Drei Witwen - Catherine Quinn - E-Book

Drei Witwen E-Book

Catherine Quinn

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Beschreibung

Blake ist tot. Angeblich hat seine Ehefrau ihn ermordet. Die Frage ist nur: welche? In der Wüste von Utah wird ein Mann grausam ermordet und verstümmelt aufgefunden. Blake Nelson, Angehöriger der Heiligen der letzten Tage, lebte zurückgezogen auf einer Farm in der Wildnis – mit drei Ehefrauen: Der pragmatischen Rachel, ebenfalls aus einer Mormonenfamilie stammend. Der rebellischen Ex-Prostituierten Tina, die Blake alles bietet, was Rachel nicht hat. Und der blutjungen, schüchternen Emily, die völlig von Blake abhängig ist, nachdem ihre Familie mit ihr gebrochen hat. Nichts verbindet die drei "Schwesterfrauen" außer Blake – und dem Mordverdacht, der nun auf alle drei fällt. Jede von ihnen hätte ein Motiv gehabt. Aber Rachel, Tina und Emily sind sicher, dass die Polizei etwas übersieht. Nur gemeinsam können sie die Wahrheit herausfinden. Doch dazu müssen sie einander vertrauen – und in den Abgrund der eigenen Vergangenheit blicken …

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Drei Witwen

Die Autorin

CATHERINE QUINN schrieb als Reisejournalistin für verschiedene britische Zeitungen und Magazine und veröffentlichte bereits mehrere historische Romane. Drei Witwen ist ihr erster Spannungsroman.

Das Buch

In der Wüste von Utah wird ein Mann grausam ermordet und verstümmelt aufgefunden. Blake Nelson, Angehöriger der Heiligen der letzten Tage, lebte zurückgezogen auf einer Farm in der Wildnis – mit drei Ehefrauen: Der pragmatischen Rachel, ebenfalls aus einer Mormonenfamilie stammend. Der rebellischen Ex-Prostituierten Tina, die Blake alles bietet, was Rachel nicht hat. Und der blutjungen, schüchternen Emily, die völlig von Blake abhängig ist, nachdem ihre Familie mit ihr gebrochen hat.Nichts verbindet die drei "Schwesterfrauen" außer Blake – und dem Mordverdacht, der nun auf alle drei fällt. Jede von ihnen hätte ein Motiv gehabt. Aber Rachel, Tina und Emily sind sicher, dass die Polizei etwas übersieht. Nur gemeinsam können sie die Wahrheit herausfinden. Doch dazu müssen sie einander vertrauen – und in den Abgrund der eigenen Vergangenheit blicken …

Catherine Quinn

Drei Witwen

Thriller

Aus dem Englischen von Marie Rahn

Ullstein

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Deutsche Erstausgabe im Ullstein Paperback © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021 © Pageturners Publishing Ltd. 2021 Titel der englischen Originalausgabe: Black Widows(Orion Books, London)Umschlaggestaltung: www.buerosued.de, nach einer Vorlage von Meulenhoff Boekerij gestaltet von www.buerosued.de, unter der Verwendung der Umschlagmotive: Arcangel / ILDIKO NEER; © lookphotos / Design Pics; Arcangel / Laura Kate Ranftler; Arcangel / Petya TodorovaAutorenfoto: © Richard BollsE-Book Konvertierung powered by pepyrus.com Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-8437-2583-5

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

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Dank

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Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

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Widmung

Für Ben und Natalie

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Rachel, Erste Frau

Der Herr möge mir vergeben, aber ich habe heute die Polizei angelogen und behauptet, Blake hätte nie die Hand gegen mich erhoben. Wie gern würde ich sagen, damit hätte ich nur sein Andenken schützen wollen, aber das wäre eine weitere Lüge gewesen. In Wahrheit konnte ich einfach nicht mehr ertragen, dass noch ein Außenstehender unsere Art zu leben verurteilt.

Als die Officers kamen, war ich auf der Ranch im Lagerhaus und füllte gerade meine sauber und ordentlich aufgereihten Gläser mit Salzkartoffeln. Da es in diesem Jahr viel geregnet hatte, war die Ernte überdurchschnittlich gut gewesen, und es gab viel einzuwecken.

Für mich hat dieser Vorgang etwas Beruhigendes, weil ich mich dabei immer daran erinnere, wie ich als kleines Mädchen Lebensmittel für den Winter einkochte, während meine Geschwister barfuß in der Küche herumsprangen. Ich summte also stillvergnügt vor mich hin, schraubte die Deckel zu und wischte die Ränder ab. Meine Vorratskammer füllt sich stetig mit Gemüse in leuchtenden Farben und mit Corned Beef. Ich kriege es nie so hin, dass das Fleisch appetitlich aussieht, aber es schmeckt sehr gut.

Vermutlich wirkt die Nelson Ranch auf Städter eher unscheinbar. Es ist eine kleine Farm mit nur wenigen Hektar Land, auf der in den 1950ern etwas Vieh gezüchtet wurde. Vor fünf Jahren hat Blake das ziemlich heruntergekommene Haus mit einem Ofen und sanitären Einrichtungen ausgestattet. Im Umkreis von hundert Meilen gibt es hier nur Wüste und ein paar alte Truthahngeier. Für mich ist es das Paradies auf Erden.

Da es für Herbst noch recht warm war, hatte ich die Tür weit offen gelassen. Allerdings spürte ich schon die Veränderung in der Luft, das abrupte Sinken der Temperatur, das Unwetter nach sich zieht und weiße Wolkengebirge über den endlosen Wüstenhimmel jagt. Ich hatte die Augen geschlossen und ließ mir durch das kleine Fenster mein Gesicht von der Sonne wärmen. Als ich die Augen wieder öffnete, standen mehrere Polizeibeamte vor der Tür.

»Mrs. Nelson?«

Mit dem Messer in der Hand sah ich sie an. Für die Officers aus der Stadt muss ich einen ziemlich merkwürdigen Anblick geboten haben: sackartiges, bis zum Hals zugeknöpftes Blümchenkleid mit Puffärmeln und langes blondes Haar, das in einem geflochtenen Zopf über den Rücken fällt. Ich wischte die Kartoffelstärke vom Messer und legte es nieder.

»Welche meinen Sie denn, Sir?«, fragte ich und sah die Männer nacheinander an. Ein paar von ihnen musterten unverhohlen die Ranch. Von außen wirkt sie mit den baufälligen Nebengebäuden, dem Lagerhaus und den halb fertigen Gemüsebeeten etwas verlottert. Aber im Wohnhaus ist es sauber und gemütlich, und ich habe es mit Handarbeiten geschmückt. Es gibt ein kleines Sofa mit zwei Kissen, die ich bunt bestickt habe, mit den Sprüchen: »Zu Hause ist, wo das Herz wohnt« und »Gott ist die Liebe«. Unsere Küche besteht im Wesentlichen aus einer Arbeitsfläche und einem Spülbecken. Es gibt auch ein Regal mit einem kleinen Gasofen, auf dem wir unser Essen aufwärmen. Außerdem hat Blake mir zu unserem zweiten Hochzeitstag ein paar Gerätschaften zum Einkochen gekauft.

Über eine Leiter erreichen wir oben den alten Heuboden, wo die Schlafräume sind. Zwei Einzelbetten in abgeteilten Zimmern für zwei Ehefrauen und ein Doppelbett in einem weiteren Raum für Blake und diejenige, die er in der Nacht bei sich haben will.

Die Officers begleiteten mich ins Wohnhaus. Einer von ihnen nahm sich das Familienfoto, das kurz nach Blakes Hochzeit mit Tina aufgenommen wurde. Es zeigt uns drei hinter unserem Ehemann. Ich, die Älteste, für den Anlass mit geföhnten Haaren, rosa Lippenstift und Blümchenbluse, die sich eng an meine breiten Hüften schmiegt. Die neunzehnjährige Emily, schmal, kindlich, die Augen schreckgeweitet, die flaumigen Haare extra gelockt. Und Tina mit zufriedenem Grinsen, glatten, schwarzen Haaren, auffälligem Make-up und Stretchkleid, das viel Ausschnitt zeigt.

Da schob sich ein weiterer Officer durch das Grüppchen nach vorn. Es war eine junge Frau in eng anliegender Hose. Sie wirkte wie eins dieser Frischluft liebenden Mädchen aus Salt Lake City, die nichts mit Religion zu tun haben und ihre Wochenenden mit Sport und dergleichen verbringen. Glänzender dunkler Pferdeschwanz. Sehr auffällige hellbraune Augen. Ich wusste sofort, dass sie nicht der Kirche angehörte.

»Ich bin Officer Brewer«, stellte sie sich vor und streckte mir ihre gebräunte Hand entgegen.

Ich ergriff sie. Ihr Händedruck war warm und fest.

»Wollen Sie uns sagen, dass hier mehr als eine Mrs. Nelson ist?«, fragte sie.

»Äh, nein, Ma’am.« Aus irgendeinem Grund blickte ich auf das Messer.

Brewer kniff leicht die Augen zusammen, als hätte sie mich bei einer Lüge ertappt.

»Ich meine«, fuhr ich fort, »die anderen sind momentan nicht hier.«

Sie räusperte sich.

