

»So lautet die Inschrift«, antwortete Louisa.

»Um mir übrigens Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, meine teure Louisa«, bemerkte Miß Tox in einem leise bittenden Ton, »müßt Ihr hinzusetzen, daß nichts als die – ich weiß nicht recht, wie ich mich ausdrücken soll – die Unsicherheit über die Frage des Resultats mich zu einer so großen Freiheit veranlaßt hat: denn eher könnt Ihr Euch denken, daß die Fassung: ›zum Willkomm des Master Dombey‹ – meinen Gefühlen besser entsprochen hätte. Freilich weiß man bei solchen kleinen Engelchen nie vorher, wie man mit ihnen daran ist, und ich hoffe, diese Unsicherheit wird einem Ausdruck zur Entschuldigung dienen, der sonst als eine nicht zu rechtfertigende Vertraulichkeit erscheinen könnte.«

Miß Tox machte während dieses Vortrags gegen Mr. Dombey eine anmutige Verbeugung, die von dem Gentleman in gnädiger Weise erwidert wurde. Sogar die Art der Anerkennung von Dombey und Sohn, wie sie bisher im Gespräche sich kundgegeben, hatte für ihn etwas so Behagliches, daß seine Schwester, Mrs. Chick, – obschon er tat, als halte er sie für eine gute schwache Frau – vielleicht mehr Einfluß auf ihn üben konnte, als irgend jemand anders.

»Nun«, sagte Mrs. Chick mit einem süßen Lächeln, »nach diesem vergebe ich Fanny alles!«

Das war eine christliche Erklärung, und Mrs. Chick fühlte sich im Innern sehr dadurch erleichtert. Nicht, daß sie ihrer Schwägerin etwas Besonderes – oder überhaupt etwas zu vergeben gehabt hätte, wenn es nicht etwa die an sich schon starke Vermessenheit war, ihren Bruder zu heiraten und ihn sodann im Lauf der Zeit statt eines Knaben mit einem Mädchen zu beschenken. Letzteres war, wie Mrs. Chick oft bemerkte, nicht ganz das, was sie von ihr erwartet hatte, und überhaupt ein schlechter Dank für die Aufmerksamkeit und Auszeichnung, die ihr zuteil geworden.

In diesem Augenblick wurde Mr. Dombey hastig aus dem Zimmer gerufen, und die beiden Damen blieben allein beisammen. Miß Tox geriet in dem Moment in Exaltation.

»Ich wußte es ja, daß Ihr meinen Bruder bewundern würdet, und habe es Euch im voraus gesagt, meine Liebe«, bemerkte Louisa.

Die Hände und die Augen von Miß Tox bekundeten, in wie hohem Grade das geschah.

»Und was sein Vermögen betrifft, meine Liebe!«

»Ah!« entgegnete Miß Tox mit tiefem Gefühl.

»Un – ermeßlich!«

»Aber, sein Benehmen, meine teure Louisa!« sagte Miß Tox. »Sein Anstand! Seine Würde! Kein Porträt habe ich je von irgend jemand gesehen, das auch nur annähernd diese Eigenschaften in sich schließt. Ihr wißt, etwas so Stattliches, Unnahbares – die breite Brust und die aufrechte Haltung. Ein pekuniärer Herzog von York, meine Liebe – kein Haar weniger! So und nicht anders kann ich ihn bezeichnen«, sagte Miß Tox.

»Ei, mein lieber Paul!« rief die Schwester, als er zurückkehrte, »du siehst so blaß aus! Es ist doch nichts vorgefallen?«

»Leider muß ich dir mitteilen, Louisa, daß man mir sagt, Fanny sei –«

»Ach, mein lieber Paul, glaube nur kein Wort davon«, entgegnete die Schwester, indem sie sich von ihrem Sitz erhob. »Wenn du mir in meiner Erfahrung nur etwas vertrauen wolltest, Paul, so kannst du versichert sein, daß es sich hier um nichts handelt, als um eine Anstrengung Fannys. Man muß sie« – fügte sie hinzu, indem sie ihren Hut aufsetzte und in geschäftsmäßiger Weise Haube und Handschuh zurechtstrich – »zu dieser Anstrengung ermutigen, ja, im Notfalle sogar dazu zwingen. Komm nur mit mir die Treppe hinauf, mein lieber Paul.«

Abgesehen von dem vorerwähnten Einflusse, den Mrs. Chick auf ihren Bruder ausübte, hatte Mr. Dombey in der Tat ein sehr großes Vertrauen zu ihr, als zu einer erfahrenen, rührigen Frau, weshalb er sich beruhigte und er ihr ohne zu zögern in das Krankenzimmer folgte.

Die Kranke lag, wie er sie verlassen hatte, auf dem Bette und hielt den Kopf ihres Töchterchens an die Brust gedrückt. Das Kleine klammerte sich mit der größten Innigkeit an die Mutter an, ohne das Haupt zu erheben oder die weiche Wange von dem Antlitz derselben zu lösen. Sie hatte keinen Blick für die Umstehenden, und mit ihrem tränenlosen Auge und der stummen Lippe glich sie eher einer regungslosen Statue, als einem lebenden Wesen.

»Sie hatte keine Ruhe ohne das kleine Mädchen«, flüsterte der Doktor Mr. Dombey zu, »und so hielten wir es für das beste, es ihr zu lassen.«

Um das Bett her herrschte eine feierliche Stille, und die beiden Herren über Leben und Tod blickten mit so viel Mitleid und so wenig Hoffnung auf die regungslose Gestalt, daß Mrs. Chick für eine Weile ihres Vorhabens vergaß. Sie faßte übrigens bald wieder Mut, nahm ihre Geistesgegenwart, wie sie's nannte, zusammen, setzte sich ans Krankenlager und sprach in dem gedämpften Ton einer Person, die jemand aus dem Schlaf zu wecken bemüht ist:

»Fanny! Fanny!«

Keine andere Antwort darauf, als das laute Ticken von Mr. Dombeys Uhr und Doktor Parker Peps' Uhr, die in dem tiefen Schweigen einen Wettlauf zu machen schienen.

