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Prickelnde Leidenschaft im Sog der Gefahr.
New York/Gegenwart: Als Security Guard riskiert Laura jeden Tag ihr Leben. Während eines Einsatzes lernt sie Julian kennen. Der reiche Unternehmer verdreht ihr sofort den Kopf. Doch Laura ahnt nicht, in welche Gefahr sie sich begibt, wenn sie sich auf diesen Mann einlässt. Denn Julian wird verdächtigt, in Verbindung mit dem Tod seiner Exfreundin Ireen zu stehen. Kurz vor ihrem Tod hat er herausgefunden, dass Ireen und sein bester Freund Tom eine Affäre hatten.
Nun wird Julian von einem Unbekannten bedroht, der sich scheinbar an ihm rächen will. Und Laura gerät in die Schusslinie ...
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Seitenzahl: 369
Veröffentlichungsjahr: 2017
New York/Gegenwart: Als Security Guard riskiert Laura jeden Tag ihr Leben. Während eines Einsatzes lernt sie Julian kennen. Der reiche Unternehmer verdreht ihr sofort den Kopf. Doch Laura ahnt nicht, in welche Gefahr sie sich begibt, wenn sie sich auf diesen Mann einlässt. Denn Julian wird verdächtigt, in Verbindung mit dem Tod seiner Exfreundin Ireen zu stehen. Kurz vor ihrem Tod hat er herausgefunden, dass Ireen und sein bester Freund Tom eine Affäre hatten.
Nun wird Julian von einem Unbekannten bedroht, der sich scheinbar an ihm rächen will. Und Laura gerät in die Schusslinie …
Caroline Jacobs, 1977 in Berlin geboren, absolvierte eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation und studierte Sozialarbeit. Unter dem Namen Kerstin Dirks veröffentlichte die Autorin zahlreiche erotische sowie historische und paranormale Geschichten. »Fear and Desire: Tödlicher Zweifel« ist ihr erster Romantic Thriller.
CAROLINE JACOBS
Tödlicher Zweifel
beHEARTBEAT
Digitale Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Heike Rosbach
Lektorat/Projektmanagement: Anna-Lena Meyhöfer
Covergestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Elovich | cla78 | MJTH
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-3940-6
www.be-ebooks.de
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Sanft strich die kühle Nachtluft über seine erhitzte Haut. Julian fuhr das Fenster weiter runter und atmete tief durch. Es roch nach Wald, obwohl nur wenige Bäume die Straße von New Jersey nach New York säumten. In den Duft mischte sich ihre süße Note. Er blickte in den Rückspiegel und sah sich selbst und Ireen. Sie saß hinter ihm, bemerkte jedoch seinen Blick nicht. Stattdessen schaute sie aus dem Fenster. Ihre Haut schimmerte hell im Licht des Mondes und wurde betont durch die dunklen Locken, die ihr zartes Kinn umschmiegten. Sie schien zu träumen. Er lächelte sanft, weil ihm klar wurde, wie sehr er diese Frau liebte.
»Ich fasse es nicht, Leute! Was für ein abgefuckter Scheiß! Hättet ihr gedacht, dass wir den Investor so schnell überzeugen? Ich meine, kommt schon, der Mann weiß offenbar, was gut ist. Und ich gebe ihm recht, unser Konzept ist der Hammer. Das habe ich immer gesagt! Apps sind die Zukunft. Keine albernen Spielereien, ich rede von dem nützlichen Zeug, versteht ihr? Und PAM ist nützlich! Scheiße, Mann, sie ist das heißeste Teil unter der Sonne.«
Julian schmunzelte. Tom, der auf dem Beifahrersitz saß, hatte eindeutig zu viel getrunken. Ein Wunder, dass er nicht lallte.
»Wenn das alles klappt«, fuhr Tom unbeirrt fort, »kommen wir groß raus. Das verspreche ich euch. Diese App wird uns reich machen.«
Große Pläne hatte Tom Brighton schon immer gehabt! Er war ein echtes Großmaul, aber auch ein guter Freund. In der Regel.
Tom war der Kreative unter ihnen, verlor manchmal die Bodenhaftung, während Julian der rationale Kopf des Projekts war und seinen abgehobenen Freund des Öfteren auf den Boden der Tatsachen zurückholen musste.
Tom Brighton setzte die Champagnerflasche an seine Lippen und nahm einen kräftigen Schluck.
Dann reichte er ihm die Flasche rüber, aber Julian winkte ab. Er musste sich auf die Straße konzentrieren. Wie viele Stunden hatten sie in der Villa in dem namenlosen Grenzstädtchen in New Jersey verbracht? Es kam ihm wie eine halbe Ewigkeit vor.
Julian war müde, hatte Kopfschmerzen, und das Gespräch mit Mike Santiago von Meta Electronics war mehr als anstrengend gewesen. So spielend hatten sie den Geschäftsmann nicht überzeugt, wie Tom es nun darstellte. Doch zumindest hatten sie letztlich die Zusage für eine finanzielle Förderung bekommen. Und das war ihr Ziel gewesen.
Jetzt konnte es losgehen! Ein lang gehegter Traum nach den Entbehrungen des Informatikstudiums. Was ihnen vorschwebte, war so einfach wie genial. PAM. Die perfekte digitale Sekretärin und Terminmanagerin. Sie würde auf Abruf bereitstehen, sogar – wenn gewünscht – eigenständig Termine ausmachen und verwalten. Optimal planen. Das klang alles wenig kompliziert, wenn man das nötige Know-how hatte. Aber mit Tom als Partner würde es trotzdem nicht einfach werden. Er schlug gern über die Stränge. PAM sollte nicht nur effektiv sein, sie sollte auch optisch etwas hermachen. Eine digitale Traumfrau. So zumindest stellte Tom sich das User-Interface vor.
Ihre Hand legte sich sacht auf Julians Schulter. »Ich bin sehr stolz auf euch«, flüsterte Ireen in sein Ohr. Julian blickte in den Rückspiegel, um ihr in die Augen zu sehen. Ireen war das Beste, was ihm je passiert war. Eine klassische Schönheit. Geduldig und zart. Sie war mitgekommen zu dem Termin, um sie moralisch zu unterstützen. Jetzt lächelte sie ihn sanft an. Das Rot ihrer sinnlichen Lippen hob sich verführerisch von ihrer makellos weißen Haut ab. Schneewittchen, dachte er verträumt. Ihre Liebe hatte wie im Märchen begonnen. Und auch jetzt lud ihr weicher Blick zum Träumen ein. Und doch schien sie irgendwie fern zu sein. In dem Moment blendeten ihn die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Wagens, der gefährlich schlenkerte, sodass Julian ausweichen musste. Alle drei hielten vor Schreck die Luft an.
»Scheiße, was war das denn?«, fragte Tom.
Julian riss sich zusammen. Er sollte mehr auf die Fahrbahn achten!
