Drag Cop - Candas Jane Dorsey - E-Book
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Candas Jane Dorsey

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Beschreibung

Als die geliebte Enkelin einer guten Freundin ermordet aufgefunden wird, werden unsere ambisexuelle Sozialarbeiterin und ihre Katze Bunnywit zur Lösung des Falles hinzugezogen. Für die kanadische Polizei ist Maddy bloß eine weitere tote Sexarbeiterin ‒ also liegt es an unserer Heldin und ihrer LGBTQ-Crew herauszufinden, was mit ihr passiert ist.

Dabei geraten sie schneller, als ihnen lieb ist, in eine raue Welt voller Sex, Lügen und Verrat, auf die sie mit Ironie, Witz und Intelligenz (naja, außer der renitenten Katze) reagieren. Und was auf den ersten Blick wie ein mieser kleiner Straßenmord aussah, entpuppt sich bald als ein »Kollateralschaden« extremer krimineller Machenschaften …

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Seitenzahl: 399

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Titel

Candas Jane Dorsey

Drag Cop

Thriller

Aus dem kanadischen Englisch von Conny Lösch

Herausgegeben von Thomas Wörtche

Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2021

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage des suhrkamp taschenbuchs 5187.

Deutsche Erstausgabe© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2021Copyright © Candas Jane Dorsey, 2020Alle Rechte vorbehalten.

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Umschlagabbildungen: David Sacks / The Image Bank / Getty Images (Polizist); FinePic©, München (LGBT-Flagge, Ohrstecker-Diamant)

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

eISBN 978-3-518-76995-9

www.suhrkamp.de

Drag Cop

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Hinweise zum eBook

Cover

Titel

Impressum

Isabel met an enormous bear,

 1 Postmoderne Dilemmas

 2 Changes In Attitudes, Changes In Latitudes

 3 Underwear My Baby Is Tonight?

 4 With the Bentfin Boomer Boys …

 5 Saufen mit Katharine Hepburn

 6 Delirium vortrefflich

 7 Prozac morgen?

 8 Habgier ist die Wurzel allen Übels

 9 Fischstäbchen

 10 Hatte mal Katze – schmeckte wie Huhn

Isabel, Isabel didn’t care,

 11 Der Klang von Geld und Gloria

 12 Ich nehme Fünfziger und Dreier

 13 Roger

 14 Sie hätte später sterben können

 15 A white sports coat and a pink carnation

 16 Vickis Geschichte

 17 Fernfahrer sucht Begleitung auf langen Strecken: Fahrstunden inbegriffen

 18 Little Ship Of Dreams

The bear was hungry, the bear was ravenous,

 19 The Stories of the Street are Mine

 20 Auftritt eines Mörders?

 21 Regular price, five bucks, five bucks, five bucks

 22 Hen Hao Mao

The Bear’s big mouth was cruel and cavernous.

 23 Der Subplot?

 24 Doch noch ein Subplot, gewissermaßen

 25 Währenddessen in einem anderen Teil des Waldes

 26 Ein Subplot, oh yeah

 27 Was der Mann von der Post … äh, der Briefträger … sah

 28 Habe heute deine Postkarte aus Waikiki erhalten …

 29 Falsches Spiel mit Roger Rabbit?

 30 Huhn oder Fisch …?

The bear said, Isabel, glad to meet you,

 31 Vernünftiges Schuhwerk

 32 Zärtliche Cousinen

 33 Überraschungsparty

 34 Okay

 35 Hands across the water, heads across the sky

 36 Der Subplot?

How do, Isabel, now I’ll eat you!

 37 Nichts für Katzen

 38 Saatana perkele

 39 Später? Komm

 40 Nur die Fakten, Ma’am

 41 Unterschreiben Sie auf der gestrichelten Linie

Isabel, Isabel, didn’t worry,

 42 Keine Jungfrau …

 43 Die Liste anschauen

 44 Double Shuffle

 45 Somewhere Over The Rainbow

Isabel didn’t scream or scurry.

 46 Little boxes made of ticky-tacky

 47 »

YMCA

, I wanna hear it for the

YMCA

 …«

 48 Tabernac

 49 Und hinein ins Feuer- und Höllentor, reiten die Sechshundert

 50 Lost, up in no-man’s land …

She washed her hands and she straightened her hair up,

 51 Tut das weh?

 52 Set the Controls for the Heart of the Sun

 53 Better Living Through Chemistry

 54 I’m a Soul Man …

 55 »It’s me, it’s me, o Lord, standing in the need of prayer«

 56 »Then I got thrown out of chu’ch fo’ talkin’ bout ditty-wah-dittie too much …«

 57 Stop me if you’ve heard this one before!

Then Isabel quietly ate the bear up.

 58 Don’t Make Promises You Can’t Keep

 59 Ohrlöcher to go

 60 Eine Suppenküche ohne Feuer …

 61 Alles Gute hat auch ein Schlechtes

Isabel met a hideous giant,

 62 Galaktische Heldin hin oder her, einer muss den Kater füttern

 63 Noch einmal stürmt, noch einmal, liebe Freunde!

 64 Epiphanien: Keine Feiertage im Dezember

 65 Mr Groß & Lang

 66 Beau Lad

Isabel continued self-reliant.

 67 Ein wahrhaft kanadischer Kampf

The Giant was hairy, the giant was horrid,

 68 Teile vom Himmel

 69 You were waiting for this number, weren’t you?

 70 I’m the snail with the mail …

He had one eye in the middle of his forehead.

 71 Schweigen im Gerichtssaal

 72 Zur Seite gesprochen

 73 Lance’ Geschichte

 74 Also, könnt ihr das nachvollziehen?

 75 À Nos Moutons

 76 Gravity Switchback Railway (69 Neuauflage)

Good morning, Isabel, the giant said,

 77 Was der Briefträger sah, die Zweite

 78 … wobei …

 79 »You … turn me upside down …«

 80 Gewissensprüfung

 81 Soul on Patrol

I’ll grind your bones to make my bread.

 82 Die vierte Wand durchbrechen: eine Meditation

 83 Und nochmal mit Gefühl

 84 Vierte Wand, die Zweite

 85 Also, das war so …

 86 Mendelson Joe finden ist nicht einfach

 87 Wie hast du Miss Vikki gefunden? Hey, ich bin da rein und sie saß …

 88 Goin’ downtown with my hat in my hand / ​… Might as well be lookin’ for a needle in the sand …

 89 Vikkis Geschichte

 90 Übersetzung

 91 Eine erschreckende Vernachlässigung des Konjunktivs

Isabel, Isabel, didn’t worry, Isabel didn’t scream or scurry.

 92 Lance-a-lot

 93 War das so was wie beleidigt abziehen?

She nibbled the zwieback that she always fed off,

 94 Betty Crocker ist tot

 95 Lass es fließen (dein Diagramm), sagte die (Amateur-)Polizistin

 96 Schrödingers Cops

And when it was gone, she cut the giant’s head off.

 97 Zärtliche Cousinen, die Zweite

 98 Als wir nach Hause kamen …

Once in a night as black as pitch Isabel met a wicked old witch.

 99 Fremde Bettgesellen

 100 Dick-Equivalent

 101 Die Soul Patrol bisher

 102 »Oh Boy, oh Joy, where do we go from here …«

 103 »Over to you, Ray Bellew …«

The witch’s face was cross and wrinkled,

 104 Cherchez la Schwindlerin

The witch’s gums with teeth were sprinkled.

