Dragon Tale - Herz des Drachen - Aylin Hacker - E-Book

Dragon Tale - Herz des Drachen E-Book

Aylin Hacker

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Beschreibung

Was wirst du tun, wenn dein inneres Feuer erwacht? Nachdem Monica sich an ihr neues Leben als Prinzessin gewöhnt hat, überschlagen sich die Ereignisse erneut und eine alte Bedrohung kehrt schleichend zurück. Doch auch abseits von Draconica läuft nicht alles glatt. Als wäre das nicht genug, entdeckt Monica eine neue Seite an sich, die droht, die Kontrolle zu übernehmen. Ihr inneres Feuer scheint ein ganz eigenes Leben führen zu wollen und es gibt jemanden, der behauptet, mehr zu wissen. Jemanden, den Monica niemals dachte, wiederzusehen. Monicas Geschichte geht weiter - ihre Geschichte über Feuer, Freundschaft und Abenteuer, aber vor allem - Drachen.

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Wenn die Autorin Aylin Hacker nicht gerade in fremde Welten von Büchern, JRPGs oder Filmen abgetaucht ist, bringt sie die Unmengen an Ideen und Kreativität, die in ihrem Kopf leben, zu Papier.

Aufgewachsen ist sie in einem kleinen Dorf im Norden Deutschlands, wo sie ihre Kindheit und einen Teil ihrer Jugend verbrachte.

Schon damals fand sie ihre Liebe zu Büchern – und Drachen – und hatte den Traum, Autorin zu werden. Nachdem sie im Leben herumgeirrt war und einige Richtungswechsel einschlagen hatte, fand sie zu ihren Wurzeln zurück und begann, ihr Leben dem Schreiben zu widmen.

www.dragontale.de

Für Jonas

Ohne dich hätte ich nie den Mut gehabt, diese Geschichte in die Welt hinauszutragen.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Charakterverzeichnis

Kapitel 1

Fleißiges Schreiben von verschiedenen Stiften füllte die Stille des ruhigen Klassenzimmers. Geräusche von Bleistiften, Füllern und Kugelschreibern, die aufmerksam die Zahlen auf ihr kariertes Blatt kritzelten, die Herr Bartels auf die Tafel im vorderen Bereich der Klasse schrieb. Selten war es so still gewesen. Entweder tuschelte jemand, wie Jacqueline und Chantal, die zur Abwechslung gewissenhaft über ihrem Papier hingen, oder der Beatboxer aus der hinteren Reihe versuchte sich an einem neuen Beat, doch heute blieb er ausnahmsweise stumm. Aus irgendeinem Grund war Mathe heute besonders beliebt.

Sogar Henrietta, die sich immer lautstark über Herrn Bartels, diese Bilgratte, beschwerte, saß ruhig neben mir und fand ausnahmsweise mal Gefallen an den sonst so bösen mathematischen Formeln. Ein Blick vor mich verriet mir, dass Zuleika ebenfalls voll bei der Sache war, auch wenn sich ihr nervöser Tick, mit den Beinen zu wackeln, wieder bemerkbar machte.

Nur Fiete nicht. Zwar ruhte eine Hand, den Stift fest umklammernd, auf seinem Heft, aber die diente nur als Tarnung. Unterhalb des Tisches tippte er fast unbemerkt auf seinem Handy. Das war ich sonst nicht gewohnt von ihm. Mit mir zusammen war er derjenige, der sich riesig über den Mathe-Unterricht freute.

Übel nehmen konnte ich es ihm nicht. Auch meine Gedanken hingen an dem Geschehen der letzten Woche. Nachdem ich von meiner Holland-Reise zurückgekehrt war, war das reinste Chaos ausgebrochen. Dazu gehörten Hexen, schleimige Monster und Frösche. Im Grunde hatte ich die Ferien nicht zur Entspannung benutzt, so wie der Rest von uns.

Mein Kopf schweifte zu dem Ereignis, nachdem unsere Gruppe den letzten Edelstein zurückgeholt hatte, ab. Die Edelsteine hatten sich verbündet und zusammen bewirkt, dass Lucia nun endlich wieder ihre ursprüngliche Gestalt annehmen konnte. Kein blaues, verrottetes Monster mehr, das wie ein Zombie stank. Endlich war sie wieder das junge, agile Mädchen mit der überdimensionalen, pinken Schleife in ihren pastellblauen Haaren, die ihrem glitzernden Kleid Konkurrenz machte, den strahlenden, himmelblauen Augen und der zarten, hellen Haut, die wie eingeölt schimmerte.

Nachdem ihre Verwandlung vollbracht war, war sie überglücklich um uns herumgehüpft und hatte jeden einzelnen von uns umarmt. Sogar Diana, die erst streng drein geblickt hatte und am wenigsten über das Verhalten ihrer Tochter amüsiert gewesen war, hatte sie liebevoll in die Arme geschlossen und fest an sich gedrückt, bis selbst Ludger eingestiegen war und seine beiden liebsten Frauen geknuddelt hatte.

Sven war zwar auf Distanz geblieben, aber freute sich sichtlich und mit Tränen in den Augen über die Erlösung seiner Schwester. So wie Dirk. Der Leibwächter wurde natürlich und zum Glück nicht gefeuert und durfte seinen Job beibehalten. Ganz zur Freude von Lucia, die ihm daraufhin überschwänglich in die Arme sprang. Taro und ich wurden extra geknuddelt, indem sie jeweils einen Arm um unsere Schultern legte und uns an sich drückte.

Doch so ganz war ich noch nicht überzeugt davon, dass das Thema der Edelsteine vom Tisch war. Lucia verhielt sich immer noch verdächtig und ich wusste, dass sie den letzten Edelstein auch noch finden wollte. Ob sie die Magie der Edelsteine nutzen wollte, wie 207 es vorausgesehen hatte, oder nur der Vollständigkeit halber alle Exemplare sammeln wollte, wusste ich nicht. Jedoch hoffte ich, dass sie nicht wieder auf dumme Gedanken kommen würde. Diese unerfreuliche Erfahrung mit den Edelsteinen und ihrer Verwandlung war ihr hoffentlich eine Lektion gewesen, dass man mit seinem Leben nicht achtlos spielen sollte.

Nach diesem Ereignis war es schon an der Zeit gewesen, nach Hause zurückzukehren. Die Ferien waren so gut wie vorbei gewesen und ich hatte den Sonntag noch nutzen wollen, um mich, so gut es ging, zu entspannen, bevor die Schule wieder losging. Klar hätte ich noch im Palast vorbeischauen können, aber Dirk war so lieb gewesen, mich gleich beim Portal in Grünewald abzuliefern. Wenn er Taro zur Flügelklippe bringen würde, würde er auch Aaron Bescheid geben, damit dieser sich keine Sorgen machen musste.

Meine Eltern waren überrascht, dass ich so früh zu Hause war. Sie hatten erst Sonntagabend mit mir gerechnet, was Aaron ihnen auch eingeflößt hatte. Kurzerhand erklärte ich, dass meiner Freundin etwas dazwischen gekommen war, aber ich die Tage trotzdem genossen hatte. Sie waren erfreut darüber, dass ich eine alte Freundschaft aufleben ließ, und löcherten mich glücklicherweise nicht noch weiter mit Fragen. Diese könnte ich unmöglich beantworten, zumal sich meine Fähigkeit, zu lügen, nicht gebessert hatte.

Den letzten Tag der Herbstferien verbrachte ich in meinem gemütlichen Kämmerlein, zusammen mit einigen guten Schmökern, die ich unbedingt noch lesen wollte. Und natürlich mit schlafen. Gefühlt hatte ich den gesamten Schlaf der letzten Monate nachgeholt, was auch dringend nötig war, wenn ich die nächsten Tage nicht aufgrund meines Schlafmangels zusammenbrechen wollte.

Wie altbekannt, träumte ich von Feuer. Rote Flammen, die um mich und mit mir tanzten. Ich zwischen ihnen, jeder meiner Schritte mit Bedacht gesetzt, um mich nicht zu verbrennen. Sie brannten über mir, unter mir und kreisten mich ein. Aber nicht bedrohlich oder mich angreifend, sondern freundlich und bewundernd. Sie sangen eine liebliche Melodie voller Freude und Freiheit. Irgendwann stimmte ich mit ein. Was noch faszinierender war, weil meine Stimme sich ausnahmsweise einmal akzeptabel anhörte. Mit der Zeit änderten die Flammen ihre Farbe. Von Rot zu Blau über Orange bis hin zu Grün war alles dabei. Sie schienen ein wenig wie Disco-Lichter.

Herr Bartels' strenge Stimme brachte mich zurück in den Mathe-Unterricht, den ich, in meine Tagträume vertieft, vergessen hatte. Anscheinend war er dabei, die Aufgaben zu kontrollieren, die wir lösen sollten, und war bei Jacqueline und Chantal hängengeblieben, die wie immer, null kapierten.

Beim Anblick meines eigenen Heftes bemerkte ich, dass ich ebenso wenig vorzuweisen hatte wie die beiden. Fiete hatte inzwischen unbemerkt sein Handy verschwinden lassen und half Zuleika, die angeregt mit ihm diskutierte. Henrietta versuchte sich alleine an den Aufgaben, aber verzweifelte beinahe. Sie hatte gehofft, bei mir abschreiben zu können, doch ich hatte noch nicht einmal die erste Aufgabe angefangen, was ich sofort änderte.

