Dr. Jekyll und Mr. Hyde - Dirk Walbrecker - E-Book

Dr. Jekyll und Mr. Hyde E-Book

Dirk Walbrecker

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Beschreibung

Welches Geheimnis rankt sich um den unheimlichen Mr. Hyde, bei dessen Anblick dem Anwalt Utterson das Grauen kommt? Wieso benimmt sich Dr. Jekyll, der sympathische Klient von Utterson, in letzter Zeit so merkwürdig? Gibt es so etwas wie ein Doppelleben, ein Leben in zwei Körpern oder eine Spaltung der Persönlichkeit in ein Gut und ein Böse? Robert Louis Stevenson schrieb diesen Psychothriller 1886 – er ist in zahlreichen Ländern ein Klassiker für Jung und Alt!

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Seitenzahl: 129

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Titelei

Dirk Walbrecker

Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Reihe: Walbreckers Klassiker

Kuebler Verlag

Das Buch

Welches Geheimnis rankt sich um den unheimlichen Mr. Hyde, bei dessen Anblick dem Anwalt Utterson das Grauen kommt? Wieso benimmt sich Dr. Jekyll, der sympathische Klient von Utterson, in letzter Zeit so merkwürdig? Gibt es so etwas wie ein Doppelleben, ein Leben in zwei Körpern oder eine Spaltung der Persönlichkeit in ein Gut und ein Böse?

Robert Louis Stevenson schrieb diesen Psychothriller 1886 – er ist in zahlreichen Ländern ein „Klassiker“ für Jung und Alt!

Der Autor

Dirk Walbrecker, geboren in Wuppertal, seit 1965 in München und jetzt in Landsberg am Lech lebend, Vater von 3 leiblichen Töchtern und inzwischen auch von zahlreichen literarischen Kindern.

Nach diversen Studien (u.a. Germanistik und Pädagogik) viele Jahre beim Film und einige Jahre in der Schule gearbeitet.

Seit 1986 freiberuflicher Autor: Drehbücher, Hörspiele, Hörbücher sowie Bilderbücher, Kinder- und Jugendromane. Zahlreiche Auszeichnungen und in 15 Sprachen übersetzt.

In den letzten Jahren häufig auf Lesereisen, um jungen Menschen live und lebendig Freude an Literatur und allem Musischen zu vermitteln.

Zudem Schreibwerkstätten verschiedenster Art und Thematik für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.

Nähere Informationen, Unterrichts-Materialien etc. unter: www.dirkwalbrecker.de

Walbreckers Klassiker für die Familie

Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Neu erzählt von Dirk Walbrecker

Walbreckers „Klassiker für die ganze Familie“ im Internet:

www.klassiker-fuer-die-familie.de

Impressum

Neu vom Autor durchgesehene Ausgabe

© 2016 Kuebler Verlag GmbH, Lampertheim

Alle Rechte vorbehalten

Bildmaterial: © Andrey Kiselev – fotolia

Korrektorat: Dr. Rainer Noske

ISBN Printausgabe 978-3-86346-026-6

ISBN Digitalbuch 978-3-86346-283-3

Die Geschichte vor der Tür

Der Rechtsanwalt Mr. Utterson war ein Mann mit einem strengen Gesicht, ein Mann, der niemals lächelte. In Gesprächen gab er sich kühl, wortkarg und zuweilen sogar verlegen. Gefühlsausbrüche waren ihm gänzlich fremd. Er war von hagerer, großwüchsiger Statur und obgleich er etwas Vertrocknetes und Verstaubtes an sich hatte, wirkte er irgendwie liebenswert. Vor allem wenn er sich in freundlicher Gesellschaft befand und ein guter Tropfen Wein serviert wurde, leuchtete etwas ungemein Menschenfreundliches in seinen Augen. Dies drückte sich zwar nie in Worten aus, dafür aber umso mehr in seiner Lebensführung.

Gegen sich selbst war der Anwalt hart. Um seine Vorliebe für Wein zu bekämpfen, trank er häufig Gin. Und trotz seiner Begeisterung für das Theater hatte er ein solches seit zwanzig Jahren nicht mehr betreten.