»Sind Sie Mrs. Rachel Nelson, verheiratet mit Blake Nelson?«

»Ja, Ma’am, seit sechs Jahren«, erklärte ich lächelnd. »Am gestrigen Dienstag hatten wir Hochzeitstag.«

Das schien sie aus dem Konzept zu bringen. Sie warf einen Blick auf das Hochzeitsfoto.

»Sie sind Mormonen?«, fragte sie.

»Wir ziehen die Bezeichnung ›Heilige der Letzten Tage‹ vor«, erwiderte ich knapp. »Darf ich fragen, was Sie hierherführt?«

»Mrs. Nelson«, sagte sie und holte tief Luft. »Ich fürchte, wir haben schlechte Nachrichten für Sie. Über Ihren Ehemann.«

Das traf mich wie ein Schlag, weniger wegen der Worte, eher wegen ihres Tonfalls.

»Ist er verhaftet worden?«, fragte ich und spürte, wie mein Gesicht heiß wurde.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Werde ich verhaftet?«

»Es ist wohl besser, Sie setzen sich erst mal.«

2

Tina, Schwesterfrau

Das muss ich ihr lassen. Die böse Westhexe lief heute Morgen zu Höchstform auf. Rachel hatte als Einzige von uns dreien den Mumm, ins Leichenschauhaus zu gehen und ihn zu identifizieren. So was kennt man doch aus Polizeidokus und Serien: heulende Angehörige, die sagen: »Das ist er, ja, das ist er.« Aber nie hört man einen sagen: »Das schaffe ich nicht.«

Die Cops schnappten mich, als ich gerade dabei war, mir den ersten Schuss seit anderthalb Jahren zu besorgen. Wie eine Junkiebrieftaube hatte ich unfehlbar den Weg nach Rio Grande gefunden, dem winzigen Drogenbezirk in Salt Lake City. Der für jemanden aus Vegas ziemlich lächerlich wirkt. Wo ich aufwuchs, war die gesamte verdammte Stadt mit diesem Scheiß beschäftigt. Und hier regen sich alle schon über ein, zwei Straßen mit ein paar Obdachlosen auf.

Jedenfalls dachte ich, als die Cops mich mitnahmen, wir kämen wegen Bigamie in den Knast. Wir fuhren auf die Wache und gingen in einen der Räume, in denen man landet, bevor man offiziell Ärger kriegt. Wo alle noch einen auf nett machen und nichts aufgezeichnet wird.

Hier sitze ich also, in dieser Polizeiwache in Salt Lake City, und denke, abgesehen von der Anklage hat sich nicht viel geändert. Obwohl der Vorwurf doch echt ein Witz ist, oder? In Vegas wurde ich wegen Unzucht eingebuchtet. Und hier dafür, dass ich verheiratet bin.

Dann kommt diese gut aussehende Frau rein: groß, sehr gepflegt, mit braunen Haaren, die sie in einem Pferdeschwanz zusammengebunden hat und die so glänzen, als wüsste ihr Körper nicht, wohin mit seiner ganzen Gesundheit. Kaum Make-up, Bergtourbräune, Augen irgendwie bernsteinfarben. Fast golden.

Sie erinnert mich an die Touristenfotos, die Blake mir früher immer schickte. Mit gesund lebenden Leuten in Sportklamotten, die für Utahs natürlichen Lebensstil warben: im Winter snowboarden, im Sommer Mountainbike fahren.

Die Frau stellt sich als Officer Brewer vor. Frauen wie sie kann ich nicht leiden, schon aus Prinzip. Sie meinen, sie wüssten, wie es ist, in Armut aufzuwachsen. Aber das wissen sie nicht.

»Sind Sie Mrs. Tina Nelson?«

Ich schüttle den Kopf. »Tina Keidis«, antworte ich und werfe ihr einen triumphierenden Blick zu, damit sie direkt weiß, sie kann mich nicht reinlegen. Wenn ich mich als Blakes Ehefrau bezeichnen würde, wäre das gegen das Gesetz. Ich lehne mich zurück und frage: »Kriegt ihr Cops diese Plastiktische und Stühle zum Einkaufspreis? In Vegas haben sie genau die gleichen.«

Damit will ich ihr signalisieren, dass ich mich auskenne und sie gar nicht erst versuchen soll, mich einzuschüchtern.

»Mrs. Nelson«, sagt ein anderer Cop. »In der Wüste wurde eine Leiche gefunden. Wir glauben, es handelt sich um Ihren Ehemann.«

Das bringt mich zum Schweigen.

Dann erklärt mir Brewer, was passiert ist. Dass irgendein Städter auf der Suche nach seiner Seele ins Nirgendwo gefahren ist und über dem Fluss, wo Blake gern angelt, Geier kreisen sah. Sie beschreibt, was an der Leiche seltsam ist und dass manche Verletzungen trotz des ersten Anscheins vielleicht nicht selbst beigebracht wurden.

Als sie die Einzelheiten ausführt, tut mir der arme Kerl, der Blake gefunden hat, echt leid.

»Ich habe gehört, die Officers haben Sie in Rio Grande aufgespürt«, fügt Brewer hinzu. »In dieser Gegend sieht man kaum Mormonen. Hatten Sie sich verlaufen?«

Ich murmle irgendeinen Scheiß von wegen, dass ich die Stadt nicht gut kenne. Aber sie sind ja nicht dumm. Höchstwahrscheinlich haben sie schon meine fette Akte aus Nevada.

Die Wahrheit ist, dass ich gestern Abend, an Blakes und Rachels Hochzeitstag … irgendwie zusammengeklappt bin. Und in die Stadt fuhr, um Scheiße zu bauen. Blake hatte mich gewarnt, dass es schwer werden würde. Ihn mit anderen Frauen zu teilen. Aber ich glaube, er hat die ganze Sache nicht richtig durchdacht. Die beiden anderen waren dazu erzogen worden. Gottesfürchtig, mit dem ganzen Zeug von wegen »Die Frau muss dem Mann gehorchen« und so weiter. Ich hingegen wanderte von einer Pflegefamilie zur nächsten und wohnte nur bei meiner Mutter, wenn sie zufällig in der Stadt war.

Also kann ich zwar den Heiland um Stärke und Gott um Vergebung bitten, aber auf der Ranch fühlte ich mich jeden Tag, als würde ich auf meinem eigenen Herzen herumtrampeln. Ich schwöre, ich spürte förmlich die zermatschte, schmerzende Masse in meiner Brust.

Rachel hat gesagt, es würde mit der Zeit leichter, aber ich glaube nicht, dass sie ihn überhaupt jemals so geliebt hat wie ich. Sie und Blake kamen im College zusammen – zwei anständige Mormonenkinder, die das Richtige taten. Sie jedenfalls tut gern, was man von ihr erwartet. Und sie gewinnt gern. Das verbirgt sie zwar, aber Mrs. Glatte Bettlaken ist extrem ehrgeizig.

Deshalb erlaubte sie ihrem Mann wohl auch, sich noch mehr Frauen zu nehmen. Es reichte ihr nicht, eine gute Mormonin zu sein. Sie musste die beste sein.

Daher kann sie aber nicht nachvollziehen, wie es bei mir und Blakey war. Wie er auf mich aufpasste, in der Entziehungskur. Wie er meine Seele retten wollte. Tatsächlich machten wir sogar Witze darüber. Ich zog ihn auf: Was will denn so ein gut aussehender Kerl mit einem Haufen Junkies? In dieser Art. Er gestand mir, dass er seine Mission nicht beendet hatte und dies mit Arbeit in Entziehungskliniken ausgleichen wollte. Natürlich zog ich ihn auch deswegen auf und meinte, wir in der Entziehungskur seien leichte Opfer, da wir so wild auf ein neues Leben wären, dass wir dafür alles glauben würden. Darüber lachte er nur und sagte, wahrscheinlich läge ich da gar nicht so falsch. Wir lachten viel zusammen.

Aber die schlichte Wahrheit lautet, dass Blake mich in jeglicher Hinsicht gerettet hat. Und als wir das erste Mal miteinander tanzten, auf der lahmen Weihnachtsparty in der Klinik, als mein Kopf an seiner warmen Brust lag, flüsterte Blake mir ins Ohr, er hätte noch nie für jemanden so empfunden, wie er für mich empfand.

Daran klammere ich mich in dunklen Zeiten, wenn ich allein schlafe und Blake mit einer der anderen zusammen ist.

Am schlimmsten ist es bei Sonnenuntergang, wenn Rachel anfängt, ihren gottverdammten mormonischen Konservenfraß vorzubereiten. Da herrscht eine irgendwie … schwelende Atmosphäre. Ich schwöre, das Doppelbett sondert eine Art elektrischen Strom ab. Rachel vermeidet es demonstrativ, Richtung Heuboden zu gucken. Emily wird noch stiller als sonst. Und ich werde nervös. Gereizt. Sage gemeine Sachen. Genau wie früher, als ich ständig high war und auf den nächsten Schuss warten musste.

Bei Sonnenuntergang stritten wir Frauen uns immer am schlimmsten. Das Gärtnern, das Putzen und all die anderen Haushaltspflichten waren erledigt. Es gab nicht viel Licht auf der Ranch und auch keinen Fernseher, außer dem kleinen tragbaren. Emily schwor zwar, sie würde ihn nicht nutzen, aber die Batterie war ständig leer. Blake wollte gern, dass wir zusammen die Heilige Schrift lasen, aber er war nicht immer zu Hause. Also hätten wir wohl alle den Ärger kommen sehen müssen.

