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Das Horrorhaus gibt keine Ruhe! »Sie ist mit dem Bösen in Berührung geraten und das Böse hat sie verschlungen.« (Evangeline Forester) Immer wieder wird Lory von schrecklichen Alpträumen geplagt, seit ihr Mann Vince das Anwesen gekauft hat. Gleich bei ihrem Umzug nach Hillside Mansion begegnen die Eheleute einem Jungen, der allem Anschein nach bei ihnen eingebrochen ist. Doch so plötzlich, wie er aufgetaucht ist, verschwindet er auch wieder, als hätte ihn das Gemäuer verschluckt. Die folgenden unheimlichen Geschehnisse lassen Lory erzittern. Zunächst ist es nur ein Schatten, der Hauch einer Berührung, ein leises Wispern, doch schnell gerät die junge Lehrerin in den Sog von etwas Bösem, dem sie sich nicht entziehen kann. Nicht einmal Vince glaubt ihr, und Hilfe von außen kann sie nicht erwarten, denn die Leute fürchten sich vor Hillside Mansion – dem Horrorhaus.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
von
Dana Müller
Kapitel 1
Freitagabend.
Normalerweise war Vince freitags so pünktlich zu Hause, dass man die Uhr nach ihm stellen konnte. Heute jedoch nicht. Mit zuckendem Finger starrte ich auf das Handydisplay, zögerte aber, ihn anzurufen.
Wahrscheinlich stand er irgendwo im Stau und mein Anruf würde ihn ablenken. Seit mein Vater während eines Telefonats in einen Unfall verwickelt worden war, hatte ich eine überdurchschnittliche Vorsicht entwickelt. Bestimmt käme er gleich heim, ich musste nur ein wenig mehr Geduld aufbringen.
Also wartete ich… Und wartete…
Aber er kam nicht. Mein Kopf bediente mich mit furchtbaren Bildern.
Nach etwa einer Stunde, die sich angefühlt hatte wie eine halbe Ewigkeit, kam endlich der erlösende Anruf. Auf dem Display erschien sein Name. Doch tief in meiner Seele wuchs die Sorge, dass nicht Vince am anderen Ende sei. Ich ging mit zitternder Stimme ran.
»Schatz! Wirf dich in Schale, wir gehen aus.«
Damit hatte ich nicht gerechnet. Zum Nachfragen fehlten mir die Worte, denn er hatte mir den Wind aus den Segeln genommen. »Okay«, stammelte ich und wartete, was er noch sagen würde.
»Bin in zwanzig Minuten da. Liebe dich!«
Wow! Wie ein Orkan war er durch die Leitung gefegt und hatte nach seiner knappen Aussage knallhart aufgelegt. In meinem Kopf entstanden seltsame Gründe für sein Verhalten. Hatte ich den Hochzeitstag vergessen? Nein, der war erst im August. Geburtstag? Meiner? Seiner? Nein! Was war es dann? Es musste etwas mit der Arbeit zu tun haben. Sonst fiel mir nichts ein, was ihn dermaßen in Aufregung versetzen konnte.
Also tat ich brav, was er gesagt hatte, und suchte im Schrank nach einem passenden Kleid. In Schale sollte ich mich werfen. Aber er hatte verschwiegen, in welche Art von Schale. Wohin gedachte er mich auszuführen? Keineswegs wollte ich overdressed daherkommen. Also hängte ich das rote Kleid mit den Pailletten zurück und entschied mich für das schlichte Schwarze. Dieses Cocktailkleid passte zu allen Anlässen.
Meine Haare bändigte ich in einer schnellen Hochsteckfrisur und betrachtete mein Äußeres. »Nicht schlecht, Mrs. Jones.« Einmal mehr freute ich mich über meine Entscheidung, die mahagonifarbene Mähne letzte Woche nicht einer launischen Eingebung folgend gefärbt zu haben. Plötzlich hörte ich eine Autohupe. Das musste er sein. Ich eilte zum Fenster und warf einen Blick hinaus. Als Vince mich am Fenster entdeckte, erstreckte sich sein Lächeln von einem Ohr zum anderen.
Ich klaubte im Vorbeigehen die Clutch von der Flurkonsole und warf die Tür hinter mir zu. Schnellen Schrittes eilte ich schließlich die Treppe hinunter.
