Dr. Norden Extra 106 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Extra 106 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

0,0

Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Extra Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. »Du willst also tatsächlich nicht mitkommen, Lorenz?« Enttäuscht betrachtete Nico Berner seinen Sohn, der ihm in der Küche gegenübersaß und verlegen mit einem Stück Papier spielte. Er hatte die stets gleichen Diskussionen um ein und dasselbe Thema satt. »Das hab ich dir doch schon so oft gesagt, Papa. Ich möchte hierbleiben. Schließlich habe ich alle meine Freunde hier. Und einen Studienplatz habe ich auch schon.« »Aber in München wäre es sicher kein Problem, Geschichte zu studieren«, machte Nico einen allerletzten, halbherzigen Versuch, seinen Sohn doch noch zu überzeugen. »Mag sein. Das spielt keine Rolle. Ich bleibe hier und damit Schluss.« Lorenz lächelte. »Es wird Zeit, dass du endlich selbstständig wirst, Papa. Du musst lernen, auf deinen eigenen Beinen zu stehen. Deshalb möchte ich, dass du alleine nach München gehst und keine Rücksicht auf irgendjemanden nimmst. Ich bin erwachsen und gehe meinen Weg. Und jetzt musst du mich leider entschuldigen. Carina wartet auf mich.« Lorenz stand auf, nickte seinem Vater zu und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 125

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0



Dr. Norden Extra – 106 –

Sonne für die Seele

Unveröffentlichter Roman

Patricia Vandenberg

»Du willst also tatsächlich nicht mitkommen, Lorenz?« Enttäuscht betrachtete Nico Berner seinen Sohn, der ihm in der Küche gegenübersaß und verlegen mit einem Stück Papier spielte. Er hatte die stets gleichen Diskussionen um ein und dasselbe Thema satt.

»Das hab ich dir doch schon so oft gesagt, Papa. Ich möchte hierbleiben. Schließlich habe ich alle meine Freunde hier. Und einen Studienplatz habe ich auch schon.«

»Aber in München wäre es sicher kein Problem, Geschichte zu studieren«, machte Nico einen allerletzten, halbherzigen Versuch, seinen Sohn doch noch zu überzeugen.

»Mag sein. Das spielt keine Rolle. Ich bleibe hier und damit Schluss.« Lorenz lächelte. »Es wird Zeit, dass du endlich selbstständig wirst, Papa. Du musst lernen, auf deinen eigenen Beinen zu stehen. Deshalb möchte ich, dass du alleine nach München gehst und keine Rücksicht auf irgendjemanden nimmst. Ich bin erwachsen und gehe meinen Weg. Und jetzt musst du mich leider entschuldigen. Carina wartet auf mich.« Lorenz stand auf, nickte seinem Vater zu und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.

Nico blieb sitzen und seufzte. So weit war es also gekommen, dass er sich solche Worte von seinem Sohn sagen lassen musste. Obwohl er geahnt hatte, wie Lorenz auf sein Vorhaben, seinen Heimatort zu verlassen, um in München ein neues Leben zu beginnen, aufnehmen würde, hatte er doch bis zuletzt gehofft, ihn umstimmen zu können. Denn die Gelegenheit war günstig wie nie. Nico hatte von seinem Chef ein Angebot erhalten, in einer Münchner Filiale anzufangen. Ohne Frau an seiner Seite, ohne sonstige gesellschaftliche Verpflichtungen konnte Nico der Versuchung nicht widerstehen. Wenn nicht jetzt, wann dann, hatte er gedacht und kurz entschlossen zugesagt. Lenz hatte unterdessen die Aktivitäten seines Vaters aus dem Hintergrund mitverfolgt, die Suche nach einer Wohnung, die Kündigung des bestehenden Mietverhältnisses. Beteiligt hatte er sich jedoch nicht daran. Er lebte mit drei Freunden in einer Wohngemeinschaft und fühlte sich dort pudelwohl. Lorenz sah nicht im Geringsten ein, warum er sein Leben aufgeben und seinem Vater in eine ungewisse Zukunft nach München folgen sollte. So blieb sein Entschluss unverändert, so sehr Vater Berner auch argumentierte und auf seinen Sohn einredete. Daran dachte Nico, als er sich nach einer Weile erhob und sich daranmachte, die Umzugskartons weiter zu packen.