 105 Hütet euch vor allen Beschäftigungen, die neue Kleider verlangen

 106 Something in the way she moves …

 107 Vom Menschen (»womit natürlich auch Frauen gemeint sind«)

Ho, ho, Isabel! the old witch crowed, I’ll turn you into an ugly toad!

 108 Und übrigens noch was

 109 Lügen und ihre Folgen

Isabel, Isabel, didn’t worry, Isabel didn’t scream or scurry,

 110 »Who put the ram in the ramalamadingdong?«

 111 »Als ich wieder zu mir kam …«

 112 »Wie ich wieder zu mir kam …«, die Zweite

 113 »Der Oberarmknochen ist mit dem Schulterknochen verbunden …«

She showed no rage and she showed no rancor,

 114 In aller Offenheit 1: Langweilig

But she turned the witch into milk and drank her.

 115 In aller Offenheit 2: Kein Kommentar

 116 In aller Offenheit 3: Happy Happy Happy All The Time

 117 In aller Offenheit 4: Wahrheit und Versöhnung

 118 In aller Offenheit 5: Thelma geht noch mal in die Kirche

 119 In aller Offenheit, die Letzte: Seid ihr verrückt?

 120 »Goodbye, Hank Williams, my friend / ​I didn’t know you, but I’ve been places you’ve been«

Isabel met a troublesome doctor,

 121 It ain’t over ’til it’s over

 122 The Devil’s body parts

 123 Mein Mendelson Joe

 124 Hütet euch vor allen Beschäftigungen, die neue Kleider verlangen, die Zweite

He punched and he poked till he really shocked her.

 125 »Schlechte Angewohnheiten wird man schwer wieder los …«

 126 »Calling all angels, walk me through this one, don’t leave me alone …«

The Doctor’s talk was of coughs and chills, And the doctor’s satchel bulged with pills.

 127 … he punched and he poked …

 128 Give me all your money in a brown paper bag

The doctor said unto Isabel, Swallow this, it will make you well.

 129 Rundgang in der Klinik von Dr. Doom

 130 Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert

Isabel, Isabel, didn’t worry, Isabel didn’t scream or scurry. She took those pills from the pill concocter, And Isabel calmly cured the doctor.

 131 »Chain chain chain, chain of fools …« Oder wenigstens Beweise

 132 Der Rotmarder wird für den Pinsel nicht geschoren, sondern getötet

 133 »Alle glücklichen Familien gleichen einander; jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich«

 134 Die Zukunft, nicht allzu lange danach

 135 Derweil zurück in der Gegenwart

 136 Wie erwartet …

 137 Ein Hoch auf Maddy

 138 In entgegengesetzte Richtungen Gehen, die Zweite

 139 Das letzte Wort im Krimi

 140 Nur Mut, liebe Leser, wir nähern uns dem …

Ogden Nash – The Adventures of Isabel

Danksagung

Copyrightnachweise

Fußnoten

Informationen zum Buch

Hinweise zum eBook

Isabel met an enormous bear,

1 Postmoderne Dilemmas

Ich hasse Showmelodien.

Das heißt Las-Vegas-Schnulzenkram, so was wie Frank Sinatra und Carol Channing. Die Nachbarin hatte eine Aufnahme mit Big Band und einer heiseren Popsopranistin aufgelegt, die die linguistische Unterscheidung zwischen po-tay-to und po-tah-to mit platinblond gefärbter Attitude bis ins Kleinste auseinandernahm. Wegen der Sonne und dem heißen Wind hatten alle die Fenster weit aufgerissen, jeder wollte noch einen letzten Hauch Septembersommer aufschnappen, und so kam ich nicht umhin, mir eine Hymne nach der anderen auf die dysfunktionalen Liebesbeziehungen blöder Heterosexueller anzuhören.

Ich lebe im vierten Stock der sogenannten »Epitome Apartments«. Die Vermieterin und die Leute im Viertel sagen »The Ep-ee-tome« mit stummem »e« am Ende und das vollkommen ironiefrei. Mein Balkon mit meinem dürftigen Tribut an Mutter Erde in Form überwucherter Blumenkästen besteht aus einem Eisengitterrost von einem Drittel Quadratmeter und ist eigentlich ein Absatz der Feuerleiter. Er schwebt über einer urbanen, schmutzigen Gasse, die zu dem meiner Ansicht nach besten chinesischen Restaurant der Stadt führt. Allerdings hatte mir mein Budget seit Monaten nicht mehr erlaubt, auswärts zu essen, nicht mal zu den unterirdischen Preisen dort. Depression und Arbeitslosigkeit hatten mich zur Gefangenen in diesem Schuhschachtelturm gemacht, in dem ich mich jetzt mit Konservenmusik und der Frage berieseln lassen musste, was es bringt, sich zu verlieben.

Hätten der Kater und ich die stickige Luft ertragen, hätte ich mein Apartment gegen den Lärm abgeschottet. So aber hockte Bunnywit draußen auf der Feuerleiter, während ich »Antarctica« von Ian Tamblyn laufen ließ – wenn schon nicht, um die blechernen Klänge von nebenan zu übertönen, so doch wenigstens, um sie in eine postmoderne Soundcollage zu überführen. Was ganz gut ging.

Anders als mir.

Meine finanzielle Lage war nicht mehr verzweifelt, sondern hoffnungslos, und weder der nach wochenlangem Regen endlich wieder blaue Himmel noch Bun, der wie ein motorisierter Brotpudding schnurrte, vermochten mich aufzuheitern. Ich brauchte eine eigene dysfunktionale Liebesaffäre. So eine über zwei ausgelassene Nächte, die in bierselige Liebesschwüre mündet, kurz bevor mein Gegenüber das Bewusstsein verliert und ich mich davonschleiche, ohne meine Telefonnummer – oder auch nur meinen richtigen Namen – zu hinterlassen. Oder nein, was ich wirklich brauchte, war ein Lottogewinn.

Als ich so dasaß, wurde mir bewusst, dass ich nur zwei Dinge gut konnte, und eins davon brachte mir schon lange keinen Job mehr ein: seit die Regierung die Haushaltsmittel der Sozialbehörde »gesenkt« hatte und ich nach sechs Jahren, die ich zufrieden und glücklich für diese tätig gewesen war, in die Arbeitslosigkeit »versetzt« wurde. Vor neun Wochen waren meine Versicherungszahlungen ausgelaufen. Und so wie das mit der Jobsuche in einem Land mit zwölf Prozent Arbeitslosigkeit nun mal so ist, hatte ich bislang außer Frust nichts Neues gefunden.

Ich überlegte mir ernsthaft, ob ich nicht mit meiner einzigen anderen Begabung Geld verdienen sollte – allerdings hatte ich auch das schon lange nicht mehr gemacht. Sobald die Kleinanzeigenannahmestelle des lokalen Schmierblatts hier öffnete, würde ich dort vorstellig werden. Aaaaandrea. Heiße Bisexuelle. Hausbesuche möglich. Kein Analverkehr. Gerne auch zu mehreren. Sagt to-may-to.

Ich war gerade dabei, die Anzeige zu überarbeiten – AAAAbelard. Umoperiert, liebt Teddybären, Seide, Pelz und Dreier. Kommt zu dir –, als das Telefon klingelte.

»Ja, was?«

»Munchkin, was machst du denn an so einem herrlichen Tag zu Hause?«

»Ich transferiere meine Berufstätigkeit in den privaten Sektor. Wieso greifst du an einem so herrlichen Tag zum Telefon?«

»Ist ›transen‹ jetzt schon ein Verb?«

»Bleib beim Thema.«

Seitdem er sich in der vorangegangenen Woche ein knalliges Tizianrot auf dem Kopf gegönnt hatte, war mein Freund Denis der Inbegriff einer durchgeknallten Superschwuchtel. Warum er am möglicherweise letzten Tag des Sommers nicht im Park war und sich was zum Aufreißen suchte, wusste ich nicht, aber es musste wichtig sein.