Blake hatte mich schon drei Nächte hintereinander ausgesucht. Die Luft war zum Schneiden dick. Ich sehe uns noch vor mir: wir drei Ehefrauen auf dem Sofa, darauf wartend, wer an dem Abend die Auserwählte sein würde. Rachel mit ihrem komischen Mona-Lisa-Lächeln, so als wäre es ihr gleichgültig. Ich mit dem Blick, den ich auf der Straße gelernt hatte: bei dem man aussieht, als würde man an etwas echt Verdorbenes denken. Und die kleine, zarte Emily starr vor Angst.

Seltsam, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, habe ich das Gefühl, je panischer Emily wirkte, desto öfter wurde sie ausgewählt.

3

Emily, Schwesterfrau

Er ist tot, er ist tot, er ist tot, er ist tot, er ist tot.

Es ist, wie die Leute sagen: eine Situation, in der man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Genau so fühle ich mich hier auf dem Rücksitz des Streifenwagens, der über die Wüstenstraße holpert.

»Wie sind Sie denn nach einer Einkaufstour zurückgekommen?«, erkundigt sich der Polizist am Steuer. »Selbst mit Navi haben wir die Ranch kaum gefunden.«

Statt zu antworten, zucke ich nur die Achseln. Ich starre lieber aus dem Fenster.

Die Ranch sollte ein Ort sein, wo wir uns alle sicher fühlen konnten. Wo wir wir selbst sein konnten. Weil Vielehe in Utah als Ehebruch gilt.

»Ein Mann mit drei Ehefrauen?«, versucht der Polizist es erneut. »Und Sie waren die jüngste?«

Da ich kaum reagiere, geben sie es schließlich auf. Vermutlich haben sie die Hochzeitsfotos ohnehin schon gesehen. Das erste zeigt Rachel mit wehenden blonden Haaren, Arm in Arm mit Blake und einem Gesichtsausdruck, als hätte sie einen Preis gewonnen. Damals war sie dünner, aber nicht viel. Dann Blake ein paar Jahre später, die rötlichen Haare etwas dunkler, der zu mir heruntergrinst, als wüsste er etwas, was ich nicht weiß. Rachel steht hinter uns und hat ihre Hand besitzergreifend auf Blakes Schulter gelegt. Er trägt das cremefarbene Jackett, das er bei allen drei Hochzeiten angehabt hat. Dann das letzte Foto, mit uns drei Frauen. Tina, so stark geschminkt, als wollte der Playboy Aufnahmen mit ihr machen. Rachel mit dem eigenartig toten Blick. Ich wirke erleichtert.

Auf der Fahrt in die Stadt haben die Polizisten mir alle möglichen Fragen über Blake gestellt. Über seine Stelle als Vertreter für Einkochautomaten. Wegen der er so oft unterwegs ist.

Die Polizistin hat mich entdeckt, als ich etwa eine Meile entfernt von der Ranch in der Wüste herumwanderte. Ich glaube, ich hatte gehofft, eine Offenbarung zu haben, so wie Johannes in der Wüste von Syrien. Aber ich schaffte es nicht weit. Meine Beine wurden müde.

Man gewöhnt sich daran. An die Wüste. Zuerst habe ich sie gehasst. Dass um einen herum meilenweit einfach nichts ist. Dass man sich nur mit Tasse und Eimer waschen kann. Dass man ständig mit Licht und Wärme sparen muss, um den Generator nicht zu überlasten.

Nach unserer Hochzeit verließ Blake mit mir Salt Lake City und fuhr hinaus zur Ranch. Mit jeder Meile, die wir tiefer in die Wüste eindrangen, bröckelte mehr von mir ab.

Da ich aus der Stadt kam, konnte ich es einfach nicht fassen, wie viel menschenleeres Land hier war.

»Aber hier ist ja gar nichts«, sagte ich zu Blake. »Es ist wüst und leer.«

Er zwinkerte mir zu. »Vermutlich wird es deswegen auch Wüste genannt.«

Ich verschränkte die Arme, drückte die Nase ans Fenster und betrachtete die gelblich bräunliche Landschaft, die vorbeiflog. Wenn man sie nur lange genug anstarrte, machte sie komische Dinge mit den Augen. Alles wurde verpixelt wie ein altes Computerspiel. Die Augen hatten nichts, woran sie sich festhalten konnten. Nur riesige, unveränderliche Gebirgszüge, die übereinandergeschichtet waren wie Kürbiskuchen, nur orangefarbener Sand und hellgrüne Grasbüschel, die wusch, wusch, wusch vorbeizogen.

»Da draußen kannst du so sein, wie du willst«, sagte Blake. »Das kann kein Gesetz verhindern. Da gibt es nur Berge, Sand und Himmel, so weit das Auge reicht.«

Aber ich glaube, eigentlich meinte er, dass ich so sein konnte, wie er wollte.

Die Fahrt wurde noch schlimmer, weil Blake so stolz darauf war, als hätte er alles ringsum selbst erschaffen. Ständig zeigte er auf massive rote Felsen, auf Berge und kreisende Raubvögel. Ehrlich, wäre die Wagentür nicht verriegelt gewesen, wäre ich aus dem Wagen gesprungen und den ganzen Weg zurück nach Salt Lake City gelaufen. Als wir die Ranch erreichten, bückte ich mich als Erstes und berührte eines der Grasbüschel, weil ich dachte, es wäre so weich wie ein kleines Kissen. Aber das war es nicht. Die Halme stachen mir in die Finger.

Blake erklärte, hier gäbe es keinen Handyempfang und über Festnetz dürfe man nur telefonieren, wenn es gar nicht anders ginge, weil es so teuer war. Wenn ich wirklich jemanden anrufen wollte, würde er mich nach Tucknott fahren, in den nächsten Ort. Oder ich konnte ihm einen Brief mitgeben, den er zur Post bringen würde. Offenbar schrieb Rachel viele Briefe, an ihre Geschwister, die im ganzen Land verteilt lebten.

»Sie besucht ihre Familie nicht«, sagte Blake zu mir. »Aber es ist ein großer Trost für sie, ihr schreiben zu können.«

Mir kam gar nicht der Gedanke, nachzufragen, wieso Rachel ihre Familie nicht besuchte. Wahrscheinlich dachte ich nur daran, dass ich niemanden hatte, dem ich schreiben konnte. Und niemanden zum Anrufen. Ich hatte mir die Suppe selbst eingebrockt. Jetzt musste ich sie auslöffeln. Erst später entdeckte ich, dass Rachel über ihre Herkunft gelogen hatte.

Tatsächlich versuchte ich doch, meine Mutter kurz nach meiner Trauung anzurufen, doch sie legte auf, sobald sie meine Stimme hörte. Das war direkt nach der Hochzeitsnacht. Beim Gedanken daran überläuft mich immer noch ein Schauer. Nicht lachen, ja? Aber mit neunzehn hatte ich keine Ahnung. Ganz ehrlich nicht. Ich wusste nicht, was Ehepaare im Schlafzimmer zusammen machen. Und es war ein ziemlicher Schock, als ich es herausfand, wirklich und wahrhaftig!

Aber wissen Sie, was das Zweitschlimmste daran ist, Ehefrau Nummer zwei zu sein? Sie werden es bestimmt komisch finden, wenn ich es Ihnen sage.

Aber ganz ehrlich: Am meisten musste ich mich ans Essen gewöhnen. Gott, ist die Frau eine schlechte Köchin! Mormonenessen kannte ich ja gar nicht! Ich war in einem Immigrantenviertel aufgewachsen. Wir bekamen Pasta und Fleischbällchen.

An meinem ersten Abend auf der Ranch servierte Rachel uns undefinierbare Dosensuppe als Vorspeise, Kartoffelbrei aus Tüten und knochentrockenes Fleisch als Hauptspeise und grünen Wackelpudding mit Sahne als Nachspeise. Lieber Gott, was für ein Elend!

Erst nach dem Essen, als Blake murmelte, das wäre aber lecker gewesen und er wäre stolz, dass sie sich so viel Mühe gemacht hatte, erkannte ich, dass das ihre Vorstellung von einem Festmahl war.

Als der Streifenwagen auf den Freeway Richtung Salt Lake City fährt, hole ich tief Luft. Welch ein Anblick: die grünen Straßenschilder, die riesigen Berge im Hintergrund, nicht flach und bräunlich wie die in der Wüste, sondern spitz und grau. Im Winter sind die Hausberge schneebedeckt, aber meine Lieblingszeit ist der Frühling, wenn es taut und dunkle Stellen durchschimmern. Dann sieht es genauso aus, als hätte man einen Krug Milch über dem Gipfel ausgekippt.

Ich starre hinaus, als helle Gebäude mit quadratischen Fenstern auftauchen, Richtung Innenstadt immer größere und zahlreichere.

Ein Sportplatz zieht vorbei, mit einem hübschen, rot-weißen Schild, auf dem steht: Kein Sonntagsspiel.

Wir fahren durch eine Seitenstraße, die in der Nähe meines früheren Wohnviertels liegt. Ich erhasche einen Blick auf Caputo’s Italian Deli, wo meine Momma manchmal Käse und Tomatensoße gekauft hat. Die Regale darin waren voller zusammengewürfelter, grellbunter Waren.