Stattdessen verhielt er sich anderen Menschen gegenüber umso nachsichtiger. Ja, er bewunderte oder beneidete sogar Menschen mit ausgefallener Veranlagung. Und statt sie verurteilt zu sehen, war er lieber bereit, ihnen Beistand zu leisten.

„Ich habe einen Hang zu Kains Ketzerei“, pflegte er zu sagen. „Jeder hat das Recht, seinen ureigenen Weg in die Hölle zu gehen.“

So verwundert es nicht, dass Utterson häufig die letzte ehrenhafte Bekanntschaft und der allerletzte Halt von Menschen war, die am Rande des Abgrunds standen. Wenn sie Rat in seiner Kanzlei suchten, stand er ihnen bei – manchmal bis zum bitteren Ende.

All dies fiel Utterson keineswegs schwer. Er war eben ein zutiefst gutmütiger Mensch. Mit größter Selbstverständlichkeit nahm er die Menschen so, wie sie waren. Das galt auch für seine Verwandten und seine Freunde: Mit allen Freunden hatte er lang währende Beziehungen und bei niemandem fragte er, ob es zu seinem Vorteil oder Nachteil sein würde.

Zu diesem engen Kreise zählte auch ein gewisser Mr. Richard Enfield. Er war ein entfernter Verwandter und ein stadtbekannter Lebemann und für viele war es ein Rätsel, was diese beiden Männer miteinander verband. Jeder, der sie bei ihrem Sonntagsspaziergang traf, konnte das Gleiche erzählen: Die zwei wechselten kein Wort miteinander, sie schauten bloß gleichgültig in die Gegend. Höchstens das Auftauchen eines Dritten schien die Beschäftigung etwas aufzuhellen. Dennoch liebten die beiden diese Spaziergänge offensichtlich über alles. Selbst dringende andere Verpflichtungen konnten sie nicht davon abhalten – für sie waren es zweifelsohne die Höhepunkte der ganzen Woche.

Einer jener Ausflüge nun führte die zwei Herren in die schmale Seitenstraße eines Londoner Geschäftsviertels. Hier herrschte unter der Woche reger Betrieb. Die Schaufenster waren voll reichhaltiger Angebote. Den Anwohnern ging es gut und selbst am Sonntag, wenn auf den Straßen wenig los war, konnte man den Wohlstand wahrnehmen. Im Gegensatz zu anderen Vierteln waren hier die Fensterläden frisch gestrichen. Das Messing war auf Hochglanz poliert. Rundum war alles sauber und gepflegt – wohltuend fürs Auge und die Seele. Mit einer Ausnahme allerdings: Wenn man die Straße in östlicher Richtung ging, wurde auf der linken Seite, zwei Türen vor der nächsten Ecke, die friedvolle Häuserfront von einem Hofeingang unterbrochen.

Und genau hier schob ein düsteres Gebäude seinen Giebel in die Straße. Es war zwei Stockwerke hoch, hatte nur eine Tür im Erdgeschoss, aber kein einziges Fenster. Die Fassade war seit Ewigkeiten nicht mehr gestrichen worden und alles in allem machte das Gebäude einen mehr als verwahrlosten Eindruck. Die Tür hatte weder Glocke noch Klopfer und war voller Risse und Flecken. Schuljungen hatten mit ihren Messern die Holzverschalungen eingeritzt. Und in der dunklen Nische lungerten oft Landstreicher oder spielende Kinder herum. Niemanden schien das alles zu stören – das Gebäude wirkte wie seit Ewigkeiten nicht mehr genutzt.

Mr. Enfield und der Rechtsanwalt flanierten also an einem Sonntag auf der gegenüberliegenden Straßenseite und als sie etwa in Höhe dieses Hauses waren, erhob ersterer seinen Spazierstock und wies auf den Eingang: „Ist dir jemals diese Tür dort drüben aufgefallen?“

„Ja … wieso?“, erwiderte Mr. Utterson.

„Sie ist für mich mit einer sehr seltsamen Geschichte verbunden“, sagte Mr. Enfield.

