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Hast du gewusst, dass man in Berlin einen Drachen als Taxi bestellen kann? Mio jedenfalls staunt nicht schlecht, als eines Tages plötzlich ein Drache vor seinem Fenster sitzt. Zusammen mit seiner Freundin Lu wagt er das Abenteuer, mit dem Drachen davonzufliegen. Doch mysteriöse Ereignisse bringen die Drachen in Gefahr. Mio und Lu beschließen ihnen zu helfen und begeben sich quer durch die Hauptstadt auf Verbrecherjagd. Wer will den Drachentaxis schaden? Wurde die Flugtaxi-App gehackt? "Drachentaxi - Die Verschwörung" ist ein turbulenter Abenteuerroman für Kinder, in dem Magie und Technik auf spannende Weise miteinander verknüpft werden. Mit viel Witz und einigem Wagemut lassen die beiden Kinder so manchen Erwachsenen alt aussehen, egal ob Firmenchef oder Politiker .
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 209
Veröffentlichungsjahr: 2023
Franziska Stülpe
Drachentaxi
Die Verschwörung
© 2023 Franziska Stülpe
Coverillustration: Andrea Baitz
Druck und Distribution im Auftrag:
tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne schriftliche Genehmigung der Autorin unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.
ISBN 978-3-347-92341-6
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
1. Taxi für Mio
2. Start ins Abenteuer
3. In der Flugtaxizentrale
4. Eiskalt
5. In der Computerhöhle
6. Schmutzige Geschäfte
7. Drachen in Gefahr
8. Der Anschlag
9. Schatten der Vergangenheit
10. Die Außerirdischen kommen
11. Die geheime Abteilung
12. Verfolgungsjagd
13. Der Eiskönig
14. Die Gefangene
15. Dem Hacker auf der Spur
16. Nachtschicht
17. Schwarz auf Weiß
18. Die Befreiung
19. Schleppende Ermittlungen
20. Fliegende Limousine
21. Ein Schwein im Bundestag
22. Der Esel bin ich
23. Meer
24. Abschied
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Titelblatt
Urheberrechte
1. Taxi für Mio
24. Abschied
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1. Taxi für Mio
Mittwochnachmittag
Jorin flog über Berlin hinweg. Es war schon seit Tagen drückend heiß und schwül. Doch Jorin machte das nichts aus. Wie alle Drachen liebte er heiße Sommertage. Für die Menschen unten in der Stadt hingegen war die Hitze nahezu unerträglich geworden. Kein Wunder, dass die Straßen einsam und verlassen waren. Kaum jemand wagte sich bei diesen Temperaturen nach draußen. Jorin wusste, dass die meisten Leute erst dann ihre Häuser verlassen würden, wenn die Sonne deutlich tiefer am Himmel stand. Er hatte also freie Bahn auf seiner Suche nach einer ganz bestimmten Adresse. Die Smartwatch, die er an seinem linken Vorderbein trug, zeigte ihm an, dass er auf dem richtigen Weg war. Als in der flimmernden Hitze mehrere graue Wohnblöcke unter ihm auftauchten, war er am Ziel. Vorsichtig setzte er zur Landung an.
Währenddessen lag Mio auf seinem Bett und war wütend. Er hatte die Vorhänge vor das offene Fenster gezogen und so die sengenden Sonnenstrahlen ausgesperrt. Nun starrte er an die Decke. Schweiß lief ihm über die Stirn und verklebte seine blonden Locken. Immer wieder versuchte er, sie aus dem Gesicht zu streichen. Ohne Erfolg. Auch seine kurze Hose und das alte Star-Wars-T-Shirt klebten an seinem Körper, als hätte er sich samt seiner Kleidung unter die Dusche gestellt.
Normalerweise mochte Mio die Hitze und er hatte sich sehr auf die Sommerferien gefreut. Er hatte vorgehabt, mit seinem Freund Gökhan ins Freibad zu gehen. Und seine Mutter hatte versprochen, ihn ins Kino einzuladen. Doch jetzt flog Gökhan mit seinen Eltern in die Türkei und Mama hatte eine wichtige Fortbildung in Hamburg. Na klar, immer war alles andere furchtbar wichtig, nur er nicht. Eine ganze Woche würde seine Mutter weg sein und ihn einfach hier in der stickigen, kleinen Wohnung im dritten Stock allein lassen.
