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Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Es war noch dunkel draußen, als die nahe Kirchturmuhr fünf Mal schlug. Unablässig fiel ein feiner, wispernder Regen, und als Annemarie Wendel, von allen nur Wendy genannt, im Morgengrauen erwachte, hatte sie das Gefühl, dass winzige Finger unablässig gegen die Fensterscheibe klopften. Unruhig warf sie sich im Bett von einer Seite auf die andere. Obwohl es noch viel zu früh am Morgen war, konnte sie keinen Schlaf mehr finden. »Das hält ja kein Mensch aus!«, schimpfte sie, als sie schließlich beschloss aufzustehen. »Da kann ich genauso gut zur Arbeit gehen und mich schon mal an die Abrechnung machen.« Auf bloßen Füßen tappte Wendy durch ihr Schlafzimmer ins Bad und war bereits eine halbe Stunde später zum Aufbruch bereit. »Geldbeutel, Schlüssel, Mobiltelefon«, prüfte sie den Inhalt ihrer Handtasche, ehe sie die Wohnungstür ins Schloss zog und sich auf den Weg in die Praxis machte. Es regnete noch immer, und das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich auf den nassen Gehwegen und Straßen. »Von wegen Sommer!«, schimpfte sie unwillig und umklammerte den Regenschirm, damit der Wind ihn nicht fortwehen konnte. Zum Glück war der Weg in die Praxis nicht weit, sodass Wendy halbwegs trocken dort ankam. Kaum hatte sie die Räume betreten, als auch schon ein zufriedenes Lächeln um ihre Lippen spielte. Das hier war ihr zweites Zuhause und als der aromatische Kaffeeduft durch den Flur zog, entfuhr ihr ein zufriedenes Seufzen. Doch die beschauliche Ruhe sollte ein jähes Ende finden. Wendy saß am Schreibtisch, in die Abrechnung vertieft, als ein wütender Windstoß durch die Bäume und Sträucher draußen fuhr. Die nassen Äste klatschten gegen die Scheiben, und Dr. Nordens langjährige Assistentin sprang auf, um sich zu vergewissern, dass draußen alles in Ordnung war.
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Seitenzahl: 113
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Es war noch dunkel draußen, als die nahe Kirchturmuhr fünf Mal schlug. Unablässig fiel ein feiner, wispernder Regen, und als Annemarie Wendel, von allen nur Wendy genannt, im Morgengrauen erwachte, hatte sie das Gefühl, dass winzige Finger unablässig gegen die Fensterscheibe klopften. Unruhig warf sie sich im Bett von einer Seite auf die andere. Obwohl es noch viel zu früh am Morgen war, konnte sie keinen Schlaf mehr finden.
»Das hält ja kein Mensch aus!«, schimpfte sie, als sie schließlich beschloss aufzustehen. »Da kann ich genauso gut zur Arbeit gehen und mich schon mal an die Abrechnung machen.« Auf bloßen Füßen tappte Wendy durch ihr Schlafzimmer ins Bad und war bereits eine halbe Stunde später zum Aufbruch bereit. »Geldbeutel, Schlüssel, Mobiltelefon«, prüfte sie den Inhalt ihrer Handtasche, ehe sie die Wohnungstür ins Schloss zog und sich auf den Weg in die Praxis machte.
Es regnete noch immer, und das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich auf den nassen Gehwegen und Straßen.
»Von wegen Sommer!«, schimpfte sie unwillig und umklammerte den Regenschirm, damit der Wind ihn nicht fortwehen konnte. Zum Glück war der Weg in die Praxis nicht weit, sodass Wendy halbwegs trocken dort ankam.
Kaum hatte sie die Räume betreten, als auch schon ein zufriedenes Lächeln um ihre Lippen spielte. Das hier war ihr zweites Zuhause und als der aromatische Kaffeeduft durch den Flur zog, entfuhr ihr ein zufriedenes Seufzen.
Doch die beschauliche Ruhe sollte ein jähes Ende finden. Wendy saß am Schreibtisch, in die Abrechnung vertieft, als ein wütender Windstoß durch die Bäume und Sträucher draußen fuhr. Die nassen Äste klatschten gegen die Scheiben, und Dr. Nordens langjährige Assistentin sprang auf, um sich zu vergewissern, dass draußen alles in Ordnung war. Inzwischen graute ein blasser Morgen, und Wendy sah durch die Scheiben nach draußen. Von hier aus konnte sie direkt auf den Eingangsbereich der Praxis sehen. Sie konnte keinen Schaden feststellen. Dafür entdeckte sie etwas anderes.
»Nanu, was ist denn das?« Angestrengt starrte Wendy hinaus auf das Bündel, das vor dem überdachten Eingang auf dem Boden lag und das vorhin noch nicht dagewesen war. »Sieht aus wie ein Tragekorb«, murmelte sie und machte sich auf den Weg zur Tür.
