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Wenn Feuer das Einzige ist, was dich verletzen kann... würdest du dein Leben für die Liebe riskieren? Hollys Lebenstraum geht in Erfüllung. Sie flieht vor ihrer Familie und rettet als Frischling der Feuerwache Engine 114 Menschenleben. Sie findet dort nicht nur eine neue Familie, sondern auch aufkeimende Gefühle für ihren Captain. Darf sie diesen Gefühlen nachgeben? Für ihr neues Leben, ist sie bereit, alles zu riskieren. Doch ihre vampirische Herkunft begleitet sie wie ein dunkler Schatten, der sie zu verschlingen droht. Zwischen Feuer, Verzweiflung und junger Liebe muss Holly eine Entscheidung treffen. Kann sie ihre neue Familie aufgeben, um sie zu schützen?
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Impressum
Realm & Rune Verlag
Heimat phantastischer Geschichten und
spannender Geschichte!
www.realm-and-rune.de
Insta/TikTok: @realm_and_rune
ISBN 978-3-69026-030-5
© 2025 Realm & Rune Verlag
Idee & Text: Katharina Ludwig
Lektorat & Korrektorat: Tintenschwert, www.tintenschwert.de
Cover & Illustration: Sonja Blank
Buchsatz & Design: Sonja Blank
Anschrift: An der Obstwiese 9, 50171 Kerpen, [email protected]
Für alle Rettungsdienste, Ärzte und Menschen, die für unsere Gesundheit und/oder unseren Schutz zuständig sind, selbst dann, wenn wir friedlich in unseren Betten schlummern. Vielen Dank für euren unermüdlichen Einsatz!
Vita
Katharina Ludwig erblickte im Dezember 1988 in Leipzig das Licht der Welt. Da ihr Geburtsort eine sehr literarische Stadt ist (Leipziger Buchmesse), wuchs sie schon von Kindesbeinen an mit Büchern auf, sodass sie es als kleines Mädchen nicht erwarten konnte, selbst endlich Lesen zu lernen. Mit ungefähr zwölf Jahren begann sie damit, ihre ersten Geschichten aufzuschreiben und kann seitdem nicht mehr damit aufhören, sich neue Projekte auszudenken. Ihre Inspiration findet sie entweder im alltäglichen Leben (z.B. beim Fotografieren, ein Hobby, das sie mit ihrem großen Bruder gemeinsam hat) oder während des Computerspielens. Sie liebt Disney, interessiert sich für Astronomie und besitzt eine abgeschlossene Ausbildung als Verkäuferin. Beruflich ist sie im Großhandel tätig, eine Arbeit, die ihr sehr großen Spaß macht.
Ehrfürchtig betrachtete ich das Gebäude, das vor mir stand, dessen Kolonialstil mir sofort ins Auge sprang. Dieses Bauwerk stand schon verdammt lange an Ort und Stelle. Über hundert Jahre, um genau zu sein. Somit war es eine der ältesten aktiven Feuerwachen in ganz Nashville. Ein wahres Stück Geschichte und zeitgleich auch mein neuer Arbeitsplatz.
Mein Blick fiel auf die rostroten Backsteine, die der Wache ihre typische Form gaben, während schneeweiße Säulen sowohl die grauen Dächer als auch einen weißen, großzügigen Balkon stützten. Unter diesem stand in großen Lettern Engine 114 geschrieben. Außerdem erkannte ich ein paar rote Bänke und weiße Stühle, die zu den Säulen und den ebenso weißen Türen und Fenstern passten. Eines davon war rund. Wie ein wachsames Auge, das die Nachbarschaft beschützte, lag es mittig in einer dreieckigen Dachpartie.
Als ich meinen Blick weiter schweifen ließ, erblickte ich rechts neben der Auffahrt einen langen Mast, der direkt auf dem Rasen angebracht worden war. Das Ende zierte die amerikanische Flagge. Im Moment war es windstill, sodass sie ziemlich kraftlos herunterhing, doch ich konnte mir bildhaft vorstellen, dass es ziemlich eindrucksvoll sein musste, wenn sie sich majestätisch im Rhythmus des Windes bewegte, ganz als würde sie tanzen.
Ich atmete tief durch und schritt geradewegs auf den Eingang des Gebäudes zu, stets bemüht, meinen Gang aufrecht und stolz wirken zu lassen. Niemand sollte merken, wie sehr mir meine Knie eigentlich schlotterten.
Eine rothaarige Frau kam mir entgegen. Sie hatte den Versuch gewagt, ihre langen Locken in einem lockeren Zopf zu bändigen. Dies war ihr eher schlecht als recht gelungen, doch irgendwie hatte es etwas. Es ließ sie sympathisch wirken und nicht ganz so verkrampft, wie ich mich gerade fühlte.
„Ah, du musst der Frischling sein“, begrüßte sie mich sogleich mit einem warmen Lächeln auf den Lippen.
„Hallo, ich bin Holly“, antwortete ich und streckte ihr höflich die rechte Hand entgegen.
„Beverly“, erwiderte sie.
Doch ehe sie sie nehmen konnte, ertönte hinter mir eine männliche Stimme, die mich regelrecht zusammenzucken ließ.
„Holly? Echt jetzt? ? Das klingt ja fast wie Holy Moly.“
„Holly“, kommentierte ich. „Das schreibt man mit zwei L. Folglich hat es damit nichts zu tun.“ Der hatte vielleicht gut reden. Denn ein Scherz sollte es nicht sein. Wenngleich Holly Clarke auch nur jener Name war, den ich mir selbst gegeben hatte.
„Josh!“, ermahnte die Rothaarige den Mann, der hinter mir stand. Ihre grünen Augen funkelten verärgert, als hätten diese Worte sie selbst beleidigt.
Ein kurzer Blick nach hinten verriet mir, dass es sich hierbei wohl um ein Teammitglied handeln musste. Denn genau wie ich, trug der junge Mann bereits seine Arbeitskleidung. Vermutlich, um Zeit zu sparen. Seine dunkelblonden Haare waren so verwuschelt, dass man meinen konnte, er sei gerade erst aus dem Bett gefallen.