„Sei mir nicht böse, Schatz. Ist ja nur für ein paar Tage. Frau Marsch ist da und kümmert sich um dich. Und wenn ich wiederkomme, machen wir es uns schön. Versprochen!“ Dann hatte sie ihm einen Kuss auf die Stirn gedrückt und war mit ihrem Koffer durch die Tür verschwunden.
Und da lag er nun, traurig, wütend und ohne die geringste Idee, was er mit den kommenden sieben Tagen anfangen sollte. Wenn Mama wenigstens jemand Nettes zum Aufpassen gesucht hätte. Aber nein, es musste natürlich Frau Marsch sein! Schlimmer ging es wirklich nicht.
Frau Marsch wohnte in der Wohnung gegenüber. Sie war mindestens hundert Jahre alt und nörgelte an allem und jedem herum. Vor allem an Mio. „Kämm dir mal die Haare. Warum hat deine Hose schon wieder einen Fleck? Du bist ein richtiger Dreckfink! Und wie sieht dein Zimmer aus?! Hier muss aber dringend mal aufgeräumt werden! Sieh zu, dass hier gleich alles picobello ist, sonst gibt es heute kein Abendbrot!“
Dann eben nicht, dachte Mio. Er hatte sowieso keinen Hunger. Aufräumen würde er jedenfalls nicht. Da konnte die Marsch meckern, so viel sie wollte.
Auf der Suche nach einer Ablenkung ließ Mio seinen Blick durchs Zimmer wandern. Ein paar Comics standen im Regal, daneben seine Star-Wars-Figuren. Auf dem Schreibtisch lagen Stifte und Schulhefte, auf dem Boden verstreut ein paar alte Legoautos. Mio seufzte.
Da wurde es plötzlich dunkel im Zimmer. So als hätte sich eine dunkle Wolke vor die Sonne geschoben. Er schaute auf. Schnell schwang er sich aus dem Bett und ging zum Fenster. Ob es vielleicht doch noch Regen gab? So ein richtiges Gewitter wäre ihm jetzt gerade recht. Er schob die Vorhänge beiseite und erwartete, gegenüber den grauen Plattenbau mit den grünen Balkons zu sehen sowie unten einige alte Gehwegplatten zwischen verbrannten Rasenstücken. Darüber würde ein Stück blauer Himmel sein, hoffentlich mit einer ordentlichen Gewitterwolke.
Doch da war nichts dergleichen. Stattdessen schaute Mio direkt in ein großes, rundes, grünes Etwas mit einem dunklen, tellergroßen Fleck in der Mitte. Das Ding wirkte wie aus Glas und gleichzeitig lebendig. Aus der schwarzen Mitte starrte ihn sein Spiegelbild an.
„Hä? Was ist das denn?“ Mio kratzte sich am Kopf.
„Hast du ein Flugtaxi bestellt?“, fragte eine samtweiche Stimme, die Mio an den blauen Kuschelteppich in Mamas Schlafzimmer erinnerte.
„Was?“, fragte er. Hatte das Etwas gerade mit ihm gesprochen? Und wo kam das überhaupt her?
„Ob du ein Flugtaxi bestellt hast?“, wiederholte die Stimme.
„Äh, nein.“
„Mmhh“, brummte es nachdenklich, „aber du kannst mich hören. Kannst du mich auch sehen?“
Mio zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht.“
„Oh, Entschuldigung“, sagte die Stimme und plötzlich entfernte sich das Ding ein Stück vom Fenster und gab den Blick frei auf die Umgebung, die Mio kannte. Vorsichtig trat er noch einen Schritt näher ans Fenster. Was er nun sah, verschlug ihm den Atem. Mitten auf der Wiese zwischen Wohnblock A und Wohnblock B saß ein riesiger, grünlich-silbern schimmernder Drache und schaute ihn erwartungsvoll an. Sprachlos betrachtete Mio das gigantische Tier, das mit seinem Rücken bis zum zweiten Stock heraufreichte. Mit dem Kopf am Ende des langen, schlanken Halses konnte es sogar problemlos bis zu ihm in den dritten Stock hinaufschauen. Jetzt begriff Mio, dass er vorher nur das Auge des Drachen gesehen hatte, der ihn nun aus der Entfernung fragend ansah.
