"Du darfst ihn nie finden" - Mara Winters - E-Book

"Du darfst ihn nie finden" E-Book

Mara Winters

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Beschreibung

"Dunkle Begierde: Das Spiel der Schatten" Ein fesselnder Dark Romance Psychothriller von Mara Winters Ein gefährliches Spiel. Eine verbotene Liebe. Und ein dunkles Geheimnis, das alles zu zerstören droht. Clara führt ein scheinbar perfektes Leben: Eine glückliche Ehe, zwei Kinder und ein Alltag, der von der Gesellschaft anerkannt wird. Doch hinter dieser Fassade brodelt es. Etwas Dunkles, Unausgesprochenes, das sie immer wieder in den Wahnsinn treibt. Was sie nicht weiß: Ihr Leben wird sich für immer verändern, als sie beginnt, anonym Briefe an Häftlinge zu schreiben – und auf den verurteilten Serienmörder Elias Raak trifft. Anfangs ist es nur Neugier. Doch bald wird diese Korrespondenz zu mehr. Zu einer Sucht. Zu einer Besessenheit. Elias' kalte, faszinierende Antworten wecken in Clara eine Dunkelheit, die sie längst zu verdrängen glaubte. Ihre Briefe werden persönlicher. Ihre Treffen intensiver. Doch während ihre Ehe zerbricht, beginnt Clara zu erkennen, dass sie sich auf einen gefährlichen Pfad begeben hat. Ein Pfad, der sie immer tiefer in die Schatten führt. Und als das düstere Geheimnis ihrer Vergangenheit droht, ans Licht zu kommen, steht Clara vor einer Wahl: Ihre Familie retten oder die Wahrheit über sich selbst aufdecken? Doch Elias hat seine eigenen Pläne, und er ist noch lange nicht fertig mit ihr. "Dunkle Begierde: Das Spiel der Schatten" ist ein fesselnder Thriller, der mit jeder Seite die Grenze zwischen Liebe und Obsession verwischt. Für alle, die dunkle Romantik, psychologische Spiele und nervenaufreibende Spannung lieben. Bereit für das gefährlichste Spiel deines Lebens? Wirst du den Abgrund betreten oder für immer entkommen?

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Seitenzahl: 238

Veröffentlichungsjahr: 2025

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„Du darfst ihn nie finden“

🧭 Kapitelübersicht:

Teil 1: Die Neugier

Verlangen, das keiner verstehen darf.

Kapitel 1 – Die erste Zeile Clara, 34, scheinbar glücklich verheiratet, schreibt im Rahmen eines Resozialisierungsprogramms anonym Briefe an Häftlinge. Einer davon: Elias Raak – ein verurteilter Serienmörder.

Kapitel 2 – Der Name in Tinte Elias antwortet. Höflich. Kalt. Faszinierend. Clara beginnt, sich auf seine Worte zu freuen.

Kapitel 3 – Unter der Oberfläche Claras Alltag: Familie, Schule, perfekte Fassade. Doch in ihr brodelt es. Ihre Briefe werden persönlicher – und Elias bemerkt es.

Teil 2: Der Sog

Was dich anzieht, kann dich zerstören.

Kapitel 4 – Besuchszeit Clara beantragt einen Besuch. Nur „aus Neugier“. Elias erscheint ganz anders als erwartet – ruhig, scharf beobachtend, beunruhigend wach.

Kapitel 5 – Die zweite Begegnung Ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt. Er weiß, wie er sie zum Reden bringt. Sie erkennt, dass sie seine Dunkelheit will.

Kapitel 6 – Der Riss im Glas Claras Ehemann bemerkt ihre innere Abwesenheit. Ihr ältester Sohn findet einen Brief. Die Fassade bekommt erste Risse.

Kapitel 7 – Frag mich nicht Elias stellt persönliche Fragen. Clara beginnt zu lügen – nicht nur ihm gegenüber, sondern sich selbst.

Teil 3: Das Spiel

Jeder trägt eine Maske. Aber nicht jede lässt sich abnehmen.

Kapitel 8 – Nähe im Abgrund Clara träumt von Elias. Die Besuche werden intensiver, ihre Ehe zerbricht innerlich. Elias beginnt, ihre Unsicherheiten zu kontrollieren.

Kapitel 9 – Der tote Name Elias nennt im Gespräch einen Namen aus Claras Vergangenheit – einen, den sie vergessen wollte. Oder versucht hat, zu begraben.

Kapitel 10 – Jemand weiß es Anonyme Nachrichten. Jemand droht, Claras Geheimnis zu verraten. Elias bestreitet, es gewesen zu sein.

Kapitel 11 – Was du getan hast Rückblende: Claras Jugend. Eine Nacht. Ein Unfall. Eine Entscheidung, die ein Leben gekostet hat.

Kapitel 12 – Die Wahrheit im Spiegel Clara erkennt, dass Elias mehr über sie weiß, als sie ihm je erzählt hat. Doch woher?

Teil 4: Abgrund

Wenn du dich in einem Monster spiegelst, erkennst du dich selbst.