Nachdem wir uns durch drei Clubs getanzt hatten, waren wir mit brennenden Sohlen in einer Pizzeria gelandet. Mein Magen knurrte, ich hatte einen im Tee. Er hingegen war nüchtern geblieben, weil er fahren musste. Meiner Ansicht nach hätten wir auch ein Taxi nehmen können, aber Vince wollte das nicht.
Wir warteten auf unser Essen. Mein Magen grummelte und mein Verstand suchte nach dem Grund unseres Ausflugs. Es gab aber nichts, das mir einfallen wollte, deshalb fragte ich: »Was habe ich vergessen?«
Er stutzte. »Wie meinst du das?«
»Na ja. Du führst mich aus, füllst mich ab und am Ende sitzen wir hier. Ich könnte schwören, ich hätte ein wichtiges Datum verschwitzt.«
Schmunzelnd lehnte er sich nach hinten.
»Was ist es?«
»Du hast nichts vergessen«, beruhigte er mich.
Das passte nicht. Wir gingen sonst nie einfach so aus. Immer gab es einen Anlass. »Aber warum dann das alles hier?«
»Hm«, raunte er und hob die rechte Braue.
»Vince, hör auf damit – ich sterbe noch vor Spannung.«
»Ich weiß«, sagte er. »Das ist auch der Sinn dahinter.«
»Du willst, dass ich sterbe?«
Er versah mich mit einem verdutzten Gesichtsausdruck. »Ich will, dass du es vor Spannung nicht mehr aushältst.«
Gerade, als es so aussah, als würde er mir das Geheimnis jede Sekunde verraten, kam auch schon der Kellner mit unseren Pizzen herbei und stellte sie ab. »Bon Appetit.«
Klar, ich hätte ihn drängen können, mir zu verraten, warum wir hier waren. Aber das hätte alles nur noch länger hinausgezögert. Deshalb tat ich wie die Ruhe selbst und schnitt mir ein Stück der Gemüsepizza zurecht, schob es in den Mund und kaute. Ich kaute lange und hoffte, er würde nun davon ausgehen, dass die Spannung gesunken war.
Er war bereits fertig, nahm einen Schluck seiner kalten Cola und schob den Teller zur Seite.
Meine Aufregung ließ sich nun keine Sekunde länger verbergen. Ich beobachtete jede seiner Bewegungen, und wenn es auch nur ein Zucken war. Schließlich griff er in sein Sakko, aus dessen Innentasche er einen braunen Umschlag hervorholte.
»Was ist das?«
Jetzt wurde mein Mann nervös. Er rutschte auf dem Stuhl hin und her, legte den Umschlag auf den Tisch und faltete die Hände darüber. »Also, ich habe etwas gefunden«, wisperte er.
»Gefunden? Wie meinst du das?« Hatte er womöglich einen wertvollen Gegenstand gefunden, für den er einen saftigen Finderlohn einstreichen durfte?
»Ich weiß nicht, ob gefunden das richtige Wort ist.«
Ich sah, wie er innerlich ruderte, um das Gleichgewicht in dieses Gespräch zu bekommen. Es schien ihm schwerzufallen, darüber zu reden. Womöglich hatte er etwas angestellt. Nein, ich kannte niemanden, der geradliniger war als mein Mann.
Warum wich sein Blick denn nur dauernd aus?
»Ähm ... Versprich, dass du es dir ansiehst«, forderte er.
Ich lehnte mich zu ihm vor und versuchte, in seinen Augen zu lesen. Doch kaum sah er mich an, huschte sein Blick wieder auf den Umschlag. »Vincent? Was hast du getan?« Ich streckte meine Hand danach aus, aber er war schneller und legte seine darauf.