Gleich darauf bestätigten sich ihre schlimmsten Befürchtungen.
Ungläubig blickte Dr. Nordens Assistentin hinunter auf den Babykorb vor ihren Füßen. Eingewickelt in eine dicke Decke lag darin ein Baby. Auf den ersten Blick war zu sehen, dass es erst wenige Stunden alt war.
»Das gibt’s doch nicht!«, schnaufte Wendy erschrocken und sah sich suchend um. Doch der Gehweg vor der Praxis war menschenleer. Und auch sonst gab es kein Anzeichen, woher das Kind so plötzlich stammen mochte. »Na komm schon, du kleiner Wurm. Lass uns erst mal reingehen. Da hast du dir ja einen wirklich unfreundlichen Tag ausgesucht.« Aus den Augenwinkeln sah sie, wie der Wagen ihrer Kollegin vorfuhr. Trotzdem wartete Wendy nicht länger, sondern brachte ihren kleinen Schützling in die wohltuende Wärme der Praxis. »Was machen wir denn jetzt mit dir, du kleiner Wurm?«, fragte sie, nachdem sie das Kind aus dem Korb genommen hatte.
Sie hielt das Kleine hoch und war so vertieft in seinen Anblick, dass sie nicht bemerkte, wie ihre Freundin und Kollegin Janine eintrat. Sie war triefend nass. Doch ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem ungewöhnlichen Bild, das sich ihr bot. »Wie heißt du Spatz denn?«, fuhr Wendy unterdessen mit ihrer Befragung fort.
»Sei mir nicht böse, wenn ich dir das so schonungslos sage. Aber Kinder in dem Alter können noch nicht sprechen«, erinnerte Janine ihre Kollegin belustigt.
Wendy schickte ihr nur einen kurzen Schulterblick, ehe sie das Kind in ihren rechten Arm bettete. Dann trat sie auf Janine zu und zeigte ihr das Bündel Mensch.
»Schau mal, was ich vorhin vor der Tür gefunden habe. Ich dachte, für solche Fälle gibt es Babyklappen an Krankenhäusern.«
»Jemand hat das Kind vor der Praxis abgelegt?« Damit hatte Janine nicht gerechnet und auch sie schnappte ungläubig nach Luft. Vor Mitgefühl zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Sie beugte sich über den Säugling und betrachtete ihn eingehend. »Wie kann eine Mutter so grausam sein und ihr Kind so kurz nach der Geburt aussetzen?«
Obwohl Wendy keine Antwort auf diese Frage hatte, sah sie die Dinge differenzierter.
»Solange wir keine Ahnung haben, was passiert ist, steht uns kein Urteil zu«, erklärte sie fast streng und drückte der verdutzten Janine kurzentschlossen das Baby in den Arm.
»Was hast du vor? Du lässt mich doch hoffentlich nicht mit einem Säugling allein? Mit Kindern kenne ich mich nicht aus.« Fast panisch sah Janine ihrer Freundin dabei zu, wie sie hinter dem Tresen verschwand.
»Keine Sorge. Ich rufe einen unserer Ärzte an. Sie müssen sofort kommen und das Baby untersuchen«, gab Wendy postwendend Entwarnung.
Erleichtert atmete Janine auf und konnte sich sogar ein bisschen entspannen.
»Dann ruf bei Danny an. Dr. Norden senior ist mit Sicherheit schon auf dem Weg in die Klinik«, empfahl sie Wendy. »Er wollte gleich in der Früh Frau Wegener besuchen.«
»Gut, dann Danny«, willigte Wendy ein und wählte die Nummer, die sie im Schlaf hätte aufsagen können.
*
Aromatischer Kaffeeduft entströmte der Tasse, die auf einem Tablett auf Danny Nordens Seite des Doppelbettes stand. Normalerweise genügte dieser Duft, um die junge Frau daneben selbst aus todesähnlichem Schlaf zu wecken. Doch diesmal ging diese Strategie nicht auf. Tatjana bewegte sich nicht.
Verliebt lächelnd beugte sich Danny über seine Freundin und küsste sie auf die vollen Lippen.
»Aufwachen, du Schlafmütze. Es ist gleich sieben Uhr.«
Doch auch auf diese liebevolle Begrüßung reagierte Tatjana nicht. Erst nach ein paar weiteren Küssen bewegte sie sich. Mit geschlossenen Augen schob sie ihren Freund entschieden von sich.
»Ich zeig dich an wegen Ruhestörung! Es ist noch mitten in der Nacht«, murrte sie unwillig und drehte sich auf die andere Seite. Dabei schaukelte das Tablett gefährlich auf der Matratze. »Wie konnte ich mich nur in so einen herzlosen Menschen verlieben? Ich muss verrückt gewesen sein.«
Nur Dannys beherzter Griff rettete den Kaffee vor dem Überschwappen.
