Dreamer - Jacqueline Thies - E-Book

Dreamer E-Book

Jacqueline Thies

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Beschreibung

Stell dir vor, du könntest in die Träume anderer reisen, diese manipulieren oder sogar stehlen. Und nun stell dir vor, deine Fähigkeiten würden alles bedrohen, was dir wichtig ist, deine Freundschaft, deinen Verstand oder sogar dein Leben.Elise hat ein Geheimnis, von dem sie selbst nichts weiß. Sie ist eine Dreamer, eine von wenigen Menschen, die in die Träume anderer reisen kann. Eigentlich hat sie genug Probleme mit ihren Albträumen und den Tabletten, die sie nimmt im verzweifelten Versuch die Träume zu unterdrücken. Doch als sie in der Uni Chris, einen charmanten Studenten, kennenlernt, eröffnet er ihr eine ganz neue Welt. Die Welt der Träume. Bald findet sie sich in einem Chaos aus Träumen, Gefühlen, Vertrauen und Zweifeln wieder. Und über allem schwebt die Frage: Wie weit darf man gehen, um die Dunkelheit in der Tiefe unseres Unterbewusstseins zu besiegen?

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Danksagung
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Über die Autorin

Dreamer

DREAM OF THE PAST

Von Jacqueline Thies

Buchbeschreibung:

Stell dir vor, du könntest in die Träume anderer reisen, diese manipulieren oder sogar stehlen.

Und nun stell dir vor, deine Fähigkeiten würden alles bedrohen, was dir wichtig ist, deine Freundschaft, deinen Verstand oder sogar dein Leben.

Elise hat ein Geheimnis, von dem sie selbst nichts weiß. Sie ist eine Dreamer, eine von wenigen Menschen, die in die Träume anderer reisen kann. Eigentlich hat sie genug Probleme mit ihren Albträumen und den Tabletten, die sie nimmt im verzweifelten Versuch die Träume zu unterdrücken. Doch als sie in der Uni Chris, einen charmanten Studenten, kennenlernt, eröffnet er ihr eine ganz neue Welt. Die Welt der Träume.

Bald findet sie sich in einem Chaos aus Träumen, Gefühlen, Vertrauen und Zweifeln wieder. Und über allem schwebt die Frage: Wie weit darf man gehen, um die Dunkelheit in der Tiefe unseres Unterbewusstseins zu besiegen?

Dreamer

DREAM OF THE PAST

Von Jacqueline Thies

Texte, Cover und Layout:

© Copyright by Jacqueline Thies

1. Auflage, April 2024

© 2024 Alle Rechte vorbehalten.

Selfpublisher:

Jacqueline Thies

Horather Straße 161

42111 Wuppertal

[email protected]

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Logo: Florin Sayer-Gabor – www.100covers4you.com

Für Michael,

weil ich alle meine Träume mit dir teilen kann.

Die Schönen, die Albträume und die für die Zukunft.

Für Abigail,

die mir half, meinen Weg zu finden.

Für Robin,

der mir Frieden geschenkt hat.

Ihr seid das Licht meines Lebens.

Kapitel 1

Elise

Niemand war in der benachbarten Toilette. Elise war froh darüber, während sie würgend über dem Porzellan hing. Die Galle blieb als pelziger Belag an ihrer Zunge haften. So hatte sie sich den ersten Tag nach den Semesterferien nicht vorgestellt. Sie würgte erneut, doch es kam nur noch Magensäure. Elise spuckte aus in der Hoffnung, den sauren Geschmack loszuwerden. Ohne Erfolg. Genervt betätigte sie die Spülung. Das Rauschen hallte in ihrem dröhnenden Kopf.

Wilde Bilderfetzen der Nacht schwirrten durch ihre Gedanken. Wenn dieser Albtraum sie weiter verfolgte, würde es sie noch umbringen oder zumindest in den Wahnsinn treiben.

Mit einem kräftigen Tritt gegen die Kabinentür trat sie in den Vorraum und zum Waschbecken hinüber, um sich den Mund auszuspülen. Mit zitternden Fingern drehte sie den Wasserhahn auf und ließ das brennend kalte Wasser über ihre Hände laufen. Ihre Haut war blass wie Käsekuchen.

Bei dem Gedanken an Essen wurde ihr erneut flau im Magen. Das war nicht neu. Genauso wenig wie das Zittern ihrer Hände. Sie wusste, dass sie die Schuld daran trug. Schließlich nahm sie in letzter Zeit mehr Tabletten als Nahrung zu sich. Der stechende Schmerz des eisigen Wassers drang gedämpft zu ihr durch, wie vieles andere auch. Nur die Albträume waren geblieben, ein verschwommener Nebel aus Angst. Die Tabletten halfen nicht, genauso wenig wie die Gespräche mit ihrem Neurologen. Jedes Mal, wenn Dr. Peterson ihr riet, über eine Therapie nachzudenken, beteuerte sie, dass es ihr schon besser ging. Er glaubte ihr nicht, das wusste sie. Sie glaubte sich ja nicht einmal selbst.

Langsam wurden ihre Finger taub vom Wasser. Sie beugte sich vor und spülte den Mund aus. Der widerliche Geschmack ließ kaum nach. Elise richtete sich auf und sah sich wie eine Fremde im Spiegel. Tiefe Schatten zeichneten sich unter ihren Augen ab und die Haare lagen ihr zerzaust auf den Schultern. Wie zwanzig sah sie nicht aus, eher wie diese Mittdreißiger auf den Plakaten der Anti-Drogen-Kampagnen, abschreckend und verkatert. Zumindest der Eyeliner saß perfekt.

Elise wühlte in ihrer Jackentasche, bis sie das verheißungsvolle Klappern hörte. Sie zog die Tablettendose hervor und blieb sie an etwas hängen. Elise betrachtete den Zettel, den sie zusammen mit dem Döschen aus ihrer Tasche holte, mit Abscheu. Und mit Angst.

Eine Überweisung in die psychiatrische Klinik. Dr. Peterson hatte sie ihr mitgegeben. Als letzte Mahnung. Beim nächsten Mal würde er ihr nicht mehr die Wahl lassen. Elise wusste das, und es verstärkte die Angst. Sie ließ den Deckel der Tablettendose aufschnappen und stellte erschrocken fest, dass sie halb leer war. Seit wann schluckte sie Tabletten wie andere Leute Smarties? Wenn sie die Tabletten weiter in diesem Tempo nahm, würde ihr nächster Termin bei Dr. Peterson früher kommen als ihr lieb war. Aber ohne die Tabletten würde sie noch heute zusammenbrechen. Wie hatte es so weit kommen können? Eine Frage, die Elise sich öfters stellte, und auf die sie keine sinnvolle Antwort fand. Da war nur das Flüstern einer Stimme aus ihrem Traum.

Bin ich dir egal?

Ihre Finger krallten sich schmerzhaft um die Dose. Elise wollte es nicht hören, nicht darüber nachdenken, und erst recht wollte sie nicht reden. Es gab nichts zu bereden.

Die Tabletten klapperten in ihrer zitternden Hand und erneut fiel ihr Blick auf die Überweisung. Der Zettel grinste ihr gehässig zu. Nicht mehr viel und sie würde den Kampf verlieren. Doch Elise war nicht bereit aufzugeben.

Sie zerknüllte die Überweisung und warf sie mitsamt den Tabletten in den Müll. Das billige Papier zum Abtrocknen der Hände knisterte empört und verschluckte beides. Elise atmete tief durch und schritt auf die Tür zu. Ihre Finger schlossen sich um den Türgriff. Nur wenige Zentimeter und sie könnte das alles hinter sich lassen.

Doch sie rührte sich nicht. Wie versteinert starrte sie auf die gräulich weiße Tür vor sich. Der Metallgriff unter ihren Fingern bewegte sich nicht. Es war, als wehre ihr Körper sich dagegen diesen Raum zu verlassen. Nicht ohne diese Tabletten.

Elise wollte dem Drang widerstehen. Ihre Finger zitterten heftig und ihr Atem stockte. Tränen sammelten sich in ihren Augen. Tränen der Wut. Eine Dose voll unscheinbarer Pillen hatte die Kontrolle über ihr Leben erlangt.

Sie riss sich von der Tür los. Mit einem Schritt war sie beim Mülleimer und wühlte in dem knisternden Papier, bis ihre Hände sich um die Tablettendose schlossen. Sie atmete reflexartig auf.

Mit einer fließenden Handbewegung zog sie die Dose hervor und ließ den Deckel aufschnappen. Die Tablette wanderte in ihren Mund und ohne einen Schluck Wasser hinab bis in den Magen. Der Geschmack des mehligen Bezugs pappte an ihrem Gaumen.

Nach zwei drei kurzen Atemzügen merkte sie, wie sie sich beruhigte. Allein der Gedanke an die Wirkung der Tabletten half. Wenn das nicht der größte Hohn an er Sache war.

Sie seufzte und wandte den Spiegeln den Rücken zu. Sie wollte nur raus hier. Die Tür zu den Damentoiletten fiel hinter ihr ins Schloss. In ihrer Hand hielt sie die Tablettendose. Die Überweisung dagegen ließ sie dort, wo sie ihrer Meinung nach hingehörte.

Im Müll.