»Alles in Ordnung, Mrs. Nelson?«

Da fällt mir auf, dass ich meine Hände an die Scheibe gepresst habe. Langsam rolle ich die Finger wieder ein.

»Ja, mir geht’s gut«, sage ich. »Es ist nur … ich bin hier aufgewachsen.«

Wahrscheinlich wäre ich am Abend vor der Hochzeitsnacht viel zu nervös zum Essen gewesen, auch wenn Rachel gut kochen könnte. Ihr Blick, als ich das Haus betrat. Ich dachte wirklich und wahrhaftig, sie würde mich auf der Stelle umbringen, da auf dem beigefarbenen Linoleum, und mein Blut würde von dem grässlichen selbst gemachten Flickenteppich aufgesogen.

Es war so, als würde ihr erst in diesem Augenblick bewusst, was Blake und ich im Schlafzimmer machen würden.

Jetzt durchzuckt mich wie ein Blitz die Erkenntnis: Das muss ich nie wieder machen.

Ich höre ein komisches Geräusch und denke im ersten Moment, es ist irgendein Tier, das man aus dem Polizeifunk hört. Eine Ziege oder ein Ferkel. Aber dann merke ich: Das bin ja ich. Ich lache!

Er ist tot, er ist tot, er ist tot, er ist tot.

4

Rachel, Erste Frau

Tina wollte mich zuerst ins Leichenschauhaus begleiten, um Himmels willen. Sie war wirklich entschlossen. Doch als wir den dunklen Korridor mit dem chemischen Gestank hinuntergingen, wurde sie fast ohnmächtig. Es wäre nicht recht gewesen, ihr das zuzumuten. Tina hat es ohnehin schon schwer genug gehabt.

Also blieb es an mir hängen. Wie immer, wenn’s hart auf hart kommt.

Bevor sie mich zur Wache fuhren, konnte ich mir noch was Normales anziehen. Ein T-Shirt und eine Jeans, die am Bauch ehrlich gesagt etwas kneift. Ich löste meinen Zopf und ließ mir das Haar lose über den Rücken fallen. Wie üblich guckten sie mich verwirrt an. Wenn ich die Haare offen habe, sieht man die blonden Strähnchen, die ich zwar selbst gefärbt habe, aber viel besser als die vielen Moms aus der Kirche.

In einem kleinen Raum bleibt Officer Brewer stehen.

»Ich erkläre Ihnen noch kurz, was Sie drinnen erwartet.«

Als sie innehält, weiß ich, was sie denkt. Ich habe immer noch nicht gefragt, wie Blake gestorben ist. Weil die alte Angst vor der Polizei wieder erwacht ist. Ich wurde dazu erzogen, niemals mit der Polizei zu reden. Und zwar wirklich niemals.

Ich schlucke und setze mich. Der Raum wirkt mit den Steinwänden wie eine Zelle, ähnlich wie das karge Zimmer, in dem ich aufgewachsen bin. Jemand hat eine Kunstledercouch hineingestellt, wohl damit es gemütlicher wirkt. Aber das Licht ist grell.

»Da haben Sie aber ein paar schlimme blaue Flecke«, bemerkt Brewer und starrt auf meinen Unterarm. Fünf Blutergüsse. Ich ziehe den Ärmel herunter.

»Sie sind aufs College gegangen?«, fährt sie fort.

Ich frage mich, woher sie das weiß. Dann merke ich, dass ich mein altes Shirt von der Brigham Young University trage. Der Schriftzug steht auf dem Ärmel.

»Ja, Ma’am«, sage ich und blicke immer wieder verstohlen zur Tür.

»Das kommt bei Vielehen aber nicht oft vor«, sagt sie.

Kann gut sein. Als sie mich auf der Ranch, wo es nicht mal fließendes Wasser gibt, barfuß und im Blümchenkleid sahen, dachten sie wahrscheinlich, ich wäre eines dieser Sektenopfer.

»Vielleicht halten sich die Schlauen von der Polizei fern«, erwidere ich.

Meine Stimme klingt flach und kalt. Es erschreckt mich, wie sehr sie der meiner Mutter ähnelt. Der Frau mit dem ausdruckslosen Gesicht, die ihre Kinder in drangvoller Enge aufzog. Mir fällt ein, dass ich dasselbe dachte, als Blake das erste Mal mit Emily nach Hause kam. Dass ich bin wie meine Mutter. Als wir uns unterhielten, wirkte Emily ungeheuer schüchtern und demütig. Ich hatte gedacht, ich könnte ihr helfen. Dass sie ein bisschen aus sich herausgeht und die Liebe Gottes erkennt. Ich hatte mir vorgestellt, wir würden Freundinnen werden. Über die Sache mit dem Schlafzimmer wollte ich großzügig hinwegsehen. So als gäbe es sie gar nicht.

Als Blake und Emily von ihrer Hochzeit zurückkamen, war ich nicht darauf vorbereitet, wie er sie ansah. Gütiger Gott, ich hatte mir solche Mühe für meine neue Schwester gegeben: ihr ein Festmahl gekocht, ihr Bett bezogen, frische Blumen in ein Schlafzimmer gestellt. Ich hatte geplant, sie fröhlich zu erwarten, sie herzlich in die Arme zu nehmen und ihr zu zeigen, dass sie willkommen ist und geliebt wird. Aber dann sah ich Blakes Blick. Wölfisch. Und hatte nur noch einen einzigen Gedanken.

So hat er mich noch nie angesehen.

Der Ehemann, den ich so gut zu kennen glaubte, hatte sich in ein Raubtier verwandelt. In eine geifernde Bestie. Meine Umarmung war steif, die freundlichen Worte zerfielen in meinem Mund zu Asche. Und Emily, die zweite Frau, die ich in unser Haus geladen hatte, wirkte nahezu panisch angesichts dessen, was sie in meiner Miene sah.

Jetzt bemerke ich, dass Officer Brewer spricht.

»Die Identifizierung ist eine reine Formalität«, sagt sie leise. »Der Körper wird von einem Laken bedeckt sein, das der Pathologe so weit zurückzieht, dass das Gesicht zu sehen ist. Sie müssen nur nicken, wenn Sie genug gesehen haben, dann wird das Laken wieder darübergezogen.«

Beinahe muss ich lachen, so unwirklich kommt mir das alles vor.

»Nur ein kurzer Blick aufs Gesicht, mehr ist nicht nötig. Wir haben ihn eigentlich schon mithilfe von dem identifiziert, was sich in seiner Brieftasche befand. Sollten Sie ihn unter den gegebenen Umständen nicht identifizieren können, werden wir einen DNA-Abgleich machen.«

»Welchen Umständen?«

»Mrs. Nelson, Sie sollten darauf vorbereitet sein, dass Ihr Mann … Er hat einige Verletzungen.«

Mir kommen die Tränen. Mein Blake. Der so sanft und gut war.

»Wir glauben, Ihr Mann könnte Selbstmord begangen haben«, fährt sie behutsam fort. »Dennoch können wir auch andere Möglichkeiten nicht ausschließen.«

Mit einem Mal wird mir der Boden unter den Füßen weggezogen, und ich drohe in einen gähnenden Abgrund zu stürzen. Gleichzeitig überkommt mich der Drang, ihr ins Gesicht zu schlagen.

»Mein Mann ist ein Mitglied der Kirche«, sage ich.

Darauf reagiert sie nicht.

»Es ist eine Sünde, sich das Leben zu nehmen, das Gott einem geschenkt hat«, erkläre ich überdeutlich und staune, wie dumm man sein kann.

Brewer nickt ruhig.

»Sie glauben also nicht, dass er Selbstmord begangen hat?«, hakt sie nach.

»Das weiß ich so gewiss wie sonst nichts auf der Welt«, sage ich klar und mit erhobener Stimme.

»Hätte denn jemand einen Grund gehabt, Mr. Nelson schaden zu wollen?«

Fünf volle Sekunden lang weiß ich nicht, was sie damit meint. Dann begreife ich es.

»Sie glauben, mein Mann könnte ermordet worden sein?«, frage ich heiser, als müssten sich die Worte an der Trauer vorbeiquetschen. »Aber alle liebten Blake! Wer hätte ihm denn wehtun wollen?«

Doch schon während ich die Worte sage, weiß ich, dass sie nicht ganz der Wahrheit entsprechen. Denn alle liebten Blake. Bis auf seine Ehefrauen.

Wir hassten ihn manchmal.

5

Rachel, Erste Frau

»Bitte stellen Sie sich darauf ein, Mrs. Nelson, dass es kein schöner Anblick sein wird. Sind Sie sicher, dass Sie keine Unterstützung möchten? Einen Angehörigen …«

»Es ist besser, wir bringen es hinter uns«, erwidere ich und bete ganz leise um Kraft. Ich erschrecke nicht so leicht, dazu habe ich schon zu viel gesehen. Obwohl es für alles ein erstes Mal gibt.

»Der Umstand seines Todes«, fährt Brewer fort, »hat Auswirkungen auf sein Gesicht gehabt. Es ist verfärbt und verzerrt. Möglicherweise ähnelt die Leiche nicht mehr dem Menschen, den Sie gekannt haben.«

Die Leiche. Vermutlich müssen Polizeibeamte sich so ausdrücken. Um emotionale Distanz zu wahren.