»Fanny, meine Liebe«, sagte Mrs. Chick mit erkünstelter Sorglosigkeit, »Dombey ist hier, um nach Euch zu sehen. Wollt Ihr nicht mit ihm sprechen? Man will Euer Kind – das kleine Söhnchen – Ihr wißt ja, Fanny, Ihr habt ihn kaum gesehen – zu Bett legen, kann's aber nicht tun, ehe Ihr Euch ein wenig aufgerafft habt. Glaubt Ihr nicht auch, es sei Zeit, daß Ihr Euch ein wenig anstrengt? Eh?«

Sie neigte ihr Ohr gegen das Bett und lauschte, während sie zu gleicher Zeit nach den Umstehenden blickte und den Finger erhob.

»Eh?« wiederholte sie. »Was habt Ihr gesagt, Fanny? Ich Habe Euch nicht verstanden.«

Kein Wort, kein Laut zur Erwiderung. Nur Mr. Dombeys Uhr und die des Doktor Parker Peps schienen schneller zu laufen.

»In der Tat, meine liebe Fanny«, fuhr die Schwägerin fort, indem sie ihre Stellung änderte und dabei unwillkürlich mit weniger Zuversicht, dagegen aber mit größerer Strenge sprach, »ich muß böse auf Euch werden, wenn Ihr Euch nicht aufrafft. Ein Kraftaufwand ist für Euch nötig, wie beschwerlich oder schmerzlich er auch sein mag: aber Ihr wißt ja, wir leben in einer Welt des Kämpfens, Fanny, und wir dürfen nicht nachgeben, wenn so viel von uns selbst abhängt. Kommt! Versucht es! Ich muß wahrhaftig mit Euch zanken, wenn Ihr's nicht tut!«

Das Rennen der Uhren in der darauffolgenden Pause war wild und wütend. Sie schienen gegeneinander anzustoßen und sich auf die Fersen zu treten.

»Fanny!« sagte Louisa, mit steigender Unruhe umherschauend. »Seht mich nur an. öffnet doch die Äugen, um mir anzudeuten, daß Ihr mich hört und versteht – wollt Ihr nicht? Gütiger Himmel, Gentlemen, was ist da anzufangen?«

Die beiden Ärzte wechselten über dem Bett weg einen Blick, und Doktor Parker Pep beugte sich sodann zu dem Kinde nieder, dem er etwas ins Ohr flüsterte. Das kleine Wesen, das die Worte des Arztes nicht verstanden hatte, wandte ihm das farblose Gesicht mit den tiefschwarzen Augen zu, ohne jedoch die Mutter auch nur im mindesten loszulassen.

Das Geflüster wurde wiederholt.

»Mama!« sagte die Kleine.

Die schwache Stimme des heißgeliebten Wesens weckte selbst bei dieser tiefen Ebbe eine Spur von Besinnung. Einen Moment zitterten die geschlossenen Augenlider, die Nasenflügel bewegten sich, und man bemerkte den matten Schatten eines Lächelns.

»Mama!« rief das Kind, laut schluchzend. »O liebe Mama! o liebe Mama!«

Der Doktor streifte sanft die wirren Locken der Kleinen von dem Gesicht und Mund der Mutter. Ach, wie ruhig sie dort lagen! Wie schwach der Atem, der sie nicht in Bewegung zu setzen vermochte!

So entschwebte, den schwachen Mast fest mit ihren Armen umschlingend, die Mutter – hinaus in das dunkle, unbekannte Meer, das die ganze Welt umfließt.

Zweites Kapitel.

In welchem zeitige Vorsorge für einen Fall getroffen wird, der bisweilen in den geordnetsten Familien vorkommt.

»Mein Leben lang will ich mich glücklich schätzen«, sagte Mrs. Chick, »daß ich mich aussprach, als ich nicht entfernt daran dachte, was uns bevorstand – in der Tat; es war, wie wenn ich durch eine höhere Fügung geleitet würde, als ich Fanny alles vergab. Was nun auch kommen mag, das wird mir stets ein Trost bleiben!«

Mrs. Chick sprach in diesen eindrucksvollen Worten, als sie vom Frauenschneider, der in einem oberen Zimmer mit der Anfertigung von Trauergewändern beschäftigt war, wieder nach dem Besuchszimmer zurückkam. Ihre Worte galten Mr. Chick, einem beleibten, kahlköpfigen Gentleman mit sehr breitem Gesicht, der seine Hände stets in den Taschen trug und einen natürlichen Hang besaß, Arien vor sich hin zu pfeifen oder zu summen. Dies war nun freilich in einem Hause der Trauer nicht sehr angebracht und er fühlte es auch: aber es kostete ihn nicht geringe Anstrengung, seine Liebhaberei zu unterlassen.

»Strenge dich doch nicht allzusehr an, Frau«, sagte Mr. Chick, »denn du wirst sonst sehen, daß du deine Krämpfe kriegst. Tra-la-la-la! Behüt' mich – wie ich mich vergesse. Wir sind übernächtig – heute rot, morgen tot.«

Mrs. Chick begnügte sich mit einem Blick des Vorwurfs und nahm sodann den Faden ihres Gesprächs wieder auf.

»Ich hoffe in der Tat«, sagte sie, »dieses herzzerreißende Ereignis wird für uns alle eine Warnung sein. Wir müssen uns daran gewöhnen, Anstrengungen durchzumachen für die Zeit, wenn wir es nötig haben. Alles führt eine Lehre mit sich, wenn wir sie nur benutzen wollen, und es ist bloß unsere Schuld, wenn wir nicht auf diesen einen wichtigen Wink achtgeben.«

Mr. Chick störte das auf diese Bemerkung folgende ernste Schweigen durch die auffallend unpassende Arie: ›Ein Schlosser hat en G'sellen g'habt‹, unterbrach sich aber schnell mit einiger Verwirrung und erklärte sodann, es sei ohne Zweifel unser eigenes Verschulden, wenn wir so ein trauriges Geschick wie das gegenwärtige uns nicht zur Lehre machten.