»Ich war nur abgelenkt, alles ist gut«, versicherte er atemlos. Er brauchte einen Moment, bis er sich beruhigt hatte. Doch wenn er in Ireens Augen sah, konnte er die Welt um sich herum vergessen. Im Freundeskreis bezeichnete man sie gern als »Traumpaar«. Die zierliche Ireen, die aus gutem Hause kam, und er, der bodenständige Erfolgstyp. Sie waren wie füreinander geschaffen. Passten so perfekt zueinander wie zwei Teile eines Puzzles. Nur manchmal – er schaute sie wieder im Rückspiegel an – war er sich nicht sicher, ob Ireen es genauso sah. In letzter Zeit hatte es öfter Streit gegeben, doch Julian hatte vor, es wiedergutzumachen. Er wusste, was er an ihr hatte. Tom war da ganz anders, wenn es um Frauen ging. Er blieb nie lange bei einer, war ein Playboy, kein Gentleman.
»Ireen, habe ich dir heute eigentlich schon gesagt, dass du bezaubernd aussiehst? Du bist wirklich … was Besonderes«, sagte Tom plötzlich. Ireen suchte irritiert Julians Blick. Zugleich glaubte er aber auch ein zartes Lächeln zu sehen, das ihren Mund umspielte, was wiederum Julian irritierte.
»Er hat zu viel getrunken«, entschuldigte er das Verhalten seines Freundes. Ireen nickte.
»Ich habe mich schon immer gefragt, warum du Julian den Vorzug gegeben hast.«
»Ach, Tom …« Ireen schüttelte den Kopf. »Nicht schon wieder.«
»Julian weiß nicht, wie man Spaß hat, Süße. Hättest dich besser mal für mich entschieden, als du noch die Chance hattest.« Tom reichte ihr den Champagner, aber Ireen lehnte ab.
»Lass das, Tom. Ich hatte schon genug, und du auch.«
»Na schön, dann nicht. Weißt halt nicht, was gut für dich ist.« Tom drehte das Radio lauter, es dröhnte schmerzhaft in den Ohren.
»Bist du verrückt?«, schrie Julian ihn an und regelte die Lautstärke runter.
»Verrückt? Vielleicht.« Tom verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber das würdest du in meiner Situation auch werden. Man kann nicht erst ein Feuer entfachen und es dann sich selbst überlassen. Das gibt einen Waldbrand. Das weiß doch jeder.«
»Ich kann dir nicht ganz folgen, Kumpel. Weißt du, was er meint?«
Ireen schüttelte den Kopf.
»Doch, sie weiß es«, beharrte Tom. »Aber so sind die Frauen, wechseln ihre Meinung wie ihre Unterwäsche.«
»Jetzt ist es gut, Tom, lass es.«
»Dass du das sagst, war mir klar, Ireen.«
»Würde mich jemand aufklären?«, bat Julian.
»Vergiss es einfach. Das ist etwas zwischen Ireen und mir.«
»Du sprichst von meiner Freundin, das geht mich wohl auch etwas an.«
Tom schloss die Augen. Aber seine Kiefermuskulatur war so angespannt, als würden die Fasern jeden Moment zerreißen.
»Er weiß nicht, was er sagt, Julian.«
Wie viel hatte Tom inzwischen getrunken? So verhielt er sich doch sonst nicht, selbst wenn er zu viel intus hatte. Irgendetwas schien ihn aufzuregen. Irgendetwas, das mit Ireen zu tun hatte. Irgendein Geheimnis, das die beiden verband.
Erneut suchte Julian ihren Blick im Rückspiegel. Ihre sinnlichen Lippen öffneten sich, bebten, als wollte sie Tom Paroli bieten. Aber dann überlegte sie es sich anscheinend anders. Wie gern hätte Julian diesen hinreißenden Mund geküsst.
»Es sind noch acht Meilen bis nach Manhattan, ich schlage vor, dass wir uns so lange zusammenreißen«, sagte Julian und schaltete das Radio ab.
»Jetzt streitet euch doch nicht. Schon gar nicht wegen mir«, mischte sich Ireen ein. »Das heute, das war euer großer Tag.«
»Sie hat recht«, stimmte Tom ihr nach kurzem Schmollen zu und drehte sich nach hinten um. »Tut mir leid, ich wollte dich nicht kränken, Ireen. Und schon gar nicht zu etwas drängen, das du nicht willst. Das weißt du. Ich bin einfach nur ein Großmaul …«
»Sag doch so etwas nicht, Tom.«
Wenn Tom genug getrunken hatte, fiel er rasch in eine aggressive Phase und danach in eine, in der er niedergeschlagen wirkte.
»Nein, es ist wahr. Ich hab das falsch verstanden. Tut mir leid. Ich beneide euch, ehrlich. Ihr seid toll. Alle beide. Und Julian hat Glück, eine Frau wie dich zu haben.«
Julian sah trotz der spärlichen Innenbeleuchtung, dass sich Ireens Wangen ein wenig röteten.
Sie drückte Toms Hand.
*
Ein Blitz zuckte über den Nachthimmel. Im nächsten Moment leuchtete etwas Grelles vor Julians Augen auf. Die Helligkeit schmerzte unerträglich. Rasch kniff er sie zusammen. Irgendetwas stimmte nicht. Er bewegte sich vorwärts, obwohl er seine Beine nicht spürte. Wo war er? Was war passiert? Er öffnete die Augen wieder einen Spalt. Das grelle Licht war fort. Man rollte ihn durch einen Gang. Vorsichtig blickte er sich um, aber er wusste nicht, wo er sich befand.
»Kreislauf stabil«, sagte eine unbekannte Stimme, und eine ebenso fremde Person beugte sich über ihn, doch Julian sah sie nur schemenhaft. Alles war in Aufruhr. Plötzlich erklangen überall Stimmen und Geräusche, die er zuvor gar nicht wahrgenommen hatte. Eine Hand berührte seine Stirn. »Er hat hohes Fieber.«
»Bringen wir ihn in den OP!«
»Das sieht nicht gut aus. Das Knie ist völlig verdreht.«
»Keine Frakturen, Glück im Unglück.«
»Wir müssen noch den Rücken röntgen.«
Wer waren all diese Leute? OP? Wovon war hier die Rede? Etwa von einem Operationssaal? Wie war er hierhergekommen? Und wo waren Tom und Ireen? Sie legten ihm eine Maske auf Nase und Mund, ehe Julian auch nur eine Frage stellen konnte. Und dann zerflossen die Farben vor seinen Augen …
*
Tom streichelte Ireens Hand. Das war befremdlich. Sehr befremdlich sogar. Und Ireen entzog sie ihm nicht.
»Lass deine Finger bei dir, Kumpel. Das ist mein Mädchen«, sagte Julian in bemüht lockerem Ton, um sich seine Irritation nicht anmerken zu lassen. Hatte sich Tom in Ireen verliebt? Die beiden waren doch wie Feuer und Wasser! Sie war eine zarte Blume. Ganz anders als die Mädchen, mit denen sich Tom sonst traf. Er hingegen war ein Rocker, der nichts anbrennen ließ. Wahrscheinlich bildete sich Julian das alles nur ein. Er war müde, der Tag war anstrengend gewesen. Und doch hatte sich Ireen in letzter Zeit seltsam verhalten. Sie war auf Distanz gegangen. Es hatte ihn verwundert, ja, sogar misstrauisch gemacht. Und es hatte seinen Kämpferinstinkt geweckt. Er wollte alles in Ordnung bringen.