Wie eine Schlafwandlerin setze ich einen Fuß vor den anderen.

Das könnte man für Widerstreben halten. Aber eigentlich ist es das Gegenteil. Ich will ihn unbedingt sehen. Höchst seltsam. Doch das Gefühl ist so stark, dass es mich fast an die Collegezeit erinnert, wo ich ständig hoffte, ihn auf dem Gang zu treffen. In jenem ersten Jahr als Studentin. Schon wenn ich daran denke, fängt meine Haut an zu kribbeln.

Die Brigham Young University war meine erste echte Begegnung mit der Welt da draußen – vor der alle gewarnt wurden, die in der Heimstatt aufwuchsen.

Zum ersten Mal sah ich Gebäude, die höher waren als ein Stockwerk, und technische Geräte, die nicht zum Farmbedarf gehörten.

Davon war gemunkelt worden – man hatte sogar einen Blick darauf erhascht, und zwar in den verbotenen Zeitschriften, die meine Schwestern ins Haus schmuggelten. Makellose Gebäude aus Glas. Breite gepflasterte Bürgersteige mit hübschen Blumenbeeten.

Aber faszinierender noch als meine moderne Umgebung war die Tatsache, dass ich allein war. So wie ich aufgezogen wurde, durften wir Mädchen niemals ohne Begleitung nach draußen, nicht mal eine Sekunde.

Und doch ging ich hier, wohin ich wollte – wahrscheinlich immer mit staunend aufgerissenem Mund. Nicht weit entfernt sah man wunderschöne schneebedeckte Berge, die mich irgendwie erdeten. Denn ich hatte wirklich das Gefühl, ohne diese Berge wäre ich einfach davongeschwebt.

Ich brauchte zehn Minuten, um mich durch die Schiebetüren aus Glas ins Hauptgebäude zu wagen. Da ich dachte, es müsste einen Trick geben, sie dazu zu bringen auseinanderzugleiten, beobachtete ich eine ganze Weile die anderen Studenten, die wie selbstverständlich hindurchgingen. Schließlich schlich ich mich in den Windschatten eines Mädchens in einem langen Kleid und machte mich in dem Gedränge der Studenten, die zu den Seminaren oder wieder nach draußen strömten, so schmal wie möglich.

In der weitläufigen Eingangshalle gab es Automaten, die Getränke ausgaben, wenn man Geld hineinsteckte. Das hatte ich schon auf der Polizeiwache gesehen, nach der Durchsuchung der Heimstatt. Aber mir war erklärt worden, dass solche Automaten böse waren. Maschinen, die einem das Geld stahlen.

Dennoch nahm ich all meinen Mut zusammen und beschloss, einen weiteren Schritt in die Unabhängigkeit zu wagen und mir ein Getränk zu kaufen.

Um mir bei der Eingliederung in die Gesellschaft zu helfen, hatte die Stadt Salt Lake City mir neue Kleider von einer Wohltätigkeitseinrichtung und dreißig Dollar in druckfrischen Scheinen geschenkt. Die bewahrte ich in meiner Geldbörse aus Kunstleder auf, zusammen mit dem staatlichen Stipendium, das ich wie ein Amulett immer bei mir trug. Als würde man es mir irgendwie wieder wegnehmen, wenn ich es nicht auf Verlangen vorzeigen konnte.

Ich griff in die Börse, zog einen makellos glatten Fünfer heraus und näherte mich dem von hinten angeleuchteten Bild einer Diätcola, neben dem sich viele kleine Knöpfe befanden. Dann wusste ich nicht weiter. Ich war ziemlich sicher, die Maschine würde entscheiden, welches Getränk ich brauchte. Etwas anderes hatte ich bislang nie erlebt. Aber es geschah nichts.

Da hörte ich eine Stimme.

»Kannst du dich nicht entscheiden?« Es war eine angenehme dunkle Stimme, die leicht besorgt wirkte. Als wäre meine Wahl, was ich an diesem Tag trinken wollte, wirklich wichtig.

»Ich hab noch nie so was benutzt«, gestand ich und wickelte mir dabei eine Haarsträhne um den Finger, was für Blake, wie er mir später erzählte, der Grund war, warum er mich um ein Date bat.

Ich kann nicht sagen, dass ich wie vom Donner gerührt war, als ich ihn das erste Mal sah. Er hatte freundliche Augen. In einem sehr dunklen Blau, mit ungewöhnlich langen Wimpern. Fast wie bei einem Mädchen. Seine Haare waren erdbeerblond, wurden aber später ein bisschen dunkler. Außerdem hatte er Sommersprossen, so viele, dass man sah, er war draußen in der Natur aufgewachsen, auch wenn seine helle Haut nicht braun wurde.

»Oh, du kommst also auch von einer Farm, wie?« Er trat näher zu mir, und ich roch seine nach frischer Wäsche duftenden Kleider. Zuerst dachte ich, er wüsste über meine schreckliche Vergangenheit Bescheid, und wurde von Scham überwältigt.

»Ja, ja, hier sind viele auf dem Land aufgewachsen.« Er lächelte, und ich sah, dass er nicht nur Sommersprossen, sondern auch Grübchen hatte. »Also kennst du bestimmt nur die, die mit Münzen funktionieren. Komm, ich helf dir.« Er schob mich beiseite und starrte stirnrunzelnd auf den Automaten. Dann sah er mich an.

»Ich glaube, du könntest ein Cream-Soda-Mädchen sein«, befand er.

Er holte einen Eindollarschein aus seiner Tasche und steckte ihn in den Schlitz.

Sein Selbstvertrauen haute mich um. Ich spürte mein Herz flattern, als er in das Ausgabefach griff, die Dose herausnahm und sie mir gab. Sie war eiskalt, aber das merkte ich gar nicht.

»Danke«, stammelte ich.

Daraufhin nickte er leicht und streckte mir die Hand entgegen.

»War mir ein Vergnügen. Mein Name ist Blake.«

»Ich bin Rachel.« Es war das erste Mal, dass ich mich einem Fremden mit meinem neuen Namen vorstellte. Mir gefiel sein Klang.

»Nun, Rachel, dann hoffe ich, wir sehen uns mal wieder.« Er zwinkerte mir zu. Und weg war er. Ich öffnete die Dose und trank einen kleinen Schluck. Er hatte recht. Ich war ein Cream-Soda-Mädchen.

Damals fragte ich mich, ob ich ihn je wiedersehen würde.

Aber nie hätte ich gedacht, ihn mal in einem Leichenschauhaus zu sehen, bedeckt von einem blauen Laken.

»Lassen Sie sich Zeit, Mrs. Nelson«, bemerkt Brewer. »Sagen Sie mir, wenn Sie bereit sind.«

Ich spüre, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildet und nicht mehr weggehen will. Vor mir liegt die bläulich grüne, sanfte Erhebung mit den verräterischen Ausbuchtungen.

O Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott.

Ich will das nicht. Kann ich es mir noch mal anders überlegen? Kann das nicht jemand anderes für mich machen?

Dann denke ich an Tina und Emily. Ich muss es für sie tun. Keine von ihnen hätte die Kraft dazu. Bitterkeit steigt in mir auf.

Ich hatte den richtigen Ehemann, aber die falschen Ehefrauen.

Wenn doch nur andere Frauen gekommen wären! Frauen wie ich. Wir hätten uns verstanden. Alles geteilt.

Tina und ich sind so verschieden. Sie erzählt allen buchstäblich alles. So wurde ich nicht erzogen, es ist nicht recht. Man läuft nicht herum und gibt alles preis. Privates muss privat bleiben. Und Emily? Ach, Emily! Die lügt, wo sie geht und steht. Als ich sie das erste Mal in dem Diner sah, wo sie arbeitete, fand ich sie umwerfend schön, wie ein Model. Wie jemand vom Film oder so, mit riesigen aquamarinblauen Augen und einer Gloriole aus blonden Haaren. Aber wenn man sie näher kennenlernt, fällt aller Glamour von ihr ab. Mittlerweile ist Emily für mich nur noch ein seltsam aussehendes Kind.

Ich hole tief Luft, um mich vor dem zu wappnen, was ich zu sehen bekomme, und ziehe die Nase kraus, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Dann nicke ich einmal ruckartig.

»Ganz sicher?« Officer Brewer fasst nach dem Laken und sieht mich besorgt an.

»Ja«, sage ich, leise wie ein Mäuschen.

Als sie mich ansieht, merke ich, sie ist eine freundliche Frau. Wenn sie dürfte, würde sie bestimmt meine Hand nehmen.

»Okay. Ich ziehe es jetzt zurück, und Sie nicken, wenn Sie fertig sind, dann bedecke ich ihn sofort wieder.«

Durch die Tränen ist alles verschwommen. Aber als sie das Laken entfernt, trifft mich sein Anblick wie ein tonnenschwerer Laster.

Ich werde zurückgeworfen und halte mich an der Metallbahre fest. Ich klappe einfach so zusammen, gegen meinen Willen. Ich schnappe keuchend nach Luft. Meine Augen wandern wieder zu dem Körper, neben dem meine Finger sich so an die Bahre krallen, dass sie weiß werden. Reflexartig reiße ich sie fort.