*

Schon zum zweiten Mal innerhalb eines Monats packte auch Dr. Charlotte Wenger die Umzugskartons. Diesmal ging es aus dem möblierten Zimmer, in dem sie übergangsweise gelebt hatte, in eine Wohnung, die ihr ein Kollege aus der Behnisch-Klinik vermittelt hatte. Obwohl sie alleine war, stieg ihr eine heiße Röte ins Gesicht, als sie an Christoph Seibold dachte. Christoph! Allein der Name klang wie Musik in ihren Ohren, und sie begann zu summen, während sie Stück um Stück aus dem Kleiderschrank in den Karton packte. Obwohl sie sich erst zwei Monate kannten, war sie bereits sicher, den Mann ihres Lebens gefunden zu haben. Es fühlte sich so ganz anders an als bisher. Ihr Herz und ihre Gedanken waren seit Wochen von ihm gefangen. Schon jetzt konnte sie sich ein Leben ohne Christoph nicht mehr vorstellen. Und das, obwohl sie sich stets als selbstständige, unabhängige Frau betrachtet hatte. Charlotte war ganz in die Gedanken an ihre große Liebe versunken, sodass sie das Hupen auf der Straße überhörte. Erst als es an ihrer Tür klingelte, schreckte sie hoch.

»Christoph, du bist schon da?«

»Natürlich, mein Engel. Ich stehe schon geschlagene fünf Minuten unten und warte auf dich«, kam der beißende Kommentar.

»Entschuldige, du bist doch nicht etwa böse?«, fragte Charlotte ungewohnt schüchtern.

Christoph schnaubte ungeduldig. »Böse? Stocksauer müsste ich sein. Schließlich habe ich nicht den ganzen Tag Zeit, um auf eine Frau zu warten.«

»Aber ich bin doch nicht irgendeine Frau. Du hast gesagt, ich wäre etwas ganz Besonderes für dich.«

»Jaja, natürlich. Das bist du ja auch. Trotzdem habe ich keine Zeit für lange Diskussionen. Komm, lass uns die Kisten runterbringen. Ich muss nachher gleich weiter.«

»Schade! Ich dachte, wir könnten zur Feier des Tages zusammen noch ein Glas Wein trinken«, hörte Charlotte ihre eigene, enttäuschte Stimme und konnte sich nicht genug über sich selbst wundern. Gewöhnlich war ihr Auftreten gegenüber den Herren der Schöpfung selbstbewusst. Schließlich war sie eine gut aussehende, intelligente Frau, die ihre Erfahrungen gesammelt hatte. Sie wusste, wo sie im Leben stand und war sich sicher, wo sie hinwollte. Aber wenn sie Christoph gegenüberstand, war all ihre Selbstsicherheit mit einem Schlag verschwunden. Sie fühlte sich klein wie eine Maus und piepste ebenso kläglich. »Bitte, nur ein Glas Wein. Ich habe mich so darauf gefreut.«

»Liebes, ich verstehe dich manchmal nicht. Dass meine Ex-Freundin kein Verständnis für mich hatte, geht mir ja noch ein. Aber du, du hast denselben Beruf wie ich. Man sollte meinen, du kennst dich aus.«

»Das tue ich doch. Entschuldige bitte, ich wollte dich nicht unter Druck setzen.«

»Schon gut. Jetzt komm.« Dr. Christoph Seibold griff kraftvoll nach einer Umzugskiste. Bewundernd starrte Charlotte auf das Muskelspiel unter seinem weißen T-Shirt, riss sich dann aber pflichtbewusst von diesem Anblick los, um ihrem Geliebten bei seiner Arbeit zu helfen. Niemals im Leben hatte sie sich leichter und unbesorgter gefühlt. Nie waren ihre Tage heller und strahlender gewesen. Erst Christoph schien die Sonne in ihr Leben gezaubert zu haben. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als mit ihm bis ans Ende ihrer Tage glücklich zu sein. So stand sie selig lächelnd neben dem Wagen, und Christoph konnte nur den Kopf schütteln.