Julian versuchte, sich auf den Verkehr zu konzentrieren. Aber die Tatsache, dass Ireen Tom erlaubt hatte, ihre Hand zu halten, machte es ihm nicht gerade leicht.
»Kannst du mal kurz anhalten?«, bat Tom plötzlich.
Julian fuhr an den Straßenrand, und Tom stieg aus, torkelte ins Gebüsch.
»Was hat er denn?« Auch Ireen stieg aus. Julian seufzte, schaltete den Motor aus und löste ebenfalls den Sicherheitsgurt. Dann folgte er Ireen.
»Es geht ihm nicht gut, wir müssen ihm helfen.« Sie wollte zu Tom, aber Julian hielt sie sanft am Arm zurück. »Er hat zu viel getrunken, das ist alles.«
»Er ist niedergeschlagen. Ich mache mir Sorgen.«
Julian drehte sie herum und nahm ihr zartes Gesicht in beide Hände. »Ich werde langsam eifersüchtig«, flüsterte er.
Ireen lächelte sanft. »Das brauchst du nicht.« Ihre verführerischen Lippen strahlten im Licht des Mondes in kräftigem Rot. Alles in ihm sehnte sich nach einem Kuss von ihr. Er schloss die Augen und näherte sich ihrem Mund. Schon konnte er ihren heißen Atem an seinen Lippen spüren. Doch ehe sich ihre Münder trafen, schlug ihm jemand kräftig auf die Schulter. Julian zischte auf.
»Okay! Wir können weiter!«, sagte Tom und schlenderte an ihnen vorbei, als wäre nichts geschehen.
Ireen löste sich von Julian. »Geht’s dir gut?«, fragte sie Tom.
»Ja, ja. Ist alles gut. Darf ich mich zu dir setzen? Mir ist noch immer etwas schwummerig«, meinte Tom, und Ireen nickte.
»Was ist mit dem Beifahrersitz nicht okay?«, wollte Julian wissen und unterdrückte die aufkeimende Wut.
»Julian, es ist alles gut«, versicherte ihm Ireen.
Also stellte er keine weiteren Fragen. Sie stiegen wieder ein und fuhren weiter.
Toms Stimmung wurde auch auf dem Rücksitz nicht unbedingt besser. Julian hatte seinen Freund schon öfter in dieser Situation erlebt. Aber Ireen kannte ihn nur als den Maulhelden, als den er sich selbst gern präsentierte. Seine scheinbar neue, verletztlichere Seite weckte anscheinend ihren Beschützerinstinkt. So störte es sie auf einmal nicht, dass Tom den Kopf an ihre Schulter lehnte.
Julian hatte damit ein Problem! Aber er sagte nichts. Er versuchte, sich zu entspannen. Doch das war nicht leicht. Er hatte da diese Ahnung. Irgendetwas war anders zwischen ihnen. Sie hatte nicht mehr über die Verlobung sprechen wollen. War anders aufgetreten. Distanzierter. Nein, jetzt wollte er nicht darüber nachdenken. Nicht an die letzten Nächte denken, in denen er wach gelegen und sich gefragt hatte, ob sie ihn überhaupt noch liebte. Er musste ihr vertrauen! Tom hingegen vertraute er nicht. Zumindest nicht, wenn es um Frauen ging. Immer wieder warf er einen Blick in den Rückspiegel. Aber es gab keinen Grund zur Beunruhigung. Sie wirkten nur wie jahrelange Freunde, obwohl sie das nicht waren.
Trotzdem störte es ihn, dass Ireen seinem Kumpel so viel Aufmerksamkeit schenkte. Erneut hielt sie seine Hand, hörte ihm zu. Julian fühlte sich, als wäre er für die beiden Luft. Als hätten sie längst vergessen, dass auch er in diesem Wagen saß.
Er schaltete das Radio wieder ein, um ihrer Unterhaltung nicht zuhören zu müssen. Da bemerkte er einen Wagen hinter ihnen und warf erneut einen Blick in den Rückspiegel. Der andere Fahrer setzte zum Überholen an. Aber das war nicht das, was Julian mit einem Schlag aus dem Gleichgewicht warf! Toms Hand lag auf ihrer Brust! Julian schüttelte den Kopf. Er musste sich täuschen!
Fast blieb ihm das Herz stehen. Eine grauenvoll lange Ewigkeit schien zu vergehen, in der nichts geschah. Sich nichts rührte. Niemand etwas sagte. Die Zeit stillstand. Er hörte nur das Blut in seinen Ohren rauschen. Und erst als ein stechender Schmerz sein Herz durchbohrte, kehrte er ins Hier und Jetzt zurück.
Julian sah Rot, verlor die Kontrolle! Über sich, über seinen Wagen. Im Rückspiegel sah er, dass Toms Hand nicht länger über ihr Dekolletee strich. Aber es war zu spät …
»Scheiße! Was machst du?«, schrie Tom, als der Chevy auf die gegenüberliegende Seite der Fahrbahn rollte. »Zieh rüber, Mann!«
In dem Moment sah Julian den Sportwagen, der aus der Kurve kam und auf ihn zuraste …
*
»Sie haben es geschafft.«
Julian öffnete die Augen. Ein Akt größter Kraftanstrengung. Es war hell draußen. Die Sonne blendete ihn. Eine Schwester lächelte ihn an. Sie gab etwas in den Tropf, an den er angeschlossen war.
Julian war noch immer im Krankenhaus. Doch wie er hierhergekommen oder was passiert war, daran konnte er sich nicht erinnern. Tom. Wo war Tom? Und wo Ireen? Der Sportwagen. Was war passiert?
Er versuchte zu sprechen, aber seine Stimme versagte. Kein Laut kam über seine Lippen. Er wollte sich aufrichten, doch ihm war, als hätte er überhaupt keine Kraft mehr. Schlimmer noch. Es schien, als würde ein Teil von ihm fehlen.
»Sie haben lange geschlafen! Wir mussten operieren. Ihr Knie und Ihren Rücken.«
Wovon sprach die Schwester nur?
»Es war kompliziert. Aber Sie hatten Glück.«
Dieses eigenartige Gefühl wurde immer stärker. Etwas stimmte nicht mit ihm! Etwas fehlte! Seine Beine! Himmel! Was war mit seinen Beinen? Er spürte sie nicht mehr. Adrenalin schoss ihm durch die Adern. Die verloren geglaubte Kraft kehrte zurück. Er riss die Decke runter.
Da lagen sie. Wie eh und je. Sie waren nicht amputiert. Aber warum … spürte er sie dann nicht? Er versuchte, sie zu bewegen. Mit aller Kraft. Aber sie reagierten nicht auf die Impulse. Als gehörten sie nicht mehr zu ihm.