War es auch.

»Honey, hast du zu tun?«

»Das ist eine Fangfrage.«

»Tschuldigung. Geht um Hep.« So nannten wir seine Nachbarin draußen in der Vorstadt, wo er im Haus seiner Eltern lebte, das er geerbt und in ein schwul-kitschiges Monument verwandelt hatte. Eigentlich hieß sie Maddy Pritchard, sah aber aus wie eine ein Meter fünfzig große Doppelgängerin von Katharine Hepburn Mitte sechzig. Lange vor Denis’ und meiner Geburt war sie bereits Aktivistin für alles Mögliche gewesen.

»Was ist los?«

»Weißt du, die Tote am Fluss?

»Welche Tote? Was?«

»Ich dachte, du schaust abends immer die Fernsehnachrichten?«

»Die Katze hat auf die Glotze gekotzt. Und ich kann mir die Reparatur nicht leisten.«

»Gestern wurde eine Leiche an der Uferböschung gefunden. Als man ihre Taschen durchgesehen hatte, bekam Hep einen Anruf. Sie denken, es ist Heps Enkelin Maddy. Ich stecke hier auf der Arbeit fest, und …«

»Warte mal, warte.« Denis war der beste Sozialarbeiter, der mir je begegnet war, sehr solide und seriös, aber auch von Berufs wegen geübt darin, das Wichtigste ohne emotionales Tamtam blitzartig zu berichten. Nach einem Jahr fernab von alldem war ich es nicht mehr. Dass Bun auf den Fernseher gekotzt hatte, woraufhin dieser mehrfach implodierte, war bei mir das Aufregendste im ganzen Monat gewesen.

»Himmel, Arsch und Judy Garland! Was ist los mit dir, Mädchen? Konzentrier dich! Ich komme hier nicht weg, kannst du dich mit Hep treffen und ihr beistehen?«

»Wo?«

»Im Leichenschauhaus.«

2 Changes In Attitudes, Changes In Latitudes

Das änderte die Tagesatmosphäre.

Ich schlüpfte in ein seidenes Spaghettiträgerhemd und eine Panty, fuhr mir mit einem Deostick unter die Achseln und zog etwas Unauffälliges, Neutrales und der Hitze Angemessenes darüber, dann legte ich das letzte Fischstäbchen vom Vorabend in Buns Futterschüssel und fuhr in die Vorstadt.

3 Underwear My Baby Is Tonight?

Hat meine Oma immer gesagt. Es fiel mir wieder ein, als ich auf dem U-Bahn-Bahnsteig wartete und hoffte, dass heute nicht der Tag der zweitschlimmsten U-Bahn-Katastrophe Kanadas sein sollte, wobei ich mir heimlich meine Panty zurechtzog, die mir auf dem kurzen, schweißtreibenden Weg zur U-Bahn in die Poritze gerutscht war. Was soll ich sagen: Billigware. Ich sollte Hep abholen (wir nannten sie immer so: Sie stand selbst auch auf ihre Doppelgängerin) und sie in ihrem eigenen Wagen zum Leichenschauhaus fahren, damit sie dort ihre Enkeltochter identifizierte.

Eine obdachlose Asiatin kramte in den Mülleimern. Wir redeten ein bisschen darüber, welche aus dem Müll gefischten Lebensmittel noch genießbar waren. Ich gab ihr alles, was ich in der Tasche hatte: ein Busticket, zehn Cent und einen Penny. Dafür gab sie mir ein Infoblatt mit dem Taubstummenalphabet, das sie auf der Straße aufgelesen hatte – es waren schwarze Abdrücke von einem Gucci-Slipper darauf und eine Ecke war abgerissen, so dass man das »A« nicht mehr lesen konnte –, weshalb wir beide überzeugt sein durften, dass ein fairer Handel stattgefunden hatte und keine Almosen verteilt worden waren.

Der Zug kam gerade noch rechtzeitig. Die Pommes, die sie gerettet hatte und jetzt aß, waren mir schon verlockend erschienen.

4 With the Bentfin Boomer Boys …

Im Leichenschauhaus verging mir dann aber der Appetit, möglicherweise für den Rest meines Lebens.

Außerdem nahm ich mir vor, früher als alle meine Bekannten zu sterben, um auf keinen Fall so was noch mal machen zu müssen.

Ich hatte Hep und ihren Wagen bei ihr zu Hause eingesammelt. Mit ihrem Hut und so weiter gab sie eine ziemlich gute Hepburn ab, aber ihre Hände zitterten. Die Fotos von ihrer Enkelin, die normalerweise auf dem Kaminsims standen, lagen jetzt auf dem Küchentisch, und die zerknüllten, feuchten Taschentücher (Hep verwendete welche aus Leinen) daneben bestätigten, was schon ihre geröteten Augen verrieten. Ich betrachtete die Bilder eindringlicher, als ich es je getan hatte, und fühlte mich verstörenderweise durch das mir trotzig entgegenstarrende Kind an meine eigene Teenagerzeit erinnert. Ein bisschen sah sie sogar aus wie ich damals.

Hep schaute mir über die Schulter. »Hab sie erst letzte Woche gesehen. Ich hab ihr Geld zum Geburtstag geschenkt. Hier sind die Autoschlüssel …«

Auf der Bahre sah Heps Enkelin noch schlimmer aus als auf den Fotos. Kein Witz. Abgesehen von der Leichenblässe und den fleckigen Blutstauungen, die vermuten ließen, dass sie auf der Seite gelegen hatte, fiel einem unweigerlich auf, dass das Mädchen schreckliche Haut, Extensions und eingerissene Fingernägel hatte und außerdem viel zu stark geschminkt war.

Im Gesicht war sie unverletzt, auch am Oberkörper und den Armen. Mehr bekamen wir nicht zu sehen. Hep wurde der von ihr selbst unterzeichnete Scheck gezeigt, den sie ihrer Enkelin geschenkt hatte und den diese in einer geheimen Tasche ihrer Lederjacke verstaut hatte.

»Das ist meine Enkelin. Madeline Pritchard. Ja, Madeline Pritchard. Und ja, sie wurde nach mir benannt.«

5 Saufen mit Katharine Hepburn

Ich ließ Hep direkt vor dem Haus aussteigen, parkte allein. Als ich dann auch reinging, hatte sie Hut und Schal bereits ausgezogen, die Schuhe von den Füßen getreten und kam mit zwei großen beschlagenen Gläsern Eistee, in denen Eiswürfel klapperten, durch die Hintertür in den Garten.

»Madeline Pritchard«, sagte sie nachdenklich. »Wie ich. Maddys Mutter hat nie geheiratet. War auch besser so. Der Kerl war ein Arsch. Nachdem er sich verzogen hatte, fanden wir heraus, dass sein Name falsch und seine Lebensgeschichte frei erfunden war, total halbseiden. Keine Ahnung, woher der Begriff kommt. Seide ist doch eigentlich was Edles. Der Typ ganz bestimmt nicht. Wir haben nie rausbekommen, wer er wirklich war.«

»Aber sie wurde nach dir benannt?«

»Ihre Mutter hat mich geliebt. Nach ihrem Tod hat die Kleine eine Weile bei mir gewohnt. Wir mussten uns überlegen, wie wir uns nennen, um Verwechslungen zu vermeiden, und haben uns neue Namen ausgedacht …«

»Ich heiße Artemisia Gentileschi«, sagte ich, nahm ein Glas und schüttelte ihre ausgestreckte Hand. Sie lachte.