Meine Unruhe machte sich mit einem Herzflattern bemerkbar. »Was ist da drin?«
Er schluckte und blickte mir endlich zum ersten Mal, seit dieser dumme Umschlag auf dem Tisch lag, tief in die Augen. »Versprich es!«
Ich wusste doch nicht einmal, was ich da versprechen sollte. Aber gut, ich konnte ja noch immer einen Rückzieher machen. »Okay, versprochen.«
Mit ernster Miene fragte er plötzlich: »Was? Was versprichst du?«
War das hier etwa ein Verhör? Also gut. Ich versuchte, mich zu erinnern, was er vorhin gesagt hatte. Ich sollte mir etwas ansehen. Nur, was? Es musste etwas sein, mit dem ich nicht viel anfangen konnte. Warum sonst wollte er offensichtlich vermeiden, dass ich aufstand und einfach ging? Jetzt trommelte mein Herz noch wilder und rutschte eine Etage tiefer, um im Bauch ein furchtbar flaues Gefühl zu verursachen. »Ich sehe es mir an.«
»Fein!« Er schob den Umschlag über den Tisch in meine Nähe, hob die Hand und lehnte sich erwartungsvoll auf seinem Stuhl zurück.
Ich hasste diese Art von Überraschungen. Das wusste er. Warum konnte er nicht einfach sagen, worum es ging? Manchmal machte Vince mich wirklich wahnsinnig.
Ich sah das braune Papier an. Es war, als pulsierte das darin verborgene Geheimnis. Vorsichtig zog ich den Umschlag zu mir heran.
»Da ist aber keine Bombe drin?«, scherzte ich.
»Schatz! Das würde alles ruinieren«, warf er zwinkernd zurück.
Ich atmete tief durch, um mich zu sammeln. Das hatte er geschickt angestellt. Erst Tanzen gehen, dann abfüllen und hinterher etwas essen, um eine Grundlage für eine Katastrophe zu bilden. Ich steckte in einer klebrigen Falle und war im Begriff, mich noch tiefer hineinzumanövrieren, denn meine Neugier klopfte mit einem Vorschlaghammer an.
Der Umschlag war prall gefüllt. Ich hob ihn hoch und sah ihn mir genauer an. Er war nicht verklebt, lediglich mit einer Büroklammer verschlossen. Es standen weder Absender noch Empfänger darauf, was nur bedeuten konnte, dass in dem braunen Papier etwas verborgen lag, das für Vince von enormer Wichtigkeit zu sein schien. Also gut. Ich konnte die Sache hier noch länger hinauszögern oder es kurz und schmerzlos machen. Ich entschied mich für Letzteres. Vorsichtig streifte ich die Klammer ab und hob die Verschlusslasche. Der erste Blick hinein offenbarte mir einige gefaltete Papiere und einen Stapel Fotos.
»Warte«, unterbrach er mit einem Mal.
Ich blickte auf.
»Was auch immer du dort findest, denk an deinen Traum – unseren Traum.«
Unser Traum war ein Baby. Hatte er sich etwa über künstliche Befruchtung erkundigt? Ein dicker Kloß setzte sich in meinem Hals fest. Ich schluckte mehrmals. Vielleicht war es nicht das eigene Kind, sondern ein adoptiertes? Ob ich das so wollte, wusste ich nicht genau. Dennoch schob sich meine Hand in den Umschlag und beförderte die Bilder heraus. Eines fiel auf den Tisch. Es zeigte ein Gebäude. Ein Herrenhaus, dessen Fassade sich in keinem guten Zustand befand.
»Willst du da etwa Urlaub machen?«, fragte ich, um ihm irgendeine Information herauszulocken.