»Was … ist mit … meinen Beinen?«, rief er in Panik und drückte sich mit den Armen ein Stück weit hoch. »Was haben Sie mit mir gemacht?«
»Ganz ruhig, beruhigen Sie sich«, sagte die Schwester und versuchte, ihn ins Bett zurückzudrücken. Er stieß sie weg.
»Sagen Sie mir, was passiert ist!«, brüllte er.
In dem Moment kam der Arzt herein. Er stellte keine Fragen, er handelte sofort. Julian konnte nichts sagen, sich nicht erklären. Man schätzte ihn offenbar als gefährlich ein, hörte ihm nicht zu und verabreichte ihm stattdessen eine Beruhigungsspritze. Das Zeug rauschte wie Gift durch seine Adern und wirkte schnell. Viel zu schnell.
Und während er langsam in Gleichgültigkeit versank, hörte er die Stimme der Schwester aus der Ferne.
»Er sagt, er spürt seine Beine nicht.«
»Das sind Folgen der OP. Wahrscheinlich drückt ein Hämatom auf einen Nerv an der Wirbelsäule. Wir werden das beobachten.«
»Es ist reversibel?«
»Ich gehe davon aus.«
»Wie wird er erst reagieren, wenn er erfährt, was mit den anderen beiden passiert ist? Vielleicht sagen wir es ihm besser nicht, solange er nicht stabiler ist?«
Sprach sie von Tom und Ireen?
Erneut schlug sein Herz schneller. Aber das Mittel, das sie ihm gegeben hatten, war zu stark. Sein Körper gab den Widerstand auf.
»Er wird es früher oder später sowieso erfahren. Es ist in allen Nachrichten, auf allen Kanälen. Zwei Tote und ein Schwerverletzter, das ist der Stoff, aus dem Schlagzeilen gemacht werden.«
Laura Osmond blickte zu dem riesigen Festzelt, das den Platz im Central Park dominierte, und zog einen Nikotinkaugummi aus der Verpackung. Verdammt! Das war bereits der dritte heute. Immerhin hatte sie schon drei Wochen durchgehalten, ohne einen Glimmstängel auch nur anzusehen.
Aber der Stress in ihrem Job verlangte ihr alles ab. Seit drei Jahren arbeitete sie für MacManics, eine private Sicherheitsfirma, die unter anderem Events wie dieses begleitete. Da war ihr Job beim LAPD der reinste Sommerurlaub gewesen. Zumindest bevor sie ins Morddezernat versetzt worden war. Ab da war es bergab gegangen.
Sie machte eine Blase, der Kaugummi zerplatzte mit einem Knall, der an den Schuss aus einer Pistole erinnerte. Laura zuckte unwillkürlich zusammen.
Heute war es zwar weniger stressig, als es bei ähnlich gelagerten Sportveranstaltungen üblicherweise der Fall war, dafür fühlte sie sich von den andrängenden Menschenmassen förmlich erschlagen. Zum Glück hatte man sie in einen ruhigeren Bereich eingeteilt. Hier war es weniger voll, aber nicht minder laut.
Was erwartete sie anderes? Dies war nicht irgendeine Spendengala unter freiem Himmel. Es handelte sich um eine der größten Charity-Veranstaltungen der letzten Jahre. »Show your Heart«. Ein Name, der an Kitsch kaum zu überbieten war. Aber die Leute liebten es offenbar. Anders war der Andrang nicht zu erklären.
»Show your Heart«. Sie zuckte mit den Schultern und betrachtete die Plakette an ihrem Security-Ausweis, der an einem dicken Band um ihren Hals hing. Nicht nur sie trug das Schmuckstück, ein knallrotes Herz, zur Schau.
Entsprechend liefen alle Zuschauer und Teilnehmer mit einem roten Plastikherz auf der Brust herum. Schon Wochen vorher hatte man die Pins erstehen können. Am Kiosk, in der Bar, überall wurden die Herzen verteilt.
Das Staraufgebot war nicht zu verachten. Aber Laura interessierte sich nicht für die Popsternchen, die auf der Bühne ohne Unterlass ihre Hits zum Besten gaben. Sie war hier, um für Ordnung zu sorgen. Wo die Schönen und Reichen auftraten, war damit zu rechnen, dass früher oder später etwas mächtig in die Hose ging. Dann waren Leute wie sie und ihre Kollegen gefragt.
Ihr Funkgerät rauschte. Daraus meldete sich eine Stimme. »Am Südeingang der Anlage hat es Krawall gegeben. Die Situation ist aber inzwischen unter Kontrolle. Das hier ist nur fürs Protokoll.«
»Verstanden«, sagte Laura und kaute auf ihrem Kaugummi herum.
Man hatte sie für den erweiterten VIP-Bereich eingeteilt. Hier war es in der Regel ruhig. Es sei denn, ein VIP hatte zu viel getrunken und zettelte eine Schlägerei an, in der Absicht, in die Schlagzeilen zu kommen. Aber für derartige Taktiken war es noch viel zu früh. Das sah man auch daran, dass noch längst nicht alle Celebs eingetroffen waren.
Das abgesperrte Gebiet hinter dem Festzelt war fast gänzlich verwaist. Überall standen leere Tische und natürlich das Buffet. Es roch zu gut, aber Laura war kein Gast. Sie musste professionell bleiben, auch wenn sie zu gern ein Stück vom Fingerfood gekostet hätte. Sagten das nicht alle? Wenn man mit dem Rauchen aufhörte, aß man umso mehr, um die Sucht zu stillen.
»Hätten Sie vielleicht Feuer für mich?«, fragte plötzlich jemand.
Laura drehte sich um. An einem der Tische in ihrer Nähe saß ein Mann, den sie zuvor nicht bemerkt hatte, und hob die Hand, in der er eine Zigarette hielt. Sie schätzte ihn auf Anfang vierzig. Die hellblauen Augen hatte er leicht zusammengekniffen. Die Sonne blendete ihn. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie, dass er im Rollstuhl saß.
»Klar doch … ich … hab Sie gar nicht gesehen«, sagte sie, ging die paar Schritte hinüber und hielt ihm ein Feuerzeug hin. Das hatte sie immer noch dabei, aus Gewohnheit.
»Vielen Dank.« Er beugte sich vor, die Zigarette nun im Mund, und zündete sie sich an. »Das ist heute leider schon die dritte«, erklärte er.
»Wie ich Sie beneide.«
Er nahm einen kräftigen Zug. »Ach ja?«
»Ich habe gerade aufgehört. Vor drei Wochen, um genau zu sein.« Sie hielt ihm ihre Kaugummipackung hin.
»Glückwunsch. Ich versuche es auch immer wieder.«
»Viel Glück.« Sie wollte sich abwenden und wieder ihrem Job nachgehen.
»Können Sie mir die empfehlen?«, fragte er. Sie drehte sich wieder um.
