Duncan Sisters - Ein Ring für Lady Prudence - Jane Feather - E-Book
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Duncan Sisters - Ein Ring für Lady Prudence E-Book

Jane Feather

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Beschreibung

Ein skandalöser Handel: Der romantische Historienroman »Duncan Sisters – Ein Ring für Lady Prudence« von Jane Feather jetzt als eBook bei venusbooks. London zur Jahrhundertwende: Die Ladies Constance, Prudence und Chastity sind leidenschaftliche Kämpferinnen für die Frauenrechte und stolze Autorinnen ihrer Zeitschrift »The Mayfair Lady«. Als sie erfahren, dass ebendiese von einem hochrangigen Adeligen wegen Verleumdung angezeigt wird, sind die drei Schwestern schockiert. Kurz entschlossen bittet Prudence den gutaussehenden Anwalt Sir Gideon Malvern um Hilfe – doch dieser verlangt ein astronomisches Honorar! Also bietet Prudence ihm einen Handel an: Im Gegenzug für seine Hilfe sucht sie für ihn die ideale Braut. Aber diese Aufgabe entpuppt sich als schwieriger als gedacht – denn der unverschämte Gentleman würde wohl am liebsten Prudence selbst einen Ring an den Finger stecken … »Jane Feathers turbulenter Liebesroman garantiert viel Vergnügen, prickelnde Leidenschaft und spannende Unterhaltung!« Publishers Weekly Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der historische Liebesroman »Duncan Sisters – Ein Ring für Lady Prudence« von Jane Feather ist der zweite Teil ihrer aufregenden Romance-Serie, in der drei selbstbewusste Schwestern der Londoner Männerwelt den Kopf verdrehen. Alle Bände können unabhängig voneinander gelesen werden und werden die Fans von Evie Dunmore begeistern. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 536

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Über dieses Buch:

London zur Jahrhundertwende: Die Ladies Constance, Prudence und Chastity sind leidenschaftliche Kämpferinnen für die Frauenrechte und stolze Autorinnen ihrer Zeitschrift »The Mayfair Lady«. Als sie erfahren, dass ebendiese von einem hochrangigen Adeligen wegen Verleumdung angezeigt wird, sind die drei Schwestern schockiert. Kurz entschlossen bittet Prudence den gutaussehenden Anwalt Sir Gideon Malvern um Hilfe – doch dieser verlangt ein astronomisches Honorar! Also bietet Prudence ihm einen Handel an: Im Gegenzug für seine Hilfe sucht sie für ihn die ideale Braut. Aber diese Aufgabe entpuppt sich als schwieriger als gedacht – denn der unverschämte Gentleman würde wohl am liebsten Prudence selbst einen Ring an den Finger stecken …

»Jane Feathers turbulenter Liebesroman garantiert viel Vergnügen, prickelnde Leidenschaft und spannende Unterhaltung!« Publishers Weekly

Über die Autorin:

Jane Feather ist in Kairo geboren, wuchs in Südengland auf und lebt derzeit mit ihrer Familie in Washington D.C. Sie studierte angewandte Sozialkunde und war als Psychologin tätig, bevor sie ihrer Leidenschaft für Bücher nachgab und zu schreiben begann. Ihre Bestseller verkaufen sich weltweit in Millionenhöhe.

Bei venusbooks erscheint ihre »Duncan Sisters«-Trilogie:

»Ein Kuss für Lady Constance – Band 1«

»Ein Ring für Lady Prudence – Band 2«

»Ein Gentleman für Lady Chastity – Band 3«

Außerdem veröffentlichte die Autorin ihre romantische Trilogie der »Regency Angels«:

»Die unwiderstehliche Spionin – Band 1«

»Die verführerische Diebin – Band 2«

»Die verlockende Betrügerin – Band 3«

Unter dem Titel »Regency Nobles« erschienen die Romane:

»Das Geheimnis des Earls – Band 1«

»Das Begehren des Lords – Band 2«

»Der Kuss des Lords – Band 3«

Weiter erschienen in der Reihe »Love Charms«:

»Die gestohlene Braut – Band 1«

»Die geliebte Feindin – Band 2«

»Die falsche Lady – Band 3«

Zu guter Letzt finden Sie bei venusbooks auch Jane Feathers Trilogie »Die Ladys vom Cavendish Square«:

»Das Verlangen des Viscounts – Band 1«

»Die Leidenschaft des Prinzen – Band 2«

»Das Begehren des Spions – Band 3«

***

eBook-Neuausgabe September 2022

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2004 unter dem Originaltitel »The Bride Hunt« bei Bantam Books, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Die perfekte Braut« bei Random House.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2004 by Jane Feather

Published by Arrangement with Shelagh Jane Feather

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2005 by Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2022 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-96898-209-0

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieses eBook gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Duncan Sisters 2« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

Besuchen Sie uns im Internet:

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Jane Feather

Duncan Sisters – Ein Ring für Lady Prudence

Roman

Aus dem Amerikanischen von Anke Koerten

venusbooks

Kapitel 1

»Hier, Miss Prue.« Mrs. Beedle nahm einen Stapel Briefe von einem der oberen Küchenborde. »Es sind recht viele heute. Der da sieht mir sehr dringend aus.« Sie zog einen länglichen, dicken Pergamentumschlag heraus und warf ganz unbefangen einen Blick auf die gedruckte Adresse des Absenders.

Prudence trank ihren Tee und versuchte gar nicht erst, ihre Gastgeberin zur Eile anzutreiben. Mrs. Beedle hatte ihr eigenes Tempo und ihre ganz persönliche Art, an die Dinge heranzugehen… fast so wie Jenkins, ihr Bruder, der im Haus am Manchester Square die Pflichten eines Butlers mit denen eines Vertrauten, Helfers und manchmal auch Komplizen der drei Duncan-Schwestern zu verbinden verstand.

»Gibt’s was Neues von Miss Con?«, erkundigte sich Mrs. Beedle, legte schließlich die Umschläge auf den blank geschrubbten Küchentisch und griff nach der Teekanne.

»Ach, gestern ist ein Telegramm gekommen. Momentan sind sie in Ägypten.« Prudence schob ihr die Tasse zum Nachgießen hin. »Unterwegs haben sie auch Rom und Paris einen Besuch abgestattet. Eine herrliche Reise.«

Das klang ein wenig wehmütig, denn die sechswöchigen Flitterwochen ihrer älteren Schwester verstrichen für die in London zurückgebliebene Prudence und ihre jüngere Schwester Chastity mit quälender Langsamkeit. Zu zweit kostete es viel mehr Mühe, mit spärlichen Mitteln den Haushalt zu führen und dafür zu sorgen, dass die eigensinnige Ahnungslosigkeit, die ihr Vater bezüglich der finanziellen Situation der Familie an den Tag legte, davon nicht berührt wurde. Wie oft waren Prudence und Chastity in Versuchung geraten, ihren Vater mit der Realität zu konfrontieren, mit den Umständen, die er durch eine mehr als gewagte Investition nach dem Tod seiner Gattin selbst verschuldet hatte. Eingedenk ihrer Mutter hatten sie weiterhin geschwiegen. Lady Duncan hätte den Seelenfrieden ihres Mannes um keinen Preis stören mögen, und ihre Töchter fühlten sich verpflichtet, ihrem Beispiel zu folgen.

Da zu diesem tagtäglichen Kampf noch die Mühsal hinzukam, die Zeitung The Mayfair Lady ohne Constances Erfahrung als Verlegerin alle vierzehn Tage herauszubringen und zudem den Kontaktservice zur Eheanbahnung erfolgreich zu betreiben, war es kein Wunder, dass sie und Chastity die Nächte traumlos durchschliefen ‒ so ging es Prudence jedenfalls durch den Kopf.

Die Türglocke des Ladens an der Vorderfront des Hauses klingelte, als jemand eintrat. Mrs. Beedle eilte, ihre makellose Schürze glatt streichend, geschäftig hinaus, um die Kundschaft zu bedienen. Prudence trank einen tiefen Schluck aus ihrer nachgefüllten Tasse und nahm sich ein zweites Stück Ingwerbrot. In der Küche hinter dem Laden war es warm und ruhig. Sie konnte Mrs. Beedles geschwätzig-muntere Stimme hören, außerdem die Stimme einer anderen Frau, die schrill und hoch über die erbärmliche Qualität der Lammkoteletts des Metzgers Klage führte.

Prudence streckte die Beine in Richtung Herd aus und seufzte, dankbar für die kurze Erholung von den Sorgen des Arbeitstages, während sie müßig die Umschläge durchsah, die an The Mayfair Lady adressiert und postlagernd an Mrs. Beedles Eckladen in Kensington geschickt worden waren; die Herausgeberinnen mussten nämlich ihre Anonymität um jeden Preis wahren.

Der dicke Pergamentumschlag fühlte sich unverkennbar offiziell an. Der gedruckte Absender in der oberen linken Ecke lautete FALSTAFF, HARLEY & GREENWOLD. Eine böse Vorahnung beschlich Prudence: Das sah nach einer Anwaltskanzlei aus. Sie griff nach dem Buttermesser, um den Umschlag aufzuschlitzen, legte es jedoch mit einem raschen, unbewussten Kopfschütteln wieder weg. Korrespondenz, die ihre geschäftlichen Belange betraf, öffneten die Schwestern einem unausgesprochenen Übereinkommen folgend immer gemeinsam. Und falls dieser Brief schlechte Nachrichten enthielt ‒ und Prudence bildete sich ein, dem Umschlag entströme ein übler Hauch ‒, wollte sie ihn auf keinen Fall alleine aufmachen.

Sie packte alle Briefe in ihre geräumige Handtasche und trank ihren Tee aus. Mrs. Beedle war noch immer mit ihrer Kundin beschäftigt, als Prudence durch den Laden ging und sich die Handschuhe anzog.