»Knapp daneben«, erwiderte er und verschränkte die Arme vor der Brust. »Du kannst auch raten, aber es wäre einfacher, dir die Bilder anzusehen.«
Ich hörte seinen Geduldsfaden knirschen. Bevor dieser reißen würde, senkte ich den Blick auf die Bilder. Das oberste zeigte das Gebäude aus einiger Entfernung. Unter dem Wildwuchs erkannte ich eine alte Straße. Sie führte offensichtlich zum Eingang, vor dem ein großer Brunnen stand. Das nächste Bild zeigte eine sich nach oben verjüngende Treppe. Weiter entdeckte ich Aufnahmen von Zimmern und einer alten Landhausküche. Auch ein Gewächshaus, dessen Scheiben so verdreckt waren, dass es auf den ersten Blick wirkte wie eine Holzhütte. »Was soll das alles? Warum zeigst du mir das?«
»Erinnerst du dich, was Dr. Cassidy gesagt hat?«
Wie ein Stein traf mich die Erinnerung. Das Einzige, was meine Frauenärztin im Großen und Ganzen erwähnt hatte, war der Vorschlag der Stressvermeidung. Das beinhaltete das Aufgeben meiner Arbeit. Ich warf die Bilder unsanft auf den Tisch und lehnte mich kopfschüttelnd zurück. Diesmal verschränkte ich die Arme. »Niemals!«
»Lory, es ist gar nicht so schlimm, wie es aussieht. Ich war da. Nichts, was man nicht mit ein bisschen Farbe wieder hinbekäme.«
Moment, vielleicht meinte er nichts Endgültiges. »Soll das ein Ferienhaus sein?«
Er schürzte die Lippen. »Nein!«
»Vergiss es. Wir kaufen doch keine Bruchbude. Was wäre, wenn wir mitten in den Bauarbeiten feststellen, dass die Wände schimmeln oder die Träger verfault sind? Das Haus hier sieht aus, als wäre es schon lange unbewohnt.«
»In echt sieht es viel besser aus, Lory«, sagte er und beugte sich zu mir über den Tisch, um meine Hand zu berühren. Aber ich zog sie einem Impuls folgend zurück.
»Ich will kein Haus. Schon gar nicht so eins. Außerdem, was stimmt mit unserer Wohnung nicht? Wir haben so ein Glück, weil wir in der Nähe arbeiten. Andere müssen eine oder zwei Stunden zur Arbeit fahren. Vincent, ich will das nicht.« Noch während ich redete, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. »Wo steht die Bruchbude eigentlich?«
»Die Adresse findest du in den Unterlagen«, erwiderte er.
Er meinte es wirklich ernst. Hatte er sich doch tatsächlich sogar schon das Exposé dieser Immobilie verschafft. Wut stieg in mir auf, was dazu führte, dass ich den gefalteten Brief mit einem heftigen Ruck herauszog. Meine unbedachte Handlung brachte dem Papier einen Riss ein.
»Ist nicht schlimm. Das ist nur eine Kopie«, warf er ein.
Eine Kopie von einem ausgedruckten Exposé? Warum sollte er diesen Zettel vervielfältigen? Meine Neugier trieb mich jetzt so richtig an. Ich entfaltete das Blatt und traute meinen Augen nicht.
Kaufvertrag!
»Nein, das ist nicht dein Ernst! Du hast das Ding gekauft, ohne vorher mit mir darüber zu reden? Vorher! Verstehst du?«
»Es war ein einmaliges Angebot«, verteidigte er sich.
»Einmalig? Jeder Cent für diesen Schuppen ist rausgeschmissenes Geld. Da hättest du unser Erspartes auch gleich verbrennen können«, wetterte ich und merkte, wie ich immer mehr in Rage geriet.
Er sah mich nur entschuldigend an und sagte: »Ich bin nicht an unser Erspartes gegangen.«
Als hätte er meiner Wut den Stecker gezogen, sackten sämtliche Emotionen mit einem Mal ab. Nur, um sich nach und nach wieder aufzurichten.
»Nicht?«, fragte ich skeptisch.
Vince schüttelte den Kopf.
»Wovon dann?«
Schulterzuckend antwortete er: »Nebenbei. Von meinem Gehalt.«
Das verwirrte mich, denn ich lebte nicht hinterm Mond. Zwar war ich kein Immobilienprofi, wusste aber genug über Grundstückspreise, dass ich ihm kein Wort glaubte. »Aha«, erwiderte ich trocken. »Du hast nicht zufällig deinen Onkel um Geld gebeten?«
Er schmunzelte. »Nein. Und das war auch nicht nötig. Ich habe bei Maklern angerufen und nach günstigen Liegenschaften gefragt.«
»Ich versteh nicht. Wie viel hat das denn nun gekostet?«
Er neigte sich zu mir herüber, sah sich zu allen Seiten um und flüsterte: »Fast nichts. Ich habe eigentlich nur das Drumherum bezahlt. Registereintrag, Anwaltskosten – die Kaufnebenkosten. Und zu guter Letzt einen symbolischen Dollar für unser Haus.« Er lächelte. »Unser Erspartes habe ich nicht angerührt, ebenso wenig habe ich einen Kredit aufgenommen.«
Warum fühlte es sich dann so falsch an? »Vince, ich weiß nicht. Dieses Haus hat mal jemandem gehört, es ist bestimmt mehr wert, als diesen einen Dollar. Was ist, wenn es Erben gibt, die irgendwann auftauchen?«
»Die gab es seit dreißig Jahren nicht. Vertrau mir. Ich hatte Jonathan dabei – der hat das Ganze auf Herz und Nieren geprüft. Erst mit seinem anwaltlichen Okay habe ich unterschrieben.«
Wenigstens lag unser Geld offenbar noch da, wo es hingehörte. Ich nahm mir den Kaufvertrag erneut vor und las:
7763 Hemlock Avenue
Boones Mill
Virginia 24065
Aha! Da lag der Fehler also! »Das ist viel zu weit weg«, beschwerte ich mich.
