Drei Mann in einem Boot - Jerome K. Jerome - E-Book

Drei Mann in einem Boot E-Book

Jerome K. Jerome

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Beschreibung

Mit 55 Illustrationen von A. Frederics "Ich mag Arbeit sehr: sie fasziniert mich. Ich kann stundenlang dabeisitzen und zuschauen." "Drei Männer im Boot (ganz zu schweigen vom Hund)" (Originaltitel: "Three Men in a Boat"), erschienen 1889, ist eine humorvolle Erzählung von Jerome K. Jerome über einen Bootsausflug auf der Themse zwischen Kingston und Oxford. Das Buch war ursprünglich als ernsthafter Reiseführer, mit Erzählungen über die Geschichte von Plätzen entlang der Strecke, geplant, doch die humoristischen Schilderungen gewannen letztlich die Oberhand. Die drei Männer basieren auf Jerome selbst und zwei seiner Freunde (George und Harris). Der Hund Montmorency ist eine reine Erfindung, hat jedoch - wie Jerome anmerkte - "viel mit mir gemeinsam". Die Erzählung lieferte war Grundlage für den gleichnamigen deutschen Spielfilm von 1961 mit Hans-Joachim Kulenkampff, Heinz Erhardt und Walter Giller. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 304

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Jerome K. Jerome

Drei Mann in einem Boot

(ganz zu schweigen vom Hund)

Jerome K. Jerome

Drei Mann in einem Boot

(ganz zu schweigen vom Hund)

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Illustrationen: A. Frederics 2. Auflage, ISBN 978-3-943466-64-5

www.null-papier.de/3boot

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ein­lei­tung

Ka­pi­tel 1

Ka­pi­tel 2

Ka­pi­tel 3

Ka­pi­tel 4

Ka­pi­tel 5

Ka­pi­tel 6

Ka­pi­tel 7

Ka­pi­tel 8

Ka­pi­tel 9

Ka­pi­tel 10

Ka­pi­tel 11

Ka­pi­tel 12

Ka­pi­tel 13

Ka­pi­tel 14

Ka­pi­tel 15

Ka­pi­tel 16

Ka­pi­tel 17

Ka­pi­tel 18

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Einleitung

Wenn man den Le­sern einen Schrift­stel­ler förm­lich vor­stellt, so wol­len sie al­le­mal ganz ge­nau wis­sen, wen sie vor sich ha­ben; na­ment­lich, wenn’s ein Aus­län­der ist. Da wäre denn zu­nächst zu ver­zeich­nen, dass Je­ro­me Klap­ka Je­ro­me am 2. Mai 1859 in Wal­sall ge­bo­ren ist, ei­ner rich­ti­gen eng­li­schen Fa­brik­stadt, und zwar in ei­nem Pfarr­hau­se. Das ist schon sehr ab­son­der­lich für einen Hu­mo­ris­ten. Rau­chen­de Fa­brik­schlo­te und Fröm­mig­keit von Be­rufs we­gen sind ei­gent­lich nicht die Um­ge­bung, die der Ent­wick­lung von Hu­mor för­der­lich sind. Ohne Zwei­fel hat der jun­ge Je­ro­me we­der für das eine noch für das an­de­re viel Nei­gung ver­spürt. Denn er be­gann, bei­zei­ten sei­nen Be­ruf zu ver­feh­len. Kaum aus der Schu­le her­aus, war er An­ge­stell­ter in ei­nem Ge­schäft. Da­rauf ver­such­te er sich als Schul­meis­ter. Da­nach wur­de er Schau­spie­ler und Jour­na­list, um dann end­lich den Sprung zur Li­te­ra­tur zu wa­gen. Mit 27 Jah­ren ver­öf­fent­lich­te er sein ers­tes Buch, das nicht viel Be­ach­tung fand. Das ging noch ei­ni­gen an­de­ren Bü­chern so. Erst sein Buch: »On the sta­ge and off« (Auf der Büh­ne und au­ßer­halb) aus dem Jah­re 1888, worin er sei­ne Büh­nen­er­fah­run­gen ver­wer­te­te, trug ihm ei­ni­gen Er­folg ein. Ihm folg­te im Jah­re dar­auf mit stei­gen­dem Er­folg ›Id­le thoughts of an idle fel­low‹ (Mü­ßi­ge Ge­dan­ken ei­nes mü­ßi­gen Men­schen) und im Jah­re 1889 ›Three men in a boat‹, das der ers­te ›Schla­ger‹ war; um ein Lieb­lings­wort aus dem Büh­nen-Deutsch zu ge­brau­chen. In den neun­zi­ger Jah­ren ent­fal­te­te er zu­gleich eine au­ßer­or­dent­lich rege Re­dak­ti­ons­tä­tig­keit an den be­kann­ten Blät­tern ›The Id­ler‹ und ›To-day‹. Nach dem großen Er­folg von ›Three men in a boat‹ spru­del­te sein li­te­ra­ri­scher Quell mit er­staun­li­cher Er­gie­big­keit. Buch auf Buch folg­te, ohne dass eins da­von den Er­folg des vor­lie­gen­den Bu­ches zu er­rei­chen ver­moch­te. Viel ge­le­sen wur­de noch eine Art Sei­ten­stück zu ›Three men in a boat‹, das den Ti­tel führt ›Three men on a bum­mel‹. Je­ro­me schil­dert hier­in eine lus­ti­ge Fahrt durch Deutsch­land und hat da­für das deut­sche Wort ›Bum­mel‹ in die eng­li­sche Spra­che auf­ge­nom­men, um die sorg­los-ge­müt­lich ge­nie­ßen­de Art des Rei­sens zu kenn­zeich­nen.

In den letz­ten Jah­ren hat sich Je­ro­me auch der Büh­ne zu­ge­wandt. Auch hier ist ihm ein großer Er­folg be­schie­den ge­we­sen, und zwar, selt­sam ge­nug, mit ei­nem erns­ten Stück, das den Ti­tel ›The pas­sing of the third floor back‹ führt; ent­stan­den ist es im Jah­re 1907. Es schil­dert die Wand­lung und Bes­se­rung ei­ner An­zahl von mo­ra­lisch wert­lo­sen Men­schen, die ein Pen­sio­nat im drit­ten Stock­werk ei­nes Hau­ses nach hin­ten her­aus be­woh­nen. Ihre geis­ti­ge Wand­lung voll­zieht sich durch den Ein­fluss ei­nes frem­den Gas­tes von ho­her sitt­li­cher Kraft, der zu­letzt Chris­tus­zü­ge er­hält und als Chris­tus auf­ge­fasst wer­den kann.

