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Ein fröhlicher Abend endet in einer Katastrophe: Auf einer Landstraße verliert eine junge Frau ihr Leben und Sophie ihre Erinnerung. Verzweifelt versucht sie herauszufinden, was in jener Nacht wirklich passiert ist. Doch wem soll Sophie noch trauen, wenn sie selbst ihren eigenen Erinnerungen keinen Glauben schenken kann?
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Seitenzahl: 131
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
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Ein fröhlicher Abend endet in einer Katastrophe: Auf einer Landstraße verliert eine junge Frau ihr Leben und Sophie ihre Erinnerung. Verzweifelt versucht sie herauszufinden, was in jener Nacht wirklich passiert ist. Doch wem soll Sophie noch trauen, wenn sie selbst ihren eigenen Erinnerungen keinen Glauben schenken kann?
Caroline Jacobs, 1977 in Berlin geboren, absolvierte eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation und studierte Sozialarbeit. Unter dem Namen Kerstin Dirks veröffentlichte die Autorin zahlreiche erotische sowie historische und paranormale Geschichten. Mit »Du. Musst. Dich. Erinnern.« legt sie ihren ersten Thriller vor.
Caroline Jacobs
DU.MUSST.DICH.ERINNERN.
Thriller
beTHRILLED
Digitale Neuausgabe
»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Lektorat/Projektmanagement: Stephan Trinius
Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de
eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-7918-1
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Es prickelte herrlich. Sophie fasste sich an die Wangen und kicherte. Es hörte einfach nicht auf. Und doch war es so schön. Dieses vergnügliche Kribbeln. Eine Nachwirkung des Champagners. Sie hätte nicht gedacht, dass Champagner so gut schmeckte. Und sie hätte nie geglaubt, dass sie so viel Spaß auf einem langweiligen Betriebsfest haben würde. Sie fuhr das Fenster runter und ließ frischen Fahrtwind ins Auto. Eine angenehme Kühle strich über ihr erhitztes Gesicht. Zu schade, dass die Party schon vorbei war.
Eigentlich konnte sie mit diesen stocksteifen Anzugträgern aus der Immobilienbranche nichts anfangen.
Aber Jannik hatte nicht zu viel versprochen. Die Leute von »Alster Immobilien« wussten, wie man Feste feierte. Zum Glück war sie mitgekommen.
Doch nicht nur die Gäste hatten Sophie überrascht. Sie selbst hatte sich von einer ganz neuen Seite kennengelernt. Normalerweise trank Sophie nur wenig, wenn überhaupt. Außerdem war sie schüchtern und bekam oft kein Wort heraus. Aber auf der Feier hatte sie ordentlich über die Stränge geschlagen und definitiv zu oft und zu tief ins Glas geschaut. Selbst Jannik hatte sie kaum wiedererkannt.
Sie blickte zu ihrem Mann, der am Steuer saß. Was war denn das? Sophie lachte.
Es sah aus, als hätte er plötzlich einen durchsichtigen Zwilling bekommen, der ihn von hinten umarmte. Oh ja, sie hatte eindeutig zu viel getrunken.
Sophie schüttelte vergnügt den Kopf, um das Doppelbild fortzuwischen. Anschließend warf sie einen Blick auf die Uhr des Autoradios, um ihre Sehschärfe zu testen. Aber sie musste die Augen zusammenkneifen, um überhaupt etwas zu erkennen. Wenn sie nicht irrte, war es kurz nach halb Eins. Dabei hatten sie ursprünglich nur bis Zweiundzwanzig Uhr bleiben wollen, weil Jannik morgen früh raus musste.
Im Gegensatz zu ihr, die sich als Künstlerin ihre Zeit frei einteilen konnte, war Jannik an Bürozeiten gebunden. Aber auch ihm hatte es so gut gefallen, dass sie schließlich länger als geplant geblieben waren.
Wer hätte auch ahnen können, dass Janniks knauseriger Chef eine solche Location auswählen würde? Das Motto des Abends war Klotzen, nicht Kleckern.