»Der ist neu.«

»Ich übe schon mal für die Kleinanzeigen. Artemisia klingt nach reiner Freude, findest du nicht?«

Mit Hep kann man über so was reden, sie erwidert dann zum Beispiel: »Zu gebildet. Die wollen eine Angela, mit dicken Titten, französisch und anal, gerne auch mit mehreren.«

»Ich vermute mal, du hast mitbekommen, was deine Enkelin so getrieben hat.«

»Ja, wir waren … sehr eng.«

Ich sah die Mittsechzigerin vor mir an, schlank, adrett und diszipliniert, dann betrachtete ich den gepflegten Vorstadtrasen unter unseren Füßen. »Eng?«

»Das heißt, wir hatten uns gern. Wir konnten miteinander reden, auch wenn mir Gott weiß nicht immer gefallen hat, was ich da zu hören bekam …« Sie drehte sich abrupt um und ging in den Schatten voraus. »Weißt du, ich glaube, ich war nicht bereit für diese neue Art von Kleinanzeigen. Ich war noch auf dem Stand von ›mag Hunde, Wanderungen und ein romantisches Dinner‹. Inzwischen bedeutet ›mag Hunde‹ ja was ganz anderes.«

Vorsichtig stellte sie ihr Glas auf einem weiß gestrichenen gusseisernen Tischchen ab und setzte sich auf einen der dazu passenden Stühle.

»Rühr um – ich hab noch nicht.«

Als ich mich setzte, beugte sie sich plötzlich vor, schnappte sich ihr Glas, trank es in wenigen Zügen aus und warf es anschließend treffsicher an die rau verputzte Hauswand. Die Scherben fielen in den perfekten englischen Garten.

Ich hatte gerade selbst einen Schluck nehmen wollen. Fast hätte ich mein Glas fallen lassen, als ich schmeckte, was das war. Wenn sich Tee überhaupt unter den Zutaten befand, war ich eine Vorstadthausfrau. Hep hatte einen ausgewachsenen Long Island Iced Tea auf ex geleert, 120 ml Dynamit im Glas.

Es dauerte nicht lange, bis ich es Hep gleichtat. Als Denis nach der Arbeit vorbeikam, saßen wir immer noch dort, und Hep war geistesgegenwärtig genug, um ihm ebenfalls etwas von dem Teufelszeug zu mixen, von dem wir uns inzwischen mehrere Gläser genehmigt hatten.

6 Delirium vortrefflich

Denis und ich fielen in unseren Notfallmodus und spielten den ganzen Nachmittag Theater, um Hep abzulenken. »Hey, Denis, meinst du, ich wäre ein gutes Callgirl?«

»Du bist zu alt. Telefonsex ist deine einzige Chance, Mädchen.« Und so weiter. Es war harte Arbeit.

Schließlich bremste Hep uns aus. »Hört auf mit dem Mist. Hört mir zu. Jemand hat Maddy umgebracht, und ich will wissen, wer das war. Und ich will, dass du’s für mich herausfindest.« Dabei zeigte sie auf mich.

»Ich?«

»Kreisch nicht so, das tut mir in den Ohren weh«, sagte Denis.

»Ich liebe Madeline sehr«, sagte Hep bestimmt, »und ich spreche absichtlich in der Gegenwart. Sie ist tot. Ich nicht. Ich habe den Tag heute melancholisch in Selbstmitleid, Trauer und Wut verbracht, und je betrunkener ich wurde, umso mehr hat die Wut gesiegt. Ich will unbedingt, dass Maddys Mörder gefunden wird.«

Hep redete wie mein Englischlehrer auf der Highschool, ein kleiner, eleganter Mann mit grünen Augen und weißen Haaren. Wenn ich’s mir recht überlege, war ich in ihn verschossen gewesen.

»Die Polizei«, sagte ich in der Überzeugung eine perfekte Kanadierin zu sein, obwohl ich aus meiner Zeit als Sozialarbeiterin sehr wohl wusste, dass die Möglichkeiten derselben gewissermaßen begrenzt sind.

»Ich glaube an die Polizei. Ich glaube an Recht und Ordnung, und den ganzen Scheiß. Aber die sehen nur eine tote Nutte, die vermutlich von einem Freier ermordet wurde.« Aus Heps wohlanständigen Mund klang das wahrhaftig verächtlich. »Ich bin nicht bereit, die Aufklärung dieses Falls einem überarbeiteten Polizisten zu überlassen, der zu viele ähnliche Fälle und Vorurteile hat. Und ich selbst kann’s nicht.«

Sie war, wie sie häufig scherzte, eine alte Schabracke. Als sie meinen skeptischen Blick sah, deutete sie ihn richtig. »Nicht weil ich zu alt und schwach dafür wäre«, sagte sie scharf. »Sondern weil ich zu wütend bin. Ich würde potentielle Zeugen nur schikanieren und quälen. Und umbringen wollen, wen auch immer ich für schuldig halte. Beides würde mir nicht gelingen. Und außerdem, sieh mich doch an. Man muss ein bisschen was wissen über Maddys Welt. Meinst du, die würden mich überhaupt beachten?«

»Meinst du, mich etwa?«

Sie lachte. »Die Ringe in deiner Nase und den Nippeln dürften sie überzeugen.«

»Ich hab gar keine an den Nippeln«, sagte ich unwillkürlich.

»Du wirst ja rot«, erwiderte sie. Ich wandte den Blick ab. Bislang hatte meine Selbstdisziplin Annäherungsversuche bei Hep verhindert, aber der Alkohol ließ sie schwinden und raubte mir außerdem die Fähigkeit zu beurteilen, ob sie mich ihrerseits auf ihre würdevolle Art verführen wollte – wobei mir nicht in meinen benebelten Kopf ging, wie sie es geschafft hatte, Drink für Drink mit mir mitzuhalten und einigermaßen klar zu bleiben. Außerdem war ich inzwischen so ausgehungert, dass ich meinen eigenen Impulsen nicht mehr trauen durfte. Ich hatte praktisch Interesse an jedem einigermaßen intelligenten und gesunden Warmblüter. Auch an solchen, die nicht beide Kriterien erfüllten. Ich handelte also völlig unbegründet, was die Situation noch schlimmer machte. Ist das Leben vernünftig? Meins wohl kaum.

»Das ist doch albern«, sagte ich. »Ich bin Sozialarbeiterin im unfreiwilligen Ruhestand. Oder anders gesagt, abgewickelte Sozialarbeiterin. Seit über einem Jahr habe ich nichts Mitfühlendes mehr gesagt, höchstens zu meinem Kater. Eigentlich nicht mal zu dem, diesem Mistvieh. Was qualifiziert mich denn als Sam Spade?«

»Da kommt wieder dein Sexismus zum Vorschein. Was ist mit Miss Marple …«

»Du bist Miss Marple …«

»… oder Kate Henry, Victoria Warshawski, Kinsey Millhone, Joanne Killbourn oder …?«

»Ach, halt die Klappe«, sagte ich und vergaß dabei, dass ich die Irre von Chaillot vor mir hatte.

»Allmählich kommen wir ein Stück weiter«, sagte sie.