»Reichst du mir deinen Karton, Liebchen?«, fragte er nachsichtig in einem Tonfall, der Charlotte bei jedem anderen zur Weißglut gebracht hätte. Aber Christoph war nicht irgendjemand. Er war der Mann schlechthin, dem sie alles vergeben hätte, jede noch so ausfallende Bemerkung, jeden noch so herablassenden Tonfall. Dass er sie liebte, ausgerechnet sie unter all den begehrenswerten, alleinstehenden Frauen gewählt hatte, ließ sie weich und nachsichtig werden. Sie lächelte ihn verzaubert an.

»Aber natürlich, Liebster. Tut mir leid, wenn ich manchmal ein bisschen abwesend bin, aber ich bin schrecklich verliebt.«

»Dabei dachte ich, du bist so eine nüchterne, sachlich denkende Frau.«

»Das bin ich gewöhnlich ja auch. Du kannst dir etwas darauf einbilden, mich so zu verwirren.«

»Wenn du meinst«, antwortete Christoph, nachdem er sämtliche Kisten und Schachteln in seinem Geländewagen verstaut hatte. »Und jetzt lass uns fahren. Wie gesagt, ich habe nachher noch einen Termin.«

»Um was geht es denn?«, erkundigte sich Charlotte, nachdem sie auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte.

»Geschäftlich. Mach dir mal keine Gedanken«, erklärte Christoph beiläufig und steuerte den Geländewagen durch den lebhaften Nachmittagsverkehr.

Das Gespräch versiegte. Im Augenblick gab es nichts mehr zu sagen, und Charlotte lehnte sich zurück, um das lange vermisste Gefühl zu genießen, neben dem Mann zu sitzen, den sie von Herzen liebte. Sie blickte aus dem Fenster und lauschte der Musik, die im CD-Spieler des Wagens lief. Es war nicht gerade ihr Geschmack, was Christoph da so hörte, aber an solchen Kleinigkeiten wollte sie sich nicht stören. Alles andere war dafür perfekt, und sie fühlte eine Leichtigkeit in sich, als würde sie über dem Boden schweben.

*

Als Nico Berner am frühen Abend seinen Wagen vor dem Haus parkte, in dem seine neue Wohnung lag, blieb er noch eine Weile sitzen und betrachtete das Gebäude nachdenklich. So vieles hatte er hinter sich gelassen. Nicht nur sein ganzes bisheriges Leben. Auch seine Freunde, seine ehemalige Lebensgefährtin, die ihn ein Stück auf seinem Lebensweg begleitet hatte, seinen Sohn. In einem schwachen Moment wie diesem fragte sich Nico, ob diese Entscheidung richtig gewesen war. Lorenz war noch jung, gerade mal etwas über zwanzig Jahre alt. War es richtig gewesen, ihm die ganze Verantwortung über sein Leben selbst zu überlassen? Doch Nico hatte nicht lange Zeit, in trübe Gedanken zu versinken. Eine junge Frau, beladen mit Schachteln und Tüten, wankte vor den Eingang des Wohnhauses. Das war die Gelegenheit, sich gleich als neuer Mitbewohner bekannt zu machen. Eine Gelegenheit, die Nico nicht versäumen wollte. Rasch öffnete er die Wagentür und sprang der pummeligen jungen Frau zur Seite.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte er und griff nach einer Schachtel, die eben im Begriff war, herunterzufallen. Aber Molly Rieck schimpfte nicht etwa ungeduldig, wie es viele andere getan hätten. Nein, sie lachte vergnügt, während sie den Hausschlüssel aus ihrer Tasche holte.

»Das ist aber nett von Ihnen. Ich verstehe nicht, warum ich immer denselben Fehler mache. So oft ich mir auch vornehme, nicht zu viel einzukaufen, es gelingt mir einfach nicht. Ich bin einfach ein maßloser Mensch.«

»Maßlosigkeit ist doch hin und wieder ganz schön. Schließlich ist sonst alles im Leben streng geregelt, nicht wahr?«, erklärte Nico im Brustton der Überzeugung.