»Danke für den Tee, Mrs. Beedle.«

»Ach, ich freue mich immer, Sie zu sehen, Miss Prue.« Die Ladenbesitzerin strahlte sie an. »Und Miss Chas natürlich ebenso. Bringen Sie sie doch nächste Woche mit. Ich mache den Schmalzkuchen, den sie so gern mag.«

»Es wird ihr sehr Leid tun, dass sie den Ingwerkuchen verpasst hat, aber sie musste heute eine alte Freundin besuchen«, sagte Prudence lächelnd und nickte der Kundin höflich zu, die sie neugierig betrachtete. Eine Dame mit Mayfair-Akzent in einem eleganten Nachmittagskleid war in einem Eckladen in Kensington ungewöhnlich, zumal wenn diese Dame aus den rückwärtigen Räumlichkeiten auftauchte.

Prudence nahm ein Exemplar von The Mayfair Lady vom Zeitungsständer hinten im Laden. »Falls Sie Lesestoff suchen, Madam, wird Ihnen vielleicht diese Zeitung zusagen.« Sie reichte das Blatt der Frau, die in ihrer Überraschung danach griff.

»Tja, ich weiß nicht recht«, sagte sie. »Mayfair Lady… das klingt ein wenig hochgestochen für jemand wie mich.«

»Aber nein, keineswegs«, klärte Prudence sie freundlich auf. »Ich weiß, dass auch Mrs. Beedle zu den Leserinnen zählt.«

»Ja, hin und wieder«, bestätige Mrs. Beedle. »Schnuppern Sie doch einfach mal hinein, Mrs. Warner. Genau richtig für einen kalten Nachmittag, wenn man mit dem Strickzeug am Kamin sitzt.«

»Na, mir gibt das Lesen nicht so viel ab«, meinte Mrs. Warner noch immer zweifelnd. »Wie viel kostet die Zeitung denn?« Sie drehte und wendete das Blatt hin und her, als wüsste sie nicht recht, was sie damit anfangen sollte.

»Nur zwei Pence«, sage Prudence. »Sie würden staunen, wie viel Interessantes da drinsteht.«

»Tja, ich weiß nicht ... aber ich könnte ja.« Die Kundin verstummte, als sie aus ihrer Börse zwei Pence heraussuchte und sie auf den Ladentisch legte. »Ich will’s mal probieren.«

»Tun Sie das, ermunterte sie Mrs. Beedle. »Sollte das Blatt Ihnen nicht zusagen, bringen Sie es einfach zurück. Sie bekommen Ihr Geld wieder.«

Mrs. Warners Miene hellte sich sichtlich auf. »Das nenne ich ein faires Angebot, Mrs. Beedle.«

Prudence zog insgeheim eine Braue hoch. Wie sollten sie mit der Zeitung denn Geld verdienen, wenn die Leute sie »auf Probe« lasen? Doch das konnte sie Mrs. Beedle nicht sagen, denn sie meinte es ja schließlich gut. Sie trat also mit einem freundlichen Gruß aus dem Laden hinaus in den kühlen Nachmittag, der bereits in den Abend überging, obgleich es kaum halb fünf war. In diesem Jahr scheint sich der Herbst früher einzustellen, dachte sie, aber vielleicht kommt das ja nur durch den Gegensatz zu dem langen und ungewöhnlich heißen Sommer, der ihm vorangegangen war.

Sie eilte zu einer Omnibushaltestelle, in Gedanken wieder bei Constance und der ägyptischen Wüstenhitze. Mit manchen meint das Leben es gut, dachte sie, als der Omnibus Auspuffwolken ausstoßend stehen blieb. Nachdem sie eingestiegen war, bezahlte sie ihren Penny, setzte sich ans Fenster und sah die Straßen Londons vorüberziehen, während der Bus auf Wunsch der Fahrgäste anhielt und wieder weiterfuhr.

Sie fragte sich, wie Chastitys Nachmittag wohl verlaufen war. Ihre Schwester hatte keine alte Freundin besucht, wie Prudence Mrs. Beedle gegenüber behauptet hatte. Stattdessen hatte Chastity in ihrer Rolle als Tante Mabel Antworten auf drei Problembriefe von Rat suchenden Leserinnen verfasst, die in der nächsten Ausgabe der Zeitung abgedruckt werden sollten. Als Prudence aus dem Haus gegangen war, hatte Chastity am Federhalter kauend über die Tintenkleckse geklagt, die verkantete Federspitzen unweigerlich verursachten, wobei sie über einer diplomatischen Antwort für Verzweifelt in Chelsey brütete; die war der Meinung, ihre alternden Eltern hätten nicht das Recht, ihr Geld für leichtfertige Zwecke hinauszuwerfen, während ihre Tochter auf ihr Erbe wartete.

An der Oxford Street stieg Prudence aus und spazierte die Baker Street entlang in Richtung Portman Square. Sie erreichte den Manchester Square und lief mit geröteten Wangen die Stufen zur Nummer 10 hinauf. Jenkins öffnete, als sie gerade den Schlüssel ins Schloss steckte.

»Dachte ich mir’s doch, dass Sie es sind, Miss Prue, als ich den Schlüssel hörte.«

»Ich war bei Ihrer Schwester«, sagte sie und trat ein. »Sie lässt schön grüßen.«

»Hoffentlich ist sie wohlauf.«

»Sie macht mir ganz den Eindruck. Ist Chas oben?«

»Sie hat den gesamten Nachmittag über den Salon nicht verlassen.«

»Ach, die Arme. Hat sie schon ihren Tee getrunken?«

Jenkins schmunzelte. Chastitys Vorliebe für Süßes wurde in der Familie gern belächelt. »Von Mrs. Hudsons Schokoladenkuchen hat Miss Chas drei Stücke verdrückt. Das hat sie richtig aufgebaut, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Zuvor sah sie ein wenig spitz aus.«

»Und mit Tintenflecken übersät«, sagte Prudence lachend und eilte zur Treppe. Auf halbem Weg hielt sie inne und fragte über die Schulter: »Wissen Sie, ob Lord Duncan heute zu Hause speist?«

»Ich glaube nicht, Miss Prue. Mrs. Hudson hat für Sie und Miss Chas eine delikate Fleischpastete mit kaltem Lammfleisch vom Sonntagsbraten vorbereitet.«

Wenn man schon Reste essen muss, ist Lamm ungleich schmackhafter als Fisch, ging es Prudence durch den Kopf. Sie öffnete die Tür zum Salon, den sie sich mit ihren Schwestern seit dem Tod ihrer Mutter vor vier Jahren teilte. Es war ein gemütlicher, gern frequentierter Raum, ein wenig schäbig und verblichen und ziemlich unaufgeräumt. An diesem Nachmittag noch ärger als sonst. Inmitten von zerknüllten Bogen Papier, Beweisen ihrer frustrierenden literarischen Versuche, saß Chastity am Sekretär. Sie drehte sich um, als ihre Schwester eintrat.

»Ach, bin ich froh, dass du kommst! Jetzt kann ich damit Schluss machen.« Sie fuhr sich durch das gelockte rote Haar, das sich unter der Mühe des Textschreibens aus den Bändern gelöst hatte und ihr lose auf die Schultern fiel. Müde streckte sie sich und ließ die Schultern kreisen. »Ich hätte ja nie gedacht, dass mir mein Mitgefühl für diese geplagten Seelen abhanden kommen könnte, aber manche sind so kindisch und verwöhnt… Ach, warte. Ich muss dir was zeigen. Jenkins hat es vor einer halben Stunde gebracht.«

Ihr Ton hatte sich völlig verändert, als sie aufsprang und voller Energie ans Sideboard ging. »Sieh hier.« Sie schwenkte eine Zeitung. »Die Pall Mall Gazette. Con hat ja immer gesagt, dass es so weit kommen würde.«

»Was denn?« Ein Blick auf die erste Seite genügte, und Prudence wusste sofort, worum es ging. Sie stieß einen lautlosen Pfiff aus, als sie die Schlagzeile las: PEER IN SITTENSKANDAL VERWICKELT. Sie fing an zu lesen: »Der Earl of Barclay wurde in dem anonym erscheinenden Blättchen The Mayfair Lady beschuldigt, seine jungen weiblichen Hausangestellten zu missbrauchen und sie dann schwanger und mittellos auf die Straße zu setzen.«

Ihre Stimme wurde leiser, als sie für sich weiterlas, da Chastity den Artikel inzwischen ja sicher auswendig kannte. Am Ende angelangt, blickte sie auf. Ihre Schwester schaute sie erwartungsvoll an. »Die haben doch tatsächlich die von Con in diesem Artikel erwähnten Frauen interviewt.«

»Und jetzt sprechen sie auf ihre typische Art das Verdammungsurteil über den zügellosen Peer«, bemerkte Prudence. »Mit geradezu religiöser Inbrunst wird hier die Verurteilung seines schändlichen Verhaltens gefordert, während man die Leser mit skandalösen Details in wohlige Erregung versetzt.«

»Genau, was wir uns erhofft hatten«, sagte Chastity. »Und just vier Wochen nach Erscheinen des ersten Artikels in The Mayfair Lady. Damals wurde nur hinter vorgehaltener Hand hin und wieder geflüstert, und gelegentlich trafen Barclay böse Blicke sittenstrenger Damen der Gesellschaft. Sein Freundeskreis aber scherte sich keinen Deut darum, und er selbst ignorierte den Artikel anscheinend völlig. Ich dachte schon, es wäre inzwischen Gras darüber gewachsen. Aber wenn die breite Öffentlichkeit und die Klubs und Salons davon Wind bekommen, wird es für ihn ein echtes Spießrutenlaufen.«

»Ja.« Prudence gab ihr Recht, doch es hörte sich ein wenig unsicher an. Sie öffnete ihre Handtasche und zog den amtlich wirkenden Umschlag heraus. »Der war in der Post.«

»Was ist das?«

»Sieht aus, als käme es von einer Anwaltskanzlei.«

»Ach.« Chastity nahm den Umschlag und drehte ihn um, als könne sie intuitiv seinen Inhalt erkennen. »Ich glaube, wir müssen ihn öffnen.« Prudence reichte ihr ein Papiermesser, mit dem sie den Umschlag aufschnitt. Sie zog den dicht beschriebenen Bogen Büttenpapier heraus und fing an zu lesen, wobei Prudence ihr über die Schulter guckte.