„Tatsächlich?“, murmelte der Rechtsanwalt und seine Stimme bekam plötzlich einen besonderen Klang. „Und was für eine Geschichte ist das?“

„Nun, das war so“, antwortete Mr. Enfield. „Es war in einer trüben Winternacht ungefähr um drei Uhr, als ich gerade von einem Ort irgendwo am anderen Ende der Welt heimkam. Mein Weg führte mich durch einen Teil der Stadt, wo es buchstäblich nichts anderes als Laternen zu sehen gab. Alle Leute schliefen und sämtliche Straßen waren leer und trotzdem beleuchtet wie für eine Prozession … Straße für Straße.

Unweigerlich kommt man da in einen Zustand, wo man bange der Stille lauscht und sich wenigstens nach irgendeinem Polizisten sehnt. Aber stattdessen tauchten urplötzlich zwei andere Gestalten auf: Die eine ein kleinwüchsiger Mann, der eilig in östlicher Richtung stapfte. Die andere ein etwa neunjähriges Mädchen, das, so schnell es konnte, eine Querstraße herunterlief. Und was passiert, mein Lieber? Die zwei stoßen prompt genau an der Ecke aufeinander und das Mädchen stürzt zu Boden! Schlimmer noch: Der Mann trampelt ungerührt über das Kind hinweg und lässt es schreiend am Boden liegen. Das klingt vielleicht nicht so dramatisch, aber es war schrecklich anzusehen. Dieser Mensch war kein gewöhnlicher Mensch, dies war ein unheimlicher Moloch! Ich rief ihm nach, rannte hinter ihm her und erwischte den Kerl am Kragen. Dann schleppte ich ihn dorthin zurück, wo sich inzwischen etliche Leute um das weinende Kind versammelt hatten. Dabei war er total gelassen, leistete keinerlei Widerstand, warf mir aber einen Blick zu, der so schauerlich war, dass mir der kalte Schweiß ausbrach.

Die herbeigeeilten Leute waren wohl Angehörige des Mädchens. Sie hatten auch nach einem Arzt gerufen der kurz darauf erschien: Dem Mädchen war außer dem Schreck nichts Schlimmes widerfahren und man hätte es vielleicht dabei bewenden lassen können. Aber da gab es noch einen merkwürdigen Umstand: Nicht nur ich war vom ersten Moment an von tiefstem Abscheu gegen diesen Gentleman befallen. Nicht nur die Familie hatte aus verständlichen Gründen genauso reagiert. Nein, auch der Arzt zeigte eine ähnliche Reaktion. Eigentlich war er nur einer der üblichen verstaubten Pillendreher, von unbestimmbarem Alter und Aussehen, mit starkem Edinburgher Akzent und ungefähr so gefühlsbetont wie ein Dudelsack. Aber trotzdem, mein Herr, ging es ihm wie uns anderen: Sobald dieser Knochensäger meinen Gefangenen ansah, erblasste er vor Abscheu und schien nur noch von dem Verlangen befallen, den Kerl auf der Stelle zu töten. Da eine solche Lösung aber nicht in Frage kam, taten wir das Nächstbeste. Wir machten dem Mann klar, wir könnten und werden für einen solchen Skandal sorgen, dass sein Name in ganz London zum Himmel stinken würde. Ob Ansehen oder Freunde – wir würden dafür sorgen, dass er beides verlöre. Und indem wir ihm solcherlei vor Augen hielten, konnten wir gleichzeitig nur mit Mühe die Frauen von ihm fern halten, denn sie waren wild und zornig wie Furien. Nie zuvor hatte ich einen Kreis von so vielen hasserfüllten Gesichtern gesehen – und mittendrin der Mann mit seiner düsteren, höhnischen Gleichgültigkeit. Zwar war er auch verängstigt – das konnte ich deutlich erkennen –, dennoch wirkte er wie der hartherzige Satan persönlich.

„Falls Sie Kapital aus diesem Vorfall schlagen wollen“, sagte er, „bin ich natürlich wehrlos. An einem Skandal bin ich, wie jeder Gentleman, nicht interessiert. Nennen Sie also Ihre Forderung!“

Also verlangten wir hundert Pfund für die Familie des Kindes, was zunächst auf harsche Ablehnung stieß. Da unser Auftreten jedoch nichts Gutes verhieß, gab der Kerl schließlich klein bei.