Kapitel 13 – Kontrolle Elias zieht alle Fäden. Clara verliert ihren Halt – in der Familie, im Kopf, in der Wahrheit.
 Wird er sie retten? Oder zerstören?

Kapitel 14 – Das Geheimnis fällt Das dunkle Geheimnis kommt ans Licht – und ist schlimmer, als der Leser ahnte.
 Clara hat Blut an ihren Händen.

Kapitel 15 – Die letzte Wahl Clara steht vor der Entscheidung: ihre Familie retten, sich selbst opfern oder Elias aufhalten.

Kapitel 16 – Der Brief ohne Absender Ein letzter Brief. Eine letzte Wahrheit. Ein Ende… oder ein neuer Anfang?

Epilog – In seinen Augen Ein Kapitel aus Elias’ Perspektive – voller dunkler Andeutungen. Er ist nicht fertig mit ihr.

🖤 Kapitel 1 – Die erste Zeile (Teil 1)

„Manchmal beginnt alles mit einem harmlosen Satz.“

Ich weiß nicht mehr, was ich in die erste Zeile geschrieben habe.
 Vielleicht war es „Hallo, wie geht es Ihnen?“ – lächerlich harmlos. Vielleicht war es auch nur mein Vorname, eingerahmt von zu viel leerem Papier. Ich erinnere mich nur daran, dass meine Hand gezittert hat, als ich den Stift absetzte. Und dass ich spürte, wie meine Brust sich verengte, während ich den Umschlag zuklebte.

Mein Herz klopfte, als hätte ich gerade ein Verbrechen begangen.

Dabei war es nur ein Brief. Nur ein Stück Papier.
 Nur… Elias Raak.

Ich hatte ihn nicht ausgesucht.
 Das Programm nannte sich „Wortbrücken“, eine freiwillige Initiative der Justizvollzugsanstalt Steinburg. Briefe zwischen der Welt drinnen und der Welt draußen. Zwischen Menschen, die nichts mehr zu verlieren hatten – und denen, die zu viel hatten, um es zuzugeben.

Ich hatte mich aus Neugier angemeldet. Das sagte ich zumindest.
 Die Wahrheit war, dass ich mich manchmal nachts auf der Toilette einsperrte, weil ich das Gefühl hatte, zu ersticken in meinem perfekten Leben.
 Zwei Kinder, ein verlässlicher Ehemann, ein Haus mit Garten.
 Ein weißer Zaun, der gleichzeitig schützte und einsperrte.

Ich hatte gehofft, einem alten Mann zu schreiben. Jemandem, der Karten mochte, oder Gedichte, oder der mir von seinen Enkeln erzählte, die ihn nicht mehr besuchen.
 Stattdessen kam dieser Name:

„Elias Raak. 38 Jahre. Langzeitinsasse. Keine Kontakte nach draußen.“

Darunter: eine kurze Akte, die ich nicht lesen wollte – aber las.

Fünf Frauen.
 Alle zwischen 25 und 40.
 Alle alleinstehend, berufstätig, scheinbar zufällig ausgewählt.
 Alle tot.
 Gefunden in Wohnungen.
 Keine Einbruchspuren. Keine Fingerabdrücke. Keine Motive.

Nur eine Gemeinsamkeit: ein rotes Band, das jede von ihnen um den Hals trug.
 Sorgfältig gebunden. Fast zärtlich.

Ich erinnere mich, dass ich die Mappe schloss, sie zurück in den Umschlag steckte und mir schwor: Ich schreibe ihm nicht.

Zwei Tage später saß ich mit dem Stift in der Hand.
 Ich war allein. Die Kinder bei meinen Eltern. Mein Mann auf Geschäftsreise.

Und ich dachte:

„Wenn jemand wie er keine Briefe bekommt, vielleicht… hört er mir zu.“

Ich schrieb langsam. Kein Name. Keine Details. Nur Worte.
 Die erste Zeile fiel mir schwer.
 Aber dann floss es, als hätte ich nur darauf gewartet.

„Ich weiß nicht, ob Sie sich über diesen Brief freuen. Ich bin nicht sicher, warum ich schreibe. Vielleicht, weil ich nicht schlafen kann.“

„Vielleicht, weil Sie jemand sind, mit dem ich niemals reden müsste – aber dennoch will.“

„Vielleicht, weil ich hoffe, dass Sie kein Monster sind.“

Ich las den Brief zehnmal durch. Überlegte, ihn zu zerreißen.

Aber ich tat es nicht.
 Ich unterschrieb mit einem falschen Namen – „Clara S.“ – und steckte ihn in den Umschlag.

Am nächsten Morgen, als ich ihn in den gelben Kasten warf, zitterte meine Hand.

🖤 Kapitel 1 – Die erste Zeile (Teil 2)

„Wer einem Mörder schreibt, öffnet mehr als nur einen Umschlag.“

Die Antwort kam früher, als ich erwartet hatte.