Er wechselte mit seinen blauen Augen schlagartig in einen Dackelblick-Modus und setzte sogar eine Schmolllippe auf, die von einem kurzen Bart umrandet wurde, genau wie sein Kinn und seine Wangen.
„Ach, komm schon. Ich hab doch gar nichts gemacht!“, brummte er.
„Entschuldige dich bei ihr. Und zwar jetzt gleich oder hast du etwa vergessen, wer dein Lieutenant ist?“, war die einzige Antwort, die der Dunkelblonde der rothaarigen Frau entlocken konnte. Dem jungen Mann entfuhr ein leicht genervtes Stöhnen.
„Du weißt schon, dass du mal wieder maßlos übertreibst, oder, Bev?“ Dann wandte er sich auch schon mir zu. „Sorry, war nicht so gemeint. Das sollte nur’n Witz sein“, versuchte er sich bei mir zu entschuldigen.
„Joshua versucht gerne zu scherzen. Leider haut er seine Sprüche meist heraus, bevor er seinen Kopf einschaltet. Anderenfalls wüsste er, dass er bei Weitem nicht so lustig ist, wie er glaubt“, klärte mich die Frau auf. „Und jetzt komm. Wir haben die Tradition, vor der Teambesprechung gemeinsam zu essen. Das soll den Teamgeist stärken.“
Ich nickte langsam und folgte ihr in die, ganz in rot gehaltene, Küche. Dort herrschte bereits reges Treiben, während der süße Duft von Pfannkuchen in der Luft schwebte. Eine hübsche Brünette und ein junger Mann mit schulterlangen schwarzen Haaren und asiatischen Gesichtszügen, deckten gerade den Tisch, während ein weiterer junger Mann damit beschäftigt war, ein Tablett mit fertigen Pfannkuchen zu platzieren, genau neben Butter und Ahornsirup. Auch er hatte schulterlanges Haar, das er jedoch zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte und das leichte Wellen aufwies. Anscheinend versuchte er damit zu verhindern, dass ihm seine dunkelbraune Haarpracht ins Gesicht fiel. Seine Haut war leicht gebräunt, aber dennoch um einige Nuancen heller als meine eigene, während seine Augen einen warmen schokoladigen Ton aufwiesen.
Kaum hatten wir das Zimmer betreten, sahen die drei auch schon auf. Ihnen stand die Neugier regelrecht ins Gesicht geschrieben.
„Guten Morgen, Frischling“, begrüßte mich die junge Frau mit einem leichten Lächeln, während sie mich mit ihren bernsteinfarbenen Augen musterte. Der junge Mann, der die Pfannkuchen abgestellt hatte, schenkte mir ebenfalls ein Lächeln.
„Ich hoffe, du hast Hunger mitgebracht. Ich wusste nicht, was du so magst, also dachte ich mir, ich versuche es einfach mal mit Blaubeerpfannkuchen. Denen konnte noch niemand widerstehen“, erklärte er mit einem unverkennbar spanischen Akzent.
„Das stimmt. Vor allem, wenn sie von Lio stammen“, gab die Brünette von sich, sodass die Wangen des Angesprochenen eine leicht rote Verfärbung annahmen.
„Jetzt übertreibst du aber, Jo“, brummte er.
„Sie sagt nur die Wahrheit“, meinte Joshua, der immer noch hinter Bev und mir stand. Er schlängelte sich zwischen uns hindurch und steuerte geradewegs den Tisch an, um sich zu setzen. „Ich für meinen Teil, kann’s kaum erwarten. Deine Blaubeerpfannkuchen sind einfach nur legendär, Lio.“
Dann schaute er zu mir und grinste verschwörerisch.
„Wart’s nur ab, bis Emilio mexikanisch kocht, Frischling. Ich schwör’s dir, sobald du seine Burritos gekostet hast, wirst du andere links liegen lassen. Wenn du Glück hast, macht er sie uns sogar heute noch. Das Rezept hat er von seiner Großmutter.“
Er blickte augenklimpernd in die Richtung des Latinos.
Dieser stellte gerade einen großen Krug Orangensaft auf den Tisch, während er nur schmunzelnd den Kopf schüttelte, die Worte des Dunkelblonden allerdings unkommentiert ließ.
Dafür gab die junge Brünette ihren Senf dazu, die sich neben dem Schwarzhaarigen niederließ, der nur einige Sekunden zuvor ebenfalls Platz genommen hatte.
„Du meinst wohl eher, wenn du Glück hast“, erwiderte sie und klopfte ihm grinsend auf die Schulter. Dann ließ sie ihre bernsteinfarbenen Augen durch den Raum huschen und fragte stirnrunzelnd: „Wo steckt eigentlich der Cap, Josh? Sonst bist doch du immer der Letzte.“
Dieser zuckte jedoch nur mit den Schultern.
„Keine Ahnung. Er ist zwar mein Bruder, aber das bedeutet nicht automatisch, dass wir aneinanderkleben wie Erdnussbutter und Marmelade“, erklärte er kauend zwischen zwei Bissen Blaubeerpfannkuchen.
„Na, das wäre ja noch schöner“, ertönte plötzlich eine Männerstimme hinter mir.
Schlagartig drehte ich mich um und blickte geradewegs in die blauen Augen des Captains.
Sein äußeres Erscheinungsbild wirkte gepflegt und auch wenn seine Haare nicht ganz so verwuschelt waren wie die von Joshua, waren sie zweifelsohne von der gleichen Farbe. Auch in der sportlichen Statur und in der Gesichtsform ähnelten sie sich. Doch einen Unterschied gab es. Während Josh durchaus noch als Teenager durchgehen konnte, sah sein älterer Bruder viel erwachsener und strenger aus.
Er strahlte schon jetzt eine ganz gewisse Autorität aus und das, obwohl er einfach nur dastand. Zeitgleich wirkte er weder steif noch unnahbar. Er wirkte einfach wie eine Person, die diesen Laden hier zusammenhalten musste. Ichkonnte spüren, dass ihm diese Wache und somit auch das gesamte Team, wichtig war.