„Wahnsinn“, murmelte Mio, „ein Drache! Das gibt’s doch gar nicht!“
„Du kannst mich also sehen“, stellte das Tier fest, „also musst du mich auch bestellt haben. Nur wer ein Flugtaxi bestellt hat, kann es auch sehen.“
„Flug… Flugtaxi?!“, stotterte Mio und schaute immer noch ungläubig auf das elegante Wesen, das da einfach so vor seinem Haus saß. Die Schuppen des Drachen glitzerten in der Abendsonne wie unzählige kleine Diamanten und der meterlange Schwanz wand sich auf der verbrannten Erde wie eine riesige Schlange.
„Ja klar, Flugtaxi oder auch Drachentaxi“, sagte das große Tier und spreizte wie zur Bestätigung seine mächtigen, schillernden Flügel ein wenig zur Seite.
„Ich habe aber kein Flugtaxi bestellt.“ Langsam fand Mio seine Sprache wieder.
„Wirklich nicht?“
„Wirklich nicht!“
„Komisch.“ Der Drache blickte auf seine Smartwatch und kniff die Augen zusammen. Dabei führte er die linke Tatze wiederholt in Richtung Kopf und zurück. Mio kannte diese Bewegung von seinem Lehrer, wenn er seine Brille nicht finden konnte.
„Die Adresse stimmt aber“, sagte der Drache schließlich. Er ließ die Tatze sinken und schlug dabei gegen die Mülltonnen, die mit lautem Getöse auf den Boden polterten. Mio zuckte zusammen. Verwirrt schaute der Drache auf den Müll hinab, der sich nun zu seinen Füßen ergoss. Dann schüttelte er den Kopf. „Du dürftest mich jedenfalls gar nicht sehen können, wenn du kein Taxi bestellt hast.“ Plötzlich machte der Drache ein besorgtes Gesicht. „Oh nein! Vielleicht ist mein Unsichtbarkeitsfunktionsmechanismus kaputt?!“
„Dein Unsichtbar… was?“
„Mein Unsichtbarkeitsfunktionsmechanismus. Der sorgt dafür, dass mich niemand sehen kann. Nur derjenige, der mich herbestellt hat.“ Sorgenfalten breiteten sich auf der Stirn des Drachen aus und fraßen sich tief in die schuppige Haut wie Wellen in den Sand.
Im selben Moment hörte Mio das Klackern von Absätzen auf den Gehwegplatten. „Achtung, da kommt jemand“, raunte er dem Drachen zu, der augenblicklich erstarrte. In diesem Moment bog auch schon eine streng aussehende, kleine Frau in zackigem Militärschritt um die Ecke. Erschrocken beobachtete Mio, wie die Frau direkt auf den Drachen zulief, den Blick starr geradeaus gerichtet. Die Hitze schien der Dame nicht das Geringste anhaben zu können. In ihrem engen Kostüm marschierte sie im Stechschritt über die heißen Gehwegplatten, die bei der Reibung mit ihren hohen Schuhen Funken zu sprühen schienen.
Der Drache hatte keine Zeit mehr, seine Beine zu sortieren. Nun stand er mit den Vorderbeinen auf der einen Seite des Gehwegs und mit den Hinterbeinen auf der anderen Seite. So bildete er einen Tunnel direkt vor dem Hauseingang. Mio bemerkte, dass der Drache die Augen zusammenkniff.
Ohne den Drachen auch nur eines Blickes zu würdigen, spazierte die Dame nun unter dem Drachenbauch hindurch. Dann blieb sie plötzlich stehen und rümpfte die Nase. Kurz dachte Mio, dass sie den Drachen doch noch entdeckt hatte, aber ihr Blick war an den umgekippten Mülltonnen hängen geblieben. Mit missmutigem Gesicht stieg sie über ein paar zerbeulte Coladosen und halbgefüllte Plastiktüten hinweg, steuerte auf die Eingangstür zu und verschwand im Haus. „Puh.“ Mio atmete erleichtert aus.
„Ist sie weg?“, fragte der Drache, ohne die Augen zu öffnen.