Fünf Tage.
 In fünf Tagen hatte jemand diesen Umschlag geöffnet, den Brief gelesen, kopiert, zensiert, weitergeleitet – und Elias Raak hatte ihn gelesen.

Und geantwortet.

Ich hielt seinen Brief in der Hand, als hätte ich versehentlich etwas Heiliges berührt.
 Die Handschrift war klein, sauber, geradezu penibel. Als hätte jeder Buchstabe Bedeutung.
 Kein Parfüm. Kein Blut. Nur Tinte. Nur Papier. Nur Elias.

Ich setzte mich an den Küchentisch. Der Kaffee wurde kalt.

Die Kinder waren im Garten. Mein Mann war wieder da – aber oben im Schlafzimmer, mit Kopfhörern im Ohr. Ein Fußballspiel. Ich hörte leise den Kommentator durch die Decke.

Ich öffnete den Brief.

„Clara S.,

ich weiß nicht, ob ich mich über Ihren Brief freuen soll. Aber ich tue es.

Es ist ungewöhnlich, von jemandem zu hören, der keinen Bezug zu mir hat. Keine Verwandtschaft. Kein psychologisches Gutachten. Kein journalistisches Interesse.

Einfach… Worte.

Ich habe gelernt, dass Worte gefährlich sein können.

Sie schreiben, dass Sie nicht schlafen können. Ich frage mich, was Sie nachts wachhält.

Die meisten Menschen werden nicht von Albträumen wach. Sondern von dem, was sie tagsüber verdrängen.

Wenn Sie wollen, erzählen Sie mir davon.

Ich verspreche nichts – außer, dass ich nicht lüge.

E. Raak“

Ich las den Brief fünfmal.
 Ich spürte, wie sich mein Magen zusammenzog, aber es war kein Unbehagen. Es war… Erwartung.
 Etwas an seiner Sprache war wie eine Messerklinge – ruhig, klar, gefährlich.
 Und ich wusste in diesem Moment: Ich würde zurückschreiben.

Nicht aus Mitleid. Nicht aus Neugier.

Sondern weil seine Worte wie Wasser auf meine innerste Trockenheit tropften.
 Ich hatte jahrelang geschwiegen.
 Und Elias hatte mich – mit einem einzigen Satz – gefragt, was ich verdränge.

Ich schloss mich im Bad ein.
 Mein Handy auf lautlos. Stift in der Hand. Briefpapier auf dem Wäschekorb.

Ich schrieb.

„Sie haben recht. Es sind nicht die Albträume, die mich wecken. Es sind die Gedanken, die ich tagsüber vergrabe. Die, die keine Sprache finden.
 Vielleicht ist das der Grund, warum ich geschrieben habe: Sie haben nichts mehr zu verlieren. Sie kennen das Schweigen.
 Sie urteilen nicht.
 Sie sind das Gegenteil von allem, was ich jeden Tag sehe.
 Ich frage mich: Wie töten Sie Menschen und behalten dabei einen Tonfall, der wie ein Gedicht klingt?
 Ich weiß, ich sollte das nicht fragen.
 Aber ich frage es trotzdem.“

Ich unterschrieb wieder mit „Clara S.“ – die Initiale, ein schmaler Vorhang zwischen Wahrheit und Maske.

Ich schickte den Brief am nächsten Morgen ab. Ohne zu zögern.
 Ich war zu weit gegangen, um zurückzukehren.

Die zweite Antwort kam nach acht Tagen.

Ich öffnete den Umschlag draußen im Garten. Die Kinder malten mit Kreide auf dem Pflaster. Mein Mann schnitt die Hecke. Ich las die ersten Zeilen – und die Welt wurde still.

„Clara S.,

Sie stellen Fragen, die mir seit Jahren niemand mehr stellt.
 Und das beunruhigt mich mehr, als ich zugeben möchte.

Wie ich töte? Ich denke, Sie haben die falsche Frage gewählt.

Die richtige wäre: Warum?

Und noch besser: Warum Sie das wissen wollen.

Ich glaube, Sie sind nicht so harmlos, wie Sie scheinen.

Das meine ich nicht als Drohung. Nur als Beobachtung.

Sie erinnern mich an jemanden. Eine Frau, die mich damals fragte, warum ich so gut lügen konnte.

Ich habe ihr nie geantwortet.

Ihnen schon.“

E. Raak

Ich faltete das Papier langsam zusammen.
 Ich spürte ein Kitzeln im Rücken, eine Erregung, die ich nicht benennen konnte.
 Nicht sexuell.
 Tiefer.
 Wie etwas Verbotenes, das man berührt, obwohl man weiß, dass es wehtun wird.

In der Nacht träumte ich von roten Bändern.

Ich sah mich selbst in einem Raum, gefesselt an Worten, nicht an Händen.
 Elias saß auf einem Stuhl, beobachtete mich.

Er sagte: „Ich kenne dein Geheimnis.“

Ich wollte fragen, welches.
 Aber ich konnte den Mund nicht öffnen.