Er hatte eine alte Villa in Seevetal angemietet, einen Catering Service engagiert und sogar für die Unterhaltung durch einen Comedian gesorgt. Am besten hatte Sophie jedoch das Ambiente gefallen aufgrund seines historischen Charmes.
Sophie liebte alles Alte. Sie glaubte fest daran, dass alte Dinge Geschichten erzählten. Und was war spannender als das?
»Wir hätten … leimhich … heimlich … eine Flasche mitgehen lassen … sollen«, sagte sie und bemerkte, dass sie Schwierigkeiten mit der Aussprache hatte.
Jannik schmunzelte. »Du wirst noch zur Partylöwin.«
»Die Party…löwin … von Seevetal.«
Er grinste. »Freut mich, dass du so viel Spaß hattest. Da habe ich wohl nicht zu viel versprochen.«
»Absolut nicht. Ich will noch mehr Spaß!«
»Den kannst du haben.« Er zwinkerte ihr zu, schaltete das Radio ein und sang aus Leibeskräften zu I was made for lovin you, baby mit.
Dabei trommelten seine Hände im Rhythmus der Musik gegen das Lenkrad. Sophie musste lachen. Es klang einfach schrecklich. Jannik traf keinen einzigen Ton.
»Du kannst es auch nicht besser«, sagte er und lachte.
»Ach nein? Wollen wir doch mal sehen.« Sie stimmte mit ein. Aber er hatte völlig recht. Ihr Gesang glich dem Schrei einer Katze, der man versehentlich auf den Schwanz getreten war.
Jannik und Sophie schauten sich an und grinsten. Die Situation war zu komisch. »Pass auf, ich setz noch einen drauf«, sagte ihr Mann und trat plötzlich aufs Gas. Sophie wurde in ihren Sitz gedrückt.
»Wow, das ist … echt schnell.« Viel zu schnell! Und Jannik trat nur noch fester aufs Pedal.
»Das reicht …«, sagte Sophie. Das war nicht mehr spaßig.
»Hast du etwa Angst?« Er lachte. Aber diesmal nicht mit ihr, sondern über sie.
»Bitte, Jannik. Nicht so schnell.« Doch er hörte nicht auf sie.
Die Bäume am Straßenrand rauschten in atemberaubender Geschwindigkeit vorbei und verschwammen im Rückspiegel zu einer undefinierbaren Masse. Sophie krallte sich in ihrem Sitz fest. Ihr blieb buchstäblich die Luft weg.
Der Fahrtwind schrie in ihren Ohren. Gleich einer Warnung. Nur vor was? Ihr wurde schwarz vor Augen. Die Sequenz brach ab. Gleich einem Filmriss.
Es fühlte sich an, als würde Sophie in einen Abgrund stürzen. Ohne jeden Halt. Aber dann wurde sie aus dieser Tiefe plötzlich wieder emporgerissen, und sie war wieder da, als wäre nichts geschehen.
Gleich einem endlosen, dunklen Band tat sich die leere Landstraße vor ihr auf. Sie wirkte surreal. Es hätte Sophie nicht überrascht, wenn sie plötzlich Schlaufen gebildet hätte. Die Finsternis drohte alles zu verschlucken. Lediglich die Scheinwerfer des Wagens erhellten einen winzigen Teil der tiefschwarzen Nacht.
Und gerade als Sophie anfing, sich an die Geschwindigkeit zu gewöhnen, wurde ihr abermals schwarz vor Augen. Ein dunkler Kokon umschloss sie, hüllte sie ganz und gar ein. Die stickige Luft raubte ihr den Atem.
Sophie konnte nichts sehen, nichts hören, wohl aber spüren. Denn plötzlich trat Jannik abrupt auf die Bremse. Reifen quietschten, Sophie wurde nach vorne in den Gurt geschleudert, dann fest in ihren Sitz gedrückt. Der Ruck, der durch ihren Körper ging, zerriss den Kokon. Sie war wieder frei.
Etwas schlug vor ihr auf die Motorhaube auf. Was war das? Sophie schrie vor Schreck.