„Ja.“
Vorsichtig klappte das Tier erst das eine Auge und dann das andere auf. „Sie ist weg.“
„Sag ich doch.“
„Dann hat sie mich nicht gesehen?“
„Wohl nicht.“
„Gut, sehr gut! Dann wissen wir jetzt, dass mein Unsichtbarkeitsfunktionsmechanismus funktioniert. Nur du kannst mich sehen, also bist du derjenige, den ich jetzt fliegen soll“, erklärte der Drache. „Verrätst du mir deinen Namen?“
„Ich heiße Mio. Aber ich habe wirklich kein Taxi bestellt. Echt nicht.“
„Dann hat vielleicht jemand anders eins für dich bestellt.“
„Weiß nicht. Wer sollte das gewesen sein?“
„Das weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, dass wir jetzt langsam mal losmüssen. Also komm, steig auf.“ Der Drache spreizte seinen rechten Flügel, so dass er bis ans Fensterbrett von Mios Zimmer reichte. „Du kannst einfach rüber rutschen. Sobald du mich berührst, bist du ebenfalls unsichtbar. Keiner wird mitbekommen, dass wir davonfliegen. Du musst dir also keine Sorgen machen.“
Mio zögerte. Sollte er es wagen? So eine einmalige Gelegenheit durfte man sich doch eigentlich nicht entgehen lassen, oder?
In diesem Moment hörte er, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Frau Marsch! Sie würde ausflippen, wenn sie sah, dass sein Zimmer immer noch nicht aufgeräumt war. Jetzt blieb Mio keine Zeit mehr zu überlegen. Kurzentschlossen kletterte er aus dem Fenster. Als er mit seinen nackten Füßen die Flügelhaut berührte, war er erstaunt, wie fest sich das filigrane Gewebe anfühlte. Rasch ließ er sich auf den Hosenboden sinken und schon rutschte er auf den Drachenrücken zu.
Kurz darauf konnte er sehen, wie Frau Marsch durch sein Zimmer lief. „Mio, wo steckst du? Unverschämter Bengel, komm sofort raus!“ Erst schaute sie unters Bett, dann in den Kleiderschrank. Schließlich trat sie ans Fenster und ließ den Blick prüfend über den Hof schweifen. Einen Moment lang hatte Mio das Gefühl, sie sähe ihm direkt in die Augen. Aber dann schüttelte sie nur den Kopf und verschwand wieder in der Wohnung. Der Drache hatte nicht zu viel versprochen. Mio war unsichtbar.
Mit zitternden Knien setzte er sich zwischen die beiden riesigen Flügel des Drachen und ließ seine Hände über die glitzernden Schuppen gleiten. Sie waren warm und trocken und gar nicht so hart, wie er vermutet hatte.
„Wer war das denn?“, fragte der Drache.
„Das“, seufzte Mio, „war Frau Marsch.“
„Frau Arsch?“
Mio prustete los. „Frau Marsch, unsere Nachbarin.“
„Seltsamer Name. Aber sei´s drum. Können wir starten?“
„Ja, kann losgehen“, sagte Mio und ein aufgeregtes Kribbeln zog von seinem Bauch aus durch den ganzen Körper.
„Prima. Willkommen an Bord! Es fliegt Sie heute Kapitän Jorin“, verkündete der Drache. „Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt in Ihrem Flugtaxi auf der Reise nach … äh … Wo soll es denn hingehen?“
„Keine Ahnung“, sagte Mio. „Wo sollst du mich denn hinbringen?“
„Das hat mir keiner gesagt“, erklärte der Drache. „Aber du bist der Fluggast. Also entscheidest du.“
Mio überlegte kurz. Dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Käpten Jorin“, rief er, „ich habe eine Idee.“
2. Start ins Abenteuer
„Krass“, sagte Lu und hüpfte wie ein Flummi auf und ab. „Echt Wahnsinn!“
Mio stand neben ihr im Garten, betrachtete Jorin und grinste bis über beide Ohren. Wie ein riesiges, lebendiges Segelflugzeug war der Drache mit ihm durch die Lüfte geglitten. Ein unglaubliches Gefühl! Und es war eine gute Idee gewesen, Lu zu besuchen. Mio merkte erst jetzt, wie sehr er sie vermisst hatte.