Elise trat aus den Toilettenräumen heraus ins Treiben der Universität. Auf den Gängen vor der Bibliothek herrschte Gedränge. Gruppen von schwatzenden Studenten begrüßten einander und erzählten von ihren Reisen und den Exzessen der vorlesungsfreien Zeit. Vereinzelt huschten Professoren an ihnen vorbei und grüßten gezwungenermaßen. Wenige verirrten sich in die Bibliothek. Höchsten, um Bücher zurückzugeben, die in den Ferien zwischen leeren Pizzakartons aufgetaucht waren und nun seit Monaten überfällig waren.

Elise drängte sich an einer Gruppe Studenten vorbei und suchte nach Tabea, einer Studienkollegin, der sie versprochen hatte sich vor der Vorlesung hier zu treffen. Auf Zehenspitzen versuchte Elise sich einen Überblick zu verschaffen, auch wenn die wenigen Zentimeter nicht wirklich halfen. Es war äußerst lästig, wenn man klein war.

Sie wippte auf die Fersen zurück und stieß versehentlich mit jemandem zusammen, der an ihr vorbei hastete. Ihr Gleichgewichtssinn versagte und sie wäre gestürzt, wenn sie nicht von der Seite gepackt worden wäre. Ein Student zog sie sicher auf die Füße zurück. Sein hellblondes Haar leuchtete gute zwei Köpfe über ihr auf.

»Alles in Orndung?«, fragte er mit ruhiger Stimme.

Elise schätzte, dass er ein paar Jahre älter war als sie. In seinem Sakko und den schicken Schuhen sah er aus, wie einer dieser Gentlemen in den alten schwarzweiß Filmen. Seine blassgrünen Augen blickten sie fragend an und ihr wurde bewusst, dass sie ihn anstarrte.

»Ja. Alles ok«, stammelte sie. Peinlicherweise lehnte sie noch halb an ihm. Eilig trat sie einen Schritt zurück. »Danke.«

Er lächelte faszinierend unaufdringlich.

»Nichts zu danken.«

Elise spürte Hitze in ihre Wangen aufsteigen. Sie überlegte, irgendetwas zu erwidern. Doch er nickte ihr nur noch einmal zu und verschwand.

Sie riss den Blick von ihm los und erinnerte sich mahnend daran, dass sie nach Tabea suchte. Erneut sah sie den Gang entlang. Mit wenig Freude erkannte sie ein anderes bekanntes Gesicht. Sie hätte damit rechnen müssen, dass er hier sein würde.

Toni starrte düster zu ihr hinüber. Er stand von einer Bank neben der Bibliothek auf und kam auf sie zu. Elise gab sich alle Mühe nicht zu ablehnend zu wirken, aber Tonis verdrießliche Miene machte es ihr nicht leicht. Wie immer trug er eine abgewetzte Lederjacke und unter dem Arm klemmte sein Motorradhelm. Seine dunklen Haare waren von der Fahrt zerzaust.

Elise wollte ein »Hallo« über die Lippen zwängen, als Toni diesen Teil übersprang.

»Wo sind Tabea und Mario?«, fragte er und sah mit Leichtigkeit über sie hinweg.

So viel zur Höflichkeit.

»Nicht da«, gab sie pampig zurück.

Er zog die dichten Augenbrauen zusammen. Sie waren so schwarz, als habe sie jemand mit Edding nachgemalt. »Das sehe ich auch.«

Innerlich rollte sie mit den Augen. Zum Glück hörte sie hinter sich Tabeas Stimme, bevor sie ihren Sarkasmus auf ihn losließ.

»Habe ich etwas verpasst?«, fragte Tabea fröhlich.

Elise schüttelte hastig den Kopf. »Nein.«

Gleichzeitig sagte Toni: »Deine Freundin rempelt nur jeden Zweiten an und wundert sich, wenn sie irgendeinem Typen in die Arme stürzt.«

Elise stöhnte innerlich auf. Dass, er sie ausgerechnet dabei beobachtet hatte.

»Ein Typ?«, fragte Tabea. Ihre Augen funkelten belustigt hinter ihrem zierlichen Brillengestell. »Sah er gut aus?«

»Ist das nicht egal?«, versuchte Elise das Thema abzublocken. Blöderweise spürte sie, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg.

Was auch Tabea bemerkte. »Und warum siehst du dann aus wie eine gescheckte Tomate?«

»Ach sei ruhig.« Elise stieß ihre Freundin in die Seite.

Kichernd strich sich Tabea die unbändigen braunen Locken hinter die Ohren.

»Kommt Mario auch bald?«, fragte Toni, als gäbe es nichts Schlimmeres als ihre Gesellschaft.

Manchmal fragte Elise sich, warum sie überhaupt mit ihm reden musste. Dabei war die Antwort so einfach wie Mario, der in diesem Moment den Gang entlang schlenderte und sich ein Käsebrötchen in den Mund schob. Remoulade klebte an seinem stoppeligen Kinn.

Tabea nahm seine Serviette und tupfte den Fleck liebevoll weg. Es war schon ekelig, wie sehr die beiden ineinander verknallt waren. Elise war sich sicher, wenn sie an so etwas wie die wahre Liebe geglaubt hätte, dann wären Tabea und Mario der Inbegriff dessen. Mario und Tabea waren seit zwei Jahren ein Paar. Seit sie sich im ersten Semester auf einer Studentenparty kennen gelernt hatten, an die Elise leider keine guten Erinnerungen hatte.

Doch egal wie sicher Elise sich gewesen war, dass die Beziehung nicht lange halten würde, sie war eines Besseren belehrt worden. Was leider der Grund dafür war, dass sie Toni nicht ignorieren konnte, da er und Mario meist zusammen auftauchten.

Mario schluckte und stieß Toni an.

»Sieh dir die mal an.«

Er deutete unübersehbar auf eine Gruppe Studentinnen, deren Rock Elise nicht einmal als Gürtel getragen hätte. Sie stolzierten auf ihren langen Gazellenbeinen vorbei.

Elise wandte sich an Tabea.

»Warum fragst du die Beiden nicht, was los ist, wenn sie andere begaffen?«

»Weil das bei denen nichts Neues ist«, sagte diese und verpasste Mario einen saftigen Tritt vor das Schienbein.

Keuchend schnappte er nach Luft und rieb sich das Bein.

Tabea funkelte ihn böse an.

»Sei doch nicht eifersüchtig.« Mario beugte sich vor und gab Tabea ein Küsschen auf die Wange.

Tabea schnaubte und tat als wäre sie beleidigt.

»Du weißt doch, Süße. Appetit darf man sich überall holen.« Er winkte mit seinem Brötchen. »Doch gegessen wird zu Hause.«

Er wollte es sich in den Mund schieben, doch es rutschte ihm aus der Hand, purzelte über sein Shirt und verzierte es mit Fettflecken, bevor es auf den Boden klatschte. Mario sah mit offenem Mund auf den Boden.

Toni tätschelte ihm bemitleidend die Schulter.

»Bei deinem Essverhalten nimmt dich auch keine Andere.«

Tabea lachte und Elise konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Mario wischte sich ein wenig beleidigt über das Shirt. Dann grinst er ebenfalls, wohl froh darüber, dass Tabea nicht mehr böse auf ihn war.

Elise sah zu Toni und erwartete, dass auch er darüber schmunzelte.

Er jedoch wich ihrem Blick aus.

Was hatte der Kerl bloß gegen sie?

»Sehen wir uns nach der Vorlesung zur Mensa? So wie letztes Semester?«, fragte Tabea.

Der Gedanke an Essen zerrte in Elise Magen. Sie wusste nicht ob vor Hunger oder Übelkeit. Sie schüttelte den Kopf.

»Ich nicht. Ich habe danach Schluss.«

Tabea lachte. »Das ist doch kein Grund.«

»Ich werde abgeholt«, ergänzte Elise.

»Deine Eltern holen dich ab?«, fragte Mario und sah sie perplex an, während er damit beschäftigt war Tabea die Haare von der Schulter zu streichen.

»Ja klar«, sagte Elise sarkastisch.

»Holt Fips dich ab?«, fragte Tabea, die eindeutig die Intelligentere in der Beziehung war.

»Wer ist – ?«, wollte Mario fragen.

Doch Toni mischte sich ein. »Ich kann auch nicht. Ich habe danach Praktikum. Wir müssten uns einen anderen Wochentag suchen.«

»Sicher«, sagte Tabea, »Wir finden schon was.«

Hoffentlich nicht, dachte Elise und zog Tabea nach einer kurzen Verabschiedung in Richtung Tür, bevor Mario ihr noch an die Wäsche ging.

»Wir sollten los, sonst kommen wir zu spät.«

»Ja, sicher«, sagte Tabea und hielt dann vor der Tür nochmal inne. Sie schlug sich vor die Stirn. »Da fällt mir noch was ein.«

Sie zog einige Zettel aus ihrem Rucksack.

»Hier!« Sie drückte jedem von ihnen einen in die Hand.

Elise sah auf den Zettel und erkannte, dass es Flyer waren. Es ging um ein Filmprojekt der Universität mit einer Kinovorführung Ende der nächsten Woche. Nichts, was Elise sich für gewöhnlich ansah.

»Ihr müsst unbedingt kommen«, sagte Tabea voller Begeisterung. »Das ist wirklich sehenswert.«

Elise suchte fieberhaft nach einer Ausrede, doch Tabea schien es ihr anzusehen. Sie deutete mahnend auf Elise.