»Die Nikotinkaugummis?«
»Ja, sind die gut?«
Sie nickte. »Bisher schon. Aber es ist trotzdem hart.«
»Das glaube ich Ihnen.« Er lächelte sie mitfühlend an. Doch Laura brauchte kein Mitleid. Sie war hart im Nehmen. Ihr Job und ihr turbulentes Leben hatten dafür gesorgt. Sie schaute nachdenklich auf die Kaugummipackung. »No Smoke« stand drauf. Sie war entschlossen, es zu schaffen. Einmal im Leben wollte sie etwas richtig machen.
»Okay. Danke. Ich will Sie nicht weiter aufhalten.«
Die Stimme des Fremden schreckte sie aus ihren Gedanken. »Sie halten mich nicht auf. Das heißt, eigentlich doch.« Sie schmunzelte. Das Gespräch war nett, genau genommen war es ihr aber verboten, sich mit VIPs oder deren Hofstaat zu unterhalten. Zumindest aber sollten Gespräche, wenn sie sich nicht umgehen ließen, auf das Nötigste beschränkt werden.
»Sie haben sicher viel zu tun hier.«
»Im Moment ist es ruhig. Aber das kann sich jederzeit ändern. Jedenfalls in diesem Job.« Sie deutete auf ihr Security-Abzeichen, das sich auf ihrem Shirt an der Brusttasche befand. MM. Das stand für MacManics.
»Kein leichter Job, wie?«
»Nein. Besonders nicht an Tagen wie diesen. Wo viele Menschen sind, kommt es früher oder später zu Turbulenzen. Das zeigt die Erfahrung. Wenn auch noch getrunken wird, kann es schnell brenzlig werden. Aber vom üblichen Prozedere abgesehen, ist die Lage im VIP-Bereich, zum Glück, friedlich!«
»Da bin ich ja froh, dass ich bei Ihnen in guten Händen bin.«
Laura lachte. »Ich gebe mir Mühe. Jetzt muss ich aber zum Rundgang antreten, sonst zählt das hier als Pause, die ich eigentlich erst in ein paar Stunden machen wollte.«
»Und wenn das Ihre Pause wäre, nur rein hypothetisch, wie lange würde sie noch gehen?«
Laura lachte. Sie fand den Fremden zusehends sympathischer.
»Ein paar Minuten hätte ich dann noch, wieso?«
»Ich unterhalte mich gerne mit netten Menschen. Eine gute Ablenkung.« Er nickte zum Festzelt hinüber.
»Sind Sie einer der VIPs?« Sie musste zugeben, sie kannte ihn nicht. Zugang zu diesem Bereich hatten jedoch nur VIPs und deren Angestellte. Also musste er wohl das eine oder das andere sein.
»Ein VIP? Nicht wirklich.« Er schüttelte den Kopf.
»Dachte ich mir fast, Sie wirken nicht wie einer von denen.« Ganz im Gegenteil. Der Fremde war aufgeschlossen, hielt sich offensichtlich weder für den Nabel der Welt noch für etwas Besseres. Laura konnte solche Leute nicht leiden. Deswegen hatte sie es auch wenig erbaulich gefunden, dass man sie ausgerechnet für diesen Bereich eingeteilt hatte, wo die Reichen und Schönen ein und aus gingen. Der Fremde hingegen hatte etwas an sich, das Laura neugierig machte. Und es war nicht nur sein gutes Aussehen. Er wirkte echt, authentisch, irgendwie anders als die meisten, mit denen sie sonst zu tun hatte.
»Ach nein? Wie wirken ›die‹ denn?«
»Ich weiß nicht … abgehoben … jedenfalls würde kein VIP mit mir plaudern wollen.« Ganz zu schweigen davon, dass sie sich von den Gästen nicht ablenken lassen durfte. Sie hatte hier ihren Job zu machen. Doch es wäre wohl auch unhöflich, einen Mann im Rollstuhl zu ignorieren.
»Sie unterschätzen sich.«
»Ja, dazu neige ich manchmal. Aber schauen Sie mich an. Hier steht keine Lady.« Laura war so ziemlich das Gegenteil davon. Die Haare waren zu einem Zopf gebunden, auf Make-up hatte sie gänzlich verzichtet, weil es unpraktisch und zerfließende Mascara, die in die Augen tropfte, bei einer möglichen Verfolgungsjagd hinderlich war. Außerdem steckte sie nicht in einem edlen Kleid, sondern in ihrer Security-Uniform, die aus Cargohosen und einem Shirt bestand. Sowie natürlich der Ausrüstung, inklusive Waffe.
»Ihre Gesellschaft ist sehr angenehm. Und Ladys langweilen mich. Allerdings muss ich zugeben, die meisten Security-Leute hinterlassen bei mir eher ein … wie soll ich sagen … mulmiges Gefühl.«
»Ach ja?« Das war ja nicht unbedingt Sinn der Sache.
»Na, sehen Sie sich doch zum Beispiel mal Ihren Kollegen da drüben an. Bei dem Gesichtsausdruck bekommt man es doch mit der Angst zu tun.«
Sie betrachtete den bulligen Kerl, der gut zwanzig Meter entfernt patrouillierte und dasselbe Outfit wie sie trug. Laura konnte nicht umhin, ihrem Gesprächspartner recht zu geben. »Ja, da ist was dran. Man will ihm nicht im Dunkeln begegnen. Aber glauben Sie mir, John ist wirklich in Ordnung.«
»Das höre ich gern.« Er lachte. Es war ein männliches, ja sogar sinnliches Lachen. Ihr gefiel der Klang.
Sie fand die Begegnung immer interessanter. »Ich bin Laura«, sagte sie schließlich und hielt ihm die Hand hin, die er freundlich annahm und schüttelte. Ein No-Go. Aber was niemand mitbekam, fiel ja nicht weiter ins Gewicht, und John hatte sich gerade abgewandt.
»Julian«, sagte er und warf einen Blick auf seine glänzende Armbanduhr. Laura pfiff durch die Zähne. Die hatte sicher einiges gekostet.
»Wie schade, ich muss wieder zurück ins Zelt. Mein großer Auftritt, Sie verstehen?«
»Sie sind also doch ein VIP?«
Er winkte ab. »Ich fände es schön, Sie später noch einmal zu treffen, um unser erheiterndes Gespräch fortzusetzen. Wäre das möglich?«
Laura fühlte sich ein wenig überfahren. Doch auch ihr würde es gefallen, Julian wiederzusehen. Er war attraktiv. Das konnte sie nicht leugnen. Sehr attraktiv sogar. Die dunklen Haare, das schmale, dennoch markante Gesicht und diese gewisse Ausstrahlung verfehlten ihre Wirkung nicht. Außerdem machte er sie neugierig. Was hatte es mit seinem Auftritt auf sich?
»Klar doch, ich werde hier sein und drücke Ihnen beide Daumen, wenn Sie gleich da raufmüssen. Ich möchte nicht mit Ihnen tauschen.« Sie deutete zur Bühne.
Er lachte. »Danke, Laura. Es wird schon schiefgehen.«
Ein Mann in einem Anzug und mit dunkler Sonnenbrille näherte sich dem Tisch. Offenbar handelte es sich um Julians Bodyguard.
