Drei Meisternovellen - Fjodor M Dostojewski - E-Book

Drei Meisternovellen E-Book

Fjodor M. Dostojewski

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Beschreibung

Der Meister der psychologischen Romane vereint in diesem Sammelband gleich drei Novellen, die für Überraschung sorgen. In "Das schwache Herz" erzählt Dostojewski eindrucksvoll wie finanzielle Probleme den Geist zerstören können. In der Geschichte der beiden Freunde Arkádij Iwánowitsch Nefédjewitsch und Wássja Schúmkoff zahlt sich harte Arbeit scheinbar nicht aus. Oder doch? Die zweite Novelle des Werks befasst sich mit Wahnsinn, der durch Eifersucht entstehen kann. Urkomische Situationen und skurrile Momente erlebt Schabrin, während er seine untreue Ehefrau auffliegen lassen will. "Der ehrliche Dieb" überrascht dahingegen mit seinem spitzfindigen Ende.-

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Seitenzahl: 196

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Fjodor M Dostojewski

Drei Meisternovellen

Ein schwaches Herz / Der ehrliche Dieb Die Frau eines andern und der Ehemann unterm Bett

Deutsch von Ida Orloff

Saga

Drei Meisternovellen

 

Übersezt von Ida Orloff

 

Titel der Originalausgabe: Slaboje serdce/Čestnyj vor/Čužaja žena i muž pod krovat’ju

 

Originalsprache: Russisch

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1920, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726981445

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Ein schwaches Herz

Unter einem Dache, in demselben vierten Stockwerk, in ein und derselben Wohnung wohnten zwei junge Berufskollegen, Arkadij Iwanowitsch Njefedjewitsch und Wasja Schumkow.

Der Autor fühlt natürlich die Notwendigkeit, dem Leser zu erklären, warum der eine Held mit vollem Namen genannt wird, der andere aber darin gekürzt wurde.

Sei es vielleicht auch nur deshalb, um den Anschein des Unschicklichen und allzu Familiären zu vermeiden; so ist es denn doch notwendig, eine erklärende Einleitung über den Stand, das Alter, den Ruf, ja Amt und Würden und schliesslich sogar die Charaktereigenschaften, das Wirken und Handeln der Personen zu schreiben; weil es doch aber so viele Schriftsteller gibt, die so beginnen, so entschliesst sich der Autor vorliegender Erzählung, um nicht den anderen zu gleichen, einfach zu dem Einzigdastehenden: sofort mit der Handlung zu beginnen (d. h. einige werden sagen, was für ein Zeichen unbegrenzter Selbstgefälligkeit). Der Autor schliesst jedoch diese Vorrede und beginnt: Schumkow begab sich am Silvesterabend um 6 Uhr nach Hause. Arkadij Iwanowitsch, welcher auf dem Bett lag, erwachte und blinzelte mit halbem Auge zu seinem Freund hin. Er bemerkte, dass er in seinem besten Zivilanzug steckte und ein reines Vorhemdchen anhatte. Das setzte ihn selbstverständlich in Erstaunen! Wo war denn Wasja in diesem Aufzug gewesen? Und nicht einmal zu Hause Mittag gegessen hatte er!

Schumkow zündete indessen die Kerze an, und Arkadij Iwanowitsch ahnte sofort, dass sein Freund bestrebt war, ihn unversehens zu wecken. Und wirklich, Wasja hustete so ein-, zweimal, ging ein paarmal durchs Zimmer und liess dann ganz plötzlich die Pfeife aus der Hand fallen, die immer in der Ecke neben dem Ofen stand.

Um Arkadij Iwanowitschs Mund stahl sich ein Lächeln.

„Wasja, du Hinterlistiger“, sagte er.

„Arkascha, schläfst du denn nicht?“

„Wahrhaftig, ich kann es dir nicht ganz genau sagen, aber mir kommt vor, ich bin wach!“

„Ach, Arkascha, sei mir gegrüsst, du mein Engel! Na Bruder, na Bruder, was ich dir jetzt sagen werde, dass weisst du aber sicher nicht!“

„Ganz entschieden weiss ich es nicht! Na, komm schon her!“

Als ob er nur darauf gewartet hätte, eilte Wasja sofort zu ihm hin. Aber solch eine Hinterlistigkeit hätte er von Arkadij Iwanowitsch denn doch nicht erwartet, der packte nämlich rasch zu, zog ihn zu sich heran und deutelte dem armen Opferlamm, wie man zu sagen pflegt, die Seele aus dem Leib. Diese Balgerei machte Arkadij Iwanowitsch ein unglaubliches Vergnügen.

