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Parkinson ist eine weit verbreitete neurodegenerative Erkrankung, die immer häufiger diagnostiziert wird. Das Sprechen und Schlucken wird im Verlauf der Krankheit in unterschiedlichem Maße beeinträchtigt und von den meisten Therapiemethoden nur geringfügig erfasst. Dieser Band aus der Reihe Forum Logopädie liefert eine grundlegende Einführung in die Therapiemaßnahmen bei Parkinson mit Fokus auf Dysarthrie und Dysphagie. Neben medizinischen und neuropsychologischen Grundlagen werden auch die spezifischen logopädischen Behandlungsansätze ausführlich dargestellt. Die beschriebenen Verfahren sollen Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen verringern und zur Verbesserung und/oder Aufrechterhaltung der Kommunikationsfähigkeit beitragen, die auf den möglichst langen Erhalt der sozialen Kontakte abzielt. Die übersichtliche, komprimierte und praxisorientierte Darstellung des Themas macht das Buch zum idealen Nachschlagewerk für die Praxis. Als Behandlungsverfahren wird das Lee-Silverman-Voice-Treatment beschrieben, dessen Wirksamkeit durch Therapiestudien belegt ist. Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.
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Seitenzahl: 435
Dysarthrie und Dysphagie bei Morbus Parkinson
Reihe herausgegeben von Norina Lauer, Dietlinde Schrey-Dern
Adelheid Nebel, Günther Deuschl
Hermann Ackermann, Monther Bajbouj, Petra Benecke, Dorothee Bülte, Christian Hannig, Ingo Hertrich, Michael Jöbges, Bettina Möller, Heike Penner, Mario Prosiegel, Julia Reiff, Ralph Schnitker, Mathias Vogel, Edith Wagner-Sonntag, Tobias Warnecke, Karsten Witt, Anita Wuttge-Hannig, Wolfram Ziegler
2., überarbeitete und erweiterte Auflage
41 Abbildungen
Die Deutsche Parkinson Vereinigung gibt an, dass aktuell ca. 240000 bis 280000 Menschen in Deutschland an Morbus Parkinson leiden. Da die Häufigkeit der Erkrankung mit zunehmendem Alter ansteigt, ist im Zuge der demografischen Entwicklung mit einer weiteren Zunahme von Erkrankungen zu rechnen. Experten schätzen, dass die Zahl der Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland künftig auf etwa 13000 Neuerkrankungen ansteigen wird. Somit ist auch eine Zunahme des Behandlungsbedarfs von Menschen mit Morbus Parkinson zu erwarten. Die logopädische Behandlung der bei Morbus Parkinson auftretenden Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen ist dabei ein wesentlicher Baustein zur Erhaltung der Lebensqualität der Betroffenen.
Daher freuen wir uns über die zweite Auflage dieses Buches, die eine ausführliche Überarbeitung erfahren hat und auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand der verfügbaren Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten basiert. Neben einer durchgängigen Aktualisierung der Literatur werden weitere Themen in den Vordergrund gerückt, um der Komplexität des Morbus Parkinson Rechnung zu tragen, wie z.B. das Mild Cognitive Impairment, die Metakognitive Therapie sowie die Verhaltensstörungen bei Morbus Parkinson. Im Rahmen der Prosodie werden v.a. die Beeinträchtigungen der Sprechflüssigkeit und der kognitiven Sprechkontrolle angesprochen. Auch die bisher weniger thematisierten Wortfindungsstörungen und der atypische Wortgebrauch bei Menschen mit Morbus Parkinson werden einbezogen. Damit wird deutlich, dass die Kommunikationsstörungen des Morbus Parkinson nicht nur auf elementar-motorischen Beeinträchtigungen basieren, sondern auch der lexikalische Zugriff und die Gedächtnisfunktionen zu berücksichtigen sind. Dies wird auch im Therapiekapitel deutlich, das interne Modelle der Sprechbewegungskontrolle enthält. Aber auch die Auswirkungen von Medikamenten auf die Sprechleistungen werden mit aktuellen wissenschaftlichen Bezügen dargestellt. Das Kapitel zu Verfahren der Dysarthrietherapie wurde umstrukturiert und repetitives Üben oder die Reduktion expliziter Therapieinhalte werden stärker herausgearbeitet. Auch werden instrumentelle Hilfsmittel und Feedbackverfahren neu systematisiert und ausführlicher beschrieben.
Nach wie vor bildet das Lee Silverman Voice Treatment (LSVT), mittlerweile als LSVT LOUD bezeichnet, auf Grund seiner in wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewiesenen Effektivität ein Kernstück des Buchs. Zusätzlich wird das daraus entwickelte LSVT BIG kurz vorgestellt. Außerdem erfolgen eine differenzierte Darstellung der Studienlage zum LSVT LOUD und eine Vorstellung des LSVT Companion, eines Programms zur teletherapeutischen Behandlung mittels LSVT LOUD.
Auch das Kapitel zur Dysphagie wurde ausführlich überarbeitet. Die diagnostischen Methoden wurden z.B. um Selbsteinschätzungsfragebögen erweitert und das Kapitel enthält eine umfangreichere Darstellung der flexiblen endoskopischen Evaluation des Schluckens sowie eine Ergänzung um die gastroenterologische Diagnostik. Damit ist eine Überarbeitung entstanden, die den aktuellen Stand der Forschung wiedergibt und Therapeutinnen und Therapeuten, aber auch Ärztinnen und Ärzten sowie Studierenden konkrete Handlungsempfehlungen für die Untersuchung und Behandlung des Morbus Parkinson gibt.
Idstein und Aachen, Herbst 2016
Norina Lauer
Dietlinde Schrey-Dern
Das Parkinson-Syndrom ist eine der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen in der Bundesrepublik, deren Auftreten mit der Veränderung der Alterspyramide noch deutlich zunehmen wird.
1817 wurde die Krankheit erstmals beschrieben, doch lassen erst aktuelle Befunde Verlauf und Entwicklung deutlich zu Tage treten. Neben der idiopathischen Parkinson-Krankheit (Synonym: Morbus Parkinson) gibt es noch verschiedene andere Parkinson-Syndrome, die durch verschiedene Untersuchungen abgrenzbar sind. Mit der Entwicklung dopaminerger Ersatzstoffe liegen effektive Medikamente vor. Aktuelle neurochirurgische Verfahren ermöglichen stereotaktische Operationen ohne dauerhafte Läsionen, durch die motorische Kernsymptome trotz fortschreitender Erkrankung erfolgreich verringert werden können.
Diese Therapien haben die Behandlung des Parkinson-Kranken grundlegend verändert: Lebensqualität, Aktivität und Teilhabe am familiären und gesellschaftlichen Geschehen bleiben vergleichsweise lange erhalten. Umso begrenzender treten Störungen des Sprechens (Dysarthrie) und des Schluckens (Dysphagie) in den Vordergrund, Symptome, die nicht oder nur in geringem Umfang auf dopaminerge Substanzen oder Tiefe Hirnstimulation ansprechen.
Das vorliegende Buch gibt einen aktuellen Überblick über physiologische bzw. pathophysiologische Prozesse, Symptomatik und Therapie von Dysarthrie und Dysphagie. Die oft zeitgleich bestehenden kognitiven, emotionalen und psychosozialen Beeinträchtigungen sind eine zusätzliche Herausforderung an therapeutische Interventionen. Sie werden gesondert dargestellt. Das interdisziplinäre Autorenteam u. a. aus Neurologen, HNO-Ärzten, Radiologen, Neuropsychologen, Psychiatern, Logopäden, klinischen Linguisten und Neurophonetikern hat es sich zur Aufgabe gesetzt, die Behandlung von Parkinson-Patienten zu erleichtern und zu verbessern. In diesem Sinne richtet sich das Buch vorwiegend an Sprachtherapeuten in Kliniken und Praxen, aber auch an Neurologen, Psychiater und Hausärzte, die als begleitende Ärzte die vielfältigen therapeutischen Maßnahmen einschätzen und koordinieren.
Im deutschsprachigen Raum fehlt Konsensbildung und einschlägige Literatur zur Behandlung der Dysarthrie bei M. Parkinson. Daher wird zunächst die weitgehend englischsprachige Literatur dargestellt. Das Lee-Silverman-Voice-Treatment als gegenwärtig hinsichtlich seiner Effizienz am besten belegtes therapeutisches Verfahren wird gesondert diskutiert. Einer Behandlung nach diesem Verfahren sollte eine entsprechende Fortbildung vorausgehen, um das Gelingen zu sichern.
Schluckstörungen erfordern einen interdisziplinären Ansatz in Diagnostik und Therapie. Dies gilt für die vielfältigen dysphagischen Symptome der Parkinson-Erkrankung in besonderer Weise. Um den Rahmen des Buches nicht zu sprengen, haben sich die Autoren darauf beschränkt, im Wesentlichen die Parkinson-spezifischen Aspekte zu beschreiben, da die üblichen Verfahren der Behandlung neurogener Schluckstörungen vorausgesetzt werden.
Angesichts der Fülle von Forschungsarbeiten haben sich die Autoren darauf geeinigt, vorwiegend Arbeiten jüngeren Datums oder grundlegende Arbeiten zu zitieren bzw. auf Übersichtsarbeiten zu verweisen. Auf diesem Wege hoffen wir, die Balance zwischen einem auf die alltägliche praktische Arbeit gerichteten Buch und wissenschaftlich fundierter Arbeit zu halten.
Der interdisziplinäre Ansatz dieses Buches bedingt zwangsläufig eine gewisse Heterogenität. Wir haben uns um eine möglichst verständliche Beschreibung bemüht, ohne dabei zu starke Vereinfachungen in Kauf zu nehmen. Eine Reihe von Begriffen lässt sich nicht unmittelbar aus dem Text erschließen, doch erschien uns die Verwendung unumgänglich. Diese Begriffe werden im Glossar erklärt.
Wir danken unseren Autoren ganz herzlich für ihr Engagement, das Konzept des Buches so kompetent und zielsicher umzusetzen, und für ihre Geduld, unsere fortgesetzten Änderungswünsche zu berücksichtigen. Dem Verlag danken wir für sein Entgegenkommen bei der Gestaltung dieses Buches.