Die meis­ten Leu­te sind sehr er­staunt, wenn ein Hu­mo­rist auch mal ein erns­tes Ge­sicht macht. All­zu vie­le ver­bin­den mit dem Be­griff Hu­mo­rist gern den Be­griff Clown oder Spaß­ma­cher um je­den Preis. Aber sie ver­ges­sen, dass der ech­te Hu­mor doch schließ­lich aus dem Ge­müt wächst und dass man als das Merk­mal des ech­ten Hu­mo­ris­ten die Gabe be­trach­tet, un­ter Trä­nen la­chen zu kön­nen. Ich er­in­ne­re dar­an, wel­che fei­nen, wei­chen und er­schüt­tern­den Her­zen­s­tö­ne ei­nem Reu­ter und ei­nem Di­ckens zu Ge­bo­te stan­den – zwei so ech­te und große Hu­mo­ris­ten, wie sie die Welt je ge­se­hen hat. Es scheint so­gar, dass der Hu­mo­rist ein ge­ra­de­zu un­wi­der­steh­li­ches Ver­lan­gen hat, ge­le­gent­lich ganz ernst­haft zu sein, wie wenn er zeit­wei­lig sei­ner selbst über­drüs­sig wäre. Im­mer ernst­haft zu sein ist je­den­falls leich­ter, als im­mer scherz­haft zu sein. Der im­mer Ernst­haf­te mag manch­mal lang­wei­lig wir­ken, der im­mer Scherz­haf­te wird aber si­cher oft un­aus­steh­lich wer­den. Das hat wohl auch Je­ro­me ge­fühlt. Er hat ernst­haf­te Ge­schich­ten ge­schrie­ben, die mit zu dem Al­ler­bes­ten in ih­rer Gat­tung ge­hö­ren, die aber nur von den Ken­nern ge­schätzt wer­den. Die große Mas­se geht an ih­nen vor­über, weil Je­ro­me nun ein­mal als Hu­mo­rist ab­ge­stem­pelt ist. Das ist die Tra­gik des Hu­mo­ris­ten. In die­sen Schöp­fun­gen ge­hö­ren die Ge­schich­te von »Paul Kel­ver« so­wie die drei Ge­schich­ten »John In­ger­field«, »The Wo­man of the Sae­ter« und »Sil­hou­et­tes« in dem Bu­che »John In­ger­field and other sto­ries«. Je­ro­me sel­ber hat die­se Tra­gik des Hu­mo­ris­ten oft ge­nug zu kos­ten be­kom­men und macht da­her den Le­ser in ei­nem Vor­wort zu ei­nem Neu­druck des letzt­ge­nann­ten Bu­ches ei­gens dar­auf auf­merk­sam, dass die drei er­wähn­ten Ge­schich­ten nicht hu­mo­ris­tisch sei­en. Er er­zählt da­bei, wie er ein­mal eine erns­te Ge­schich­te von ei­ner Frau ge­schrie­ben habe, die von ei­ner Rie­sen­schlan­ge zer­malmt wur­de. Am Tage nach der Ver­öf­fent­li­chung traf er einen Freund, der zu ihm sag­te: »Rei­zen­de klei­ne Ge­schich­te – die von der Frau und der Rie­sen­schlan­ge; aber sie ist nicht so ko­misch wie Ihre an­de­ren Ge­schich­ten!« So geht’s ei­nem Schrift­stel­ler, der in dem Ge­ruch steht, hu­mo­ris­tisch zu sein. Mark Twain woll­te ein­mal in ei­ner Mäd­chen­schu­le ein erns­tes Ge­dicht vor­le­sen, muss­te aber da­mit auf­hö­ren, weil die Mäd­chen nicht aus dem La­chen her­aus­ka­men. Und ge­ra­de bei den un­schul­di­gen Kin­dern hat­te er ge­glaubt auf, Ver­ständ­nis rech­nen zu kön­nen. Ich selbst er­in­ne­re mich ei­ner Be­er­di­gung, wo die Leid­tra­gen­den in die pein­lichs­te Ver­le­gen­heit ge­rie­ten, weil ein be­kann­ter Hu­mo­rist eine Grab­re­de hielt, die bei ihm wie das Ge­gen­teil wirk­te.

Wenn ei­ner den Na­men Je­ro­me aus­spricht, so wird er si­cher­lich so­fort zu hö­ren be­kom­men: »Ach – der Ver­fas­ser von ›Drei Mann in ei­nem Boot‹! Ken­ne ich! Ganz fa­mos!« Und wirk­lich – die­ses Buch ist es, das Je­ro­mes Na­men zu ei­nem Welt­na­men ge­macht hat. Es ge­hört zu den meist­ge­le­se­nen Bü­chern der Welt­li­te­ra­tur. Auf den ers­ten Blick er­scheint das nicht leicht ver­ständ­lich. Ein an sich harm­lo­se­res – oder ich will sa­gen un­schul­di­ge­res – Buch ist nie ge­schrie­ben wor­den. Was ist sein In­halt? Ja, das eben ist die größ­te Schwie­rig­keit: der In­halt! Genau ge­nom­men hat es gar kei­nen. Je­ro­me sel­ber so­wie sei­ne Freun­de Ge­or­ge und Har­ris fas­sen ei­nes Ta­ges den Ent­schluss, ein Boot zu mie­ten und mit dem Hund, der auf den lach­haft pom­pö­sen Na­men Mont­mo­ren­cy hört, einen vier­zehn­tä­gi­gen Aus­flug die Them­se hin­auf zu ma­chen, weil sie eine Er­ho­lung bit­ter nö­tig hat­ten. Sie füh­ren den Ent­schluss aus und keh­ren nach ei­ni­ger Zeit wie­der nach Lon­don zu­rück. Das ist der gan­ze In­halt! Ist et­was Dürf­ti­ge­res denk­bar? Aber nach dem In­halt darf man nicht fra­gen. Nicht das Was, son­dern das Wie ist hier die Haupt­sa­che. Der Reiz des Bu­ches liegt in den drol­li­gen Aben­teu­ern, die die drei wäh­rend ih­rer Fahrt er­le­ben, und in dem Hu­mor, mit dem die­se Aben­teu­er ge­schil­dert wer­den. Man wird ge­le­gent­lich et­was an den se­li­gen St­in­de und sei­ne Fa­mi­lie Buch­holz er­in­nert oder an die Hu­mo­res­ken von Busch; manch­mal wie­der leuch­tet Di­ckens­scher oder Reu­ter­scher Hu­mor auf – von je­ner Art, die in ei­nem lei­sen schalk­haf­ten Lä­cheln um die Mund­win­kel her­um oder in ei­nem spitz­bü­bi­schen Au­gen­zwin­kern so viel aus­zu­drücken weiß. Doch das muss je­der sel­ber le­sen. Zwi­schen­durch zie­hen sich zahl­lo­se hei­te­re An­ek­do­ten, von de­nen Je­ro­me ein un­end­li­ches La­ger be­sitzt. Auch Mark Twain war be­kannt­lich ein glän­zen­der An­ek­do­ten-Er­zäh­ler. Aber Je­ro­me will zu­gleich be­leh­ren. Da­her ver­säumt er nicht, wo im­mer sie in ih­rem Boot an his­to­ri­schen Stät­ten vor­über­kom­men, Vor­gän­ge von Wich­tig­keit aus der eng­li­schen Ge­schich­te in Erin­ne­rung zu brin­gen – frei­lich im­mer in sei­ner be­son­de­ren drol­li­gen Wei­se, nicht lehr­haft tro­cken. So er­gibt sich al­les in al­lem ein Buch von ganz ei­ge­nem Cha­rak­ter: ein lieb­li­ches Som­me­ri­dyll, far­big und fes­selnd und von echt eng­li­schem ge­müt­li­chen Hu­mor ver­klärt.