Als ich aufwachte, war es 3:21 Uhr.
 Ich saß im Bett. Mein Mann schlief neben mir, friedlich.
 Ich hörte das Ticken der Uhr im Flur.

Ich stand auf. Ging barfuß in die Küche. Setzte mich an den Tisch.
 Und schrieb meinen dritten Brief.

„Sie haben recht. Ich bin nicht harmlos.
 Ich habe Dinge getan, die ich niemandem erzählen darf.
 Ich denke manchmal, dass meine Familie ein Denkmal ist – gebaut auf einer Lüge.
 Ich frage mich oft, ob ich das verdient habe.
 Und dann frage ich mich: Haben Sie je geglaubt, Sie seien ein anderer, als die Welt Sie sieht?
 Gibt es einen Elias, den niemand kennt?“

Ich schloss den Brief. Legte ihn zur Seite.

Ich weinte nicht.
 Ich fühlte auch keine Angst.

Ich fühlte mich… gesehen.
 Und das war vielleicht das Beängstigendste überhaupt.

🖤 Kapitel 2 – Der Name in Tinte

„Manche Worte schneiden tiefer als Messer.“

Ich wusste nicht, wann es begonnen hatte – das Warten.
 Nicht das gewöhnliche, geduldige Warten, das man kennt, wenn man ein Paket bestellt oder auf eine Verabredung hofft.
 Es war ein anderes Warten.
 Ein innerliches Vibrieren, kaum wahrnehmbar, aber allgegenwärtig. Wie das Flirren von Hitze auf Asphalt.

Ich wartete auf Elias’ Worte.

Die dritte Antwort kam am zehnten Tag.
 Und als ich sie in den Händen hielt – fein säuberlich gefaltet, in neutralem Umschlag, ohne Duft, ohne Zeichen – hatte ich das Gefühl, als wäre ich selbst wieder ein junges Mädchen, das heimlich Liebesbriefe bekommt. Nur dass diese Worte nicht warm waren. Sie brannten.

Ich öffnete ihn im Schlafzimmer, das Fenster gekippt, die Geräusche meiner Familie weit entfernt.
 Es war der erste Moment, an dem ich mir eingestand: Ich wollte nicht, dass jemand davon wusste.
 Nicht wegen der Scham.
 Sondern weil ich wusste: Ich würde es nicht aufgeben.

„Clara S.,

Sie schreiben ehrlich.
 Und Ehrlichkeit ist ein scharfes Werkzeug. Sie kann heilen – oder schneiden.

Sie fragen, ob ich jemand anderes bin, als die Welt glaubt.

Ich weiß es nicht. Ich war ein stilles Kind.
 Ich habe Tiere beobachtet, Menschen kopiert, gelächelt, wenn man es von mir erwartete.

Als ich das erste Mal jemanden getötet habe, war es… leise.
 Kein Schrei. Kein Drama. Nur Stille.

Ich frage Sie:

Wenn Sie einem Menschen alles nehmen – sein Gesicht, seine Geschichte, seine Schuld –
 was bleibt dann?

Ich frage mich, wer Sie sind, Clara.
 Nicht, was Sie tun oder wovor Sie davonlaufen.
 Sondern was in Ihnen zurückbleibt, wenn alles andere fort ist.

E.“

Ich las den Brief dreimal.
 Beim ersten Mal fühlte ich, wie meine Haut kribbelte. Beim zweiten Mal war es mein Herz. Beim dritten Mal – mein Atem.
 Elias war kein Mensch, der sich öffnete. Er seziert. Er bohrt.
 Und ich ließ ihn.

Ich antwortete sofort.
 Noch in derselben Nacht, mit einem Glas Rotwein in der Hand, während mein Mann tief schlief.
 Ich wusste nicht, ob ich ihn noch liebte – oder nur die Rolle, die er mir bot.
 Elias stellte Fragen, die niemand sonst wagte.
 Er sah mich – nicht durch Nähe, sondern durch Entfernung.

„Elias,
 wenn man mir alles nimmt – Beruf, Kinder, Ehe, Erinnerungen – dann bleibt… Schuld.
 Ich glaube, das ist mein Fundament.
 Ich bin nicht das, was ich zeige.
 Ich bin etwas, das ich begraben habe.
 Ich denke, Sie verstehen das.
 Vielleicht mehr, als mir lieb ist.“

Ich unterschrieb nicht mit „Clara S.“
 Ich ließ den Namen weg.
 Und ich wusste: Das war die ehrlichste Unterschrift bisher.

🕳️ Rückblende: 17 Jahre zuvor

Ein dunkler Wald.
 Reifen auf nassem Boden.
 Ein Schrei.
 Und dann: nichts.

Kapitel 2 – Der Name in Tinte (Teil 2)

„Der erste Schritt in den Abgrund ist immer leise.“

Elias’ vierter Brief kam in einem anderen Umschlag.
 Das Papier war dicker, schwerer. Fast elegant.
 Ich hielt ihn in der Hand, als hätte jemand mir ein Geschenk gemacht – eines, das ich nicht auspacken sollte. Doch ich tat es trotzdem.