»Geliebte Verrückte, ob du es hören willst oder nicht: Wenn du bei diesem Wetter keine Lust hast, zu Fuß zur Arbeit zu gehen, musst du wohl oder übel jetzt aufstehen.« Er nahm die Tasse vom Tablett und ging ums Bett herum, um sie Tatjana direkt unter die Nase zu halten.
»Ich hasse diesen unangenehmen Moment zwischen Aufstehen und Feierabend!«, stöhnte sie, schaffte es aber immerhin, eine Hand unter der Bettdecke hervorzuschieben und nach dem Kaffee zu greifen.
Danny lachte und stützte ihren Kopf, während sie mit geschlossen Augen trank und dann erschöpft wieder zurück in die weichen Kissen fiel.
»Wann bist du denn heute Nacht überhaupt ins Bett gekommen?« Die kunstvoll verzierten Donuts, die er in der Küche entdeckt hatte, ließen darauf schließen, dass es spät geworden war. »Ich würde wirklich gern mal wieder neben dir einschlafen.«
»Gegen vier Uhr, glaub ich«, ließ die Antwort nicht lange auf sich warten. »Vielleicht war’s auch halb fünf.«
Tatjana machte schon immer gern die Nacht zum Tag. Aber momentan kam selbst sie für ihre Verhältnisse spät ins Bett oder floh schon früh wieder aus den Federn, wenn ihr mitten in der Nacht ein Backrezept eingefallen war, das sie unbedingt ausprobieren musste.
Nach ihrem erfolgreich abgeschlossenen Studium der Orientalistik hatte sie ihr Hobby zum Beruf gemacht und absolvierte eine Ausbildung zur Konditorin, um später einmal Frau Bärwalds kleine Bäckerei mitsamt dem angeschlossenen Café zu übernehmen.
»In New York gibt es doch diesen französischen Bäcker, der ein Mittelding zwischen Croissant und Donut erfunden hat«, klärte sie ihren Freund auf und wirkte auf einmal erstaunlich munter. »Er backt jeden Tag nur eine bestimmte Stückzahl davon und füllt sie täglich mit immer neuen Schokoladenkreationen. Er mischt Bananen und Zitrusfrüchte mit Schokolade oder verarbeitet Mandeln, Gewürze, Kirschen, Sahne und Kakao aus Venezuela zu einer raffinierten Füllung. Ich habe gelesen, dass sich sogar Prominente schon morgens um sechs bei ihm anstellen, um ein oder zwei Stück seiner leckeren Cronuts zu ergattern«, geriet Tatjana unvermittelt ins Schwärmen.
Endlich war sie wach genug, um die schlanken, langen Beine über die Bettkante zu schwingen und noch einen Schluck Kaffee zu trinken.
»Wie willst du deine Köstlichkeiten morgens um sechs verkaufen, wenn du bis halb acht in den Federn liegst?«, erwiderte Danny verschlagen grinsend.
»Du Ungeheuer«, schimpfte Tatjana und knuffte ihn in die Seite. »Das hast du jetzt davon. Als Strafe musst du auch in Zukunft allein einschlafen.«
»Bitte nicht!«, entfuhr es Danny und sein Schrecken war echt. »Das kannst du mir nicht antun.«
»Und warum nicht?«, erkundigte sich Tatjana keck.
Augenblicklich setzte der junge Arzt eine Leidensmiene auf.
»Weil ich schon jetzt deutliche Anzeichen von akutem Kuschelentzug habe. Und du weißt ja, welche gravierenden Folgen das haben kann. Ich werde über einen langen Zeitraum hinweg eine hohe Dosis an Streicheleinheiten brauchen.« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, nahm er Tatjana die Tasse aus der Hand und wollte sie in die Arme schließen, als das Telefon klingelte.
Tatjana lachte und drückte ihm einen schnellen Kuss auf den Mund.
»Tja, mein armer, schwarzer Kater. Offenbar musst du deine Ansprüche überprüfen und gegebenenfalls herunterschrauben«, scherzte sie.
Inzwischen war sie hellwach und gut gelaunt.
Brummend machte sich Danny auf die Suche nach dem Apparat und nahm das Gespräch an. Das Telefonat dauerte nur kurz.
»Ich muss sofort in die Praxis«, erklärte der junge Arzt, als er ins Schlafzimmer zurückkehrte und die Schranktüren öffnete. Vergessen war das muntere Geplänkel mit seiner Freundin.
»Wendy hat ein Findelkind in der Praxis.« Nachdenklich studierte er den Inhalt seines Schrankes und entschied sich schließlich für ein eisblaues T-Shirt, mit dem er auch im Kittel eine gute Figur machen würde. »Wenn es niemand haben will, dann nehme ich es mit nach Hause.«
Entgeistert riss Tatjana die Augen auf.