„Reingefallen“, schrie er, „reingefallen!“

„Arkascha! Arkascha, was machst du? Hör auf, um Gottes willen! Hör auf, der Frack wird ja ganz schmutzig!“

„Das schadet doch nichts, wozu brauchst du denn einen Frack? Warum bist du so vertrauensselig und fällst mir so in die Hände! Sag, wo du warst, wo hast du gegessen?“

„Arkascha, um Himmels willen, lass mich los!“

„Wo hast du zu Mittag gegessen?“

„Aber darüber will ich ja gerade reden.“

„Also rede.“

„Erst lass mich los.“

,,Aber nein, das will ich ja eben nicht, eh du erzählst!“

,,Arkascha! Arkascha! Aber verstehst du denn nicht, das geht doch nicht, das geht eben nicht“, schrie der schwächliche Wasja, indem er sich aus den derben Tatzen seines Gegners befreite, „es gibt doch Themen.“

„Was für Themen?“

„Eben solche, die man in einer solchen Lage nicht behandeln kann, ohne sich etwas zu vergeben. Das geht einfach nicht – das wirkt dann eben komisch –, aber diese Sache ist durch aus nicht komisch, sondern sehr feierlich.“

„Jetzt macht er in Feierlichkeit. – So ein Einfall! Du erzählst es mir eben so, dass ich lachen kann – so erzählst du es mir, verstanden? – aber feierlich, – nein – das will ich nicht! Was wärst du denn sonst für ein Freund! Sage mir bloss, was du überhaupt für ein Freund bist! Was?“

„Arkascha, bei Gott, es geht nicht!“

„Dann will ich nichts hören.“

,,Also Arkascha“, fing Wasja, quer über dem Bett liegend, an und bemühte sich mit aller Gewalt, seinen Worten, soweit es irgend ging, Gewicht zu verleihen, „Arkascha, ich sage dir nur ...“

„Na was?“

„Also ich habe mich verlobt, ich werde heiraten!“

Arkadij Iwanowitsch hob nun, ohne noch ein überflüssiges Wort zu verlieren, den verstimmten Wasja mit einer Hand in die Höhe, ohne Rücksicht darauf, dass er zwar mager, aber durchaus nicht klein geraten war, sondern im Gegenteil sogar ziemlich lang, und trug ihn von einer Ecke in die andere durchs Zimmer, indem er so tat, als ob er ihn wie ein Wickelkind einlullte.

„So, ich werde den Ehemann mal trockenlegen“, sagte er. Aber wie er sah, dass Wasja so regungslos auf seinen Armen lag und kein Wort mehr sprach, besann er sich sofort und fühlte, dass seine Spässe hier nicht angebracht waren. Er stellte ihn in die Mitte des Zimmers und küsste ihn aufrichtig und voll Freundschaft auf die Backe.

„Wasja, bist du mir auch nicht böse?“

„Arkascha hör.“

„Na, nichts für ungut, weil doch Neujahr ist!“

,,Aber, es macht ja nichts! Warum bist du nur so ein verdrehter Ausbund! Wie oft habe ich dir nicht schon sagen müssen, Arkascha, bei Gott, das ist kein Witz, das ist durchaus kein Witz!“

„Na, du bist also jedenfalls nicht böse?“

„Ach, wo werde ich dir denn böse sein! Wo werde ich denn überhaupt je einem was übel nehmen! Aber du hast mich wirklich gekränkt, weisst du!?“

„Aber wieso denn gekränkt, womit?“

„Ich kam zu dir wie zu einem Freund, mit vollem Herzen, um meine Seele vor dir auszubreiten, um dir von meinem Glück zu erzählen.“

„Was für ein Glück? Warum sprichst du denn nicht?“

„Na, ich verheirate mich doch“, erwiderte Wasja ärgerlich; er war entschieden schon ein wenig wütend.