Von Hu­mo­ris­ten heißt es ge­wöhn­lich, sie sei­en auch per­sön­lich die an­ge­nehms­ten Leu­te – was erns­te­re Schrift­stel­ler nicht im­mer sind; man­che von die­sen neh­men sich all­zu ernst. Auf Je­ro­me trifft die­se An­sicht si­cher­lich zu. Je­der, der ihn ein­mal per­sön­lich ken­nen­ge­lernt hat, schil­dert ihn als einen »fa­mo­sen Kerl« – oder wie der Eng­län­der sagt: »a jol­ly good fel­low«. Er wohnt in ei­nem ro­man­ti­schen al­ten Haus in Wal­ling­ford an der Them­se, mit Frau und zwei Töch­tern; eine da­von ist ad­op­tiert. Es ist das denk­bar glück­lichs­te Fa­mi­li­en­le­ben, von je­ner un­ge­zwun­ge­nen herz­li­chen Na­tür­lich­keit des Ver­kehrs, wie sie so oft in gu­ten ame­ri­ka­ni­schen Fa­mi­li­en zu fin­den ist. Und die­se Gast­lich­keit! Im Som­mer zu­mal sind oft ein hal­b­es Dut­zend Ka­me­ra­den von der Fe­der bei ihm zu Gast und es­sen, trin­ken und dich­ten in sei­nem Hau­se, wie wenn es ihr ei­ge­nes wäre. Im­mer ist er der lie­bens­wür­digs­te Mensch, des­sen Au­gen in ei­nem son­ni­gen Lä­cheln er­strah­len, wenn man mit ihm spricht. Sei­ne gan­ze Per­sön­lich­keit ist Ge­sund­heit – au­ßen und in­nen; au­ßen kennt­lich durch die fri­sche Far­be des wohl­wol­len­den, glat­ten Schau­spiel­er­ge­sichts, in­nen durch die Fröh­lich­keit und Na­tür­lich­keit sei­ner Le­bens­an­schau­un­gen. Je­ro­me, der Mensch, und Je­ro­me, der Schrift­stel­ler, sind ein har­mo­ni­sches Gan­zes: ein Op­ti­mist, ein hei­te­rer Le­bens­be­ja­her ohne Schmin­ke, ohne Pose.

Hen­ry F. Ur­ban

Kapitel 1

Wir wa­ren uns­rer vie­re – Ge­org Wil­liam, Sa­mu­el Har­ris, mei­ne We­nig­keit und Mont­mo­ren­cy – und sa­ßen zu­sam­men in mei­ner Woh­nung, rauch­ten Zi­gar­ren und Pfei­fen, und un­ter­hiel­ten uns von der Ver­derbt­heit un­se­rer Na­tu­ren – Ver­derbt­heit in ge­sund­heit­li­cher Be­zie­hung mei­ne ich na­tür­lich.

Wir fühl­ten uns al­le­samt mit Übeln be­haf­tet, was uns ent­schie­den in eine ner­vö­se Auf­re­gung ver­setz­te. Har­ris sag­te, er be­kom­me öf­ters sol­che au­ßer­or­dent­li­che Schwin­del­an­fäl­le, dass er kaum mehr wis­se, wo ihm der Kopf ste­he; dann sag­te Ge­org, auch er habe Schwin­del­an­fäl­le, dass er kaum mehr wis­se, wo ihm der Kopf ste­he. Bei mir war es die Le­ber, die nicht in Ord­nung war. Ich war si­cher, dass mei­ne Le­ber nicht in Ord­nung wäre, da ich ge­ra­de vor­her ein Zir­ku­lar1 über pa­ten­tier­te Le­ber­pil­len ge­le­sen hat­te, worin die ver­schie­de­nen Sym­pto­me ganz ge­nau an­ge­ge­ben wa­ren, an de­nen man ganz si­cher er­ken­nen konn­te, ob die Le­ber in Ord­nung sei oder nicht. Alle die­se Sym­pto­me zeig­ten sich bei mir.

Es ist wirk­lich äu­ßerst merk­wür­dig, dass ich nie­mals die An­kün­di­gung ir­gend­ei­nes pa­ten­tier­ten ärzt­li­chen Mit­tels habe le­sen kön­nen, ohne so­fort zu der Über­zeu­gung zu ge­lan­gen, ich lei­de in ho­hem Gra­de an dem be­son­de­ren Übel, wo­für in dem an­ge­kün­dig­ten Mit­tel die Hei­lung an­ge­bo­ten wur­de. Die Dia­gno­se scheint in je­dem Fall mit mei­nen spe­zi­fi­schen Emp­fin­dun­gen über­ein­zu­stim­men. Ich er­in­ne­re mich, dass ich ei­nes Ta­ges ins Bri­ti­sche Mu­se­um ge­gan­gen war, um dort die Be­hand­lung ei­nes leich­ten Übels – ich glau­be, es war Heuschnup­fen – nach­zu­le­sen. Ich hol­te mir das be­tref­fen­de Buch her­un­ter und las al­les, was dar­über zu le­sen war; dann wand­te ich ge­dan­ken­los und nach­läs­sig das Blatt um und be­gann gleich­gül­tig an­de­re Krank­hei­ten zu stu­die­ren. Ich habe ver­ges­sen, wel­che Krank­heit mir zu­erst auf­s­tieß; ich weiß nur noch, dass es eine fürch­ter­li­che, pest­ar­ti­ge Krank­heit war; und ehe ich auch nur die Hälf­te der all­ge­mei­nen Kenn­zei­chen ge­le­sen hat­te, war ich schon über­zeugt, dass ich da­von be­fal­len sei. Ich saß eine Wei­le völ­lig er­starrt vor Schre­cken; dann las ich in stil­ler Verzweif­lung die fol­gen­den Sei­ten. Ich kam zum Ty­phus, las sei­ne Merk­ma­le, und nahm so­fort wahr, dass ich das Ner­ven­fie­ber habe, dass ich es be­reits seit Mon­den ha­ben müs­se, ohne eine Ah­nung da­von ge­habt zu ha­ben. Ich war nun in der Tat neu­gie­rig, was mir wohl sonst noch feh­len möch­te; so kam ich zum Veits­tanz; wie ich nicht an­ders er­war­tet hat­te, hat­te ich den auch. Jetzt in­ter­es­sier­te mich mein ganz ei­gen­tüm­li­cher Fall, und ich be­schloss nun, ihn bis auf den Grund zu un­ter­su­chen. So nahm ich denn die ver­schie­de­nen Krank­hei­ten in al­pha­be­ti­scher Rei­hen­fol­ge durch und fand, bei A an­fan­gend, Ag­ne (kal­tes Fie­ber) und mach­te die Be­mer­kung, dass ich auch dar­an lei­de, und dass die Kri­sis in etwa 14 Ta­gen ein­tre­ten wer­de. Die Bright­sche Krank­heit hat­te ich, zu mei­ner großen Er­leich­te­rung, nur in schwa­chem Gra­de, und in Be­treff die­ser hät­te ich noch man­ches Jahr le­ben kön­nen. Cho­le­ra da­ge­gen hat­te ich schon mit erns­te­ren Kom­pli­ka­tio­nen, und Diph­the­ri­tis war mir, wie es schi­en, an­ge­bo­ren. Ge­wis­sen­haft drang ich bis ans Ende der 26 Buch­sta­ben, und die ein­zi­ge Krank­heit, von wel­cher ich an­neh­men konn­te, ver­schont zu sein, war Kind­bett­fie­ber.

Dar­über war ich nun an­fangs et­was ver­letzt; es schi­en mir dies eine Ver­nach­läs­si­gung! Wa­rum hat­te ich nicht auch Kind­bett­fie­ber? Nach ei­ner Wei­le je­doch über­ka­men mich we­ni­ger streit­ba­re Ge­füh­le! In Er­wä­gung, dass ich doch jede an­de­re be­kann­te Krank­heit hat­te, wur­de ich we­ni­ger selbst­süch­tig in Be­treff des Kind­bett­fie­bers und be­schloss, dar­auf zu ver­zich­ten! Die Gicht auch, in ih­rem bös­ar­tigs­ten Auf­tre­ten, hat­te mich un­be­wusst in Be­schlag ge­nom­men, und an Zy­mo­sis2 hat­te ich seit mei­ner Kna­ben­zeit ge­lit­ten!

Da nach Zy­mo­sis kei­ne wei­te­ren Krank­hei­ten mehr an­ge­führt wa­ren, so schloss ich dar­aus, dass ich nun auch mit kei­ner wei­te­ren be­haf­tet sei.