Wir hoffen, dass es den Lesern in ihrer täglichen Arbeit bei der Behandlung von Parkinson-Patienten nützlich sein wird, und nehmen Anregungen und Kritik sehr gerne entgegen.
Kiel, im Januar 2008
Adelheid Nebel
Günther Deuschl
Die Neuauflage eines Buches ist in mehrfacher Weise eine positive Botschaft: Das Buch hat viele Leser interessiert und die Nachfrage ist noch immer positiv; das Interesse am Thema ist gleichbleibend hoch; unser Wissen über das Thema entwickelt sich dynamisch vorwärts. Gründe genug, dieses Buch zu überarbeiten.
Das neue Inhaltsverzeichnis zeigt trotz vertrauter Überschriften in jedem Abschnitt Veränderungen:
Im Grundlagenkapitel sind die differenzierte Darstellung kognitiver Dysfunktionen sowie die Fülle von Fragebögen zur Lebensqualität besonders hervorzuheben. Hier zeigt sich ein Schwenken in der Betrachtung der Erkrankung von der Motorik hin zu ihren kognitiven und emotionalen Begleitsymptomen sowie sozialer Teilhabe. Dies findet sich im Schlusskapitel wieder mit praktischen Hinweisen zum Umgang mit Schluckstörungen.
Aktuelle Arbeiten zu Symptomen und Pathophysiologie der Dysarthrie forderten eine neue Darstellung. Hervorzuheben sind die PC-gestützten Befundmethoden und Behandlungsverfahren. Das Lee-Silverman-Voice-Treatment ist ergänzt um PC-Programme zu eigenständiger Übung. Hilfsmittelgestützte, effektive Methoden treten hinzu. Deutlich wird die wesentliche Bedeutung logopädischer Übung.
Die Dysphagie stellt eine besondere Herausforderung an Patienten, Angehörige und Therapeuten, sie grenzt die Lebensqualität und die Gesundheit am stärksten ein. Dieses Kapitel wurde vorrangig ergänzt u. a. um explizite Erklärungen der Unterschiede zwischen körpermotorischen und dysphagischen Symptomen. Neu aufgenommen wurde der Abschnitt über gastroenterologische Aspekte der Dysphagie. Gesondert herausgearbeitet wurden die spezifisch Parkinson-bedingten Befunde der flexiblen, endoskopischen Evaluation und ergänzt eine neu erstellte Übersicht der typischen Befunde aus den jeweiligen Untersuchungen (klinisch, laryngoskopisch, radiologisch, gastroenterologisch).
Ergänzt wurde der Anhang um eine Liste mit spezifischen Internetadressen und Hilfsmitteln. Hier finden Logopäden, Ärzte und interessierte Laien weitere Anregungen.
Erneuern möchten wir auch unseren Dank an den Verlag für sein unternehmerisches Engagement, an die Autoren für ihre Beiträge und für ihre große Geduld gegenüber unseren Änderungswünschen und an ihre Familien für die Toleranz ihrer Beanspruchung.
Kiel im Herbst 2016
Adelheid Nebel
Günther Deuschl
Vorwort der Herausgeberinnen
Vorwort zur 1. Auflage
Vorwort
Teil I Grundlagen
1 Klinik, Pathophysiologie und Therapie des Morbus Parkinson
1.1 Einleitung
1.2 Klinik
1.2.1 Klinische Symptome
1.2.2 Differenzialdiagnose
1.2.3 Komplikationen
1.3 Pathophysiologie
1.3.1 Neuroanatomische Lokalisation
1.3.2 Ätiologie
1.3.3 Pathogenese
1.4 Therapie
1.4.1 Neuroprotektive Therapien
1.4.2 Symptomatische Therapien
1.4.3 Praktischer Einsatz verschiedener Therapiemethoden
1.5 Literatur
2 Neuropsychologische Störungen bei Morbus Parkinson
2.1 Symptome neuropsychologischer Störungen
2.1.1 Auswirkungen auf Lernprozesse
2.1.2 Bedeutung für die Dysarthrietherapie
2.2 Ätiologie und Pathogenese der neuropsychologischen Störungen
2.3 Milde kognitive Beeinträchtigung
2.4 Demenz und idiopathisches Parkinson-Syndrom
2.4.1 Parkinson-Demenz und Alzheimer-Demenz
2.4.2 Diagnosekriterien
2.4.3 Prävalenz
2.4.4 Tests und Skalen
2.5 Literatur
3 Auswirkungen des Morbus Parkinson auf die Lebensqualität von Patienten und Angehörigen
3.1 Lebensqualität
3.1.1 Beeinträchtigungen aufgrund motorischer Symptome
3.1.2 Beeinträchtigungen aufgrund nicht motorischer Symptome
3.1.3 Beeinträchtigung aufgrund dysarthrischer Symptome
3.1.4 Verbale und nonverbale Kommunikation
3.1.5 Alters-/Geschlechtsunterschiede
3.1.6 Erfassung der Lebensqualität
3.1.7 Therapeutische Interventionen
3.2 Depressive Störungen
3.2.1 Klinik und Prävalenz
3.2.2 Kognitive Auswirkungen depressiver Störungen
3.2.3 Auswirkungen auf kommunikatives Verhalten
3.2.4 Therapeutische Optionen
3.3 Verhaltensstörungen
3.3.1 Impulskontrollstörung
3.3.2 Punding
3.3.3 Dopaminerges Dysregulationssyndrom
3.3.4 Diagnostik von Verhaltensstörungen
3.4 Angehörige
3.4.1 Lebensqualität Angehöriger
3.4.2 Erfassung der Lebensqualität
3.4.3 Beratung und psychologische Interventionen
3.5 Literatur
Teil II Dysarthrie des Morbus Parkinson
4 Dysarthrie des Parkinson-Syndroms – klinische Befunde, instrumentelle Daten
4.1 Einleitung
4.2 Syndrom der hypokinetischen Dysarthrie
4.2.1 Merkmals-Cluster der Parkinson-Dysarthrie
4.2.2 Vorkommenshäufigkeit von Sprechauffälligkeiten
4.3 Respiratorische Funktionen und Sprechatmung
4.3.1 Klinische Beobachtungen
4.3.2 Instrumentelle Untersuchungen
4.4 Phonation
4.4.1 Tonlage, Stimmqualität und -volumen
4.4.2 Stimmtremor
4.5 Artikulatorische Diadochokinese
4.5.1 Sprechgeschwindigkeit
4.5.2 Präzision der Lautbildung
4.6 Prosodie
4.6.1 Komponenten der Prosodie
4.6.2 Kommunikative Dimensionen der Prosodie
4.7 Beeinträchtigungen von „Speech Fluency“ und kognitiver Kontrolle beim Sprechen
4.7.1 Sprechinitiierung und Zeitverarbeitung
4.7.2 Iterative Phänomene und Palilalie
4.7.3 Stotterähnliche Unflüssigkeiten
4.7.4 Beeinträchtigungen präartikulatorischer Verarbeitungsebenen der Sprachproduktion
4.8 Literatur
5 Physiologie und zentralnervöse Organisation des Sprechens und deren Veränderung unter Morbus Parkinson
5.1 Physiologie: Sprechen als erlernte motorische Aktivität
5.1.1 Funktionskreise des Sprechens
5.1.2 Segmentale und rhythmisch-prosodische Aspekte des Sprechens
5.1.3 Sensorische Mechanismen
5.1.4 Domänenspezifische Organisation der Sprechmotorik
5.2 Funktionelle Neuroanatomie des Sprechens
5.2.1 Motorkortikales und subkortikales sprechmotorisches Netzwerk
5.2.2 Anteriore Sprachregion: Planung und Programmierung von Sprechbewegungen
5.2.3 Mesiofrontales kortikales Sprechantriebs- und Initiierungssystem
5.3 Sprechen und die motorischen Pathomechanismen des Morbus Parkinson
5.3.1 Pathomechanismen der Parkinson-Erkrankung
5.3.2 Motorische Parkinson-Zeichen und die Parkinson-Dysarthrie
5.3.3 Weitere Störungsmechanismen
5.4 Literatur
6 Auswirkungen von Medikamenten und Tiefer Hirnstimulation (THS) auf die Dysarthrie
6.1 Einleitung
6.2 Dysarthrie unter medikamentöser Behandlung
6.2.1 L-Dopa
6.2.2 Weitere Präparate
6.2.3 Zusammenfassung
6.3 Dysarthrie unter stimmverbessernden Eingriffen
6.4 Dysarthrie unter der Tiefen Hirnstimulation (THS)
6.4.1 Zielgebiete
6.4.2 Skalen und Untersuchungszeitpunkt
6.4.3 Veränderungen der Dysarthrie
6.4.4 Zusammenfassung
6.5 Literatur
7 Methoden der Diagnostik und Evaluation der Dysarthrie des Morbus Parkinson
7.1 Einleitung
7.1.1 Nicht evaluierte und nicht standardisierte Untersuchungsverfahren
7.1.2 Evaluierte Testverfahren
7.1.3 Selbsteinschätzung
7.1.4 Akustische Analyseverfahren
7.1.5 Physiologische und aerodynamische Untersuchungsmethoden
7.2 Frenchay-Dysarthrie-Untersuchung
7.2.1 Beschreibung des Verfahrens
7.2.2 Bewertung
7.3 Aachener Materialien zur Diagnostik neurogener Sprechstörungen (AMDNS)
7.3.1 Beschreibung des Verfahrens
7.3.2 Bewertung
7.4 Bogenhausener Dysarthrieskalen (BODYS)
7.4.1 Beschreibung des Verfahrens
7.4.2 Bewertung
7.5 Münchner Verständlichkeitsprofil (MVP)
7.5.1 Beschreibung des Verfahrens
7.5.2 Bewertung
7.6 Untersuchungsbogen neurologisch bedingter Sprech- und Stimmstörungen (UNS)
7.6.1 Beschreibung des Verfahrens
7.6.2 Bewertung
7.7 Voice Handicap Index (VHI)
7.7.1 Beschreibung des Verfahrens
7.7.2 Bewertung
7.8 Akustische Beurteilung des Sprechens
7.8.1 Perzeptive Methoden
7.8.2 Akustische Analyseverfahren
7.8.3 Signalanalyseprogramme
7.8.4 Signalverarbeitungsprogramme
7.9 Apparative Untersuchung isolierter Teilaspekte des gestörten Sprechens
7.9.1 Apparative, invasive Diagnostik einer gestörten Phonation
7.9.2 Untersuchung der Atmung