,,Du, du heiratest! Ja, ist denn das wahr!“ rief Arkascha ganz ausser sich. „Aber nein, nein, – was soll denn das? Da redet er so, und die Tränen laufen ihm herunter! – Wasja! Wasjuk, du bist mein Junge, basta! Ja, ist es denn wahr? Was?“ Und Arkadij Iwanowitsch warf sich ihm aufs neue in die Arme.

„Na, verstehst du jetzt endlich den Zusammenhang? Du bist ja ein guter Freund, dass weiss ich ja, aber da gehe ich nun mit solcher Freude zu dir, mit solcher Seligkeit, und dann muss ich nun plötzlich meine ganze Freude, meine ganze Seligkeit vollkommen würdelos, quer über dem Bett zappelnd, preisgeben. Das begreifst du doch, Arkascha“, sagte Wasja, schon wieder halb lachend. „Das muss doch urkomisch ausgesehen haben, na, auf eine andere Wirkung konnte ich in diesem Moment doch wirklich nicht rechnen. Und ich wollte doch so eine Sache nicht so herabwürdigen. Wenn du mich nun noch gefragt hättest: wie heisst sie denn? also Ehrenwort, eher hätte ich mich umgebracht als dir Rede gestanden.“

„Aber Wasja, warum hast du denn geschwiegen? Hättest du mir doch alles früher gesagt, dann hätte ich doch gar nicht erst angefangen zu ulken“, rief Arkadij Iwanowitsch in ehrlicher Verzweiflung aus.

„Na, es ist ja schon gut, ist schon gut. Ich bin doch nun schon einmal so. Du weisst ja, warum das alles so ... dass ich doch eben so weichherzig bin! Und da war ich eben so ärgerlich, wie ich es dir gar nicht sagen kann, das hätte mich doch so gefreut, so eine gute Nachricht zu bringen, alles schön zu erzählen, dich richtig in alles einzuweihen! Wirklich, Arkascha, ich bin dir so gut, und ohne dich könnte ich mich ja auch gar nicht verheiraten, denn wenn du nicht wärst, möchte ich gar nicht auf der Welt sein!“

Arkadij Iwanowitsch, der ungewöhnlich feinfühlend war, lachte und weinte, indem er Wasja zuhörte. Wasja tat desgleichen. Beide warfen sich einander wieder in die Arme und vergassen so das Vorangegangene.

„Wie, wie war denn das? Erzähl mir alles, Wasja! Ich bin dein Bruder, verzeih mir, ich bin so niedergeschlagen, wie vom Donner gerührt, bei Gott! Aber nein, Bruder, nein, du hast dir das ausgedacht, bei Gott, hast dir das ausgedacht, – hast geschwindelt“, schrie Arkadij Iwanowitsch, und in ehrlichem Zweifel, der keineswegs gemacht war, sah er Wasja ins Gesicht, als er aber in ihm den unbedingten Entschluss zu dieser Heirat strahlend bestätigt fand, da warf er sich, so rasch er nur konnte, aufs Bett und begann vor Entzücken darüber Purzelbäume zu schlagen, dass die Wände wackelten. „Wasja, setz dich her“, schrie er, indem er sich schliesslich im Bett aufsetzte.

„Aber wirklich, Brüderchen, ich weiss jetzt nicht mehr, wie ich anfangen soll und womit.“

Beide sahen sich in freudiger Erregung an.

„Wer ist es, Wasja?“

„Die Artjemjewa!“ brachte Wasja mit vor Glück ganz schwacher Stimme heraus.

„Nein?!“

,,Aber ja! Ich habe dir doch erst die Ohren von ihnen vollgeredet, dann habe ich geschwiegen, und du hast aber auch nichts bemerkt! Ach, Arkascha, es hätte mich ja nichts gekostet, dir alles zu eröffnen, aber ich habe mich gefürchtet, gefürchtet zu sprechen! Ich dachte, dann geht alles in die Brüche, und ich bin doch verliebt, Arkascha! Mein Gott, mein Gott! Ach, was war das für eine Geschichte!“ begann er. Seine Erregung war so gross, dass er immer wieder stockte.