»Du bist sowieso an dem Tag an er Uni. Das ist Abends nach unserer Orchesterprobe. Die eine Stunde kannst du wirklich noch dran hängen.«

Elise sah erneut auf den Zettel. Tabea hatte recht, es lag passend nach der Orchesterprobe. Und da Tabea mit ihr im Orchester war, würde es äußerst schwierig werden ihr zu entkommen.

»Na gut«, sagte Elise ohne Überzeugung.

Tabea strahlte und wandte sich den Jungs zu.

»Was ist mit euch?«

Mario hatte den Zettel längst zusammengefaltet und in seine Tasche gequetscht. Elise nahm an, dass er nicht einmal den Titel des Films gelesen hatte.

»Sicher kommen wir.« Er nickte Toni auffordernd zu. »Du doch auch oder?«

Toni sah stirnrunzelnd auf den Zettel und zuckte mit den Schultern.

»Also ja«, sagte Mario und freute sich über den überschwänglichen Kuss, den ihn das von Tabea einbrachte.

»Können wir endlich?«, fragte Elise und schob sich den Zettel in die Hosentasche.

Endlich riss Tabea sich von Mario los und sie gingen zur Vorlesung. Die wie immer eine Zumutung war. Sowohl für ihr Verständnis der französischen Sprache als auch für ihren Geruchssinn. Parfüm gehörte verboten. Nach zwei Stunden französische Lyrik des Mittelalters, war sie froh, dass sich die Hörsaaltüren hinter ihr schlossen.

Sie verabschiedete sich von Tabea und ging um eine Ecke, wo es ruhiger war. Dort hielt sie inne. Mit geschlossenen Augen lehnte sie sich an eine Wand. Ihr war schon wieder schwindelig.

Die Tür zum Nebenkomplex öffnete sich surrend. Ein Windhauch streifte ihre Wange. Elise öffnete die Augen und vergaß kurz ihre Sorgen, als sie ein vertrautes Gesicht sah. Ihr absolutes Lieblingsgesicht.

Fips kam mit seinem charmantesten Filmstarlächeln auf sie zu. Sie lief ihm entgegen und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu umarmen, wobei er sich trotzdem vorbeugen musste. Auf ihn passte die Bezeichnung Bohnenstange.

»Du bist früh hier«, sagte sie und verdrängte die finsteren Gedanken. »Ich dachte, du kommst erst in einer halben Stunde.«

Sie erwiderte sein breites Lächeln. In Fips Nähe war es leichter glücklich zu sein. So als wäre er ein Glückshormon auf zwei Beinen.

»Der zwei Uhr Termin ist ausgefallen.« Er zuckte mit den Schultern. »Jemand hat es sich anders überlegt.«

Das konnte Elise nachvollziehen. Fips, der eigentlich Phillipp hieß, war Zahnarzthelfer. Ein Beruf, der auf Elises Gruselskala direkt nach Bestatter und Pathologe kam. Wäre sie nicht bei dem Zahnarzt, für den Fips arbeitete, würde sie auch jeden zweiten Termin sausen lassen.

»Ich dachte, ich komme ein wenig früher, um dich mit meiner Anwesenheit zu erleuchten«, sagte er zwinkernd.

»Erleuchten?«, fragte sie belustigt.

»Schließlich bin ich die Sonne deines Lebens«, sagte er vollkommen überzeugt, »Oder etwa nicht?«

Elise lachte.

»Wenn nicht du, wer dann?«

»Ich wusste es.«

Nun lachten sie beide.

Fips Selbstvertrauen war so grenzenlos, wie seine Haut blass war. Die tatsächlich noch blasser war, als ihre Eigene. Nur das er an scheinbar jeder Stelle mit Sommersprossen bedeckt war. Der Fluch der Rothaarigen, pflegte er zu sagen.

»Bist du ganz alleine hier?«, fragte Fips und sah über die Köpfe der vorbeikommenden Studenten hinweg.

»Tabea ist schon zur Mensa.«

»Du hättest doch ruhig mit zur Mensa gehen können, dann wäre ich später gekommen.«

»Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich meine Zeit lieber mit anderen als mit dir verbringen würde«, sagte sie, »Erst recht nicht mit Mario und Toni.«

»Mario ist Tabeas Typ, oder?«, fragte er, »Aber wer war nochmal Toni? Sah er gut aus.«

»Niemand, der sich für dich interessieren würde.«

Fips zwinkerte ihr zu. »Du wärst erstaunt, wenn du wüsstest, wer sich schon alles für mich interessiert hat.«

»Ich glaube, dass will ich lieber nicht wissen.«

Sie gingen gemeinsam über das Unigelände.

»Und wenn ich es dir trotzdem erzähle?«

»Bitte nicht«, sagte sie ohne es allzu ernst zu meinen.

Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.

»Du bist doch nur eifersüchtig, weil ich die hübscheren Kerle abbekomme.«

Sie stieß ihn vor dem Arm und mit einem Lachen legte er eben diesen um ihre Schulter. Bei jedem anderen Mann hätten ihre Alarmglocken geklingelt, doch nicht bei Fips. Er war attraktiv keine Frage, mit seinem hohen Wangenknochen und den blaugrünen Augen. Oft sah Elise, wie andere Mädchen ihm hinterher starrten. Doch Fips erwiderte die Blicke nie. Es sei denn, sie kamen von einem Mann.

Fips sah sie von der Seite an.

»Vielleicht stört es dich, weil ich überhaupt einen abbekomme. Dein letztes Date dürfte schon Jahre her sein, wenn ich mich nicht irre.«

Sie verließen das Gelände über eine Seitenstraße. Es war bewölkt und ein stürmischer Wind pfiff Elise durchs Gesicht und brachte ihre Haare durcheinander. Sie strich sich die Haare hinter die Ohren.

»Bist du mit dem Auto hier?«, fragte Elise, um schnell das Thema zu wechseln.

»Natürlich. Nichts geht über Bequemlichkeit. Auch wenn mir nicht entgangen ist wie überaus ungalant du von den wirklich interessanten Fragen des Lebens ablenkst«, sagte Fips und deutete auf einen Parkplatz links von ihnen.

»Wenn du nicht in der Mensa warst, nehme ich an du hast Hunger. Ich habe uns etwas zu Essen vorbereitet. Bami Goreng a la Phil.«

»Du bist ein Held«, seufzte Elise und ihr Magen lobte seine Voraussicht mit einem unüberhörbaren Grummeln.

»Hört sich ziemlich leer an«, sagte Fips anklagend, »Wann hast du das letzte mal etwas gegessen?«

»Heute morgen. Es war fast ein Toast.«

Dass sie es komplett wieder ausgekotzt hatte, sagte sie lieber nicht.

Er sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Ich bin danach nicht mehr dazu gekommen«, sagte Elise entschuldigend.

»Das passiert dir in letzter Zeit eindeutig zu oft. Isst du überhaupt noch was?«

»Du weißt doch wie schlecht ich koche«, versuchte sie es mit einer Ausrede.

Und das was nicht einmal gelogen. Sie hatte einmal Eier gebraten, bis sie aus ihr unerfindlichen Gründen grün waren. Meistens aß sie nur Müsli oder eben Toast.

Doch sie sah, dass ihm diese Antwort nicht genügte, deswegen machte sie ihm ein Friedensangebot.

»Ich werde gleich alles artig aufessen, was du mir auf den Teller lädst. Und nächste Woche schmier ich extra dick Butter aufs Brot.« Vielleicht kam es dann geschmeidiger wieder hoch.

Er sah sie durchdringend an. »Dein Wort in Gottes Ohr.«

Sie hakte sich bei ihm ein und hoffte, dass das Thema damit beendet war. Denn die schlimmste Nebenwirkung ihrer Tabletten war, dass sie sich deswegen mit Fips streiten musste.

Kapitel 2

Elise

Das Weiß brannte sich auf ihrer Netzhaut ein. Ein schmerzhaft greller Blitz. Lange Flure schnappten nach ihr und wanden sich wie Schlangen. Der Gestank von Desinfektionsmittel, Krankheit und alten Laken drängte in ihre Nasenlöcher. Elise lief den Krankenhausflur entlang auf eine Tür am Ende des Gangs zu.

Sie kam an weiteren Türen vorbei. Manche waren angelehnt und sie hörte das rasselnde Keuchen und Flehen aus dem Innern, wie ein Hintergrundrauschen. Elise lief weiter bis zur Tür am Ende des Gangs. Sie fasste die Türklinke und spürte ein Drücken in Magen. Die Klinke ließ sich kaum herabdrücken. Dir Tür sprang aus dem Schloss und Elise wollte hineingehen. Übelkeit packte sie so heftig, dass sie in die Knie ging. Ihre Eingeweide verkrampften und das grelle Licht der weißen Kacheln zerplatze vor ihren Augen. Der Boden unter ihren Füßen wich vor ihr zurück. Sie versuchte, die Bilder zu halten. Dann wurde alles schwarz.

Als sie die Augen aufschlug, war ihr noch flau im Magen.

Nur ein Traum, dachte Elise und setzte sich auf. Vielleicht war sie diese Nacht vor dem Schlimmsten verschont geblieben.

Eilig streckte sie die Füße unter der Bettdecke hervor und stellte sie auf den Boden. Sie hoffte es so sehr. Bis sie die Splitter unter ihren nackten Sohlen spürte.