7 Prozac morgen?

»Kommen wir nicht«, sagte ich. »Kannst dir die Wahrheit ruhig anhören. Ich verbringe meine Tage damit, die Wand anzustarren und mir auszumalen, wie ich meinen Kater ausweide und seine Organe der verfluchten Göttin opfere, die in jüngster Zeit mein Leben organisiert. Ich bin so deprimiert, dass ich Selbstmord begehen würde, wenn ich mich nur dazu aufraffen könnte, aber das ist mir zu proaktiv. Ich weiß nichts über die Welt des Verbrechens. Ich lese Krimis von Dick Francis, die viel zu nett sind und in einem anderen Land spielen.«

»Und außerdem, die Kleine ist längst tot«, sagte Hep leise.

Wir verstummten.

8 Habgier ist die Wurzel allen Übels

»Hör mal, Kiddo«, sagte Denis schließlich, »du brauchst einen Job. Und Hep braucht jemanden, der anderen knallharte Fragen stellt, ohne ihnen auf den Schlips zu treten. Das kann niemand so gut wie eine ausgebildete Sozialarbeiterin. Hep hat das Geld, dich auf Stundenbasis zu bezahlen.«

»Wann habt ihr beiden das ausgeheckt und entschieden, dass ich die neue Nancy Drew werde?«

»Bevor ich dich angerufen hab«, sagte Denis ausreichend unbetrunken, um noch betreten zu gucken. (Wir guckten dagegen einfach nur betrunken.)

»Wieso zum Teufel hast du mir das nicht gleich gesagt? Dann wäre ich mit Bunnywit zu Hause geblieben und hätte Fliegen gefressen. Vergiss es. Ich hab meine neue Karriere längst geplant. AAAAAlthea. Lyrisch und lüstern. Pro Minute, Stunde oder Woche. Alles, was du willst. Wie klingt das?«

»Bescheuert. Heutzutage brauchst du einen Folterkeller und eine Videoausrüstung im Wert von sechstausend Dollar, um mit Sex Geld zu verdienen. Und Althea? Ist das dein Ernst? Wieso nimmst du nicht einfach deinen … Scheiße, du willst mich bloß ablenken. Du brauchst eine Einnahmequelle, sei’s auch nur, um deinen riesigen Schuldenberg bei mir abzutragen. Wobei ich natürlich niemals so unhöflich wäre, damit anzufangen, nur weil ich dich überreden will.«

Hep nannte ein Stundenhonorar, das mein unverhältnismäßig aufgeblasenes und zügelloses Unterbewusstsein in die Knie zwang und mich mithilfe emotionaler Erpressung, der Erinnerung an die Höhe meiner Schulden bei Denis, meines leeren Kühlschranks, des Anblicks des toten Mädchens sowie aus reiner Habgier bewog – vorläufig und nur unter der Voraussetzung, dass ich die Entscheidung nüchtern bestätigen würde –, meine Karriere als Callgirl an den Nagel zu hängen und Detektivin zu werden.

9 Fischstäbchen

Auf dem Heimweg machte ich Station und gab einen Teil meines Vorschusses für Essen aus. Einen großen Teil sogar. Was einen Rückzieher mehr oder weniger unmöglich machte.

Als ich zurückkam, hatte der Kater das letzte Fischstäbchen auf dem Wohnzimmerteppich zerlegt. Offenbar hielt er es für ungenießbar. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Am Abend zuvor hatte ich dieselbe Erfahrung gemacht, aber die bereits angebrochene, halbleere Packung mit den tiefgefrorenen Fischstäbchen war das Letzte im Gefrierfach gewesen, also war mir nichts anderes übriggeblieben, als es damit zu probieren. Trotzdem schimpfte ich dreißig Sekunden lang mit ihm, warf die größeren Brocken weg und öffnete die Dose, die ich mitgebracht hatte. Er stürzte sich darauf wie ein Verhungernder. Der er vermutlich war. Ich fand selbst auch, dass es ganz schön gut roch, was bedenklich auf meinen eigenen Zustand schließen ließ.

Außerdem hatte ich noch ein Steak mitgebracht. Später lagen Bun und ich auf der Couch, satt und müde. Hätte mir Maddys Großmutter nicht die Bilder von ihrer Enkelin gezeigt, wäre ich wahrscheinlich eingeschlafen.

10 Hatte mal Katze – schmeckte wie Huhn

Mein Kater heißt Bunnywit. Eigentlich Fuckwit, aber nachdem ich ihn eine Weile lang hatte, wurde mir bewusst, dass ich ihn nicht anschreien konnte, wenn mich der klägliche Rest meiner sogenannten Familie besuchte und er dann dadurch mit so viel Mist ungeschoren davonkam, so dass ich ihn schließlich doch in Bunnywit umbenannte. Nach wahrer Katermanier reagierte er aber meistens doch nur auf Fuckwit. Ist erst ein paar Monate her und wir arbeiten noch dran.

Fuckwi … äh, Bunnywit ist der perfekte Resonanzboden. Dumm, kätzisch und rorschach-artig bewegt er sich in einer anderen Welt. Ich kann so tun, als würde ich mit ihm reden und wie beim Tarot oder I Ging durch ihn zu einer höheren Wahrheit gelangen. Wenn ich sage, ich hätte mich mit Bunnywit beraten, dürft ihr bitte nicht denken, ich hätte ihn irgendwas gefragt. Es handelt sich dabei eher um eine Form des Weissagens anhand von Eingeweiden. Nur dass ich mir nicht jedes Mal, wenn ich eine Lebenskrise durchmache, einen neuen Kater leisten kann. Deshalb lasse ich seine Eingeweide lieber da, wo sie hingehören. Aber mit Eingeweiden hatte es was zu tun. Nachdem ich ihn ungefähr zwanzig Minuten lang schweigend angestarrt hatte, ging Bunnywit in seiner Ahnungslosigkeit vollkommen ungerührt zu seiner leeren Futterschüssel und maunzte. Das war nicht unbedingt ein Zeichen des Himmels, aber es trieb mich aus dem Sessel, und das allein besaß auch schon ein gewisses symbolisches Gewicht.

Isabel, Isabel didn’t care,

11 Der Klang von Geld und Gloria

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, kam ich zu dem Schluss, dass neben allen gefährlichen Situationen, in die ich mich beruflich oder in meiner Freizeit je begeben hatte, dies das Blödeste war, wozu ich mich je bereit erklärt hatte. Na ja, eigentlich erst am nächsten Mittag, was aber daran lag, dass ich die Nacht größtenteils wach gelegen und darüber nachgedacht hatte, wie ich einen Mordfall aufklären sollte. Ich war alle billigen Thriller durchgegangen, die ich im Kopf hatte, weil ich hoffte, davon zu lernen, aber mir kam die Sache immer haarsträubender vor. Wieso hatte ich mich von dem vielen Geld so beeindrucken lassen?

Das viele Geld, riefen mir Buns Eingeweide in Erinnerung, und der Klang von Heps Stimme, während sie über ihre tote Enkeltochter sprach.

Die Fotos von Maddy lagen auf dem Tisch.

»Sie war nicht unbedingt originell«, hatte Hep gesagt, »konnte aber ganz schön ironisch sein. Was ihre Rettung war. Sie hat davon gesprochen, dass sie von der Droge runter und ein anderes Leben wollte, mit Vicki zusammen zur Ruhe kommen, ihrer Mitbewohnerin und Freundin – und glücklich sein, bis an ihr Lebensende.«

Auf dem ersten Foto sah Maddy schrecklich aus. Sie hatte versucht, sich für ein Essen bei ihrer Großmutter schick zu machen, aber es hatte nicht funktioniert. An ihren kaputtgefärbten Haaren, ihrer schlechten Haut und ihren Augenringen ließ sich nicht viel ändern. Ihre Freundin Vicki sah genauso schlimm aus. Sie hingen aufeinander wie zwei schmale Pfeiler, die nichts stützten. Sie trugen nuttige Klamotten und grinsten wie Highschool-Schülerinnen. Scheiße, das waren sie ja auch – oder zumindest hätte Maddy eine sein können.