Sie hatte noch vor einem Jahr einen Bräutigam, aber auf einmal wurde er irgend wohin abkommandiert; ich kannte ihn auch, so ein, na also. Gott mit ihm! Na, und er schreibt also gar nicht, war verschollen. Sie warten, warten, was sollte das nur bedeuten? Auf einmal – vor vier Monaten kommt er verheiratet zurück und setzt keinen Fuss in ihr Haus, wie gemein, wie niedrig! Und niemand, der sich ihrer angenommen hätte! Da hat die Ärmste denn geweint und geweint, und ich, ich hab mich in sie verliebt, ich war ja schon lange, immer war ich ja verliebt. Na, da fing ich also an sie zu trösten, ging immer hin, ging hin. Also, ich weiss wirklich nicht mehr, wie das alles so gekommen ist, nur sie hat sich auch in mich verliebt; vor einer Woche, da konnt ich nicht mehr an mich halten, weinte und schluchzte und sagte ihr schliesslich alles, also, dass ich sie liebe, mit einem Wort, eben alles! Ich möchte Sie auch gerne liebhaben, Wassilij Pjetrowitsch, aber ich armes Mädchen, verspotten Sie mich nur nicht, ich darf doch keinen mehr lieben‘. Na, Bruder, begreifst du das, begreifst du das? Wir haben uns dann also nach langer Rede miteinander verlobt, ich dachte und überlegte, und überlegte und dachte nach und sagte: wie bringt man es Mamachen bei? Sie sagt darauf, das ist schwer, warten Sie noch ein bisschen, sie ist so ängstlich, jetzt wird sie mich Ihnen wohl noch nicht geben, selbst weint sie. Ich sagte ihr also nichts davon und platzte heute vor der Alten damit heraus. Ljisanka fiel auf die Knie, ich ebenfalls, na, da gab sie ihren Segen! Arkascha, Arkascha! Du mein Engel! Wir werden zusammen leben! Nein! nicht um alles in der Welt werde ich mich von dir trennen!“

„Wasja, wie ich dich auch ansehe, glaube ich es doch nicht, bei Gott, ich glaub es irgendwie nicht, auf Ehre! Wirklich, mir kommt immer vor… Hör einmal, wieso heiratest du denn. Wieso wusste ich denn das nicht, wie? Wirklich, Bruder, ich will es dir nur gestehen, Bruder, ich dachte schon selbst daran, zu heiraten; aber wo du nun heiratest, ist es ja einerlei, also werde glücklich, werde glücklich!“

„Bruder, wie wohl ist es mir jetzt ums Herz, so leicht ist meine Seele!“ sagte Wasja und machte im Überschwang seines Gefühls einige Schritte durchs Zimmer. „Nicht wahr, nicht wahr, du fühlst das doch auch? Wir werden natürlich recht ärmlich leben, aber glücklich werden wir sein, und das ist kein Hirngespinst, unser Glück ist nicht ausgedacht, wie es in den Büchern steht; wir werden wirklich glücklich sein!“

„Wasja, Wasja, hör einmal!“

„Was?“ sagte Wasja, vor Arkascha Iwanowitsch stehen bleibend.

„Mir kam ein Gedanke, wahrhaftig, ich fürchte mich beinahe, ihn dir zu sagen! Verzeih mir und befreie mich von diesem Zweifel, Wovon wirst du denn leben? Ich, weisst du, bin entzückt darüber, dass du heiratest, natürlich, ich kann mich sogar vor Entzücken kaum beherrschen, aber wovon wirst du leben, wie?“

„Ach Gott! Mein Gott, wie du bist, Arkascha!“ sagte Wasja, in tiefem Erstaunen auf Njefedjewitsch blickend, ,,was willst du denn eigentlich? Sogar die Alte hat sich nicht eine Minute, besonnen, als ich ihr alles klarlegte. Frage lieber, wovon sie gelebt haben? Fünfhundert Rubel im Jahr hatten sie zu dritt, das ist die ganze Pension des Verstorbenen. Sie lebte davon, die Alte, und noch der kleine Bruder, dessen Schulgeld doch noch von dem Geld bezahlt wird, siehst du, so leben sie, wir sind nur solche Kapitalisten, ich und du! Und ich, komm mal her, du, ich nehme in einem Jahr, in einem guten, sogar siebenhundert ein.“

„Hör, Wasja, du musst entschuldigen, ich, bei Gott, ich denk nur immer so, wenn sich das nur nicht zerschlägt. Was für siebenhundert denn übrigens? Es sind doch nur dreihundert.“