„Da bist du ja endlich, Timothy. Jo wollte schon eine Suchmeldung herausgeben“, flötete sein jüngerer Bruder.
„Nur weil ich befürchtete, dass du dem Cap die ganzen Blaubeerpfannkuchen vor der Nase wegessen würdest“, versuchte sich die Dunkelhaarige zu verteidigen.
Der Captain gab sich die größte Mühe, nicht zu grinsen, doch seine Mundwinkel zuckten bereits verdächtig. Also versuchte er, seine gesamte Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken.
Seine Wahl fiel auf mich. Sehr zu meinem Leidwesen. Denn ich hasste diesen Blick, von dem er nun Gebrauch machte. Diesen forschenden Blick, mit dem man eine Person regelrecht durchleuchten wollte. Als könnte er damit die tiefsten und dunkelsten Geheimnisse seines Gegenübers entschlüsseln. Wenn er nur wüsste, wem er da wirklich gegenüberstand.
Je mehr Zeit verstrich, desto unruhiger wurde ich.
Himmel, konnte er nicht endlich etwas sagen? Irgendetwas? Alles war besser als diese quälende Stille, die sich wie Kaugummi zog. Denn die anderen schienen jede kleinste Regung ihres Captains zu studieren. Sie warteten auf sein abschließendes Urteil – mich eingeschlossen.
„Mhm“, gab er von sich.
Er nickte mir knapp zu, ging an Bev und mir vorbei und setzte sich an den Tisch. Sofort wurde er von dem Dunkelhaarigen bedient, als hätte er gerade ein Diner betreten.
Wie bitte?! War das etwa sein gottverdammter Ernst? Erst versuchte er mich buchstäblich mit seinen Augen zu durchbohren und wenig später tat er einfach so, als würde ich ihn nicht mehr interessieren? Was war das denn für eine bescheuerte Logik?
Sichtlich irritiert schaute ich zu den anderen, die seine karge Reaktion einfach hinzunehmen schienen.
Bev, die immer noch bei mir stand, folgte letztendlich dem Beispiel des Captains und setzte sich ebenfalls.
Somit standen nur noch Emilio und ich da. Doch der Latino hatte wenigstens eine Aufgabe, an die er sich klammern konnte, während ich einfach nur unschlüssig dastand und nicht so recht wusste, wohin mit mir. Irgendetwas hinderte mich daran, mich einfach ungehemmt zu ihnen zu setzen, und das, obwohl ich es so gerne tun würde. Es war, als wollte mein Verstand mich warnen und mir sagen, dass es vielleicht doch keine allzu gute Idee gewesen war, hierherzukommen. Und dafür verfluchte ich mich. Denn diese Gedanken waren das Produkt meiner Erziehung. Ein Überbleibsel des Einflusses meiner Familie. Während meiner Ausbildung hatte ich diese kleine Stimme in meinem Ohr erfolgreich verdrängen können, nur damit sie jetzt in voller Lautstärke zurückkehren konnte. Wie wunderbar. Nicht.
„Jetzt komm schon her, Liebes. Wir beißen nicht“, ertönte die sanfte Stimme von Bev, die meine Unsicherheit zu spüren schien.
Mit einer einladenden Geste klopfte die junge Frau neben sich auf den noch leeren Stuhl und blickte mich fast schon mütterlich an. Joshua grinste mich breit an, während ich langsam auf den Tisch zuging und mich dann zögerlich setzte. Kurz danach stellte mir die Rothaarige das Team rasch vor, auch wenn ich die Namen bereits aus den Gesprächen entnehmen konnte.
„Gewöhne dich besser dran. Bev bemuttert jeden. Vor allem, wenn es der erste Tag ist. Obwohl, nein. Eigentlich bemuttert sie einen immer“, erklärte er und erntete dafür von der Rothaarigen gleich den zweiten strengen Blick an diesem Morgen.
„Sei froh, dass ich dir keinen Hausarrest aufbrummen kann, Josh“, murrte sie, ungeachtet dessen, dass sie mit dem kleinen Bruder ihres Captains sprach.
„Oh, Timothy könnte ihn aber auch genauso gut zum Innendienst verdonnern“, gab der Schwarzhaarige zu bedenken, der sich bis jetzt zurückgehalten hatte.
„Ob und wann ich jemanden zum Innendienst verdonnere, ist immer noch meine Entscheidung, Naoki“, erwiderte dieser gelassen und nippte kurz an seinem Glas Orangensaft.
Dann wanderte sein Blick zu mir. Abermals schienen mich seine blauen Augen durchbohren zu wollen. Doch dieses Mal erschien der zarte Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen. Er erhob sein Glas und prostete mir zu.
„Willkommen bei Engine One Hundred Fourteen, Holly.“
Nach ein paar holprigen Startschwierigkeiten, die zum Teil auch meine eigene Schuld gewesen waren, schien es mit meinem Team ganz gut zu laufen.
Joanna und Naoki übernahmen die Aufgabe, mir alles zu zeigen. Sie erklärten mir, wo sich die Ruheräume befanden zeigten mir das Büro des Captains und führten mich zum Trainingsraum. Dort gab es ein Laufband, ein Gerät zum Gewichtheben und einen frei stehenden Boxsack. Letzteres gefiel mir ganz besonders gut. Bestimmt hatte dieser schon mehrfach als Ventil gedient, um angestaute Emotionen verpuffen zu lassen, was gar nicht so verkehrt war. Vor allem, wenn man einen ziemlich beschissenen Tag hatte.
Joanna gab mir einen kurzen Moment, um alles auf mich wirken zu lassen, dann meinte sie: „So, jetzt sind nur noch die Umkleidekabinen übrig. Dort gibt es Toiletten und auch Duschmöglichkeiten. Außerdem kriegst du auch deinen eigenen Spind. Ich glaube, Beverly hat dir bereits einen vorbereitet.“ Fragend blickte sie zu Naoki, der hauptsächlich nur schweigend neben uns hergelaufen war. „Stimmt doch, oder?“
Der Schwarzhaarige nickte stumm. Dass er ein wenig wortkarg war, hatte ich bereits bemerkt. Bei unserem Rundgang hatte hauptsächlich die junge Frau das Reden übernommen, während Naoki uns so lautlos wie ein Schatten gefolgt war.