Lu hieß eigentlich Luise. Aber alle nannten sie nur Lu. Früher hatte sie mit ihrer Familie im gleichen Stadtteil wie Mio gewohnt. Sie waren zusammen zur Schule gegangen. Aber dann war Lu mit ihren Eltern und ihren zwei Brüdern nach Zehlendorf gezogen, weil ihr Vater dort ein Haus geerbt hatte. Ein Haus mit Garten und allem Drum und Dran. Mio war ein bisschen neidisch gewesen. Aber vor allem war er traurig gewesen, dass er Lu jetzt nur noch so selten sah.
„Wo hast du den denn her?“, fragte Lu.
„Den habe ich gefunden“, antwortete Mio.
„Ach ja?“ Jorin schmunzelte.
„Na ja, eigentlich hat er mich gefunden“, verbesserte sich Mio. Und dann erzählte er Lu die ganze Geschichte.
„Krass“, sagte Lu wieder und wandte sich dann Jorin zu. „Und warum kann ich dich jetzt sehen?“
„Weil ich es dir erlaube. Schließlich bist du Mios Freundin.“
„Logisch“, meinte Lu. „Aber warum bist du zu Mio gekommen, obwohl er gar kein Taxi bestellt hatte?“
„Das ist eine berechtigte Frage“, sagte Jorin nachdenklich. „Vielleicht ist in der Flugtaxizentrale ein Fehler passiert.“
„Was für eine Zentrale?“, fragte Lu.
„Na, die Taxizentrale. Sie schickt uns Drachen zu den Fluggästen.“
„Es gibt noch mehr Drachen? Cool.“ Lu sah sehr zufrieden aus.
„Wir könnten da ja hinfliegen und nachfragen“, schlug Mio vor.
„Ja, das sollten wir machen.“ Der Drache nickte, wobei er mit seinem Kopf gegen die Schaukel stieß. Mio konnte sie gerade noch festhalten, sonst wäre sie Lu mit vollem Schwung gegen die Schulter geknallt.
„Oh, Entschuldigung. Die hab ich gar nicht gesehen.“ Jorin schüttelte sich.
„Nichts passiert.“ Lu überlegte kurz. „Wenn wir wegfliegen wollen, muss ich aber erst meinen Eltern Bescheid sagen.“ Sie wandte sich zum Haus, dann zögerte sie. „Was soll ich denen denn erzählen?“
„Du kannst ja sagen, dass du mich besuchst“, schlug Mio vor. Dann wurde ihm auf einmal heiß. Er fasste sich an die Stirn. „Oje, wenn ich länger wegbleibe, muss ich Frau Marsch Bescheid geben. Sonst ruft die noch bei meiner Mutter an.“
„Frau Arsch?“, fragte Lu.
„Frau Marsch, unsere Nachbarin. Die soll auf mich aufpassen, während Mama weg ist.“ In Mios Bauch machte sich ein drückendes Gefühl breit.
„Na, dann lass mich mal mit der reden.“ Lu grinste. „Hast du dein Handy dabei?“
„Ja klar.“ Mio zog es aus der Hosentasche und suchte die Nummer von Frau Marsch. Dann reichte er das Handy an Lu weiter.
„Hallo, Frau Marsch“, sagte Lu mit verstellter Stimme. „Hier ist Frau Lutherberg. Ich bin die Mutter von Luise, einer Freundin von Mio. Ich wollte Ihnen nur Bescheid geben, dass Mio die nächsten Tage bei uns verbringen wird.“
Sie lauschte ins Telefon. Mio konnte einige Wortfetzen aufschnappen, die Frau Marsch am anderen Ende ins Telefon spie. „Unverschämter Bengel … hätte es früher nicht gegeben … einfach abgehauen …unglaublich … überhaupt nicht abgesprochen …“
Lu verdrehte die Augen. „Aber natürlich haben wir das mit Mios Mutter abgesprochen. Es ist alles in bester Ordnung. Das können Sie mir glauben.“
„… Nachspiel … Frechheit …“, hörte Mio Frau Marsch fauchen.
„Ich lege jetzt auf. Auf Wiederhören, Frau Marsch.“ Lu stieß hörbar Luft aus und gab Mio sein Handy zurück. „Die ist ja wirklich ein Arsch. Komm, wir packen ein paar Sachen zusammen und reden mit meiner Mutter.“ Sie drehte sich um und lief auf das Haus zu. Mio folgte ihr.