»Sie sollten zu was Besserem Anlaß geben, meine ich, Mr. Chick«, erwiderte seine zweite Hälfte nach einer kurzen Pause, »als zu Schelmenliedern oder zu der ebenso nichtssagenden und gefühllosen Bemerkung des ›Rumpditty bau wau wau!‹« In dieser hatte sich nämlich Mr. Chick in halblautem Tone wirklich ergangen, und seine Frau Gemahlin ahmte ihn spottend nach.

»Nur eine Gewohnheit, meine Liebe«, entschuldigte sich Mr. Chick.

»Unsinn! Gewohnheit!« entgegnete die Dame. »Wenn du ein vernünftiger Mensch bist, so komm' mir bitte nicht mit solchen lächerlichen Ausreden. Gewohnheit! Wenn ich mir die Gewohnheit, wie du's nennst, aneignen wollte, wie die Fliegen an der Zimmerdecke spazieren zu gehen, so würde ich's wahrscheinlich oft genug zu hören bekommen.«

Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte eine derartige Gewohnheit sehr auffallen müssen, und auch Mr. Chick mochte dies einsehen, denn er verriet nicht die kleinste Neigung, zu widersprechen.

»Und wie geht's dem Bübchen, Frau?« fragte Mr. Chick, um der peinlichen Stimmung auszuweichen.

»Was für ein Bübchen meinst du?« fragte Mrs. Chick. »Ich habe heute morgen im Speisezimmer drunten eine solche Menge von Bübchen gehabt, daß man seinen Sinnen kaum glauben sollte.«

»Eine Menge von Bübchen?« wiederholte Mr. Chick, indem er mit dem Ausdruck größter Unruhe umherblickte.

»Den meisten Menschen würde es sicherlich eingefallen sein«, entgegnete Mrs. Chick, »nach dem Hinscheiden der armen Fanny für eine Amme zu sorgen.«

»O! Ah!« versetzte Mr. Chick – »Turolt – so ist das Leben, wollte ich sagen. Ich hoffe, du hast das Richtige gefunden, meine Liebe.«

»In der Tat, nein«, sagte Mrs. Chick, »und das wird auch nicht so schnell gehen, so weit ich die Dinge übersehen kann. Inzwischen wird natürlich das Kind –«

»Zum Teufel fahren«, versetzte Mr. Chick gedankenvoll. »Natürlich.«

Die Entrüstung, die sich bei der Idee, daß ein Dombey eine solche Reise antreten könnte, in Mrs. Chicks Gesicht ausdrückte, belehrte ihn jedoch, daß er eine Ungeschicklichkeit begangen habe, weshalb er, um sein Vergehen wieder gut zu machen, in wohlmeinender Absicht beifügte:

»Könnte nicht vorderhand der Teetopf Abhilfe leisten?«

Wenn es wirklich in seiner Absicht lag, die Sache zu einem schnellen Schluß zu führen, so hätte es nicht wirksamer geschehen können. Die Dame sah einige Momente in stummer Resignation nach ihm hin und ging dann, durch das Gerassel von Rädern angelockt, majestätisch nach dem Fenster, um durch die Jalousien auf die Straße hinunter zu sehen. Mr. Chick, welcher fand, daß zurzeit sein Geschick gegen ihn war, sagte nichts mehr und entfernte sich.

Aber nicht immer befand sich Mr. Chick in dieser Situation: denn sein eigener Stern war oft im Aufsteigen, und zu solchen Zeiten strafte er Louise rund ab. Mit einem Wort, sie waren im ganzen bei ihren ehelichen Zänkereien ein gut zusammenpassendes Paar, das sich gegenseitig das Gleichgewicht hielt und bald austeilte, bald einnahm, so daß es in der Regel schwer wurde, auf den gewinnenden Teil eine Wette zu parieren. Ja, selbst wenn Mr. Chick geschlagen schien, pflegte er oft einen plötzlichen Ausfall zu machen, indem er den Stiel umdrehte und ihn um Mrs. Chicks Ohren sausen ließ, so daß alles vor ihm weglief. Da er übrigens selbst auch ähnlichen unvorhergesehenen Überfällen von seiten der Mrs. Chick ausgesetzt war, so hatten ihre kleinen Zwiste einen gewissen Charakter von Wandelbarkeit, der ihrem ehelichen Verhältnis viel Lebhaftigkeit verlieh.

Das Fuhrwerk, das wir vorhin erwähnt haben, brachte Miß Tox mit sich, die jetzt in einem atemlosen Zustand auf das Zimmer gelaufen kam.

»Meine teure Louisa«, sagte Miß Tox, »ist die Stelle noch nicht besetzt?«

»O, die gute Seele, nein«, entgegnete Mrs. Chick.

»Dann, meine teure Louisa«, erwiderte Miß Tox, »hoffe und glaube ich – – doch, meine Teure, gleich will ich Euch die Partie selbst vorgestellt haben.«

Miß Tox ging sofort mit derselben Eile, mit der sie die Treppe heraufgekommen war, wieder hinunter, holte die Partie aus der Mietkutsche und brachte das ganze Gefolge mit sich.

Es stellte sich nun heraus, daß das Wort Partie nicht in der juridischen oder geschäftsmäßigen Bedeutung, in der bloß ein Individuum bezeichnet werden will, sondern in seinem Kollektivbegriff gebraucht worden war: denn das Gefolge der Miß Tox bestand aus einem wohlgenährten, rosenwangigen, gesunden, apfelgesichtigen jungen Weibe, das ein Kind auf ihren Armen trug, aus einer jüngeren, nicht so derben, aber gleichfalls apfelgesichtigen Frauensperson, die an jeder Hand ein stämmiges, apfelgesichtiges Kind führte, aus einem derben, gleichfalls apfelgesichtigen Jungen, der allein ging, und schließlich aus einem stämmigen, apfelgesichtigen Mann, der auf seinen Armen noch einen derben, apfelgesichtigen Knaben trug, ihn aber alsbald auf den Boden stellte und ihm mit heiserem Ton die Ermahnung zuflüsterte, er solle sich an seinem Bruder Johnny festhalten.