Die Wucht des Aufpralls erschütterte den Wagen. Ein Fahrrad flog ein Stück weit durch die Luft.
Sophie sah alles wie in Zeitlupe. Direkt vor ihr, an der Windschutzscheibe, blieb die Radfahrerin liegen. Sie starrte Sophie aus geweiteten Augen an. Sie waren starr vor Schreck und Angst.
Aber da war noch etwas mit diesen Augen. Etwas, das Sophie nicht sofort erfassen konnte. Sie konnte aber auch nicht den Blick von der Fremden abwenden. Ein Rinnsal frischen Blutes lief aus dem Mund der jungen Frau.
Eiskalt kroch das Entsetzen an Sophies Waden hoch, als ihr klar wurde, was mit diesen Augen nicht stimmte. Sie waren tot! Sophie schrie sich die Seele aus dem Leib.
Schweißgebadet schreckte Sophie hoch. Orientierungslos. Wo war sie? Was war geschehen? Ihr Herz raste ohne Unterlass. Wo war die Frau? War sie wirklich tot?
»Sophie! Was ist denn los?« Jannik griff nach ihrer Hand, hielt sie fest. Aber Sophie war nicht in der Lage, ihm zu erzählen, was geschehen war. Sie wusste es selbst nicht einmal. Allmählich realisierte sie, dass sie gar nicht im Auto saß, sondern in ihrem Ehebett lag.
»Es war nur ein Albtraum«, redete er sanft auf sie ein und streichelte ihre Schulter. »Alles ist gut, ich bin bei dir.«
Sophie schaute ihn an. Sie war froh, dass er bei ihr war. »Ich glaube, ich habe mich zum ersten Mal erinnert, Jannik. Ein wenig zumindest.«
Der furchtbare Unfall, bei dem ein Mensch ums Leben gekommen war, lag nun schon über ein Jahr zurück, und in Sophies Kopf herrschte seitdem Leere. Bis heute. Sophie hatte alles darüber in der Presse gelesen und wusste, was geschehen war. Dennoch fühlte es sich an, als wäre es lediglich die tragische Geschichte eines fremden Pärchens. Dabei war es die ihre.
»Du erinnerst dich?« Jannik schien es kaum zu glauben. »Es war ein Traum, Sophie. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Ich bin mir sicher, er hat etwas zu bedeuten. Alles fühlte sich so echt an. Und es war genau so, wie sie es vor Gericht geschildert hatten. So wie es in den Zeitungen stand. Zum ersten Mal hatte ich aber das Gefühl, wirklich dabei gewesen zu sein. Die Frau … sie lag … direkt vor mir.« Sie war den Tränen nahe. »Ich konnte sehen, wie das Leben aus ihren Augen wich.« Sophie konnte diese furchtbaren, starren Augen nicht vergessen.
»In einem Traum wirkt alles viel dramatischer als in Wirklichkeit.«
Es überraschte sie, dass Jannik die Sache so locker nahm. Zwar war es nicht allein seine Schuld, dass diese Nacht ein Opfer gefordert hatte. Ja, er hatte die Radfahrerin zu spät bemerkt. Aber das Gericht hatte auch festgestellt, das sie ohne Licht und auf der falschen Straßenseite unterwegs gewesen war. Daher war Jannik mit einem blauen Auge davongekommen. Eine Geldstrafe! Nicht einmal eine besonders hohe. Seitdem war die Angelegenheit für ihn erledigt, und er tat so, als ginge ihn das alles nichts mehr an. Manchmal kam Sophie dieser Mann wie ein Fremder vor.
»Du machst dich selbst krank. Manche Dinge sollen eben nicht ans Tageslicht.«
»Das sieht meine Therapeutin anders.«
»Ich habe von Anfang an gesagt, dass es keine gute Idee ist, eine Therapie zu beginnen. Dadurch kommt nur Unruhe in unser Leben.«
Sophie war anderer Meinung. Die Therapie war das Beste, was sie je gemacht hatte. Und dieser Traum war ein erster Fortschritt. Davon war Sophie fest überzeugt. Er führte sie an ihre verschütteten Erinnerungen heran. Aber auch das verstand Jannik nicht.