So saß ich denn eine gute Wei­le und dach­te nach. Ich fand, was für ein in­ter­essan­ter Fall ich in ärzt­li­cher Hin­sicht je­den­falls sein müs­se und welch eine Ak­qui­si­ti­on ich z. B. für die Un­ter­su­chung in ei­ner Kli­nik ab­ge­ben wür­de. Die Stu­den­ten wür­den nun nicht mehr nö­tig ha­ben, zu ih­rer Be­leh­rung von ei­nem Spi­tal in das an­de­re zu lau­fen, wenn sie mich hat­ten. Ich war ein gan­zes Spi­tal – ich ganz al­lein. Al­les, was sie fer­ner­hin zu tun ha­ben wür­den, wäre, mich an­zu­se­hen und nach­her ihr Ex­amen zu ma­chen.

Dann in­ter­es­sier­te es mich, zu er­fah­ren, wie lan­ge ich über­haupt noch zu le­ben ha­ben wür­de. Ich fühl­te mei­nen Puls – zu­erst konn­te ich gar kei­nen Puls bei mir fin­den. Dann schi­en er plötz­lich mit Schla­gen an­zu­fan­gen. Ich zog mei­ne Uhr her­aus und zähl­te. Er mach­te 147 Schlä­ge in der Mi­nu­te! Dann woll­te ich den Herz­schlag prü­fen; ich fand mein Herz nicht! Es hat­te auf­ge­hört zu schla­gen! Ich bin seit­her zu der An­sicht ge­kom­men, dass ich da­mals doch wohl ein Herz be­ses­sen ha­ben muss, wel­ches schlug – aber ich kann nicht da­für ein­ste­hen. Ich be­fühl­te mei­ne gan­ze Vor­der­sei­te von dem Teil an, den man züch­tig »Tail­le« nennt, bis zum Kopf, strich an den Sei­ten und au­ßer­dem ein Stück den Rücken hin­auf, aber ich konn­te nichts von ei­nem Her­zen we­der füh­len noch hö­ren. Dann ver­such­te ich, mei­ne Zun­ge zu be­se­hen, streck­te sie her­aus, so­weit ich konn­te, und mach­te, um schär­fer zu se­hen, ein Auge zu. Ich konn­te nur die Spit­ze se­hen, und das Ein­zi­ge, was ich aus die­ser Un­ter­su­chung mit Ge­wiss­heit schöpf­te, war, dass ich das Schar­lach­fie­ber hat­te.

Als ge­sun­der, glück­li­cher Mann hat­te ich die­ses Le­se­zim­mer be­tre­ten, als ein elen­der, ge­bro­che­ner Pa­ti­ent kam ich wie­der her­aus.

Ich be­schloss, zu mei­nem Arzt zu ge­hen. Er ist ein al­ter Ka­me­rad von mir; er pflegt mir den Puls zu füh­len, die Zun­ge zu be­se­hen und mit mir vom Wet­ter und an­de­ren Al­lo­tri­as zu spre­chen, wenn ich zu ihm kom­me und mei­ner Ein­bil­dung nach krank bin, und das al­les ganz um­sonst.

So dach­te ich denn: dies­mal, Al­ter, will ich dir auch einen Ge­fal­len tun und dich heim­su­chen. Was ein Arzt braucht, sag­te ich mir, das ist Schu­lung. Er soll mich ha­ben. An mir al­lein wird er so viel Er­fah­run­gen ma­chen kön­nen wie an sieb­zehn­hun­dert ge­wöhn­li­chen Pa­ti­en­ten, die nur eine oder höchs­tens zwei Krank­hei­ten ha­ben.

So ging ich denn ge­ra­den­wegs zu ihm. Als er mich sah, frag­te er: »Nun, was fehlt dir dies­mal?« wor­auf ich ihm er­wi­der­te: »O, ich will dir dei­ne Zeit nicht steh­len, al­ter Jun­ge, mit Auf­zäh­lung all der Übel, mit de­nen ich be­haf­tet bin. Das Le­ben ist kurz, und du könn­test ster­ben, ehe ich mit der Auf­zäh­lung zu Ende wäre. Aber ich will dir sa­gen, was ich nicht habe! Das Kind­bett­fie­ber habe ich nicht! Wa­rum ich die­se Krank­heit nicht be­kom­men habe, das kann ich dir nicht sa­gen – aber es ist nun ein­mal Tat­sa­che, dass ich sie nicht habe, nie ge­habt habe. Aber jede an­de­re Krank­heit habe ich.«

Dann er­zähl­te ich ihm, wie ich zu der Ent­de­ckung ge­langt sei.

Da hieß er mich den Mund öff­nen und sah mir in den Hals hin­ab; dann pack­te er mich beim Hand­ge­lenk und schlug mir auf die Brust, als ich es am al­ler­we­nigs­ten er­war­te­te – eine recht fei­ge, hin­ter­lis­ti­ge Art nen­ne ich das ei­nem Tod­kran­ken ge­gen­über –, dann stieß er sei­nen Kopf ge­gen mei­ne Rip­pen. Hier­auf setz­te er sich nie­der und schrieb mir ein Re­zept auf, fal­te­te es zu­sam­men und gab es mir. Ich steck­te es in die Ta­sche und ging fort.

Ohne es an­zu­se­hen, ging ich da­mit zu dem nächs­ten Apo­the­ker. Der Mann las es, dann gab er es mir zu­rück und sag­te, er kön­ne das nicht ma­chen.

Ich frag­te ihn: »Sind Sie Apo­the­ker?« Er sag­te dar­auf: »Ja, ich bin Apo­the­ker. Wenn ich eine Re­stau­ra­ti­on, ver­bun­den mit Fa­mi­li­en­pen­si­on, hät­te, so könn­te ich Ih­nen viel­leicht die­nen. Da ich nur Apo­the­ker bin, so ist es mir un­mög­lich!«

Ich las nun das Re­zept. Es lau­te­te:

»1 Pfund Beefs­teak mit ½ Li­ter Bier, alle sechs Stun­den. Ein Spa­zier­gang von 4 Stun­den je­den Mor­gen; Schla­fen­ge­hen prä­zis 11 Uhr jede Nacht; Und stop­fe dei­nen Kopf nicht mit Sa­chen voll, die du nicht ver­stehst.«

Ich be­folg­te die­se Vor­schrif­ten, und das Er­geb­nis war, dass ich da­mals vom si­che­ren Tod er­ret­tet wur­de und bis auf den heu­ti­gen Tag am Le­ben bin.

Im ge­gen­wär­ti­gen Fal­le aber – um wie­der auf die pa­ten­tier­ten Le­ber­pil­len zu­rück­zu­kom­men – hat­te ich wirk­lich die Sym­pto­me ohne alle Fra­ge; das Haupt­säch­lichs­te dar­un­ter war »eine all­ge­mei­ne Ab­nei­gung ge­gen ir­gend­wel­che Art Tä­tig­keit«.

Was ich in die­ser Hin­sicht lei­de, kann kei­ne Zun­ge aus­spre­chen. Von mei­ner frü­he­s­ten Kind­heit an habe ich dar­in ein wirk­li­ches Mar­ty­ri­um aus­ge­stan­den. Wäh­rend mei­ner Kna­ben­jah­re ver­ließ mich das Übel kaum einen Tag. Man wuss­te da­mals nicht, dass ich an der Le­ber litt. Die ärzt­li­che Wis­sen­schaft war da­mals noch nicht so weit vor­ge­schrit­ten wie heut­zu­ta­ge; da­her nann­te man mein Übel ein­fach »Faul­heit«! »Ver­fluch­ter Ben­gel!«, pfleg­te man mir zu sa­gen, »steh’ auf und tue et­was für dei­nen Le­bens­un­ter­halt! Marsch, vor­wärts!« – Man wuss­te eben nicht, dass ich krank war!