»Ach, verdammt!«, stieß Prudence hervor, als sie fertig war. Trotz der schrecklichen juristischen Fachausdrücke war der Text nicht misszuverstehen.

»Warum verklagt Barclay uns ‒ oder vielmehr The Mayfair Lady ‒ wegen Verleumdung und nicht die Pall Mall Gazette?«, fragte Chastity verwundert. »Die ist doch viel schlagkräftiger als wir.«

»Die Gazette ist ja erst heute erschienen«, erwiderte Prudence finster. »Unsere Salve wurde schon vor einem Monat abgefeuert. Er hatte vier Wochen Zeit, um die Klage einzubringen. Hat er damit Erfolg, kann er auch gegen die Gazette vorgehen.«

»Also… was unternehmen wir?« Chastity nagte an ihrer Unterlippe, als sie den Brief noch einmal las. »Hier steht, dass die Anwälte für ihren Mandanten die höchstmögliche Entschädigung fordern. Was soll das heißen?«

»Keine Ahnung ... nichts Gutes, das steht fest.« Prudence versank in den Tiefen des Chesterfield-Sofas und streifte ihre Schuhe ab. »Wir brauchen jedenfalls Rat und Beistand.«

»Wir brauchen Con.« Ihre Schwester hockte sich auf die Armlehne des Sessels und kreuzte die Beine, wobei ein Knöchel unruhig gegen die Ecke des Sofatisches trommelte.

»Was wohl Max davon hält?«

»Seiner Karriere wird es sicherlich schaden, wenn bekannt wird, dass seine Frau den Originalartikel verfasst hat«, stellte Chastity düster fest.

»Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht bekannt wird… auch unseren Unternehmungen zuliebe, aber ich wüsste nicht, wie wir es vor Max geheim halten könnten.« Prudence nahm den Brief vom Tisch, auf den Chastity ihn hatte fallen lassen. »Ach, das hier unten habe ich übersehen. ›Zusätzlich zu den Verleumdungen die Beziehungen unseres Mandanten zu seinem Personal betreffend, fordern wir die Höchststrafe wegen zu Unrecht erhobener Vorwürfe bezüglich des Finanzgebarens unseres Mandanten.‹«

»Hat die Pall Mall Gazette unsere Andeutungen wiederholt?« Chastity griff nach der Zeitung. »Ich habe nämlich nichts gesehen.«

»Nein, vermutlich war man so klug, dieses Thema nicht aufzugreifen. Es gibt ja keine Beweise, zumindest keine, die wir vorlegen könnten. Trotzdem bin ich mir sicher, dass sie existieren, aber wir waren ja so darauf erpicht, Barclay festzunageln, dass wir es nicht so genau genommen haben«, seufzte Prudence. »Was für naive Idiotinnen wir doch sind.«

»Nein. Wir waren es, aber jetzt sind wir es nicht mehr, denke ich.«

»Tja, nun ist aber das Malheur schon passiert«, gab Prudence mit einem betrübten Lächeln zu bedenken. Als ein diskretes Klopfen ertönte, drehte sie sich zur Tür um.

»Möchten Sie den Sherry hier oben, Miss Prue? Oder gehen Sie heute noch in den Salon?«, fragte Jenkins.

»Nein, ich glaube nicht, dass wir heute für den Salon in Stimmung sind«, erwiderte Prudence. »Wir nehmen den Sherry hier und essen die Fleischpastete im kleinen Speisezimmer.«

»Ich dachte mir schon, dass Sie so entscheiden würden.« Jenkins trat ein und stellte das Tablett ab. »Wann soll Mrs. Hudson das Essen servieren?« Er schenkte zwei Gläser voll und reichte sie den beiden Frauen auf einem Silbertablett.

»Um acht, denke ich.« Prudence sah ihre Schwester fragend an, und diese nickte. »Ich glaube nicht, dass wir uns zum Dinner umkleiden. Und wir werden uns selbst bedienen. Sicher haben Sie heute noch Dringenderes vor.«

»Nach dem Auftragen des Essens habe ich frei«, bemerkte Jenkins vorwurfsvoll, verbeugte sich und schritt hinaus.

»Er geht doch nur ins Pub und gönnt sich einen Dämmerschoppen«, sagte Chastity und nippte an ihrem Sherry. »Dort ist doch erst gegen neun richtig was los.«

»Trotzdem halte ich das formvollendete Servieren einer Fleischpastete für unnötig«, bemerkte Prudence. »Warum essen wir nicht hier oben vor dem Kamin?«

»Weil Jenkins und Mrs. Hudson entsetzt wären«, erwiderte Chastity leise auflachend. Sie setzte ihr Glas ab und ging zum Kamin, um eine Schaufel Kohle nachzulegen. »Nur weil die Zeiten schwer sind, Miss Prue, ist das kein Grund, den Standard zu senken.« Sie imitierte die Haushälterin Mrs. Hudson so treffend, dass Prudence lachend applaudierte.

Doch dieser unbeschwerte Augenblick war auch schon verflogen, als Chastity fragte: »Wie finden wir einen Anwalt?«

»Ich glaube, wir sollten erst einen Rechtsbeistand suchen, der dann einen Verteidiger mit unserem Fall betraut. Ich bin sicher, dass dies die richtige Vorgehensweise ist«, erwiderte Prudence.

»Da bist du besser bewandert.« Chastity griff nach ihrem Glas. »Natürlich müsste Vater jemanden kennen. Meinst du, dass wir ihn aushorchen könnten?«

»Indem wir ihm ein paar beiläufige Fragen stellen?« Prudence beugte sich vor. Ihre hellgrünen Augen blickten scharf.

»Er wird zwei und zwei nicht zusammenzählen«, brachte Chastity vor.

»Nein, das nicht.« Prudence schürzte die Lippen. »Ich bezweifle nur, ob er jene Art Anwalt kennt, die wir suchen.«

»Jemanden, der nicht teuer ist«, äußerte Chastity das Offenkundige.

Prudence schüttelte den Kopf. »Diese Art Verteidiger ist immer kostspielig. Aber wir können es zumindest versuchen. Vielleicht gibt es ja einen Ausweg.«

Auf dem Gang tönte das Klappern ungeduldiger Schritte, und im nächsten Moment wurde die Tür nach einem höchst flüchtigen Anklopfen aufgerissen. Auf der Schwelle stand Sir Arthur Duncan mit wirrem Backenbart und mit ungewohnt roten Wangen. Er hielt seinen Hut an die gestreifte Weste gedrückt. »Unerhört«, stieß er hervor. »Diesen Schuft müsste man am nächsten Laternenpfahl aufknüpfen. Ach, wie ich sehe, habt ihr es gelesen.« Er deutete auf die Pall Mall Gazette. »Eine schändliche, widerwärtige Verleumdung! Wenn ein weibisches Tratschblatt dergleichen bringt, kümmert es keinen Menschen mit nur einer Spur Selbstachtung, was eine Gruppe hohlköpfiger Memmen zu sagen hat… aber wenn dieser salbungsvolle Moralprediger in der Gazette damit anfängt, fragt man sich, wohin das noch führen soll.«

Er ließ sich schwer in einen Ohrensessel am Kamin fallen. »Wenn das Sherry ist, möchte ich ein Glas, Prudence.«

»Es ist Sherry ... ja, natürlich, Vater.« Sie goss ein und brachte ihm das Glas. »Ist Lord Barclay sehr aufgebracht?«

»Aufgebracht«, dröhnte Seine Lordschaft. »Er ist außer sich!« Nachdem er das Gläschen in einem Zug geleert hatte, starrte er es finster an. »Das stillt ja nicht mal den Durst eines Schmetterlings.«

»Soll Jenkins dir einen Whisky bringen?«, fragte Chastity mit ihrer gewohnten Besorgnis.

»Nein… nicht nötig.« Er tupfte sich seinen Schnurrbart mit einem Taschentuch ab. »Gieß mir nur nach.« Er reichte ihr das Glas.

»Und was wird Lord Barclay in der Sache unternehmen?«, fragte Prudence. Sie beugte sich vor, um mit dem Schürhaken in den Kohlen zu stochern. »Er wird sich doch sicher Genugtuung verschaffen wollen.«

»Nun, zunächst wird er diese schändliche Mayfair Lady verklagen. Das Blatt ist erledigt, wenn Barclay und seine Anwälte mit ihm abgerechnet haben. Es wird finanziell am Ende sein, und die Herausgeber können von Glück sagen, wenn sie nicht hinter Gittern landen.«

»Ich könnte mir denken, dass sie sich die besten Rechtsbeistände leisten können«, sagte Chastity, die dem Earl das nachgefüllte Glas brachte.