„Dreihundert! Na, und Julian Mastakowitsch, hast du den vergessen?“

„Julian Mastakowitsch, das, Bruder, ist doch eine ganz unsichere Sache, das ist doch nicht dasselbe wie dreihundert Rubel sicheres Gehalt, wo jeder Rubel wie ein unveränderlicher Freund ist; Julian Mastakowitsch, selbstredend, ist ein grosszügiger Mensch, ich verehre ihn sehr, ich verstehe ihn auch, trotzdem er so hoch steht, und, bei Gott, ich liebe ihn, weil er dich liebt und weil er dir für deine Arbeit etwas gibt, wenn er aber einmal nicht zahlen würde und sich einfach Beamte bestellte; – nun sag selbst, Wasja. Hör auch noch: ich rede doch da keinen Unsinn; ich bin auch überzeugt, dass man in ganz Petersburg keine Handschrift findet wie deine, ich bin gern bereit, dir das einzuräumen“ – fuhr Njefedjewitsch nicht ohne Befriedigung fort, „aber plötzlich, Gott verhüte es, gefällst du ihm nicht mehr, taugst du ihm nicht mehr, plötzlich stellt er die Sache ein, nimmt auf einmal einen anderen, na, also schliesslich vieles, was sich da alles ändern kann! Julian Mastakowitsch ist jetzt ja da, aber schliesslich: heute rot, morgen tot.“

„Hör mal, Arkascha, da kann gerade so gut die Decke über uns einstürzen.“

„Ja natürlich, natürlich, ich will ja auch nichts gesagt haben.“

„Nein, hör mich an, hör mir doch zu, auf welche Art sollte ich denn mit ihm auseinanderkommen? Nein, hör mir nur zu, hör mich an! Ich führe doch alles so sorgfältig aus; er ist doch so gut, er hat mir doch, Arkascha, er hat mir doch heute fünf Silberrubel gegeben!“

„Nicht möglich, Wasja, so hat er dir eine Zulage gegeben?“

„Wieso eine Zulage? Nein, aus seiner Tasche. Er sagt: ,Bruder, du hast doch schon fünf Monate kein Geld bekommen, willst du, nimm’s, ich danke dirʻ, sagt er, ,danke dir, bin zufrieden. Bei Gott! Du sollst mir doch nicht umsonst arbeiten‘, wirklich, das hat er gesagt. Mir liefen die Tränen herunter, Arkascha, Herrgott, mein Gott!“

„Hör, Wasja, hast du denn auch die gewissen Aktenstücke fertiggestellt?“

„Nein, ich habe sie noch nicht fertig geschrieben.“

„Wasjinka! Mein Engel! Was hast du da angestellt?!“

„Weisst du, Arkascha, das macht nichts, in zwei Tagen mach ich das rasch, das wird noch beizeiten.“

„Wieso hast du es denn nicht geschrieben?“

„Na, so etwas, so etwas, du siehst so niedergeschlagen aus, dass sich in mir schon alles umdreht und mir das Herz weh tut! Na, was ist denn dabei? Du schmetterst mich immer gleich so nieder! Schreit er da so ah! ah! ah! Überlege dir doch selbst – na, was ist denn dabei? Ich mach es doch noch fertig, bei Gott, ich mach es fertig.“

„Und was ist, wenn du nicht fertig wirft?“ brüllte Arkadij aufspringend, „und dabei hat er dir heute so eine Belohnung gegeben! Und da heiratest du! Ach! Ach! Ach!“

„Das macht doch nichts, das tut nichts“, schrie Schumkow, „ich setze mich gleich hin, diese Minute setze ich mich noch hin, das macht doch nichts!“

„Wie konntest du das so vertrödeln, Wasjutka.“

„Ach, Arkascha! Na, konnte ich denn stillsitzen? So wie ich war? Ich konnte doch schon in der Kanzlei kaum sitzen bleiben, das konnte doch mein Herz nicht aushalten! Ach! Ach! Jetzt werde ich die Nächte durchsitzen bis übermorgen, dann ist es fertig!“

„Ist noch viel übrig geblieben?“

„Stör mich nicht, um Gottes willen, stör nicht! schweig!“

Arkadij Iwanowitsch schlich auf den Fussspitzen zum Bett und setzte sich, dann wollte er plötzlich aufstehen, aber da fühlte er sich doch genötigt, sitzen zu bleiben, weil es ihm einfiel, dass er stören könnte; man sah, dass ihn diese Nachricht ganz verändert hatte, und das Entzücken über das erstere Ereignis hatte sich noch gar nicht recht setzen können. Er sah zu Schumkow hin, der sah wieder ihn an, lächelte, drohte ihm mit dem Finger, dann aber runzelte er die Brauen (als ob in ihnen seine ganze Kraft und der ganze Erfolg seiner Arbeit läge) und heftete die Augen aufs Papier.