Und man gab mir kei­ne Pil­len – nein, man gab mir eins an den Kopf. Und, so selt­sam dies er­schei­nen mag, die­se Ohr­fei­gen ku­rier­ten mich oft wun­der­bar schnell, we­nigs­tens für eine Zeit lang. Ich er­in­ne­re mich, dass da­mals eine ein­zi­ge sol­che Ohr­fei­ge eine grö­ße­re Wir­kung auf mein Le­ben aus­üb­te – denn ich raff­te mich in der Re­gel rasch auf, um so­fort zu tun, was man von mir be­gehr­te – als heut­zu­ta­ge eine gan­ze Schach­tel voll Pil­len. Man weiß ja – es geht oft so – die­se alt­vä­ter­li­chen Haus­mit­tel sind manch­mal viel wirk­sa­mer als der gan­ze Apo­the­ker­kram.

So sa­ßen wir noch eine wei­te­re hal­be Stun­de bei­sam­men und be­schrie­ben uns ge­gen­sei­tig un­se­re Krank­hei­ten. Ich setz­te Ge­org und Wil­liam Har­ris aus­ein­an­der, wie mir zu­mu­te sei, wenn ich mor­gens auf­ste­he, und Wil­liam Har­ris er­zähl­te uns, wie es ihm beim Zu­bett­ge­hen zu­mu­te sei – und Ge­org stand am Ofen und gab uns eine köst­li­che Vor­stel­lung zum Bes­ten, durch die uns recht an­schau­lich ver­ge­gen­wär­tigt wur­de, wie er sich wäh­rend der Nacht be­fin­de.

Ge­org bil­de­te sich näm­lich ein, er sei auch krank; aber ich ver­si­che­re, es ist ab­so­lut nichts dar­an.

In die­sem Au­gen­blick klopf­te Frau Pop­pets an un­se­re Tür mit der Fra­ge, ob es uns be­lie­be, zu Nacht zu spei­sen. Wir lä­chel­ten ein­an­der trau­rig an und er­wi­der­ten, es wäre viel­leicht doch bes­ser, wenn wir ver­such­ten, einen Bis­sen hin­un­ter­zu­wür­gen. Har­ris na­ment­lich mein­te, et­was Nah­rung im Ma­gen hal­te manch­mal die Krank­heit im Schach. So brach­te denn Frau Pop­pets das Es­sen her­ein; wir gin­gen zu Tisch und schnip­sel­ten uns et­was Beefs­teak mit Zwie­beln und et­was Rha­bar­ber­tor­te ab.

Ich muss da­mals wirk­lich recht schwach ge­we­sen sein, denn ich er­in­ne­re mich, dass ich nach Ver­lauf ei­ner hal­b­en Stun­de durch­aus kein In­ter­es­se mehr an dem Es­sen hat­te, was bei mir et­was ganz Un­ge­wöhn­li­ches ist, und dass es mich auch nicht nach Käse ver­lang­te.

Nach­dem wir die­se Pf­licht er­le­digt, füll­ten wir un­se­re Glä­ser aufs Neue, zün­de­ten die Pfei­fen wie­der an und ver­senk­ten uns noch­mals in die Er­ör­te­rung un­se­res Ge­sund­heits­zu­stan­des. Was uns ei­gent­lich fehl­te, dar­über war kei­ner von uns im Kla­ren, nur dar­über wa­ren wir ei­ner Mei­nung, dass, wie un­se­re Krank­heit auch hei­ßen möge, die Ur­sa­che un­fehl­bar Übe­r­an­stren­gung sei.

»Was uns fehlt, ist Ruhe«, sag­te Har­ris.

»Ja, Ruhe! Und voll­stän­dig ver­än­der­te Le­bens­wei­se«, mein­te Ge­org; »die Übe­r­an­stren­gung un­se­res Ge­hirns hat eine all­ge­mei­ne Er­schlaf­fung des gan­zen Ner­ven­sys­tems her­vor­ge­bracht. So wird denn ein Wech­sel der Um­ge­bung und die gänz­li­che Ent­hal­tung von je­der Ge­dan­ken­ar­beit auch das geis­ti­ge Gleich­ge­wicht in uns wie­der her­stel­len.«

Ge­org hat einen Vet­ter, der Me­di­zin stu­diert; da­durch hat sei­ne Aus­drucks­wei­se et­was von hau­s­ärzt­li­chem Stil an­ge­nom­men.

In­des­sen stimm­te ich Ge­org zu und be­an­trag­te dem­zu­fol­ge, wir soll­ten uns ir­gend­wo einen ver­lo­re­nen und welt­ver­las­se­nen Ort aus­su­chen, fern von der ver­rück­ten und toll­ma­chen­den Welt, und in des­sen, von ein­schlä­fern­dem Duft er­füll­ten Ge­fil­den eine son­ni­ge Wo­che lang hin­träu­men – an so einen halb ver­ges­se­nen, von den Feen be­wach­ten Win­kel au­ßer­halb des Be­reichs der ge­schäf­ti­gen Mensch­heit – ir­gend­ein von den Klip­pen der Zeit hoch oben her­ab­schau­en­des Ad­ler­nest, wo man nur aus wei­ter Fer­ne das schwa­che An­schla­gen der Wo­gen des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts zu ver­neh­men be­käme.

Har­ris mein­te, das wür­de ko­los­sal dumm sein. Er sag­te, er kön­ne sich leb­haft vor­stel­len, was für ein lang­wei­li­ges Quar­tier mir im Sin­ne lie­ge, ei­nes, wo je­der­mann um 8 Uhr abends zu Bet­te gehe, ei­nes, wo man we­der für Geld noch gute Wor­te einen Schieds­rich­ter für sei­ne Box­kämp­fe auf­trei­ben kön­ne, und wo man erst vier Stun­den weit zu lau­fen habe, wenn man sich ein biss­chen Ta­bak für sei­ne Pfei­fe ho­len wol­le.

»Nein«, sag­te Har­ris, »wenn ihr Ver­än­de­rung und Ruhe nö­tig habt, so könnt ihr nichts Bes­se­res tun, als eine klei­ne See­rei­se ma­chen.« Ge­gen die See­rei­se ver­wahr­te ich mich nun aber ernst­lich. Eine See­rei­se tut ei­nem gut, wenn man ein paar Mo­na­te dar­auf ver­wen­den kann; aber eine Rei­se von ei­ner Wo­che, das ist et­was Heim­tücki­sches! Da reist man am Mon­tag mit der fes­ten Über­zeu­gung ab, dass man sich nun köst­lich amü­sie­ren wer­de. Man winkt den Jun­gens am Ufer noch ein fröh­li­ches Adieu zu, zün­det dann sei­ne größ­te Ta­baks­pfei­fe an und stol­ziert auf dem Deck her­um, als wäre man ein Ka­pi­tän Cook, Sir Fran­cis Dra­ke und Chri­stoph Ko­lum­bus in ei­ner Per­son. Am Diens­tag wünscht man be­reits, lie­ber nicht an Bord zu sein. Am Mitt­woch, Don­ners­tag und Frei­tag möch­te man am liebs­ten tot sein. Am Sams­tag end­lich fühlt man sich im­stan­de, ein we­nig Fleisch­brü­he hin­un­ter­zu­schlür­fen, auf dem Deck zu sit­zen und mit ei­nem schwa­chen, sü­ßen Lä­cheln zu ant­wor­ten, wenn gut­her­zi­ge Leu­te einen fra­gen, wie es jetzt gehe. Am Sonn­tag fängt man an, wie­der auf dem Deck um­her­zu­ge­hen und fes­te Nah­rung zu sich zu neh­men, und am Mon­tag, wenn man mit Hand­kof­fer und Re­gen­schirm be­waff­net auf dem Hin­ter­deck steht, im Be­griff, das Schiff zu ver­las­sen, ist man mit dem Le­ben auf Deck ge­ra­de ganz aus­ge­söhnt.