»So weit ist es gar nicht. Ungefähr 460 Meilen, das sind etwa 7 Stunden«, antwortete er salopp.
Er meinte es wirklich und wahrhaftig ernst. »Wir wollen also jeden Tag sieben Stunden hin und sieben Stunden zurückfahren?«
»Hör zu. Dieses Haus ist wie ein Wunder, auf das wir gewartet haben. Lass uns gemeinsam dort hinfahren. Du wirst sehen, es wird dir gefallen.«
Da war sie wieder – meine Wut. Er wollte wirklich, dass ich meine Arbeit fallen ließ und all die Kinder, die ich betreute. Ich sammelte mich, um nicht laut zu werden, und legte all meine Konzentration auf die Worte, die ich sagen wollte. Alle anderen gemeinen und fiesen Äußerungen drängte ich zurück. »Ich sage dir jetzt etwas, das ich nicht wiederholen werde: Ich will meine Arbeit nicht verlieren. Ich werde meine Kinder nicht verlassen und ich werde auf keinen Fall in dieses marode Haus ziehen. Damit das klar ist!«
Er sah mich an, sagte nichts und senkte irgendwann den Blick.
Mir reichte es. Der Abend hatte so schön angefangen und nun nahm er ein furchtbares Ende. Sein Schweigen war mein Signal. Ich nahm die Clutch vom Tisch und stand auf. Ohne mich zu ihm umzudrehen, verließ ich das Lokal und klackerte auf meinen Pfennigabsätzen durch die Nacht zum Auto.
Kapitel 2
Ich trat auf weichen Rasen, in dem meine Füße wie in einem Langflorteppich versanken. Leichter Stoff umschmeichelte meine Knöchel. Die Sonne brach durch die Baumkronen am Wegesrand. Ich raffte mein weißes Kleid und rannte zum breiten Weg zwischen den Reihen aus alten Virginia-Eichen, an denen Louisianamoos herabhing und im sachten Wind wehte.
Kleine Steinchen drückten sich beim Betreten des unbefestigten Weges in meine Sohlen. Es störte mich kaum. Ich hatte ein Ziel, nur welches? Dieses Ziel rief nach mir, aber ich wusste nicht, wohin ich sehen sollte.
Langsamen Schrittes ging ich den Weg hinauf. Direkt vor mir entdeckte ich ein Gebäude. Zwei gewaltige Säulen stützten einen Balkon, unter dem die Stoffbahnen der weißen Vorhänge aus einer offenen Flügeltür wehten. Den Fuß einer sich nach oben verjüngenden Steintreppe säumten zwei Statuen. Sie sahen aus wie kleine Löwen. Als ich näherkam, erkannte ich in den Löwen Hunde. Rottweiler!
Ich betrat mit blanker Fußsohle die unterste Stufe.
Plötzlich verdunkelte sich der Himmel. Mein Blick glitt zu der Hundestatue zu meiner Rechten. Sie schien lebendig zu werden. Der Hund drehte seinen Kopf und mit einem Mal entdeckte ich einen Zweiten, der aus dem Rumpf wuchs.