Nicht dass ich noch Ahnung von Highschool-Schülerinnen gehabt hätte. Wenn überhaupt, hatte ich höchstens mal welche aus der Ferne beobachtet, wenn sie in ihren schwarzen Armeestiefeln und mit Glitzerohrringen durch die Innenstadt spazierten und sich unter den Fenstern meiner Wohnung postmodern anzickten.

Als Hep mir die Fotos gab, hatte sie noch ein weiteres dazugelegt. Einen Schnappschuss, den Vicki aufgenommen hatte, sagte sie. Darauf trug Maddy Fick-mich-Stiefel bis zu den Oberschenkeln, einen Mikrorock und ein abgeschnittenes T-Shirt. Sie war zu stark geschminkt und sah aus wie eine Drag Queen.

Hep betrachtete das Bild traurig. »Sie wollte immer unbedingt wie eine Erwachsene von mir behandelt werden«, sagte sie. »Jetzt frage ich mich, ob das falsch war. Besser gesagt, ich habe mich das gefragt. Hätte ich sie schnappen und mit nach Hause nehmen sollen, einfach umpolen, so wie diese Idioten ihre schwulen Söhne? Hätte ich mich von meinen überzogenen Vorstellungen von Respekt verabschieden müssen? Sie war nicht toll, bloß ein armes, vom Leben ausgekotztes Ding, aber ich hab sie geliebt. Ich liebe sie immer noch. Mehr ist es nicht.«

»Immerhin kommt’s darauf an«, sagte ich. Hep blickte auf, und ich glaube, sie hörte meinen Kompromiss zwischen »nur darauf kommt es an«, was die Sozialarbeiterin vor einem Jahr noch gesagt hätte, und »immerhin etwas … oder auch nicht«, was ich mich zu denken fürchtete.

Im kalten Licht des Morgens – also eigentlich dem der warmen Mittagssonne eines weiteren heißen Tages – schüttelte ich Brekkies in Fuck … äh, Bunnywits Schüssel. Ich war so müde, dass ich mich kaum rühren konnte. Aber das war nichts Physisches. Ich bestieg einen Berg aus Verzweiflung und mangelnder Selbstachtung. Egal, wie gut ich das von der Therapeutinnenseite aus kannte, es war dieselbe schwarze Wolke. Bunnywit war ungewöhnlich zutraulich: Er rieb sich an meiner Hand, während ich seine Wasserschüssel auffüllte, und leckte meine Finger. Ich stellte mir vor, ich wäre eine Katze. Eine große Hand würde mich hinter den Ohren kraulen. Mir Brekkies als Belohnung für Kunststückchen geben. Wahrscheinlich hätte ich sie gebissen.

Ich schüttelte mich. Bun knackte das harte Katzenfutter zwischen seinen Zähnen mit einem Geräusch, das klang, als würde eine ganze Rattenarmee an den Grundpfeilern meines Selbstverständnisses nagen. Darüber musste ich lachen. Allmählich wurde ich gefühlsduselig, dabei stand die Sonne noch hoch am Himmel.

Mittwochnachmittags arbeitete ich normalerweise ehrenamtlich in der Abtreibungsklinik, aber heute nicht. Ich meldete mich krank (und müde) und nahm meine Brieftasche. Erst mal zur Bank, die Fünfziger loswerden, und dann zur Polizeiwache.

12 Ich nehme Fünfziger und Dreier

Bei der Bank freute man sich, mich zu sehen – am Tag zuvor hatte ich meinen Dispo überschritten und um fünf Uhr einen Anruf bekommen, in dem mir mitgeteilt wurde, ich müsse mein Konto bis zwei Uhr nachmittags ausgleichen, sonst würde meine Mietüberweisung nicht ausgeführt. Weil meine Vermieterin Chefin einer sehr lautstark agierenden Anti-Gay-Rights-Lobby war und ich ebenso lautstark geoutet bi[1] , wollte ich lieber gar nicht erst auffallen. Als ich die Bank verließ, befand sich mein Konto erstmals seit Monaten wieder in den schwarzen Zahlen, und nach dem Erwerb eines Mehrfachtickets für den öffentlichen Nahverkehr hatte ich immer noch zweihundert Dollar in der Tasche.

13 Roger

Der Detective, der sich mit Maddys Fall befasste, tippte einen Bericht in den Computer und aß dabei einen Donut. Aber nicht nur das, ich kannte ihn. Früher, als ich vor ach so vielen Jahren mit Teenagern gearbeitet hatte, war er bei der Sitte gewesen. Als meine Einrichtung aufgrund von Haushaltskürzungen geschlossen wurde, verlor ich den Kontakt zu den Leuten dort. Aber hier war er wieder.

»Ist die Mordkommission denn auch was für Quereinsteiger?«, fragte ich von der Tür aus. »Oder haben sie dich strafversetzt, weil du bei der Arbeit Donuts isst?«

Er erkannte mich nicht auf Anhieb, sprang dann aber auf und entfaltete seine ganzen eins achtundneunzig. »Bist …«

»Bin ich’s wirklich? Ja, na klar, Rog. So eigenartig das auch erscheinen mag.«

Er umarmte mich. »Hab dich gar nicht erkannt, so femme.« Als Roger und ich involviert waren, hatte ich noch einen Bürstenschnitt und viel mehr Attitude. Komischerweise war das aber, bevor ich mit Frauen und Männern schlief, und trotzdem hatte es eine Weile gedauert, bis ich ihn überzeugen konnte, dass ich keine Lesbe war – eine ganze halbe Stunde vielleicht, wenn ich mich recht erinnere, wonach er sich allerdings deutlich aufgeknöpfter zeigte. Aber das war lange her.

»Madeline Pritchard.«

»Was ist mit ihr? Hattest du was mit ihr zu tun? Bei welcher Agentur bist du jetzt?«

»Bei gar keiner mehr. Ich wurde wegrationalisiert. Ich bin mit ihrer Großmutter befreundet. Sie will wissen, was passiert ist, und braucht ein bisschen Hilfe.«

»Madeline Pritchard wurde umgebracht. Machst du jetzt Trauerbegleitung?«

»Nee. Ich stelle Fragen.«

»Wie? Als Privatdetektivin? Dafür braucht man doch eine Lizenz, oder?«

»Roger, ich hab keine Ahnung. Ich bin seit einer Ewigkeit arbeitslos, und Hep – Maddy senior für dich – hat mir einen Job angeboten, ich soll ein paar Fragen über ihre Enkeltochter stellen. Ich gebe zu, die haben mir den Kopf verdreht. Meine Miete wurde nicht mehr abgebucht, und ich brauche eine Verschnaufpause. Weil du’s bist und nicht irgendein Fernsehcop mit Testosteronüberschuss, kannst du mir vielleicht sagen, was jetzt als Nächstes passiert?«

»Na ja, wir wenden uns an die Presse …«

»Seid ihr denn so verzweifelt?«

»Schon. An sich ist es der übliche Mist. Eine tote Prostituierte. Aber irgendwas stimmt nicht.«

»Was?«

Er starrte aus dem Fenster.