Ich er­in­ne­re mich, wie mein Schwa­ger einst zur Stär­kung sei­ner Ge­sund­heit eine klei­ne See­rei­se mach­te. Er nahm ein Re­tour­bil­lett von Lon­don nach Li­ver­pool. Als er in Li­ver­pool an­ge­kom­men war, hat­te er nichts Ei­li­ge­res zu tun, als sein Re­tour­bil­lett zu ver­kau­fen.

Er bot es in der gan­zen Stadt zu ei­nem schänd­lich nied­ri­gen Prei­se an – so er­zähl­te er mir –, zu­letzt wur­de es für 1,50 M. von ei­nem gelb­süch­ti­gen Jüng­ling er­wor­ben, dem sein Arzt et­was Be­we­gung und See­luft ver­ord­net hat­te.

»See­luft!«, sag­te mein Schwa­ger, in­dem er ihm das Bil­lett freund­lich lie­be­voll in die Hand drück­te, »O, Sie wer­den Ihr gan­zes spä­te­res Le­ben da­von zeh­ren kön­nen. – Und was Be­we­gung an­be­langt, so wer­den Sie sich mehr ver­schaf­fen kön­nen, wenn Sie sich auf die­sem Schif­fe nie­der­set­zen, als wenn Sie auf dem Lan­de Pur­zel­bäu­me schlü­gen.«

Er selbst – mein Schwa­ger näm­lich – kam mit der Ei­sen­bahn zu­rück. Er mein­te, die Nord­west­bahn sei ge­sün­der für ihn.

Ein an­de­rer Be­kann­ter von mir mach­te eben­falls eine Rei­se von ei­ner Wo­che längs der Küs­te. Beim Be­ginn frag­te ihn der Kell­ner, ob er für jede Mahl­zeit be­son­ders be­zah­len wol­le, oder ob er die Pen­si­on für die gan­ze Wo­che im Voraus zu zah­len ge­den­ke.

Der Kell­ner emp­fahl ihm den letz­te­ren Mo­dus, da es auf die­se Wei­se viel bil­li­ger kom­me. Er könn­te ihm dann für die gan­ze Wo­che den Preis auf 45 M. her­ab­set­zen. Zum Früh­stück, sag­te er, gebe es Fi­sche nebst et­was Bra­ten. Um ein Uhr sei das Ga­bel­früh­stück, das aus vier Gän­gen be­ste­he. Die Haupt­mahl­zeit, um sechs Uhr, be­ste­he aus Sup­pe, Fisch, Zwi­schen­gang, Bra­ten mit Zuspei­se, Ge­flü­gel, Salat, sü­ßer Spei­se, Käse und Des­sert. Dann fol­ge noch ein leich­tes Abendes­sen mit Fleisch um zehn Uhr.

Mein Freund dach­te, un­ter sol­chen Um­stän­den sei es wei­se, auf die 45 M. Pen­si­on ein­zu­ge­hen. Denn er ist ein tüch­ti­ger Es­ser – und so ge­sch­ah’s. Als man Sheer­neß pas­siert hat­te, war es ge­ra­de zum Ga­bel­früh­stück, aber der Hun­ger woll­te sich nicht wie sonst ein­stel­len, so­mit be­gnüg­te er sich mit ei­nem Bis­sen Rind­fleisch und et­was Sta­chel­bee­ren mit Schlag­sah­ne. Wäh­rend des Nach­mit­tags be­weg­ten ihn al­ler­lei schwe­re Ge­dan­ken, und auf ein­mal dünk­te es ihn, als ob er seit Wo­chen nichts als Rind­fleisch ge­ges­sen hät­te, und ein an­de­res Mal schi­en es ihm, er habe seit Jah­ren von Sta­chel­bee­ren und Schlag­sah­ne ge­lebt.

We­der das Rind­fleisch, noch die Sta­chel­bee­ren, noch die Schlag­sah­ne schie­nen in glück­li­cher Ein­tracht in sei­nem Ma­gen zu hau­sen; es schi­en eher, dass sie Hän­del mit­ein­an­der an­ge­fan­gen hät­ten.

Um 6 Uhr wur­de zum Di­ner an­ge­ru­fen. Die­se An­kün­di­gung fand kei­nen freu­di­gen Wi­der­hall in sei­ner See­le; aber er fand, dass er denn doch für sei­ne 45 M. et­was ha­ben müs­se, hielt sich am Seil und Ge­län­der und stieg hin­ab. Ein an­ge­neh­mer Ge­ruch von Zwie­beln und heißem Schin­ken ström­te ihm ent­ge­gen, ge­mischt mit dem Duft ge­bra­te­ner Fi­sche und fri­scher Ge­mü­se; als er end­lich un­ten an­ge­kom­men war, kam das glat­te Ge­sicht des Auf­wär­ters her­an, der ihn mit ma­li­zi­ösem Lä­cheln frag­te: »Was darf ich Ih­nen brin­gen, mein Herr?«

»Mich von hier fort­brin­gen«, war die schwach ge­hauch­te Ant­wort.

Man schob ihn so schnell als mög­lich die Trep­pe hin­auf, brach­te ihn an die Lee­sei­te, lehn­te ihn über Bord und über­ließ ihn dort sei­nem Schick­sal.

Wäh­rend der nächs­ten vier Tage führ­te er ein ein­fa­ches und sünd­lo­ses Le­ben und nähr­te sich von dün­nem Ka­pi­täns­zwie­back – d. h. der Zwie­back war dünn, nicht der Ka­pi­tän – und So­da­was­ser; aber ge­gen Sonn­abend rap­pel­te er sich wie­der zu­sam­men und ließ sich schwa­chen Tee und un­be­stri­che­ne Brot­schnit­ten ge­ben, und am Mon­tag schluck­te er mit Ach und Krach et­was Hüh­ner­brü­he. – Am Diens­tag ver­ließ er das Schiff. Als es wie­der in See stach, konn­te er sich ei­nes be­dau­ern­den Nach­blickes nicht ent­hal­ten.

»Da se­gelt es nun fort«, sag­te er, »mit ei­ner Mas­se Le­bens­mit­tel an Bord, die ich nicht ge­nos­sen habe und die doch von Rechts we­gen mir ge­hö­ren!«

Er mein­te, wenn sie ihn nur noch einen Tag län­ger an Bord be­hal­ten hät­ten, so wür­de er es schon aus­ge­gli­chen ha­ben.

Aus die­sen Grün­den woll­te ich also von ei­ner See­rei­se nichts wis­sen. Nicht mei­net­we­gen, wie ich den Freun­den aus­ein­an­der­setz­te. Ich bin noch nie see­krank ge­wor­den. Aber ich war be­sorgt um Ge­org. Der be­haup­te­te zwar, er könn­te die See­rei­se herr­lich ver­tra­gen; aber er möch­te mir und Har­ris doch ra­ten, den Ge­dan­ken dar­an auf­zu­ge­ben, da er ganz ge­wiss wis­se, dass wir bei­de see­krank wür­den. Har­ris sei­ner­seits mein­te, für ihn sei es im­mer ein Rät­sel, wie es die Leu­te an­fin­gen, see­krank zu wer­den; er mein­te, man müs­se es wirk­lich ab­sicht­lich tun, aus Zie­re­rei, um sich in­ter­essant zu ma­chen, und füg­te noch hin­zu, er habe oft ge­wünscht, ein­mal see­krank zu wer­den, sei aber nie dazu im­stan­de ge­we­sen.