Von mir selbst überrascht, wie schnell und einfach ich die Aufgaben lösen konnte, flog mein Stift über das Papier und im Handumdrehen war ich mit der Hälfte fertig, als Herr Bartels vorbei kam und an Henrietta verzweifelte. Anscheinend hatte er heute keine besondere Lust, sich mit ihren Problemen auseinanderzusetzen, weshalb es an mir kleben blieb, es zu erklären. Ganz zum Wohle von Henrietta, die sich mir an den Hals schmiss und versuchte, mit einem lieben „Käpt'n“ meine Aufgaben zu kopieren. Die restliche Stunde hatte ich keine ruhige Minute mehr.

„Jetzt musst du aber erzählen“, strahlte mich Henrietta freudig an, als wir in der Pause zusammen mit Fipps und Zuleika unsere Runden auf dem Schulhof drehten. „Wie war der Besuch bei deiner Oma in Holland? Habt ihr jeden Tag Käse gegessen und seid in Holzschuhen Fahrrad gefahren?“

„Nicht direkt“, lachte ich. „Aber wir haben Vincent van Gogh persönlich getroffen. Und jede Nacht in einem Bett aus Tulpen geschlafen. Aber Spaß beiseite. Es war angenehm, um nicht gar schön zu sagen.“

Während meines Berichts hörten meine Freunde interessiert zu und schienen an meinen Lippen zu hängen. Sie fanden meinen Urlaub spannender, als ich angenommen hatte. Und ich hatte gedacht, ich würde nichts zu erzählen haben, wenn ich aus den Ferien kam. Jedenfalls nichts, was ich erwähnen konnte, ohne Draconica zu erwähnen. Besonders mein Billardverbot schienen die Anwesenden mit reichlicher Belustigung hinzunehmen. Ich fand es immer noch ungerecht. Was konnte ich dafür, wenn dieser Sport unnötig kompliziert war und mein Gehirn herausforderte?

„Ich hoffe auch, ihr habt euch alle über die Postkarten gefreut. Ich habe mir extra viel Mühe gegeben, jedem von euch einen anderen Text zu schreiben, damit ihr nicht denkt, ich wäre nur halbherzig an die Sache herangegangen“, beendete ich meine Erzählungen.

Henrietta nickte enthusiastisch und ließ ihre orangen Ringellöckchen fliegen. „Aye, Käpt'n! Das war der beste Teil meiner Ferien. Sobald dieses kleine Stück Pappe durch meinen Briefschlitz geflattert kam, war mein Tag perfekt. Noch mehr hätte ich mich nur über eine Flaschenpost freuen können.“

„Ich muss sagen, dass sich die Villa deiner Großmutter wirklich nett anhört. Ich wäre gerne auch dabei gewesen, die unendlichen Weiten der Zimmer zu erkunden“, fügte Zuleika hinzu.

Nur Fiete sagte kein Wort. Gedankenverloren sah er auf sein Handy. Ich war mir sicher, dass er vorhin, als ich die Postkarten erwähnt hatte, mit traurigem Ausdruck im Gesicht zu mir gesehen hatte. Es könnte eine Mischung aus Erstaunen und Verletzlichkeit gewesen sein.

„Wie waren deine Ferien, Fipps?“, versuchte ich, ihm ein wenig auf den Zahn zu fühlen.

„Gut. Bernie ist echt nett und mir ziemlich ähnlich. Wir haben uns sofort verstanden. Genau, wie mein Vater und ich. Er ist lustig. Ich denke, er würde sich super mit deiner Mutter und Zuleikas Vater verstehen, wenn er auch nicht auf so einem Niveau ist. Wenigstens hatte ich die Gelegenheit, Berlin zu bestaunen. Diese Stadt ist gewaltig. Ganz anders als dieses Kaff.“

„War das Bernie, mit der du in der Stunde geschrieben hast?“, erkundigte ich mich hellhörig.

Glücklich und mit einem warmen Grinsen bestätigte er es. Beinahe hätte ich es mir denken können. Es war schön, zu sehen, wie gut sich Fipps mit seiner Zwillingsschwester verstand, egal, wie weit entfernt sie waren.

„Konntest du die andere Hälfte deiner Familie dazu bringen, History Channel mit zu gucken und neue Verschwörungstheorien über die Aliens zu entwickeln?“, neckte Zuleika Fipps mit einem spielerischen Stoß in seine Rippen.

Fiete schüttelte den Kopf. „Nein, dafür kann sich in meiner Umgebung wohl keiner außer mir begeistern. Ich frage mich nur, warum.“

„Weil du ein scheiß Nerd bist“, überraschte uns eine bekannte Stimme hinter uns.

Billy und seine Affen tauchten neben uns auf und grinsten uns überheblich entgegen. Henrietta spielte einen Kotzreiz vor, woraufhin Affe A aussah, als würde er sich gleich auf sie stürzen wollen, wenn Affe B ihn nicht zurückgehalten hätte.

„Alter, pass auf, sonst verdonnert uns Sunshine P. wieder zum Müll aufsammeln. Wir haben uns schon unnötig viele Stunden eingehandelt“, warnte er seinen Kumpel.

„Dann noch einen schönen Tag, Mädels“, sagte der Anführer der Affenbande in nervigem Tonfall, wobei er besonders auf Fipps blickte.

Als sie uns überholten, rempelte Billy Fiete mit voller Absicht an, woraufhin er gegen Zuleika krachte, die ihn auffing.

„Die habe ich, zugegeben, am wenigsten vermisst“, nörgelte Henrietta wütend, worauf wir alle zustimmten.

„Die Affen rasen durch den Wald, der eine macht den andern kalt. Die ganze Affenbande brüllt“, begann ich leise zu singen und sofort stimmten alle mit ein.

Das war das unverkennbare Lied von Billy und seinen Affen. Auf die Zeile „Wo ist die Kokosnuss, wer hat die Kokosnuss geklaut?“ antwortete Zuleika ohne zu zögern: „Hoffentlich ganz weit weg von mir.“

Daraufhin verhaspelte ich mich und musste lachen. Zuleikas Hass gegen Kokosnüsse war eine eigene verdrehte Welt für sich.

„Sieh's mal so: Kokosnüsse machen ganz perfekte Kanonenkugeln, womit man feindliche Schiffe bombardieren und entern kann“, beruhigte sie Henrietta.

„War dein Urlaub denn Kokosnuss-frei, wenn du schon am Strand warst?“, fragte sie Fipps neugierig.

„So gut wie. Natürlich habe ich einen großen Bogen um Palmen gemacht, aber meine Eltern wollten mir doch tatsächlich Kokosmilch andrehen. Ansonsten habe ich genug Sonne getankt, um den restlichen Herbst und harten Winter zu überstehen. Schade nur, dass Murat über Wasser geblieben ist. Wir hätten ihn ruhig vergessen können, dann wäre es Zuhause ruhiger geworden.“

„Billy! Warte!“, rief eine andere Stimme hinter uns.

Im nächsten Moment überholte Jacqueline uns zusammen mit Chantal im Schlepptau und hüpfte ganz entzückt auf den Möchtegern-Gangster zu. Als sie ihn erreicht hatte, ließ sie sich laut lachend gegen ihn fallen und versuchte alles, um ihn zu umgarnen. Ein wenig erinnerte es mich an Frau Gurkenheimer und Aaron. Chantal stand zur Zierde daneben und unterhielt sich mit Affe A und Affe B.

„Was findet sie nur an ihm?“, fragte uns Henrietta ganz entsetzt.

„Gleich und Gleich gesellt sich gern“, überlegte ich laut.

„Was soll's?“, sagte Fiete leicht aggressiv und verdrehte die Augen. „Die passen doch gut zusammen. Sind beide gleichermaßen benebelt in der Birne.“

„Ich finde, es sieht so aus, als würde Jacqueline hundertprozentig interessiert sein, aber Billy steht eher abweisend dort. Das erkenne ich an seiner Körperhaltung“, weihte uns Zuleika in ihre Überlegungen ein.

„Ich muss euch jetzt verlassen“, teilte uns Fipps ganz plötzlich, mit einem Blick auf sein Handy, mit. „Leon aus der Roboter-Technik-AG hat mir geschrieben, dass wir anscheinend noch eine Besprechungsrunde in die Pause schieben. Wir sehen uns nachher in der Klasse.“

Mit diesen Worten verschwand er auch schon. Währenddessen waren Zuleika und Henrietta im Gespräch vertieft. Das bestand daraus, dass meine beste Freundin irgendeinen Schwachsinn von sich gab, woraufhin Zuleika sie zurechtwies. Meine Gedanken schweifte hingegen zum einzigen Jungen unserer Gruppe ab.

Er kam mir unendlich weit entfernt vor. Nicht auf positive Art, wo er bei seiner Schwester und seinem Vater war, sondern weit weg in Gedanken, wie ich. Er schien bedrückt und ich hätte nur zu gerne gewusst, wieso.

Kapitel 2

Die nächsten Tage verbrachte ich größtenteils im Palast der Flügelklippe, in Donnerzahns Benimmunterricht, in dem er mich, zusammen mit Aaron, der weniger streng war, auf das bevorstehende Treffen der Königshäuser in Redemia vorbereitete. Im November war es schon so weit. Ich würde die anderen Thronfolger und deren Familien treffen. Zu sagen, ich war aufgeregt, wäre eine Untertreibung. Alles musste perfekt sitzen; mein Kleid, meine Haltung, meine Attitüde, mein Auftreten, mein Tanz und, und, und. Donnerzahn schien keinen Punkt zu kennen.