»Meine teure Louisa«, begann Miß Tox, »da ich wußte, wie sehr Ihr in Sorgen seid, so bewog mich der Wunsch, sie Euch abzunehmen, nach der Entbindungsanstalt ›Königin Charlotte‹ für verheiratete Frauen zu eilen – Ihr wißt, daß Ihr jene Anstalt vergessen habt – und dort anzufragen, ob nicht jemand da sei, den man für passend halte. Die Antwort lautete nein. Ich kann Euch versichern, daß ich, als ich diese Erwiderung vernahm, um Euretwillen fast in Verzweiflung geriet. Es fügte sich aber, daß eine von den verheirateten Frauen der Anstalt, die die Anfrage hörte, die Vorsteherin an eine andere erinnerte, die bereits nach Hause gegangen sei und, wie sie meinte, wahrscheinlich den Anforderungen genügen dürfte. Sobald ich das und noch obendrein von seiten der Vorsteherin die Bekräftigung vernahm – vortreffliche Zeugnisse und unanfechtbare Empfehlung – ließ ich mir die Adresse geben und machte mich augenblicklich wieder auf den Weg.«

»Das sieht meiner lieben guten Tox ähnlich«, versetzte Louisa.

»Durchaus nicht«, entgegnete Miß Tox. »Sprecht nicht so. Als ich in dem Hause anlangte, – alles blitzsauber, meine Liebe, man könnte das Mittagessen auf dem Fußboden einnehmen, traf ich die ganze Familie bei Tisch: und da ich mich überzeugt fühlte, keine Berichterstattung darüber könne für Euch und Mr. Dombey nur halb so befriedigend sein, als wenn Ihr sie alle miteinander sehen würdet, so brachte ich sie mit. Dieser Gentleman«, fügte Miß Tox bei, indem sie auf einen Mann mit einem Apfelgesicht zeigte, »ist der Vater. Wollt Ihr so gut sein, ein wenig näher zu treten, Sir?«

Der Mann kam der Aufforderung augenblicklich nach und pflanzte sich kichernd und grinsend als Vorderster in der Reihe auf.

»Das ist natürlich seine Frau«, fuhr Miß Tox fort und zeigte auf die junge Frau mit dem Wickelkinde. »Wie geht es Euch, Polly?«

»Ziemlich gut – ich danke schön, Ma'am«, versetzte Polly.

Um sie zu ermutigen, hatte Miß Tox ihre Frage in dem herablassenden Ton einer alten Bekannten gestellt, so etwa, wie wenn man sich einige Wochen nicht mehr gesehen hat.

»Es freut mich, das zu hören«, erwiderte Miß Tox. »Die andere junge Frau ist ihre unverheiratete Schwester; sie wohnt bei ihr und könnte solange für die Kinder sorgen. Ihr Name ist Jemima. Wie gehts Euch, Jemima?«

»Ziemlich gut – ich danke schön, Ma'am«, entgegnete Jemima.

»Freut mich in der Tat sehr, das zu hören«, sagte Miß Tox. »Ich hoffe, es wird Bestand haben. Fünf Kinder. Das jüngste sechs Wochen. Der schöne kleine Knabe mit der Blase auf seiner Nase ist der älteste. Die Blase, hoffe ich«, fügte Miß Tox hinzu, indem sie ihre Augen über die Familie gleiten ließ, »ist nicht erblich, sondern zufällig?«

Der Mann mit dem Apfelgesicht brummte etwas wie Bügeleisen vor sich hin.

»Ich bitte um Verzeihung, Sir«, sagte Miß Tox, »was sagtet Ihr –?«

»Bügeleisen«, wiederholte er.

»O ja«, sagte Miß Tox. »Ja! Ganz richtig. Ich vergaß es. Die kleine Kreatur hat in Abwesenheit der Mutter an einem heißen Bügeleisen gerochen. Ist es nicht so, Sir? Als wir an der Tür unten anlangten, hattet Ihr die Güte, mir mitzuteilen. Ihr seiet von Gewerbe ein –«

»Schürer«, sagte der Mann.

»Ein Spürer?« entgegnete Miß Tox erstaunt.

»Schürer«, wiederholte der Mann. »Dampfmaschine.«

»O – h! ja!« versetzte Miß Tox, indem sie ihn gedankenvoll und mit einer Miene ansah, als habe sie noch nicht recht verstanden, was er sagen wolle. »Und wie gefällt es Euch, Sir?«

»Was, Ma'am?« fragte der Mann.

»Das«, erwiderte Miß Tox. »Euer Gewerbe.«

»O, schon recht, Ma'am. Die Asche kommt bisweilen hier herein«, er griff bei diesen Worten nach seiner Brust, »und ist Schuld daran, daß man, wie eben jetzt, ein bißchen rauh spricht. Es ist übrigens nur die Asche, Ma'am, keine Grobheit.«

Miß Tox schien es trotz dieser Erwiderung sehr schwer zu fallen, den Gegenstand weiter zu verfolgen. Mrs. Chick kam ihr jedoch zu Hilfe, dadurch daß sie ein genaues Privatverhör über Polly, ihre Kinder, ihr Ehestandszertifikat, ihre Zeugnisse usw. begann. Polly bestand diese Ordalie glücklich, worauf Mrs. Chick sich mit ihrem Rapport nach dem Zimmer ihres Bruders begab und zu nachdrücklicherer Bekräftigung desselben die zwei rosigsten kleinen Toodles mit sich nahm. Toodle war nämlich der Geschlechtsname der apfelgesichtigen Familie.