»Und was hast du dann damit vor?«
»Dann ziehen wir es gemeinsam groß, wie Mum und Dad es mit Mario vorhatten«, klärte Danny seine Freundin über seinen spontanen Einfall auf.
Die vermeintliche Schwangerschaft seiner Schwester Anneka hatte offenbar auch ihn auf den Geschmack gebracht.
Im ersten Moment wollte Tatjana heftig widersprechen. Doch sie war eine kluge Frau und wusste, welche Reaktion für diesen Moment die beste war, um einer Diskussion oder gar einem Streit aus dem Weg zu gehen.
»Wahrscheinlich haben deine Eltern schon damals geahnt, was aus Mario werden wird und haben ihn deshalb großmütig deinem Großvater und Anne überlassen«, scherzte sie und lief aus dem Zimmer hinüber ins Bad, ehe Danny eine passende Antwort gefunden hatte.
*
»Na, bist du immer noch traurig, dass das mit der Schwangerschaft nicht geklappt hat?«, fragte Noah Adam seine Freundin Anneka und drehte sich amüsiert nach der Frau um, die sichtlich verzweifelt vor einem schreienden kleinen Jungen stand und mit Engelszungen auf ihn einredete.
»Nein, ich will nicht zu der blöden Tagesmutter!«, kreischte er in höchsten Tönen.
»Nicht so laut, Joel!«, versuchte seine Mutter, ihn zur Vernunft zu bringen. »Hier sind viele kranke Leute, die dringend Ruhe brauchen.«
»Ist mir doch egal!«, schrie der etwa fünfjährige Junge unbeeindruckt weiter. »Ich will zum Papa!«
So schnell wie möglich gingen Anneka und Noah an den beiden vorbei und bogen um die Ecke. Die älteste Tochter des Arztehepaares Norden verzog das Gesicht.
»Nein, so einen Schreihals will ich wirklich nicht haben«, räumte sie bereitwillig ein. »Ich hatte eher an so ein unschuldiges kleines Baby gedacht, das in deinen Armen schläft und selig vor sich hin lächelt.« Sie hatte sich am linken Arm ihres Freundes einhängt, während Noah in der rechten ihre Tasche trug, die sie für den Klinikaufenthalt gebraucht hatte.
Vor einer Woche war Anneka mit lebensbedrohlichen Blutungen in die Klinik eingeliefert worden. Eine Zyste am Eierstock hatte sie zunächst an eine Schwangerschaft denken lassen. Dieser Verdacht hatte sich jedoch nicht bestätigt, und eine Notoperation war nötig gewesen, um das Leben der Arzttochter zu retten. Zum Glück war alles gut gegangen, und ihr Freund, der an der Klinik eine Ausbildung zum Rettungsassistenten machte, hatte sich angeboten, sie nach Hause zu bringen.
Wenn Anneka ehrlich war, war sie ein ganz klein wenig enttäuscht darüber, doch nicht schwanger zu sein.
Doch das Gebrüll des kleinen Satansbratens, das immer noch über den Klinikflur hallte, dämpfte die Enttäuschung nachhaltig.
»So ein kleines Monster würde mich den letzten Nerv kosten«, gestand sie offen.
»Nicht nur dich!«, grinste Noah und hob den Zeigefinger, um sie auf die Stimme der Mutter aufmerksam zu machen. Obwohl das junge Paar inzwischen ein Stück weit entfernt war, hörten sie das Drama noch laut und deutlich.
»Wir haben das doch alles genau besprochen!«, wiederholte die Mutter Corinna Bunzeit in diesem Moment mit erhobener Stimme und spürbar ungeduldig. »Ich muss arbeiten, um Geld für uns zu verdienen, und bin heilfroh, dass ich hier in der Stadt so schnell eine Anstellung und eine Wohnung gefunden hab. Bis ein Kindergartenplatz frei wird, kümmert sich eine Tagesmutter um dich. Es ist alles perfekt. Kein Grund also, dich so aufzuführen.«
»Du hast nie Zeit für mich. Papa schon«, schien der Kleine die Sache jedoch ganz anders zu sehen.
»Aber … aber … das stimmt doch so nicht.« Unversehens geriet Corinna in Erklärungsnotstand. Wie hätte sie einem Fünfjährigen auch beibringen sollen, dass sein Vater ein cholerischer Tyrann war, vor dem inzwischen nichts und niemand mehr sicher war? Die Trennung war schon schlimm genug gewesen für Joel und auch für Corinna, die in beständiger Angst vor ihrem Ehemann lebte. Deshalb konnte und wollte sie Joel die Wahrheit nicht zumuten. »Papa hat noch weniger Zeit, um auf dich aufzupassen.«