Miracle, Rune und Fate waren bis vor einer Woche noch geblieben und hatten es sich im Palast gemütlich gemacht. Fate kam mit nur noch einem Arm erstaunlich gut zurecht. So wie Aurora, die nun ohne Flügel über die Erde und Regale ihrer Bibliothek kroch. Beide hatten eine gewisse Stärke, die es überhaupt erst ermöglichte, dass sie nicht daran zerbrachen. Meine Tante und ihr Mann schienen es mehr zu betrauern als ihre Tochter, die ihnen bestimmt hundert Mal versicherte, dass sie mithilfe ihrer Magie auch mit nur einem Arm zurechtkommen würde. Genau wie die Bibliothekarin, die mehr um die Tagebücher, als um ihren eigenen Verlust trauerte.

Taro saß auf dem Kronleuchter im Ballsaal und sah mir dabei zu, wie ich anmutig auf und ab schritt, mal mit und mal ohne Aaron an meiner Seite. Dabei kommentierte er laut, wie ich dabei aussah. Donnerzahn beurteilte alles mit seinem scharfen Auge, wobei er immer etwas zu bemängeln fand. Wenigstens hatte er aufgehört, sichere Methoden zu versuchen, die mich beim Lachen vom Grunzen abhalten sollten.

Während ich mich zur klassischen Musik zusammen mit Aaron über den gebohnerten Boden des Ballsaals bewegte, sprang Taro hinab und forderte Donnerzahn zum Tanzen auf, der mit seinem lauten Organ kräftig dagegen stimmte. Davon ließ sich der Ninja nicht beirren, nahm den kleinen Drachen an seiner Kralle und wirbelte ihn lachend umher. Der königliche Berater fand es weniger amüsant, was er unüberhörbar von sich gab.

Jeremy und seine Arbeiter scheuten ebenso keine Mühen und Kosten, um mir das perfekte Kleid für das anstehende Treffen zu kreieren. Jeremy übertraf sich, wie immer, selbst und war ganz gerührt von meinem Anblick. Viele Kleider standen zur Auswahl, ein paar wurden umgeschnitten oder verändert, aber am Ende konnten wir uns einig werden. Als ich das besagte Kleid den Angestellten im Schloss vorführte, staunten sie nicht schlecht. Aaron sah wieder wie ein stolzer Vater aus und war gerührt, wie erwachsen ich doch aussehen würde.

Das Kleid, das ich trug, war in einem dunkelgrünen Ton gehalten, der die Intensität eines tiefen Waldes und einer frischen Wiese nach einem Sommerschauer vereinte. Bis zur Hüfte lag der Spitzenstoff mit Federmusterung eng an, bis er auseinander spross und in Falten gelegt den Boden berührte. Jeremy erklärte selbstzufrieden, dass der Stoff Georgette genannt wird. Die langen Stoffelemente, ebenfalls aus besagtem Material, an meinen Schultern beginnend, erstreckten sich über meinen Rücken bis hin zu meinen Kniekehlen. Sie waren durch kleine Bändchen an meine Handgelenke gebunden und jedes Mal, wenn ich meine Hände hob, sah es aus, als ob ich Flügel besaß.

Laut Jeremy hatte er Graufeders prächtige Schwingen als Inspirationsquelle genutzt und fand, dass das Konzept exquisit zur Flügelklippe passte. Margarette wollte dazu meine feuerroten Haare, die im Kontrast mit dem grünen Kleid umso glänzender und strahlender schienen, offen und sie in sanften Wellen auf meine Schultern fließen lassen.

Vervollständigt wurde das Bild durch mein Diadem, das ich seit der Einweihungsfeier nicht mehr getragen hatte, aber Donnerzahn bestand darauf, da es mir Ansehen, Status und Macht verlieh. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich das Diadem dafür gewiss nicht brauchte.

Nach Monaten wieder in meiner Hand, konnte ich es mir genauer ansehen. Es war genau so, wie ich es in Erinnerung hatte. Die Diamanten und der silberne Ton ließen es immer noch durchsichtig und schemenhaft wirken. Die Schmetterlingsflügel an den Seiten, die leicht grün, fast wie Minze, schimmerten, fühlten sich rau unter meinen Fingern an. Auch hierfür kannte Jeremy ein passendes Wort: Organdy.

Und natürlich durfte ein Detail nicht fehlen, um alles perfekt zu machen: Die Lavasteinkette, die ich sowieso jeden Tag, falls ich daran dachte, trug. Henrietta freute sich, dass mir ihr Geschenk so gut gefiel, und war immer gerührt, wenn ich sie um meinen Hals hängen hatte.

Im Grunde stand es mir frei, wer mich zum Treffen der Königshäuser in Redemia begleiten durfte, aber anscheinend waren nur Aaron und ich von der Partie. Und natürlich Graufeder. Als ich Taro fragte, lachte dieser nur und meinte, dass so feine Etiketten nichts für ihn wären, und Donnerzahn musste den Laden hier am Laufen halten, weswegen auch er weg fiel.

Als letzte Option kam mir noch Margarette in den Sinn. Ihr würde es sicher gut tun hier rauszukommen und etwas anderes zu sehen, als die eintönige rot-goldene Einrichtung des Palastes. Wie sich herausstellte, hatte sie nichts dagegen einzuwenden. Niemand außer Donnerzahn hatte das. Er konnte nicht begreifen, warum eine Zofe bei einem hoch angesehenen Treffen dabei sein musste. Ich konnte ihn glücklicherweise besänftigen, indem ich in Ruhe und mit Plan auf ihn einredete, bis er nicht mehr wusste, warum wir diskutierten.

Jeremy freute es, dass er mir seine nächstbesten Kleider präsentieren konnte, die für Margarette perfekt wären. Diese wollte jedoch das Kleid anziehen, das sie auch für den Einweihungsball auf meiner Willkommensfeier getragen hatte. Der königliche Schneider war keinesfalls enttäuscht, sondern erfreut darüber, dass die Zofe das schwarze Cocktailkleid so gern hatte, dass sie es freiwillig wieder anziehen würde.

Margarette freute sich insgeheim darauf, sich wieder schick zu machen und unter die Leute zu mischen. Leider kam ihre Nervosität schlimmer zurück, als sie sich daran erinnerte, dass sie einen ganzen Tag zusammen mit Autoritätspersonen verbringen musste. Mit der beruhigenden Wirkung einer Tropenwald-Geräusche-CD konnte ich sie auf den Boden der Tatsachen zurückholen und ihr versichern, dass sie mit niemandem reden musste, wenn sie es nicht wollte und dass die Leute sie auch so durch ihre liebevolle und niedliche Art mögen würden.

Die Zeit schien wie ein seichter Fluss durch mein Leben zu gleiten, bis es nicht mehr lange zum Treffen war. Am Wochenende würde es stattfinden. Ich verbrachte die letzten Tage ausgeglichen auf der Erde oder in Draconica, wo ich mich weiter an meinem Schwertkampf-Training zu schaffen machte, meine Ninja-Ausbildung fortsetzte oder mit Guinevere den Teleport-Zauber übte, der mir immer noch nicht alleine gelingen wollte. Wenigstens kam ich mittlerweile schon dort an, wo ich landen wollte.

Inzwischen konnte ich die Portale entdecken, die ich noch nicht besucht hatte. Da hatten wir natürlich einmal die Diamantsäule auf dem Friedhof der Flügelklippe, das brüchige Hausboot von Blauküste, Baumhardt in Grünewald, den Felswerfer von Donnerhall, den bemalten Drachenfelsen in Sturm und den Eisberg von Eisenwinde, aber auch die zerstörte Wüstenruine mit der kryptischen Wandmalerei auf Oker, die ich nur aus Taros Erzählungen kannte, und das gänzlich unbekannte Portal für mich, in Redemia, welches im Grunde nur eine hell beleuchtete Werbetafel in der Nordstadt war, konnte ich zu Gesicht bekommen.

Nachdem ich heute aus der Schule gekommen war, hatte ich mich danach gefühlt, zum Portal zu gehen und mich, gemütlich an Baumhardt lehnend, meinen Hausaufgaben zu widmen. Der milde Herbsttag, der auf der Erde herrschte, hatte mich ebenso für einen ruhigen Spaziergang eingeladen und zum ersten Mal seit Langem beeilte ich mich nicht, zum Portal zu gelangen. Ohne Taro, der mir ständig eine lustige Geschichte auftischte, war es einfacher, sich zu konzentrieren, aber auch umso langweiliger. Ein Jammer, dass er sich in letzter Zeit weniger nach Grünewald wagte.

Die Pflanzendämonen. Lange hatte ich nichts mehr von ihnen gehört, aber aufgehört anzugreifen hatten sie bestimmt nicht. Das Schloss von Grünewald hatte genug Plagen wegen dieser Wesen. Falls ich Taro sagen würde, dass ich sie in letzter Zeit nicht mehr gesichtet hatte, könnte er mir wieder Gesellschaft leisten, soweit es ihn überzeugte.

Ein Rascheln ertönte vor mir. Sofort zog sich meine Aufmerksamkeit auf die Brombeerbüsche, die ruhig da lagen, als wäre nichts geschehen, doch eine kleine Bewegung konnte ich in ihnen ausmachen. Meine Sicht verschärfte sich, als ich durch die dichten, dornigen Zweige hindurchzublicken versuchte. Wieder begannen sie, sich zu bewegen, und raschelten. Alarmiert und abwehrend drückte ich mich gegen Baumhardts Stamm und versuchte, mit dem Rücken angelehnt, aufzustehen. Unsicher huschten meine Augen hin und her und versuchten den Ursprung des Geräusches ausfindig zu machen. Falls es Gefahr bedeutete, musste ich schnell reagieren.