»Natürlich, die besten, die man für Geld bekommt.«

»Gibt es denn in London viele Anwälte, die sich auf Verleumdungsklagen spezialisiert haben?«, fragte Prudence. »Wir kennen keine.«

»Kein Wunder, meine Liebe.« Er betrachtete seine mittlere Tochter mit einem wohlwollenden Lächeln. »Das soll nicht heißen, dass du und deine Schwestern es nicht mit den hellsten Köpfen aufnehmen könnt, aber diese Männer verkehren nicht in den Kreisen, die ihr Mädchen bevorzugt. Man trifft sie in Klubs an und nicht in Salons.«

Prudence sah ihn scheel an. »Hm, möchte wissen, ob das stimmt. Nenn uns die Namen der wirklich guten Anwälte, dann merken Chas und ich gleich, ob bei uns was klingelt.«

»Partyspielchen«, stieß er verächtlich hervor. Er schien sich in der beruhigenden Gesellschaft seiner Töchter und unter dem ebenso beruhigenden Einfluss des Sherrys ein wenig erholt zu haben; zumindest sein Gesicht war jetzt nämlich nicht mehr so rot. »Also, lass mich mal überlegen. Barclays Rechtsberater Falstaff, Harley & Greenwold haben den Kronanwalt Samuel Richardson mit dem Fall betraut. Na, lässt einer der Namen es bei dir klingeln?« Er bedachte seine Töchter mit einem selbstgefälligen Lächeln. »Ich wette, dass dem nicht so ist.«

»Nein, diese Anwälte kennen wir nicht«, sagte Prudence. »Und Samuel Richardson…« Sie schüttelte den Kopf. »Da kann ich auch nicht punkten. Nenn uns noch einen.«

Lord Duncan überlegte mit gerunzelter Stirn. »Malvern«, sagte er schließlich. »Sir Gideon Malvern, Kronanwalt. Der jüngste Kronanwalt seit zehn Jahren. Wurde für seine Dienste geadelt.« Er lachte plötzlich auf. »Ich glaube, er hat dem König einen großen Dienst erwiesen… ein Freund Seiner Majestät saß in der Tinte, das kennt man ja.« Er tippte sich bezeichnend an die Nase. »Malvern übernahm die Verteidigung… der Freund des Königs verließ duftend wie ein Rosengarten das Gericht. Aber ich wette, du hast auch von Malvern trotz seiner Beziehungen zum Königshaus noch nichts gehört. Er gilt als hellstes Licht unter den Advokaten. Der Mann ist viel zu beschäftigt, um sich unters Volk zu mischen.«

Er stellte sein Glas ab und erhob sich schwerfällig. »Ich muss mich umkleiden. Ich treffe mich mit Barclay im Rules zum Essen ‒ um meine Solidarität zu bezeugen. Man kann doch diesen. diesen.«, er schwenkte verächtlich die Hand, »… gehässigen Mist ... mehr ist es ja nicht. Also, man darf nicht zulassen, dass dieser Mist über ehrenhafte Männer obsiegt.« Er drückte seinen Töchtern einen väterlichen Kuss auf die Stirn und ging hinaus.

»Ehrenhafte Männer«, wiederholte Prudence voller Verachtung und füllte ihr Glas aus der Karaffe nach. »Vater ist doch nicht blind oder dumm. Was hat Barclay bloß an sich, das ihn so fesselt?«

»Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass der Earl bei Mutters Tod anwesend war«, sagte Chastity ins Feuer starrend. »Vater war verzweifelt und wir ebenso. Verzweifelt und erschöpft, nachdem wir sie in den letzten Monaten gepflegt hatten.«

Prudence nickte und verschränkte wie in einer unwillkürlichen Umarmung die Hände vor der Brust. Die letzten Tage ihrer Mutter waren qualvoll gewesen, und alles verfügbare Laudanum hatte ihre Pein nicht zu lindern vermocht. Ihr Mann, nicht imstande, die Leiden seiner Frau zu ertragen, hatte sich in seine Bibliothek zurückgezogen, wo ihm Lord Barclay Gesellschaft leistete, während Lord Duncans Töchter am Bett ihrer Mutter wachten. Für den Kummer ihres Vaters hatten sie keine Kraft mehr übrig ‒ noch viele Monate lang nicht, eine Zeit, in der Lord Barclay zum Vertrauten des Vaters geworden war.

Prudence ließ die Hände sinken und hob den Kopf. »Im Moment lässt sich das nicht ändern. Mal sehen, was wir über diesen Sir Gideon Malvern in Erfahrung bringen können.«

»Wenn er zum Kronanwalt ernannt wurde, muss er absolute Spitze sein«, sagte Chastity. »Man bedenke ‒ der jüngste Kronanwalt seit einem Jahrzehnt.«

»Wir brauchen eine neue Ausgabe von Who’s Who«, erklärte Prudence. »Zumindest eine, der wir entnehmen können, welcher Anwaltszunft er angehört. Das Exemplar in unserer Bibliothek ist längst überholt… vermutlich ist es erschienen, bevor er sein Studium beendet hatte. Morgen wollen wir zu Hatchard gehen und rasch unter ›M‹ nachschlagen.«

»Aber im Who’s Who finden wir keine Adresse.«

»Nein, aber wenn wir wissen, welcher Anwaltsvereinigung er angehört, können wir seine Kanzlei ausfindig machen. Sicher ist er so bedeutend und bekannt, dass er sein Büro irgendwo nicht weit vom Temple hat.«

»Aber wir können ihn nicht einfach in seiner Kanzlei aufsuchen«, wandte Chastity ein. »Ich dachte, wir müssten den üblichen Weg beschreiten und erst Rechtskonsulenten ermächtigen, ihn mit dem Fall zu betrauen.«

Prudence schüttelte den Kopf. »Wir haben nur eine Chance, ihn für unseren Fall zu gewinnen: wenn wir ihn praktisch überfallen … ihn überrumpeln. Lassen wir ihm nur einen Moment zum Überlegen, wird er uns auslachen und uns die Tür weisen.«

»›Grausam sei, kühn und entschlossen‹«, zitierte Chastity mit geballter Faust.

»›Und spotte lachend Männermacht‹«, fuhr ihre Schwester fort.

»Wenn es nur das wäre«, sagte Chastity und erhob sich. »Gleich am Morgen wollen wir zu Hatchard gehen.« Sie streckte sich müde. »Ich bin hungrig, und es ist fast acht. Wollen wir uns jetzt unsere Fleischpastete einverleiben?«

»Was Con jetzt wohl zum Dinner bekommen mag«, sagte Prudence sinnend, als sie mit ihrer Schwester die Treppe hinunterging.

»Ziegenaugen«, gab Chastity prompt zurück. »Ein Gericht, das angeblich die Beduinen in der Sahara verzehren.«

»Ach, ich kann mir Maxens Reaktion auf Ziegenaugen lebhaft vorstellen. Sie auch, Jenkins?« Prudence nahm in dem kleinen Speisezimmer Platz, das sie benutzten, wenn sie alleine waren.

»Meines Wissens, Miss Prue, gelten Schafaugen als Delikatesse. Ich glaube, die Tiere werden im Ganzen gebraten. Das Fleisch soll sehr saftig sein.« Jenkins stand mit der dampfenden Pastete neben ihr.

»Ich weiß nicht, ob in dem Fall zwischen Ziege und Schaf ein großer Unterschied besteht«, meinte Prudence und bediente sich. »Das duftet ja köstlich. Danke, Jenkins.«

Er ging um den Tisch herum zu Chastity. »Mrs. Hudson hat die Kartoffeln mit geriebenem Käse bestreut. Einfach delikat, wie Sie gleich feststellen werden.«

Chastity schnitt die knusprige Kruste durch, der Butler bot ihr Kohl in Butter an, ehe er die Weingläser füllte und sich unauffällig entfernte.

»Es schmeckt wirklich sehr gut«, sagte Prudence, nachdem sie eine Gabel voll gekostet hatte.

»Mrs. Hudson versteht es, aus dem wenigen, das ihr meist zur Verfügung steht, bemerkenswert gute Sachen zu machen«, sagte Chastity. »Konnten wir sie diesen Monat bezahlen?«

»Ja, schon. Ich musste zwar Mutters kleine Perlenohrgehänge versetzen, aber die können wir wieder auslösen, sobald wir die Spenden für wohltätige Zwecke von Lady Lucan und Lady Winthrop bekommen.«

»Eine ungewöhnliche Idee von Con«, meinte Chastity. »Das Honorar für unseren Vermittlungsservice als Spende für verarmte alte Jungfern zu deklarieren.«

»Sie ahnen ja nicht, dass sie ‒ oder besser gesagt ihre Sprösslinge ‒ unsere Vermittlung in Anspruch genommen haben«, rief Prudence ihr ins Gedächtnis und nahm sich noch vom Kohl. »Eine sehr nützliche Weise, um an unser Geld zu kommen. Wir sollten noch mehr Paare zu ihrem beiderseitigen Wohle zusammenführen.«

Chastity konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. »Zu ihrem eigenen Wohle. Wie altruistisch das klingt, obwohl wir doch nur auf ihr Geld aus sind.« Sie nahm einen Schluck Wein und verzog das Gesicht. »Ein dünnes und alles andere als wohlschmeckendes Getränk.«

»Ich weiß«, pflichtete Prudence mit wehmütigem Nicken bei. »Jenkins hat im hintersten Keller ein paar Flaschen Burgunder gefunden, die eindeutig steinalt sind. Wir dachten, wir sollten die trinken, die Mrs. Hudson nicht zum Kochen braucht.«

»Vater darf nichts davon wissen.«

Wieder nickte Prudence mit dem Kopf und trank einen Schluck. »Zum Essen ist er gar nicht so übel, aber ohne darf man ihn nicht trinken.«

»Also… wann bekommen wir diese Spenden von La Lucan und La Winthrop?«

»Sie haben versprochen, die Schecks bei unserem nächsten Besuchsnachmittag mitzubringen. Ich deutete an, je fünfzig Guineen wären angebracht«, gab Prudence befriedigt von sich.

Chastity erstickte fast an einer Gabel Kartoffeln. »Je fünfzig Guineen! Das ist unverschämt, Prue!«

»Auch Con war der Meinung, dass es zu viel ist, aber ich dachte mir, es wäre einen Versuch wert. Schließlich können die beiden es sich leisten«, erklärte ihre Schwester.

»Im Dezember soll die Hochzeit sein ‒ das größte und glanzvollste gesellschaftliche Ereignis des Jahres. Hester und David sind voneinander so in Anspruch genommen, dass einem Hören und Sehen vergeht. Und ihre Mütter sind selig. Wir haben allen einen großen Gefallen getan. Nicht zuletzt auch dir«, setzte sie lächelnd hinzu. »Wir haben immerhin David zu einer neuen Liebe verholfen.«

»Er wurde als Verehrer langsam schon lästig«, gestand Chastity. »Ach übrigens… sind außer dem Schreiben der Anwaltskanzlei noch andere Briefe gekommen?«

»Ein paar. Sie sind noch in meiner Tasche. Nach dem Essen können wir sie durchgehen.«

»Was es wohl als Nachtisch gibt?«, sagte Chastity sinnend.