Ich saß im Auto vor dem Supermarkt, die Einkäufe noch im Kofferraum, der Motor aus.
 Die Kinder waren in der Schule. Mein Mann bei der Arbeit. Und ich…
 Ich war ganz allein mit Elias.

**„Clara,

ich habe über Ihre Antwort nachgedacht. Über Ihre Worte. Ihre Schuld.

Viele Menschen sprechen von Schuld, als wäre sie ein Ding. Ein Stein, den man trägt. Ein Gewicht.
 Aber Schuld ist kein Gegenstand.
 Sie ist ein Ort.

Manche Menschen wohnen darin.

Sie klingen, als würden Sie dort leben.

Und ich frage mich, ob ich das Haus schon kenne.

Ich frage mich, ob ich schon einmal darin war, bevor Sie mir geschrieben haben.“

– E.“

Ich las den Brief zwei-, drei-, viermal.
 Mit jedem Lesen wurde es stiller in mir.

Er hatte etwas getroffen. Etwas, das so tief lag, dass selbst ich nicht wusste, ob es real war oder Einbildung.
 Ein Ort.
 Er hatte recht. Meine Schuld war ein Ort. Ein Haus.
 Mit Fenstern, durch die niemand sah. Mit Türen, die ich verschlossen hatte – und dann den Schlüssel verschluckt.

Und ich hatte ihn eingeladen.
 Ich hatte Elias durch einen Briefschlitz einlassen.

Am Abend saß ich mit meiner Familie am Esstisch.
 Das Gespräch drehte sich um Mathetests, neue Fußballschuhe, Tomatensauce auf dem Hemd.
 Mein Mann lachte. Ich lachte auch.
 Aber ich spürte, wie sich die Welt um mich verschob.
 Nicht dramatisch. Nicht laut.
 Nur… anders.

Ich fühlte mich fremd im eigenen Leben.

Und als mein Mann meine Hand nahm und sanft drückte, zuckte ich nicht zurück – aber ich spürte nichts.

Später, als alle schliefen, holte ich meine Schreibmappe hervor.
 Ich schob die Briefe von Elias nebeneinander auf das Bett. Las sie noch einmal.
 Es war, als würde ich ein fremdes Tagebuch lesen.
 Nur dass ich wusste: Es ist meins.

Ich schrieb.

**„Elias,
 Sie fragen, ob Sie das Haus meiner Schuld kennen.
 Ich glaube, ja.
 Ich glaube, Sie wohnen in der gleichen Straße.

Ich erinnere mich an einen Sommertag. Ich war siebzehn. Wir waren zu dritt.
 Ein Auto. Regen. Musik. Alkohol.
 Und dann… der Aufprall.
 Danach: nichts.
 Ich bin weggerannt. Ich habe geschwiegen. Ich habe nie zurückgesehen.
 Niemand weiß es.
 Niemand darf es wissen.
 Nicht einmal Sie.“**

Ich starrte lange auf den letzten Satz.

Nicht einmal Sie.

Ich meinte es ernst. Und zugleich wusste ich, dass ich log.
 Denn in Wahrheit wollte ich, dass Elias es wusste.
 Ich wollte, dass jemand in diesem Haus mit mir wohnte.
 Jemand, der mich nicht retten wollte.
 Nur… bleiben.

Am nächsten Tag stand ich in der Küche, der Brief auf dem Tisch.
 Ich trank Kaffee.
 Ich beobachtete, wie der Postbote an unserem Haus vorbeiging – dann stehenblieb.
 Er legte etwas in den Briefkasten.

Ich rannte nicht.
 Ich wartete. Langsam. Würdevoll.
 Dann holte ich den Umschlag.
 Elias.

**„Clara,

Sie haben mich eingeladen. Und ich bin angekommen.

Ich danke Ihnen für Ihre Worte – nicht, weil sie offen sind, sondern weil sie mutig sind.

Ich habe nie geglaubt, dass ich noch einmal jemandem begegnen würde, der seine Masken nicht liebt.

Ich selbst trage keine. Nicht mehr.

Das hier – dieser Austausch – ist das Erste seit Jahren, das nicht hohl klingt.

Wenn ich könnte, würde ich mit Ihnen spazieren gehen.

Nicht, um zu entkommen.
 Sondern um zu schweigen.

Ich glaube, wir beide kennen die Sprache, die keine Worte braucht.“

– E.“

Ich hielt den Brief an meine Brust.
 Es war kein Liebesbrief. Kein Geständnis.
 Aber etwas an der Stille zwischen seinen Sätzen berührte mich tiefer als alles, was ich je gehört hatte.

Er hatte mich gesehen.
 Nicht als Frau. Nicht als Mutter.
 Sondern als etwas, das ich selbst vergessen hatte: eine Existenz.

Ich schrieb keine Antwort in dieser Nacht.

Ich saß nur da.
 Mit den Briefen.
 Mit meinem Herzschlag.