Sie konnte ihren Träumen nicht entkommen. Dies war nicht die Couch in Fips Wohnung, auf der sie eingeschlafen war. Sie erkannte ihr Jugendzimmer, auch wenn es nur ein Bild in ihrem Traum war. Ihrem Albtraum.

Sofort brannte die Angst in ihr. Sie wollte nicht hier sein. Sie wollte in die anderen Träume. In die Wälder, Städte und Krankenhäuser, die sie besuchte, bevor sie in diese Welt gezerrt wurde. Die Tabletten schützten sie nicht, sondern legten nur einen Schleier über die Traumbilder. Ein Wabern und Rauschen, dass alle Konturen verschwimmen ließ.

Elise taumelte durch die Splitter am Boden. Das Laminat war von ihnen bedeckt, wie ein Kind mit Windpocken. Schmerz durchzuckte ihre Füße, die sie hinaus in den dämmrigen Flur trugen. Diffuses Halblicht drängte aus einem Raum zu ihrer Linken. Sie schlich daran vorbei auf die Treppe zu, die hinunter ins Erdgeschoss führte. Die Umgebung drang schemenhaft zu ihr durch. Kahle Flecken an der Wand. Graue Löcher, wo einst Familienbilder glänzten. Zornige Stimmen im Hintergrund.

Elise versuchte, sich auf die Wand zu konzentrieren. Das Bild festzuhalten. Sie wollte stehen bleiben, doch ihre Beine führten ein Eigenleben. Das Knarren der Dielenbretter unter ihren Füßen wurde vom Knall der zufallenden Haustür abgelöst. Elise rannte zur Haustür und rüttelte an der Klinke. Die Tür war verschlossen.

Jemand entfernte sich vom Haus. Elise sah ihn durch das kleine Fenster neben der Tür. Sie wusste nicht, wer es war, oder warum sie mit aller Macht hinterher wollte. Alles wurde vom tauben Dröhnen in ihrem Kopf verschluckt. Hilflos rüttelte sie an der Tür. Sie schmeckte Tränen auf ihren Lippen. Hörte sich weinen. Allmählich breitete sich Panik in ihr aus. Sie wollte hier weg. Nur weg.

Ihre feuchten Finger rutschten von der Türklinke ab, als sie verzweifelt daran riss.

Weinen. Schreien.

Der Krach war unerträglich. Sie konnte nicht mehr denken. Das nächste Bild blitze vor ihren Augen auf. Mit einem Ruck flog die Tür auf. Dahinter war nichts als Dunkelheit. Ein bodenloser Schlund. Sie verlor den Halt. Konnte nichts dagegen tun. Dann keine Bilder mehr. Kein Haus. Kein Weinen. Nur ihr eigener endloser Schrei als sie ins Nichts fiel.

Kapitel 3

Elise

Elise schrie selbst dann noch, als Fips sie an den Schultern packte und wach rüttelte. Er riss sie fort von der Dunkelheit, fort von dem Weinen und dem Schreien, zurück in die Wirklichkeit.

Hemmungsloses Schluchzen schüttelte ihren Körper. Und obwohl sie wusste, dass es vorbei war, dass sie wach war und all die Bilder nur Albträume, schlug sie um sich auf der Suche nach Halt. Irgendetwas, an dem sie sich festhalten konnte. Etwas, das ihren endlosen Sturz aufhielt.

Und wie in so vielen Nächten war es Fips, der sie hielt. Er zog sie fest in seine Arme und wiegte sie. Er streichelte ihr über das verschwitzte Haar und flüsterte ihr zu, dass alles in Ordnung war. Doch das war es nicht. Nicht mehr seit sie diesen Albtraum hatte.

Elise Verstand kehrte mühsam zurück. Sie hyperventilierte und ihr Gesicht war feucht von Tränen. Wie in ihrem Traum. Die Angst folgte ihr überall hin. Ihr blieb nur eine Möglichkeit das Ganze zu kontrollieren.

»Meine Tabletten«, keuchte sie mit trockenem Hals.

Fips hielt sie fest an sich gedrückt. Ließ sie nicht los.

»Warte einen Augenblick, dann wird es besser«, flüsterte er ihr zu. Er klang so unsicher.

Elise legte ihre zitternden Hände auf seine schlanke Brust und schob ihn ein Stück weit fort.

»Bitte.«

Sie erkannte ihre eigene brüchige Stimme kaum wieder.

Fips ließ Elise los und sie griff, ohne auf ihn zu achten, nach ihrer Handtasche neben dem Sofa. Hastig wühlte sie nach der Tablettendose. Da sie das Gewünschte nicht schnell genug fand, kippte sie den Inhalt der Tasche kurzerhand auf ihre Bettdecke. Endlich fand sie die Dose. Sie hatte die Tablette schon in der Hand, als Fips aus der Küche kam und ihr ein Glas Wasser reichte. Sie hatte nicht bemerkt, dass er den Raum verlassen hatte.

Sie schnappte sich eine der Pillen und spülte sie mit einem ganzen Glas Wasser hinunter. Am liebsten hätte sie mehr von dem Zeug eingeworfen. So lange, bis es wirkte. Doch allein das Wissen, dass die Entspannung kommen würde, half ihr, die Kontrolle zu bewahren. Erschöpft und schweißgebadet ließ sie sich auf ihr Kissen zurücksinken und starrte an die Decke. Der mehlige Tablettenüberzug klebte an ihrem Gaumen. Ihr Herzschlag wurde langsamer und nach einer gefühlten Ewigkeit legte sich die gewohnte Gleichgültigkeit auf ihre Sinne. Der Druck in ihrer Brust ließ nach.

Sie drehte den Kopf und sah zu Fips, der sich neben das Sofa auf den Boden gesetzt hatte. Sein Gesicht war aschfahl im hereinscheinenden Licht der Straßenlaternen. Seine rechte Hand lag neben ihr auf der Decke. Er wirkte erschöpft.

Wie viele Nächte wollte sie ihm das noch antun? Besorgt er könne sie von sich stoßen, legte sie ihre Hand auf seine.

»Es tut mir leid.« Es war kaum ein Flüstern.

»Schon in Ordnung.« Kein Hauch von Fröhlichkeit lag in seiner Stimme.

Er nahm ihre Hand und drückte sie. Blieb bei ihr. Doch wie lange noch, schoss es Elise durch den Kopf. Wie lange würde es dauern, bis er genug von ihr hatte? Sie musste etwas tun. Aber der Gedanke an eine Therapie war unerträglich. Es musste einen anderen Weg geben.

Elise richtete sich auf, als sich in ihrem Kopf nicht mehr alles drehte. Sie rutschte beiseite, damit Fips sich neben sie unter die Decke setzen konnte. Es machte ihr nichts, obwohl sie nur im Nachthemd schlief. Schließlich war er wie ein großer Bruder. Er war ihre Familie.

»Wieder der Traum?«, fragte Fips nach einer Weile.

Der Traum. Allein bei dem Gedanken daran verkrampfte sich ihre Brust. Ein Traum, der ihre Nächte verseuchte und sie dem Wahnsinn so nah brachte, dass sie sicher war, jeden Moment über den Abgrund zu treten.

Elise brachte nur ein Nicken zustande.

»Hast du dieses mal erkennen können, wer das Haus verlassen hat?«, fragte Fips.

Schon vor einem halben Jahr, als der Traum sie die ersten Male verfolgte, hatte sie Fips davon erzählt. Hatte gehofft, dass er eine Lösung wusste. Doch die Lösung müsste sie in sich selbst suchen, hatte er gesagt. Nicht dass ihr das weiter geholfen hätte. Auf sein Drängen hin war sie zu Dr. Peterson gegangen. Doch den Rat in Therapie zu gehen, konnte sie nicht folgen.

»Ich weiß nicht, wer es ist.«

Energisch rieb sie sich die Augen. Die Tabletten machten sie schrecklich müde.

»Seitdem ich die Tabletten nehme, sehe ich nur noch Bruchstücke des Traums.« Ihre Stimme klang genauso kratzig, wie ihr Hals sich anfühlte.

Fips stand schweigend auf und holte ein weiteres Glas Wasser aus der Küche. Er reichte es Elise, bevor er sich wieder neben sie hockte.

Sie setzte das Glas an die Lippen. Die Feuchtigkeit brannte in ihrem rauen Hals. Mit zwei gierigen Schlucken leerte sie das Glas und stellte es auf den Couchtisch.

»Ich dachte du bekommst Schlaftabletten, damit du nicht mehr träumst«, nahm Fips das Gespräch wieder auf.

»Bekomme ich auch.«

Elise dachte an die Tablette, die sie vor dem Schlafengehen genommen hatte. Lange Zeit hatten die Tabletten ihre Träume unterdrückt.

»Die wirken nur nicht mehr so gut.«

»Hast du das Dr. Peterson gesagt?«

Natürlich hatte sie das. Deswegen hatte er ihr die Überweisung für die Psychiatrie mitgegeben, die Elise im Müll entsorgt hatte. Das verschwieg sie Fips jedoch lieber.

»Hast du noch mehr geträumt, irgendwas, dass dir sagt warum du diesen Traum hast?«, wollte Fips wissen.

Elise schüttelte den Kopf.

»Nichts zu diesem Traum. Vorher habe ich aber von einem Krankenhaus geträumt. Alles war weiß gefliest und vor mir war eine Tür. Doch als ich hindurch gehen wollte, war der Traum weg, und ich bin wieder in meinem Albtraum gelandet.«

»Das ist merkwürdig.« Fips und kratze sich am Kinn.