7.9.3 Weitere Verfahren
7.10 Literatur
8 Methoden der Dysarthrietherapie: Literaturüberblick
8.1 Anhaltspunkte der Methodenwahl
8.1.1 Leitsymptome der hypokinetischen Dysarthrie
8.1.2 Schlussfolgerungen für die Sprechtherapie
8.2 Evidenzlevel: Metastudien – Fallstudien
8.2.1 Metastudien und Reviews zu sprachtherapeutischen Verfahren
8.2.2 Fallstudien – Expertenmeinung
8.2.3 Gruppentherapie, Teletherapie
8.3 Therapiebedingungen
8.3.1 Früher Therapiebeginn
8.3.2 Hohe Therapiefrequenz – repetitives Üben
8.3.3 Reduktion expliziter Therapieinhalte
8.3.4 Transfer
8.4 Feedback und Hilfsmittel
8.4.1 Instrumentelle, feedbackgestützte Trainingsmethoden
8.4.2 Instrumentelle Sprechhilfen
8.4.3 Kommunikationshilfen: Sprachschallverstärker
8.5 Therapieerfolg – Verständlichkeit und Teilhabe
8.6 Literatur
9 Behandlung nach dem Lee Silverman Voice Treatment
9.1 Einleitung
9.2 Studienlage
9.2.1 Auswirkungen des LSVT LOUD auf die Lautstärke
9.2.2 Auswirkungen der Lautstärkesteigerung auf das sprechmotorische System
9.2.3 LSVT LOUD im Vergleich zu anderen Therapieformen
9.2.4 Einfluss auf die Mimik
9.2.5 LSVT LOUD für Patienten mit atypischem Parkinson-Syndrom
9.2.6 LSVT LOUD für Patienten mit Tiefer Hirnstimulation
9.3 Entstehung des LSVT LOUD
9.4 Grundprinzipien
9.4.1 Neurologische Aspekte
9.4.2 Atem- und stimmphysiologische Aspekte
9.4.3 Lerntheoretische Aspekte
9.5 Befunderhebung
9.5.1 Logopädische Diagnostik
9.5.2 Fremdbeurteilung
9.6 Therapie
9.6.1 Grundübungen
9.6.2 Sprechübungshierarchie
9.6.3 Hausaufgaben
9.6.4 Transfer
9.6.5 Nachsorge
9.6.6 Neue technische Entwicklungen des LSVT LOUD
9.6.7 LSVT BIG
9.7 Diskussion
9.7.1 Übertragungseffekte
9.7.2 Neuroplastizität
9.7.3 Therapiebeginn
9.7.4 Übertragbare Erfolge
9.7.5 Nebenwirkungen
9.8 Literatur
Teil III Dysphagie des Morbus Parkinson
10 Dysphagien und assoziierte Störungen – klinische Anatomie und Physiologie, pharmakologische und chirurgische Interventionsmöglichkeiten
10.1 Einleitung
10.2 Definition
10.3 Zentralnervöse Steuerung des Schluckens
10.3.1 Hirnnerven
10.3.2 Hirnstamm
10.3.3 Großhirn
10.3.4 Autonomes Nervensystem
10.4 Pathoanatomie und Pathophysiologie parkinsonassoziierter Dysphagien
10.4.1 Pathoanatomie
10.4.2 Pathophysiologie
10.5 Dysphagien – Häufigkeit und Störungsmuster
10.5.1 Häufigkeit
10.5.2 Dysphagische Störungsmuster
10.6 Medikamentöse und chirurgische Interventionen bei Dysphagien
10.6.1 Dopaminerge Medikation
10.6.2 Stereotaktische Interventionen am Gehirn
10.6.3 Interventionen bei Öffnungsstörungen des oberen Ösophagussphinkters
10.7 Vermehrter Speichelfluss
10.8 Gewichtsverlust und Malnutrition
10.9 Literatur
11 Methoden der Diagnostik und Evaluation der Dysphagie bei Morbus Parkinson
11.1 Klinische Diagnostik
11.1.1 Einleitung
11.1.2 Klinische Diagnoseverfahren
11.2 Flexible endoskopische Evaluation des Schluckakts
11.2.1 Untersuchungsablauf und spezielle Befunde bei Parkinson-Syndromen
11.2.2 Therapeutische Aspekte für Parkinson-Syndrome
11.3 Radiologische Diagnostik
11.3.1 Diagnostisches Spektrum
11.3.2 Veränderungen des Schluckablaufs bei Morbus Parkinson
11.3.3 Klassifizierung und Quantifizierung der Aspirationsepisoden
11.3.4 Radiologische Therapieplanung
11.4 Gastroenterologische Diagnostik
11.4.1 Anamnese
11.4.2 Endoskopie
11.4.3 Ösophagusmanometrie
11.5 Zusammenfassung
11.6 Literatur
12 Behandlungsverfahren der Dysphagie bei Morbus Parkinson
12.1 Evidenzbasierte Verfahren
12.1.1 Sensorische Stimulation
12.2 Restituierende Verfahren
12.2.1 Bewegungsübungen
12.3 Kompensatorische Verfahren
12.3.1 Schluckmanöver
12.4 Kostanpassung
12.4.1 Anpassung des Essens
12.4.2 Anpassung des Trinkens
12.4.3 Medikamenteneinnahme
12.4.4 Sondenernährung
12.5 Zusätzliche Empfehlungen
12.6 Literatur
Teil IV Anhang
13 Hilfsmittel – PC-Programme – Apps
13.1 Dysarthrie
13.2 Für Therapeuten
13.3 Dysphagie
13.4 Therapeutensuche
13.5 Internetadressen
14 Abkürzungen
15 Glossar
Anschriften
Sachverzeichnis
Impressum
1 Klinik, Pathophysiologie und Therapie des Morbus Parkinson
2 Neuropsychologische Störungen bei Morbus Parkinson
3 Auswirkungen des Morbus Parkinson auf die Lebensqualität von Patienten und Angehörigen
G. Deuschl
Die Parkinson-Erkrankung wurde im Jahr 1817 durch James Parkinson erstmals beschrieben und nach diesem von Charcot am Ende des 19. Jahrhunderts benannt. Ursache des Morbus Parkinson ist der Untergang von dopaminergen Zellen in der Substantia nigra, dem schwarzen Kern, der im Hirnstamm liegt und dessen Axone in die Basalganglien projizieren. Friedrich Lewy gelang ein Einblick in die Natur der Erkrankung, als er 1912 die für die Erkrankung typischen Lewy-Einschlusskörperchen in Nervenzellen der Substantia nigra und anderer Kerne erstmals beschrieb. 1960 schlossen Hornykiewicz und Ehringer, dass Dopamin der Neurotransmitter der untergegangenen Zellen ist, da dieser Stoff bei der Erkrankung in den Zielgebieten der Axone dieser Neurone fehlte ▶ [1].
Morbus Parkinson gehört zu den häufigen neurodegenerativen Erkrankungen. Die Prävalenz, d.h. die Zahl der Erkrankten in der Population, liegt im Mittel bei 115–200 pro 100000, woraus sich eine Gesamtzahl der Parkinson-Kranken in Deutschland von ca. 200000 errechnen lässt. Mit zunehmender Veränderung der Alterspyramide ist auch eine Zunahme der Prävalenz zu erwarten, weil die Häufigkeit der Erkrankung deutlich altersabhängig ist: Nur 1,3 pro 100000 der unter 45-Jährigen, aber 1200 pro 100000 der Menschen zwischen 75 und 85 Jahre sind von der Erkrankung betroffen. Im Moment wird geschätzt, dass es bereits 250000 Parkinson-Kranke gibt und bis 2050 wird sich deren Zahl auf 400000–500000 erhöhen ▶ [2].
Die klinische Symptomatik betrifft motorische und nicht motorische Symptome.
Merke
Alle diagnoserelevanten Kernsymptome sind motorisch, obwohl schon zu ganz frühen Zeitpunkten im Laufe der Erkrankung nicht motorische Symptome auftreten können.
Die typischen motorischen Symptome sind:
Bradykinese
Rigor
Tremor
posturale Störungen
Bradykinese Die Bewegungsverlangsamung (Bradykinese, Akinese) tritt zunächst über eine Reduktion der spontanen Motorik als mimische Starre auf. Bei den Handbewegungen macht sich häufig die Mikrografie bemerkbar oder es sind feinmotorische Tätigkeiten gestört, wie die Benutzung eines Schraubenziehers. Die Patienten klagen darüber, dass sie sich nicht mehr spontan im Bett drehen können. Bei der Untersuchung in frühen Phasen fällt auf, dass die Patienten eine Seite beim Gehen nicht mitschwingen. Später kann plötzlich der Gang einfrieren (Freezing) oder sie haben Schwierigkeiten, den Gang zu initiieren. Oft bleiben sie plötzlich stehen, wenn sie durch eine Tür gehen wollen.
Rigor Der Rigor führt zu verminderten Mitbewegungen beim Gehen. Beim Durchbewegen einer Extremität kommt es zu einer wächsernen Tonuserhöhung, die beim Vorliegen eines hochfrequenten Tremors auch als zahnradartige Tonuserhöhung getastet wird. Bedingt durch den Rigor überwiegen die Beugemuskeln, was besonders deutlich wird durch die spontane Beugehaltung von Armen, Hand- und Kniegelenken. Der Patient steht und geht deshalb mit gebeugtem Oberkörper, angewinkelten Armen sowie mit flektierter Hüfte und gebeugten Knien.
Tremor Der Tremor manifestiert sich als Ruhetremor zwischen 4 und 6Hz, der typischerweise beim Rückwärtszählen mit aufgelegten Armen zunimmt und der abnimmt, wenn die Patienten mit den Händen Willkürbewegungen durchführen. Er ist häufig auch beim Gehen zu sehen. Es gibt aber auch Tremormanifestationen, die bei Willkürbewegungen bestehen können.
Posturale Störung Das vierte Kardinalsymptom ist die posturale Störung, die sich zunächst in einer Störung der Haltungsreflexe manifestiert. Wenn die Patienten angestoßen werden, kompensieren sie nicht wie ein Gesunder durch eine harmonische Flexions- und Extensionsbewegung des Körpers, sondern sie reagieren „en bloque“ und verhindern dann mit Trippelschritten der Beine das Umfallen.