„Wow, wie unglaublich gesprächig du heute mal wieder bist“, gab Joanna sarkastisch von sich und knuffte Naoki leicht in die Seite. Dieser gab sofort einen entrüsteten Laut von sich.
„Ich wollte dich eben nicht unterbrechen. Das ist alles. Außerdem, es können doch nicht alle ohne Punkt und Komma plappern, so wie du“, erwiderte er. „Wenn ich ebenfalls auf unseren Frischling einreden würde, überlasten wir vielleicht noch ihren Verstand. Der erste Tag ist eine Herausforderung. Lauter neue Eindrücke, neue Namen…“
„Ist ja schon gut“, brummte Jo und unterbrach somit seine Aufzählung. „Und so viel plappere ich doch gar nicht.“
„Natürlich nicht“, antwortete Naoki mit dem Anflug eines Lächelns.
Ich räusperte mich verhalten, sodass mich die beiden sofort aufmerksam anschauten. „Ich denke, mit den neu gewonnen Informationen komme ich klar“, entgegnete ich vorsichtig. Unter keinen Umständen wollte ich, dass sie dachten, man müsse mich mit Samthandschuhen anfassen. Ja, ich war die Neue, und ja, es prasselte heute eine ganz gewaltige Menge an Dingen auf mich ein, die mir fremd waren, doch ich würde damit schon zurechtkommen. Irgendwie.
Joanna und Naoki warfen sich einen raschen Blick zu, dann wurde ich auch schon weitergeschoben und zu unseren Umkleideräumen gebracht. Dort gab es einige rote Schränke, die allesamt mittels einer großzügigen Gittertür verschlossen waren. In ihnen befanden sich die zivilen Kleidungsstücke des Teams. Daneben waren mehrere Spinde. Gerade groß genug, um dort drinnen Wasserflaschen, Rucksäcke, Handtaschen oder andere private Dinge sicher zu verstauen. Die meisten davon waren belegt. Nur ein Spind mit der Nummer 26 stand offen. Darüber war bereits ein Schild mit meinem Namen angebracht worden.
„Wenn dir die Höhe des Spinds nicht zusagt, können wir sicher eine Lösung finden. Es ist nur ein Vorschlag“, meinte Joanna.
Hastig schüttelte ich mit dem Kopf. „Ist nicht nötig. Der Spind ist klasse“, antwortete ich aufrichtig. Der Spind lag genau in Augenhöhe. Als wäre er nur für mich gemacht. Beverly hatte bei ihrer Auswahl also ein glückliches Händchen bewiesen. Oder es lag daran, dass meine Körpergröße in meiner Akte vermerkt war.
„Hey, Leute“, ertönte plötzlich Joshuas Stimme. „Habt ihr unserem Frischling eigentlich schon unsere Feuerrutschstange gezeigt? Dort runterzurutschen macht echt verdammt großen Spaß.“
Joanna kicherte leicht.
„An seinem ersten Tag ist er dort ganze zehn Mal runtergerutscht“, erklärte sie mir.
„Es waren sogar zwölf Mal, Jo“, antwortete der Bruder des Captains grinsend. Dann wandte er sich mir zu. „Lust, es auszuprobieren, Frischling?“
„Sofern der Captain nichts dagegen hat?“, erwiderte ich.
„Also wenn ich du wäre, würde ich es vielleicht nicht unbedingt am ersten Tag ausprobieren, Holly“, meinte Naoki.
„Hey, wieso bist du so ne Spaßbremse, Naoki?“, fragte Joshua mit schief gelegtem Kopf.
„Bin ich nicht. Ich bin nur realistisch. Außerdem wird sie noch genug Zeit haben, um die Stange auszuprobieren. Ist ja nicht so, dass wir hier keine Treppen hätten. Sie kann sich auch anders fortbewegen“, gab der Schwarzhaarige schulterzuckend von sich.
Joanna rollte hingebungsvoll mit den Augen und legte mir einen Arm über die Schulter.
„Beachte sie einfach nicht“, riet sie mir. „Josh hatte schon immer einen kleinen Hang dazu, zu dramatisieren, während Naoki hingegen einfach nur die Risiken abwägt. Was ehrlich gesagt Joshua auch mal ganz guttun würde. Aber ich kann seine Euphorie verstehen. Er ist heute vermutlich deshalb so wie ein Stehaufmännchen drauf, weil er endlich kein Frischling mehr ist. Denn diesen Titel hast du ihm nun streitig gemacht, Holly.“
Ich nickte verstehend und konnte mir dabei ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Es war ein schönes Gefühl, zu wissen, dass sie mich schon jetzt als Teil des Teams ansahen und mich dementsprechend auch integrieren wollten. Dafür war ich ihnen unglaublich dankbar.
Einzig und allein der Captain wirkte noch ein wenig distanziert und das, obwohl er mir am Frühstückstisch doch selbst zugeprostet hatte. Wenigstens war er weder unfreundlich noch abweisend zu mir. Er schien lediglich einen gewissen Abstand wahren zu wollen.
Joanna hatte mir erklärt, dass er erst einmal herausfinden wollte, woran er bei mir war. Er wollte auf Nummer sicher gehen, dass ich auch wirklich ins Team passte. Später würde er dann schon noch auftauen. Sie hatte sogar gemeint, dass ich es schon längst gemerkt hätte, wenn ich ihm unsympathisch gewesen wäre.
Ich war mir nicht sicher, ob ich je wissen wollte, wie der Cap mit Leuten umging, die er nicht mochte. Er war schon irgendwie eine Nummer für sich. Ein wandelndes Mysterium.
Eine Stunde später ließ mich ein Alarm abrupt mit dem Putzen des Löschfahrzeugs aufhören. Eine weibliche Stimme in den Lautsprechern verkündete gerade, dass die Drehleiter angefordert wurde. Außerdem verriet sie auch, wohin die Reise gehen würde.