Man merkte, dass auch er seiner Aufregung noch nicht Herr geworden war, er wechselte die Feder, rutschte auf dem Stuhl herum, sammelte sich und schickte sich an, zu schreiben, aber seine Hand zitterte und zeugte von seiner Erregung.

,,Arkascha! Ich hab ihr von dir gesprochen“, rief er plötzlich aus, als ob es ihm gerade eben einfiel.

„Ja?“ schrie Arkadij, „ich wollte gerade eben fragen? Nun?“

„Na! Ach ja, ich werde dir später alles erzählen. Bei Gott, ich bin ja selbst schuld, ich hab ja ganz vergessen, dass ich doch nichts reden will, ehe ich vier Bogen beschrieben habe, und da habe ich wieder an dich und an sie gedacht. Ach, Bruder, ich kann ja nicht schreiben, immer muss ich an euch denken.“

Wasja lächelte.

Ein Schweigen entstand.

„Pfui, was für eine abscheuliche Feder!“ schrie Schumkow und warf sie ärgerlich auf den Tisch. Er nahm eine andere.

„Wasja, hör mal, nur ein Wort.“

„Na also, schnell, aber das letztemal!“

„Ist dir noch viel zu schreiben geblieben?“

,,Ach, Bruder!“ Wasja gebärdete sich so, als ob nichts in der Welt schrecklicher und niederdrückender wäre, als diese Frage. ,,Viel, entsetzlich viel!“

„Weisst du, ich hätt eine Idee.“

„Was?“

„Aber nein, lieber nicht, schreib nur.“

„Na was, was denn?“

„Jetzt ist es gegen sieben Uhr, Wasjuk!“ Hier lächelte Njefedjewitsch und blinzelte Wasja pfiffig zu. Aber er hielt nichtsdestoweniger doch noch etwas an sich, er wusste nicht recht, wie dieser es aufnehmen würde.

„Na, was ist denn?“ sagte Wasja und hörte auf zu schreiben, sah ihm gerade in die Augen und wurde ganz blass vor Spannung.

„Weisst du was?“

„Um Himmels willen, was denn nur?“

,,Weisst du was? Du bist so aufgeregt. Viel, wirst du nicht aufarbeiten. Wart, wart, wart, wart doch. Ich weiss ja! Hör nur!“ Njefedjewitsch liess seine ganze Überredungskunst spielen und sprang vor Begeisterung vom Bett herunter und bekämpfte so mit aller Gewalt Wasjas Widerstand. „Vor allem musst du dich erst mal beruhigen. Seelisches Gleichgewicht bekommen, ist es nicht so?“

,,Arkascha, Arkascha!“ rief Wasja aus und schnellte vom Stuhl. „Ich werde die ganze Nacht sitzen, bei Gott, die ganze Nacht werde ich aufsitzen!“

„Na ja, ja, erst gegen Morgen wirst du schlafen.“

„Gar nicht werde ich schlafen, nicht um die Welt werde ich schlafen!“

„Nein, das geht nicht, das geht nicht. Natürlich musst du auch schlafen. Um fünf gehst du schlafen, um acht wecke ich dich. Morgen ist Feiertag, da setzt du dich hin und schmierst den ganzen Tag, dann noch die Nacht. Hast du denn noch viel?“

„Also das, das hier, Wasja“, bebend vor Entzücken und Ungeduld deutete er auf das Heft. ,,Da.“

„Hör mal, Bruder, das ist doch gar nicht viel.“

„Mein Bester, dort ist doch noch“, sagte Wasja und schielte ganz schüchtern zu Njefedjewitsch hin, als ob er darüber zu entscheiden hätte, ob sie nun gehen oder bleiben sollten.