Dann er­zähl­te er uns al­ler­lei Ge­schich­ten, wie er ein­mal über den Kanal ge­fah­ren sei, wäh­rend ei­nes so hef­ti­gen Stur­mes, dass man die Pas­sa­gie­re in ih­ren Schiffs­bet­ten habe fest­bin­den müs­sen: Er und der Ka­pi­tän sei­en die zwei ein­zi­gen See­len an Bord ge­we­sen, die nicht see­krank ge­wor­den sei­en.

Ein an­der­mal sei nur er und der zwei­te Steu­er­mann nicht krank ge­wor­den; im­mer war eben er und »noch ei­ner«, oder aber er al­lein nicht see­krank.

Es ist merk­wür­dig, aber tat­säch­lich wahr, dass nie­mals ei­ner see­krank ge­we­sen sein will, wenn er am Lan­de ist. Zur See be­geg­nen euch Leu­te ge­nug, die in der Tat sehr übel auf sind – ja gan­ze Boots­la­dun­gen voll sieht man da –, aber am Lan­de habe ich noch nie­mals einen ge­trof­fen, der wuss­te, was es heißt, see­krank zu sein. Wo sich die tau­send und aber tau­sen­de von Men­schen, die an Bord so­fort see­krank wer­den – und je­des Schiff ist ganz voll von ih­nen –, auf dem Lan­de ver­ber­gen, ist we­nigs­tens für mich ein Ge­heim­nis.

Wenn vie­le Leu­te ei­nem ge­wis­sen Men­schen gli­chen, den ich ein­mal auf ei­nem Yar­mouth­boot sah, so könn­te ich das an­schei­nen­de Rät­sel leicht ge­nug lö­sen. Das Schiff war, wie ich mich er­in­ne­re, eben von der Lan­dungs­brücke bei Southend ab­ge­sto­ßen; da lehn­te sich der Mann in ei­ner sehr ge­fähr­li­chen Wei­se über eine der Schie­be­pfor­ten hin­aus. Ich ging zu ihm hin, um ihn zu ret­ten. »He! Kom­men Sie wei­ter her­ein«, sag­te ich zu ihm und er­griff ihn an der Schul­ter, »oder Sie fal­len über Bord!«

»O mein Gott! Wenn ich doch nur hin­un­ter­fie­le!« war die ein­zi­ge Ant­wort, die ich von ihm er­hielt, – und dort muss­te ich ihn las­sen. Drei Wo­chen spä­ter traf ich mei­nen Mann in ei­nem Kaf­fee­haus in Bath, wo er von sei­nen Rei­sen sprach und sei­nen Zu­hö­rern in be­geis­ter­ten Wor­ten sei­ne Vor­lie­be für die See aus­mal­te.

Auf die schüch­ter­ne An­fra­ge ei­nes jun­gen Man­nes, ob er nie see­krank wer­de, er­wi­der­te er: »Nun, ich be­ken­ne, ich war ein­mal, ein ein­zi­ges Mal see­krank. Es war am Kap Horn, aber am an­de­ren Mor­gen schei­ter­te dann auch un­ser Schiff.«

Ich un­ter­brach ihn: »War Ih­nen denn nicht ein we­nig son­der­bar zu­mu­te, wis­sen Sie, da­mals, als wir die Lan­dungs­brücke bei Southend ver­las­sen hat­ten und Sie den Wunsch äu­ßer­ten, ir­gend­ei­ne mit­leids­vol­le See­le möch­te Sie ins Meer hin­un­ter­wer­fen?«

»Southend? Lan­dungs­brücke?« frag­te er ein we­nig ver­wirrt.

»Ja! Auf dem Wege nach Yar­mouth – letz­ten Frei­tag vor drei Wo­chen.«

»O ja!«, er­wi­der­te er hei­ter, als kom­me ihm nun plötz­lich sein Ge­dächt­nis zu Hil­fe, »ich er­in­ne­re mich jetzt. Ich hat­te an je­nem Nach­mit­tag star­kes Kopf­weh. Es kam von den Salz­gur­ken her, wis­sen Sie! Es wa­ren die ab­scheu­lichs­ten Salz­gur­ken, die ich je­mals auf ei­nem Schif­fe aß. Ha­ben Sie auch da­von ge­nos­sen?«

Was mich selbst an­be­langt, so habe ich ein aus­ge­zeich­ne­tes Mit­tel ge­gen die See­krank­heit ent­deckt, näm­lich Rumpf­beu­gun­gen. Man stellt sich ein­fach auf die Mit­te des Ver­decks, und so­bald sich das Schiff hebt oder senkt, macht man die ent­spre­chen­de Be­we­gung mit dem Kör­per, um ihn im­mer senk­recht über dem Was­ser zu hal­ten. Steigt das Vor­der­teil des Schif­fes, so lehnt man sich vor­wärts, bis man bei­na­he das Deck mit der Nase be­rührt; und wenn das Hin­te­ren­de her­auf­kommt, lehnt man sich rück­wärts. Das ist nun ganz gut für eine Stun­de oder zwei. Aber man kann nicht eine Wo­che lang ohne Auf­hö­ren Rumpf­be­we­gun­gen ma­chen.

Ge­org sag­te: »Fah­ren wir die Them­se auf­wärts!« – Wir wür­den dann, sag­te er, fri­sche Luft, Be­we­gung und Ruhe ha­ben; der be­stän­di­ge Wech­sel der Sze­ne wür­de un­sern Geist be­schäf­ti­gen (so viel Har­ris da­von be­sitzt, mit ein­ge­schlos­sen), und die an­stren­gen­de Ru­der­ar­beit wür­de uns gu­ten Ap­pe­tit und ge­sun­den Schlaf ma­chen.

Har­ris mein­te, er den­ke nicht, dass Ge­org sich ir­gend­wie noch an­zu­stren­gen brau­che, um noch schläf­ri­ger, als er oh­ne­hin schon sei, zu wer­den; das könn­te so­gar ge­fähr­lich für ihn wer­den. Er mein­te, er kön­ne nicht ein­se­hen, wie Ge­org noch mehr schla­fen möch­te, da doch je­den Tag, im Som­mer wie im Win­ter, nur 24 Stun­den da­für ver­füg­bar sei­en; wenn er aber noch mehr schla­fen wol­le, so kön­ne er sich nur gleich zum Ster­ben nie­der­le­gen, dann er­spa­re er Kost und Woh­nung.

Har­ris gab in­des­sen zu, dass die Fluss­par­tie ihm bis aufs »T« pas­se. Ich weiß nun nicht, was ein T be­deu­ten soll, aus­ge­nom­men ein T (Tee) für einen hal­b­en Schil­ling, wo­bei man noch But­ter­brot und Ku­chen ad li­bi­tum ver­zeh­ren darf, was ja ziem­lich wohl­feil ist, wenn man kein Mit­ta­ges­sen ge­habt und den mit­täg­li­chen Hun­ger dar­an stil­len will: In sol­chem Fall weiß ich, was ein T be­deu­tet. Wenn ich’s auch sonst nicht weiß, so steht doch so viel fest, dass schließ­lich je­der­mann für die Fluss­par­tie stimm­te, was dem Fluss eine große Ehre sein muss.

Er pass­te uns an­de­ren eben­falls bis aufs »T«, und ich so­wohl wie Har­ris er­klär­ten es für eine gute Idee von Ge­org; wir sag­ten dies in ei­nem Tone, der an­zu­deu­ten schi­en, wie er­staunt wir sei­en, dass Ge­org auf ein­mal so ver­stän­dig ge­wor­den sei.