Der Captain hatte heute Bev und mich für die Drehleiter eingeteilt. Folglich würde dies mein erster Einsatz werden. Adrenalin schoss durch meine Adern, während ich mich im Eiltempo umzog und dabei stolz feststellen durfte, dass ich in Sachen Geschwindigkeit meinem Team nicht unterlegen war.
Joshua, der mir beim Putzen geholfen hatte, klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter und schaute mich mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen an.
„Na, bereit für deinen ersten Einsatz, Frischling? Die Geschwindigkeit beim Anziehen passt zumindest schon mal. Unsere reizende Bev ist nämlich eine der Flinksten hier und weißt du was? Ihr wart fast gleich schnell. Das ist beeindruckend“, meinte er.
„Josh, lenke unseren Neuzugang gefälligst nicht ab!“, ermahnte sein älterer Bruder den jungen Mann, der gespielt beleidigt, die Zunge herausstreckte und in Richtung Gemeinschaftsraum verschwand.
Nanu? Wo war der Captain denn so plötzlich hergekommen? Er war doch sicher nicht hier, nur um den jungen Mann zurechtzuweisen, oder? Hatte er mich etwa beobachtet? Sichtlich irritiert blickte ich zu Beverly, die lediglich theatralisch mit dem Kopf schüttelte.
„Einfach die Zunge herausstrecken, als wäre er ein kleiner Junge. Manchmal frage ich mich wirklich, ob ich mich hier in einer Feuerwache oder doch eher im Kindergarten befinde“, brummte sie, während sie in den Einsatzwagen stieg.
Doch wenn man mal ihr belustigtes Augenfunkeln bedachte, schien sie ihre Worte nicht ganz so ernst zu meinen, wie es geklungen hatte.
„Glaub mir, das frage ich mich ständig“, antwortete der Captain schlicht, dann drehte er sich um und verschwand auch schon aus unserem Blickfeld. Wo genau er hinging, wusste ich nicht, doch sein Verhalten bestärkte meinen Gedanken, dass er mich tatsächlich im Auge behalten hatte.
Einladend streckte die Rothaarige mir ihre Hand hin, um mir in den Wagen zu helfen. „Na los, auf zu deinem ersten Einsatz, Holly.“
Ich schenkte meinem Lieutenant ein nervöses Lächeln, ergriff ihre Hand und stieg ein. Nachdem wir beide uns angeschnallt hatten, wurde auch schon das Tor geöffnet, sodass Bev den Wagen nach draußen steuern konnte. Ich war gespannt, was uns am Einsatzort erwarten würde, da man uns extra darauf hingewiesen hatte, sowohl auf Sirenen als auch auf Blaulicht zu verzichten. Wir wussten nur, dass es eine Tierrettung sein würde, doch um welches Tier es sich genau handelte, hatte man uns verschwiegen. Aber wir würden es ja ohnehin gleich erfahren. Was auch immer es war, ich durfte mich nicht blamieren. Nicht am ersten Tag.
Dass das mit dem Blamieren nicht ganz so einfach werden würde wie erhofft, wurde mir spätestens dann klar, als Bev und ich unser Fahrzeug verließen und zum Ort des Geschehens kamen. Eine völlig aufgelöste, rundliche Frau Mitte fünfzig kam auf uns zu.
„Bitte, sie müssen Mimi retten!“, wimmerte sie, während ihr unaufhaltsam Tränen über die Wangen liefen.
„Ganz ruhig. Tief durchatmen, Ma‘am. Mimi ist Ihre Katze, richtig?“, mutmaßte Bev.
Die ängstliche Frau nickte hastig. Ein Schluchzen entfuhr ihrer Kehle. Mit panischem Blick schaute sie in die Richtung eines verdammt großen Baums und deutete, wie sollte es auch anders sein, genau auf einen der höchsten Äste, auf dem eine dunkle Katze mit honigfarbenen Augen saß.
Aha. Also ging es bei diesem Einsatz tatsächlich um eine Katze. Das war zwar ziemlich klischeehaft, aber so etwas gehörte eben auch dazu. Wir waren nun mal für die Sicherheit von Menschen und Tieren zuständig und das war auch ganz gut so. Jeder hatte es verdient, gerettet zu werden.
Fahrig strich sich die Katzenbesitzerin eine dunkelbraune Haarsträhne aus dem Gesicht, während sie dem Rat meiner Kollegin Folge leistete und erst einmal tief durchatmete. Nur schien diese Entspannungsmethode bei ihr nicht zu wirken. Sie war immer noch total außer sich.
„Jetzt tun Sie doch was! Meine Mimi ängstigt sich dort oben noch zu Tode!“, schniefte sie.
„Keine Sorge. Wir tun alles, was wir können, um Ihre Katze dort herunterzuholen.“ Bev versuchte die Frau zu beschwichtigen, dann schaute sie zu mir. „Bist du schon mal auf einen Baum geklettert?“, wollte sie von mir wissen.
Ich nickte langsam.
„Ja, das bin ich“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
Ich ahnte bereits, worauf sie damit hinauswollte und ich war mir nicht ganz sicher, was ich davon halten sollte.
„Sehr gut. Dann wirst du zu der Katze hochklettern, während ich mich um den Rest kümmer“, antwortete sie.
„Ich soll also echt den Baum hochklettern?“, hakte ich nochmals nach.
Die Rothaarige gab einen zustimmenden Laut von sich. „Mhm. Ganz genau. Oder gibt’s irgendein Problem, Frischling? Sag jetzt nicht, du hast Höhenangst.“
Fragend zog sie ihre Augenbrauen nach oben, sodass ich schnell mit dem Kopf schüttelte, damit sie sich wieder entspannen konnte.
„Na, dann ist doch alles gut. Du schaffst das schon“, erwiderte sie mit einem leichten Lächeln.