Es gibt eine breite Palette sog. nicht motorischer Symptome. Sie umfassen:
kognitive Störungen
emotionale Störungen
autonome Störungen
Diese Symptome sind oft schwerwiegend und können erheblich zu Beeinträchtigungen der Lebensqualität beitragen. Sie bedürfen der genauen Analyse und entsprechenden therapeutischen Antworten.
Besonders häufig sind Schlafstörungen, die durch die Erkrankung, aber auch durch Medikamente oder die Komplikationen der Erkrankung bedingt sein können.
Vielfach treten Apathie, Depression und Angststörungen sowie Halluzinationen auf. Sie sind sowohl durch die Erkrankung als auch durch die Behandlung induziert und werden in Kap. ▶ 3 genauer dargestellt.
Schließlich klagen die Patienten über sexuelle Funktionsstörungen und Blasenfunktionsstörungen. Oftmals liegt bei Männern eine Erektionsstörung und bei Frauen eine verminderte Libido vor, obwohl bei manchen, meist jüngeren Patienten die dopaminerge Behandlung eher eine Libidosteigerung bewirken kann. Die Blasenstörung ist typischerweise eine Dranginkontinenz: Wenn der erste Wunsch, zur Toilette zu gehen, bemerkt wird, müssen die Patienten sehr rasch urinieren, sonst kommt es zur Inkontinenz.
Schmerzen sind ein häufiges Symptom der Parkinson-Erkrankung und hängen oft mit dem vermehrten Rigor und der damit verbundenen Daueranspannung der Muskulatur zusammen. Möglicherweise gibt es unabhängig davon jedoch zentralnervöse Schmerzursachen. Auch Sensibilitätsstörungen sind beschrieben, die aber nur milde sind und vor allem den Bereich der Verarbeitung der sensiblen Information betreffen. So ist etwa das Schätzen von Gewichten bei der Krankheit gestört, weil die Rückmeldung von peripheren Rezeptoren fehlerhaft verarbeitet wird.
Von besonderem Interesse ist die präsymptomatische Phase der Erkrankung, d.h. der Zeitraum unmittelbar vor Beginn der klinisch sichtbaren Symptome.
Merke
Besonders in dieser ganz frühen Phase würde man gerne neuroprotektive Therapien einsetzen, um die Erkrankung gar nicht erst ausbrechen zu lassen, und später, um ihr Fortschreiten zu verlangsamen.
Epidemiologische Studien konnten zeigen, dass wahrscheinlich bis zu 90% der Patienten unter einer Störung der Riechfunktion leiden ▶ [3]. Dabei ist sowohl die Geruchsempfindung als auch die Unterscheidung von Gerüchen betroffen. Ein zweites Frühsymptom kann die sog. REM-Verhaltensstörung (REM: Rapid Eye Movement) sein. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die normalerweise vorhandene Muskelatonie beim REM-Schlaf entfällt. Daher agieren die Patienten Träume aus und es kommt nicht nur zum Sprechen im Traum, sondern sie schlagen um sich und können damit den Bettpartner verletzen. Ein weiteres Symptom, das allerdings nur geringe diagnostische Bedeutung hat, ist die Konstipation. Es ist gezeigt worden, dass Menschen, die weniger als 1-mal täglich Stuhlgang haben, ein 3-fach erhöhtes Risiko für die Erkrankung aufweisen.
Die idiopathische Parkinson-Krankheit kann unterschiedliche Verlaufsformen annehmen. Prognostisch haben Patienten mit im Vordergrund stehendem Tremor meist einen günstigeren Krankheitsverlauf. Dies gilt, obwohl der Tremor bei diesen Patienten oft schwer zu behandeln ist. Patienten mit im Vordergrund stehendem Rigor und Akinese zeigen im Durchschnitt einen rascher progredienten Verlauf. Stand- und Gangstörungen treten bei dieser Gruppe schneller und häufiger auf. Auch Depressionen und Demenz kommen häufiger vor.
Merke
Patienten mit im Vordergrund stehendem Tremor haben meist einen günstigeren Krankheitsverlauf. Patienten mit im Vordergrund stehendem Rigor und Akinese zeigen im Durchschnitt einen rascher progredienten Verlauf.
Es ist von überragender Bedeutung, dass die Symptome bei der idiopathischen Erkrankung einseitig beginnen und über den gesamten Krankheitsverlauf auf dieser Seite betont bleiben. Dies betrifft nicht nur die ursprünglichen Kardinalsymptome, sondern auch die später hinzukommenden Komplikationen (Kap. ▶ 1.2.3). ▶ Tab. 1.1 listet die wichtigsten diagnostischen Kriterien zur Diagnose einer Parkinson-Krankheit auf, die auch als britische Brain-Bank-Kriterien bezeichnet werden (s. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, www.dgn.org) ▶ [11]. Es wird unterschieden zwischen dem Oberbegriff Parkinson-Syndrom, das unterteilt wird in das idiopathische und die nicht idiopathischen Parkinson-Syndrome ( ▶ Abb. 1.1).
Tab. 1.1
Diagnostische Kriterien für ein Parkinson-Syndrom.
Kriterien
Symptome
Akinese und eines der folgenden Symptome
Rigor
Ruhetremor
Standstörung
diagnostische Kriterien, die für ein idiopathisches Parkinson-Syndrom sprechen
gutes Ansprechen auf L-Dopa
Seitenbetonung der Symptome
langer (> 10 Jahre) Verlauf ohne Zusatzprobleme
Differenzialdiagnose der Parkinson-Syndrome und Symptomliste der idiopathischen Parkinson-Krankheit.
Abb. 1.1
Eine Reihe von Erkrankungen können mit der idiopathischen Parkinson-Erkrankung verwechselt werden ( ▶ Abb. 1.1). All diese Erkrankungen teilen mit der idiopathischen Parkinson-Krankheit die Akinese und den Rigor. Es kommen aber noch andere Probleme hinzu. Besonders wichtig sind:
Multisystematrophie (MSA)
kortikobasale Degeneration (CBD)
progressive Supranuklearparalyse
Merke
Alle 3 Erkrankungen haben eine ungünstigere Prognose als die idiopathische Parkinson-Erkrankung. Sie führen im Mittel nach etwa 10 Jahren zum Tod ▶ [4].
Bei der MSA kommen vor allem schwere autonome Störungen (Schwindel und Synkopen im Stehen, schwere Inkontinenz) und andere Zusatzsymptome (z.B. Kleinhirnstörungen, Spastik) hinzu. Bei der CBD liegt neben den Parkinson-Symptomen eine Störung kortikaler Funktionen mit Apraxie, Aphasie oder dem sog. Alien-Limb-Syndrom (Syndrom der fremden Extremität) vor. Bei der progressiven supranukleären Paralyse (PSP) ist die Blickmotorik eingeschränkt und die Patienten können insbesondere nicht mehr nach unten blicken. PSP-Patienten stürzen sehr früh im Krankheitsverlauf.
Neben diesen 3 wichtigen Erkrankungen müssen folgende Ursachen für ein symptomatisches Parkinson-Syndrom ausgeschlossen werden:
dopaminrezeptorblockerinduzierter Parkinsonismus (verursacht durch Neuroleptika oder Magenmittel, z.B. Domperidon)
vaskulärer Parkinsonismus
Hirntumor, der die Symptome imitieren kann
postenzephalitischer Parkinsonismus nach sehr seltenen Viruserkrankungen
Morbus Wilson
toxininduzierter Parkinsonismus
Nach einem unterschiedlich langen Krankheitsverlauf von 4–10 Jahren kommt es zu den sog. Spätkomplikationen der Erkrankung ( ▶ Abb. 1.1). Dazu gehören:
motorische Fluktuationen
autonome Komplikationen
psychiatrische Komplikationen, die von Halluzinationen bis zur Psychose reichen können
Entwicklung zunehmender doparesistenter Symptome
Merke
Der Beginn dieser Komplikationen markiert meistens eine treppenartige Verschlechterung bei den Patienten.
Hypokinetische Fluktuationen Die klassische motorische Spätkomplikation besteht in hypokinetischen Fluktuationen und darunter besonders der langsame Wirkungsverlust der Medikamente im Tagesverlauf (Wearing-off). Wenn dies weiter fortschreitet, kann es zu plötzlichen Phasen der Unbeweglichkeit (Off-Phasen) kommen, die dann innerhalb weniger Minuten von einer normalen Beweglichkeit (On-Phase) abgelöst werden können. Die Patienten sind durch diese hypokinetischen Fluktuationen meist erheblich eingeschränkt, besonders wenn die Fluktuationen unvorhergesehen eintreten.
Hyperkinetische Bewegungsstörungen Bei den hyperkinetischen Bewegungsstörungen oder Dyskinesien unterscheidet man 3 Typen. Entscheidend ist, dass eine unwillkürliche Überbewegung vorliegt, die aber nicht nur an den klinischen Besonderheiten erkennbar ist, sondern besonders daran, ob der Patient zum Zeitpunkt der Überbewegung im On- oder im Off-Zustand ist:
Bei den Off-Dyskinesien handelt es sich meist um dystone Verkrampfungen (typisch ist der sog. frühmorgendliche dystone Fuß, eine Verkrampfung der Wadenmuskulatur in einer Spitzfußstellung). Es können aber auch andere Körperregionen von diesen dystonen Verkrampfungen betroffen sein.
Die On-Dyskinesien treten im Zustand der guten Beweglichkeit auf. Diese äußern sich dann in einer allgemeinen Zappeligkeit, die besonders von der Umwelt als störend empfunden wird. Der Patient selbst ist manchmal erstaunlich wenig dadurch beeinträchtigt.
Eine dritte Form der Überbewegungen sind die biphasischen Überbewegungen, die nur im Übergang zwischen guter und schlechter Beweglichkeit vorkommen und meist mit heftigen choreatischen oder ballistischen Bewegungen einhergehen.