Laura wich ein paar Schritte zurück, weil sie nicht sicher war, wie diese scharfen Hunde reagierten. Sie wollte jedenfalls keinen Ärger mit diesem breitschultrigen Hünen haben.
Aber der hatte eine ganz andere Aufgabe. Er zog den Rollstuhl, in dem Julian saß, vom Tisch weg und brachte ihn zum Festzelt zurück. Laura sah ihm nach, bis er aus ihrem Blickfeld verschwunden war.
Was für eine eigenartige Begegnung! Und sie wusste immer noch nicht, wer Julian war. Doch er musste wohl eine nicht ganz unwichtige Persönlichkeit sein, wenn er sogar einen eigenen Bodyguard hatte. Von wegen kein VIP. Sie schmunzelte.
Ob er nachher tatsächlich noch mal zu ihr rauskam? Laura lachte leise und schüttelte den Kopf. Und wenn schon. Sie hatte dem männlichen Geschlecht abgeschworen. Nach all den gescheiterten Beziehungen, insbesondere der letzten, die sie immer noch nicht ganz verdaut hatte, obwohl sie schon zwei Jahre zurücklag, wollte sie sich auf das Drama einer neuen Partnerschaft nicht mehr einlassen. Sie genoss ihre Unabhängigkeit viel zu sehr. Unabhängig in finanziellen Dingen, in Liebesdingen, und schon bald auch unabhängig vom Zigarettenkonsum. Sie steckte die Kaugummipackung in die Hosentasche.
»Sieh an, sieh an, wen haben wir denn hier!« Ein eins neunzig großer Security-Mann kam mit einem breiten Grinsen auf sie zu. Laura traute ihren Augen kaum! Die blonden kurzen Haare, der breite Unterkiefer, die unübersehbaren Muskelberge an den Oberarmen … Ryan? Das war die Ironie des Schicksals, gerade hatte sie an ihn gedacht …
Aber was machte er hier? Ausgerechnet er! Ryan Craford war wirklich der letzte Mann, den sie hier sehen wollte. Er hatte ihr gerade noch gefehlt! Wo er war, war das Gefühlschaos nicht weit. Sie nahm den Kaugummi aus dem Mund, warf ihn in einen Mülleimer und wollte sich zu ihrer eigentlichen Wachposition zurückbegeben. Aber Ryan war schneller und holte sie ein.
»Wenn das nicht Laura Osmond ist.«
»Hallo Ryan. Das ist ja mal eine Überraschung! Was machst du denn in New York?« Er trug ein MacManics-T-Shirt. Die Zufälle hörten nicht auf.
»Mir wurde L.A. zu langweilig.«
»Und da hast du deinen Job gekündigt und bist auch zu MacManics gegangen?« Klang wirklich sehr glaubwürdig.
»So ist es, und jetzt bin ich kurzfristig für John eingesprungen. Hab erst vor zwanzig Minuten den Anruf erhalten. Und gerade eben war die Ablösung.«
»Verstehe.« Sie lief ein Stück weiter, doch Ryan folgte ihr über den Platz. Warum führte das Schicksal sie immer wieder zusammen? Er war einer der Gründe, warum sie das LAPD verlassen hatte! Zugegebenermaßen nicht der ausschlaggebende! Nur wegen Ryan hätte sie nicht alles hingeworfen. Viel zu viel war damals zusammengekommen, belastende Dinge, die sie psychisch fast in die Knie gezwungen hatten. Und nun tauchte Ryan hier, in New York, wieder auf und tat, als sei es das Normalste der Welt! Als hätten sie sich erst vor einer Woche zuletzt gesehen.
»Läufst du vor mir weg?«, fragte Ryan amüsiert. »Ich bin dir wohl doch nicht so egal, wie du immer behauptet hast.«
Laura hatte Ryan sehr geliebt. Aber das wollte sie nicht zugeben. »Du wirst nicht dafür bezahlt, Kaffeekränzchen mit mir zu halten. Seit wann bist du überhaupt bei MacManics?«
Das konnte noch nicht allzu lange sein, sonst hätte sie es doch mitbekommen. Sie selbst arbeitete immerhin schon seit einigen Jahren für das renommierte Sicherheitsunternehmen.
Er ignorierte die Frage. »Und du wirst nicht dafür bezahlt, die persönliche Gesellschafterin für Julian D’Arcy zu mimen.«
Laura hielt inne. Ryan hatte sie offenbar beobachtet. Das war also Julian D’Arcy gewesen? Der Name war ihr ein Begriff, sie hatte aber nicht gewusst, wie er aussah. Geschweige denn, dass er im Rollstuhl saß, obwohl dies gewiss inzwischen zur Allgemeinbildung gehörte. Schließlich war der Gründer von PAM Technologies nicht irgendwer. Alle Welt benutzte seine fantastische App PAM. Wenn Laura in die Menge der andrängenden Besucher blickte, hielt jeder Zweite ein Smartphone in der Hand. Von überallher drang jene digitale Stimme, die auch Laura hin und wieder an einen Termin erinnerte.
»Hallo Alex, Mary hat das Date auf Dienstag 20 Uhr verschoben.«
»Guten Tag, Penny, ich möchte dich an deinen Zahnarzttermin erinnern. Er ist morgen um 10 Uhr.«
»Hi Bill, du wolltest wissen, welche Partys heute Abend steigen? Hier ist eine Liste aller Veranstaltungen in deinem Umkreis.«
PAM gehörte zum täglichen Leben wie all die berühmten sozialen Netzwerke, die das Internet hervorgebracht hatte. PAM vereinbarte nicht nur selbstständig Termine, sie sagte einem, welcher Freund gerade in der Nähe war und Lust auf ein spontanes Treffen hatte, sie organisierte Alltag und Beruf. Ohne PAM ging nichts mehr.
Auch Laura hatte die App auf ihrem Smartphone. PAMs Gesicht kannte jeder, das von Mr. D’Arcy offenbar nicht.
»Ich hab gar nicht gewusst, dass er es ist«, rechtfertigte sie sich, während sich die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen. Julian D’Arcy wollte sich mit ihr treffen! DER Julian D’Arcy. Das war … doch total verrückt!
Wenn sie gleich gewusst hätte, wer er war, hätte sie niemals zugestimmt. Die Sache war viel zu heiß. Was wollte einer wie er von ihr? Er konnte doch gewiss jede haben! Wahrscheinlich wollte er wirklich nur mal mit einem Normalo plaudern. Und die unterschwellig sinnliche Magie, die Laura wahrgenommen hatte, war allein ihrer Einbildung geschuldet gewesen. So ergab es Sinn. Nur so.