»Mrs. Nelson«, höre ich Brewer. »Mrs. Nelson. Brauchen Sie eine Pause?«

»Was haben Sie ihm angetan?«, flüstere ich. »Was haben Sie meinem Blake angetan? Wo ist sein heiliges Tempelgewand?«

6

Tina, Schwesterfrau

Im Kaffeeautomaten der Wache gibt es tatsächlich Postum, den ekelhaften Kaffee-Ersatz, den die Mormonen trinken. Ich konnte mich nie daran gewöhnen, aber Rachel kippt ihn hinunter, als gäbe es kein Morgen.

Während wir auf sie warten, kommt einer der Officers zum Automaten, drückt auf einen Knopf und füllt seinen Becher mit dem schaumigen, schlammfarbenen Getränk. Er bietet mir nichts zu trinken an.

»Sie wohnen also zusammen?«, erkundigt er sich und rührt in seiner Brühe. »Mit zwei anderen Frauen, die auch so tun, als wären sie mit Blake Nelson verheiratet?«

Er mustert mich von Kopf bis Fuß. Meine glatten schwarzen Haare sind an den Enden ein bisschen splissig, seit ich sie wegen der Religion einfach wachsen lasse. Aber ich bin immer noch eine scharfe Braut, auch nach all den Drogen. Reines Glück, schätze ich. Bei meiner Mom war’s dasselbe. Bis weit in die Vierziger hatte sie eine schmale Taille und trug Körbchengröße C. Ihre Gesichtshaut wurde zwar schlaff, aber große braune Augen und hohe Wangenknochen reißen einiges raus. Wir haben Indianerblut, jedenfalls behauptete sie das immer. Und noch vieles mehr, weil mein Dad ein nichtsnutziger Vagabund von der anderen Seite der Grenze war. Wie auch immer, Menschen mit indianischem Blut altern jedenfalls in Schönheit.

In Vegas fallen Gutaussehende nicht so auf wie hier. Bei der Hälfte der Casinogirls klappt einem die Kinnlade nach unten. Daher merke ich, dass der Cop vor mir mich irgendwie abcheckt und die Rädchen in seinem Schädel surren: Hatte er etwa mit allen dreien gleichzeitig Sex?

Rachel hat mir erzählt, die nicht fundamentalen Typen wären von der Beziehung zwischen dem Mann und den Frauen in einer Vielehe geradezu besessen. Ständig würden sie sich ausmalen, was im Schlafzimmer läuft. So hat sie es natürlich nicht ausgedrückt. Sie benutzte dafür ein abgefahrenes Wort, das so klang wie lass-zief. Damals dachte ich, damit wollte sie nur zeigen, dass sie im Gegensatz zu mir und Emily auf dem College gewesen war. Aber jetzt habe ich meine Zweifel. Rachel ist echt klug, nur nicht wenn es um Menschen geht. Man könnte doch meinen, wenn man in einer großen Familie aufwächst, ist man ein aufgeschlossener Typ. Aber bei Rachel ist es genau das Gegenteil. Keine Ahnung, ob sie die Hälfte der Zeit überhaupt weiß, was sie wirklich fühlt. Also viel Glück, wenn jemand versucht, es aus ihr rauszukriegen.

Deshalb war es auch so schwierig zwischen ihr und uns Schwesterfrauen: Rachel bildet sich echt was drauf ein, dass sie alles für sich behält. Folglich flippte sie auch so aus, als Emily in ihren Geheimnissen wühlte.

Ich wickle eine dunkle Haarsträhne um meinen Finger.

»Fragen Sie sich, was wir so im Schlafzimmer machen, Officer?«, erkundige ich mich und klimpere unschuldig mit den Wimpern. Er wird rot, weil er sich das natürlich fragt – ich sehe immer, wenn Männer an so was denken –, aber weil er ein braver Mormone ist, darf er das nicht zugeben.

Ein Anflug von Wut huscht über sein Gesicht.

»Wissen Sie, Leute wie Sie bringen die Heiligen der Letzten Tage in Verruf«, knurrt er. »Die Kirche erkennt Schwesterfrauen nicht an.«

Sie werden wie deine Schwestern sein. Das hat Blake immer gesagt. Und wie gut das klang! Denn was mir wirklich trotz der Anschafferei in Vegas fehlt, sind die anderen Mädels. Trotz all dem Mist dort kümmerten wir uns umeinander. Ich selbst habe mehr als einer das Leben gerettet. Das ist wahre Schwesternschaft. Nicht wenn man nur zusammen rumsitzt und näht. Und darauf wartet, dass die böse Westhexe wieder ein blödes Witzchen macht, weil man zufällig gern rosa Lippenstift trägt. Dabei hatte doch ich gut lachen, oder? Denn wen nahm er die meisten Nächte mit in sein Bett? Das war doch wohl ich.

»In unserer Kirche ist Vielehe seit 1904 verboten«, fährt der Cop fort. »Ein echter Mormone bricht das Gesetz nicht.«

»Ach wirklich? Ist mir ja ganz neu.« Ich merke, dass ich wieder in mein altes Ich gerutscht bin. Aber es fühlt sich gut an. Wenigstens weiß ich, wie man sich auf einer Polizeiwache zu verhalten hat.

Der Officer wird schon wieder rot.

»Wie sollen wir der Kirche mehr Seelen zuführen«, will er wissen, »wenn Leute wie Sie uns aussehen lassen wie von Inzucht geschädigte Hinterwäldler?«

»Aber«, wende ich ein, »jede getaufte Seele ist doch gerettet, oder nicht? Je mehr Ehefrauen, desto mehr zum Glauben Bekehrte, oder?«

»Ich habe vier Kinder, die dazu erzogen wurden, das Gesetz zu achten.«

»Schön für sie.« Ich lehne mich zurück und wünschte, ich hätte eine Zigarette. Aber kurz bevor Blake und ich heirateten, habe ich aufgehört zu rauchen. Mormonen nehmen weder Kaffee noch Alkohol noch Nikotin zu sich.

»Blake und ich sind ja nicht offiziell verheiratet, Officer. Wir hatten eine Siegelung in dem Mormonentempel in der Innenstadt. Kennen Sie den? Das große weiße Gebäude mit den spitzen Türmen? Kann man nicht übersehen.«

Ich bin ein bisschen sarkastisch, denn der Tempel ist mehr oder weniger Salt Lake City. Die Stadt wurde drum herumgebaut, als Brigham Young achtzehnhundertnochwas beschloss, hier eine Kirche zu errichten. Es ist ein blendend weißes Ding, das wirkt wie eine Burg und das von überall in der Stadt zu sehen ist. Das Grundstück ist so groß, dass die ganze Umgebung, alle Straßen und Plätze danach benannt sind: Temple East, Temple West und so weiter.

Als ich das Gebäude zum ersten Mal sah, konnte ich kaum glauben, dass ich da reindurfte. Es erinnerte mich an das Schloss in Cinderella.

»Gegen eine spirituelle Zeremonie gibt es kein Gesetz«, sage ich. »Damit wird es ja keine legale, vom Staat anerkannte Ehe. Nur eine spirituelle. Ganz ehrlich, ich schwöre!«, füge ich mit einem Zwinkern hinzu, weil ich weiß, dass er die ganzen komischen Rituale auch selbst vollzogen hat.

Selbstverständlich ist er ein geborener, eingefleischter Heiliger der Letzten Tage. Also wird er alles, was im Tempel verkündet wurde, wie ein Schwamm in sich aufgesaugt haben.

Ich hingegen, da bin ich ganz ehrlich, musste mir an manchen Stellen echt das Lachen verbeißen. Blake hatte mir schon meine heilige Unterwäsche geschenkt, die Tempelgewand genannt wird. Eine Art Strampler, sehr, sehr unsexy, mit halbem Arm und halbem Bein. Als er meinte, ich müsste das immer tragen, um mich vor dem Bösen zu schützen, überlegte ich ernsthaft, einen Rückzieher zu machen. Vielleicht wäre das ganz gut gewesen, denn der Tempel war noch mal eine ganz andere Nummer. Wir mussten so tun, als würden wir uns mit imaginären Messern ausweiden. Durch ein Laken Händchen halten. Wie im Kindergarten: Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen. So was in der Art. Noch schwerer war es für mich, weil Blake das Ganze so ernst nahm. An einem Punkt dachte ich, ich würde gleich losplatzen. Ich hielt nur durch, weil ich wusste, ich würde da wieder rauskommen und in den Armen meines neuen Ehemannes landen.

Jetzt starrt der Officer mich finster an. Ich sehe, dass ich ihn getroffen habe.

Gut. Ich koste den kleinen gehässigen Triumph aus.

Geborene Mormonen hassen es, dass Leute wie ich in ihren Klub dürfen, dass wir ihre Geheimnisse erfahren.

»Sie haben wohl auf alles eine Antwort, was?«, stößt er hervor. »Dann hoffen Sie mal, Sie haben auch eine Antwort für Gott, wenn die Zeit gekommen ist.«

»Eher eine Frage«, kontere ich. »Ich will ihn fragen, was zur Hölle er mit meinem Mann gemacht hat.«

7

Rachel, Erste Frau

Blakes schrecklich aufgequollenes Gesicht scheint über der Metallbahre zu schweben. Brewer hatte recht. Er sieht nicht mehr aus wie er selbst. Wie überhaupt keiner. Sein Kopf und seine Schultern lugen aus dem blaugrünen Laken hervor. Der chemische Gestank des Leichenschauhauses setzt mir zu.