»Was ist merkwürdig?«, fragte sie. Träume kamen ihr im Allgemeinen nicht logisch vor.

»Ich habe auch von einem Krankenhaus geträumt.« Fips Stimme war belegt und er sah bedrückt auf seine Hände.

Elise wusste, dass er Krankenhäuser hasste. Daran änderte auch seine Ausbildung nichts.

»Denkst du, Menschen können zur selben Zeit denselben Traum haben?«, fragte er und sah zu ihr.

»Eher unwahrscheinlich, denkst du nicht.«

Gemeinsam starrten sie die im Dunkeln liegende TV-Wand gegenüber der Couch an. Ab und zu fuhren Scheinwerferlichter vorbei und brachten Bewegung in die Schatten. Ansonsten war es still.

Fips blinzelte und rieb sich die Augen.

»Denkst du, du kannst wieder einschlafen?«, fragte er.

»Wenn ich noch eine von diesen hier nehme.«

Elise klapperte mit ihren Happy-Pillen.

»Wie viele davon darfst du am Tag nehmen?«

»Zwei. Vielleicht auch mal drei.«

Sie wich seinem Blick aus. Nachdenklich drehte sie die Tablettendose zwischen den Fingern.

Fips zog die Stirn kraus. »Und wie viele hast du heute schon genommen?«

Sie konnte seinem Blick nicht länger ausweichen. Das Blaugrün seiner Augen war selbst im Halbdunkeln zu erkennen. Doch auch in absoluter Dunkelheit hätte sie jede Faser seine Iris gekannt. Wie ein Foto, das tief in ihrem Unterbewusstsein abgespeichert war.

»Das eben war die Vierte seit gestern morgen.«

Sie ließ die Schultern hängen. Die Hand, mit der Tablettendose, sank auf die Bettdecke.

Fips legte seine Hand auf ihre.

»Du weißt, dass es so nicht weitergehen kann?«

Elise nickte erschöpft. Das dumpfe Drücken in ihrem Kopf verstärkte sich.

»Was sagen deine Eltern dazu?«, fragte Fips in die Stille.

Elise spürte einen Stich im Herzen. Einen Schmerz, der sie jedes Mal überrollte, wenn ihre Eltern zum Thema wurden.

Sie schluckte.

»Sie wissen nichts davon«, sagte sie und unterbrach Fips, als er den Mund öffnete, »Und sie werden auch nichts davon erfahren.«

Sie schmeckte den Zorn in ihren Worten. »Sie sind die Letzten, die mir helfen können.«

Fips sah sie einen Moment an, forschte in ihrem Blick. Wenn sie ihm doch hätte sagen können, wie wenig ihre Eltern ihr helfen konnten. Dann hätte er es verstanden, sicher.

»Du solltest mit ihnen reden.« Er löste ihr mit sanften Druck die Pillendose aus der Hand und warf sie zurück in ihre Tasche. »Und sprich mit Dr. Peterson. Einverstanden?«

Elise antwortete mit einem Schulterzucken, was ihr besser erschien, als ihn anzulügen.

Fips seufzte, erhob sich von der Couch und streckte seine lange Gestalt.

»Ich hoffe die restliche Nacht wird ruhiger.« Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln. »Die Nachbarn denken sonst noch, ich wäre ein psychopathischer Frauenmörder.«

Sie lächelte erschöpft.

Er strich über ihren Arm und schleppte sich aus dem Wohnzimmer.

Als Elise wieder alleine war, warf sie sich zurück aufs Sofa und starrte an die Decke, bis der Morgen graute.

Kapitel 4

Elise

Der Kaffee schmeckte scheußlich. Zu wenig Zucker und muffig wie alte Socken. Elise würgte einen Schluck hinunter. Irgendwie musste sie wach werden, bevor die Orchesterprobe anfing.

Sie saß auf einer Bank vor der Universität und betrachtete die Menschen, die über den Campus flanierten. Sie lehnte sich zurück und verlor sich im Geschwafel der Studenten. An einer Säule in ihrer Nähe unterhielt sich ein Pärchen. Das Abbild einer bayrischen Metzgerstochter beschwerte sich bei ihrem Karohemd von Freund über die Schwiegermutter. Dabei sollte sie froh sein, dass nur ihre Schwiegermutter nervte. Elise mochte nicht einmal ihre Eigene.

Sie schloss die Augen in der Hoffnung, die Ohren folgten. Die Lider waren wie Balsam für ihre übermüdeten Augen. Elise war die restliche Woche weitestgehend von ihren Albträumen verschont geblieben. Zumindest war sie nicht mehr schreiend aufgewacht. Nur gefallen war sie. Wie immer.

Sie öffnete die Augen, als die Dunkelheit sie zu sehr an ihre Albträume erinnerte. Elise trank einen weiteren Schluck aus ihrem Becher. Der Geschmack wurde nicht besser.

»Ist dieser Platz noch frei?«

Erschrocken atmete sie Kaffee ein. Ihre Lungen bedankten sich mit verkrampftem Husten. Elise hatte den Studenten neben sich nicht bemerkt. Und als sie sich zu ihm umdrehte, hätte sie sich beinahe erneut verschluckt.

Vor ihr stand der Student, der sie letzte Woche aufgefangen hatte. Sie erkannte seine Augen und das sanfte Lächeln.

»Entschuldigung, dass ich dich erschreckt habe. Darf ich?«, fragte er und deutete mit einer Kopfbewegung auf einen Cellokasten in seiner Rechten, während er mit der Linken eine lederne Aktentasche balancierte, die ihm halb von der Schulter hing.

Elise rutschte beiseite, damit er die Tasche ablegen konnte, dabei schmiss sie ihre eigene Umhängetasche auf den Boden. Verschämt hob sie die Tasche auf und betrachtete den Studenten verstohlen von der Seite.

Er lehnte den Cellokoffer neben die Bank und werkelte am Riemen seiner Tasche herum. Scheinbar war ein Träger aus der Schnalle gerutscht.

Elise ertappte sich dabei, wie sie ein wenig zu lang seine Hände betrachtete, seine schlanken Finger. Er war attraktiv und ihre Augen brannten schneller an ihm fest, wie die Nudeln in ihren Töpfen.

»Danke«, sagte er und schreckte sie damit auf. »Der Riemen leidet ein wenig an Altersschwäche, vielleicht sollte ich die Tasche doch einmal zur Reparatur bringen.«

»Wäre wohl besser«, erwiderte sie unsicher. Smalltalk war eindeutig nicht ihre Stärke.

Eifrig wühlte sie in ihrer Tasche, ohne zu wissen, wonach sie suchte. Hauptsache ihre Augen waren abgelenkt. Sie zuckte zusammen, als er sie erneut ansprach.

»Kannst du mir sagen, wo ich den Raum M.12.04 finde?«

Sie sah zum Cellokasten.

»Willst du zur Orchesterprobe?«, fragte sie.

»Ja, genau.« Er lächelte und strich über den Cellokasten. »Das hat mich wohl verraten. Leider finde ich mich an der Uni nicht zurecht. Hätte nicht gedacht, dass man sich an einer neuen Uni wieder wie ein Anfänger vorkommt.«

»Ich kann dir den Weg zeigen«, sagte Elise, »Ich spiele auch im Orchester.«

»Da habe ich wohl genau die Richtige gefunden.«

Er schaffte es, den Lederriemen wieder in den Verschluss zu fädeln und stellte die Tasche neben die Bank.

»Was spielst du?«, fragte er und setzte sich neben sie.

Sie öffnete den Mund, um zu antworten.

Doch er hob die Hand. »Warte. Lass mich erst raten.«

Er besah sie und sein Blick glitt zu ihren Händen, die sich nervös an den heißen Kaffeebecher pressten. Wäre bloß das blöde Zittern nicht.

»Ich tippe auf Klavier«, sagte er schließlich.

Elise nickte.

»Und meine Hände haben dir das verraten?«

Er grinste. »Das auch. Aber vor allem die Tatsache, dass du kein Instrument mit dir herum schleppst. Und du siehst mir nicht so nach Blockflöte aus.«

Den letzten Teil fasste sie als Kompliment auf.

»Ich heiße Christopher«, er streckte ihr die Hand entgegen, »Du kannst aber Chris sagen.«

Elise zögerte einen Moment. Es kam ihr komisch vor sich unter Studenten die Hand zu reichen. Entweder man mochte sich, dann nahm man sich in den Arm. Ansonsten tat es ein kurzes Hallo oder Nicken. Handschläge erinnerten sie an Versicherungsvertreter und Ärzte. Oder eben an echte Gentleman.

Sie nahm seine Hand. Sie war warm und Elise spürte feine Schwielen an seinen Fingerkuppen vom Cellospielen.

»Elise«, sagte sie, »Und nun ja, einen Spitznamen habe ich nicht wirklich.«

»Elise«, wiederholte er ihren Namen beinahe flüsternd. »Wie in Ballade für Elise nur französisch ausgesprochen.«

Ein feiner Schauer rann über ihren Rücken.

»Ja, genau.«

Elise spürte, wie sein Arm den ihren streifte, und rutschte beiseite. Scheinbar deutete er dies als Zeichen zum Aufbruch. Er stand auf und schulterte Ledertasche und Cello.

»Wollen wir?«, fragte er.