Mein Herz schlug in wildem Takt. Die Atmosphäre kippte. Aus dem freundlichen Tageslicht wurde etwas Undefinierbares. Wie bei einer Sonnenfinsternis, die der Welt sämtliche Farbe raubte. Ich raffte mein Kleid und wollte wegrennen, da stieß eine Hand aus der Erde hervor. Sie packte mein Fußgelenk und zerrte daran, sodass ich den Halt verlor und hinfiel. Mein Fuß wurde noch immer festgehalten. Ich drehte mich um. Eine zweite Hand schoss aus der Erde. Sie griff mein Handgelenk und etwas glitt über meine Brust. Ich spürte Druck von oben und das Nachgeben des Erdreichs unter mir.
Wie wild strampelte ich, um mich aus der Umklammerung zu befreien. Wohlwissend, dass ich andernfalls immer tiefer in die Erde gedrückt werden würde. Doch wie sehr ich mich auch anstrengte, es gelang mir nicht.
Erde gelangte in meinen Mund – kleine Bröckchen, die meinen Rachen blockierten. Ich bekam keine Luft. Der Erstickungstod meldete sich mit leisem Knistern in meinem Kopf. Meine pulsierenden Adern drohten zu platzen. Mit letzter Kraft versuchte ich, irgendetwas mit der freien Hand zu packen, an dem ich mich herausziehen könnte.
»Wach auf!«, rief Vincent.
Ich schreckte hoch und sprang blitzartig aus dem Bett.
Er drehte sich auf den Rücken und zog die Decke bis zu den Zähnen hinauf. »Du hast nur schlecht geträumt. Komm wieder ins Bett. Es ist gerade mal 3:00 Uhr.«
Das Herz drohte mir aus der Brust zu springen. Geträumt? Für einen Traum fühlte sich das Ganze selbst jetzt noch viel zu echt an. Mein staubtrockener Mund war erfüllt von dem Geschmack nach Erde und ich spürte noch immer den Druck auf der Brust.
»Ich muss was trinken«, krächzte ich und trat den Weg zur Tür an. Mein Knöchel schmerzte, als wäre ich umgeknickt.
»Nur nicht wieder wecken«, murmelte Vincent und drehte sich zur Seite.
Wunderbar, dachte ich – lass mich doch allein!
Im Flur schaltete ich das Licht ein und entdeckte einen roten Striemen am Handgelenk. Im Traum hatte mich die Hand genau an dieser Stelle gepackt. Offenbar hatte ich mich so sehr in meiner dünnen Decke verknotet, dass mein Kopf nichts Besseres zu tun gehabt hatte, als den Schmerz einzubauen.
Das Handgelenk reibend humpelte ich zur Küche und nahm ein Glas aus dem Hänger. Während ich das Wasser einlaufen ließ, drängte sich mir die Erinnerung an das Gebäude auf. Wenn mich nicht alles täuschte, hatte es dieselben Säulen besessen wie das Haus auf dem Foto.
Kühles Nass lief über meine Hand. Schnell drehte ich den Hahn ab, kippte etwas Wasser aus dem Glas und führte es zum Mund, um meinen Durst zu stillen. Eigentlich sollte ich wieder ins Bett gehen. Aber mich ließ die Erinnerung an den furchtbaren Traum einfach nicht los. Hatte ich von Vincents Schnäppchenhaus geträumt? Dem wollte ich nachgehen.
Wo hatte er die Unterlagen nur hingelegt? Meine Suche führte mich ins Wohnzimmer. Doch auf dem Couchtisch, wo sonst immer alle Unterlagen zuerst landeten, lagen sie nicht.
Ich versuchte, den Abend zu rekonstruieren. Wir waren wortlos aus dem Auto gestiegen und hatten ebenso still die Wohnung betreten. Ich war ins Bad gegangen, und als ich zurück ins Schlafzimmer kam, hatte er schon im Bett gelegen.
Das Sakko!
Und tatsächlich befand sich der Umschlag in seiner Jacke. Erleichtert humpelte ich mit meiner Beute ins Wohnzimmer und schaltete das Deckenlicht ein. Wie ein nasser Sack ließ ich mich auf das Sofa fallen und zog hastig den Batzen aus dem Umschlag.