Bev nickte mir aufmunternd zu und schob mich anschließend in Richtung des Baums, den ich erklimmen sollte, um zu dem Tier zu gelangen. Allmählich begannen auch Leute stehenzubleiben, die voller Neugier das Geschehen beobachten wollten. Auch die Katzenlady schaute mich mit einem erwartungsvollen Blick an. Ich war froh, dass sie ihr hysterisches Gerede eingestellt hatte. Denn das wäre mir jetzt keine allzu große Hilfe gewesen. Meine Hände waren auch so schon feucht genug.
Es war zwar nicht unbedingt so, dass ich Angst hatte, doch trotz der offensichtlichen Schlichtheit dieses Einsatzes, war es für mich dennoch eine Herausforderung. Vor Menschen vermochte ich es durchaus, mein düsteres Geheimnis zu verschleiern, in der Tierwelt sah das ganz anders aus. Sie besaßen ein viel feineres Gespür, Katzen ganz besonders. Was, wenn mir dieser flauschige Stubentiger mit einer abwertenden Reaktion das Genick brechen würde?
Skeptisch blickte ich zu der Katze hoch, die sich immer noch verängstigt an einen Ast krallte und sich mit gesträubtem Schwänzchen umschaute.
Ein Seufzen entfuhr mir, während ich dicht an den Baum herantrat. Mir blieb keine andere Wahl. Ich musste sie retten. Ich konnte mir auch später noch darüber Gedanken machen, sofern der Worst Case überhaupt eintrat.
„Okay, Mimi. Dann wollen wir mal.“, murmelte ich und zog mich am ersten Ast hoch.
Ich passte penibel darauf auf, dass meine Füße einen halbwegs sicheren Stand fanden und die Äste, die ich vorsichtig mit meinen zittrigen Händen berührte, mir Halt versprachen, damit ich mich an ihnen hochziehen konnte. Außerdem achtete ich auf das noch so kleinste Geräusch, denn ich wusste, ein verräterisches Knacken und schon konnte es zu spät sein.
Plötzlich rutschte ich mit meinem rechten Fuß ab, sodass ich erschrocken nach Luft schnappte und sich meine Fingernägel automatisch in den Ast bohrten, an dem ich mich gerade festhielt. Dadurch raschelten die Blätter. Einige von ihnen, fielen sogar zu Boden. Glücklicherweise fing ich mich recht schnell wieder und kletterte mit einem flattrigen Gefühl in der Magengegend weiter als wäre nichts passiert.
Allerdings hatte ich dadurch nun auch Mimis ungeteilte Aufmerksamkeit erlangt. Das Kätzchen beobachtete mich. Skeptisch und voller Neugier. Sie gab ein fragendes Miauen von sich, sodass ich mitten in der Bewegung innehielt, wohl wissend, dass vermutlich ein Dutzend Augenpaare auf uns gerichtet waren.
„Keine Sorge, ich tue dir nichts“, meinte ich leise und hoffte inständig, dass die Fellnase es spürte, dass ich anders als meine völlig verkorkste Verwandtschaft war.
Mir wurde flau im Magen, als mich Mimi mit ihrem wachsamen Blick bedachte. Es ähnelte dem Moment, in dem der Captain mich so abschätzend angeschaut hatte. Doch das hier war anders. Viel intensiver. Es war, als wollte mir Mimi mit ihren honigfarbenen Augen inmitten meiner Seele blicken. Als wolle sie prüfen, ob ich ein guter Mensch war oder eher Vampir, wenn man das Kind beim Namen nennen wollte.
„Und? Zu welchem Schluss kommst du?“, fragte ich leise und versuchte, mir meine wachsende Nervosität nicht anmerken zu lassen.
Ich erwartete schon fast, dass die Katze ihre Angst überwinden und mich fauchend anspringen würde, doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen wirkte Mimi ruhig und gelassen. Freundlich blinzelte sie mich an und schien darauf zu warten, dass ich sie retten würde.
Erleichtert atmete ich aus und schenkte dem Tier ein leichtes, fast schon dankbares, Lächeln, dann setzte ich mich wieder in Bewegung und erreichte kurze Zeit später das flauschige Fellknäuel.
„Dann sehen wir mal zu, dass wir dich nach unten bekommen, Kleines“, meinte ich schmunzelnd.
Ich suchte mir eine bequeme, sichere Position und streckte einladend meine Hände nach ihr aus. Die Katze legte kurz den Kopf schief und miaute abermals, dann tapste sie fröhlich schnurrend in meine Richtung, sodass ich sie mühelos in meine Arme schließen konnte.
„Hallo“, begrüßte ich das Tier. „War doch gar nicht so schlimm, oder?“
Beruhigend strich ich ihr über das seidige Fell, wobei mir nicht ganz klar war, ob ich damit nun das Tier oder doch eher meine eigenen Nerven beruhigen wollte. Doch das machte nichts. Mimi schien es zu gefallen, denn sie schmiegte ihren kleinen Körper an mich.
Unterdessen hatte Bev auch eine Leiter in die richtige Position gebracht und war diese emporgestiegen. Die Rothaarige nickte mir anerkennend zu.
„Das war gar nicht mal so schlecht“, lobte sie mich.
„Danke, aber wenn du sowieso mit einer Leiter hier hoch wolltest, wieso hast du mich dann auf den Baum geschickt?“, fragte ich.
„Weil du das Tier erst einmal beruhigen solltest. Es gibt Tiere, denen macht so eine Leiter nichts aus, doch wir konnten nicht wissen, wie Mimi reagieren würde. Sie hätte in ihrer Panik genauso gut vom Baum springen können und das wäre ganz und gar nicht gut gewesen.“
„Natürlich nicht“, bestätigte ich, da man nicht immer davon ausgehen konnte, dass die Katzen sicher auf ihren vier Pfoten landen würden. Kurz kraulte ich Mimi hinter den Öhrchen, dann reichte ich das Tier auch schon brav an Bev weiter.
„Außerdem dachte ich mir, dir würde es an deinem ersten Tag ganz guttun, die Heldin spielen zu dürfen“, erklärte sie und deutete mit einem Kopfnicken nach unten, während sie das Tier entgegennahm.
Ich folgte ihrem Blick und bemerkte erst jetzt, dass die Menschen begeistert zu uns aufblickten, während sie jubelten und klatschten. Augenblicklich konnte ich spüren, wie meine Ohren ganz heiß wurden.