Medikamentös induzierte Psychosen Bei den psychiatrischen Komplikationen stehen besonders visuelle Halluzinationen im Vordergrund. Anfangs können sich die Patienten davon noch distanzieren. Wenn diese Distanz jedoch verloren geht, können sich Verkennungen und Fehleinschätzungen der Situation ergeben, die – von Handlungen gefolgt – zu einer Selbst- und Fremdgefährdung führen können. Hinzu kommen dann auch Verwirrtheitszustände, die eine Selbst- oder Fremdgefährdung verursachen können.
Demenz Bei den kognitiven Störungen tritt nicht selten eine Demenz auf, die als Parkinson-Demenz bezeichnet wird. Nach epidemiologischen Daten entwickeln nach 20 Jahren fast 100% der Patienten eine Demenz. Dem liegt eine Ausbreitung der Parkinson-Pathologie auf das gesamte Gehirn zugrunde. Allerdings sind besonders ältere Patienten betroffen, während gerade bei früh beginnender Parkinson-Erkrankung über viele Jahrzehnte keine Demenz auftreten muss. Sie ist gekennzeichnet durch eine überwiegende Antriebsstörung, während die Gedächtnisstörung und die kortikalen Funktionsstörungen eher im Hintergrund bleiben.
Fluktuierende Aufmerksamkeitsstörung Besonders typisch, aber nicht immer vorhanden, ist eine fluktuierende Aufmerksamkeitsstörung, die bis zu komaartigen Zuständen gehen kann. Diese Störungen können nach wenigen Jahren zu einer schweren Demenz führen. Die Demenz ist oft der limitierende Faktor für die Behandlung.
Lewy-Körper-Demenz Die Lewy-Körper-Demenz ist schon seit Jahrzehnten beschrieben. Sie zeigt sich als dementiver Prozess, der mit Parkinson-Symptomen einhergeht. Definitionsgemäß muss die Demenz jedoch innerhalb eines Jahres nach Auftreten der Parkinson-Symptome diagnostiziert worden sein, andernfalls wäre dasselbe Krankheitsbild als Parkinson-Demenz zu klassifizieren. Tatsächlich verschmelzen diese beiden Erkrankungen aber wahrscheinlich zu einer Erkrankung, bei der sich die Lewy-Körperchen früher oder später im Krankheitsverlauf auch im Hirnmantel entwickeln.
Zunehmend entwickeln sich mit längerer Dauer des Krankheitsverlaufs therapieresistente Symptome, d.h. klinische Zeichen, die auch mit hohen Dosen von L-Dopa nicht behandelbar sind. Dazu zählen:
motorische Symptome
posturale Instabilität
Gangstörung
Sprech- und Schluckstörung
autonome Störungen
orthostatische Hypertension
Verstopfung
Hitzeintoleranz
sexuelle Funktionsstörung
Die Pathologie der Erkrankung ist durch einen selektiven Zelluntergang mit typischen morphologischen Kennzeichen charakterisiert. Es kommt zu einem zunehmenden Zelluntergang, der von der Ausbildung sog. Lewy-Körperchen begleitet ist. Diese Lewy-Körperchen sind ein Konglomerat nicht abbaubarer ehemaliger Zellbestandteile, die sich dann in solchen Einschlusskörpern zusammenballen.
Früher wurde postuliert, dass diese Neurodegeneration sich nur in der sog. Substantia nigra, dem schwarzen Kern, abspielt, der typischerweise bei dieser Erkrankung untergeht, sodass die Schwarzfärbung im Hirnstamm verschwindet. Heute weiß man jedoch nach Untersuchungen von H. Braak, dass die Erkrankung zunächst im unteren Hirnstamm beginnt und über den dorsalen Vaguskern zum Locus coeruleus und dann zur Substantia nigra aufsteigt (Kap. ▶ 10). Wenn die Substantia nigra befallen ist, treten die klassischen Parkinson-Symptome auf. Im weiteren Verlauf kann es dann zu einer Einbeziehung des temporalen Kortex und schließlich zur Einbeziehung des Neokortex kommen. Wenn der Neokortex beteiligt ist, treten auch kognitive Störungen auf. Diese neue Klassifikation von H. Braak hat dazu geführt, dass wir die sog. Parkinson-Demenz als eine späte Manifestationsform der Parkinson-Erkrankung betrachten ▶ [6]. Auch die Lewy-Körper-Demenz wird seither als Spielform der Parkinson-Erkrankung verstanden.
Nach neuesten Untersuchungen weiß man, dass sich die Krankheit im Gehirn tatsächlich von Zelle zu Zelle ausbreitet, mit unterschiedlicher Geschwindigkeit bei unterschiedlichen Patienten und möglicherweise auch abhängig vom Patientenalter. Die molekularen Mechanismen der Krankheitsausbreitung sind aber noch umstritten.
Merke
Die Erkrankung beginnt zunächst im unteren Hirnstamm und steigt dann zur Substantia nigra auf. In der Folge der Degeneration der Substantia nigra kommt es zu einem Dopamindefizit im Striatum, d.h. dem Putamen und dem Nucleus caudatus. Dies führt zu einer Störung in der sog. Basalganglienschleife.
Die Ursache dieses Degenerationsprozesses ist jedoch noch unklar. Wir wissen aus genetischen Untersuchungen, dass es mehrere genetische Defizite geben kann, die zu dieser Art der Degeneration führen. Allerdings können diese genetischen Defizite nur bei etwa 3% aller heute lebenden Parkinson-Patienten als Erklärung herangezogen werden.
Eine andere mögliche Ursache sind Umwelttoxine. Es gibt eine ganze Reihe von Giften, die spezifisch die Substantia nigra, sogar unter Ausbildung von Lewy-Körpern, schädigen können. Allerdings haben epidemiologische Untersuchungen nur einen geringen Einfluss solcher umweltbedingter Schädigungen auf die Krankheitsentstehung nachweisen können. Wenn dieser Prozess der selektiven Zellschädigung erst einmal begonnen hat, spielen Zellschädigungen durch Eisenmoleküle, durch sog. oxidativen Stress, durch mitochondriale Funktionsstörungen und durch lokale Entzündungsprozesse eine wichtige Rolle bei der Unterhaltung des Krankheitsprozesses. Hat die Krankheit sich im Gehirn entwickelt, breitet sie sich im Gehirn langsam weiter aus.
In der Folge der Degeneration der Substantia nigra kommt es zu einem Dopamindefizit im Striatum, d.h. dem Putamen und dem Nucleus caudatus. Dies führt dann zu einer Störung in der sog. Basalganglienschleife ▶ [5] ( ▶ Abb. 1.2, Teilbild a). Hierbei handelt es sich um ein Netz untereinander verschalteter Kerngebiete des Gehirns, die zwischen dem Kortex, dem Putamen/Caudatum, dem Globus pallidus externum und internum, dem Nucleus subthalamicus (NST) und von dort mit dem Thalamus verschaltet sind. In diesen Regelkreisen werden:
bestimmte motorische Programme ausgewählt
Muskelgruppen in ihrer Aktivität gefördert oder unterdrückt
insgesamt Bewegung gefördert
Die verschiedenen Areale sind dabei teils durch hemmende, teils durch fördernde Projektionen verbunden. Der Zellausfall in einer exzitatorischen Projektion führt zu einer verminderten Förderung des nachfolgenden Kerns. Dieser wird daher minderaktiv sein. Analog verhält es sich mit hemmenden Bahnen.
Merke
Der Regelkreis verbindet nicht nur motorische, sondern auch emotionale und kognitive Hirnareale. Weil ein Teil der Projektionen zu den emotionalen Arealen zum zingulären Kortex projiziert, wird bei der Erkrankung auch die Stimmung beeinflusst. Ein anderer Teil dieser Projektionen wird zum frontalen Kortex geleitet, der für kognitive Prozesse verantwortlich ist.
Als Folge des Ausfalls der Dopaminzellen bei der Parkinson-Krankheit kommt es zu Veränderungen der Entladungscharakteristika in den verschiedenen Kerngebieten. Manche zeigen eine Überaktivität, andere eine verminderte Aktivität. Dies führt schlussendlich zu einer verminderten Aktivität in den bewegungsvorbereitenden Arealen des Hirnmantels. Von besonderer Wichtigkeit ist die Überaktivität des NST und des Globus pallidum internum. Diese beiden Gebiete sind auch die Zielregionen für stereotaktische Eingriffe.
▶ Abb. 1.2 (Teilbild b) zeigt die anatomischen Verbindungen und Kerngebiete, die bei der Parkinson-Erkrankung besonders betroffen sind. Dieses Modell ist hypothetisch und die Arbeitsgrundlage für viele Studien. Es bietet auch eine Erklärung an für die bei manchen Patienten anzutreffenden Unterschiede zwischen der Ausprägung der axialen Krankheitssymptome und der der Extremitäten. Die axialen motorischen Funktionen werden nämlich überwiegend über den pedunkulopontinen Kern vermittelt, der bei manchen Patienten eben deutlicher betroffen sein kann.
Funktionskreis der Basalganglienschleife.
Abb. 1.2 Normalzustand (a): Die Basalganglienschleife umfasst den indirekten Weg vom Kortex über Putamen-Gpe-NST-Gpi-Vim zurück zum Kortex, während der direkte Weg unmittelbar vom Putamen zum Gpi projiziert. Bei der Parkinson-Erkrankung (b) fehlen durch die Degeneration der Substantia-nigra-Zellen die Hemmung der Zellen des direkten Weges und die Förderung der Zellen des indirekten Weges. Damit ergibt sich ein Störungsmuster, bei dem die Kerngebiete entweder über- oder unteraktiv sind. Neuerdings ist bekannt, dass es auch eine direkte Projektion motorischen Cortex zu NST gibt, die eine besonders wichtige Rolle spielt. (D1: Dopaminrezeptoren Typ 1; D2: Dopaminrezeptoren Typ 2; Gaba/Enkeph.: Zellen, die Gaba und Enkephalin als Cotransmitter haben; Gab/Tachyk.: Zellen, die Gaba und Tachykinin als Cotransmitter haben; Gpe: Globus pallidus pars externum; Gpi: Globus pallidus pars internum; MC: motorischer Kortex; NST: Nucleus subthalamicus; PMC: primärer motorischer Kortex; PPN: pedunkulopontiner Kern; SMA: supplementär-motorisches Areal; Snc: Substantia nigra pars compacta; Snr: Substantia nigra pars retikulata; Vim: ventraler intermediärer Kern des Thalamus).