Ein gelbes Blitzen funkelte mich zwischen zwei Zweigen neugierig an. Im ersten Moment erschreckte ich mich, dann konnte ich es genauer betrachten. Dieses Gelb gehörte zu den Augen, die ich schon einmal gesehen hatte. Lange war es her, doch diese Augen wollten keinesfalls etwas Böses. Ganz im Gegenteil.

Mit einem Schlucken stieß ich mich vom Stamm ab und ging mit vorsichtigen Schritten, um es nicht zu verschrecken, auf den Busch zu. Als es fliehen wollte, blieb ich abrupt stehen und hob meine Hände, um zu zeigen, dass ich friedliche Absichten teilte. Es wirkte und die Augen verharrten an Ort und Stelle. Ruhig, ohne Eile, kniete ich mich hin und blickte das Wesen im Busch an. Meine Hand bewegte sich von selbst und bald hielt ich sie ihm mit der Handfläche nach oben entgegen.

„Du brauchst keine Angst zu haben. Ich tu dir nichts.“

Ganz überzeugt schien das Wesen noch nicht zu sein und schnaubte ängstlich. Jedenfalls war es ein Geräusch, das ich als Schnauben identifizierte. Es könnte auch ein klares Grummeln oder Brummen gewesen sein. Ich behielt meine Hand weiter oben und das Geräusch ertönte wieder. Diesmal hätte ich mir einbilden können, dass es ein Schnurren war, wie ich es von Gulasch und Spargel kannte. Es dauerte eine Weile, bis es sich ganz an mich heran traute und eine knorrige Hand aus dem Gebüsch kam. Bald darauf folgte auch der obere Körper.

„Das machst du super“, lobte ich den Pflanzendämon, als sei er ein kleines Kind und machte gerade seine ersten Schritte.

Zögernd hielt er mir seine Hand hin. Ganz berührt hatten sich unsere Finger noch nicht, doch er kam immer näher heran. Seine knochigen Finger, die kleinen, in sich verworrenen Ästen ähnelten, zitterten fast unbemerkt, als er den Zeigefinger ausstreckte. Ich erwiderte die Geste und für einen Moment fühlte es sich an, als wären wir in einer eigenen kleinen Blase, gefüllt von Harmonie und Licht.

Doch dieser Moment zerplatzte mit einem Mal. Aus den Augenwinkeln nahm ich ein Glitzern und einen Lichtpunkt wahr, was mich für einen Augenblick blendete und mir die Sicht nahm. Unvorbereitet getroffen zog ich meine Hand ruckartig zurück und schloss kurz die Augen. Der Pflanzendämon war ebenso überrascht und verkroch sich schnell im Unterholz, wo er hergekommen war, bevor ein leuchtendes, silbernes Schwert auf die Stelle krachte, wo er eben noch gestanden hatte.

Vor meinen Augen hatte ich ein mit eingravierten Nüssen verziertes, silbernes Schild, welches sich langsam hob und den mysteriösen Angreifer zeigte. Wütend quiekend stellte er sich auf und blickte dem Pflanzendämon hinterher, bevor er seine Mitstreiter anwies, ihn zu verfolgen. Dann wandte er sich mir zu.

„Seien Sie vorsichtig. Mit den Pflanzendämonen ist nicht zu spuißen“, warnte mich das Nusspui.

Sie sahen exakt so aus, wie im Buch über die Puis beschrieben. Es reichte bis zu meinen Knien, trug eine silberne Rüstung über seinem roten Fell und kämpfte mit Schwert und Schild. Die Nusspuis hatten ihren Stamm irgendwo in der Nähe, wahrscheinlich nördlich von hier, in Ulmenblatt, wo immer Herbst herrschte und sie ausreichend Nüsse und anderes Futter fanden.

„Geht es Ihnen gut?“, fragte es mich erneut, nachdem ich in Gedanken verloren vergaß, zu antworten.

„Ja. Keine Sorge. Es hat mir nichts getan. Ich denke sogar, es ist freundlich“, teilte ich meine Bedenken mit.

„Freundlich? Pflanzendämonen und freundlich?“ Das Nusspui lachte quiekend, sodass sein buschiger Schweif hin und her wedelte. „Das ist absurd.“

Gedankenverloren blickte ich in die Büsche, wo es bis vor Kurzem noch gesessen hatte. Wir hatten schon einmal eine friedliche Begegnung gehabt, die durch einen plötzlichen Knall unsanft unterbrochen worden war. Ob die Nusspuis schon damals die Pflanzendämonen gejagt hatten?

„Jagt ihr die Pflanzendämonen schon lange?“

„Nur, wenn wir von Lord Nikolassedoruben darauf hin'wiesen werden. Dann übernehmen wir die nördlichen Bezirke, während der Puilast sich um den Süden kümmert.“

Nikolassedoruben, oder auch Niko, war Max' Vater. Er hatte mir erzählt, dass sein Vater einen Teil der Macht abbekommen hatte, um Grünewald effizienter regieren zu können.

„Anscheinend haben die Pflanzendämonen seine Familie 'droht und an'griffen, daher sollten wir uns dem Puiblem annehmen. Sie sollten hier auch schleunigst 'schwinden. Puissen Sie auf.“

Mit diesen Worten sprang das Nusspui elegant auf den nächsten Baum und versuchte, seine Kumpanen einzuholen, die vorweg gesprungen waren.

Möglicherweise hatte Taro recht gehabt. Möglicherweise war es in letzter Zeit wirklich gefährlich, einen Fuß in Grünewald zu setzen. Möglicherweise sollte ich mich in nächster Zeit von hier fern halten. Nur war es schwerer, als es sich anhörte.

Wenn ich nach Draconica wollte, musste ich durch das Portal nach Grünewald.

Kapitel 3

Das Rütteln und Rattern der eisernen Räder auf den rostigen Schienen des Drachenexpresses sendete eine Welle der Ruhe durch die Waggons des Zuges. Die flauschigen, roten Sitze luden zum Träumen ein und ich konnte nicht widerstehen, mich in ihnen versinken zu lassen und die Augen zu schließen. Unter meinen Fingerspitzen fühlten sie sich wie eine warme Fleecedecke an. Genüsslich gähnte ich und streckte meine Füße vor mich. Genug Beinfreiheit gab es in der Tat, dafür, dass es die Königsklasse war. Das Einzige, worauf ich achten musste, war, dass ich meine Frisur, sowie mein Kleid nicht ruinierte, aber da Margarette mit von der Partie war, musste ich mir keine größeren Sorgen machen. Die meisten Patzer würde sie in Nullkommanichts lösen können.

Meine Zofe saß gegenüber von mir und blickte nachdenklich aus dem Fenster. Sie schien die Natur, die wir passierten, sehr genau zu analysieren. Dabei war die Landschaft während der Fahrt, seitdem wir losgefahren waren, gleich geblieben.

Die Flügelklippe war ein flaches Gebiet, das man von der Landesspitze bei gutem Wetter sicher überblicken könnte. Interessant waren das Abflussrohr, der Name des Flusses war immer noch unschlagbar, das kleine Waldgebiet in Remigia, wo Aarons Eltern wohnten, wie er erklärte, und die Puimuhchen-Farm, die ich nun endlich auch betrachten konnte. Wenn auch nur in der Fahrt aus einem Zugfenster.

Im Grunde war es eine normale Farm, ein Bauernhof eben, wo ein paar Puihmuhchen umher rannten, Wagen schoben und Milchkannen von einem Punkt zum anderen beförderten. Ich sollte aber definitiv nicht darüber nachdenken, ob und wie die Puimuhchen sich selbst melkten. Süß war der Anblick nichtsdestotrotz.

Derjenige, der die Idee hatte, mit dem Drachenexpress zu fahren und nicht zu fliegen, saß neben mir. Dafür war ich ihm dankbar. Graufeder war mit dabei und hatte sich um Aarons Beine gewickelt. Mein Leibwächter las ein Buch auf Mandarin, um seine Sprachkenntnisse aufzubessern. Aber er war nicht der Einzige, der sich eine Beschäftigung für die Fahrt eingepackt hatte. Für mich war es ein Kreuzworträtsel, das ich nebenbei ausfüllte, wenn ich eine Eingebung bekam.

Ich fand die Idee mehr als super, mit dem Drachenexpress zum Treffen zu fahren. Ich wollte schon lange sehen, ob die unglaublichen Gerüchte über diesen berüchtigten Zug stimmten. Aaron hatte sich natürlich sofort darum gekümmert, einen angemessenen Platz zu ergattern, und so kam es, dass wir uns in der Königsklasse niederlassen durften, die extra für reisende Königsfamilien angelegt worden war. Ich fühlte mich wie in meine eigenen Gemächer und den Palast versetzt, denn auch hier waren die dominanten Farben Rot und Gold vertreten. Außerdem war das Abteil so weitläufig und kuschelig gemütlich, dass ich hier hätte einziehen können.

Wenn Aaron mich nicht darauf hingewiesen hätte, dass es beim Treffen genug zu essen gab, angeblich ein übertriebenes Buffet, hätte ich die Süßspeisen vor mir auf dem runden Tisch genascht, die verführerisch auf der Etagere angerichtet waren. Doch während Aarons unaufmerksamer Minute konnte ich heimlich einen kleinen Nusstrüffel erhaschen, den ich als Appetizer abstempelte. Zwar sagte Aarons nichts, aber sein Lächeln, das er zu unterdrücken versuchte, verriet, dass er mein Stibitzen mitbekommen hatte.