Sie fanden Lus Mutter in ihrem Arbeitszimmer, wo sie an ihrem Laptop saß und über einem Artikel brütete.
„Schau mal, Mama“, rief Lu, „Mio ist da.“
„Ah, wie schön“, murmelte ihre Mutter, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden.
„Kann ich für ein paar Tage mit zu Mio?“, fragte Lu.
Die Mutter antwortete nicht. Stattdessen kritzelte sie etwas auf einen Zettel, der neben der Maus auf ihrem Schreibtisch lag.
„Mama!“
„Was?“
„Ich fahre jetzt mit zu Mio.“
„Oh ja, schöne Idee.“ Dann zuckte Lus Mutter plötzlich zusammen und sah auf. „Was hast du gesagt? Wo willst du hin?“
Lu verdrehte die Augen. „Zu Mio.“
„Jetzt?“ Ihre Mutter schaute sie ungläubig an.
„Ja. Mios Mama hat sich extra freigenommen und jetzt haben sie mich eingeladen. Für eine ganze Woche! Wir wollen Eis essen gehen und ins Kino und ins Schwimmbad“, log Lu. „Bitte Mama, sag ja!“
„Und wie wollt ihr jetzt zu Mios Wohnung kommen?“
Lu zögerte.
„Mit dem Taxi“, sagte Mio schnell.
Lus Mutter blickte ihn verwundert an. „Ist das nicht ganz schön teuer?“
„Na ja, mal geht das schon“, meinte Mio verlegen. Er konnte ja schlecht sagen, dass das Taxi, das sie benutzen würden, gar nichts kostete und außerdem schon draußen im Garten saß und auf sie wartete.
Lus Mutter überlegte kurz. Dann gab sie sich einen Ruck. „Wartet, ich gebe euch ein bisschen Geld mit. Und du, Luise, pack schon mal deine Sachen.“
Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Sie rannten in Lus Zimmer, wo Lu einige Klamotten in ihren Rucksack stopfte. Dann schlich sie sich in das Zimmer ihres älteren Bruders und durchwühlte seinen Kleiderschrank. Schließlich kam sie mit ein paar Hosen, T-Shirts und einem Paar alter Turnschuhe wieder. Die Anziehsachen steckte sie ebenfalls in den Rucksack. Die Schuhe reichte sie Mio. Sie deutete auf seine nackten Füße. „Hier, mein Bruder merkt bestimmt gar nicht, wenn die nicht mehr da sind. Die passen ihm eh nicht mehr.“
Erst jetzt fiel Mio auf, dass er gar keine Schuhe anhatte. Er lachte und probierte die Turnschuhe. „Passen perfekt.“
Als Letztes huschten sie noch schnell in die Küche und packten ein paar Äpfel, eine Packung Kekse, ein paar Scheiben Brot, Käse und eine große Flasche Wasser ein. Gleich darauf kam Lus Mutter herein und drückte Lu ein paar Scheine in die Hand. „Danke“, sagte sie. Ihre Mutter lächelte. Dann sah sie auf die Uhr. „Wo dein Vater nur wieder bleibt?“
Lu zuckte mit den Schultern und küsste ihre Mutter auf die Wange. „Grüß Papa schön von mir. Wir müssen jetzt los.“ Dann packte sie Mio am Arm, schob ihn Richtung Haustür und flüsterte: „Los komm, bevor sie noch auf die Idee kommt, uns zum Taxi zu bringen.“
Sie verließen das Grundstück durch das Gartentor und gingen ein Stück die Straße entlang. „Was ist denn mit deinem Vater?“, fragte Mio.
„Ach.“ Lu seufzte. „Seit seine Sekretärin gekündigt hat, kommt er jeden Tag spät nach Hause, weil er ihre ganze Arbeit mitmachen muss. Es wird wirklich Zeit, dass er eine neue Assistentin findet. Mama wird langsam ungeduldig. Dann ist die Stimmung immer so knisterig, wenn sie über Papas Arbeit reden. Das nervt.“
„Kann ich mir vorstellen“, sagte Mio, obwohl das eigentlich nicht stimmte. Mio kannte seinen Vater nämlich gar nicht. Manchmal war er darüber traurig. Aber zumindest, dachte er, konnten seine Eltern sich dann auch nicht streiten.