Enttäuscht drehte sie sich zur Seite und schob seinen Arm weg. Jannik stöhnte und drehte sich ebenfalls um. Das Bett wackelte unter seiner Bewegung. Er war gereizt. Offenbar ging es ihm auf die Nerven, dass Sophie noch immer nicht funktionierte. Ihre Gefühle hatten dicht gemacht. Dabei tat er gerade so, als hätte es nur einen Blechschaden gegeben.
Sina Meyering. So hieß das Opfer. Sophie erinnerte sich, dass ihr Name bei Gericht vorgelesen worden war und auch in der Presse gestanden hatte. Neben einem Foto der jungen Frau. Auch hatte Sophie die Angehörigen der jungen Frau gesehen. Ein älteres Paar – offenbar die Eltern. Ein junger Mann – vielleicht der Freund oder Verlobte. Oder auch nur der Bruder. Für die Angehörigen der Toten war das Urteil ein Schlag ins Gesicht gewesen. Unfall mit Todesfolge.
Sophie zitterte immer noch am ganzen Körper. Plötzlich wünschte sie sich, Jannik würde sich doch noch einmal zu ihr umdrehen, sie in den Arm nehmen und an sich drücken. Seine Nähe gab ihr Sicherheit. Meistens zumindest.
Sie hatte ein hartnäckiges Nähe-Distanz-Problem entwickelt. Für Jannik war das auch nicht gerade leicht. Sophie wünschte inständig, sie wäre damals nicht zur Betriebsfeier mitgekommen. Dann wäre Jannik früher nach Hause gefahren, und niemandem wäre etwas passiert.
»Du musst lernen, wieder zu leben«, murmelte er ins Kissen.
Ich versuche es ja, wollte sie ihn am liebsten anschreien. Aber Sophie sagte nichts.
Sie war es leid, sich dauernd rechtfertigen zu müssen. Immerzu zu erklären, was in ihr vorging. Die Unfallnacht hatte nicht nur ein Leben zerstört. Auch Sophie stand am Abgrund.
Die Praxis von Dr. Leonie Kern befand sich am Neuen Wall gegenüber von Tiffany & Co in der Hamburger Neustadt. Sophie liebte die Gasse mit all ihren interessanten Geschäften, insbesondere den Designer- und Luxusläden. Nicht, weil Sophie das pompöse Leben faszinierte, sondern weil sie sich für die Menschen interessierte, die es liebten.
Zu gern beobachtete sie diese feinen Leute. Es waren ganz unterschiedliche Menschen, die jedoch eines gemeinsam hatten. Ein dickes Portemonnaie. Nicht umsonst galt der Neue Wall als eine der teuersten Einkaufsstraßen Hamburgs.
Sophie betrat das Gebäude an der Ecke Poststraße und fuhr mit dem Lift in den zweiten Stock.
Das Vertrauen, das Sophie bei ihrem Ehemann fehlte, hatte sie umso stärker in ihre Therapeutin. Es war ein Glücksfall gewesen, dass Dr. Leonie Kern Sophie einen Therapieplatz anbieten konnte. Normalerweise gab es Wartelisten, und die Chance, zeitnah einen der begehrten Plätze zu ergattern, war äußerst gering. Dr. Kern hatte jedoch den Prozess um Jannik verfolgt und sich dann persönlich an Sophie gewandt. Freundlich hatte sie Sophie angesprochen und ihr gesagt, sie würde gerne helfen, da ihr während der Verhandlung aufgefallen sei, wie sehr Sophie alles belastete.
Insgeheim hatte Sophie angenommen, die Therapeutin hätte sie nur deshalb angesprochen, weil sie sich viel von ihrem Fall versprach und auf ein wenig Presseaufmerksamkeit hoffte. Schnell hatte Sophie jedoch gemerkt, dass Dr. Kern ein echter Glücksgriff war. Sie war trotz ihres jungen Alters nicht nur äußerst kompetent, sondern auch sehr einfühlsam.