Nebenbei, als mir langweilig wurde, musste ich wieder meinen Wissensgelüsten nachkommen und draagelte den Drachenexpress, um mich ein wenig schlau zu machen. Dadurch las ich, was ich mehr oder weniger schon wusste, dass dieser Zug tatsächlich wie ein Drache aussah. Der vordere Teil, den Führerstand des Zugs, bildeten den Kopf. Aus den Schornsteinen, die aussahen, wie die Nüstern eines Drachen, stieg der Dampf von den verbrannten Kohlen empor, die die Feuerdrachen anzündeten. Die darauf folgenden Waggons waren allesamt mit grünen Schuppen bemalt und so sah es wirklich aus, als würde ein langer, asiatischer Drache durch Draconica stürmen.

Den Übergang von Flügelklippe nach Redemia konnte ich offensichtlich ausmachen. Erst waren es wenige Häuser, die vermehrt auftauchten und sich eng aneinander kuschelten, während vor einigen Minuten noch freie Felder zu sehen gewesen waren. Mit der Zeit häuften sie sich und begannen, die Landschaft zu schmücken. Immer höher, immer breiter, immer prunkvoller, immer moderner, einfach immer mehr. Vom Fenster aus konnte ich Menschen, Drachen und andere Wesen erkennen, die ihren alltäglichen Weg gingen, sich unterhielten oder arbeiteten. Auf einigen Dächern von Häusern, die aussahen, wie Bürogebäude, hockten sogar beeindruckende, Feuer speiende Echsen mit einem Headset auf dem Kopf.

„Die arbeiten in den Firmen, nur sind sie zu groß, um ins Gebäude zu passen, deshalb haben sie ihr Büro auf dem Dach“, erklärte Aaron und erstaunte Margarette und mich gleichermaßen.

Die Zofe schien wirklich noch nie hier oder allgemein weit aus dem Palast gewesen zu sein, wenn sie genau so wenig wusste wie ich. Mir war gleich klar, dass es ein guter Einfall von mir gewesen war, sie mit nach Redemia zu nehmen.

Die Gleise führten uns unter anderem an wichtig aussehenden und imposanten Gebäuden vorbei, wie Kirchen, Kathedralen, Ruinen, Torbögen, Statuen und Springbrunnen. Allgemein wirkte hier alles sehr künstlerisch und antik. Ein paar Wohnhäuser konnte ich ebenfalls bestaunen. Es sah lustig aus, wenn ein Drache aus der Tür kam, meistens in Donnerzahns Größe, und verschlafen zum Briefkasten watschelte, um die Post zu holen.

Langsam begann der Zug seine Geschwindigkeit zu drosseln und die Durchsage schaltete sich nach einem Klingeln ein. „Liebe Fahrgäste, in Kürze erreichen wir den Drachenexpress-Hauptbahnhof in Redemia. Für Ihre Weiterreise-Möglichkeiten beachten Sie bitte die örtlichen Lautsprecher-Durchsagen oder den Fahrplan. Wir hoffen, Sie hatten eine angenehme Reise mit dem Drachenexpress und freuen uns darauf, Sie bald wieder an Bord begrüßen zu dürfen. Nach einem kurzen Aufenthalt fährt dieser Zug wieder zurück zur Flügelklippe. Wir wünschen allen Aus- und Umsteigern noch einen schönen Tag und eine gute Weiterreise.“

„Wir sind bald da. Macht euch soweit schon mal bereit zum Aussteigen“, wies uns Aaron an und klappte sein Buch mit einem Knall zu.

„Werden wir vom Bahnhof aus zu Fuß zum Palast von Redemia gehen?“, erkundigte ich mich.

„So, wie ich König Houston kenne, wird er uns eher Kutschen für eine sichere Eskorte bringen, auch, wenn der Weg nicht weit ist.“

„Vie- vielleicht ist das, ähm, sogar besser. Ich will ja nicht, dass, äh, mimich, also, mich viele Leute in diesem … diesem Aufzug sehen“, flüsterte mir Margarette zu und zupfte ihr kurzes Kleid zurecht, als würde sie sich wünschen, dass es auf magische Art länger werden und ihre schönen Beine verdecken würde.

„Du siehst großartig aus, Margarette. Mach dir keine Sorgen darüber. Wenn die Leute dich anschauen, dann eher aus Bewunderung“, heiterte ich sie auf und zwinkerte ihr zu, woraufhin ihr ein Rotschimmer über die Wangen huschte.

Wir kamen zum Stehen und ich hörte, wie sich die Türen mit einem Zischen öffneten. Stimmen redeten lauter und aufgeregter aufeinander ein, als sie ausstiegen und ihre Freunde und Familien trafen. Ich lugte aus dem Fenster und erblickte verschiedene magische Wesen, die sich in die Arme fielen und freudig begrüßten. Allmählich erhob sich auch Aaron mit Graufeder, gefolgt von Margarette und mir, um den Drachenexpress zu verlassen. Wir warteten noch, bis sich der größte Ansturm gelegt hatte, bevor wir uns zur Tür begaben und Aaron mir die Treppe herunter half, die ich auch so bewältigt hätte. Das Kleid war zum Glück alles andere als sperrig.

Der Hauptbahnhof von Redemia war beeindruckend. Riesig war das erste Wort, das mir durch den Kopf schoss. Ein enormes, gewölbtes Gebäude mit einer Glaskuppel als Dach und einigen Läden und Cafés unterhalb, die bis zur Decke reichten, wie die Steinsäulen und Pfeiler, um die sich Drachen schlängelten, die alles stützten und den Bahnhof vor dem Einstürzen bewahrten. Das Bauwerk schaffte es, antiquarisch und mystisch, gleichzeitig aber auch neu und modern zu wirken.

Anscheinend fielen wir in der Menge nicht auf. Jedenfalls beachtete uns keiner, obwohl ich in kompletter Montur und in gehobener Haltung über die Steinplatten der altertümlichen Bahnhofshalle schritt. Jeder ging seinen eigenen Weg, telefonierte angeregt, unterhielt sich mit seiner Gruppe oder trank in Ruhe seinen Kaffee. Es hatte wohl niemand Lust, sich ein Autogramm der Prinzessin der Flügelklippe oder ihres Leibwächters zu besorgen.

Wir traten aus dem Bahnhof unter den freien Himmel Redemias, an dem nur die Hochhäuser kratzten, und der von Drachen erobert wurde. Ich hatte den Himmel schon einmal von Nahem gesehen, nachdem Oslo mich zum Portal von Grünewald geflogen hatte, als ich das erste Mal in Draconica gewesen war. Dieses Ereignis kam mir so unendlich fern vor. Fast wie ein Traum. Umso glücklicher war ich, dass es keiner war.

„Die Kutsche wartet dort unten“, sagte Aaron und deutete auf ein rotes Fahrgestell auf hölzernen Rädern, das von zwei Flügelklippe-Einhörnern gezogen wurde und am Fuße der Treppe auf uns wartete.

Der Kutscher unterhielt sich höflich mit einer älteren Dame, die wissen wollte, auf wen er denn wartete, und ihm gleich ihre ganze Lebensgeschichte, sowie Bilder ihrer Enkel an den Kopf warf.

„Hey, Elliot!“, rief eine Stimme neben uns in den Himmel.

Der Drache, der oben seinen Weg flog, stoppte und drehte noch einmal um. „Hallo, Pete! Was für ein Zufall, dass ich dich hier treffe. Wohin des Weges?“

„Ach, nur zur Post. Muss einen Brief zu meiner Tante abschicken. Die ist immer noch so altmodisch, weißte ja. Was machen deine Frau und die Kinder?“

„Was soll ich sagen? Die können sich nicht beklagen. Meine Kleine hat gestern zum ersten Mal Feuer gespuckt. Du hättest sehen sollen, wie stolz sie war. Achja, ich bin auf dem Weg nach Hause. Die Post liegt in derselben Richtung. Soll ich dich mitnehmen?“

„Wenn es für dich keine Umstände bereitet.“

„Ist doch kein Problem. Freunde helfen einander“, sagte der Drache und begrüßte seinen Kumpel mit einem Handschütteln, als er vor ihm landete.

Dieser stieg natürlich sofort auf und mit einem Flügelschlag waren sie im Himmel zwischen den anderen Drachen verschwunden.

„Bin ich die Einzige, die das absurd fand?“, kicherte ich.

Margarette schüttelte den Kopf und versteckte ihr Lachen hinter ihrer Hand. „So etwas passiert hier wohl, äh, öfters.“

„Wir sollten gehen“, zerstörte Aaron die lustige Stimmung, obwohl er keinesfalls streng klingen wollte.

Elegant versuchte ich die Treppe hinabzuschreiten, während ich mich bei Margarette einhakte, die zu kichern begann, und Aaron, der mich aus Professionalität stützte und vorm Stolpern bewahrte, aber es ebenso belustigend fand, wie wir von außen aussehen mussten. Irgendwo hier in der Nähe lauerte sicher Kasimir und wartete nur darauf, neue Skandale des Königshauses zu entlarven.

Der Kutscher sah uns schon kommen, beendete das Gespräch mit der netten Dame und sprang auf, um uns die Tür zu öffnen. Graufeder sprang ohne zu Zögern als erstes durch und legte sich ausgebreitet und schmatzend auf eine Bank. Als Aaron ihm folgte, rutschte er sofort ein wenig, um seinem Herrchen Platz zu machen, das sich neben ihn setzte und begann, ihn zu streicheln. Ein ganz entzücktes Gurren bekam er als Antwort. Ich ließ Margarette den Vortritt, damit ich Aaron gegenüber sitzen konnte. Bevor ich einstieg, wurde ich von der älteren Dame angesprochen.