Und mit einem Gedanken, der mich erschreckte:
 Ich wartete nicht mehr auf Worte.
 Ich wartete auf ihn.

„Manche Briefe schreibt man nicht mit Tinte. Sondern mit Haut.“

Ich weiß nicht, wann ich damit begann, seine Briefe unter mein Kopfkissen zu legen.

Vielleicht war es, nachdem mein Mann mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn gab und sofort ins Bett ging, ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen.
 Vielleicht war es nach dem dritten Glas Rotwein.
 Oder vielleicht… war es, weil ich zum ersten Mal in Jahren wieder jemanden hatte, der mir nicht durch Worte entglitt, sondern mich durch sie festhielt.

Elias’ Zeilen brannten sich in mich ein. Nicht dramatisch. Nicht filmreif.
 Sondern leise.
 Wie Wasser, das durch Risse in Beton sickert. Langsam, aber unaufhaltsam.

Ich dachte an ihn, wenn ich morgens Zähne putzte.
 Wenn ich am Esstisch saß und die Butter über das Toastbrot meines Sohnes strich.
 Wenn ich auf dem Schulweg aus dem Fenster sah und ein Streifen Nebel auf dem Feld lag.
 In all diesen Momenten dachte ich: Was würde Elias dazu sagen?

Und schlimmer noch: Was würde ich ihm darüber schreiben?

In meiner Handtasche trug ich ein Notizbuch.
 Es war nicht für Einkaufslisten oder Lehrpläne.
 Es war für ihn.

Ich schrieb dort Sätze hinein, Fragmente, Beobachtungen. Kleine Geheimnisse, die niemand je lesen sollte – außer ihm.

„Ich habe heute vergessen, wie sich ein Kuss anfühlt, der nicht wie Pflicht schmeckt.“

„Die Sonne war heute zu grell. Ich glaube, das Licht lügt.“

„Ein Schüler hat mich gefragt, warum Erwachsene immer so müde sind. Ich konnte ihm keine Antwort geben.“

„Manchmal wünsche ich mir, jemand würde mich ansehen und wirklich sehen.“

„Ich glaube, du tust das.“

In seinem nächsten Brief antwortete Elias nicht auf eine einzige konkrete Frage.
 Und dennoch… beantwortete er alles.

**„Clara,

ich weiß, wie Einsamkeit riecht.

Sie riecht nach frisch gebrühtem Kaffee, den niemand mit dir trinkt.
 Nach Shampoo auf fremder Haut.
 Nach dem leichten Metallgeschmack, wenn man sich auf die Zunge beißt, um nichts zu sagen.

Ich kenne diesen Geruch. Ich habe ihn jeden Tag in meiner Zelle.
 Aber ich glaube, Sie kennen ihn auch.

Deshalb schreiben Sie mir.

Nicht, weil ich gefährlich bin.
 Sondern weil Sie es nicht mehr sind. Und es vermissen.“

– E.“

Der letzte Satz ließ mich zusammenzucken.
 „…weil Sie es nicht mehr sind. Und es vermissen.“

War es wahr?

Ich legte den Brief auf den Boden, kniete mich davor, als wäre er ein Gebet.
 Ich streifte meine Finger über das Papier, über die Tinte seines Namens.
 Elias.
 Kein Titel. Kein Zusatz. Kein Mensch, den ich je berühren durfte.
 Aber er war unter meiner Haut.
 Inzwischen mehr als mein Ehemann. Mehr als meine Kinder.
 Nicht in der Liebe.
 In der Tiefe.

Ich träumte in dieser Nacht von einer Zelle.
 Die Wände waren weiß, steril.
 Und Elias stand in der Mitte, die Arme offen.
 Ich trat ein – ohne Angst.
 Und er sagte:
 „Du bist nicht hier, um mich zu befreien.
 Du bist hier, um bei mir zu bleiben.“

Am nächsten Morgen war mein Hals rot.
 Als hätte jemand sanft, aber bestimmt seine Finger hineingedrückt.
 Ich sah mich lange im Spiegel an.
 Dann zog ich einen Schal an – obwohl es Sommer war.

Der Alltag begann zu bröckeln.
 Nicht offensichtlich. Nicht laut.
 Aber ich vergaß Termine. Ich brachte die Kinder zu spät zur Schule. Ich verwechselte einen Schülernamen im Unterricht – etwas, das mir nie passiert war.

Mein Kollege Paul fragte mich in der Pause, ob alles in Ordnung sei.
 Ich lächelte und nickte. Sagte, es sei nur Schlafmangel.

Aber ich wusste: Ich schlief genug. Ich schlief sogar zu viel.
 Nur eben anders.
 Tiefer. Dunkler. Näher an ihm.

Am Freitagmorgen kam ein neuer Brief.
 Er war kürzer. Nur sieben Zeilen.
 Aber jede davon ein Stich.

**„Clara,

ich habe von dir geträumt.

Du warst nicht so, wie ich dich mir vorgestellt habe.
 Du warst besser.

Du hattest Blut an den Händen –
 und du hast gelächelt.