Die Bilder breitete ich sorgfältig auf dem Tisch aus und ließ meinen Blick darüber schweifen. Ich sah Zimmer, an deren Wänden die Tapeten in Fetzen herunterhingen. Die Küche, der man ansah, dass sie lange nicht mehr genutzt worden war. Spinnweben spannten sich über das Spülbecken. Warum hatte er solche Bilder gemacht? Dachte er etwa, mich mit diesem Gruselhaus zu beeindrucken?
Ich betrachtete die Fotos zu meiner Rechten. Und dann sprang mich die entscheidende Aufnahme regelrecht an! Der Eingang. Dieses Bild zog mich auf ungewöhnliche Weise in seinen Bann. Tief in meinem Inneren sträubte ich mich gegen den Gedanken, es zu berühren. Doch ich konnte mich nicht gegen die plötzliche Sehnsucht wehren, es doch zu tun. Zögernd streckte ich meine Hand danach aus. Noch bevor mein Finger eine Verbindung zu dem Papier herstellte, spürte ich eine Elektrisierung – wie ein leichter Stromschlag schoss sie bis in meine Zehen hinab.
Normalerweise wäre ich jetzt zurückgeschreckt. Zu meiner Verwunderung tat ich es nicht. Stattdessen fühlte ich ein inniges Verlangen danach, tief in die Geheimnisse dieses Hauses einzutauchen.
Es war dieselbe Treppe wie in meinem Traum. Allerdings fehlten die Hunde am Treppenfuß. Das Haus auf dem Foto wirkte älter. Die Fenster zum Balkon über der Eingangstür waren mit Brettern vernagelt – genauso wie die Flügeltür darunter. Die Fassade hatte einen grünbraunen Ton angenommen und vor dem Haus stand ein Brunnen. An diesen konnte ich mich nicht erinnern. Nein, im Traum hatte es den nicht gegeben. Allerdings stand er genau an der Stelle, an der ich in die Erde gedrückt worden war. Was hatte das zu bedeuten?
Vielleicht nur, dass ich eine rege Fantasie besaß.
Auf dem Bild des Hauses fiel mir ein Fleck auf. Es war ein großer schwarzer Schatten am oberen Fenster neben dem Balkon. Spiegelte sich ein Baum im Glas wider? Die Bäume trugen Blätter und die Spiegelung wäre ungleichmäßig gezackt. Diese hier war aber ganz glatt, soweit ich das auf dem Foto erkennen konnte.
Mir fiel mein Handy ein. Ich stand auf und suchte nach meiner Clutch. Wo hatte ich sie nur hingelegt? Der Schmerz in meinem Fuß meldete sich bei jedem Auftreten. Mit zusammengebissenen Zähnen humpelte ich ins Badezimmer, wo ich nach einer Bandage suchte. Da entdeckte ich auf dem Badewannenrand die Clutch. »Zwei Fliegen mit einer Klappe«, murmelte ich, nahm den Verband aus dem Schränkchen und setzte mich auf den Toilettendeckel.
Jetzt erst sah ich, dass dieselben Striemen wie an meinem Handgelenk auch meinen Fußknöchel schmückten. Schon die kleinste Berührung tat höllisch weh. Sorgfältig legte ich die Bandage an und verschloss sie mit zwei Klemmen. Jetzt konnte ich wenigstens auftreten.
Mit der Clutch in der Hand kehrte ich zurück ins Wohnzimmer. Das Foto lag in der Mitte der ausgebreiteten Bilder. Noch immer fesselte es meine Neugier. Dieser Schatten. Ich hatte ihn auch im Traum gesehen.
Warum faszinierte es mich nur so?
Mit einem gezielten Griff beförderte ich mein Handy aus der Clutch und schaltete die Kamera ein. Ich machte rasch ein Foto vom Foto und zoomte das Fenster näher heran. Tatsächlich sah ich den Schatten. Er war klar begrenzt und ähnelte dem eines Menschen. Stand da etwa jemand? Ich zoomte noch näher heran und erhöhte den Kontrast ein wenig.
Plötzlich bewegte sich der dunkle Umriss. Schnell zoomte ich wieder heraus. Doch den Schatten konnte ich nicht mehr sehen. Wo war er hin? War das nur eine optische Täuschung gewesen?