Mr. Dombey war seit dem Tode seiner Gattin auf seinem Zimmer geblieben und hatte Träume über die Jugend, die Erziehung und die seines neugeborenen Söhnleins gesponnen. Auf dem Grunde seines kalten Herzens lag etwas, kälter und schwerer, als sonst; aber es betraf mehr den Verlust des Kindes, als seinen eigenen – ein Gefühl, das sich fast zu einem ärgerlichen Leide steigerte. Sollte Leben und Gedeihen dessen, auf welchen er so große Hoffnung setzte, schon zu Beginn durch gemeinen Nahrungsmangel gefährdet werden? Der Gedanke, daß Sein und Nichtsein von Dombey und Sohn in den Händen einer Amme lag, war für ihn eine empfindliche Demütigung. Bei seiner stolzen Eifersucht war ihm der Gedanke furchtbar, gleich beim allerersten Schritt zur Erreichung seines heißersehnten Herzenswunsches auf eine gemietete Dienerin angewiesen zu sein, die – wenigstens vorläufig – dem Kinde alles das werden mußte, wozu sogar seine Gattin nur durch die Verbindung mit ihm gelangt war; er erfüllte ihn mit solcher Bitterkeit, daß ihm jede neue Verwerfung einer Bewerberin geheime Freude machte. Doch war jetzt die Zeit gekommen, die von ihm die Zurücksetzung dieser widerstreitenden Gefühle forderte, um so mehr, als ihm seine Schwester die Vorzüge von Polly Toodle unter vielen Lobeserhebungen auf die unermüdliche Freundschaft der Miß Tox aufs wärmste schilderte.

»Die Kinder sehen gesund aus«, sagte Mr. Dombey. »Aber wenn ich daran denke, daß sie eines Tages eine Art Verwandtschaft zu Paul geltend machen könnten! Nimm sie mit fort, Louisa! Ich will die Frau und ihren Mann sehen.«

Mrs. Chick entfernte das zartere Toodlespaar und kehrte bald mit dem derberen, dessen Erscheinen ihr Bruder gewünscht hatte, zurück.

»Meine gute Frau«, begann Mr. Dombey, indem er sich auf seinem Lehnstuhl wie eine Maschine und nicht wie ein Mann mit Gliedern und Gelenken drehte, »wie ich höre, seid Ihr arm und wünscht Geld zu verdienen durch die Pflege des kleinen Knaben, meines Sohnes, der so frühzeitig einen unersetzlichen Verlust erlitten hat. Ich habe nichts dagegen, daß Ihr die Einkünfte Eurer Familie auf diese Weise erhöhen wollt, und soviel ich sehen kann, scheint Ihr mir eine anständige Person zu sein; aber ehe Ihr in der gedachten Eigenschaft in mein Haus tretet, muß ich Euch eine oder zwei Bedingungen ans Herz legen. So lange Ihr Euch hier aufhaltet, müßt Ihr Euch den Namen – Richards beilegen; er ist gewöhnlich und passend. Habt Ihr etwas dagegen, Euch Richards nennen zu lassen? Es wird gut sein, wenn Ihr Euch mit Eurem Manne darüber beratet.«

Da ihr Mann aber fortwährend kicherte und grinste und sich beständig mit der rechten Hand über den Mund fuhr, um die Handfläche anzufeuchten, so machte Mrs. Toodle, nachdem sie ihn zwei- oder dreimal vergeblich mit dem Ellbogen angestoßen hatte, einen Knix und erwiderte, »wenn sie um ihren ehrlichen Namen kommen solle, so ließe sich dieser Umstand durch die Höhe ihres Lohnes vielleicht ausgleichen.«

»Das versteht sich«, entgegnete Mr. Dombey. »Ich wünsche sogar, danach den Lohn festzusetzen. Wohlan also, Richards, wenn Ihr mein mutterloses Kind verpflegen wollt, so dürft Ihr diese Bedingung nie vergessen. Ihr werdet ein anständiges Gehalt erhalten als Belohnung für die gewissenhafte Erfüllung Eurer Pflichten; ich wünsche übrigens noch, daß Ihr so wenig als möglich mit Eurer Familie zusammenkommt. Habt Ihr Eure Obliegenheiten erfüllt, so hört mit Zahlung des Gehalts jede weitere Beziehung zwischen uns auf. Versteht Ihr mich?«

Mrs. Toodle schien hierüber nicht ganz mit sich im klaren zu sein; bei ihrem Mann konnte davon aber nicht die Rede sein, da er mit seinen Sinnen ganz wo anders war.

»Ihr habt eigene Kinder«, sagte Mr. Dombey. »Zu unserm Vertrag gehört es durchaus nicht, daß Ihr Anhänglichkeit für mein Kind beweist, oder daß mein Kind sich an Euch gewöhnt. Ich erwarte oder wünsche nichts dergleichen, sondern das Gegenteil. Sobald Ihr dieses Haus wieder verlaßt, werden alle Beziehungen zwischen uns, die sich notgedrungen aus dem Vertrage ergeben werden, augenblicklich erledigt sein. Ihr werdet dann einfach wegbleiben. Das Kind hört dann von selbst auf, sich Eurer zu erinnern, und Ihr werdet so gut sein, Euch das Kind aus dem Sinn zu schlagen.«

Mit etwas mehr Rot auf ihren Wangen, als zuvor, erwiderte Mrs. Toodle, sie hoffe ihre Stellung zu kennen.

»Ich hoffe das auch, Richards«, sagte Mr. Dombey. »Ich zweifle nicht daran, daß Ihr sie sehr gut kennt. Überhaupt liegt die Sache so einfach, daß es gar nicht anders sein kann. Louisa, meine Liebe, bringe mit Richards die Geldfrage in Ordnung; der Lohn soll ihr bezahlt werden, wann und wie sie will, Mr. –, wie ist Euer Name – ein Wort mit Euch, wenn ich bitten darf!«

Als Toodle so angeredet, angehalten wurde, als er bereits auf der Schwelle stand, um seinem Weibe, das das Zimmer verließ, zu folgen, kehrte er wieder um und stand nun Mr. Dombey allein gegenüber. Er war ein kräftiger, rundschultriger, robuster, rauhborstiger Bursche, an dem die Kleider nur nachlässig saßen und dessen dichter Haar- und Bartwuchs vielleicht durch Rauch und Kohlenstaub noch dunkler gefärbt worden war. Er hatte harte, knorrige Hände und eine breite Stirne, deren grobe Haut sich mit der Rinde der Eiche vergleichen ließ – in jeder Beziehung ein schreiender Gegensatz zu Mr. Dombey, der unter die glattrasierten, geschniegelten Geldmänner gehörte, unter die Leute, die so frisch und glänzend sind, wie neue Banknoten, und die künstlich gestählt und gefestet zu sein scheinen – gleichsam durch die stimulierende Aktion goldener Schauerbäder.