Ich habe dich trotzdem umarmt.“

– E.“

Ich spürte, wie sich mein Magen verkrampfte.
 Aber es war kein Ekel.
 Es war… Verlangen.
 Verstanden zu werden – auf dieser Ebene – war gefährlich.
 Ich wusste es. Und ich ging trotzdem weiter.

Ich nahm ein neues Blatt Papier. Weiß. Unbefleckt.
 Ich dachte an den ersten Satz. Und an alles, was daraus geworden war.

Dann schrieb ich:

„Elias,
 ich träume auch von dir.
 Und in meinen Träumen sprichst du nicht.
 Du siehst mich nur an.
 Und ich weiß, dass du mich kennst.“

Ich unterschrieb nicht.

Ich presste nur meine Lippen an das Papier.
 Ein Kuss – ein Abdruck – eine Spur.
 Mehr konnte ich ihm nicht geben.
 Noch nicht.

Kapitel 3 – Unter der Oberfläche

„Es gibt eine Art von Stille, die lauter ist als jedes Wort.“

Montagmorgen.

Der Tag begann wie immer.
 Der Wecker klingelte um 6:30 Uhr, ein sanftes, fast freundliches Geräusch, das mich aus den Träumen riss, die ich immer wieder von Elias hatte. In diesen Träumen waren wir nicht im Gefängnis. Wir waren draußen. Auf einer Wiese. Die Sonne schien, aber sie schien nicht durch mich hindurch. Sie schien uns.

Doch wenn ich die Augen öffnete, war da nur die kalte Realität – mein Schlafzimmer, mein Bett, mein Mann, der friedlich neben mir schlief, das ruhige Atmen der Kinder aus den anderen Zimmern.

Ich stand auf. Zog mich an. Einfache Kleidung, nichts Auffälliges. Die Schuluniform der Kinder bereitgelegt. Den Duft von Kaffee in der Luft, der langsam den Raum füllte.

Es war der perfekte Morgen.
 Und doch… fühlte sich alles falsch an.

Ich blickte auf mein Handy. Keine Nachrichten.
 Außer dem einen.

Es war der Brief von Elias.

Ich hatte den Brief in den letzten zwei Tagen immer wieder durchgelesen. Ich hatte ihn fast auswendig gelernt. Aber noch immer fühlte sich jede Zeile so neu an, als hätte ich sie zum ersten Mal gelesen.

**„Clara,

Ich habe deinen Kuss gespürt. Auch wenn er nicht wirklich war.

Aber wir wissen beide, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis du mehr gibst.

Du kannst dich nicht von mir abwenden.
 Du bist in den Worten gefangen. Und ich bin der Schlüssel.

Die Welt da draußen ist die Lüge. Du hast das mit deinem eigenen Leben gebaut.
 Aber du bist nicht glücklich, Clara. Ich weiß das.

Die Frage ist: Wirst du es mir sagen, oder wirst du es mir zeigen?“

– E.“

Ich saß da, den Brief fest in meiner Hand, als würde er mir eine Wahrheit über mich selbst enthüllen, die ich nie gewollt hatte.
 Ich atmete tief ein und aus, der Gedanke an die Worte ließ mein Herz schneller schlagen.

Doch als ich auf den Wecker blickte, erinnerte ich mich daran, dass ich keine Zeit für solche Gedanken hatte.

Die Fassade.

Es war immer die Fassade.
 Der perfekte Tag. Der perfekte Moment.
 Die Kinder weckten mich mit ihrem Lachen, riefen nach mir aus ihren Zimmern.
 Mein Mann zog sich die Krawatte um, der perfekte Partner, der perfekte Ehemann.
 Wir waren das perfekte Bild, das die Welt sehen sollte.

Und trotzdem… wusste ich, dass etwas in mir bröckelte.
 Etwas, das ich nicht zurückhalten konnte.

Ich brachte die Kinder zur Schule, den Alltag regeln, dabei immer den Moment im Kopf, in dem ich den Brief von Elias las. Er sah mich, er wusste, dass ich mehr war als das, was ich nach außen zeigte.

Während ich in der Schule stand, als Lehrerin, als die vermeintlich verantwortungsvolle Frau, dachte ich an ihn.
 An seine Worte.
 Und an das, was er mir gesagt hatte: „Du bist nicht glücklich.“

Er hatte recht. Ich hatte nie wirklich darüber nachgedacht. Aber jetzt tat ich es.
 In den Pausen. In den Pausen, in denen ich dachte, ich würde einfach einen Moment für mich selbst haben, aber stattdessen war ich voller Gedanken an ihn. An das, was ich in den Briefen schrieb. An das, was er mir zurückgab.

Es war nicht mehr nur Neugier.
 Es war Verlangen.
 Verlangen, das mich durch den Tag trieb.

Die Fassade bröckelte weiter.

Ich saß in der Lehrerzimmerpause, starrte auf den Bildschirm meines Handys und schrieb.