»Da haben Sie schon recht. Leider bin ich auch sonst nicht sehr diszipliniert, wie man unschwer an meiner Figur erkennen kann.«

»So schlimm ist es nun auch wieder nicht«, widersprach Nico ganz Gentleman, während er Molly half, die Päckchen bis in den ersten Stock an ihre Wohnungstür zu bringen. »Aber ich bin unhöflich. Darf ich mich vorstellen? Ich bin Nico Berner, der neue Mieter. Wenn ich es recht sehe, sind wir von nun an Nachbarn.«

»Das freut mich aber, Molly Rieck«, erwiderte Molly und streckte ihm freundlich die Hand hin, nachdem sie die Schachteln und Tüten vor ihrer Tür abgestellt hatte. Ein kräftiger Händedruck folgte dann.

»Das gefällt mir. Normalerweise haben Frauen immer so einen laschen Händedruck«, lächelte Nico und rieb sich die schmerzenden Finger.

»Hab ich Ihnen wehgetan? Sie müssen wissen, ich bin Holzbildhauerin. Da hat man schon etwas mehr Kraft in den Fingern. Leider vergesse ich das immer mal wieder. Es tut mir wirklich sehr leid.«

»Kein Problem. Wenn ich mal ein Marmeladenglas nicht aufbekomme, weiß ich ja, an wen ich mich wenden muss.«

Molly lachte, räumte ihre Einkäufe in Windeseile beiseite und kam dann zurück auf den Hausflur. Nico war inzwischen damit beschäftigt, seine Habseligkeiten in die neue Wohnung zu bringen.

»Darf ich mich revanchieren und Ihnen ein wenig helfen?«

»So weit kommt es noch, dass ich mir von einer Frau meine Sachen tragen lasse.«

»Dann möchte ich Sie aber gerne auf einen kleinen Umtrunk einladen, wenn Sie fertig sind.«

Nico maß sein Gegenüber mit einem erstaunten Blick. Eine derart unkomplizierte Frau war ihm noch nie zuvor begegnet.

»Sind Sie immer so sorglos im Umgang mit Fremden?«

»Ich glaube nicht, dass ich von einem neuen Nachbarn viel zu befürchten habe«, lächelte Molly, und ihre pfirsichfarbenen Wangen wurden noch runder. »Außerdem habe ich keine Angst. Ich denke, ich kann mich ganz gut zur Wehr setzen.«

»Das sind überzeugende Argumente. Dann sehen wir uns also noch?«

»Bis später. Ich freue mich.« Diese Worte kamen von Herzen, das fühlte Nico deutlich. Die Arbeit ging ihm gleich schneller von der Hand, sein Herz war wieder leicht und beschwingt. Es war doch die richtige Entscheidung gewesen, nach München zu kommen, davon war er inzwischen wieder felsenfest überzeugt. Die Tatsache, gleich zu Beginn eine so vielversprechende Bekanntschaft gemacht zu haben, erleichterte ihn ungemein.

*

Schon zwei Stunden später saß Nico im gemütlichen Wohnzimmer von Molly Rieck und unterhielt sich blendend mit ihr. Sie schienen sich schon eine Ewigkeit zu kennen, so vertraut waren sie miteinander und plauderten ungezwungen über dies und das.

»Dann sind Sie einfach nach München aufgebrochen und haben alles hinter sich gelassen? Ihren Sohn, Ihre Freunde, Ihre Arbeit?«, staunte Molly ehrfürchtig. »Ich glaube, das könnte ich nie. Schon allein wegen meiner Mutter. Wir haben ein sehr inniges Verhältnis. Ich würde sie niemals verlassen. Noch dazu, wo sie jetzt im Krankenhaus liegt.«

»Oje, was hat sie denn?«

»Sie plagt sich schon seit Monaten mit Herzrhythmusstörungen. Unser Hausarzt Dr. Norden hat wirklich alles versucht. Aber selbst mit den modernsten Medikamenten konnte er das Problem nicht in den Griff bekommen. Deshalb hat Mama jetzt einen Herzschrittmacher bekommen. Sie hat den Eingriff gut überstanden und fühlt sich sehr wohl. Ich denke, sie kann die Klinik in wenigen Tagen wieder verlassen.«