»Apfelstreusel und Pudding, Miss Chas«, ließ Jenkins sich vernehmen, als er wie auf ein Stichwort hin im Salon erschien. »Mrs. Hudson lässt fragen, ob sie für den Besuchsnachmittag ihre Teekuchen machen soll.«

»Ach ja, bitte«, sagte Prudence. »Je süßer der Tee, desto besser, da wir beim nächsten Mal ja Geld bekommen sollen.«

»Sehr wohl, Miss Prue. Ich will es Mrs. Hudson ausrichten. Ich könnte mir denken, dass sie auch einen Schokoladenkuchen backt«, setzte Jenkins sachlich hinzu, als er abservierte. Die zweifelhaften Methoden der Duncan-Schwestern, Geld zu beschaffen, fanden durchaus seine Billigung.

Kapitel 2

Gleich als er aufmachte, betraten die Schwestern den am Piccadilly gelegenen Bücherladen mit den Erkerfenstern und strebten schnurstracks der Lexikonabteilung im rückwärtigen Teil zu, wo sie sofort das Gesuchte fanden. »Es wäre angebracht, eine Leihbücherei aufzusuchen«, meinte Chastity gedämpft. »Ein Buchgeschäft so zu benutzen ist in meinen Augen Betrug. Es würde sich gehören, dass wir das letzte Who’s Who kaufen.«

»Gewiss«, stimmte Prudence ihr zu. »Aber die nötigen fünf Guineen haben wir nicht, und wir müssen ja nur einen Eintrag nachsehen.« Sie blätterte aufmerksam weiter. »Ach, da ist ›M‹.« Sie fuhr mit dem Finger die Zeilen hinunter. »Maburn… Maddingly… Malvern. Hier. ›Sir Gideon Malvern. Kronanwalt. Mitglied des Middle Temple; Zulassung 1894; Ernennung zum Kronanwalt 1902; Schulen: Winchester, New College, Oxford…‹ Die Karriere war vorauszusehen.« Sie blickte auf. »Nun, mehr brauchen wir nicht.«

»Steht sonst nichts da? Nichts Persönliches?«, fragte Chastity und spähte ihrer Schwester über die Schulter. »Ach, sieh doch. Hier steht, dass er geschieden ist. ›Heirat mit Harriet Greenwood, Tochter von Lord Charles und Lady Greenwood 1896; Scheidung 1900. Eine Tochter, Sarah, geboren 1897.‹«

Sie blickte mit gerunzelter Stirn auf. »Geschieden ... wie ungewöhnlich.«

»Ja, sehr«, gab Prudence ihr Recht. »Aber das ist für uns ohne Belang. Wir wissen jetzt, wo wir ihn finden … zumindest seine Kanzlei. So, und jetzt gehen wir in die Middle Temple Lane und sehen uns ein paar Namensschilder an.« Sie klappte den Band behutsam zu und schob ihn ins Regal. Draußen drängelten sie sich durch die Kauflustigen, die den Piccadilly bevölkerten, bis sie eine leere Droschke fanden.

»Victoria Embankment, bitte!«, rief Prudence, als sie, gefolgt von Chastity, einstieg. »Jetzt geht es darum«, sagte Prudence stirnrunzelnd, »wie wir an diesen berühmten Herrn am besten herankommen. Hast du eine Idee, Chas?«

»Eigentlich nicht«, erwiderte ihre Schwester und rückte die Krempe ihres Strohhutes zurecht. »Zunächst müssen wir einen Termin bei ihm bekommen. Trifft man ihn nicht am ehesten bei Gericht an… im Old Bailey oder so? Das Bailey arbeitet jetzt doch schon, oder?«

»Es ist noch zu früh, glaube ich«, sagte Prudence vage. »Auch wenn er heute keinen Prozesstermin hat, ist er vermutlich bei Gericht. Wahrscheinlich kommen wir über seinen Kanzleivorsteher nicht hinaus, vorausgesetzt natürlich, man setzt uns nicht vor die Tür, bevor wir überhaupt noch den Mund aufmachen können.«

»Wir sehen doch anständig aus«, meinte Chastity.

Das stimmt allerdings, dachte Prudence. Ihr schlichtes Tweedkostüm und der schwarze Strohhut wirkten dezent und vermittelten den Eindruck von Ehrbarkeit. Chastitys Tageskleid aus dunkelbrauner Seide war ein wenig eleganter, ohne jedoch aufdringlich zu sein. Sie hatten erwogen, sich besonders schick zu machen und den Anwalt mit Eleganz und Weiblichkeit zu beeindrucken, entschieden sich dann aber für eine unauffälligere Aufmachung. Später, sobald sie wussten, mit welchem Typ Mann sie es zu tun hätten, konnten sie sich ja darauf einstellen.

Ein geschiedener Mann ‒ interessant. In ihren Kreisen waren Scheidungen ungewöhnlich, und die Beteiligten blieben ihr Leben lang mit einem Stigma behaftet. Frauen natürlich in höherem Maße als Männer, dachte sie spöttisch, wobei sie förmlich Constances Tiraden hörte, die ihre Schwester als glühende Verfechterin der Frauenemanzipation gegen diese Ungerechtigkeit schwang, und zwar gegen die juristische wie die alltägliche, verdecktere. Wer in diesem Fall wohl der schuldige Teil gewesen sein mochte? Sir Gideon oder seine Frau? Die Antwort auf diese Frage hätte es ihnen erleichtert, ihre Strategie im Umgang mit dem Verteidiger zu planen.

Die Droschke hielt am Victoria Embankment. Sie stiegen aus und verweilten kurz, um über die graue Themse nach South Bank zu blicken. Die Sonne kämpfte sich durch die Wolkendecke, ein paar schwache Strahlen fielen auf das dunkle, bewegte Wasser. Ein heftiger Windstoß riss herbstlich verfärbte Blätter von den Eichen in den Temple Gardens hinter ihnen und wirbelte sie durcheinander.

»Es ist zu kalt, um hier herumzustehen«, meinte Prudence. »Gehen wir rasch zur Middle Temple Lane. Du nimmst dir die eine Seite vor, ich die andere.«

Auf beiden Straßenseiten prangten Kupferschilder mit den Namen der Bewohner an den Türen der hohen, schmalen Häuser. Und hinter jedem Namen stand die Berufsbezeichnung Rechtsanwalt. Sir Gideon Malverns Name fand sich auf halber Höhe der Straße.

Prudence winkte Chastity zu, die sofort die Straße überquerte. »Hier.« Prudence deutete auf das Schild.

Chastity versuchte, den schimmernden Türknauf aus Messing zu bewegen, die Tür schwang auf und ließ das finstere Innere sehen, das kaum als Diele zu bezeichnen war. Eine Holztreppe führte direkt vor ihnen nach oben. Die Sonne hatte sich wieder versteckt, und durch das schmale Fenster in der Ecke des Treppenaufganges fiel auch unter günstigen Umständen nur wenig Licht, doch hatte jemand vorausblickend die Gaslampe im oberen Stock angezündet, sodass die uralten, wackligen Stufen nun schwach beleuchtet waren.

Die Schwestern wechselten einen Blick. Das blitzende Namensschild und der Türknauf an der Straße draußen straften das schäbige Innere Lügen. Prudence, die allerdings ein wenig über Juristen Bescheid wusste, war klar, dass man den Anwalt nicht nach dem Zustand seiner Kanzleiräume beurteilen durfte. Räume in den Inns of Court waren kostspielig und nur wenigen Auserwählten vorbehalten. Stolz und Tradition verhinderten, dass in diesen geheiligten Hallen moderne Annehmlichkeiten Einzug hielten.

»Mich wundert, dass es eine Gaslampe gibt«, murmelte sie. »Ich dachte, hier wäre man nicht über Öllaternen und Kerzen hinausgelangt.«

»Sollen wir hinaufgehen?«, fragte Chastity ebenso leise.

»Deshalb sind wir ja da.« Prudence hörte sich zuversichtlicher an, als ihr zumute war. Sie erklomm die erste Stufe, und Chastity ging hinter ihr, da man auf der engen Treppe nicht nebeneinander gehen konnte.

Die Tür am Ende der Treppe stand einen Spalt offen. Prudence klopfte an, gleich darauf noch einmal, doch diesmal beherzter. Eine brüchige Stimme bat sie einzutreten. Das kann unmöglich Sir Gideon Malvern sein, ging es ihr durch den Kopf. Von ihrem Vater wusste sie, dass er der jüngste Anwalt war, der seit vielen Jahren zum Kronanwalt ernannt worden war, außerdem fiel ihr wieder ein, dass im Who’s Who gestanden hatte, er sei vor zwölf Jahren als Anwalt zugelassen worden. Er kann nicht mehr als vierzig sein, rechnete sie nach. Sie trat ein und ließ die Tür offen, wobei ihr gar nicht auffiel, dass Chastity ihr nicht folgte.

»Madam?« Ein älterer Mann in abgetragenem Gehrock mit ausgefranstem Kragen blickte erstaunt hinter einem Schreibtisch auf, auf dem sich die Akten türmten. Er warf einen Blick auf die Uhr, die in diesem Moment elf schlug. »Was kann ich für Sie tun, Madam?« Er erhob sich von einem hohen Hocker und starrte sie im Licht der Gaslampe an.

»Ich würde gern Sir Gideon Malvern sprechen«, sagte Prudence, die interessiert den Blick schweifen ließ. Die Wände verschwanden hinter Bücherregalen, die unter dem Gewicht schwerer, in Leder gebundener Wälzer ächzten. An der Wand hinter dem Schreibtisch des Mannes war ein Telefon angebracht, ein teures Stück Modernität, das sie noch mehr in Erstaunen versetzte als die Gasbeleuchtung, so stark fiel dergleichen hier aus dem Rahmen. An einem Mantelständer neben der Tür hing die Berufskleidung des Anwalts, eine schwarze Robe und eine kunstvolle weiße Lockenperücke.