»Er hat sein Tempelgewand nicht mehr an«, sage ich anklagend zu dem Leichenbeschauer. »Wo ist Blakes heiliges Tempelgewand?« Ich bemühe mich um Ruhe, aber mein Ton ist so scharf, dass beide zusammenzucken.

»Wir mussten die Leiche entkleiden«, erklärt Officer Brewer. »Das gehört zur Vorgehens…«

»Ich rede doch nicht von seinen Kleidern«, entgegne ich und merke selbst, dass ich lauter werde.

Ich überlege noch, wie ich ihr das erklären soll, da schaltet sich zu meiner Erleichterung der Pathologe ein.

»Die Heiligen der Letzten Tage tragen heilige Unterwäsche, die ihnen im Tempel überreicht wird«, erläutert er Brewer. »Die soll niemals ausgezogen werden.«

Er wirft mir einen kurzen, mitfühlenden Blick zu. Mir wird klar, dass er zur Kirche gehört, denn er sagt »Heilige der Letzten Tage« und nicht »Mormonen«. Einige meiden diese Bezeichnung – die häufiger von denjenigen von uns benutzt wird, die an die Vielehe glauben, von der manche der anderen sich aber distanzieren wollen.

»Ich lebe seit zehn Jahren in Utah«, kontert Brewer, »und bin über religiöse Unterwäsche im Bilde, danke, Mr. Docherty.« Ihre Wut überrascht mich. In meiner Welt zeigen Frauen fast nie Wut. Ich ertappe mich dabei, wie ich sie mit leichtem Staunen ansehe, so als wäre sie ein exotisches Tier.

Sie wendet sich wieder zu mir.

»Mrs. Nelson, ich verstehe, dass dies sehr schwierig für Sie ist. Aber die Vorschrift gebietet es uns, allen Toten, die hier landen, sämtliche Kleider auszuziehen. Auch die Tempelgewänder. Wie Sie sich vorstellen können, ist dies nicht die erste Leiche mit Tempelgewändern in dieser Pathologie. Mir ist klar, dass sie eine große Bedeutung und Symbolkraft für Sie haben, aber wir müssen unseren Job erledigen. Wir entfernen alle Kleider, um besser die Todesursache bestimmen zu können.«

»Sie haben ihm das Tempelgewand ausgezogen?« Ich merke, dass ich die Fäuste geballt habe, weil ich das furchtbare Bild vor Augen habe, wie die bleichen Hände des Leichenbeschauers an Blakes heiliger Unterwäsche zerren.

Despektierlich. Wie eine Schlange zischt das Wort in meinem Kopf.

Mäßige dich, Rachel, ermahne ich mich. Mäßige dich.

Mir ist schwindelig. Denn das heißt, Blakes Körper ist unter dem Laken nackt und bloß. Schutzlos den dunklen Mächten ausgeliefert.

Blake bekam sein Tempelgewand mit achtzehn, kurz vor seiner Mission – einer grundlegenden Phase mormonischer Jungen vor dem College. Eine zweijährige Reise, um Seelen zu retten. Mädchen bekommen ihr Tempelgewand, wenn sie heiraten.

Viele Frauen, mit denen ich aufwuchs, haben ihr Tempelgewand nie ausgezogen, und damit meine ich: wirklich niemals. Wenn sie sich wuschen, dann hielten sie die jeweiligen Körperteile über die Badewanne und reinigten sich ganz vorsichtig mit einem Waschlappen. In meiner Kindheit hörte ich ständig Geschichten darüber, wie Tempelgewänder vor Feuer und Gewehrkugeln schützten.

Ich bekam meins vor sechs Jahren von Beehive Clothing, einem seltsam verwaschen wirkenden Laden im Westen der Stadt, wo es laut Blake angeblich am günstigsten war. Ich erinnere mich, dass ich unmittelbar vor dem Endowment zu weinen begann. Als ich die vielen Familien im Tempel sah, die auf ihre Angehörigen warteten, wurde mir fast schwindelig vor lauter Einsamkeit. Wahrscheinlich war mir bis dahin nicht klar gewesen, wie sehr mir meine eigene Familie fehlte.

»Es ist nicht gut, hier zu weinen.« Ich weiß noch, dass Blake mir das mit ernster Miene zuzischte. »Es wirkt, als hättest du Zweifel. Weinen kannst du nachher.«

Während der gesamten darauffolgenden Prozedur – als sanfte Frauen meine nackten Stellen berührten, als man so tat, als würde man mir die Kehle durchschneiden, sollte ich je die Geheimnisse des Tempels verraten – war ich fast benommen vor Erschütterung über die Bemerkung meines zukünftigen Ehemannes. Wo war der Blake, der um mich geworben hatte? Noch nie hatte ich mich so allein gefühlt wie während der endlosen Folge von Ritualen. Als mir endlich meine Unterwäsche aus dickem Nylon geschenkt wurde, zog ich sie dankbar wie eine Rüstung an.

Und hier bin ich nun in der entgegengesetzten Welt, in einem dunklen, kalten Raum, wo Tempelgewänder genommen und nicht gegeben werden. Wo Seelen nicht gerettet werden, sondern verloren gehen.

»Wir haben die persönlichen Dinge Ihres Mannes gut aufbewahrt«, versichert mir der Pathologe und zeigt auf einen Stapel durchsichtiger Plastikbeutel auf einer Bahre in der Nähe. Einige der Kleidungsstücke sind ordentlich gefaltet. Andere sind schmutzig und unordentlich, als hätte man sie durch einen schlammigen Fluss gezogen.

Ich spüre eine beißende Flüssigkeit im Mund.

Denn ich erkenne Blakes vergilbte Unterwäsche. Ganz gleich, welches Waschmittel ich benutzte, ich bekam den Gelbstich einfach nicht heraus. Die Kirche verhält sich ein bisschen vage, was das Kaufen neuer Tempelgewänder betrifft. Generell wird es für gut erachtet, wenn man ein Set so lange trägt, wie es hält, aber Blake war in solchen Dingen ziemlich strikt. Weder er noch eine von uns bekam jemals neue Unterwäsche. Meine ist sechs Jahre alt und an den Rändern schon ziemlich ausgefranst.

Scham befällt mich, als ich daran denke, wie all das für Außenstehende aussehen muss. Die zerschlissene Unterwäsche, die wir als heilig betrachten.

»Sie finden das bestimmt seltsam«, sage ich mit bemüht ruhiger Stimme. »Aber es ist ein wichtiger Teil unseres Glaubens, sie immer am Körper zu haben. Darf ich sie also bitte bekommen? Ich muss dafür sorgen, dass er darin beerdigt wird. Es ist mir … extrem unangenehm, dass Sie sie berührt haben. Außer seinen Frauen sollte niemand sie auch nur sehen«, füge ich hinzu und kämpfe gegen die Flut von Gefühlen, die in mir aufsteigt.

Wieder wandern meine Augen zu seinem Gesicht. Ich kann einfach nicht anders.

»Wieso sieht er so aus?«, frage ich leise.

»Das kommt vor bei Menschen, die erdrosselt wurden«, erklärt Brewer genauso ruhig. »Das Blut staut sich im Gesicht.«

Da fällt mein Blick auf seinen Hals, wo man zwei rote Striemen sieht, die wie Bahngleise wirken. Am Hinterkopf klebt ein schwarzer Blutklumpen in seinen roten Haaren. Ich merke, dass Brewer auf weitere Fragen zu seiner Todesursache wartet, und als ich schweige, wirkt sie irritiert, als benähme ich mich nicht normal.

»Mrs. Nelson …«, sagt sie schließlich. »Nur um das klarzustellen: Können Sie diesen Mann als Blake Nelson identifizieren?«

Das passiert mir oft – dass die Gefühle wie Wellen um mich herumhüpfen und mich überfluten, wenn ich gar nicht damit rechne.

»Ja«, sage ich. »Dies ist mein Mann.«

Und dann muss ich weinen.

8

Rachel, Erste Frau

Dieser Verhörraum riecht genauso wie all die anderen: nach abgestandenem Kaffee und scharfen Reinigungsmitteln. Es fühlt sich an, als würden sich alle Gerüche in meinem Innern mischen. Die des Leichenschauhauses, aus dem wir gerade kommen. Die der abgenutzten Möbel dieses ungeliebten Orts. Mein Blick wandert zu der alten ratternden Klimaanlage. Ein breites Stück Paketband, mit dem ein Riss geflickt werden sollte, hat sich gelöst und zittert im Lufthauch wie ein anklagender Finger.

»Mrs. Nelson«, beginnt Officer Brewer. »Ich danke Ihnen, dass Sie uns für ein paar Fragen zur Verfügung stehen. Sie sind hier aus freiem Willen und stehen nicht unter Arrest. Dennoch bin ich gesetzlich verpflichtet, Sie darüber zu informieren, dass Sie sich einen Anwalt nehmen dürfen. Den können Sie selbst auswählen oder es könnte Ihnen einer gestellt werden.«

»Mormonen brauchen keinen Anwalt«, entgegne ich. »Gott ist unser Zeuge.«

Brewer runzelt leicht die Stirn.