»Es tut gut, das zu hören«, erklärte Nico voller Mitgefühl. »Meine Eltern sind leider schon lange verstorben. Und mein Sohn bestand schon früh darauf, auf eigenen Beinen zu stehen. Er hat mich sogar dazu ermutigt, diesen Schritt zu machen und nach München zu gehen. Vielleicht hatte er auch den Eindruck, ich mische mich zu sehr in sein Leben ein. Das ist gut möglich. Schließlich habe ich nur den einen Sohn.«

»Da kann ich nicht mitreden. Kinder werde ich wohl nie haben. Aber ich stehe auf dem Standpunkt, dass man sich nie genug umeinander kümmern kann. Das gibt Sicherheit.«

»Mein Sohn Lorenz sieht das leider ganz anders. Aber warum glauben Sie, dass Sie nie Kinder haben werden? So alt sind Sie doch noch nicht.«

»Alt genug, um zu wissen, dass ich mein Limit überschritten habe. Außerdem finde ich mit meiner Figur niemals einen Mann, der mir gefällt und mit dem ich mich gut verstehe.«

»So schlimm ist es doch wirklich nicht«, widersprach Nico erneut und fühlte sofort, dass das eine Floskel war. Natürlich war Molly nett, unkompliziert und darüber hinaus intelligent. Aber als Frau war sie nicht attraktiv für ihn, das musste er sich insgeheim eingestehen. Molly durchschaute ihn sofort.

»Das sagen Sie. Aber Sie denken dasselbe wie alle anderen auch«, entgegnete sie scheinbar unbeschwert und lachte.

Nico, der sich durchschaut fühlte, senkte den Kopf und überlegte, wie er unverfänglich das Thema wechseln konnte. Molly fühlte seine Verlegenheit und kam ihm zu Hilfe. »Dabei hätte ich im sechzehnten Jahrhundert durchaus Modelmaße gehabt. Zu Rubens Zeiten waren meine Rundungen sehr gefragt. Übrigens beschäftige ich mich auch sehr gerne mit üppigen Damen. Ich habe ein paar Fotos von meinen Arbeiten hier, wenn Sie das interessiert.«

»Sehr gerne.« Dankbar nahm Nico das Angebot an, und schon bald saßen die beiden kichernd wie die kleinen Kinder über ein Fotoalbum gebeugt und amüsierten sich an den überaus originellen Schnitzarbeiten von Molly. »Sie sind unglaublich begabt, wissen Sie das? Diese Skulptur hier ist ja sensationell. Wenn ich einen Garten hätte, würde ich sofort so eine bestellen.«

»Freut mich, wenn Ihnen meine Sachen gefallen. Ich glaube, ich gehöre zu den Menschen, die Spaß an ihrem Beruf haben. Das merkt man mir wohl an. Mein Erfolg spricht für sich.«

»Können Sie denn vom Schnitzen allein leben?«

»Nein, das nicht«, gab Molly unumwunden zu. »Ich gebe nebenbei verschiedene Kurse, um mir mein Auskommen zu sichern. Besonders die Arbeit mit den Kindern macht mir Spaß. Sie sind ungeheuer engagiert und interessiert und können sich selbst über kleine Erfolge noch richtig freuen. Ganz anders als die Erwachsenen. Die kommen oft mit einem ungeheuren Anspruch an sich selbst in meine Kurse und sind folglich kaum jemals mit ihren Arbeiten zufrieden.«

»Schade eigentlich. Ich denke, dass man solche Dinge doch auch deshalb macht, um einen Ausgleich zu seinem Beruf zu haben. Wenn ich so darüber nachdenke, erinnere ich mich daran, früher selbst gerne gemalt und gezeichnet zu haben. Seltsam, dass ich das ganz vergessen habe.« Versonnen betrachtete Nico die Fotografien der Holzskulpturen und dachte nach.

Molly lächelte ihn freundlich an. »Da sehen Sie mal, wie viele Dinge man im Laufe der Zeit vergisst. Dabei ist Malen ein schönes Hobby.«

»Das gehört ja sicher zu Ihrem Beruf, nicht wahr?«