Als Nächstes galt es dann, das Geld herzuschaffen. Und was meinst du, wohin er uns brachte?

Dort drüben zu dieser besagten Tür! Er zog einen Schlüssel hervor, war für kurze Zeit da drinnen verschwunden und kam dann mit zehn Pfund in Gold zurück. Über den Rest präsentierte er einen Scheck der Coutts-Bank, auszahlbar an den Überbringer und gezeichnet mit einem Namen, den ich nicht zu nennen vermag, obwohl er ein Kernpunkt meiner Geschichte ist. Ein Name im Übrigen, der höchst bekannt ist und oft gedruckt erscheint. Der Betrag auf dem Scheck war schon hoch – die Unterschrift hätte sogar für einen weit höheren Betrag gebürgt … wenn sie nur echt war. Ich nahm mir deshalb auch die Freiheit, auf die seltsamen Umstände hinzuweisen: Da verschwindet um vier Uhr nachts jemand hinter einer solchen Tür, um kurz darauf mit einem Scheck über nahezu hundert Pfund zu erscheinen, der von jemandem ganz anderen unterzeichnet ist.

Aber mein Gegenüber grinste nur herabsetzend und sagte: „Bewahren Sie Ruhe! Ich werde mit Ihnen warten, bis die Bank öffnet, und werde den Scheck persönlich einlösen.“

So machten wir uns also auf den Weg – der Vater des Mädchens, der Arzt, unser seltsamer Freund und ich – und verbrachten den Rest der Nacht in meiner Wohnung. Nach einem Frühstück zogen wir gemeinsam zur Bank und ich übernahm es, den Scheck einzureichen. Ich meldete meine Zweifel ob der Echtheit an, doch nichts dergleichen: Der Scheck war absolut in Ordnung!“

„Höchst seltsam“, bemerkte Mr. Utterson.

„Dir geht's wie mir“, sagte Mr. Enfield. „An der Geschichte ist etwas faul. Denn dieser Molch war jemand, mit dem niemand was zu tun haben möchte, eine wahrhaft abscheuliche Kreatur. Der Aussteller des Schecks hingegen ein Mann von höchster Ehre, berühmt – was die Sache noch verschlimmert – und ein Wohltäter! Es kann sich vermutlich nur um Erpressung handeln. Wahrscheinlich ein Ehrenmann, der für irgendwelche Jugendsünden zahlen muss. Folglich nenne ich das Gebäude da drüben auch nur Erpresser-Haus – was allerdings noch nicht viel Licht in die Situation bringt“, fügte er nachdenklich hinzu.

„Und du weißt nicht, ob der Unterzeichner des Schecks dort wohnt?“, fragte ihn Mr. Utterson.

„Ein hübsches Plätzchen, nicht wahr?“, entgegnete Mr. Enfield ironisch. „Zufällig habe ich mir seine Adresse gemerkt. Er lebt an irgendeinem Square.“

„Und nach diesem Gelände da hast du dich nie erkundigt?“, fragte Mr. Utterson.

„Nein, mein Lieber, das wäre unanständig. Zu viele Fragen – das ist nicht meine Art. Eine ergibt die nächste. Es ist, als säße man auf einem Hügel und brächte einen Stein ins Rollen. Im Nu kollern viele und ohne dass man es gewollt hat, wird irgendjemand in seinem Garten getroffen und das wiederum hat unabsehbare Folgen. Nein, mein Lieber, ich halte mich an die Lebensregel: Je dubioser der Fall ist, desto weniger Fragen stelle ich.“

„Ein vortrefflicher Vorsatz“, pflichtete der Rechtsanwalt ihm bei.