Ryan lachte. »Wie viele Multimillionäre im Rollstuhl kennst du denn, die heute einen Scheck von über einer Million Dollar für wohltätige Zwecke und natürlich für die eigene PR überreichen wollen?«
Ihre Kehle wurde ganz trocken, weil ihr immer mehr bewusst wurde, worauf sie sich unwissentlich eingelassen hatte! Ein Treffen mit Julian kam nun natürlich nicht mehr infrage, völlig gleich ob er ein unterhaltsames Gespräch suchte oder anderweitige Interessen verfolgte. Das war gewiss auch nicht professionell und nach irgendeiner Verordnung gar verboten. Inzwischen hatten sie das Zelt halb umrundet, sodass sie einen Blick auf die Vorderseite der Bühne werfen konnten. Laura war längst nicht mehr in ihrem zugewiesenen Bereich, aber das war ihr im Augenblick egal. In ihrem Kopf herrschte Chaos. Und das lag nicht nur an Ryans Nähe.
In dem Moment entdeckte sie Julian auf der Bühne, wo er der Moderatorin den angekündigten, überdimensionalen symbolischen Scheck übergab. Laura fühlte sich, als hätte sie die Realität inzwischen hinter sich gelassen und wäre in einem Paralleluniversum gelandet.
»Diese Typen sind doch alle gleich«, meinte Ryan.
»Wie bitte?« Sie hatte ihm gar nicht richtig zugehört.
»Na, Kerle wie dieser aalglatte Multimillionär. Das sind Männer, die über Leichen gehen. Wenn es sein muss. Wie sonst sollten sie an ihr Vermögen kommen?«
Durch harte, ehrliche Arbeit vielleicht? »Wir haben ja gar keine Vorurteile, was?«
»Schon klar, dass du ihn verteidigst.«
»Er war sehr nett und aufgeschlossen. Keine Allüren oder dergleichen.«
»Machen wir uns nichts vor, Laura. Ein Mann wie der hat zwei Gesichter. Und das weißt du auch. Eines für die Öffentlichkeit und sein wahres Gesicht. Das, was er dir heute von sich gezeigt hat, war gewiss nicht seine private Seite.«
Da mochte was dran sein. Aber Laura hatte keine Lust, das Thema weiter mit Ryan zu erörtern. Es ging ihn nichts an! Und doch machte sie sein Verhalten stutzig.
»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, du bist eifersüchtig.«
Ryan blieb der Mund offen stehen. »Ich habe mich doch gerade verhört, nicht wahr?«
»Nö.«
Jetzt fing er schallend zu lachen an. Und zwar so laut, dass selbst die Zuschauer in den hintersten Reihen es hörten und sich empört zu ihnen umdrehten, was Ryans Selbstbewusstein in keinster Weise erschütterte.
»Wenn jemand nicht vom anderen loskommt, dann bist du es, liebste Laura.«
»Was?« Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Er war ihr nach New York nachgereist! Sie hatte mit dieser verqueren und völlig chaotischen Beziehung längst abgeschlossen gehabt! Und dann war er plötzlich wieder aufgetaucht. Einfach so stand er unerwartet vor ihr. Natürlich war er auch bei der gleichen Sicherheitsfirma angestellt wie sie. Alles Zufälle? Das glaubte er doch wohl selbst nicht!
Ryan mochte seine charmante Ader haben, aber das ging nun wirklich zu weit.
»Ich komme nicht von dir los?«
Ryan grinste sie frech an. »Das Schicksal führt uns immer wieder zusammen.«
»Weil du dafür sorgst. Ich bin als Erste nach New York gegangen.«
»Ich wusste ja gar nicht, dass du hier bist, Süße.«
»Ach nein?« Das konnte er seiner Großmutter erzählen. Es war offensichtlich, dass er Kontakt zu Sheila, ihrer Freundin aus Kalifornien, gesucht und sie nach ihrer neuen Adresse gefragt hatte. Anders war es nicht zu erklären, dass Ryan das MM-Shirt trug und live und in Farbe vor ihr stand, als wären sie nie getrennt gewesen. Es war offensichtlich, dass er es war, der wieder einen Platz in ihrem Leben wollte.
»Sei nicht so verkrampft. Wir waren doch ein tolles Team, oder nicht?«
»Bis du diese Tussi aus der Bar abgeschleppt hast.«
»Ja, das war ein Fehler. Ich hatte zu viel getrunken.«
»Was keine Entschuldigung ist.«
»Richtig. Trotzdem, findest du nicht, es war magisch zwischen uns?«
»Eher explosiv.« Und leidenschaftlich. Laura hatte zuvor nie einen wilderen Liebhaber gehabt. Aber nur weil er gut im Bett war, war das noch lange kein Grund, ihm alles zu vergeben.
»Was nicht das Schlechteste ist.«
Sie verdrehte die Augen.
»Jetzt mal ernsthaft, Laura, lass dir den Kopf nicht von hübschen Schnöseln verdrehen. Typen wie D’Arcy mögen ihren Reiz haben, aber sie gehen keine Beziehungen fürs Leben ein.«
»Wie kommst du darauf, dass ich ein irgendwie geartetes Interesse an ihm habe? Ich habe ihn gerade erst kennengelernt und vielleicht zehn Minuten mit ihm gesprochen.«
»Deine Augen leuchten.«
»Wie bitte?«
Ryan grinste. »Ja, das haben sie früher schon gemacht, wenn du mich angesehen hast. Ich kenne diesen Blick.«
Laura spürte, wie es in ihren Wangen zu prickeln begann. Und schließlich sogar zu glühen. Rasch rieb sie sich über ihre Bäckchen. »Das ist doch …«
»Völlig normal. Manchmal trifft man eben jemanden, der einen sofort in seinen Bann zieht. Aber man sollte dennoch aufpassen, wer dieser jemand wirklich ist.«
Laura blickte abermals zur Bühne. Auf der hinteren Leinwand war das Konterfei von PAM projiziert. Eine lächelnde Frau mit besten Proportionen, einem eigenartig kantigen, roboterhaften Gesicht und blauen Haaren. Jeder kannte sie, sie gehörte zu den populärsten virtuellen Figuren der letzten Zeit. Ihr Schöpfer saß in seinem Rollstuhl auf der Bühne, millionenschwer, vielleicht trotzdem oder gerade deswegen einsam. Jedenfalls hatte er vorhin keineswegs wie ein Snob gewirkt. Ryan hatte nicht ganz unrecht. Obwohl Laura nur ein paar Worte mit ihm gewechselt hatte, hatte er ihr Interesse geweckt. Und umgekehrt offenbar auch, schließlich wollte er sie wiedersehen.
»Ich kann schon auf mich aufpassen.«
»Das weiß ich doch. Und zur Not hast du ja auch noch mich.« Er zwinkerte ihr zu.
In dem Moment forderte ein Kollege Ryans Hilfe am Südeingang an, weil es dort wieder zu Krawallen gekommen war. Irgendwelche Teenager, die keine Karten bekommen hatten und trotzdem reinwollten.
»Bin gleich da«, sagte er in sein Funkgerät. »Bis später, Laura.«
Ryan verschwand. Laura sah ihm nach. Der junge Mann überragte fast alle Anwesenden um einen Kopf. Sein lässiger Gang und die breiten Schultern kündeten von Unbeirrbarkeit und Selbstbewusstsein. So hatte Laura ihn kennengelernt und so war er auch heute noch. What you see is what you get. Das traf auf Ryan zu.