Beim Gedanken ans Klavierspielen überkam sie ein mulmiges Gefühl. Sie schob es darauf, dass sie zu selten übte, seit sie nicht mehr zu Hause wohnte und kein eigenes Klavier hatte. Natürlich wusste sie, dass das nicht alles war.

Sie trank einen letzten Schluck von dem widerlichen Kaffee und warf ihn neben sich in eine Mülltonne. Mehr von der Brühe brachte sie nicht herunter.

»Dann mal los«, sagte sie und lief voraus zu Gebäude M. Chris hielt ihr die Tür auf, als sie die Seitentür des Gebäudes erreichten.

Elise lotste sie durch einige Gänge, bis sie die ersten bekannten Stimmen vernahm. Der Großteil des Orchesters war da und begann mit dem Einspielen der Instrumente. Etwas machte Geräusche wie ein halbtotes Tier. Sicher die Querflöten.

Sie überlegte gerade, wie sie vielleicht ein Gespräch mit Chris aufnehmen konnte, als sie ihren Namen hörte.

Tabea kam winkend auf sie zu und nahm sie in den Arm.

»Ich dachte schon, du kommst nicht«, sagte sie und stemmte die linke Hand in die Hüfte. In der Rechten hielt sie Geige und Bogen.

»Warum sollte ich nicht kommen?«, fragte Elise und zupfte sich ein lockiges Haar aus dem Mund.

Tabea legte den Kopf schief.

»Ich hatte den Eindruck, du willst dich vor dem Film gleich drücken. Du hast das doch nicht vergessen, oder?«

Vergessen nicht, dachte Elise, nur verdrängt. Und natürlich hatte sie überlegt, deswegen das Orchester zu schwänzen. Aber ohne Klavier waren die Proben eine Katastrophe und sie mochte nicht, wenn jemand sie ersetzte.

»Natürlich habe ich dran gedacht«, versicherte sie Tabea und hoffte, ihre Unlust war nicht zu offensichtlich.

»Ein Film?«, fragte Chris von der Seite.

Elise hatte fast vergessen, dass er da war. Oder vielmehr erwartet, dass er sich anderen zuwenden würde, sobald sich die Gelegenheit ergab. Doch er stand weiterhin neben ihr.

Tabea wandte sich ihm zu.

»Es ist ein Film über die Sprachvielfalt in Deutschland und ihre kulturellen Auswirkungen. Ein Universitätsprojekt von einer Studienkollegin. Echt interessant. Wenn du Lust hast kannst du es dir anschauen. Der Film wird nach der Orchesterprobe drüben im großen Hörsaal ausgestrahlt.«

Elise wünschte sich Tabea würde nicht mit solcher Begeisterung von diesem ominösen Filmprojekt sprechen, dass sicher alles andere als interessant war. Im besten Fall war es nicht peinlich.

»Das klingt wirklich spannend«, sagte Chris, »Leider habe ich gleich noch ein Gespräch mit einem Professor. Es geht um die Anerkennung von Leistungspunkten.«

Ein wenig bedauerte Elise seine Absage. Er war sicherlich eine nettere Begleitung als Mario und Toni.

»Dann bist du neu an der Uni?«, fragte Tabea und sah von Chris zu Elise, die ahnte, was in Tabeas Lockenkopf vorging. Sie war eine eingefleischte Kupplerin.

»Ich werde mich mal einspielen«, sagte Chris mit dem charmantesten Lächeln, dass Elise je bei einem Mann beobachtet hatte. »Es war nett, euch kennen zu lernen. Vielleicht können wir uns nächstes Mal länger unterhalten.«

Dann ging er zu den Streichern, um sich dort vorzustellen.

»Nett«, sagte Tabea.

»Ja, er ist sehr höflich«, sagte Elise ohne den Blick von Chris zu nehmen.

Sie sah Tabeas schelmisches Grinsen. »Ich meinte eher im Sinne von nett anzuschauen. Aber ich denke, dass ist dir aufgefallen.«

Elise errötete. Unwillkürlich wanderte ihr Blick zu Chris, der mit dem Bassisten sprach. Er bemerkte ihren Blick und lächelte ihr zu. Elise glaubte sie zu glühen.

Tabea kicherte. »Der hat es dir echt angetan oder?«

Elise ignorierte Tabeas vielsagenden Blick.

»Lass uns das hier einfach hinter uns bringen«, sagte sie und wandte sich dem Klavier zu.

Trotzdem glaubte sie Tabeas Kichern noch eine ganze Weile zu hören. Sollte das alberne Huhn doch denken, was sie wollte. Elise wusste, dass da nichts war. Keine Gefühle auf jedenfalls. Denn Gefühle waren keine gute Idee. Das zumindest hatte sie von ihren Eltern gelernt.

Kapitel 5

Elise

Zum Glück war es nicht weit bis zum großen Hörsaal, wo der Film laufen sollte. Sie quälten sich durch einen penetranten Nieselregen und Elise fühlte sich bereits nach wenigen Metern, als hätte man sie mit einer Sprühflasche bedampft. Das Haar klebten ihr an der Stirn. Sie wischte die nassen Strähnen beiseite und erkannte Mario und Toni in der Nähe des Hörsaals unter einer Überdachung. Sie liefen zu ihnen hinüber und Tabea tänzelte zu ihrem Freund. Augenblicklich fielen die beiden übereinander her. Elise gab sich alle Mühe an ihnen vorbei zu sehen.

»Hi«, sagte sie knapp zu Toni, der genauso krampfhaft versuchte, die Turteltauben zu ignorieren.

»Hi.«

Elise nutzte die unangenehme Pause, die danach entstand, und sah sich vor dem Hörsaal um. Es war erstaunlich voll. Studenten verschiedenster Semester standen in Grüppchen zusammen, lachten und schwatzten miteinander. Einige kannte sie aus dem Studium und war froh, dass keiner mit ihr reden wollte und es meist bei einem kurzen Winken blieb.

Endlich schienen Tabea und Mario fertig mit dem Knutschen. Elise sah aus dem Augenwinkel, wie Mario Tabea etwas ins Ohr flüsterte. Tabea errötete und nickte.

»Der Hörsaal scheint nun offen zu sein«, sagte Toni und Elise sah, wie die Ersten in den Hörsaal strömten.

Kurz überlegte sie, ob ihr ein Grund einfiel sich vor dem Film zu drücken, doch da schob die drängelnde Meute sie bereits nach vorne. Elise wurde gegen Toni gedrückt. Sie suchte nach Tabea und glaubte, ihren Lockenkopf zwei Schritte weiter hinter sich zu sehen. Dann verlor sie Tabea und Mario ganz aus den Augen. Elise hoffte, dass sie sich drinnen wiederfanden, und tat das einzig Sinnvolle. Sie ließ sich in den Hörsaal hinein schwemmen.

Der Hörsaal war schon gut gefüllt und in einem scheußlichem altrosa gestrichen. Selbst die übervollen Sitzreihen mit Klapptischen waren in Rosa- und Lilatönen verunstaltet.

»Lass uns einen Platz suchen«, sagte Toni und zur Abwechslung war sie seiner Meinung.

Sie fanden im hinteren Drittel des Hörsaals drei leere Sitzplätze. Toni deutete darauf.

»Hier«, sagte er und ging in die Bankreihe hinein.

»Brauchen wir nicht vier Plätze?«, sagte Elise gereizt, als sie von der seitlich an ihr vorbei drängenden Menge angerempelt wurden.

Trotzdem folgte sie Toni. Zur Not sollten Tabea und Mario sich einen Sitzplatz teilen. Wer seinen Speichel teilte, würde auch mit einem Sitzplatz auskommen.

»Ich glaube nicht, dass die Beiden noch kommen«, sagte Toni und Elise sah zum oberen Eingang des Hörsaals, wo allmählich weniger Leute hereindrängten. Tabea und Mario allerdings sah sie nicht.

»Vielleicht warten sie, bis sich der Andrang legt«, sagte Elise hoffnungsvoll und legte als Zeichen, dass der Stuhl neben ihr besetzt war, ihre Tasche darauf.

Toni zuckte mit den Schultern und setzte sich hin. Sie starrte stehend zum Eingang und erst, als die Türen zuschlugen und fast alle Sitzreihen besetzt waren, musste sie mit Frust erkennen, dass Toni Recht hatte. Tabea und Mario waren unauffindbar. Scheinbar hatten sie sich verdrückt. Das alleine war schlimm genug, doch dass Tabea sie ausgerechnet mit Toni zurückließ, würde sie ihrer Freundin noch lange vorwerfen.

»Du solltest dich setzen«, sagte Toni.

Elise ließ sich neben Toni in den unbequemen Klappsitz plumpsen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und bemerkte, dass Toni sie von der Seite her ansah.

»Die Beiden werden sich wohl in eine ruhige Ecke verzogen haben.« Er klang gefrustet.

Blöderweise war dies auch Elise Vermutung. Noch blöder war, dass sie sich nicht mehr davonstehlen konnte, denn ihre Sitzreihe war prallvoll und vorne an einem Stehpult fingerte jemand an einem Laptop herum. Wieso hatte Tabea sie genötigt, hierher zu kommen, wenn sie sich doch nur mit Mario vergnügen wollte? Elise knirschte mit den Zähnen.

»Ich sehe, du bist genauso hintergangen worden, wie ich«, sagte Toni mit unerwartet trockenem Humor.