»Guten Tag, Frau Herzog«, begrüßte sie Dr. Kern. Auf den ersten Blick wirkte die junge Frau nicht wie eine Therapeutin, überlegte Sophie, während sie ihr ins Sprechzimmer folgte und im Sessel für die Patienten Platz nahm.
Der Raum erschien ihr riesig. Unnötig groß, aber passend zum Neuen Wall. Vor allem war er spärlich eingerichtet. Designermöbel hatten eben ihren Preis.
Leonie Kern nahm ihr gegenüber Platz. Die junge Frau trug einen roten Pagenschnitt, und mehrere Ringe säumten ihr rechtes Ohr. Sie wirkte modern, aufgeschlossen. Sophie wusste nicht, wieso, aber das unkonventionelle Äußere der Therapeutin ließ sie noch mehr Vertrauen fassen. Dr. Kern strahlte Authentizität aus. Ganz im Gegensatz zu Jannik, der oft genug geradezu zugeknöpft erschien. Steif. Unnahbar. Erneut spürte sie einen Widerstand gegen ihn.
»Guten Tag«, sagte Sophie und schlug ein Bein über das andere. Obwohl sie schon seit sechs Monaten hierherkam und sich auf jeden Termin freute, war es immer noch ungewohnt, sich einer Fremden ganz zu öffnen. Auch wenn sie ihr vollkommen vertraute.
»Wie geht es Ihnen heute?«, erkundigte sich Dr. Kern und lächelte ihre Patientin aufmunternd an.
Sophie seufzte. »Ich hatte heute Nacht einen Albtraum. Ich glaube, ich habe die Unfallnacht noch einmal erlebt. Vieles ist mir noch unklar. Doch die Bilder lassen mich einfach nicht los.« Sophie hatte viele Sitzungen benötigt, um sich Dr. Kern überhaupt zu öffnen. Das Thema Unfall war erst in den letzten beiden Stunden aufgekommen, weil Sophie endlich bereit gewesen war, darüber zu sprechen.
»Das klingt nach einem Fortschritt.«
Genau so sah das Sophie auch. Wenngleich die Bilder schrecklich gewesen waren.
»Was ist genau passiert?«, hakte Dr. Kern nach.
»Ich konnte nur Fragmente sehen. Die Straße, die vorbeirauschenden Bäume. Den Moment des Aufpralls. Die toten Augen von …« Sophie schluckte. »… von Sina Meyering.«
»Das war der Name des Opfers, nicht wahr?«
Sophie nickte und kämpfte gegen die aufkeimenden Tränen an. Wie sollte sie jemals wieder ein unbefangenes Leben führen können?
»Ganz ruhig, nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen.« Die Therapeutin reichte ihr ein Taschentuch. Sophie schnäuzte sich.
»Es ging alles so schnell. Und ich hatte immer wieder das Gefühl, als wollte etwas in mir verhindern, dass ich zu viel sehe. Das klingt verrückt, oder? Immer wieder wurde ich aus der Szene herausgerissen. Ich konnte nichts dagegen tun.«
Dr. Kern nickte verständnisvoll. »Träume sind der Zugang zur Seele, Frau Herzog. Alles, was Sie nicht auszusprechen oder zu fühlen wagen, findet sich in Ihren Träumen wieder. Sie müssen Geduld mit sich haben.«
Sophie knüllte das Taschentuch in ihrer Hand zusammen. »Aber … ich bringe alle Geduld auf, die ich habe. Nur dieser Traum … er erscheint mir unvollständig. Als sollte ich bestimmte Sequenzen gar nicht sehen.«
»Weil die Erinnerungen zu schmerzhaft sind.«
»Ja … nein … ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Aber … in meinem Kopf ist seit dem Unfall so etwas wie … ein schwarzes Loch. Verstehen Sie? Ich versuche mich häufig an diese Nacht zu erinnern, doch bisher ohne Erfolg. Und dann stürzen die Bilder plötzlich auf mich ein.«