„Entschuldigung, sind Sie nicht Prinzessin Monica von Flügelklippe? Wie entzückend, dass ich Sie hier treffe. Meine Enkelin, ein reizendes Mädchen, ist ein großer Fan von Ihnen und war schon seit Ihrem ersten Auftritt im Fernseher ganz hingerissen von Ihnen. Sie hat sogar ihre Lieblingspuppe nach Ihnen benannt.“

„Vielen Dank. Das freut mich zu hören“, sagte ich verlegen und strich mir eine Strähne hinters Ohr. „Ihre Enkelin scheint ein aufgewecktes Mädchen zu sein.“

Wir unterhielten uns noch eine Weile, meistens erzählte sie mir Geschichten über ihre Enkel, bis mich Aaron daran erinnerte, dass wir einen Termin hatten und schleunigst weiter mussten. Höflich verabschiedete ich mich von der netten Dame, die mir einen Bonbon geschenkt hatte und auf ihre quirlige Art hinterher winkte.

In der Kutsche hatte ich die perfekte Sicht auf die Umgebung, die gemächlich an uns vorbei zog. Margarette starrte ebenso fasziniert aus dem Fenster. Aaron bemerkte unsere beeindruckten Gesichtsausdrücke und erbarmte sich, uns auf die Sprünge zu helfen.

„Was ihr gerade seht, ist die Südstadt, auch als Kulturviertel bekannt. Dort gibt es unter anderem den Drachenexpress-Hauptbahnhof und den Luftschiff-Hafen.“

Luftschiffe, Drachen und Königreiche hörten sich nach einem Fantasy-Rollenspiel an, wie sie Zuleika gerne spielte. Wahrscheinlich wäre sie mehr als überwältigt von dem Anblick Draconicas. Ich hatte zwar Höhenangst, aber einen Flug mit dem Luftschiff würde ich nicht verneinen. Wahrscheinlich fühlte es sich an, wie ein Kreuzfahrtschiff auf hoher See und ich würde nicht einmal bemerken, dass ich hoch oben im Himmel schwebte.

„Im Westen liegt die Weststadt oder auch Altstadt. Dort gibt es die meisten Wohngegenden und historischen Gebäude. In der Nordstadt liegt das Portal von Redemia, das nach Japan führt, dazu noch ein Freizeitpark und viele Einkaufszentren. Kein Wunder, dass es auch als Vergnügungsviertel bekannt ist. Die Oststadt ist die Ruhezone, wo die meisten Parks und Entspannungsbäder liegen. Über der West- und Nordstadt erstreckt sich der Außenring, der etwas vom hektischen Stadtleben abgeschottet und hauptsächlich von Bauernhöfen und Feldern geprägt ist.“

Margarette und ich sahen uns mit einem überraschten und interessierten Blick an. Wir dachten wohl dasselbe. Dieses Gebiet war eine einzige Metropole. Kein Wunder, dass hier so viele Einwohner lebten.

„Es scheint, als hätte sich in den letzten 10 Jahren nichts geändert, wenn du dich noch so gut auskennst.“

„Einiges schon, aber das meiste ist gleich geblieben. Wenn ihr aus dem Fenster zur eurer Rechten seht“, beendete Aaron seinen sprachlichen Reiseführer, „könnt ihr den Palast von Redemia bestaunen.“

Elea hatte nicht übertrieben, als sie mir erzählt hatte, dass mehr als hundert Vollblut-Drachen im Inneren Platz hätten. Erhöht, auf einem Hügel, über allen anderen Gebäuden, lag der Palast in all seiner Pracht und ragte mit seinen Spitzen bis in die Wolken. Unten, am Fuße des Hügels, konnte ich ein weißes Tor mit einer Mauer ausmachen, von dem ein langer, geschlängelter Weg zu den imposanten Toren des Palastes ausging. Er schien nur aus Türmen zu bestehen, die einen Kreis bildeten.

Bei dem Anblick musste ich schwer schlucken. Erst jetzt bemerkte ich die Nervosität in mir aufsteigen. Ich hatte mir vorher noch keine Gedanken gemacht, dachte, ich würde es einfach geregelt bekommen, doch jetzt spürte ich die Trockenheit meine Kehle emporsteigen und meine Finger, die zu zittern begannen, bis Margarette nach ihnen griff. Aufmunternd lächelte sie mir zu und ich verstand. Ich formte ein stummes „Danke“ mit meinem Mund.

Ich würde auf meinesgleichen treffen. Die restlichen Thronfolger und die übrig gebliebenen Mitglieder ihrer Familien, die die schicksalhafte Nacht überstanden hatten. Würde der asiatische Prinz, von jener Nacht meiner Einweihungsfeier, unter ihnen sein? Bei der Armee war er nicht gewesen, doch blieb mir ein kleines Stück Hoffnung, ihn beim Treffen wiedersehen zu können.

Ich spürte, wie die Kutsche sich langsam neigte und eine Erhebung hinauffuhr. Das war der Hügel und wir waren auf dem direkten Wege zum Palast von Redemia. Mein Herzklopfen verschlimmerte sich und beinahe zerquetschte ich Margarettes Hand, wenn sie nicht schmerzhaft aufgequietscht hätte. Entschuldigend ließ ich sie frei und blickte zu Aaron, der mich besorgt ansah.

„Mach dir keine Sorgen, Monica. Es wird alles gut werden. Sei einfach du selbst, dann werden dich die Leute mögen“, beruhigte er mich.

Kurz darauf streckte sich Graufeder zu mir und stupste mich lieb mit dem Schnabel an, bevor er mich mit großen, treuen Augen ansah. Zum Dank streichelte ich ihn über den Kopf, woraufhin er zu gurren begann.

Endlich waren wir an unserem Ziel angelangt. Die Fahrt hatte den ganzen Vormittag gedauert. Inzwischen hatten sich auch die restlichen Wolken am Himmel verflüchtigt und Platz für die strahlende Sonne geschaffen. Das Wetter schien uns heute zu mögen.

Schon beim Aussteigen bemerkte ich die gewaltige Anzahl von Wachen, die hier positioniert waren. Sofort fühlte ich mich sicherer, wenn ich an die mangelnde Besetzung der Flügelklippe dachte. Hochachtungsvoll verneigten sie sich vor uns und öffneten das schwere Tor des Palastes. Mit einem Knicks bedankte ich mich bei ihnen und schritt voran, wie Aaron es mir angewiesen hatte. Er und Graufeder gingen als letztes und ein Stück hinter mir Margarette, die alles mit großen Augen bestaunte.

In der Vorderhalle kam uns sofort ein Event-Manager entgegen, der uns auftrug, in den Innenhof des Palastes zu gehen, wo wir die Eingangsfeier abhalten würden. Anscheinend waren wir aber noch nicht die Letzten, die eingetrudelt waren. Einige fehlten noch, was mich erleichtert aufatmen ließ. Während uns eine Wache begleitete, erklärte er uns den Ablauf des heutigen Treffens.

„Die Feier beginnt im Innenhof. Dort werden alle Königshäuser namentlich aufgerufen, sowie ihr Motto und der Spruch ihres jeweiligen Gebiets vorgelesen.“

Für einen Moment bekam ich leichte Panik. Unbemerkt wandte ich mich zu Aaron und flüsterte: „Welches Motto und welcher Spruch? Musste ich mir etwa einen ausdenken?“

„Nein, den Spruch haben damals die Portalbeschwörer bestimmt, sowie das Motto ihres Königshauses, das sie gründen durften. Der Spruch ist übrigens auch die jeweilige Formel, um das Portal auf der Erde zu aktivieren.“

„Danach ist Ihr Auftritt. Sie schreiten den Weg entlang und stellen sich zu Ihrem jeweiligen Banner und der Flagge, die für Sie vorweg getragen wird. Nachdem alle Königshäuser eingetroffen sind, werden für die Presse noch Fotos geschossen, Interviews freigegeben und das Volk wird Sie bejubeln. Danach geht die Feier im Ballsaal des Schlosses weiter, wo ihr wieder unter euch seid, ohne nervige Medien, die ständig umher flattern“, führte der Wächter unbeirrt vor.

Wieso wusste ich nur, wen er meinen könnte?

„Oh, Lavasturm … Hoffentlich denke ich an alles“, murmelte Margarette nervös und zupfte an ihrem Kleid.

Sie schien noch aufgeregter zu sein als ich und dabei hing der Großteil der Augen nicht einmal an ihr. König Houston hatte mich groß angekündigt, das bedeutete, ich musste mich extra vornehm verhalten, um einen positiven Eindruck zu hinterlassen. Zum Glück hatte sich Donnerzahns Training bezahlt gemacht.

„Da sind wir auch schon. Machen Sie sich bereit für Ihren Auftritt und viel Glück, Prinzessin.“ Mit diesen Worten verschwand er.

Ich blickte mich neugierig um, ob ich andere Königsfamilien entdeckte, aber die schienen alle bei anderen Eingängen zu warten. Schade, ich hätte einigen schon gerne auf den Zahn gefühlt. Nur um ein Gefühl dafür zu bekommen, was mich erwarten könnte. Ich bemerkte ein Ziehen an meinen Haaren und jemanden, der mein Kleid zurechtrückte. Verwundert blickte ich auf Margarette.