Sie sah zu ihm herüber. Das Licht im Hörsaal wurde gedimmt. Tonis Gesicht wirkte anders im Halbschatten. Markanter und seine Augen glänzten schwarz.

Elise überlegte, dass Toni anderen Mädchen durchaus gefallen mochte. Gut nur, dass sie nicht andere Mädchen war. Er war nicht ihr Typ. Sie stand eher auf blonde Männer. Unwillkürlich dachte sie an Chris. An seine Finger auf den Cellosaiten. Er war blöderweise ihr Typ.

Sie lenkte sich mit damit ab, dass es still wurde im Hörsaal und das Titelbild auf der Leinwand aufleuchtete. Der Film startete ohne Einleitung und natürlich war er so langweilig, wie Elise befürchtet hatte.

Toni musste das ebenso empfinden, denn nach nicht einmal zehn Minuten legte er Arme und Kopf auf das Pult vor sich und war kurz darauf eingeschlafen.

Das lief ja großartig, dachte Elise sarkastisch, konnte Toni aber verstehen. Der Film war mehr als öde und der halbdunkle stickige Hörsaal ließ einem kaum eine andere Wahl, als einzuschlafen.

Sie gähnte. Sie sollte dringen mehr schlafen. Wenn auch nicht jetzt. Trotzdem legte sie die Tasche vor sich auf das Pult und platzierte den Kopf darauf, so dass sie weiter den Film schauen konnte. Ihre Augen juckten vor Müdigkeit. Elise rieb sich durchs Gesicht und stieß dabei an Toni. Ein Kribbeln schoss durch ihren Arm bis in ihren Magen. Kurz befürchtete sich, dass sie sich erneut übergeben musste, doch dann verschwand das eigenartige Gefühl wieder.

Sie legte sich zurück auf die Tasche. Etwas weiter weg von Toni. Sie konnte sein schlafendes Gesicht aus dem Augenwinkel sehen. Er sah entspannter aus. Obwohl seine Lider im Schlaf zuckten. Vielleicht träumte er.

Elise vergaß, sich auf den Film zu konzentrieren, und merkte nicht, wie ihr die Augen zufielen. Erst ein Zerren in ihren Eingeweiden zeigte ihr, dass irgendwas nicht stimmte.

Sie versuchte zu blinzeln. Ein Kribbeln breitet sich in ihrem Bauch aus, bis es sich anfühlte, als hinge sie mit dem Bauchnabel am Hacken eines Kettenkarussells. Es flackerte vor ihren Augen. Der Film im Hintergrund wurden schwächer und verstummte ganz. Elise verlor die Orientierung.

Als Nächstes spürte sie Hitze. Staubige Hitze, die ihr den Schweiß auf die Stirn trieb und ihre Kehle ausdörrte. Bilder flackerten vor ihr auf. Eine Wüste. Dünen. Über ihr ein blutroter Himmel. Sie befand sich inmitten einer endlosen Wüste. Die Sonne glühte erbarmungslos wie Ofenkohle. Elises Haut brannte und ihre trockenen Lippen spannten. Sie versuchte, ihre Lippen zu befeuchten, doch die Feuchtigkeit verdampfte sofort. Erneut flackerte es vor ihren Augen.

Wo war sie? War dies ein Traum?

Der Druck in ihrem Magen wurde stärker. Ihr wurde schwindelig und sie taumelte rückwärts einige Schritte durch den unebenen Sand, bis sie Feuchtigkeit spürte. Ungläubig starrte sie auf ihre Schuhe. Sie stand im Wasser an einem Strand. Elise wandte sich um. Scheinbar aus dem Nichts war hinter ihr ein Meer aufgetaucht. Es funkelte rubinrot im Licht der Glutsonne.

Dies war eindeutig ein Traum, dachte Elise, und fragte sich, ob es nicht das Beste wäre nun aufzuwachen.

»Wer bist du?«, fragte eine Männerstimme hinter ihr.

Erschrocken wirbelte sie herum. Die Umgebung drehte sich und wurde undeutlich. Sie sah jemanden auf den Dünen stehen, doch sie konnte ihn nicht erkennen.

Ihre Sicht verschwamm. Dann versetzte ihr eine unsichtbare Hand einen Schlag in den Magen. Die Bilder um sie herum zerflossen wie Wachs.

Sie stürzte in die Dunkelheit.

Als Nächstes schreckte sie von ihrem Pult im Hörsaal auf. Ihre Tasche fiel krachend auf den Boden. Vorwurfsvolle Blicke wandten sich ihr zu, während sie gegen den Schwindel ankämpfte.

Sie sah zu Toni. Seine Augen waren offen und starrten sie an. Dunkle braune Magnete. Überraschung stand in seinem Blick. Er richtete sich schlagartig auf, während Elise Hand sich zitternd in das Pult krallte. Ihre Sicht war klar und die Hitze verschwunden. Nur ein brennender Durst war geblieben und eine schreckliche Übelkeit. Sie sollte hier raus, bevor sie sich übergeben musste.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Toni.

Elise klammerte sich in das Pult. Sie konnte das Zittern ihrer Hände durch das Holz vibrieren spüren. Ihr Herz klopfte wie verrückt.

»Raus«, sagte sie knapp und war froh, dass ihr Magen sich dabei nicht überschlug. Mit wackeligen Knien stand sie auf.

»Kurz zur Toilette«, brachte sich noch hervor, als Toni sie endlich vorbei ließ.

Sie quetschte sich durch die volle Sitzreihe ungeachtet der murrenden Studenten, denen sie teilweise auf die Füße trat. Jetzt war nur wichtig, dass sie hier raus kam. Sie eilte die Stufen zur Hörsaaltür hinauf, so schnell es ihr möglich war, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Sie rannte zur Tür.

Das Licht vor dem Hörsaal blendete sie, doch sie achtete nicht darauf. Ihre Füße trugen sie wie von selbst bis zu den Toiletten und stoppten erst, als sie sich vor die Kloschüssel auf die Knie schmiss und sich würgend erbrach.

Eine gefühlte Ewigkeit krampfte ihr Körper sich zusammen und brachte alles hervor, was sich in ihrem Magen befand. Also vor allem Kaffee. Als die Übelkeit endlich nachließ, blieb Elise einen Moment zitternd am Boden sitzen. Was zur Hölle war da gerade passiert?

Sie wischte sich den Mund mit Klopapier ab und stand schwankend auf. Während die Klospülung lief, lehnte sie mit geschlossenen Augen an die Kabinentür. Ihr Herz raste. Vielleicht lag es an den Tabletten. Gehörten Halluzinationen zu den Nebenwirkungen? Nicht, dass sie nicht schon genug Nebenwirkungen hatte.

Elise wollte nach der Verpackung der Tablette suchen, um nachzusehen, als ihr auffiel, dass sie ohne ihre Tasche aus dem Hörsaal gestürmt war. Nicht auch noch das, dachte sie und rieb sich durchs Gesicht.

Sie ging aus der Kabine ans Waschbecken und brachte sich in Ordnung. Entsetzt stellte sie fest, dass sie noch blasser als sonst war. Die Ränder unter ihren Augen sahen aus wie mit Tinte gemalt. Sie würde nur schnell ihre Tasche holen und dann nach Hause gehen, der Film hatte sich eindeutig für sie erledigt. Alleine die Vorstellung, nochmal in diesen muffigen Hörsaal zu müssen, ließ ihren Magen zusammenzucken. Wären nicht ihre Schlüssel und die Tabletten in der Tasche, würde sie sie einfach liegen lassen. Elise atmete tief durch und verließ die Toilette.

Draußen stand zu ihrer Verwunderung Toni, was die Situation erstmal schlimmer zu machen schien. Doch dann hielt er ihr die Tasche entgegen.

»Die hast du vergessen.«

Elise nahm Toni die Tasche aus der Hand, ohne ihn anzusehen. Sie war sich nicht sicher, ob man ihr nicht allzu deutlich ansah, dass sie sich so eben übergeben hatte. Flecken sah sie zumindest keine auf ihrem Shirt.

»Danke«, murmelte sie und legte sich die Tasche um.

»Du sahst nicht aus, als hättest du vorgehabt, den Film weiter zu schauen«, sagte er und nach einer Pause, »Ist alles in Ordnung?«

»Ja klar.« Sie nickte, um ihre Aussage zu unterstützen, doch das machte den Schwindel schlimmer.

Elise ging zu einer Bank und setzte sich.

Toni folgt ihr und blieb vor ihr stehen.

»Du siehst nicht aus, als wäre alles in Ordnung.«

Im Sitzen stabilisierte sich ihr Kreislauf und die Übelkeit ließ nach. Elise zwang sich, Tonis Blick zu erwidern. Seine Augenbrauen waren eng zusammen gezogen.

»Ich musste nur auf Toilette«, behauptete sie.

»Wenn du –«, begann er, doch sie unterbrach ihn.

»Ich bin nur müde und die Luft im Hörsaal war so schlecht. Und …«, sie merkte, wie sie sich in ihren Ausreden verhaspelte. Ihr Blick streifte durch das Gebäude. So spät am Nachmittag war hier so gut wie niemand. Nur aus dem Hörsaal hörte man leise die Töne des Films.

»Soll ich dich nach Hause fahren?«

Tonis Frage überraschte sie. Sie sah ihn an. Sein Blick war ernst und besorgt. Natürlich war er besorgt. Sowie sie aussah, sollte man sich Sorgen machen. Ob um sie oder darum, dass sie zum Zombie mutierte, war eine andere Frage.