»Roger? Was?«

»Kein Sperma. Kein Sperma, kein Gleitgel, kein Gummihandschuhpuder, keine Hinweise auf professionelle Aktivitäten. Und der Drogengehalt der Gewebeproben ist zu niedrig.«

»Zu niedrig?«

»Die Einstiche sind frisch, nicht post mortem oder so, aber frisch. Vielleicht sollen wir eine Überdosis vermuten? Die Freundin hat gesagt, die Kleine wollte aufhören. Und laut dem Pathologen hatte sie das auch. Also, was war das? Ein Ablenkungsmanöver? Aber wovon, was steckt dahinter? Und …«

»Und?«

»Und sie hatte den Scheck nicht eingelöst.«

14 Sie hätte später sterben können

Der Anblick des toten Mädchens verfolgte mich. Als ich zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn in der Kinderfürsorge arbeitete, war ich mit vielen Jugendlichen ins Krankenhaus gefahren, ließ Selbstverstümmelungen und Überdosen behandeln. Bei drei Selbstmordfällen war ich nicht im Dienst. Und ich habe nie bedauert, diese Erfahrung nicht gemacht zu haben. Vor Maddy hatte ich zwei weitere Tote gesehen und den Unterschied zwischen tot und lebendig als unheimlich und mysteriös empfunden, es machte mich nachdenklich und zittrig. Aber mein Gefühl rührte nicht daher, dass ich mich mit Sterblichkeit konfrontiert sah: Heps Wut fand einen Nachhall in meiner eigenen, die auf meine Zeit bei der Jugendfürsorge zurückging. Das Mädchen war im Leben wie im Tod brutal missbraucht worden.

Wie Big Rog nannte ich sie auch die »Kleine« oder »Mädchen«, obwohl sie schon zwanzig Jahre alt war, wie sich später herausstellte. Dünn, verletzlich und mit ihren strähnigen Haaren hatte sie allerdings eher wie ein Teenager ausgesehen. Als ich mit »straffälligen« Jugendlichen zu arbeiten begonnen hatte, war ich selbst erst zwanzig gewesen und hatte mich alt gefühlt (besonders in Hinblick auf das, was ich selbst vorher mitgemacht hatte). Inzwischen war ich fast doppelt so alt, aber Maddy, die das Gefühl gehabt haben musste, in ihrem kurzen Leben ein ganzes Jahrtausend hinter sich zu bringen, wirkte sogar im Leichenschauhaus noch wie ein Kind.

Sie hatte junge, aber schlechte Haut: kaum Falten oder Lachfältchen – vor allem letztere nicht. Ihr ungesundes Leben hatte ihrem Teint eine teigige Konsistenz verliehen, sie wirkte aufgedunsen und käsig, auch wenn sie sich noch nicht in gegerbtes Leder oder eine Dörrpflaume verwandelt hatte, wie Frauen meines Alters.

Ich betrachtete mein Gesicht im Spiegel. Lachfältchen na klar, aber insgesamt sah ich jünger aus, als ich war, und zwar so sehr, dass es sich in meinem Beruf hin und wieder nachteilig ausgewirkt hatte. Eben war ich mir bei dem Gedanken an Maddy noch alt vorgekommen. Jetzt fühlte ich mich jung – jung und glücklich, am Leben zu sein. Ich hing an einem emotionalen Jo-Jo, drehte mich an der Schnur des menschlichen Daseins im Kreis.

15 A white sports coat and a pink carnation

Vicki war eine gefärbte Blondine mit so unglaublichen, gemachten Silikondingern, dass sie an eine Miniversion der »schönen She-males« in den Kontaktanzeigen erinnerte, aber der schäbige, pinke Nylonbody in Kombination mit einer frischen Enthaarung ließ keinen Zweifel an ihrer genitalen Konfiguration. Sie hatte geweint, trug einen puffroten Hausmantel aus Rayon über der scharfen rosa Unterwäsche und dazu große ausgestopfte Hühnerpantoffeln. Ich schlussfolgerte, dass Maddy sie ihr geschenkt hatte, was nicht schwer war: Über dem Kaminsims hing ein auf dünnem Kopierpapier ausgedruckter Schnappschuss, eine Art Selfie der beiden zusammen, verschwommen und lachend, inmitten von Geschenkpapier. Sie hatten die gleichen Pantoffeln an den Füßen und kickten sie in die Luft.

Vicki schenkte sich eine CokeTM ein und mir auch. »Wir haben nichts Alkoholisches im Haus«, sagte sie. »Wir waren die beiden dämlichsten verdrogten Schlampen, die du je gesehen hast: kein Alk und kein Supermarktkuchen. Kannst du dir das vorstellen? Wir dachten, wir leben gesund, wenn wir zwei Stück Schokolade pro Tag essen und frischen Kopfsalat im Haus haben.« Sie schnaubte. »Als wir in die Klinik sind, hat uns die Frau dort erst mal gesagt, dass wir eine Hundertfünfzig-Watt-Birne in die Fassung im Bad schrauben sollen. Mann, immer wenn’s uns schwerfiel, unser Versprechen zu halten, sind wir da rein und haben uns im Spiegel angeschaut. Da hat man’s besser gesehen. Wenn ich ihr in die Augen geschaut hab, Mann, da bin ich immer noch drin versunken. Wahrscheinlich findest du das krank.«

»Wieso denn krank?«

»Zwei lesbische Junkienutten, erbärmlich.«

»Normalerweise mach ich das nicht gleich beim ersten Date«, sagte ich und zog meinen Rock hoch. An den Oberschenkeln, wo praktisch nie jemand bei Tageslicht hinschaut, waren die alten Einstiche noch zu sehen. Nicht viele, ich hatte Glück, aber genug, um damit in therapeutischen und anderen Situationen das Eis zu brechen. »Ich bin vielleicht doppelt so alt wie du, Cupcake, aber das Abkacken hast du nicht erfunden. Leute wie du und Maddy bauen schon seit Anbeginn der Zeit Scheiße – oder, sagen wir mal, seit der Erfindung der Spritze.«

»Aber jetzt bist du clean.«

»Die haben mich mit fünfzehn in die Geschlossene gesteckt. Deshalb bin ich Sozialarbeiterin geworden – ich denke, die haben mir das Leben gerettet.«

»Bei mir waren das die Schwestern im Heim für unverheiratete Mütter. Ob du’s glaubst oder nicht, ich hab sogar ein Semester am College studiert. Hab immer gesagt, ich will dahin zurück.«

»Wie alt bist du?«

»Dreiundzwanzig.«

»Siehst aus wie dreizehn. Abgesehen von den Titten.«

»Na ja, ist meine Masche. Schuluniformen. Die Titten sind dann für später.«

»Machst du auch Folterkram?«, fragte ich zerstreut. »Inserierst du? Fessel-Frida, 110–60–85 und so?«

»Willst du einsteigen?«

»Na ja, also bis gestern bin ich sonst nirgendwo vorangekommen. Jetzt arbeite ich anscheinend für Maddys Großmutter, versuche Infos einzuholen.«

»Wie eine Detektivin?«

»Dafür würde ich eine Lizenz brauchen. Glaube ich. Außerdem bin ich ja nicht bescheuert. Wenn ich was rausfinde, geb ich’s sofort an die Polizei weiter. Die sollen schön selbst die Türen aufbrechen und Leute festnehmen.«

Sie lachte. Die Fassade fiel, einen Augenblick lang war sie sie selbst, und ich sah in ihr, was Maddy gesehen hatte. Aber was hatte sie umgekehrt in Maddy gesehen?

Ich fragte sie.