Das musste am Schlafmangel liegen. Wahrscheinlich war ich einfach urlaubsreif. Trotz dieser Erkenntnis ließ mich mein Erlebnis nicht los. Zur Sicherheit machte ich ein neues Bild vom Foto und betrachtete das vergrößerte Fenster. Die vergilbte Gardine hing friedlich im Inneren. Es gab keine Spur eines Schattens oder einer Spiegelung.
Ein Gähnen kündigte sich an. Es zu unterdrücken, gelang mir nicht. Ich war müde. Aber ich hatte so schlecht geträumt, dass ich die Angst vor einem weiteren Albtraum nicht abschütteln konnte. Mein Blick wanderte zu dem Handydisplay: 5 Uhr 30. Wo war die Zeit nur hin? Nie und nimmer hatte ich mehr als zwei Stunden über diesem einen Bild verbracht.
Unmöglich! Und doch hörte ich den Wecker meines Mannes klingeln. Der monoton surrende Ton wurde unterbrochen.
»Schatz?«, rief er.
So ein Mist! Die Bilder! Schnell klaubte ich sie zu einem Stapel zusammen und schob diesen in den Umschlag zurück. Ich wollte nicht von ihm dabei ertappt werden, wie ich an mir selbst zweifelte.
»Ich mache Kaffee!«, bediente ich mich einer Notlüge.
Er raunte und ich hörte die Dusche rauschen.
Auf leisen Sohlen schlich ich in den Flur, um den Umschlag zurückzulegen. Ich streckte gerade meine Hand nach der Jacke aus, da hörte ich seine Stimme ganz dicht an meinem Ohr: »Erwischt!«
Sein Wispern war so nah, dass ich erschrocken zusammenfuhr. »Ich wollte nur mal ...«
Er seufzte. »Was denn? Mal nachsehen, ob das Haus nicht doch ganz gut ist?«
Das war es zwar nicht, was ich sagen wollte, aber es kam mir gelegen. Deshalb nickte ich heftig.
»Ach Lory«, murmelte er und umfasste meine Hüfte. »Ich hatte schon befürchtet, dass du mich wegen des Kaufs vor die Tür setzt.«
»Vielleicht wollte ich das auch«, erwiderte ich schnippisch.
»Und jetzt?«, hauchte er und verteilte schmetterlingszarte Küsse auf meinem Hals.
»Kommt drauf an, wie du dich weiterhin benimmst.«
Schlagartig verweigerte er jeden weiteren Kuss und sah mich mit einem verschmitzten Lächeln an. »Mach dich fertig. Abfahrt in einer Stunde.«
Was? Schon wieder eine Überraschung? Davon hatte ich genug. »Abfahrt? Wohin denn?«
Wortlos drehte er sich um und verschwand im Bad. Ich blieb verwirrt zurück. Sein Kopf schnellte aus der halb offenen Tür. »Kaffee wäre trotzdem schön«, warf er mir entgegen und schloss sich im Bad ein.
Ich ahnte Böses. Wenn er nicht noch eine Bruchbude gekauft hatte, war unser heutiges Ziel garantiert das Haus.
Kapitel 3
Meine Stirn lehnte an der kalten Autoscheibe. Ich betrachtete die Regentropfen, die sich in den vorgezogenen Bahnen ihrer Vorgänger abseilten. Sie erinnerten mich an das menschliche Dasein. Unsere Vorfahren hatten uns den Weg vorgezeichnet, den wir zu gehen hatten. Sei es beruflich, familiär oder menschlich. Sie gaben uns die Werte mit, nach denen wir unser eigenes Leben auszurichten hatten.
»Mach die Augen ein bisschen zu. Wir fahren lange«, sagte Vincent.
Ich war müde, aber gleichzeitig spürte ich eine leichte Aufregung. Schlafen konnte ich nicht, vielleicht ein wenig dösen. Aber dazu fehlte es mir an innerer Ruhe. Inbrünstig hoffte ich, dass wir gut durchkämen und nicht in einen Stau gerieten. Ich konnte ja schlecht in meiner Schule anrufen und sagen, dass ich nicht kommen konnte, weil wir meilenweit weg feststeckten.
Langsam wurden meine Lider schwer. Der Versuch, sie offenzuhalten, scheiterte. Ich wollte sie nur ein wenig schließen, um die Augen zu entlasten. Nur ganz kurz.