„Trotzdem habe ich mir den Ort genau angesehen“, fuhr Mr. Enfield nach einer kurzen Pause fort. „Das Ganze wirkt kaum wie ein richtiges Haus. Es gibt nur diese eine Tür. Nach hinten in den Hof gibt es nur im ersten Stock drei Fenster, sonst nichts. Niemand außer dieser Sonderausgabe von Gentleman hat jemals während meiner Recherche das Haus betreten oder verlassen. Allerdings raucht der Kamin oft und die Fenster sind geputzt – das heißt: Es scheint jemand dort zu wohnen. Trotzdem bin ich mir nicht sicher, weil die Gebäude im Hof so zusammengedrängt stehen, dass man nicht weiß, wo das eine aufhört und das nächste beginnt.“

Die beiden Männer gingen eine Weile schweigend weiter, bis Mr. Utterson sagte: „Enfield, ich finde deine Lebensregel wirklich prima.“

„Ich auch“, nickte Mr. Enfield.

„Dennoch möchte ich dir eine Frage stellen: Wie lautet der Name des Mannes, der dieses Mädchen umgerannt hat?“

„Nun, ich wüsste nicht, wem es schaden sollte“, erwiderte Mr. Enfield. „Sein Name lautet Hyde.“

„Hm“, äußerte sich Mr. Utterson, „und wie sah dieser Hyde aus?“

„Nicht einfach zu beschreiben. Irgendwas mit seinem Äußeren ist nicht in Ordnung. Es hat etwas Unangenehmes, etwas richtiggehend Abstoßendes. Noch nie war mir ein Mensch begegnet, der mir derartig missfiel – ich kann gar nicht mal genau sagen, weshalb. Irgendwie wirkt er missgebildet, ohne dass ich das genauer belegen könnte. Er sieht außergewöhnlich aus, dennoch kann ich ihn nicht exakt beschreiben – es fehlen mir einfach die Worte für dieses Phänomen … oder wie soll ich ihn bezeichnen? An meinem Gedächtnis liegt's garantiert nicht, denn ich habe ihn ja genau vor Augen.“

Mr. Utterson ging ein paar Schritte weiter und war offensichtlich in tiefes Nachdenken versunken. „Du bist sicher, dass er einen Schlüssel benutzte?“, fragte er schließlich.

„Aber, mein lieber Freund …“, begann Enfield.

„Ja, ich weiß schon“, unterbrach ihn Utterson. „Es klingt verwunderlich, aber du solltest es wissen: Ich frage dich nicht mehr nach dem Namen des anderen, weil ich ihn schon weiß. Du siehst, Richard, deine Geschichte betrifft gewissermaßen auch mich. Denke bitte gut nach, ob du nicht zufällig etwas übersehen hast. Falls ja, so bitte ich dich, das zu korrigieren.“

„Das hättest du mir auch vorher sagen können“, erwiderte Enfield ein wenig verstimmt. „Aber ich habe pedantisch genau beschrieben, wie es war: Der Kerl hatte einen Schlüssel und er hat ihn noch. Ich habe vor knapp einer Woche gesehen, wie er ihn benutzt hat.“

Mr. Utterson seufzte tief, sprach aber kein Wort. Dafür nahm Enfield das Gespräch alsbald wieder auf und sagte: „Dies sollte mir erneut eine Lehre sein, meine Zunge im Zaum zu halten. Ich schäme mich. Mir wäre es recht, wenn wir ausmachen, nie wieder auf dieses Thema zurückzukommen!“

„Von Herzen gern“, sagte der Rechtsanwalt. „Mein Handschlag darauf, Richard.“

Suche nach Mr. Hyde

An jenem Abend kam Mr. Utterson in bedrückter Stimmung in seine Junggesellenwohnung zurück und setzte sich ohne Appetit vor sein Abendessen. Es war seine sonntägliche Gewohnheit, sich nach der Mahlzeit mit irgendeinem trockenen theologischen Werk vor dem Kamin niederzulassen und zu lesen, bis die Kirchenglocke nebenan Mitternacht schlug. Danach konnte er ruhig und abgeklärt ins Bett gehen. Dieses Mal aber räumte er das Essgeschirr beiseite, ergriff den Kerzenständer und begab sich in den Arbeitsraum. Hier öffnete er seinen Safe und zog aus dem hintersten Winkel ein Dokument hervor, dessen Umschlag mit „Dr. Jekylls letzter Wille“ beschriftet war. Dann setzte er sich mit düsterer Miene nieder, um den Inhalt zu studieren.