»Tut mir leid«, sage ich. »Wenn ich nervös bin, mache ich Scherze.«

»Oh«, ihre Stirnfalte wird tiefer, »es besteht kein Grund, nervös zu sein, Mrs. Nelson. Das alles ist reine Routine nach einem Todesfall. Damit wir Sie aus unseren Ermittlungen entlassen können.«

Sie blickt auf, schenkt mir ein Lächeln, das ihre Augen nicht erreicht, und öffnet eine Akte. Ganz oben liegen ein paar Außenaufnahmen von unserer Ranch. Sandige Erde. Schäbige Nebengebäude.

Wie ein Schlag trifft mich die schreckliche Erinnerung an meinen letzten Besuch in einer Polizeiwache.

»Alles in Ordnung, Mrs. Nelson?«

Ich nicke, aber mein Herz hämmert.

»Sie sehen ein bisschen blass aus. Soll ich Ihnen was holen? Ein Glas Wasser?«

Ich schüttle den Kopf.

»Sind Sie sicher, dass Sie meine Fragen beantworten können?«

»Ja.«

»Gut.« Wieder lächelt sie, aber diesmal mit echt wirkendem Mitgefühl.

Ich betrachte erneut die Polizeifotos von der Ranch, die selbst mir heruntergekommen erscheint, da überall Blakes kaputte Gerätschaften und dergleichen für seine Projekte herumliegen.

»Ich muss Ihnen sagen«, setzt Brewer an, »dass ich nach all den Jahren bei der Polizei wirklich meinte, ich hätte schon jeden denkbaren Haushalt gesehen. Aber Utah überrascht mich immer wieder.« Sie zieht die Augenbrauen hoch und schüttelt den Kopf. »Sie wohnen auf einer verlassenen Farm?«

»Es war eine Ranch. Für Rinder.«

»Aber Sie nutzen sie nicht mehr so«, sie blättert durch die Akte. »Weil Viehbetriebe normalerweise doch keinen … was ist das? Ein alter Aussichtsturm?«

»Blake glaubte, wir könnten einen Ausguck gebrauchen«, erkläre ich. »Denn das Ende ist nahe, und man will sich doch sicher sein, dass etwaige Besucher freundlich gesinnt sind.«

Sie bedenkt mich mit einem langen Blick. »Klar.«

»Es waren nur Sie vier da draußen?«, hakt sie nach. »Keine Kinder?«

»Noch nicht!« Diese Antwort ist mir so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie wie ein Reflex herauskommt, und lauter, als ich beabsichtigt hatte.

Als Brewer mich daraufhin verwirrt ansieht, erkenne ich, wie seltsam das klingen muss, nach dem, was passiert ist.

Brewer sieht sich weitere Fotos an. »In diesem kleinen Holzhaus also … haben Sie alle gewohnt und geschlafen. Mit einem kleinen Anbau dahinter.«

Ich nicke.

»Gemütlich. Und dies hier?« Sie zeigt auf einen rostigen alten Wellblechstall.

»Blake hat da viel Zeug aufbewahrt. Wir sollten da nicht hineingehen.«

»Dann können wir uns wohl glücklich schätzen«, erwidert sie ausdruckslos und nimmt ein Foto von dem dunklen Inneren hoch. Man sieht nur ein Durcheinander von Dingen, die Blake für seine Projekte sammelte. Räder und Geräteteile von Schrottplätzen.

»Männerhöhle, was?«, fragt sie.

»So in etwa.«

»Dann … ist da noch dieses Lagerhaus, etwa zwanzig Meter vom Haus entfernt. Dort machen Sie Ihre Essenskonserven, richtig?« Sie hält weitere Fotos in die Höhe. Darauf sieht man deckenhohe Regale mit Gläsern und Dosen in allen Farben. Der Survive-Well-5000-Einkochapparat wirkt massiv und so, als wäre er gerade aus dem Weltraum gelandet.

»Aber Sie betreiben doch kein Konservengeschäft, oder?«, fragt sie. »Das alles ist nur für den Hausgebrauch?«

Ich nicke.

Daraufhin pfeift sie leise. »Tja, dann sind Sie gut vorbereitet«, sagt sie schließlich und wendet sich erneut den Fotos zu.

»Also …«, wieder bedenkt mich Brewer mit ihrem unechten Lächeln, »Sie sagen also, Ihr Mann sei gestern angeln gewesen?«

»Das stimmt.« Mein Mund ist trocken. Ich schlucke. »Er war oft angeln.«

»Aber dieses Mal ist er nicht zurückgekommen. Waren Sie nicht besorgt?«

»Nun, manchmal kam er erst spätabends nach Hause. Weil man nachts oft einen größeren Fang macht. Wenn er den ganzen Tag nichts geangelt hatte.«

»Also war es nicht ungewöhnlich, dass er mal eine ganze Nacht draußen blieb?«

»Nicht die ganze Nacht. Aber mal bis spät in den Abend. Dann kam er nach Hause, wenn wir alle schon schliefen.«

Ein seltsamer Ausdruck huscht über Brewers Gesicht, ganz kurz nur.

»Und diese Angelstelle«, fährt sie fort. »Wie weit ist die vom Haus entfernt … etwa fünf Minuten zu Fuß?« Sie sichtet noch mal die Fotos und schiebt die von den Farmgebäuden beiseite. »Diese Stelle?«

»Ja, die ist ungefähr fünf Minuten entfernt.«

Ich denke an das etwas tiefer gelegene Gelände, wo der Fluss breiter wird und das olivgrüne Wasser durch staubige Erde und trockenes Gestrüpp fließt. Auf der gegenüberliegenden Seite ragt eine braune Felswand steil in die Höhe, glitzernd von kleinen Rinnsalen, die aus ihr herausdringen wie aus Weißkäse.

In der Nähe des Ufers steht ein Wacholderbaum, so knorrig wie die Hand einer alten Dame. Wacholderbäume werden normalerweise als hässlich und nackt betrachtet, aber mir haben sie schon immer gefallen. Sie wachsen im kärgsten Boden, in sengender Sonne und sogar unter einer Schneedecke. Sie sind viel stärker, als sie aussehen.

»Gehen Sie Frauen auch mal zu dieser Stelle am Fluss?«, erkundigt sich Brewer.

»So gut wie nie. Einmal im Jahr hat Blake Tina und mich in dem Wasser getauft.«

»Emily nicht?«, fragt sie ein bisschen zu rasch.

»Emily kann nicht schwimmen. Sie hat Angst vor der Strömung, deshalb wurde sie am Ufer getauft.«

Wieder zieht Brewer die Augenbrauen in die Höhe.

»Also, um das noch mal klarzustellen«, sagt sie. »Ihr Mann verlässt das Haus und kommt nicht wieder. Hat es vielleicht Streit gegeben?«

»Ja, schon«, gestehe ich, und bei der Erinnerung daran zieht sich meine Brust so zusammen, dass ich nur schwer atmen kann. »Aber wir hatten uns versöhnt.«

»Dürfte ich fragen, worum es bei dem Streit ging, Mrs. Nelson?«

Als ihr Blick wieder auf meinen Arm fällt, zupfe ich erneut am Ärmel, obwohl man die blauen Flecke jetzt nicht sehen kann.

»Ja, also, Blake hatte mit jemandem aus meiner Familie gesprochen. Damit war ich nicht einverstanden.«

»Aha?« Brewer faltet die Hände und beugt sich vor.

»Meine Beziehung zu meiner Familie ist kompliziert, Officer Brewer, wir kommen nicht gut miteinander aus.«

»Und Blake wollte vermitteln? Waren Sie deshalb so wütend auf ihn?«

Ich blicke ihr direkt in die Augen. »So wütend war ich nicht, Officer«, antworte ich leise. »Aber ja, ich war verärgert. Weil ich fand, er hätte mich vorher fragen sollen. Wir haben darüber geredet, und er hat sich entschuldigt.«

Brewer runzelt die Stirn.

»Ach, so einfach war das? Ich wünschte, mein Mann wäre auch so einsichtig«, sagt sie. »Vielleicht wären wir dann zusammengeblieben. Okay. Also, wie war das? Blake verschwindet und kommt nicht zurück. Was dachten Sie da? Dass er ganz allein am Fluss bleiben wollte?«

An ihrer Miene sehe ich, dass sie das für höchst unwahrscheinlich hält.

»Ich … ich dachte, er hätte noch bis spät geangelt und wäre zurückgekommen, als wir schon schliefen.«

»Aber als Sie morgens aufwachten und er war nicht da … was haben Sie da gedacht?«

»Also, das ist auch schon mal vorgekommen. Zum Beispiel, wenn er ins Gebet vertieft war. Aber ich, äh … ich war nicht in … seinem Bett. Dem … äh, Hochzeitsbett.« Jetzt spüre ich, wie ich knallrot werde.

»Das Bett, das für die eheliche Beziehung gedacht ist?«

Ich nicke.

»Gut.« Brewer zögert nur kurz. »Wer war in dem Bett?«

»Für diese Nacht hatte er, bevor er ging, Emily gewählt«, sage ich mit bemüht neutraler Stimme.

Ein Anflug von Schmerz huscht über ihr Gesicht.

»Sie nahmen also an, er wäre bis spät draußen geblieben und dann mit der anderen Ehefrau ins Bett gegangen?«, hakt sie nach.

»Ja.«

Brewer legt leicht den Kopf zur Seite und runzelt erneut die Stirn.