„Wieviel?“

„Zwei Bogen.“

„Na, was ist denn dabei! Na hör mal, das bringst du doch noch fertig, bei Gott, das bringst du fertig.“

„Arkascha!“

„Wasja! Hör nur! Jetzt zu Neujahr machen sich doch alle zu ihren bekannten Familien auf, nur wir beide sind so heimatlos und verwaist. Ach, Wasjinka!“

Njefedjewitsch umhalste Wasja und presste ihn wie ein Löwe in seiner Umarmung.

„Arkascha, abgemacht!“

„Wasjuk, das wollte ich nur noch sagen, siehst du, Wasjuk, du mein Hinkebein! Hör doch! Hör! Also.“ Arkadij blieb mit offenem Mund stehen, weil er vor Begeisterung einfach nicht mehr weiter reden konnte. Wasja hatte ihn an den Schultern genommen, ihm in beide Augen gesehen, und seine Lippen zitterten so mit, als ob er an seiner Statt spräche. „Nun“, brachte er schliesslich hervor. „Stelle mich ihnen heute vor!“

,,Arkadij! Gehen wir heute zum Tee hin! Und weisst du was? Weisst du was – wir bleiben sogar nicht einmal bis Silvester – wir gehn vorher!“ schrie Wasja, ehrlich aufatmend.

„Ganz richtig, zwei Stunden, nicht mehr, nicht weniger!“

„Und dann Trennung bis zu der Zeit, wo ich alles fertig habe!“

„Wasjuk!“

„Arkadij!“

In drei Minuten war Arkadij in Gala. Wasja säuberte sich nur noch etwas, denn er hatte doch seinen Anzug noch gar nicht abgelegt, mit solchem Eifer hatte er sich der Schreibarbeit angenommen. Sie traten eilig auf die Strasse, einer froher als der andere. Der Weg führte von der Petersburger Seite nach der Vorstadt Kolomna. Arkadij Iwanowitsch ging munter und energischen Schrittes, so dass man schon an seinem Gang die ganze Freude an Wasjas Glück erkennen konnte, der seinerseits auch immer seliger aussah. Er trippelte mit kleinen Schrittchen nebenher, jedoch ohne auch nur das geringste von seiner Würde einzubüssen. Im Gegenteil! Arkadij Iwanowitsch hatte ihn noch nie im Leben so vorteilhaft gesehen. In diesem Augenblick achtete er ihn sogar noch um ein weniges mehr. Wasja hatte ja eigentlich ein körperliches Gebrechen, wovon der Leser bisher noch nichts wusste, er hinkte ein wenig, und dies hatte in dem guten Herzen Arkadij Iwanowitschs immer ein tiefes Gefühl der Liebe und des Mitleids wachgerufen. Jetzt war es sogar mehr eine tiefe Rührung, die er für den Freund hegte, und Wasja war ihrer auch durchaus würdig. Arkadij hätte am liebsten vor Glückseligkeit geweint, aber er hielt an sich.

„Wohin, wohin Wasja? Hier gehen wir doch näher!“ schrie er, als er sah, dass Wasja nach der Wosnjesenki einbog.

„Sei still, Arkascha ... sei. still!“

„Wirklich, es ist näher, Wasja.“

„Arkadij, weisst du was?“ begann Wasja vor Freude mit ganz geheimnisvoller Stimme, „weisst du was, ich möchte so gern Ljisanka ein kleines Geschenk mitbringen.“

„Was denn?“

„Hier an der Ecke ist Madame Leroux, ein wundervolles Geschäft, Bruder.“

„Na und?“

„Ein Häubchen, Engelchen, ein Häubchen. Heute habe ich so ein süsses kleines Häubchen gesehen, ich habe nachgefragt, Fasson Manon Lescaut‘ wurde mir gesagt, wie ein Wunder! Die Bänder sind kirschfarben, und wenn es nicht teuer ist, Arkascha.... und selbst wenn es teuer ist!“

„Du überragst meiner Meinung nach alle Poeten, Wasja! Gehen wir!“ Sie beeilten sich, und in zwei Minuten traten sie in den Laden.

Es kam ihnen eine schwarzäugige Französin mit einem Lockenkopf entgegen, die gleich beim ersten Blick auf ihre Käufer so lustig und glücklich wurde wie diese selbst, ja vielleicht sogar, wenn man sagen darf, noch etwas glücklicher. Wasja war drauf und dran, Madame Leroux abzuküssen vor Entzücken.