„Wow“, war alles, was ich herausbringen konnte.
„Aber lass dir das ja nicht zu Kopf steigen. Glaub mir, das geht nie gut“, warnte mich der rothaarige Lockenschopf.
„Keine Sorge, das wird nicht passieren“, versprach ich ihr.
Nachdem wir Engine One Hundred Fourteen wieder erreicht und uns unserer Einsatzkleidung entledigt hatten, machten Bev und ich uns auf die Suche nach unserem restlichen Team.
Mit Ausnahme des Captains und Naoki, befanden sich alle im Gemeinschaftsraum. Kaum hatte ich ihn betreten, schlug mir auch schon ein dezenter Rosengeruch entgegen, verursacht von einem Raumduft in Form einer bauchigen Glasflasche. Vier kleine Holzstäbchen ragten dort hinaus und gaben beständig den Duft der Flüssigkeit ab, mit der sie sich vollgesaugt hatten. Die Flasche selbst stand auf einem weißen Couchtisch, der vor einem schwarzen Ledersofa platziert worden war. Rechts und links standen zudem auch je ein gemütlich wirkender Sessel. Beide wiesen dieselbe Farbe wie das Sofa auf.
Ich ließ meinen Blick umherschweifen und entdeckte im Raum zudem auch ein großes, weißes Bücherregal mit vielen quadratischen Fächern, die vor lauter Lesestoff nur so wimmelten. Außerdem gab es in einer Ecke einen Kickertisch und einen großen Fernseher, der mittels Halterung an einer der vier Wände angebracht worden war.
Das Team beschäftigte sich entweder mit ihren Smartphones oder sie schauten TV, indem gerade ein Werbespot über Haarshampoo lief.
Kaum hatte man uns bemerkt, warfen uns Emilio und Joshua auch schon neugierige Blicke zu. Auch Jo schaute interessiert auf, wirkte jedoch etwas genervt, was auch Bev aufzufallen schien.
„Das übliche Problem, oder?“, fragte sie sogleich frei heraus. Jo verzog das Gesicht zu einer grimmigen Miene und nickte.
„Korrekt. Naoki hat sich mal wieder auf den Balkon verzogen, um zu rauchen“, murrte sie.
„Jetzt lass ihn doch. Du tust gerade so, als sei das ein Weltuntergang“, meinte Joshua ruhig.
Sofort blickte sie den jüngeren Bruder des Captains giftig an. „Das vielleicht nicht, aber es ist ziemlich ungesund.“
„Statt einfach vor dich hinzuschmollen, könntest du es ihm auch einfach ins Gesicht sagen“, schlug Emilio gelassen vor.
„Keine allzu schlechte Idee.“, bestätigte Joshua und legte seine Füße auf den Tisch, um eine bequemere Haltung einzunehmen.
Ein einziger Blick der Rothaarigen genügte und er platzierte sie wieder dort, wo sie hingehörten – und zwar auf dem hellen Parkettboden. „Als hätte ich das nicht schon gefühlte tausend Mal versucht.“
„Ich denke, ihm ist es durchaus bewusst wie ungesund es ist. Und er weiß auch sehr wohl, was wir davon halten. Dennoch ist er ein erwachsener Mann und kann seine eigenen Entscheidungen treffen“, meinte Bev schließlich.
„Aber es sind die falschen Entscheidungen, Bev!“, erwiderte die Brünette frustriert und fuhr sich resigniert übers Gesicht.
„Ich weiß. Aber Timothy hat stets ein Auge auf ihn. Vergiss das nicht.“
Joanna seufzte ergeben und wandte sich dann mir zu.
„Entschuldige. Ich wollte dir nicht deinen großen Moment versauen. Wie ist es gelaufen, Frischling?“
Nach einer kurzen Schilderung meinerseits, schien der Wissensdurst meines Teams gestillt zu sein. Zumindest vorerst. Und obwohl auch Bev eine wichtige Rolle während des Einsatzes gespielt hatte, war ich diejenige, die von den anderen mit Glückwünschen überhäuft wurde.
Sie bauschten das Ganze auf, als wäre es eine verdammt große Nummer gewesen, die ich dort oben auf dem Baum geleistet hatte. Ich hielt das zwar ein wenig für übertrieben, aber ich ließ sie einfach machen. Ändern konnte ich diesen Umstand ja eh nicht. Auch wenn es mir etwas unangenehm war, derartig in den Himmel hochgehoben zu werden. Immerhin war ich nicht allein dort gewesen. Doch der Rothaarigen schien es nichts auszumachen, nicht im Mittelpunkt zu stehen. Im Gegenteil. Sie freute sich für mich und schenkte mir sogar ein aufrichtiges Lächeln.
Es war offensichtlich, dass sie alle absichtlich etwas übertrieben, doch sie taten es, damit ich mich besser fühlte. Weil sie wollten, dass ich möglichst schnell eine von ihnen wurde. Und nach dem heutigen Tag war ich fest davon überzeugt, dass dies auch passieren würde.
Meine anfängliche Angst war wie weggeblasen. Zurück blieb einfach nur das wohlig warme Gefühl, endlich irgendwo dazuzugehören.
Die restliche Schicht verlief ruhig. Zumindest so ruhig, wie man ein paar kleinere Küchenbrände und eine ausgebüxte Schlange betiteln konnte.
Josh schlug am Ende unserer Schicht vor, dass wir alle noch gemeinsam irgendwo etwas trinken gehen könnten.
Naoki stimmte zu und auch Jo gab ihr Einverständnis, wenngleich auch etwas zögerlich und mit einem seltsamen Gesichtsausdruck, den ich nicht ganz deuten konnte. Emilio und Bev hingegen lehnten höflich ab, da sie zu Hause bereits erwartet wurden. Die Rothaarige ließ es sich nicht nehmen, Naoki und Joshua zu ermahnen, dass sie es ja nicht übertreiben sollen. Nur Jo ließ sie damit in Frieden. Ich fragte mich, wieso. Aber es schien etwas Persönliches zu sein, weswegen ich nicht weiter nachhakte.