Der Kanzleichef schlug einen Terminkalender auf und blätterte bedächtig darin, den Blick auf die Eintragungen gerichtet. Erst nach einer wahren Ewigkeit sah er Prudence an. »Sir Gideon hat jetzt keinen Termin, Madam.«

»Weil ich keinen verabredet habe«, sagte Prudence mit einem Anflug von Ungeduld. Sie streifte die Handschuhe ab, eine Geste mit einer gewissen Symbolwirkung, wie ihr bewusst war. Der Mann trieb sein Spiel mit ihr. »Aber das wissen Sie sicher. Allerdings hätte ich gern einen Termin.«

»Sind Sie Anwältin, Madam?« Er starrte sie an, und sie sah, dass seine Augen viel schärfer blickten, als seine etwas wichtigtuerische Art vermuten ließ.

»Wohl kaum«, entgegnete sie. »Ich möchte, dass Sir Gideon mich in einer Verleumdungsklage vertritt… für ihn ein ebenso interessanter wie profitabler Fall.« Die letzte Bemerkung kam ihr glatt wie Öl über die Lippen.

Der Mann fasste sich ans Kinn und unterzog sie abermals einer stummen und enervierend langen Betrachtung. »Es ist zwar völlig unüblich, doch wenn Sie die den Fall betreffenden Unterlagen bei sich haben, will ich sie gern prüfen und dann entscheiden, ob Sir Gideon interessiert sein könnte«, sagte er schließlich und streckte die Hand aus.

»Treffen Sie die Entscheidungen für Sir Gideon?«, fragte Prudence unverändert gereizt. »Ich hätte gedacht, ein so renommierter Anwalt wäre dazu selbst in der Lage.«

»Ich lege Sir Gideon alle in Frage kommenden Fälle vor«, erklärte der Kanzleivorsteher.

Es stand unentschieden. Wenn sie sich jetzt umdrehte und ging, verspielte sie ihre Chancen vollends. Übergab sie ihm aber brav die Papiere, die sie in ihrer Tasche mit sich führte, hatte sie keine Garantie, dass diese nicht direkt in dem bereits überquellenden Papierkorb neben dem Schreibtisch landen würden. Deshalb blieb sie einfach stehen.

Der Mann fuhr fort, sie unverändert gewitzt durch seinen Kneifer zu mustern. Er wusste, dass sein Chef zu manchen Fällen eine ziemlich exzentrische Einstellung hatte. Oft nahm Sir Gideon einen Fall an, den Thadeus als Zeitvergeudung betrachtete, der Aufmerksamkeit seines Chefs nicht würdig. Brachte er aber seine Vorbehalte zum Ausdruck, erntete er ein achtloses Achselzucken und die Bemerkung, dass der menschliche Verstand zur Erhaltung seiner Funktionstüchtigkeit hin und wieder eine Herausforderung brauche.

Thadeus fragte sich, was Sir Gideon von der Besucherin halten würde. Unbestritten eine Dame, zudem eine mit beträchtlicher Willensstärke. Äußerlich nicht weiter auffallend, aber Sir Gideon mochte nichts Grelles, wenn man einmal von den exotischen Tänzerinnen absah, die er als Geliebte zu bevorzugen schien.

Prudence sah zu der geschlossenen Innentür hin, dann zu der Robe am Mantelständer. Hing seine Amtstracht da, befand sich der Verteidiger vermutlich nicht bei Gericht. »Hat Sir Gideon einen Gerichtstermin?«

»Nein, Madam, noch nicht.«

»Wann erwarten Sie ihn?«

»Sir Gideons persönliche Zeiteinteilung obliegt nicht meiner Obhut, Madam.«

»Ach so.« Was ihn heute aus dem Büro geführt hatte, hing demnach nicht mit seinem Beruf zusammen.

»Lassen Sie mir eine kurze Zusammenfassung da, Madam, und Sie können versichert sein, dass Sir Gideon den Fall prüfen wird«, sagte nun der Mann. »Andernfalls muss ich Sie bitten, mich zu entschuldigen. Auf mich wartet Arbeit.«

Es blieb ihr nichts anderes übrig. Prudence öffnete ihre Tasche und holte die Ausgabe von The Mayfair Lady hervor, in der der betreffende Artikel markiert war, sowie den Brief des Anwalts. »Das Verfahren betrifft diese Zeitung«, erklärte sie. »Wie Sie sehen, wurde der fragliche Artikel von mir gekennzeichnet.«

Der Kanzleivorstand nahm die Blätter entgegen. »Das soll die Zusammenfassung sein?«, fragte er und zog ungläubig die Brauen hoch.

»Nein, so würde ich das nicht sagen«, erwiderte Prudence. »Ich bin ja keine Anwältin, wie wir eben feststellten. Aber was Sir Gideon zum Verständnis der Situation braucht, steht hier drinnen.«

»Mit Ausnahme Ihres Namens, Madam.«

»Die Verleumdungsklage richtet sich gegen The Mayfair Lady. Sir Gideon benötigt nur diesen Namen.«

Thadeus sah sie an, die Andeutung eines Lächelns spielte um seine Lippen. »Sie kennen meinen Chef nicht. Sie können versichert sein, dass er sehr viel mehr braucht als nur das da.«

»Nun, wenn er sich entschließen sollte, den Fall zu übernehmen, soll er mehr bekommen«, erklärte Prudence brüsk. »Bis dahin bin ich unter dieser Adresse zu erreichen.« Sie reichte ihm einen zusammengefalteten Zettel.

Thadeus faltete ihn auf. »Mrs. Henry Franklin, Appartement A, Palace Court, Bayswater«, las er laut vor. Wieder sah er sie an, und sein Blick glitt zu ihren Fingern, die keine Ringe zierten. Diese Dame kam nicht aus Bayswater. Trotz ihrer schlichten Kleidung umgab sie das unverkennbare Flair von Mayfair.

»Eine an diese Adresse gerichtete Nachricht erreicht Sie?«

»Ich denke doch, das sagte ich eben.« Prudence zog mit raschen Bewegungen ihre Handschuhe an. »Ich erwarte bis zum Ende der Woche eine Nachricht von Sir Gideon. Seine Entscheidung wird rasch fallen. Der Fall ist ganz klar.«

»Verleumdung ist nie ganz klar, Madam«, erwiderte der Mann und deutete eine Verbeugung an. »Ich wünsche einen guten Morgen.«

»Guten Morgen.« Prudence, die sich zur Tür umdrehte, gewahrte nun, dass Chastity nicht hinter ihr stand. Sie ging hinaus auf den Treppenabsatz und zog die Tür hinter sich zu. Erst jetzt sah sie ihre Schwester, die im Dunkel hinter der Tür gestanden hatte. »Chastity, warum bist du denn nicht mitgekommen?«, flüsterte sie.

»Mir kam es drinnen so überfüllt vor«, erklärte Chastity. »Ich hielt es für besser, hier draußen zu bleiben. Hat es dich gestört?«

»Nein. Ehrlich gesagt, es ist mir gar nicht aufgefallen«, sagte Prudence noch immer ganz leise, als sie die Treppe hinuntergingen. »Hattest du nicht auch den Eindruck, dass der Kerl störrisch ist?«

»Ja, aber du hast dich glänzend behauptet. Er hält sich offensichtlich für den Zerberus, der die Türe seines Chefs bewacht.«

Prudence lachte auf und schüttelte den Kopf. »Ich hoffe nur, dass er die Unterlagen seinem Chef zeigt.« Sie legte die Hand auf den Griff der Haustür und sprach dabei über ihre Schulter. Da wurde die Tür so plötzlich geöffnet, dass sie fast beiseite gestoßen wurde. Sie taumelte rücklings, noch immer die Klinke umfassend.

»Ach, Verzeihung, ich wusste nicht, dass auf der anderen Seite jemand steht.« Eine Männerstimme, wohlklingend und ungewöhnlich ruhig, tönte über ihr.

Sie blickte zum Sprecher auf, momentan zu erschrocken für eine Antwort. Im schwachen Licht des schmalen Ganges konnte man kaum etwas unterscheiden, doch glaubte sie, graue Augen zu erkennen. »Sir Gideon Malvern?«, fragte sie direkt. »Zu Ihren Diensten, Madam.« In der höflichen Antwort schwang ein fragender Ton mit. Die grauen Augen blickten von ihr zu Chastity, die noch immer auf der untersten Stufe stand.

»The Mayfair Lady«, sagte Prudence und streckte ihre Hand aus. »Ihr Kanzleivorsteher wird Ihnen alles erklären.«

»Nun…« Er nahm ihre Hand mit festem, zupackendem Griff. »Das macht mich neugierig.« Dann ließ er ihre Hand los und warf einen Blick auf die Taschenuhr, die aus seiner Westentasche baumelte. »Ich würde Sie gern bitten, mir alles selbst zu erklären, doch muss ich leider in einer halben Stunde bei Gericht sein.«

»Ihr Mitarbeiter weiß, wie wir zu erreichen sind«, sagte Prudence mit dem Anflug eines Lächelns. »Guten Morgen, Sir Gideon.«

»Guten Morgen, Madam.« Er verbeugte sich und trat zur Seite, damit sie hinaus auf die Straße gehen konnte. Als Chastity die letzte Stufe hinter sich brachte, lächelte er ihr ebenso fragend zu. »Zwei Mayfair-Damen?«

Chastity murmelte nur mit einem Neigen des Kopfes »guten Morgen« und folgte ihrer Schwester auf die Straße. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss.