»Ihr habt einen Sohn, glaube ich?« fragte Mr. Dombey.

»Ihrer vier, Sir. Vier Er und eine Sie. Alle am Leben!«

»Es fällt Euch gewiß schwer, alle zu ernähren?« sagte Mr. Dombey.

»Es wird mir oft sehr schwer; aber es gibt doch noch etwas in der Welt, was mir noch schwerer fiele, Sir.«

»Und das wäre?«

»Sie zu verlieren, Sir.«

»Könnt Ihr lesen?« fragte Mr. Dombey.

»Nicht besonders, Sir.«

»Schreiben?«

»Mit Kreide, Sir?«

»Überhaupt.«

»Mit der Kreide könnte ich, glaub' ich, ein bißchen zurecht kommen, wenn es sein müßte«, sagte Toodle nach kurzer Überlegung.

»Und doch müßt Ihr schon zwei- oder dreiunddreißig sein, sollte ich meinen«, sagte Mr. Dombey.

»Ich bin sogar noch älter«, antwortete Toodle nach weiterem Nachdenken.

»Warum lernt Ihr es nicht?« fragte Mr. Dombey.

»Das habe ich im Sinn, Sir. Einer von meinen kleinen Jungen soll es mich lehren, wenn er alt genug ist und selbst in der Schule etwas gelernt hat.«

»Gut!« sagte Mr. Dombey, indem er den Mann, der dastand und sich im Zimmer umsah (wobei er hauptsächlich der Decke seine Aufmerksamkeit schenkte und noch immer mit der Hand vor dem Munde hin und her fuhr), ziemlich ungnädig ins Auge faßte. »Ihr habt gehört, was ich eben Eurer Frau gesagt habe.«

»Polly hat es gehört«, versetzte Toodle, indem er mit der Miene der vollkommensten Zuversicht zu seiner bessern Hälfte den Hut über die Schultern nach der Richtung der Tür hinstieß. »Es ist alles recht so!«

»Es scheint, Ihr wollt das Ganze ihr überlassen«, erwiderte Mr. Dombey, als er bemerkte, wie sehr er sich verrechnet hatte, wenn er seine Meinung dem Gatten als dem kräftigeren Charakter noch nachdrücklicher ans Herz legen wollte. »Da nützt es wohl nichts, wenn ich mich weiter mit Euch einlasse.«

»Ist durchaus nicht nötig«, sagte Toodle. »Polly hat es gehört. Sie merkt sich alles gut, Sir.«

»So will ich Euch nicht länger aufhalten«, entgegnete Mr. Dombey verdrießlich. »Wo habt Ihr Euer Leben über gearbeitet?«

»Meist unter der Erde, Sir, bis ich heiratete. Dann kam ich auf den Boden. Ich will mich nach einer Stellung bei einer der hiesigen Eisenbahnen umsehen, sobald sie ihren Betrieb vergrößern.«

Wie ein Strohhalm schließlich genügt, um ein beladenes Kamel zusammenbrechen zu lassen, so ließ die Erwähnung seiner unterirdischen Beschäftigung Mr. Dombey völlig verstummen. Er öffnete dem Nährvater seines Kindes einfach die Tür, und dieser entfernte sich keineswegs ungern. Dann drehte Mr. Dombey den Schlüssel um und schritt in einsamem Jammer durch seine Zimmer auf und ab. Trotz seiner steifen, undurchdringlichen Würde und Fassung wischte er sich doch zuweilen eine Träne aus den Augen, und oft entquollen ihm in einer Erregung, für die er um die ganze Welt keinen Zeugen gehabt haben möchte, die Worte:

»Das arme Würmlein!«

Es war vielleicht eine charakteristische Eigenschaft von Mr. Dombeys Stolz, daß er sich selbst in dem Kinde beklagte. Nicht das arme Ich, nicht den armen Witwer, der sich gezwungenermaßen dem Weib eines unwissenden Knechts anvertrauen mußte – eines Kerls, der sein Lebenlang »meist unter Grund« gearbeitet, dessen Tür der Tod noch immer mit seinem Pochen verschont hatte und an dessen armem Tische täglich vier Söhne saßen – nein, nur das arme Würmchen!

Während diese Worte noch auf seinen Lippen schwebten, fiel ihm ein, – und es ist ein Beweis von der starken Anziehung, die seine Hoffnungen, seine Besorgnisse und alle seine Gedanken um einen Punkt kreisen ließ – daß diese Frau in große Versuchung geraten könnte. Ihr Säugling war gleichfalls ein Knabe. War es nicht möglich, daß sie die Kinder einfach auswechselte?

Obgleich er nach kurzer Zeit diese Vorstellung als romantisch und unwahrscheinlich – freilich blieb sie immerhin möglich – verwarf, konnte er doch nicht umhin, sich ein Bild seiner Lage zu machen, in der er sich befinden würde, wenn er in seinem Alter einen derartigen Betrug entdeckte. Ob ein Mann wie er imstande sein würde, die Frucht eines so vieljährigen Umgangs, Vertrauens und Glaubens einem Betrüger zu entreißen, um einen Fremden damit zu beglücken?

Als die ungewöhnliche Aufregung sich gelegt hatte, schwanden allmählich auch derartige Bedenken. Er beschloß jedoch die Richards ganz unauffällig auf das sorgfältigste zu beobachten. Nachdem er diesen Entschluß gefaßt hatte, legte sich seine Erregung allmählich. Er sah in der Stellung, die die Frau einnehmen sollte, jetzt eher einen vorteilhaften Umstand, der den Abstand zwischen ihr und dem Kind erweitern mußte. Dadurch würde sich auch ihre Trennung leicht und natürlich bewerkstelligen lassen.

Mittlerweile hatte Mrs. Chick unter dem Beistande der Miß Tox die Bedingungen mit Richards festgelegt, und nachdem der letzteren mit vieler Förmlichkeit, als handle es sich um die Erteilung eines Ordens, der Dombey-Säugling übertragen worden war, gab sie ihren eigenen unter vielen Tränen und Küssen an Jemima ab. Dann wurden Gläser mit Wein gefüllt, um die Trauer von der Familie zu verscheuchen.