Seitdem diese Verbindungen bekannt sind, können Hypothesen darüber aufgestellt werden, welche Veränderungen die verschiedenen Therapiemaßnahmen beim Patienten bewirken ( ▶ Abb. 1.3).
Basalganglienschleife und Parkinson-Erkrankung.
Abb. 1.3 Schema der Basalganglienschleife, ihrer Aktivitätsänderungen bei der Parkinson-Erkrankung und der heutigen Vorstellungen zur Wirkung der wichtigsten therapeutischen Interventionen. Die Angriffspunkte der wesentlichen Medikamente sind eingezeichnet. Ebenso sind die beiden Hauptangriffspunkte der Tiefen Hirnstimulation vermerkt. Man geht davon aus, dass die Stimulation dieser Kerne zu einer Hemmung des jeweiligen Kerngebiets führt (D1: Dopaminrezeptoren Typ 1; D2: Dopaminrezeptoren Typ 2; Gaba/Enkeph.: Zellen, die Gaba und Enkephalin als Cotransmitter haben; Gab/Tachyk.: Zellen, die Gaba und Tachykinin als Cotransmitter haben; Gpe: Globus pallidus pars externum; Gpi: Globus pallidus pars internum; MC: motorischer Kortex; NST: Nucleus subthalamicus; PMC: primärer motorischer Kortex; SMA: supplementär-motorisches Areal; Snc: Substantia nigra pars compacta; Vim: ventraler intermediärer Kern des Thalamus).
Grundsätzlich unterscheidet man folgende Formen▶ [9]:
neuroprotektive Therapien, also Behandlungsmaßnahmen, die das Fortschreiten der Erkrankung aufhalten
symptomatische Therapien, die die Symptome der Erkrankung lindern
Methode
Die Behandlung umfasst:
medikamentöse Therapien durch synthetischen Ersatz der Neurotransmitter
operative Verfahren der Tiefen Hirnstimulation (THS)
verhaltensmodifizierende, übende Verfahren
Bewiesene neuroprotektive Medikamente gibt es bisher nicht. Allerdings wird insbesondere für MAO-Hemmer (MAO: Monoaminooxidase) ein möglicherweise krankheitsmodulierender Effekt diskutiert. Hierfür sprechen Langzeituntersuchungen von Patienten, die mit dem MAO-Hemmer Selegilin behandelt wurden. Ebenso wurde gezeigt, dass der MAO-Hemmer Rasagilin evtl. einen neuroprotektiven Effekt hat. Nachgewiesen unwirksam sind Creatinin, Coenzym Q10 und Pioglitazone. Für die zukünftige Forschung wird die Entwicklung neuroprotektiver Therapien größte Bedeutung erlangen. Es muss das wichtigste Ziel der Therapieforschung sein, solche neuen Behandlungen zu entdecken.
Unter den symptomatischen Therapien ist die Gabe von L-Dopa bis heute am wirksamsten und der sog. Goldstandard der Parkinson-Therapie ▶ [10]. L-Dopa wird nach Aufnahme im Magen und Transport über die Blut-Hirn-Schranke in der Zelle in Dopamin umgewandelt und somit ersetzt es den durch die Degeneration verloren gegangenen Transmitter. Für diesen Therapieweg werden also die noch vorhandenen präsynaptischen Terminalen im Striatum benötigt, deren Transmittergehalt damit vergrößert wird. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung werden aber die Terminalen im Striatum auch reduziert. Dann stehen immer weniger Speicher für das extern zugeführte L-Dopa zur Verfügung und die Schwankungen der L-Dopa-Konzentration an der Synapse werden dadurch größer. Dies wird heute als eine der Hauptursachen für die sich entwickelnden Wirkungsfluktuationen betrachtet.
Wichtig ist, dass L-Dopa mit einem peripheren Decarboxylasehemmer kombiniert wird, sodass die Umwandlung von Dopa in Dopamin in der Körperperipherie nicht erfolgt. Die heute verwendeten Hemmstoffe des Dopaminabbaus, Benserazid und Carbidopa, gehen selbst nicht über die Blut-Hirn-Schranke, daher wird die Konzentration von L-Dopa im Blut hochgehalten, es wird dadurch viel L-Dopa ins Gehirn aufgenommen. Dort wird es von dem ungehemmten Decarboxylasehemmer zu Dopamin umgewandelt und steht als Transmitter zur Verfügung. Es gibt noch einen zweiten Abbauweg des L-Dopa, der im Blut zu einer Umwandlung von L-Dopa in 3O-Methyldopa führt. Dieser Weg kann mit Entacapon oder Tolcapon blockiert werden, sodass damit die Dopaminkonzentration im Gehirn weiter gesteigert wird.
Eine zweite wichtige Substanzgruppe sind die Dopaminagonisten. Sie greifen direkt an den Dopaminrezeptoren des Zentralnervensystems (ZNS) an und benötigen daher nicht den Umweg über die noch erhaltenen präsynaptischen Terminalen wie das L-Dopa. Allerdings sind sie wahrscheinlich auch nicht ganz so wirksam wie L-Dopa. Man unterscheidet hier die ergotaminartigen und die nicht ergotaminartigen Substanzen. Sie unterscheiden sich in der Wirkungsdauer und dem Nebenwirkungsprofil. Heute werden praktisch nur noch nicht ergotaminerge Substanzen verordnet.
Weitere Substanzen umfassen das Amantadin, das vor allem als glutamatantagonistischer Stoff wirkt. Damit wird die Erregung im NST und Globus pallidus pars internum (Gpi) reduziert ( ▶ Abb. 1.3). Die Anticholinergica sind reserviert für Patienten mit Tremor und wirken insbesondere im Putamen, wo es cholinerge Interneurone gibt, deren Wirkung gehemmt wird. Allerdings verbietet das Nebenwirkungsspektrum den Einsatz von Anticholinergika bei älteren Patienten oder solchen mit hirnorganischem Abbau.
Seit über 10 Jahren wird auch die THS zur Behandlung der Parkinson-Krankheit eingesetzt. Dabei werden Elektroden beidseits in den NST platziert und mit einem unter der Haut angebrachten Schrittmacher verbunden, der mit einer Frequenz von ca. 130Hz den Kern stimuliert. Der Nettoeffekt dieser Stimulation bewirkt wahrscheinlich eine Hemmung des NST. Dadurch kommt es zu einem plötzlichen Nachlassen des Tremors und einer deutlichen Besserung der akinetischen Störung. Auch der Rigor wird entscheidend gebessert.
In einer groß angelegten Multizentrenstudie konnte hinsichtlich der Beweglichkeit und der Lebensqualität die Überlegenheit der THS gegenüber der medikamentösen Behandlung gezeigt werden. Die untersuchte Patientengruppe zeigte deutliche motorische Komplikationen bereits früh im Krankheitsverlauf, keine oder nur sehr geringe dysarthrische Symptome und war frei von kognitiven Defiziten ▶ [7]. Die Behandlung durch die THS wird bei nicht mehr beherrschbaren motorischen Komplikationen, fehlender Demenz und noch erhaltener Ansprechbarkeit auf L-Dopa empfohlen ▶ [11]. Es hat sich in einer ebenfalls aussagekräftigen Studie gezeigt, dass auch bei geeigneten Patienten in früheren Krankheitsstadien mit erst beginnenden Fluktuationen die THS besser ist als die medikamentöse Behandlung ▶ [8]. Im Langzeitverlauf werden alle Kernsymptome auch nach 8–10 Jahren noch gebessert – allerdings schreitet die Erkrankung weiter fort, was die Therapie nicht aufhalten kann.
Unter den nicht medikamentösen Behandlungen sind mittlerweile einige physiotherapeutische Behandlungsstrategien durch entsprechende Untersuchungen etabliert. Physikalische Therapie beugt Gelenkkontrakturen vor. Laufbandtraining fördert Flüssigkeit und Schrittlänge des Gangbilds. Die Patienten können durch die Nutzung externer rhythmischer, akustischer Stimuli (lautes Zählen, Metronom) oder optischer Stimuli (aufgeklebte Leuchtstreifen) lernen, in Freezing-Perioden das Gehen zu initiieren. Repetitives Training korrektiver Stützreaktionen und protektiver Reaktionen (z.B. Ausfallschritt) kann einen positiven Effekt auf die posturale Stabilität erzielen. Tai Chi wie auch Tanztherapie haben einen nachgewiesenen Effekt ▶ [11]. Neben dem Balance-Training sollte immer auch ein Krafttraining angezielt werden.
Diese additiven therapeutischen Wege ermöglichen wahrscheinlich einen besseren Umgang mit motorischen Symptomen, eine Rückbildung jedoch ist von keiner Behandlungsform bisher zu erwarten.
Unter den logopädischen Therapiemaßnahmen gilt das Lee Silvermann Voice Treatment (LSVT) nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin als etabliert (Kap. ▶ 8, Kap. ▶ 9).
Der Einsatz der genannten Medikamente richtet sich nach dem Stadium der Erkrankung, dem Alter des Patienten und den besonderen Symptomen. Die konkreten Behandlungsempfehlungen unterliegen einem stetigen Fortschritt. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN) hat deshalb zusammen mit dem Kompetenznetz Parkinson und der Parkinson-Gesellschaft Leitlinien für Diagnose und Therapie herausgegeben ▶ [11]. Sie sind unter www.dgn.org in der neuesten Fassung im Internet einzusehen.
In der praktischen Therapie werden Patienten mit früh beginnender Erkrankung meist zunächst mit Dopaminagonisten behandelt, weil diese in geringerem Prozentsatz als L-Dopa zu hypo- und hyperkinetischen Fluktuationen führen. Wenn allerdings die Behinderung eines Patienten schwerwiegender oder mit Dopaminagonisten nicht ausreichend behandelt wird, muss man zusätzlich L-Dopa kombinieren. Bei Patienten über 70 Jahren setzt man meist von Anfang an L-Dopa ein, da im höheren Alter die Gefahr von Dyskinesien geringer ist und L-Dopa eine relativ geringere Potenz zur Auslösung von psychiatrischen Komplikationen hat.