»Damit ist zumindest gewährleistet, dass der sture Büromensch die Papiere nicht zurückhält«, sagte Prudence mit einem Blick auf die geschlossene Tür und tippte mit einem behandschuhten Zeigefinger auf ihre Lippen. »Sir Gideon sagte, seine Neugierde sei geweckt, deshalb wird er fragen, was wir wollten. Sein Mitarbeiter kann nicht bestreiten, dass wir da waren.«

»Nein. Das war gute Arbeit heute Morgen. Ich wüsste nicht, was wir noch tun könnten, bis wir von ihm hören.«

»Wir haben uns eine Tasse Kaffee bei Fortnum verdient«, konstatierte ihre Schwester.

»Eine gute Idee, Amelias und Henrys Adresse zu benutzen«, sagte Chastity, als sie in Richtung Chancery Lane spazierten. »Kein Mensch wird je die Franklins mit den Duncans vom Manchester Square in Verbindung bringen.«

»Falls der Verteidiger nicht einen Privatdetektiv engagiert. Er könnte im Nu auf die Verbindung zwischen Max und Henry stoßen. Sekretäre von Politikern lassen sich leicht ausfindig machen.« Amelia Westcott und Henry Franklin waren die ersten offiziellen Klienten des Kontaktservice gewesen. Als glückliches Ehepaar, das sein erstes Kind erwartete, waren sie mit den Duncan-Schwestern noch immer in Kontakt, nicht zuletzt, weil Henry als Sekretär von Constances Mann im Unterhaus tätig war.

»Die Mühe macht er sich bestimmt nicht«, wandte Chastity ein. »Wenn er den Fall übernimmt, wird er alles Nötige von uns erfragen. Wenn nicht, wird er doch nicht Aufwand und Unkosten in Kauf nehmen, um uns auszuspionieren.«

»Das stimmt«, pflichtete Prudence ihr bei. Dennoch war ihr nicht ganz wohl zumute. Obwohl es nur eine flüchtige Begegnung gewesen war ‒ eine sehr angenehme obendrein ‒, fand sie die grauen Augen beunruhigend, ohne dass sie den Grund hätte nennen können.

Sir Gideon Malvern betrat sein Büro und begrüßte seinen Mitarbeiter wie gewohnt. »Kaffee, Thadeus, und zwar möglichst stark.«

»Das Wasser ist schon heiß, Sir Gideon. Sicher verlief Ihre Besprechung in der Schule von Miss Sarah zu Ihrer Zufriedenheit.« Der Mann war aufgestanden und machte sich mit dem Wasser auf dem Spirituskocher zu schaffen.

»Ja, Sarahs Schulleiterin hatte nur Gutes zu berichten«, erwiderte Gideon.

»Kein Wunder, Sir. Miss Sarah ist blitzgescheit.«

»Und ihr Verstand messerscharf.« Gideon lachte stolz und liebevoll. Er nahm Handschuhe und Hut ab und legte sie auf die Bank an der Tür. »Also, berichten Sie mir über die beiden Besucherinnen.«

Thadeus goss kochendes Wasser in einen Kupferkrug, ehe er etwas sagte. Dann richtete er sich mit dem Krug in der Hand langsam auf. »Besucherinnen, Sir? Ich habe nur eine gesehen.«

»Aber sie waren zu zweit.« Gideon betrat sein Büro. ›Mayfair Ladys‹, so nannten sie sich. Unter anderen Umständen hätte ich sie für zwei Madames gehalten, die Geschäfte anbahnen wollen.« Er trat hinter den massiven Eichentisch, der als Schreibtisch diente, setzte sich aber nicht.

Thadeus gestattete sich ein missbilligendes Stirnrunzeln, als er Kaffee und Tasse auf den Tisch stellte. »Die eine, die ich gesehen habe, war überaus ehrbar.«

»Wie langweilig.« Gideon goss Kaffee ein und sog das Aroma mit einem wohligen Seufzen ein. »Ich konnte sie in der Dunkelheit da unten nicht deutlich erkennen. Wir sollten eine zweite Gaslampe im Treppenhaus anbringen lassen.«

»Wir haben ausreichend Gaslicht, Sir«, gab der Bedienstete zurückhaltend von sich. »Aber ich würde eine zusätzliche Ölbeleuchtung am Haken neben der Tür vorschlagen.«

»Nein, nein, lassen Sie alles, wie es ist«, wehrte der Verteidiger mit einer wegwerfenden Geste ab. »Also, setzen Sie mich ins Bild.«

Thadeus ging ins Vorzimmer und kam mit den Papieren wieder, die Prudence hinterlassen hatte. »Es geht um eine Verleumdungsklage, Sir. Die Dame verzichtet auf einen Rechtsbeistand, da sie Ihnen den Sachverhalt selbst darlegen möchte.«

»Ach, etwas ganz Neues. Und gar nicht langweilig. Wie das Äußere doch täuschen kann…« Gideon trank seinen Kaffee und warf einen Blick auf die Ausgabe von The Mayfair Lady. Er nickte verständnisinnig. »Hm, mir scheint, hier haben wir die Erklärung für unsere Mayfair-Ladys.«

»Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, mich mit den Einzelheiten des Falles zu befassen«, sagte Thadeus, als hätte er sich einer Pflichtvergessenheit schuldig gemacht.

»Wie auch? Die Damen sind doch eben erst gegangen.« Gideon stellte die leere Kaffeetasse auf die Untertasse und griff nach den Papieren. »Ich werde die Angelegenheit studieren, während die Geschworenen am Old Bailey sich zur Beratung zurückziehen. Da der Fall sonnenklar ist, hoffe ich, dass es höchstens eine Stunde dauern wird. Deshalb lohnt es sich nicht, dass ich während der Beratung zurückkomme. Ich werde meine Zeit besser nutzen.« Er schritt energisch ins Vorzimmer und schwang seine schwarze Robe vom Ständer.

»Die Dame hat eine Adresse in Bayswater hinterlassen, unter der sie zu erreichen ist.«

»Bayswater?« Gideon drehte sich erstaunt um, die Perücke in Händen. »Keine der beiden sah nach Bayswater aus.«

»Diesen Eindruck hatte ich auch. Ich nehme an, die Adresse dient nur dazu, ihre Anonymität zu wahren.«

»Aber warum wollen sie diese wahren?« Gideon stülpte sich die Perücke auf den Kopf und warf einen flüchtigen Blick in den Spiegel, um ihren Sitz zu prüfen. »Jeder Fall, den ich im letzten halben Jahr übernommen habe, war furchtbar langweilig. Ich brauche etwas anderes, eine Herausforderung. Vielleicht wird sie mir dieser Fall bringen.«

Er rückte die Perücke, die schief über seinem linken Ohr saß, ein wenig zurecht und sagte nachdenklich: »Natürlich möchte ich eigentlich einen netten saftigen Mord, allerdings haben unsere zwei Damen nicht wie Mörderinnen ausgesehen. Aber wie gesagt, das Äußere kann täuschen. Man darf die Hoffnung nicht aufgeben.« Er hob zum Abschied eine Hand und stürmte mit der Energie eines Wirbelwinds hinaus, gefolgt von Thadeus’ beifälligem, wenn auch von einem matten Seufzer der Resignation und Erschöpfung begleiteten Blick.

»Fast wäre es mir lieber, wir hätten heute keinen Besuchsnachmittag«, sagte Chastity, als die Schwestern nach Hause zurückkehrten. »Ohne Constance ist es viel langweiliger.«

»Vergiss nicht, dass diesmal ein Honorar winkt«, rief Prudence ihr in Erinnerung. »Es handelt sich also um Arbeit.« Sie steckte den Schlüssel ins Schloss. »Stell dir hundert Guineen auf dem Konto vor.«

»Ja, das wird mich ungemein beflügeln«, erwiderte Chastity. »Hallo, Jenkins«, begrüßte sie munter den Butler, als dieser aus der Bibliothek kommend die Halle betrat.

»Miss Chas, Miss Prue.« Der Butler ließ ein Lächeln sehen.

»Was ist, Jenkins?«, fragte Chastity. »Sie haben ein Geheimnis. Streiten Sie es nicht ab.«

Sein Lächeln wurde breiter. »Ein Telegramm, Miss Chas.«

»Von Con?«, fragten die Schwestern wie aus einem Munde.

»Ich denke schon.« Er schritt würdig zu dem Tisch, auf dem die Post lag. »In Calais aufgegeben, wenn ich nicht irre.«

»Calais? Dann müssen sie auf der Heimreise sein.« Prudence griff nach dem Telegramm. »Wann ist es gekommen?«

»Vor einer Stunde. Im kleinen Speisezimmer ist für einen kalten Lunch gedeckt. Lord Duncan speist im Klub.«

»Danke.« Prudence riss das Telegramm auf.

»Also, wann kommen sie?« Chastity hoffte, nicht zu ungeduldig zu klingen.

»Das lässt sie offen… das Schiff ist … sollte gestern Morgen auslaufen, doch musste man wegen schwerer See warten … nur kann sie nicht warten. Ach hier, lies selbst.« Prudence streckte ihrer Schwester das Telegramm entgegen. In ihren Augen tanzten Funken des Entzückens. »Denke, sie können jeden Tag hier sein.«

»Je eher, desto besser«, rief Chastity frohlockend, als sie ins Speisezimmer gingen.

»Wir müssen ihnen einen Tag Zeit zum Einleben lassen«, sagte Prudence und überflog mit einem Blick den Tisch. Kalter Schinken, Rote-Beete-Salat, Brot und Käse.

»Du weißt doch, dass Con keine Sekunde warten kann und sofort nach der Ankunft kommen wird«, sagte Chas, die dicke Scheiben Brot abschnitt und ihrer Schwester eine auf der Messerspitze reichte.