»Ihr nehmt doch auch ein Glas, Sir?« sagte Miß Tox, als Toodle eintrat.

»Danke, Ma'am«, versetzte Toodle: »wenn Ihr es durchaus haben wollt.«

»Und es freut Euch, daß Ihr Euer liebes gutes Weib in einem so anständigen Hause zurücklassen könnt – oder nicht, Sir?« sagte Miß Tox, indem sie ihm verstohlen einen blinzelnden Wink zusandte.

»Nein, Ma'am«, versetzte Toodle. »Ich möchte sie wohl wieder zurück haben.«

»Hierauf weinte Polly mehr als je, und Mrs. Chick, die ihre matronenhaften Bedenken hatte, ein solches Übermaß von Leid könnte dem kleinen Dombey schaden (»angreifend«, flüsterte sie Miß Tox zu), beeilte sich, Polly auf andere Gedanken zu bringen.

»Euer kleines Kind wird bei Eurer Schwester Jemima trefflich gedeihen, Richards«, sagte Mrs. Chick, »und Ihr braucht Euch nur Mühe zu geben – Ihr wißt, Richards, dies ist eine Welt voll Mühe –, um in der Tat sehr glücklich zu sein. Es ist Euch doch schon bereits Maß für die Trauerkleidung genommen worden, nicht wahr?«

»J–a, Ma'am«, schluchzte Polly.

»Und ich weiß, sie wird Euch trefflich passen«, sagte Mrs. Chick, »denn die junge Schneiderin hat mir schon viele Kleider gemacht. Dazu noch der allerbeste Stoff.«

»Du meine Güte, wie werdet Ihr schmuck aussehen«, pflichtete Miß Tox bei; »so schmuck, daß Euch Euer eigener Mann nicht mehr kennen wird, oder meint Ihr, Sir?«

»Ich werde sie erkennen«, sagte Toodle, »wie und wo es auch sein mag.«

Toodle war augenscheinlich nicht herumzukriegen.

»Was nun die Beköstigung betrifft, Richards, so wißt Ihr ja«, fuhr Mrs. Chick fort; »das Allerbeste von allem steht Euch zur Verfügung. Ihr könnt jeden Tag Euer kleines Mittagessen selbst bestellen, und worauf Ihr auch Appetit habt, ich bin überzeugt, es wird Euch so bereitwillig aufgetischt werden, als ob Ihr eine vornehme Dame wäret.«

»Ja, es soll Euch an nichts fehlen!« sagte Miß Tox, die den Ball mit großer Sympathie auffing. »Und was den Porter betrifft – so viel Ihr nur wünscht; oder nicht, Louisa?«

»O, gewiß!« erwiderte Mrs. Chick in dem gleichen Tone. »Nur mit einigen Ausnahmen – Ihr wißt, meine Liebe – im Punkte der Gemüse.«

»Und des Pökelfleisches vielleicht«, ergänzte Miß Tox.

»Mit solchen Ausnahmen«, erwiderte Louisa, »steht ihr die Wahl ganz frei, und es soll ihr in keiner Weise Zwang angetan werden, meine Liebe.«

»Und dann wißt Ihr natürlich«, sagte Miß Tox, »wie sehr sie auch ihr eigenes kleines Kind lieben mag – und ich bin überzeugt, Louisa, Ihr macht ihr deshalb keinen Vorwurf?«

»O nein!« rief Mrs. Chick in wohlwollendem Tone.

»Gleichwohl«, fuhr Miß Tox fort, »muß sie natürlich Interesse für ihren jungen Pflegling haben, und es als ein hohes Vorrecht betrachten, daß sie Zeuge sein kann, wie ein kleiner Cherub, der in so enger Beziehung steht zu den oberen Klassen, von Tag zu Tag sich allmählich an einer gemeinsamen Quelle entfaltet. Ist es nicht so, Louisa?«

»Ganz gewiß!« sagte Mrs. Chick. »Ihr seht, meine Liebe, sie ist bereits ganz zufrieden und getröstet; sie gedenkt jetzt, ihrer Schwester Jemima, ihren Kleinen und ihrem guten, ehrlichen Manne mit leichtem Herzen und mit einem Lächeln Lebewohl zu sagen – nicht wahr, meine Liebe?«

»O ja!« rief Miß Tox. »Sie wird es tun!«

Dessenungeachtet umarmte die arme Polly alle der Reihe nach in großer Betrübnis, und eilte zuletzt hinweg, um ein weiteres einzelnes Verabschieden von den Kindern zu vermeiden. Aber diese Kriegslist gelang ihr nicht so gut, als sie erwartet haben mochte; denn der zweitjüngste Knabe, welcher ihre Absicht ahnen mochte, begann augenblicklich auf Händen und Füßen ihr die Treppe hinauf nachzuklettern, während der älteste (zur Erinnerung an das Bügeleisen in der Familie unter dem Namen »der Sieder« bekannt) zum Ausdrucke seines Grams mit den Stiefeln einen dämonischen Zapfenstreich begann, in welchen die ganze übrige Familie einfiel.

Eine Menge Orangen und Halbpence, die ohne Unterschied jedem der jungen Toodles zugesteckt wurden, zügelte das erste Ungestüm ihres Schmerzes, und die Familie wurde schleunigst in die Droschke, welche noch immer vor dem Hause wartete, gepackt und nach Hause gesandt. Unter der Obhut Jemimas verbarrikadierten die Kinder mit ihren Köpfen das Droschkenfenster und ließen während des ganzen Weges ihre Orangen und Halbpence hinausfallen. Mr. Toodle zog es vor, zwischen den Spitzen des Kutschenbretts zu sitzen, weil er diese Fahrweise gewohnt war.

Drittes Kapitel.

In welchem sich Mr. Dombey als Mann und Vater an der Spitze seines Hauswesens zeigt.