„Oh, äh, entschuldige, Monica. Ich, ähm, also, ich wollte nur noch einen letzten Schliff an Ihrem Gesamteindruck vornehmen. Also, äh, nicht, dass Sie nicht eh schon wunderschön aussehen, denn das, ähm, siehst du. Ich wollte nur … äh, ja.“

„Danke, Margarette. Ich weiß das zu schätzen.“

Womit ich nicht rechnete, war, dass Aaron Margarette die Bürste aus der Hand nahm und begann, mir die Haare zu kämmen. Damit nahm er ihr einen Teil der Arbeit ab, was sehr nobel von ihm war. Margarette war sichtlich erleichtert, dass nicht so viel Druck auf ihr lastete.

„Du siehst wunderhübsch aus, Monica. Ich könnte nicht stolzer auf dich sein“, sagte er mit gerührter Stimme.

„Vielen Dank, Dad“, lächelte ich, was er sofort erwiderte.

„So. Fertig. Perfekt, ähm, wie vorher, nur besser. Obwohl vorher auch perfekt war“, verhaspelte sich Margarette und verknotete ihre eigene Zunge.

Vielleicht sollte ich mich drehen und dabei meine Arme heben, damit meine Flügel besonders zur Geltung kamen. Ich ließ mich nicht von diesem Gedanken abbringen und setzte ihn in die Tat um. Margarette hielt erstaunt die Luft an und schien den Tränen nah. Aaron ebenso, nur konnte er es besser verstecken.

Von draußen hörte ich die Fanfare spielen, die uns das Signal gab, dass es bald soweit war. Um die Ecke herum konnte ich in den Innenhof lugen und hatte die perfekte Sicht auf alles. Unten standen bereits die Reporter und andere Medienteams mit Kamera und Mikrofon, bereit zur Schlacht. Oben auf den Gängen, die wie Logen in einer Oper wirkten, standen Bewohner, die sich einen Platz in der ersten Reihe ergattern hatten können und das Treffen nicht auf ihren Bildschirmen verfolgen mussten.

Nachdem die Fanfare aufgehört hatte zu spielen, gab es einen kurzen Moment der Stille. Oben auf den Zuschauerplätzen watschelte ein Kaiserpinguin mit einem Horn und einer roten Fliege um den Hals ans Mikrofon und tippte ein paar Mal mit seinem Flügel dagegen. Leider verschätzte er sich mit dem Abstand zwischen seinem Schnabel und dem Mikro, sodass er es erst einmal umwarf und eine der Wachen es auffangen musste, bevor es einem Reporter auf den Kopf fiel. Ein leicht amüsiertes Raunen ging durch die Zuschauermengen.

„Herzlich willkommen, Bewohner Draconicas, Drachen, Nicht-Drachen und alle anderen magischen Wesen. Willkommen im Palast von Redemia für das alljährliche königliche Treffen der Königshäuser. Wie jedes Jahr hoffen wir auf reges Treiben, Spaß und Neuigkeiten aus ganz Draconica. Wenn ich Ihnen nun die Königshäuser vorstellen dürfte.“

Mein Herz machte einen entscheidenden Satz und purzelte in meiner Brust umher. Aaron beugte sich zu mir und erklärte, dass ich mich bereit machen sollte, denn die Königsfamilien würden nach Erscheinung ihres Gebietes aufgerufen, wenn sich nichts geändert hatte, verstand sich. Da die Flügelklippe das erste Gebiet Draconicas war, war ich zuerst am Zug. Ich wäre lieber in der Mitte oder gegen Schluss an der Reihe gewesen, aber das Leben war nun mal kein Wunschkonzert. Also stellte ich mich gerade auf, holte tief Luft und setzte mein erhabenstes Lächeln auf, das ich in dieser Situation zustande brachte.

„Die Königsfamilie Luna Moon da Lilly del Sol. Heute erstmals seit 10 Jahren wieder dabei. Die verloren geglaubte, aber wiedergekehrte, Prinzessin Monica Sonata Seyna Pellipper-Piper Amore Luna Moon da Lilly del Sol die Dreizehnte, zusammen mit ihrem Leibwächter Aaron Griffon und ihrer persönlichen, vertrauten Zofe Margarette. Die Flügelkippe lebt nach dem Spruch: Flieg' hoch hinaus und küsse die Wolken, berühre die Sonne, vereine dich mit den Sternen, halte den Mond in deinen Krallen. Und das Motto der Königsfamilie lautet: Entfache die Flamme in dir und finde den Weg des Drachen.“

Das war mein Auftritt. Selbstsicher hob ich meinen Fuß, trat heraus in die Öffentlichkeit, winkte den blitzenden Kameras zu und legte mich auf die Klappe. Mit dem Gesicht voran begrüßte ich den nassen Rasen, der erst vor Kurzem bewässert worden war. Ein schockiertes Geräusch war um mich herum zu vernehmen, als Aaron mir aufhalf und mir sorgenvoll entgegen blickte. Peinlich berührt schaute ich in die entsetzten und amüsierten Gesichter der Anwesenden, bevor ich lässig mein Kleid abstaubte, das Margarette versuchte, von Gras und Flecken zu befreien.

„Der Rasen ist sehr gut gemäht. Wirklich. Nicht einen Zentimeter zu hoch. Richtet dem Gärtner ein anständiges Lob aus“, rettete ich mich aus der Situation.

Es wirkte. Für meinen Spruch erntete ich ein paar halbherzige Lacher und liebevolles Tuscheln. Ich fühlte mich in die Zeit zu meiner „Krönung“ zurückversetzt. Die Leute schienen es nicht anders von mir gewohnt zu sein. Prinzessin Tollpatsch oder Prinzessin Fettnäpfchen konnte ich mir schon auf der morgigen Schlagzeile vorstellen. Ich musste an Taro denken, der die Übertragung gerade live im Fernseher sah und bestimmt vor Lachen vom Kronleuchter gefallen war, während Donnerzahn die Krallen über dem Kopf zusammenschlug und sich ein Loch zum Vergraben buddeln ging.

Ich ging zielsicher und ohne weitere Vorkommnisse zu dem Banner meines Königshauses. Er zeigte den rote Grund mit der goldenen Sonne und dem goldenen Mond, die sich überlappten, und der goldenen Lilie im Vordergrund. Dabei war auch die Flagge der Flügelklippe, die ebenso rot war und einen goldenen Flügel zeigte.

Dort stellte ich mich mit Aaron und Graufeder zur einen und Margarette zu meiner anderen Seite vor und blickte erkundend in die Runde, um die Gesichtsausdrücke der Leute zu deuten. Wie erwartet, hafteten viele Augen an mir, doch davon ließ ich mich nicht aus der Ruhe bringen und fasste mir an den Hals, wo ich meine Lavasteinkette fühlte, die eine beruhigende, warme Aura um mich versprühte.

Der Pinguin fuhr fort: „Königsfamilie Omolowo-Eboh und die rechtmäßige Thronfolgerin Prinzessin Sonora Omolowo-Eboh und ihre Leibwächterin Anita. Unbändige Hitze, freies Herz, spring heraus und brüll', Löwe! Mysterien erwarten den Suchenden, wenn du auf die Farben des Lebens blickst, erspähst du sie, dich leitend in den Kampf. Und das Motto: Jedes einzelne Sandkorn erzählt eine Geschichte, die uns das Leben weist.“

Kaum hatte der Pinguin die Worte ausgesprochen, kam eine hochgewachsene Frau mit dunkelgrünen Haaren, die sie mit einem roten Band zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden hatte, der ihr bis zu den Knien reichte, mit kräftigen Schritten um die Ecke. Ihre Rüstung war aus verschiedenen Drachenschuppen zusammengesetzt, die sie mächtig wirken ließen, und ihre dunkelblauen Augen waren streng in die Ferne gerichtet. Auf ihrer dunklen Haut setzten sich einige weiße Flecken durch ihr Vitiligo ab.

Unmittelbar hinter ihr ging ein junges Mädchen mit zärtlichen Schritten und ängstlichem Ausdruck in ihren giftgrünen Augen. Sie versuchte, sich und ihre braunen Haare unter ihrem leicht aufgedeckten Tuch zu verstecken, das einen Teil ihres weiten Kleides bildete. Lediglich eine dicke Strähne schaute an ihrer linken Gesichtshälfte hervor. Ihr goldbrauner Hautton wurde durch kleine Punkte verziert, die wie Sandkörner aussahen. Sie nahmen unverzüglich unter ihrem Banner Platz. Er zeigte einen Kaktus mit einem orangenen Strauß aus Löwentatzen, und die Flagge war eine Drachenkralle, die eine Rose trug. Beides auf gelben Grund.

„Königsfamilie Monteno von Donnerhall. Königin Diana und ihr Gatte König Ludger zusammen mit der Thronfolgerin Lucia Monteno und Prinz Sven, begleitet durch ihren Leibwächter Dirk Autentahl. Einzigartig, wie jeder Berg, bilden wir doch eine Einheit. Glühend heiße Vulkane, weiße Berge geschmückt durch Schnee, felsige, raue Gebirge stählern unsere Seele für die Zukunft und lassen die Vergangenheit hinter uns.“

Ich hatte das Gefühl, kein anderer Spruch war so passend, wie für diese Familie. Besonders für Lucia und Diana.