Dann wandte sich der Dunkelblonde seinem Bruder zu. „Und du, Bruderherz? Wie sieht’s aus? Bist du dabei?“
„Meinetwegen. Aber nur, weil ich dich im Auge behalten will. Außerdem…“ Er blickte mit seinen blauen Augen nachdenklich zu mir. „…muss ich unseren Neuzugang vor eurem schlechten Einfluss bewahren.“
„Ich hab noch gar nicht zugesagt“, entfuhr es mir prompt. Ups, da war wohl meine Zunge etwas schneller als mein Kopf gewesen.
Josh gluckste leicht. „Du hast keine andere Wahl. Du musst zusagen, Frischling. Ist ein Naturgesetz. Aber weißt du was? Dafür spendiere ich dir auch nen Drink. Als kleine Wiedergutmachung, für mein idiotisches Verhalten von heute Morgen. Ich gebe zu, dass es nicht gerade nett von mir war. Ich war ziemlich frech.“
„Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung“, meinte Joanna mit einem amüsierten Schmunzeln auf den Lippen und auch Emilio konnte sich diesbezüglich keinen Kommentar verkneifen.
„Diese Einladung würde ich lieber annehmen. Uns hat Josh noch nie etwas ausgegeben“, flötete der Latino.
„Stimmt doch gar nicht! Was ist mit den Waffeln gewesen, hm?“, versuchte sich dieser sogleich zu verteidigen und stemmte trotzig die Hände in seine Hüften.
„Hast du die damals nicht im Internet bestellt, dich mit der Anzahl vertan und konntest sie dann nicht mehr stornieren?“, überlegte Jo laut, sodass der jüngere Bruder des Caps rot anlief.
Bev schüttelte nur schmunzelnd den Kopf, wünschte uns eine gute Nacht und machte sich auf den Heimweg. Auch Emilio verabschiedete sich von uns, klopfte Joshua versöhnlich auf die Schulter und machte sich ebenfalls davon.
Die übrig Gebliebenen, schauten abwartend in meine Richtung. Ich war hin und her gerissen. So etwas, wie nach Feierabend mit den Kollegen noch irgendwo hinzugehen, war mir fremd. Ich war noch nie großartig auf Partys gegangen und wenn doch, dann waren es nur die Festlichkeiten meiner Familie gewesen. Formelle Anlässe, die nur unter unseresgleichen stattgefunden hatten. Da ich jedoch keine Spielverderberin sein wollte, gab ich mich geschlagen und nickte zustimmend.
„Warum eigentlich nicht?“, erwiderte ich mit einem zaghaften Lächeln.
Ein breites Grinsen erschien auf Joshuas Lippen.
„Na, dann mal los“, antwortete er gut gelaunt und auch die anderen schienen sich über meine Entscheidung zu freuen.
Unsere Wahl fiel auf das Urban Cowboy Public House, eine Bar, die nur ungefähr einen Block weit von unserer Wache entfernt lag. Laut Josh bekam man dort auch sehr leckeres Essen, darunter auch Pizzen. Zudem gab es auch Übernachtungsmöglichkeiten. Schon äußerlich konnte das Grundstück punkten.
Mit seinem Kolonialstil, passte es perfekt in die Umgebung und somit auch zu unserer Feuerwache. Die Fassade leuchtete in warmem Rostrot. Das Dach war grau und auf der rechten Seite besaß es ein kleines Türmchen, welches einige Fenster zierten und genauso dunkel gehalten war wie die anthrazitfarbenen Säulen des Gebäudes. Auf der linken Seite war an der Hauswand ein weißes Symbol zu erkennen. Es hatte die Form eines Vogels. Mittig war eine schwarze Linie erkennbar, auf dem in weißen Buchstaben Public House Hotel & Parlor geschrieben stand. Alles in allem wirkte es ziemlich einladend und gemütlich.
„Also, was ist jetzt? Wollen wir endlich reingehen? Ich hab schon nen verdammt großen Kohldampf“, meinte Joshua und rieb sich demonstrativ den Bauch.
„Du hast doch immer Kohldampf“, bemerkte Jo. Sie warf dem Captain einen belustigten Blick zu. „Du hast echt Glück, dass er dir deinen Teller nicht ständig leergegessen hat, als ihr noch Kinder wart, Cap.“
Timothys Mundwinkel zuckten verdächtig.
„Glaub mir, das hätte ich schon zu verhindern gewusst“, erwiderte er gelassen.
Gemeinsam betraten wir das Gebäude und auch hier drinnen herrschte eine wohlige Atmosphäre, die zum Bleiben einlud. Ein äußerst leckerer, herzhafter Geruch lag in der Luft, der einem regelrecht das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Kein Wunder, dass Joshua so begeistert klang.
Ich ließ meinen Blick umherwandern. Das Innenleben war im Western-Stil gehalten. Es war sehr viel mit Holz gearbeitet worden. Country-Musik dudelte beständig aus zahlreichen Lautsprechern. Manche der bereits hier anwesenden Gäste bewegten ihre Köpfe im Takt, wiederum andere waren aufgestanden und tanzten ausgelassen neben ihren Tischen. Mir gefiel die Musik. Sie war so voller Lebensfreude, dass sie mir ein Lächeln auf die Lippen zauberte.
„Hey, Jo. Wie wäre es nachher mit einem Tanz?“, fragte Joshua und stieß ihr leicht gegen die Rippen.
Ich konnte beobachten, wie sich Naoki ziemlich versteifte.
„Träum weiter“, erwiderte sie und rieb sich die Stelle, die der jüngere der Evans-Brüder berührt hatte.
„Ich meinte ja auch nicht mit mir. Du könntest mit Naoki tanzen. Macht ihm bestimmt Spaß, auch wenn er sonst immer einen Stock im Hintern hat.“
Naoki stieß einen leisen Fluch aus, während die Brünette sich verlegen räusperte.
„Du spinnst doch“, murmelte sie und spielte geschäftig mit einer ihrer Haarsträhnen herum.