Das Begräbnis der verstorbenen Frau war vorüber – zur völligen Zufriedenheit des Bestatters sowohl, als auch der Nachbarschaft im allgemeinen, die in derartigen Punkten sehr eigen ist und gar gerne an jedem Unterlassungs- oder Verkürzungsfall der Feierlichkeiten Anstoß nimmt; die verschiedenen Glieder von Mr. Dombeys Hauswesen konnten also ihre Plätze wieder einnehmen. Eine solche kleine Welt ist, ebenso wie die große draußen, geeignet, ihre Toten gar bald zu vergessen, und nachdem die Köchin die Selige für eine gute Dame erklärt, die Haushälterin ihre Meinung dahin abgegeben, daß Sterben das gemeinsame Los sei, der Kellermeister sich gewundert und gefragt, wer das auch gedacht hätte, die Hausmagd erklärt, daß sie es kaum glauben könne, und der Diener gesagt hatte, der Vorfall komme ihm wie ein Traum vor, war der Gegenstand für sie einstweilen erledigt, und sie dachten daran, daß die Trauer zuletzt langweilig werden würde.

Für Richards, die wie eine ehrenwerte Gefangene eine Treppe hoch einquartiert worden war, begann der nächste Morgen kalt und grau. Mr. Dombeys großes Haus stand auf der Schattenseite einer langen, düsteren, traurig vornehmen Straße in der Gegend zwischen Portland-Place und Bryanstone-Square. Es war ein Eckhaus, hatte große weite Höfe, Keller mit vergitterten Fenstern und schielte einen durch schiefäugige Türen an, die zu Staubbehältern führten. Es war ein unheimliches, mit einer halbkreisförmigen Hinterseite versehenes Haus, und die Besuchzimmer gingen auf einen Kieshof hinaus, wo zwei hagere Bäume mit geschwärzten Stämmen und Zweigen standen, deren vom Rauch ausgetrocknete Blätter eher rasselten als rauschten. Die Mittagssonne sandte ihre Strahlen nie in diese Straße, sondern kam nur morgens um die Frühstückszeit mit den Wasserkarren, den Kleidertrödlern, den Blumenverkäufern, den Schirmflickern und dem Mann, der während seiner Wanderung die Schwarzwälderuhr schlagen ließ, war aber bald wieder verschwunden, um sich an diesem Tage nicht mehr blicken zu lassen. Die Musikbanden und die Puppenspieler zogen ihr nach, um den Platz den unheimlichen Drehorgeln und den weißen Mäusen, hin und wieder auch zur Abwechslung einem Stachelschweine als Beute zu überlassen, bis die Diener, deren Familien auswärts speisten, im Zwielicht unter die Haustüren traten und der Laternenanzünder jeden Abend einen vergeblichen Versuch machte, die Straßen durch Gaslicht zu erhellen.

Innen war das Haus ebenso öde wie außen. Nachdem das Begräbnis vorüber war, erteilte Mr. Dombey Befehl, alle Möbel zu verhüllen – vielleicht, um sie für den Sohn, an den sich alle seine Pläne knüpften, aufzubewahren – und aus den Zimmern, mit Ausnahme derjenigen, die er im Erdgeschoß selbst bewohnen wollte, alle Ziergegenstände zu entfernen. Tische und Stühle, die mitten im Zimmer einfach zusammengehäuft und mit großen Tüchern bedeckt wurden, nahmen geheimnisvolle Formen an. Die Klingelhandgriffe, die Jalousien und die Spiegel erhielten eine Umhüllung aus Zeitungspapier, in denen sich fragmentarische Berichte über Todesfälle und schreckliche Mordtaten unwillkürlich dem Beschauer aufdrängten. Sämtliche Kronleuchter sahen, in Leinwand gehüllt, wie ungeheure Tränen aus, die von der Decke herabhingen. Aus den Kaminen drangen Gerüche wie aus Gewölben und feuchten Plätzen hervor. Die tote und begrabene Dame blickte unheimlich aus einem Bilderrahmen, der eine geisterhafte Umhüllung erhalten hatte, nieder. Jeder Windstoß wirbelte aus den benachbarten Pferdeställen um die Ecke herum etwas von dem Stroh, das man vor das Haus gestreut hatte, als sie noch krank war, und das noch immer in verwitterten Überresten an den Pflastersteinen der Nachbarschaft klebte. Diese Überbleibsel wurden nun stets vermöge einer unsichtbaren Anziehung nach der Schwelle des Hauses, das unmittelbar gegenüber zu vermieten war, geweht, und richteten ihre unheimliche Beredsamkeit gegen Mr. Dombeys Fenster.

Die Gemächer, die Mr. Dombey sich für den eigenen Gebrauch vorbehalten hatte, waren alle von der Halle aus zu betreten und bestanden aus einem Wohnzimmer, aus einer sogenannten Bibliothek, die aber in Wirklichkeit ein Ankleidezimmer war, so daß sich der Geruch von heißgepreßtem Papier, Pergament, Maroquin und Juchten mit dem Geruch mehrerer Stiefelpaare stritt, und einer Art Speisekammer oder einem kleinen verglasten Frühstückszimmer jenseits, das eine Aussicht auf die vorerwähnten Bäume und in der Regel auch auf etliche herumschleichende Katzen bot. Diese drei Zimmer gingen ineinander. Morgens, wenn Mr. Dombey in einem der beiden zuerst genannten Gemächer beim Frühstück saß, oder nachmittags, wenn er zum Diner nach Hause kam, wurde eine Klingel gezogen, die Richards nach dem verglasten Gemach rief, wo sie mit ihrem jungen Pflegling auf und ab gehen mußte. Aus den Blicken, die sie zu solchen Zeiten nach Mr. Dombey hingleiten ließ, der hinten im Zimmer saß und hinter einem der dunkeln, schwerfälligen Möbel hervor nach dem Kinde sah – das Haus war vor Jahren von seinem Vater bewohnt worden, und manche Gegenstände machten einen geradezu finsteren und altmodischen Eindruck –, begann sie sich Vorstellungen über seinen einsamen Zustand zu machen, und es kam ihr vor, als sei er ein einsamer Gefangener in einer Zelle, oder eine seltsame Erscheinung, die nicht angeredet oder näher betrachtet werden durfte.