»Nein«, sagte sie, ohne nachzudenken, »Es geht schon.«

Sie wollte einfach alleine sein. Nur sie ihre Wohnung und die Tablettendose, die sie von außen in der Tasche ertastete. Zumindest eine Tablette brauchte sie jetzt sofort. Doch dafür musste Toni gehen, was er scheinbar nicht vorhatte.

»Bist du sicher?«

»Ja«, sagte sie eindringlich und stand, wie um ihre Aussage zu unterstützen, auf. Zum Glück schwankte sie kaum. »Ich nehme den nächsten Bus und leg mich zu Hause etwas hin.«

Sie ging in Richtung Ausgang.

Toni folgte ihr.

»Ich bring dich zum Bus.«

Elise seufzte innerlich. Irgendwie musste sie ihn loswerden. Sie blieb stehen und zwang sich zu einem möglichst unbeschwerten Lächeln.

»Es geht schon«, sagte sie, »Wirklich. Du brauchst nicht den Babysitter für mich spielen.«

Er sah sie schweigend an. Seine Augen funkelten, seine Haltung war gespannt. Sie befürchtete, dass er darauf bestehen würde sie zu begleiten. Doch dann ließ seine Anspannung nach. Das Funkeln aus seinen Augen verschwand.

»In Ordnung«, sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust.

Sie nickte und eilte zum Gebäudeausgang. Toni blieb zurück. Die Türen öffneten sich und kühle Luft schlug ihr ins Gesicht. Es roch nach Regen.

Sie wollte raus gehen, als Toni ihr nach rief.

»Aber brich bloß nicht zusammen.«

Elise ging ohne eine Antwort hinaus und dachte, bestimmt nicht, wenn du dabei bist.

Kapitel 6

Toni

Toni wusste, dass sie ihn nicht leiden konnte. Ein Grund mehr, wegen dem er sich fragte, warum er sich das eigentlich antat. Er verließ Gebäude K und folgte der Straße fort vom Unigelände. Bis zu seinem Motorrad war es zum Glück nicht weit, denn der Wind frischte auf und Toni war sich sicher, dass es bald regnen würde. Seine Hoffnung, den Kopf bei einer Motorradrunde frei zu bekommen, wurde ihm damit genommen. Manchmal war es, als hätten sich die Götter gegen ihn verschworen.

Er dachte an Elise. Ihre zusammengezogenen Augenbrauen und das vorgestreckte Kinn. Er kannte diesen Blick von ihr und er hasste ihn fast so sehr, wie den Blick, der immer an ihm vorbeiging. Vielleicht provozierte er sie deswegen ab und zu, damit sie ihn überhaupt wahrnahm. Außerdem musste er zugeben, dass sie niedlich aussah, wenn sie wütend war.

Während er am Nebengebäude vorbeilief, kamen ihm zwei Studienkolleginnen entgegen, die nicht einmal grüßten. Es zeigte Toni deutlich, dass er das mit den Freundschaften irgendwie falsch machte. Elise musste es ähnlich gehen, überlegte er. Toni sah sie oft alleine in der Mensa oder vor einem Hörsaal sitzen, wenn sie ohne Tabea eine Freistunde hatte. Manchmal überlegte er, sich zu ihr zu setzten, ihr Gesellschaft zu leisten, doch dann fiel ihm wieder ein, dass sie ihn nicht leiden konnte. Aus ihnen würden wohl niemals Freunde werden. Und mehr erst recht nicht.

Nach so Tagen wie heute wunderte ihn das nicht. Da war er mit ihr alleine, und er verdächtigte Mario, dass dies in dessen Absicht gelegen hatte, und er schlief ein. Er konnte froh sein, dass er nicht auf den Tisch gesabbert hatte. Oder Schlimmeres.

Er wusste, was hätte passieren können. Doch er war so müde gewesen. Sein Mund wurde trocken, als er an seinen Traum dachte. Sobald er zu Hause war, musste er etwas trinken. Seine Wasserflasche war schon vor dem Film leer gewesen. Lästig dieser Durst. Er beschleunigte seine Schritte. Vielleicht wäre Regen doch gar nicht so schlecht.

Toni wusste nicht, warum der Traum ihn immer noch verfolgte, nach so vielen Jahren. Manch einer hätte jetzt gesagt, er habe aufgehört, die Jahre zu zählen. Doch Toni wusste genau, wie viele Jahre es waren. Sechs gottverdammte Jahre. Und das Einzige, was er in dieser Zeit geschafft hatte, war den Traum und seine Angst im Schach zu halten. Er hoffte, dass sich das Training irgendwann bezahlt machte. Andi und Cassy versprachen es ihm immer wieder. Toni hingegen verlor langsam die Hoffnung. Er fand sich mit seinem Traum ab. An den meisten Tagen zumindest. Doch heute war etwas anders gewesen. Mehr als anders.

Toni zog den Schlüssel aus der Tasche, als er am Motorrad ankam. Der orange Lack glänzte und Toni konnte ein stolzes Lächeln nicht verbergen. Er hatte sie selbst lackiert. Die Suzuki Bandit war sein ein und alles, auch wenn seine Mutter unablässig über diese ›Höllenschleuder‹ schimpfte.

Toni zog Helm und Handschuhe an, bevor er sich auf die Maschine schwang.

Eine junge Studentin blickte zu ihm herüber und schien gar nicht mal so abgeneigt. Sie klimperte mit ihren langen Wimpern. Doch das ließ ihn kalt.

Dummerweise musste er erneut an Elise denken. An ihre dunkelblauen Augen und dem Schreck, der sich darin gespiegelt hatte, nachdem er aufgewacht war.

Auch wenn Elise es abgestritten hatte, irgendetwas war passiert. Und er hatte eine ungute Ahnung was.

Er erinnerte sich an seinen Traum. An die Wüste und die Hitze. An das Gefühl zu verdursten. Er war die Dünen auf und ab gewandert, weil er wusste, dass er nur warten konnte. Leider wurde der Durst dadurch noch schlimmer. Dann war da dieser Lufthauch. Sandkörner flogen ihm ins Gesicht. Er sah zur Düne hoch. Sand wehte über die Kuppe. Zunächst hielt er es für eine Fata Morgana. Er stieg die Düne hinauf und der Wind wurde stärker. Er hatte nie Wind gespürt in seinem Traum.

Und da war ein weiteres Gefühl, das ihn verunsicherte. Ein Prickeln im Nacken. Und die Ahnung, dass dort jemand war. In seinem Traum. Er wusste, wie sich das anfühlte.

Als er hinter die Düne blickte, sah er etwas, dass er nicht erwartete. Ein Meer. Rot und heiß unter einer glühenden Sonne. Und im Wasser stand eine Frau. Er erkannte sie nicht. Und doch kam sie ihm bekannt vor. Er sah ihr blondes Haar im Wind flattern.

Er rief nach ihr. Doch als sie sich umdrehte, zerplatze sein Traum wie eine Seifenblase.

Toni startete das Motorrad. Die Vibration beschleunigte seinen Herzschlag. Er drehte den Motor weiter auf und versuchte, sich auf die Straße zu konzentrieren. Er sah zum Himmel. Die Wolken wurden immer dunkler. Hoffentlich kam er trocken an.

Ob Elise gut nach Hause kam, fragte er sich. Er hätte sie zum Bus bringen sollen, oder besser noch bis zu ihrer Wohnungstür. Wenn ihr Blick ihm nicht gesagt hätte, wie unerwünscht er war.

Toni beschleunigte. Mit dem Dröhnen des Motors in den Ohren und der Vibration, die durch deinen Körper ging, konnte er die unangenehmen Gedanken etwas überdecken. Er wurde auch dann nicht langsamer, als die ersten Tropfen vom Himmel fielen und auf seinen Helm trommelten. Seine Jeanshose saugte sich voll Wasser und wurde eiskalt im Fahrtwind.

Trotzdem kam ihm die Fahrt viel zu kurz vor, als er vor dem Haus seiner Eltern ankam. Drinnen zog er den Helm ab und schüttelte sich, um die Feuchtigkeit von den Sachen zu bekommen.

»Sag mal bist du ein Hund?«, fragte seine Mutter ungehalten. Sie stapfte durch den Flur auf dem Weg zur Küche. Ihre Augen funkelten. »Und wieso bist du so nass. Hast du nicht versprochen, nicht durch den Regen zu rasen.«

Beschämt hielt er inne.

»Der Regen hat mich überrascht«, sagte er, obwohl es ihm unter dem Blick seiner Mutter schwerfiel, zu lügen. Die Frau kannte ihn zu gut. »Und ich bin auch nicht gerast.«

Sie stemmte die Hände in ihre rundlichen Hüften und schüttelte den Kopf. Ihre hochgesteckten schwarzen Locken schaukelten um ihr Gesicht.

Um sie nicht noch weiter aufzuregen, was bei ihrem typisch italienischen Temperament recht schnell ging, zog Toni sich artig die Schuhe auf der Türmatte aus und hängte seine nasse Jacke auf.

Das besänftigte sie. Sie schnaubte nur noch einmal kurz und gab ihm dann ein Küsschen auf die Wange. »Schön, dass du trotz dem Regen vorbeikommst. Essen ist in der Küche, wenn du Hunger hast.«

Sie war eben doch die beste Mama.