16 Vickis Geschichte

Weiß nicht. Sie war cool. Sie war einfach in jeder Situation immer cool. Sie hat mich drauf gebracht, dass ich am Leben bleiben will. Vorher war’s mir egal. Ich war der klassische Fall fürs kleine Fernsehspiel, mein Stiefvater hat mich gefickt und geschwängert, ich hab das Kind weggegeben, es am College versucht, und dann bin ich einfach kaputtgegangen. Als ich sie kennengelernt hab, wär’s fast vorbei mit mir gewesen. Hör dir die Bitches im Jugendknast an, wenn die über Selbstachtung reden, was wissen die schon? Die steigen mit seidenen Hemden und goldenen Kettchen in den Whirlpool, Mann. Die haben nicht mal eingerissene Fingernägel.

Sie hat’s auf die Reihe bekommen. Wirklich. Das war niemals eine Überdosis, dieser Roger-Rabbit-Cop hat mir das gesagt. Weiß nicht, ob wir ganz ausgestiegen wären, aber wir waren unabhängig: hatten keinen Zuhälter, der uns an die Matratze kettet. Wenn ich’s mir überlege, wahrscheinlich hätten wir inseriert, wie du gesagt hast. Aber vielleicht eher in Vancouver. Oder Victoria, ich hab gehört, da soll’s schön sein.

17 Fernfahrer sucht Begleitung auf langen Strecken: Fahrstunden inbegriffen

Wir spielten ein paar sinnlose Ideen durch. Schließlich beschlossen wir, dass wir passende hohe Absätze besorgen würden und ich mich am Sonntagabend, eine Woche nach Maddys Ermordung, mit Vicki auf die Straße stellen sollte. Mal sehen, was sich so ergab.

»Die Sonntage sind ganz schön tot«, sagte sie, dann wurde sie rot vor Verzweiflung, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie stand auf und rannte ins Schlafzimmer, stieß dort aber offenbar auf etwas, das sie ablenkte: Wenig später kam sie mit den Fick-mich-Stiefeln zurück, die Maddy auf Heps Foto getragen hatte.

»Hatte anscheinend doch noch was Gutes, dass sie so große Füße hatte«, sagte sie. »Probier die mal.«

Danke auch, Kleines, dachte ich, aber sie fuhr ungerührt fort. »Für Fünfzehn-Zentimeter-Hacken wie die brauchst du große Füße. Mann, wir haben die Transen vielleicht beneidet. Wenn du Größe 44 hast, sind fünfzehn Zentimeter gar nichts. Aber bei Größe 37 musst du die Zehen abpolstern, und dann tun sie immer noch höllisch weh. Wahrscheinlich mach ich deshalb auf Suzy Creamcheese. Da kannst du in Mary Janes gehen.«

»Deshalb beschweren sich Drag Queens nie über die Schuhe!«, sagte ich. »Hey, die passen.«

Vickis Gesichtsausdruck war eine eigenartige Mischung aus verwundet und stolz. Ich beugte mich vor und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Irgendwas finden wir raus«, sagte ich. »Maddy ist bestimmt gerne dabei, wenn auch nur mit dem Geist ihrer Stiefel.«

»Das ist so geschmacklos«, sagte sie.

Wir lachten, klangen aber wie halbstarke Jungs, die verlegen über eine Vergewaltigungsszene in einem Film kichern.

18 Little Ship Of Dreams

In der Nacht träumte ich von Maddy Junior. Ich wachte auf, weil F-… Bunnywit schnurrend auf meinem Kopf saß. Schnurren bedeutet bei ihm einfach »hier bin ich, diene mir« und ist kein Anzeichen für irgendwas Bestimmtes. Zumindest hatte ich das immer gedacht. In seinen Schüsseln war Futter und Wasser, das Katzenklo war sauber, und er war nicht in Spiellaune. Als ich mich in den großen Schaukelstuhl setzte, kletterte er drauf und setzte sich wieder auf meinen Kopf, den schweren Hintern fest auf der Stuhllehne verankert. Er legte die Pfoten auf meine Schläfen und leckte mir über die Haare.

Ich döste dort ein, im Schaukelstuhl. Wachte auf, als die Luft meinen speichelfeuchten Kopf kühlte und ich Bun im Bad in seiner Box scharren hörte, dann stolperte ich wieder ins Bett. Den Großteil der Nacht verbrachte er wieder auf meinem Kopf. Vermutlich träumte ich nur deshalb nicht, weil das viel zu verdammt unbequem war.

Dass Bun ein Manx ist, hat den Vorteil, dass ich wenigstens nicht seinen Schwanz in der Nase hatte. Ausnahmsweise war ich mal froh, als es Morgen wurde. Aber ich musste ihm danken. Er hatte sein Bestes gegeben. Ich hoffte, ich war als Detektivin nicht genauso inkompetent wie Bun als Therapeut.

Ich musste mir die Haare waschen, bevor ich rausging, und das war dann wohl auch der Grund, warum es regnete.

The bear was hungry, the bear was ravenous,

19 The Stories of the Street are Mine

Die Innenstadt ist ein hungriges Biest, das seine Kinder frisst: Silberfarbene Lincoln Continentals saugen Minderjährige ein, sexuell zügellose alte Touristen aus den Vorstädten pumpen nutzlose Lust in Menschen, die sie für ebenso austauschbar halten wie die Kondome, mit denen sie sich vor potentieller Ansteckung schützen.

Sie fahren satt und selbstgefällig nach Hause und glauben, sie hätten der Straße mal wieder ein Schnippchen geschlagen, ohne zu wissen, dass die Straße sie durchschaut. Die Kids haben bei dem Handel viel mehr von ihnen gelernt als umgekehrt. Sie können sich nicht vorstellen, dass die Menschen, die sie wie Müll zurücklassen, dem Universum mehr mitzuteilen haben als deren reiche, weiße und wertlose Kundschaft.

Ich stand in Maddys Stiefeln in einem Türeingang, meine Seele und meine Füße schmerzten, und ich fragte mich bereits, ob vielleicht beide bei dieser Eskapade dauerhaft Schaden nehmen könnten.

Denis und Vicki hatten einen Riesenspaß dabei gehabt, mich aufzutakeln. Denis hatte seine Drag-Klamotten ausgepackt und mich mit einem erstaunlich winzigen Mikrorock und Riesenwimpern aufgepimpt (den ganzen Abend über kam es mir vor, als hätten sich Ringelspinnerraupen auf meinen Lidern breitgemacht, und ich musste mir große Mühe geben, nicht zum Gegenangriff überzugehen). Die beiden hatten sich kaputtgelacht, als sie mir die Haare zu einem furchterregenden Unheiligenschein auftoupierten und Denis mir einreden wollte, die alten Dehnungsstreifen auf meinem Bauch würden den von meinem Neckholder-Top freigegebenen Anblick nur noch heißer machen. Heikler hätte es eher getroffen, dachte ich, aber vorausgesetzt, mir schaute niemand genauer in mein stark geschminktes Gesicht, würde man mich wahrscheinlich für eine verbrauchte Achtundzwanzigjährige halten, das musste ich zugeben.

Was ich zum Teufel tun würde, falls mir tatsächlich jemand so nah kam, wusste ich allerdings nicht.

Als sie fertig waren, erschrak ich selbst, wie ähnlich ich Maddy auf dem Foto sah. Wenn mich die richtigen – die falschen – Leute sahen, würde ich bestimmt einige Gemüter in Wallung bringen.

20 Auftritt eines Mörders?

Hep war am Wochenende zum Essen gekommen, mit Hepburn-Hut und Klamotten, Stehkragen und Alkohol – und einem unaussprechlichen Malt Whiskey namens Laphroaig, der geschmeidig die Kehle hinunterfloss –, ich machte Meeresfrüchtepastetchen, und nur meine Sozialarbeiterethik hielt mich davon ab, passende Aktivitäten nach dem Essen anzuregen.