„Das Motto der Montenos lautet: Wenn du deinen Weg gehst, sieh den Berg vor dir nicht als Hürde, sondern als Möglichkeit, zu wachsen.“

Mit erhabenen Schritten und einem grazilen Winken schritt Diana neben ihrem Mann ins Freie, dicht gefolgt von Sven und seinem Aktenkoffer, Lucia, die sich hüpfend fortbewegte und darauf von ihrer Mutter einen bösen Blick erntete, und Dirk, der aussah, als würde er am liebsten nicht auffallen wollen. Gemeinsam stellten sie sich unter das Banner, das mir schon bekannt war, und die braune Flagge, die einen grauen Berg zeigte. Über dem Berg leuchtete ein heller, gelber Stern. Fast unbemerkt winkte mir Lucia zu und hob beide Daumen in die Luft, um mir zu zeigen, dass sie meinen Auftritt klasse fand.

„Und nun unser Königshaus Redemia und die allseits geliebte Königsfamilie Nephirit. König Houston, sein Sohn Prinz Jayde und die Leibwächterin Pamilla. Kein Krieg und kein Tod belastet uns, wenn wir zum Himmel blicken und träumen. Mögen wir den Zusammenhalt finden, der uns die Harmonie zeigt, in der wir leben.“

Bevor der Pinguin das Motto aufsagen konnte, kam aus einer Ecke ein Mann auf seinen Schuhen gerollt, drehte ein paar Kreise auf dem kleinen Weg und winkte mit beiden Armen der Menge zu. Er sah aus wie ein Zirkusdirektor mit schwarzem Anzug, roter Fliege, Zylinder, Monokel und gezwirbeltem Schnauzer. Sofort begannen alle Anwesenden, wie verrückt zu jubeln und klatschten. Ich sendete einen verwirrten Blick zu Aaron, damit er mir auf die Sprünge half, doch dieser zuckte nur mit den Schultern und schloss die Augen, wie er es immer tat, wenn er überfordert war.

„Höre auf das Seelenfeuer in dir. Das ist unser Motto. Vielen Dank, James“, sagte der Mann und verneigte sich vor dem Pinguin. Dann zeigte er mit beiden Zeigefingern auf ihn. „Einen kräftigen Applaus für James, unseren königlichen Berater von Redemia!“

Ohne Verzögerung kam tosender Beifall und Jubelrufe von allen Seiten angeflogen. James verneigte sich ebenfalls und stieß beinahe wieder das Mikrofon mit seinem Horn um.

„Und jetzt bitte ich um einen kräftigen Applaus für meinen Sohn Jayde!“, rief Houston und zeigte zur anderen Seite.

Überschwänglicher Applaus war da, der Prinz nicht. Als der Jubel verstummte und immer noch keiner zu sehen war, wurden die Zuschauer langsam ungeduldig. Von irgendwoher konnte man leise zwei Stimmen aufgeregt miteinander diskutieren hören.

„Ich geh da nicht raus! Mein Vater dreht wieder komplett durch“, sagte die erste Stimme.

„Junger Mann, du gehst jetzt da raus und machst deinen Vater stolz“, erwiderte die zweite.

„Niemals! Der blamiert mich doch total. Was soll denn die High Society denken, wenn ich mit so einem Verhalten in Verbindung gebracht werde? Meine ganzen wichtigen und adeligen Kontakte gehen verloren, meine Zukunft geht den Bach runter und landet im Eimer!“

„Dann muss ich dich wohl hinaus zerren.“

Das Gespräch verstummte abrupt und kurz darauf traten zwei Personen ins Freie. Die eine war eine zierliche Frau mit einem erdigen Hautton, goldenen Augen, die glücklich funkelten, einem weißen, blau schimmernden Pferdeschwanz, der in sich, wie eine Spirale, gedreht war und einem Kleid in Herbsttönen, das auf einer Seite länger war, als auf der anderen. Sie trug ein Tuch um ihren Hals gebunden, das verlängert nach hinten fiel und aussah, als hätte sie ebenfalls Flügel. Die kleinen Zweige, die sich um ihre Beine schlängelten, waren mit kleinen Blüten bestückt.

Sie hielt einen kleineren Jungen mit wasserstoffblonden, zurückgegelten Haaren, grünem Anzug und schwarzer Hose am Ohr fest und zerrte ihn zu seinem Vater. Dabei sah es so aus, als würde sie schweben. In den grünen Augen des Jungen konnte sich ablesen lassen, wie unangenehm ihm diese Situation war. Dabei hatte die Feier noch gar nicht begonnen.

König Houston kostete den Moment noch aus und fuhr einige Runden um Jayde und Pamilla, vor allem, um seinen Sohn noch mehr zum Fremdschämen zu bringen, während die Leibwächterin aufgedreht lachte und dem König hinterher flog. Jayde war der Erste, der die Flucht ergriff und sich neben uns unter das Banner und die Flagge stellte, während sein Vater und seine Leibwächterin noch eine Runde drehten.

Die Flagge war in zwei Teile unterteilt. Die eine Hälfte war hellgrün, die andere dunkelgrün. Im Vordergrund stand eine graue Burg, um die sich ein lila, asiatischer Drache schlängelte. Das Banner war in nur einem Grünton gehalten und zeigte drei Flammen, die jeweils blau, rosa und rot und im Dreieck angeordnet waren.

„Und nun die Vertreter des Königshauses Bellatoxic. Lass die Sonne für dich strahlen und du wirst dich, wie die schönste Blume, nach ihr erstrecken. Die königliche Beraterin Elea und Hauptmann Eduardo.“

James las noch den Spruch von Grünewald vor, den ich in- und auswendig kannte, weil ich so oft durch dieses Portal musste, bevor Elea und Eduardo um die Ecke kamen und sich ohne weitere Umschweife zu ihrem Platz begaben. Nur der Hauptmann schien das Rampenlicht für einen Moment zu genießen. Mein Blick fiel auf die Flagge, das Banner kannte ich bereits. Ein waldgrüner Hintergrund mit einem Baum, vor dem ein silbernes Einhorn stand.

„Königin Koko Laszuli, ihre Tochter Prinzessin Lapis Laszuli die Siebte und der Leibwächter Eiszahn von Eisenwinde.“

James ließ einen kleinen Seufzer vernehmen und wischte sich mit dem Flügel über die Stirn, als würde das, was gleich folgte, anstrengend werden.

„Es ist kalt. Dort liegt Schnee und Eis. Gletscher. Gletscher überall. Warum ist es so kalt? Und das Motto: Mir ist kalt.“

Ein Kichern ging durch die Menge, in das ich beinahe mit eingestiegen wäre. Dabei hatte ich gedacht, dass Gletscher 1 bis 3 noch das Unkreativste war. Anscheinend hatte der Portalbeschwörer von Eisenwinde nicht viel Motivation oder Inspiration für seine Arbeit gefunden. Dass Lavasturm so was überhaupt erst durchkommen lassen hatte.

Im nächsten Moment schritt eine müde wirkende Frau mit tiefen Falten im Gesicht und weißen Haaren, in einem Dutt zusammengebunden, ins Freie. Neben ihr ein Eisdrache, der aussah, als wäre er aus vielen kleinen Eiszapfen zusammengesetzt. Die Zapfen, die ihm vom Kinn hingen und wie ein Bart aussahen, ließen ihn alt und weise erscheinen. Von seiner Haltung erinnerte er mich an einen Velociraptor. Die schneeweiße Haut der Königin glänzte in der Sonne und blendete mich für eine Sekunde. Im ersten Augenblick war ich verwundert, doch dann sah ich es. Ihre gesamte linke Körperhälfte war mit roten und blauen Kabeln, bunten Lichtern, die willkürlich aufblinkten, sowie Eisenplatten versehen. In ihren blauen Augen spiegelte sich der Kummer wider.

Ihre Tochter ging ein gutes Stück hinter ihr. Neben ihrem eisblauen, mit Kristallen bestückten Kleid hoppelte ein Puininchen mit rosa Schleife um den Hals und derselben hellbraunen Farbe, wie Lapis' füllige Haare, die ihr bis zur Hüfte reichten. Ihre blauen Augen waren hingegen entschlossen und freundlich geöffnet, wie ihre Sommersprossen, die ihr übers Gesicht hüpften.

„Begrüßt den König von Blauküste: Strudelauge. Tief, wie der Dschungel, wie die See mal sanft, mal wild müssen wir sein. Hoch, wie eine Welle schlagen wir ein, um zu schützen die Kinder Draconicas. Und das Motto der Königsfamilie Anker-Hotok: Du allein bestimmst den Seegang deines Lebens.“

Eine riesige, blaue Wasserschlange bahnte sich schlängelnd einen Weg zu uns. Gemächlich und ohne Eile, den Blick immer nach unten gewandt. Er schien jegliche Emotionen, außer Trauer, abgelegt zu haben. Strudelauge musste sich, aufgrund seiner Größe, vor seiner Flagge und seinem Banner niederlassen. Dort wickelte er sich ein und stieß einen schmerzerfüllten Seufzer aus, der den Zuschauern einen Stich ins Herz versetzte. Weder kannte ich ihn, noch wusste ich was ihm widerfahren war, aber ich empfand jetzt schon Mitleid.

Die blaue Flagge von Blauküste zeigte dunkelblaue Wellen, die sich kräuselten. Aus den Fluten erhob sich eine rote Seeschlange, die auf den ersten Blick einen bedrohlichen Eindruck hinterließ. Die Goldfische, die auf dem Banner um eine Seerose kreisten, vermittelten ein weitaus friedlicheres Bild.

„Und nun das abschließende Königshaus für heute. Die Königsfamilie Znichka und – “

James wurde von einer Wache unterbrochen, die eilig herankam, um dem königlichen Berater eine Nachricht mitzuteilen, die er ihm ins Ohr flüsterte. Verständnisvoll nickte der Pinguin und legte sich einen Flügel ans Kinn.