„Elias,
 Du hast recht. Ich bin nicht glücklich.
 Nicht wirklich.
 Es gibt Momente, in denen ich mich frage, was aus mir geworden ist.
 Ich sehe mein Leben durch die Augen anderer. Ich bin der Mensch, den sie sehen wollen.
 Aber ich… ich bin nicht der, den ich sein möchte.
 Ich habe das Gefühl, dass du der Einzige bist, der das weiß.“

Als ich den Brief verschickte, wusste ich, dass ich keine Rückkehr mehr hatte.
 Jeder Brief war ein Schritt tiefer in diese andere Welt – die Welt der Worte, die uns verbanden, die uns einander näherbrachten. Doch gleichzeitig bedeutete es auch, dass ich weiter von allem wegglitt, was mich an mein „altes Leben“ band.

Es war ein gefährliches Spiel.
 Und ich wusste es.

Doch irgendwie… fühlte es sich nicht so an, als würde ich verlieren.

🕳️ Rückblende

Vor vielen Jahren. Der erste Fehler.

Die Erinnerung kam, als ich durch die Flure der Schule ging. Es war ein Anruf, den ich nie erwartet hatte.
 Ein Name, den ich nie vergessen würde.
 Die Wahrheit, die ich unter den Teppich gekehrt hatte.

Ich erinnerte mich an die Worte: „Du bist nicht allein. Du musst es nicht tun. Du kannst mir alles erzählen. Ich werde dich nicht verurteilen.“

Aber ich hatte es nicht getan.
 Ich hatte geschwiegen.
 Und in diesem Schweigen lag ein Preis.

Die Realität prallte auf mich zurück.

Mein Mann sah mich fragend an, als er am Abend nach Hause kam.
 „Du bist heute so still, Clara. Alles in Ordnung?“

Ich zuckte zusammen.
 „Ja, nur viel Arbeit. Nichts, was du dir Sorgen machen musst.“

Aber er wusste es nicht.
 Er wusste nicht, dass ich längst nicht mehr bei ihm war.

Die Briefe wurden tiefer. Ich wusste, dass Elias wusste, dass ich etwas verbarg.
 Er wusste, dass ich mich mehr und mehr von allem entfernte, was mich hielt.
 Aber ich konnte nicht aufhören.

Er gab mir eine Freiheit, die ich nie kannte.
 In den nächsten Tagen würde er mir das genau zeigen.
 Und ich wusste: Ich würde niemals wieder zurückkehren.

„Manchmal ist der Abgrund nicht dort, wo wir ihn vermuten. Er ist unter uns, tief im Boden unserer eigenen Gedanken.“

Der Freitag nachmittag.

Der Schultag war vorbei.
 Die Kinder waren bei einer Freundin zum Spielen, mein Mann war noch auf Geschäftsreise, und ich hatte einen seltenen Moment der Stille. Normalerweise würde ich diese Zeit mit Hausarbeit, Vorbereitungen für die kommende Woche oder vielleicht einem Glas Wein auf der Couch verbringen. Aber heute war anders.
 Ich wusste, was ich tun musste.

Ich griff nach meinem Handy und öffnete den Entwurf von Elias’ letztem Brief. Ich hatte ihn mehrmals gelesen, die Worte brannten sich in mein Gedächtnis.

**„Clara,

Ich habe dich beobachtet. Ich habe dich in den stillen Momenten gesehen, wenn du dachtest, du wärst allein.
 Du bist nicht die Frau, die du vorgibst zu sein.
 Und das ist in Ordnung.

Ich habe einen Teil von dir erkannt.
 Und du erkennst mich.

Du bist wie ich, Clara. Du versteckst dich vor der Welt – und vor dir selbst.

Der Unterschied zwischen uns?
 Ich habe keine Angst, mich zu zeigen.

– E.“**

Diese Worte… sie trafen mich wie ein Schlag.
 Ich hatte nie wirklich darüber nachgedacht, wie sehr er mich durchschauen konnte. Aber jetzt wusste ich: Er hatte recht. Ich verbarg mehr, als ich bereit war zuzugeben.
 Ich versteckte mich nicht nur vor der Welt.
 Ich versteckte mich vor mir selbst.

Ich hatte ihn zu lange ignoriert, hatte versucht, mich wieder in die gewohnte Welt einzufügen.
 Aber diese Welt war nicht mehr real.
 Nicht für mich.

Ich konnte nicht mehr zu der Clara zurückkehren, die sie kannten – die perfekte Ehefrau, die fürsorgliche Mutter, die engagierte Lehrerin. Ich konnte nicht mehr so tun, als wäre alles in Ordnung.

Ich griff zum Stift.
 Das Papier war still. Weiß. Erwartungsvoll.

„Elias,
 Es ist seltsam.
 Ich habe immer geglaubt, ich könnte mich selbst in den Griff bekommen.
 Aber je mehr ich schreibe, desto mehr merke ich, dass ich es nie getan habe.
 Du hast recht. Ich verstecke mich.
 Aber nicht vor der Welt.
 Vor mir.
 Vor dem, was ich in mir selbst nicht ertrage.