Sehr viel schwieriger wird die Behandlung, wenn Behandlungskomplikationen eintreten. Falls es sich um hyperkinetische Komplikationen handelt, muss man vor allem für eine gleichmäßige Stimulation der Dopaminrezeptoren sorgen. Dies lässt sich erreichen, indem man die Medikamente häufiger im Tagesverlauf gibt oder lang wirksame Dopaminagonisten einsetzt. Wenn die Dyskinesien (Überbewegungen) im On auftreten, muss versucht werden, die Stimulation der Dopaminrezeptoren durch Reduktion von L-Dopa und evtl. Dopaminagonisten zu verringern.
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass in dieser Phase der Behandlung Spezialisten die Therapie übernehmen, da sehr stark nach individuellen Gesichtspunkten vorgegangen werden muss. Wenn die medikamentösen Behandlungsmaßnahmen nicht zum Erfolg führen, kann die THS des NST (THS NST) eingesetzt werden. Die Behandlung ist der medikamentösen Therapie im fortgeschrittenen Krankheitsstadium überlegen. Es bedarf der Anpassung der Stimulation im Langzeitverlauf.
Ein nicht seltenes Problem sind die psychiatrischen Spätkomplikationen der Erkrankung. Hier gilt zunächst, dass eine Reduktion der Anti-Parkinson-Mittel als erster Schritt versucht werden sollte. Führt dies nicht zu ausreichendem Erfolg, können Neuroleptika gegeben werden. Hier hat sich vor allem Clozapin als atypisches Neuroleptikum bewährt und ist für diese Indikation auch zugelassen. Auch Quetiapin wird oft eingesetzt. Klassische Neuroleptika müssen aber unbedingt vermieden werden, da sie die Dopaminrezeptoren blockieren und damit die Symptome der Parkinson-Erkrankung verstärken.
Es gibt eine Reihe von nicht medikamentösen Behandlungen, die mehr oder weniger gut wissenschaftlich abgesichert sind. Dazu gehören bestimmte krankengymnastische, ergotherapeutische und psychologische Verfahren. Sie beruhen darauf, dass das Gehirn trotz der Erkrankung Plastizitätsreserven hat, die man durch übende Behandlung mobilisieren kann. Erfreulicherweise gibt es gerade für die Sprache wirksame neue, nicht medikamentöse, logopädische Behandlungsverfahren, die für viele Patienten das so entscheidende Kommunikationsdefizit erheblich verbessern können.
[1] Ehringer H, Hornykiewicz O. Verteilung von Noradrenaline und Dopamine (3-Hydroxytyramine) im Gehirn des Menschen und ihr Verhalten bei Erkrankungen des extrapyramidalen Systems. Klin Wochenschr 38, 1960: 1236–9
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[3] Berg D, Postuma RB, Adler CH et al. Mds Research Criteria for Prodromal Parkinson’s Disease. Mov Disord 30, (12) 2015: 1600–11
[4] O’Sullivan SS, Massey LA, Williams DR et al. Clinical Outcomes of Progressive Supranuclear Palsy and Multiple System Atrophy. Brain 131, (Pt 5) 2008: 1362–72
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[7] Deuschl G, Paschen S, Witt K. Clinical outcome of deep brain stimulation for Parkinson’s disease. Handb Clin Neurol 2013; 116: 107–28
[8] Deuschl G, Schade-Brittinger C, Agid Y; EARLYSTIM Study Group. Neurostimulation for Parkinson’s disease with early motor complications. N Engl J Med 2013; 2038, DOI: 10.1056/NEJMc1303485
[9] Fahn S, Oakes D, Shoulson I et al. Levodopa and the progression of Parkinson’s disease. N Engl J Med 2004; 351: 2498–508
[10] Fox SH, Katzenschlager R, Lim SY et al. The Movement Disorder Society Evidence-Based Medicine Review Update: Treatments for the motor symptoms of Parkinson’s disease. Mov Disord 2011; 26 (Suppl. 3): S2–41
[11] Oertel W, Deuschl G, Eggert K et al. Parkinson-Syndrome. In: Diener HC, Hrsg. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Stuttgart: Thieme; 2012: 38–57
K. Witt
Neuropsychologische Störungen sind oft schon in frühen Stadien des idiopathischen Parkinson-Syndroms (IPS) in diskreter Ausprägung nachweisbar. ▶ Abb. 2.1 bietet einen Überblick über die Evolution kognitiver Störungen beim Morbus Parkinson. Bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung zeigen bis zu 24% der Patienten mit einem IPS bei einer ausführlichen neuropsychologischen Untersuchung Auffälligkeiten, die insbesondere in den Bereichen Aufmerksamkeit, Gedächtnisfunktionen und exekutive Funktionen zu finden sind ( ▶ Tab. 2.1) ▶ [36].
Evolution kognitiver Störungen beim Morbus Parkinson.
Abb. 2.1 Der Werdegang kognitiver Störungen über den Verlauf der Erkrankung ist nicht uniform. Die Abbildung zeigt exemplarisch typische Störungsbilder zu verschiedenen Phasen der Erkrankung. Möglicherweise lassen sich erste kognitive Veränderungen schon in einer ersten präklinischen Phase detektieren (1). Bei Diagnosestellung (2) und nach Ansetzen der Medikation (3) gibt es Störungsmerkmale, die im weiteren Krankheitsverlauf (4) zunehmen. Visuokonstruktive Störungen begleiten nun das Krankheitsbild. Spezifische neuropsychologische Veränderungen können mit der Tiefen Hirnstimulation (THS) einsetzen (5). Das Spätstadium ist durch eine subkortikale Demenz gekennzeichnet (Quelle: ▶ [48]).
Tab. 2.1
Übersicht der wichtigsten neuropsychologischen Auffälligkeiten bei Patienten mit Morbus Parkinson.
Kognitive Domäne
Teilleistungsstörung
Mögliches klinisches Korrelat
Aufmerksamkeit und Konzentration
Teilung der Aufmerksamkeit
rascher Wechsel des Aufmerksamkeitsfokus
psychomotorische Verlangsamung
exekutive Funktionen
verminderte kognitive Flexibilität
Störungen im Arbeitsgedächtnis
verminderte Antwortinhibition
Störungen beim Planen eines Handlungsentwurfs
Perseverationen
Einschränkungen bei der mentalen Manipulation komplexer Information
vorschnelles Reagieren
Störungen beim zielorientierten Handeln
Störungen bei der Modifikation von zuvor erlernten Gewohnheiten
Gedächtnis
Störungen beim aktiven Abruf von Gedächtnisinhalten
leichte Gedächtnisstörungen
Patienten können leichter Informationen wiedererkennen, als sich an diese aktiv zu erinnern
Aufmerksamkeitsstörungen Sie lassen sich in der Frühphase der Erkrankung in der Regel nur mit neuropsychologischen Tests nachweisen, die eine komplexere Aufmerksamkeitsleistung fordern oder bei deren Ausführung der Aufmerksamkeitsfokus rasch gewechselt werden muss ▶ [26]. Klinisch findet man als Folge dieses Defizits eine psychomotorische Verlangsamung. Ferner zeigen sich häufiger neuropsychologische Defizite, wenn die Aufmerksamkeit auf 2 Aufgaben gleichzeitig verteilt werden muss. Dies ist vergleichbar mit den Defiziten im motorischen Bereich, die klarer bestehen, wenn 2 unterschiedliche Bewegungen parallel durchgeführt werden.
Gedächtnisstörungen Diese liegen in der Regel im Sinne einer Abrufstörung vor. Bei einer neuropsychologischen Testung profitieren die Patienten leicht von Gedächtnishilfen und können somit Erlerntes (z.B. Wörter oder Wortpaare) besser wiedererkennen, während der aktive Abruf von Erlerntem schwerer fällt.
Exekutive Funktionen Störungen exekutiver Leistungen sind ebenfalls früh im Erkrankungsverlauf nachweisbar. Diese zeigen sich z.B. beim Anpassen von Gewohnheiten, der kognitiven Flexibilität und dem Entwurf interner Handlungsschemata für ein zielorientiertes Handeln ▶ [21], ▶ [22]. Beispiele hierfür sind die Testergebnisse im Wisconsin-Card-Sorting-Test ( ▶ Abb. 2.2), dem Stroop-Test und der phonematischen Wortflüssigkeit. Hier sollen z.B. innerhalb 1min so viele Wörter wie möglich mit dem Anfangsbuchstaben „M“ genannt werden.
Testung exekutiver Funktionen, Prinzip des Modified-Wisconsin-Card-Sorting-Tests.
Abb. 2.2 Hier sortiert der Patient Karten nach den Kategorien „Anzahl der Symbole“, „Farbe der Symbole“ oder „Symbolform“. Der Patient bekommt eine Rückmeldung vom Untersucher, ob er/sie richtig sortiert. Nach 6 richtigen Sortierschritten einer Kategorie wechselt die Kategorie z.B. von „Anzahl der Symbole“ auf „Farbe der Symbole“. Zum einen muss der Patient ein Handlungskonzept entwerfen und systematisch die Sortierkategorien bearbeiten, zum anderen muss der Patient vermeiden, nach der zuvor gültigen Regel zu sortieren, was einem Perseverationsfehler entspricht.
Anschaulich sind die Störungen der kognitiven Flexibilität beim randomisierten Generieren von Zahlenreihen: Bei diesem Paradigma soll der Patient die Zahlen zwischen 1 und 9 in zufälliger Reihenfolge wiedergeben. Da diese Zahlenreihen im täglichen Leben fast ausschließlich in auf- oder absteigenden Zahlenfolgen vorkommen, muss bei diesem Test die Zählgewohnheit unterdrückt werden und somit die kognitive Flexibilität zur Überwindung einer Zählgewohnheit aufgebracht werden. Patienten mit einem Morbus Parkinson fallen rasch in Zähltendenzen, die über Zähl-Scores standardisiert ermittelt und somit mit den Ergebnissen von gesunden Kontrollprobanden verglichen werden können ▶ [19], ▶ [47].
Störungen der exekutiven Kontrolle sind oft mit Defiziten im Bereich des Arbeitsgedächtnisses assoziiert. Nach einem Vorschlag von Owen et al. ▶ [37] sind jene einfachen Prozesse des Arbeitsgedächtnisses (z.B. das Nachsprechen von Zahlen) an den ventrolateralen präfrontalen Kortex gebunden.