Lu deutete auf eine Lücke im Zaun. Sie schlüpften hindurch und krochen auf allen Vieren an der Hecke des Nachbargrundstücks entlang. Schließlich kamen sie zu einer Stelle, wo man durch ein Loch in der Hecke zurück in Lus Garten gelangen konnte. Als sie sich sicher waren, dass sie niemand beobachtete, schlichen sie schnell zu Jorin.
Unglücklich schaute der Drache sie an. „Ich glaube, ich hänge fest“, sagte er und deutete mit dem Kopf nach hinten. Sein langer Schwanz hatte sich im Seil der Schaukel verheddert. Lu stemmte die Arme in die Hüften und schüttelte den Kopf.
„Tut mir leid“, murmelte Jorin kleinlaut, „es ist ein bisschen eng hier und ich habe ja hinten keine Augen.“
„Macht doch nichts“, sagte Mio und stupste Lu an. „Los komm, zusammen kriegen wir das doch hin.“
Ganz so einfach wie Mio gedacht hatte, war es dann allerdings doch nicht. Der Schwanz war schwer und das Seil hatte sich unzählige Male darum herumgewickelt. Lu fluchte immer wieder, während sie mühsam den Drachen von seinen Fesseln befreiten. Doch dann war es endlich geschafft. Jorin seufzte erleichtert. „Danke“, sagte er und schlang den Schwanz um die Kinder. Sanft hob er sie vom Boden auf seinen Rücken.
„Krass“, sagte Lu, als der Drache sich kurz darauf mit ihnen in die Luft schwang. „Echt Wahnsinn!“
3. In der Flugtaxizentrale
Mittwochabend
Wie eine gigantische Blutorange tauchte die Sonne langsam hinab in das Häusermeer mit dem Namen Berlin. Noch nie hatte Mio einen so beeindruckenden Sonnenuntergang gesehen. Und noch nie war ihm aufgefallen, wie riesig die Stadt war, in der er lebte.
Das Allerfantastischste aber war das Fliegen selbst. Das Fliegen auf einem Drachen. Mio konnte einfach nicht aufhören über diese unbändige Kraft zu staunen, mit der Jorin seinen gewaltigen Körper in die Luft katapultiert hatte. Nun trug er sie mit sagenhafter Geschwindigkeit durch die Abenddämmerung. Das Kribbeln in Mios Bauch wanderte langsam weiter durch seinen Körper und ballte sich schließlich in seiner Brust zu einem dicken, feurigen Klumpen zusammen.
Sogar Lu hatte es zunächst offenbar die Sprache verschlagen. Doch nachdem sie sich während der ersten Minuten fest an Mios Rücken geklammert hatte, lockerte sie nun ihren Griff. Sie schien die frische Zugluft zu genießen, die ihnen die verschwitzten T-Shirts trocknete und ihre Haare im Wind flattern ließ. Lu löste das Stirnband, mit dem sie ihre schulterlangen braunen Haare stets zurückband. Sie breitete die Arme aus und ließ einen lauten Schrei ertönen.
Mio zuckte zusammen. Doch dann merkte er, dass sich auch bei ihm die Anspannung in der Brust einen Weg nach draußen bahnen wollte. Kurz versuchte er noch den Schrei zurückzuhalten. Aber dann sah er, dass Jorin völlig unbeeindruckt weiterflog. Also stimmte er in Lus Begeisterungsruf mit ein.
„Jucheeeeeeeee“, schallte es über den Himmel Berlins. Mio hatte das Gefühl, Feuer zu speien. Der Wind erfasste seine Sorgen und seinen Ärger und trug beides in alle Himmelsrichtungen davon.
Einige Zeit später landeten sie auf einer riesigen, asphaltierten Fläche, die von der Hitze des Tages immer noch zu dampfen schien, obwohl die Sonne inzwischen untergegangen war.
„Willkommen in der Flugtaxizentrale“, sagte Jorin.
„Wo sind wir?“, fragte Mio, der etwas Abseits ein langgezogenes, verglastes Gebäude entdeckt hatte. „Sieht aus wie ein Flughafen.“