»Vielleicht wird sie ihre eilige Rückkehr noch bereuen, wenn sie erfährt, was wir ihr zu sagen haben«, bemerkte Prudence; sie bestrich ihr Brot mit Butter und nahm sich ein paar Scheiben Schinken von der Platte. »Ich bin neugierig, wann wir von Sir Gideon hören werden. Um den Artikel durchzulesen und sich ein Bild zu machen, kann er nicht lange brauchen.«

»Aber umso länger, um sich zu entscheiden.« Chastity spießte Rote Beete auf. »Soll ich Kaffee eingießen?«

Prudence nickte dankend mit vollem Mund. Ihre Gedanken wandten sich nun dem bevorstehenden Nachmittag zu. Die Entscheidung des Verteidigers ließ sich nicht beschleunigen, doch die zwei Stunden pro Woche, die die beiden ehrenwerten Misses Duncan als Besuchsnachmittag ansetzten, hatten sich als fruchtbarer Boden zur Rekrutierung neuer Klienten für den Kontaktservice erwiesen. Sie scharten nun schon eine stattliche Zahl heiratsfähiger Männer und Frauen um sich, die natürlich ahnungslos waren, dass sie als künftige Kandidaten auserkoren waren, sobald sich eine passende Partie ergab.

»Ob Susanna Deerfold heute wohl kommt?«, sagte Chastity, die Überlegungen ihrer Schwestern aufgreifend. »Letzte Woche hatte ich den Eindruck, dass sie sich mit William Sharpe recht gut versteht.«

»Wir haben ein paar Körner gesät«, pflichtete Prudence ihr bei. »Wenn sie kommen, könnten wir ihnen vorschlagen, sich die Elgin-Skulpturen anzusehen. Unlängst äußerte Susanne sich so begeistert über die Attribute griechischer Plastiken, und ich hörte, wie William jemanden über die Pracht des Parthenon belehrte.«

»Verlangen wir eine wohltätige Spende, sobald wir sie auf den glücklichen Weg zum Traualtar gebracht haben?«, fragte Chastity lächelnd.

»Natürlich, aber nicht für verarmte alte Jungfern, sondern für einen Fonds zur Erhaltung griechischer Kunstschätze«, gab Prudence locker von sich.

»Ist das nicht strafbar… Betrug, wenn man Geld unter falschen Voraussetzungen verlangt?«, wollte Chastity wissen.

»Ganz sicher. Aber was bleibt einer Frau, die Geld verdienen muss, schon groß übrig?« Prudence warf ihre Serviette auf den Tisch und schob den Stuhl zurück. »Ich muss mich umziehen und dann die Blumen im Salon richten.«

»Ich leiste dir Gesellschaft.«

Um halb vier betrachteten die Schwestern ihren Salon, in dem angenehmes Stimmengewirr herrschte. »Keine Spur von Lady Lucan oder Lady Winthrop«, murmelte Chastity, als sie mit einer Platte mit Teekuchen an ihrer Schwester vorüberging.

Prudence reagierte mit einem angedeuteten Achselzucken und drehte sich um, als Jenkins Lady Letitia Graham und Miss Pamela Graham ankündigte. »Letitia, wie schön, Sie zu sehen.« Sie trat vor, um Constances Schwägerin mit einem flüchtigen Kuss zu begrüßen, dann beugte sie sich zu dem kleinen Mädchen hinunter, das neben seiner Mutter stand. »Guten Tag, Pamela.« Sie schüttelte der Kleinen die Hand und hielt sich mit der Bemerkung zurück, dass Kinder in Pamelas Alter an einem Herbstnachmittag im Schulzimmer besser aufgehoben wären, ganz abgesehen davon, dass sie sich dort weniger langweilten. Ein Salon voll von klatschenden Erwachsenen musste eine Sechsjährige unweigerlich anöden.

»Ach, unsere Gouvernante ist fort«, sagte Letitia seufzend und mit einer entsprechenden Handbewegung. »Ohne Kündigung auf und davon, man fasst es nicht. Sie hat einfach ihre Sachen gepackt und das Haus gleich nach dem Frühstück verlassen. Und heute hat Nanny ihren freien Nachmittag, und das Kinderzimmermädchen hat Zahnschmerzen… sehr ungelegen. Aber wir sind hier, nicht wahr, Pammy?«

»Ach, wie lästig, meine Liebe.« Lady Bainbridge machte ihr gebieterisch ein Zeichen von ihrem Armsessel. »Mir scheint, Sie haben Pech mit Ihren Gouvernanten. Vielleicht sollten Sie es mit einer anderen Agentur versuchen. Kommen Sie doch und setzen Sie sich zu mir… sicher fällt mir die Agentur ein, die mir diese wahre Perle geschickt hat, die dann Martha und Mary betreute… wie hieß sie doch gleich?« Sie drehte ihren großen Kopf ihren Töchtern zu, die schüchtern Seite an Seite auf dem Sofa gegenüber saßen.

»Miss Grayson, Mama«, kam Martha ihr zu Hilfe.

»Sie war über zehn Jahre bei uns, Mama«, rief Mary ihr in Erinnerung.

Chastity entging der fast unmerkliche Anflug von Sarkasmus in der Antwort der Töchter nicht, den ihre Mutter allerdings überhörte. Lady Bainbridge hatte kein Ohr für feine Nuancen, doch war es herzerfrischend, derartige Zwischentöne aus dem Mund der unterdrückten Geschwister zu hören, die es vom Moment der Geburt an nicht gewagt hatten, ihrer Mutter in die Augen zu sehen.

»Lady Lucan und Lady Winthrop«, kündigte Jenkins an, als die Witwen in den Salon segelten.

Chastity stellte ihre Platte mit Teekuchen ab und ging zu Pamela, die nun von ihrer Mutter verlassen bei Prudence stand. »Pamela, würdest du mir helfen, die Sahne für den Kuchen herumzureichen?« Sie nahm das Kind an der Hand und führte es zum Sideboard, um ihrer Schwester Zeit zu verschaffen, die edlen Wohltäterinnen verarmter alter Jungfern zu begrüßen.

»Lady Lucan… Lady Winthrop…« Prudence ließ ihr freundlichstes Lächeln spielen. »Wie schön, Sie zu sehen. Machen die Hochzeitspläne Fortschritte?«

»Ja, sehr sogar«, antwortete die verwitwete Lady Lucan.

»Großartig«, ließ sich die verwitwete Lady Winthrop vernehmen. »Hester sieht in ihrem Brautkleid wie ein Engel aus. Die Schleppe ist fast drei Meter lang.« Sie zog ein winziges Spitzentuch aus ihrem Ärmel und betupfte ihre Augen. »Winthrop wäre so stolz gewesen… sie zum Altar zu führen. Was für ein Verlust für das arme Mädchen ... an ihrem Hochzeitstag.«

»Aber ihr Bruder Lord Winthrop wird ihr eine bewundernswerte Stütze sein«, sagte Prudence. »Und dann hat sie David, der sie am Altar erwartet.« Sie lächelte Lady Lucan zu. »Lady Lucan, Ihren Sohn so glücklich zu sehen muss eine wahre Herzensfreude sein.«

»Ich kann es nicht leugnen«, gestand die verwitwete Countess. »Hester ist ein so liebes Mädchen.«

Wie ließen sich die zwei Witwen jetzt dazu bewegen, wie versprochen je fünfzig Guineen herauszurücken?

»Sie gestatten, dass ich Ihnen Tee bringe«, sagte Prudence und nickte Jenkins zu, der gerade mit einer silbernen Teekanne die Runde machte. Sie bugsierte die Witwen zu einem freien Sofa neben der Glastür, die auf die Terrasse hinausging, und setzte sich auf einen niedrigeren Stuhl neben sie. Als sie mit Teetassen und Gurkensandwiches versorgt waren, sagte sie: »Soeben kam ein Telegramm von meiner Schwester, Mrs. Ensor. Sie verbringt ihre Flitterwochen in Ägypten …«

»Ägypten!«, rief Lady Bainbridge aus. »Was für ein ausgefallenes Ziel für Flitterwochen ... der viele Sand und Staub.«

»Ja, die Haut wird total ruiniert«, warf Letitia ein. »Und die liebe Constance hatte doch immer einen so herrlichen Teint.«

»Ich glaube nicht, dass dieser gelitten hat«, sagte Chastity und führte helfend Pamelas Hand, die schwankend Sahne verteilte. »Aber das werden wir ja bald selbst sehen können. Das Paar befindet sich auf der Heimreise.«

»Ach, wie schön, die liebe Constance wiederzusehen. Pammy vermisst ihren Onkel auch, nicht wahr, mein Liebes?« Letitia lächelte ihrem Töchterchen, das gerade unter energischem Kopfschütteln Sahne vom Servierlöffel leckte, liebevoll zu.

»Constance ist ihren karitativen Verpflichtungen immer sehr gewissenhaft nachgekommen«, lenkte Prudence das Gespräch in eine nutzbringendere Richtung. »In ihrem Telegramm teilte sie uns mit, dass sie in Paris und Rom sowie in Kairo in diplomatischen Kreisen Unterstützung gewinnen konnte.«

»Ach ja… natürlich.« Die verwitwete Lady Winthrop öffnete ihr seidenes Ridikül. »Beinahe hätte ich es vergessen, meine Liebe… ich hatte für diesen guten Zweck auch eine Spende versprochen. Fünfzig Guineen, wenn ich nicht irre?«

»Danke«, sagte Prudence leise und nahm den Scheck entgegen. »Sie ahnen ja nicht, was das für diese unverschuldet in Not geratenen Damen bedeutet. Ohne das Wenige, das wir ihnen zukommen lassen, würden sie auf der Straße landen.«

Lady Lucan reckte ihre nicht unbeträchtliche Kinnlade und öffnete ihr eigenes Ridikül. »Nun, ich dachte erst an fünfzig Guineen, fand siebzig dann aber angemessener.«

Lady Winthrop starrte vor sich hin, während ihre Nachbarin Prudence in stillem Triumph einen Scheck übergab.

»Sie beide sind so gütig und großherzig«, sagte Prudence und erhob sich anmutig, die zwei Schecks unauffällig in der Hand haltend. »Ich kann Ihnen gar nicht genug danken ... und diese armen Damen werden ohnehin ewig in Ihrer Schuld stehen.« Lächelnd ging sie zum Sideboard und öffnete verstohlen die Lade mit der Tischwäsche, um die Schecks diskret unter den Teeservietten zu verstecken.