Es verunsicherte sie, wie stark Ryan sie immer noch beeinflussen konnte. Nicht nur weil er charmant und verrückt war, sie sogar aus demselben Holz geschnitzt waren und sich ein verborgener Teil in ihr immer noch zu ihm hingezogen fühlte. Sondern vor allem weil er ihre Sicht auf Julian D’Arcy verändert hatte.
Julian gehörte zu den Menschen, für die Laura sonst arbeitete und für die sie, zugegebenermaßen, nicht viel übrig hatte. Aber das kurze Gespräch, der nette Plausch, hatte einiges geändert. Sie hatte Julian nett und interessant gefunden, war bereit, die Regeln ihres Arbeitgebers zu brechen, um sich mit ihm danach noch zu treffen.
Nun kamen ihr jedoch Zweifel, ob Ryans Sichtweise auf den Multimillionär nicht doch richtig war. War Julian ein Mann, dem man vertrauen konnte? Einer, der auch meinte, was er sagte? Oder war er ein Blender, der ihr nur sein öffentlichkeitswirksames Gesicht gezeigt hatte? In jedem Fall hatte Ryan in der Hinsicht recht, dass Laura sich irgendwie zu diesem Mr. D’Arcy hingezogen fühlte. Und das war diametral zu ihrem eigentlichen Interesse, nämlich Beziehungen aus dem Weg zu gehen.
Die Leute jubelten Julian D’Arcy zu, der den Applaus der Menge sichtlich genoss. Er war ganz anders als Ryan oder die Männer, die Laura sonst traf. Aber vielleicht machte diese Andersartigkeit für sie genau den Reiz aus.
Gut viereinhalb Stunden später ging die Charity-Veranstaltung »Show your Heart« zu Ende. Die Zuschauermassen hatten sich längst aufgelöst. Die meisten VIPs waren gefahren. Laura kam sich dumm vor, weil sie tatsächlich noch einmal hierhergekommen war und nun an dem Tisch saß, an dem zuvor Julian D’Arcy gesessen hatte. Doch von dem fehlte jede Spur.
»Hätte ich mir ja denken können«, murmelte sie. Er hatte sie vergessen. Ob mit oder ohne Absicht spielte keine Rolle.
Wie naiv war sie denn zu glauben, ein Multimillionär könne sich tatsächlich für eine einfache Frau wie sie interessieren, die noch dazu alles andere als ein Sinnbild der Weiblichkeit war? Ryan hatte wohl recht. Julian war ein aalglatter Geschäftsmann, der in der Öffentlichkeit freundlich tat, aber nie das sagte, was er wirklich meinte. So waren sie doch alle, die im Rampenlicht standen, oder? Sie machten ein freundliches Gesicht, um gut anzukommen. Wie es wirklich in ihnen aussah, das erfuhr man nicht.
Jemand trat an ihren Tisch. Laura hob den Kopf und starrte in zwei dunkle Augen. Julians Bodyguard stand vor ihr. Seine Hand wanderte unter sein Jackett. Es wirkte bedrohlich, erinnerte sie an die alten Zeiten beim LAPD. Instinktiv glitt ihre Hand zu ihrer Waffe. Aber statt einer Pistole zog der Mann nur ein Briefkuvert hervor. »Von Mr. D’Arcy für Sie«, erklärte er und ging – von ihrer Abwehrhaltung völlig unbeeindruckt.
Laura atmete auf. Es war erstaunlich, wie sehr sie noch Polizistin war. Überall witterte sie Gefahren, stets war sie angespannt, auf alles vorbereitet. Selbst in Momenten wie diesen. Aber war das verwunderlich, nach dem, was sie erlebt – was sie geprägt – hatte? Ungläubig starrte sie auf den Umschlag.
Julian hatte sie nicht vergessen! Rasch öffnete sie das Kuvert und las die Zeilen. Ihr Herz schlug schneller. Wie albern das war! Sie wusste ja noch gar nicht, was er geschrieben hatte. Er entschuldigte sich, dass er nicht gekommen war. Julian hatte offenbar noch zu einem anderen Termin gemusst, aber in dem Brief standen seine Nummer und die ID seines PAM-Accounts! Er hoffte, dass sie sich bei ihm meldete! Und dass sie sich näher kennenlernen würden!
Laura wusste nicht, was sie denken sollte. Sie war überwältigt. Wie ein Teenager. Sie schüttelte den Kopf über sich selbst. Sie verhielt sich wirklich albern. Aber etwas musste es ja bedeuten, wenn ein Brief solche Glücksgefühle in ihr auslöste, oder?
»Mr. D’Arcy, es ist mir eine Ehre!« Der junge Mann hielt ihm zitternd die Hand hin. Julian ignorierte die Nervosität, nahm die Hand an und schüttelte sie. Er war müde. Es war ein langer Tag gewesen, aber auch ein erfreulicher. Er dachte mit einem Lächeln an die niedliche Security-Lady.
Es war erfrischend gewesen, sich mit ihr unbefangen zu unterhalten. Und er hoffte inständig auf ein Wiedersehen.
Nun saß er hier, im Russian Tea Room, der durch die üppigen roten Ledersitze, deren gemütlich wirkende Polsterung er nie würde ausprobieren können, und die ebenso roten Kronleuchter bestach. Er hatte auf den jungen Reporter gewartet, der sich zu allem Überfluss verspätet hatte, nun mit käsebleichem Gesicht vor ihm stand und sich kaum zu rühren wagte. Als wäre Julian irgendeine Art allwissendes Wesen, dem es zu huldigen galt. Wie sehr er manchmal das normale Leben vermisste, das er vor dem großen Durchbruch geführt hatte.
»Setzen Sie sich, Marc«, sagte Julian sanft und deutete auf den ledernen Sitz zu seiner Rechten.
»Danke, Sir. Sehr gern. Und entschuldigen Sie bitte die Verspätung. Es herrschte Stau auf den Straßen.«
»Berufsverkehr? Um diese Uhrzeit?«
»Nun ja, Sie wissen, es ist New York. Das Taxi steckte einfach in den Straßen fest. Dieser zäh fließende Verkehr. Es ist manchmal schrecklich.«
»Schon gut, vergessen wir das einfach.«
Ein Kellner brachte dem Reporter die Speisekarte. Marc Winston hatte schnell gewählt. Champagner und Kaviar.
Julian bekam viele Anfragen für Interviews. Meistens hatte er nicht die Zeit, allen gerecht zu werden. Manchmal pickte er sich jedoch jemanden heraus, dem er ein exklusives Interview gab.
Das Los war diesmal auf Marc Winston gefallen, der sein Glück augenscheinlich zu schätzen wusste. Ein solches Interview, bei angenehmer Atmosphäre und Kostenübernahme durch die Zeitung, für die man arbeitete, war doch im Grunde fast wie Urlaub. Da konnte man schon mal Champagner bestellen …
»Es ist mir wirklich eine Ehre, Sir, wenn ich das so sagen darf.«
»Nennen Sie mich bitte Julian.«