Der Ein­zi­ge un­ter uns, der kei­nen Ge­schmack an dem Vor­schlag fin­den konn­te, war Mont­mo­ren­cy. Er hat­te nie eine Vor­lie­be für den Fluss ge­habt, nein, nie­mals!

»Es ist das al­les recht gut für euch Bur­schen«, mein­te er ohne Zwei­fel, »euch ge­fäll­t’s wohl, aber mir nun eben nicht; da gib­t’s für mich nichts zu tun, land­schaft­li­che Rei­ze sind mir gleich­gül­tig, auch rau­che ich nicht! Wenn ich eine Rat­te er­bli­cke, wer­det ihr ge­wiss nicht an­hal­ten, und wenn ich ein biss­chen schla­fen möch­te, so macht ihr när­ri­sches Zeug mit dem Boot und werft mich über Bord. Wenn ihr mich um mei­ne Mei­nung fragt, so sage ich euch ge­ra­de­zu: Die­se Fluss­fahrt ist die rei­ne Narr­heit!«

In­des­sen wa­ren wir drei ge­gen eine Stim­me, und so ging der An­trag durch.

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Kapitel 2

Wir brei­te­ten un­se­re Kar­ten aus, er­ör­ter­ten die Rei­se­plä­ne und ka­men schließ­lich über­ein, am fol­gen­den Sams­tag von King­ston aus die Ru­der­fahrt an­zu­tre­ten. Har­ris und ich woll­ten mor­gens mit der Bahn da­hin­fah­ren und uns bis nach Chert­sey hin­aufru­dern, und Ge­org, der ver­hin­dert sein wür­de, vor Nach­mit­tag die City zu ver­las­sen,1 (denn er pflegt näm­lich in ei­nem Bank­ge­schäft von 10 Uhr vor­mit­tags bis 4 Uhr nach­mit­tags zu schla­fen, aus­ge­nom­men an den Sams­ta­gen, wo man ihn um 2 Uhr auf­weckt und hin­aus­wirft2 woll­te mit der Bahn bis Chert­sey rei­sen und dort mit uns zu­sam­men­tref­fen.

Soll­ten wir im Frei­en über­nach­ten oder ans Land stei­gen und ein Wirts­haus auf­su­chen? Ge­org und ich wa­ren bei­de fürs Über­nach­ten im Frei­en. Wir mein­ten, das hie­ße dann so recht: »Ein frei­es Le­ben füh­ren wir«, das habe so et­was Wil­des und Ro­man­ti­sches, so et­was Pa­tri­ar­cha­li­sches an sich. Lang­sam ver­blass­te der gol­de­ne Wol­kensaum, die letz­te Erin­ne­rung an die ent­schwun­de­ne Son­ne, und kalt und trü­be star­ren die Wol­ken. Die Vö­gel sind wie trau­ern­de Kin­der still ge­wor­den; nur des Moor­huhns kla­gen­der Ruf und das hei­se­re Ge­kräch­ze der Ra­ben un­ter­bricht die schau­ri­ge Stil­le, die rings­um auf den Was­sern liegt, auf wel­che der ster­ben­de Tag sei­nen letz­ten Schim­mer hin­haucht.

Aus dem Dun­kel der Ufer­bü­sche kriecht die Geis­ter­schar der Nacht, krie­chen die grau­en Schat­ten ge­räusch­los her­vor und ver­scheu­chen die letz­ten Nach­züg­ler des Lichts, und lei­se, mit un­sicht­ba­ren Fü­ßen, schlei­chen sie über das hohe Ufer­gras und durch das seuf­zen­de Röh­richt, und die Nacht fal­tet von ih­rem düs­te­ren Thro­ne aus ihre schwar­zen Schwin­gen über die im Dun­kel ver­sin­ken­de Welt, und Schwei­gen re­giert in ih­rem von den Ster­nen spär­lich be­leuch­te­ten Palas­te.

Dann len­ken wir un­ser klei­nes Boot in ir­gend­ein trau­li­ches Plätz­chen; das Zelt wird dar­über auf­ge­rich­tet und das fru­ga­le Abendes­sen be­rei­tet und ge­nos­sen. Nun wer­den die großen Pfei­fen ge­stopft und an­ge­zün­det, und ge­müt­li­ches Ge­plau­der geht hin und wie­der; wäh­rend in den Pau­sen un­se­rer Un­ter­hal­tung der Fluss lei­se an un­ser Boot plät­schert und selt­sa­me, alte, ge­heim­nis­vol­le Ge­schich­ten er­zählt und den al­ten Wie­gen­ge­sang an­stimmt, den er schon vor so viel tau­send Jah­ren ge­sun­gen und noch so vie­le tau­send Jah­re sin­gen wird, je­nen Ge­sang, den wir zu ver­ste­hen glau­ben, da wir so oft an sei­nem lie­be­vol­len Bu­sen ge­ruht und sei­ne flüs­tern­den Töne ver­nom­men ha­ben, ob­schon wir in Wor­ten die Ge­schich­ten, de­nen wir lau­schen, nicht wie­der­zu­ge­ben ver­möch­ten.

Und wir sit­zen hier an sei­nem Ran­de, wäh­rend sich der Mond, der ihn eben­falls liebt, her­un­ter­neigt, ihn mit schwes­ter­li­chem Kuss zu küs­sen und ihn mit sei­nen Sil­be­r­ar­men zärt­lich zu um­schlin­gen; und wir schau­en zu und lau­schen, wie er ewig sin­gend, ewig flüs­ternd, hin­un­ter­fließt, um sich mit sei­ner Her­rin, der See, zu ver­ei­ni­gen, – bis un­se­re Stim­men dann eben­falls erster­ben, die Pfei­fen aus­ge­hen, und wir – sonst nicht viel mehr als jun­ge All­tags­men­schen – von selt­sa­men, trau­rig­sü­ßen Ge­dan­ken uns er­füllt füh­len, die wir nicht aus­zu­spre­chen wis­sen, noch aus­zu­spre­chen wün­schen, – bis wir an­fan­gen zu la­chen und uns er­he­ben, um die Asche aus den er­lo­sche­nen Pfei­fen aus­zu­klop­fen und uns ge­gen­sei­tig Gute Nacht zu wün­schen, und ein­ge­lullt von dem lei­se an un­ser Boot le­cken­den Was­ser und dem Rau­schen der Ufer­bü­sche, un­ter dem großen, wei­ten Ster­nen­zelt ein­schla­fen und träu­men, die Welt sei wie­der jung ge­wor­den, jung und süß und frisch, wie sie zu sein pfleg­te, ehe Jahr­hun­der­te von Not und Sor­gen ihr schö­nes Ant­litz ge­furcht, ehe ih­rer Kin­der Sün­den und Tor­hei­ten ihr lie­ben­des Herz ver­stei­nert hat­ten; träu­men, sie sei wie­der die hohe, jun­ge Mut­ter, wie in je­nen ent­schwun­de­nen Zei­ten, wo sie uns Kin­der an ih­rem vol­len Bu­sen nähr­te, ehe die Lo­ckun­gen ei­ner über­tünch­ten Zi­vi­li­sa­ti­on uns aus ih­ren Lie­bes­ar­men weg­ge­lockt hat­ten, und das Gift und der Hohn ei­ner über­fei­ner­ten Welt uns ver­an­lass­te, uns des ein­fa­chen Le­bens, das wir mit ihr ge­führt hat­ten, zu schä­men, und des länd­li­chen, trau­li­chen, hei­mi­schen Her­des, an dem die Mensch­heit so vie­le tau­send Jah­re zu­vor ge­ruht hat­te. –