Merke
Sobald die dargebotenen Zahlen manipuliert werden müssen (z.B. in aufsteigender Reihenfolge geordnet werden sollen), zeigen sich auf dieser höheren Verarbeitungsebene des Arbeitsgedächtnisses Störungen bei Patienten mit einem Morbus Parkinson. Neuroanatomisch scheint diese höhere Leistung an den dorsolateralen präfrontalen Kortex gebunden zu sein.
Weitere Auffälligkeiten wurden im Bereich der visuell-räumlichen Orientierung beschrieben. Diese zeigen sich, wenn Linien nach ihrer Orientierung zugeordnet werden müssen. Ob es sich bei dieser Störung um eine genuine, der idiopathischen Parkinson-Erkrankung zuzuordnenden Störung handelt oder ob eine Störung der exekutiven Leistungen das visuospatiale Störungsbild miterklärt, ist abschließend nicht belegt ▶ [16], ▶ [26].
Verlauf kognitiver Störungen Über den Verlauf kognitiver Störungen, die nicht die Diagnose einer Demenz erfüllen, ist wenig bekannt, da Untersuchungen zu diesem Thema keine aufwendigen neuropsychologischen Tests, sondern eher kognitive Screening-Methoden, z.B. die Mini-Mental Status Examination (MMSE), eingesetzt haben. Hier zeigte sich eine durchschnittliche Minderung um 1 Punkt des MMSE pro Jahr. Wie in Kap. ▶ 2.3 ausgeführt, weist dieser Verlauf eine große Varianz auf ▶ [13].
Menschen können grundsätzlich über 2 voneinander getrennte Systeme Kenntnis über ihre Umwelt erwerben: Hierbei unterscheidet man einen expliziten von einem impliziten Lernprozess ( ▶ Abb. 2.3).
Taxonomie der Gedächtnissysteme.
Abb. 2.3 Deklaratives Lernen zerfällt in 2 Bereiche, das Wissen um Fakten und das Wissen um (autobiografische) Ereignisse. Dieses Lernsystem ist an den medialen Temporallappen gebunden. Über die nicht deklarativen Lernsysteme werden motorische Fertigkeiten, Gewohnheiten, aber auch Priming- und Konditionierungsprozesse vermittelt. Diese werden über unterschiedliche neuroanatomische Strukturen erlernt.
Explizites Lernen Diese Lernform wird dem deklarativen Gedächtnissystem zugeordnet und ist an die neuroanatomischen Strukturen des medialen Temporallappens gebunden ▶ [43], ▶ [44]. Explizites Lernen geschieht bewusst, so wie das Lernen eines Namens oder einer Telefonnummer. Zudem werden autobiografische Ereignisse über dieses deklarative Lernsystem in das Langzeitgedächtnis überführt.
Implizites Lernen Vom expliziten Lernen sind implizite Lernprozesse abzugrenzen (z.B. das Schwimmen lernen oder das Lernen, ein Fahrrad zu fahren). Dieser Lernprozess ist nicht vollständig verbalisierbar, unabhängig vom Hippokampus, sehr unflexibel und damit unmittelbar an den Lernkontext gebunden. Das implizite Lernen zerfällt in mehrere Systeme. Patienten mit einem Morbus Parkinson zeigen Störungen in Teilbereichen des impliziten Lernens. Motorische Lernaufgaben sind an ein intaktes motorisches System gebunden und Untersuchungen motorischer Lernaufgaben sind generell weniger gut geeignet, da bei Patienten mit einem Morbus Parkinson bereits die Planung und auch die Ausführung einer Bewegung verlangsamt sein kann. Eindeutiger sind hier die Störungen z.B. beim Ausbilden von Gewohnheiten, was ebenfalls einen impliziten Lernprozess darstellt. Squire et al. definieren „Habits“ als „dispositions and tendencies that are specific to a set of stimuli and that guide behavior“ ▶ [43], ▶ [44].
Gewohnheitsentwicklung Die Ausbildung von Gewohnheiten („Habit Learning“) und ihre enge Beziehung zu den Basalganglien ist gut belegt und Defizite der Entwicklung einer Gewohnheit wurden an Patienten mit einem Morbus Parkinson nachgewiesen ▶ [31], ▶ [46]. Dieser Befund hat hinsichtlich der Erforschung der neurobiologischen Grundlage verschiedener Lernsysteme eine Bedeutung. Die Auswirkungen dieser Störungen im Bereich der alltäglichen Funktionen sind hingegen weniger gut bekannt. Sofern über dieses Defizit bewusst reflektiert wird, kann eine Strategie eingesetzt werden, um das Defizit zumindest zum Teil zu kompensieren. Die Kompensation wird deutlich schwieriger, wenn sich eine Gewohnheitsentwicklung unbewusst vollzieht, wie es beim Sprechen anzunehmen ist.
Merke
Die Veränderung von Gewohnheiten ist für Parkinson-Patienten erheblich gestört. Kompensatorische Maßnahmen sollten auf Formen expliziten Lernens zurückgreifen.
In Bezug auf die Dysarthrie erschweren die genannten neuropsychologischen Störungen die Therapie. Dabei ist es plausibel, dass eine Aufmerksamkeitsstörung die Patienten rascher ermüden lässt und die Lern- und Aufnahmebereitschaft gemindert sein kann. Zudem erschweren häufig die Defizite bei der Teilung der Aufmerksamkeit die Therapie, wenn z.B. der Patient auf eine deutliche Artikulation, aber auch gleichzeitig auf eine kräftige Phonation achten soll. Darüber hinaus kennzeichnen 2 „gegensätzliche“ Störungen das Krankheitsbild des IPS, die für die weitere Behandlung der Dysarthrie von besonderer Wichtigkeit sein sollten:
Auf der einen Seite zeigt sich eine deutliche Störung bei der Entwicklung neuer Gewohnheiten, die sich vor allem hinsichtlich des Sprechens auswirkt, da viele Elemente der Aussprache der Ausführung einer Gewohnheit entsprechen. Man denke hier nur an einen Dialekt und die Probleme, die es auch für Sprechgesunde gibt, wenn dieser abgelegt werden muss. Die Bildung einer verbesserten Aussprache durch Übung unterliegt einer höheren bewussten Kontrolle und kann üblicherweise weniger automatisch in das Sprechrepertoire aufgenommen werden.
Auf der anderen Seite fällt es Patienten mit IPS schwerer, zuvor verinnerlichte Gewohnheiten zu modifizieren. Ist eine Gewohnheit über lange Zeit Teil des Verhaltens bzw. Sprechrepertoires geworden, fehlt häufig die kognitive Flexibilität, diese Gewohnheit zu überwinden.
Beide Eigenschaften, die im Rahmen der idiopathischen Parkinson-Erkrankung bestehen, beeinflussen negativ die Fähigkeit, gelernte Inhalte einer Sprachtherapie auch umzusetzen, und erfordern spezifische Therapiekonzepte.
Im Bereich der Handmotorik sind motorische Reorganisationsprozesse bei Patienten mit einem Morbus Parkinson gut untersucht. Einige Patienten mit einem frühen Erkrankungsbeginn leiden an einer Mutation im Parkin-Gen. Mithilfe der funktionellen Kernspintomografie (fMRT) konnte nachgewiesen werden, dass bereits asymptomatische Genträger bei einer einfachen motorischen Aufgabe eine kortikale Reorganisation zeigen, um erste Defizite einer latenten nigrostriatalen Dysfunktion auszugleichen ▶ [20]. Eine zerebrale Reorganisation der aktivierten Nervenzellverbände beim Sprechen konnte auch nach dem LSVT (Kap. ▶ 9) gezeigt werden ▶ [32]. Diese Studien zeigen, dass eine neuronale Plastizität in der Lage ist, die beschriebenen kognitiven Defizite zumindest zu einem Teil zu überwinden.
Die Entstehung der genannten kognitiven Defizite wird kontrovers diskutiert.
Mattay et al. ▶ [34] betonen in diesem Zusammenhang die gestörte dopaminerge Innervation des präfrontalen Kortex durch die dopaminerge Degeneration der ventralen tegmentalen Area (VTA), die ventral der Substantia nigra liegt. Diese Arbeitsgruppe begründet ihre Hypothese mit einer Änderung der frontalen Aktivierung bei Patienten mit einem Morbus Parkinson bei einer Arbeitsgedächtnisaufgabe nach der Gabe von L-Dopa. Das Muster der Aktivierungsänderung in den VTA-innervierten präfrontalen Arealen spricht für den Einfluss dieser dopaminergen Projektion im Bereich kognitiver Leistungen. Der Einfluss von L-Dopa auf kognitive Fertigkeiten ist im Vergleich zu den Effekten auf die Motorik sehr gering. Kognitive Störungen korrelieren zudem mit denjenigen motorischen Störungen, die im geringeren Maße auf L-Dopa ansprechen, z.B. eine Dysarthrie (Kap. ▶ 6) und die posturale Instabilität.
Diese Argumente nutzen Pillon et al., um die Hypothese zu untermauern, dass die kognitiven Störungen beim Morbus Parkinson nicht als Folge der Degeneration dopaminerger Neurone zu interpretieren seien ▶ [40], ▶ [41].
Schließlich sind bei fortgeschrittenen Stadien des Morbus Parkinson auch kortikale Neurone von der Neurodegeneration betroffen, diese zeigen dann die typischen intrazellulären Lewy-Körperchen, was klinisch in eine Demenz münden kann. Dieser Befund erklärt aber nicht den Nachweis spezifischer Störungen bereits in frühen Stadien der Parkinson-Erkrankung.
Weitere Studien der Cambridger Arbeitsgruppe zeigen einen klareren Effekt von L-Dopa auf kognitive Fertigkeiten. Der Einfluss von L-Dopa zeigte ein aufgabenspezifisches Muster mit einer leichten Verbesserung exekutiver Funktionen (z.B. der Aufgabenwechsel), die neuroanatomisch dem dorsolateralen präfrontalen Kortex zugesprochen werden, und einer Verschlechterung in den Bereichen der Impulsivität, die in den frontoorbitalen Kortex lokalisiert wird ▶ [24], ▶ [23]. Das unterschiedliche Ausmaß der Degeneration dopaminerger Neurone erklärt die unterschiedliche Schwere der Störung in diesen kortikosubkortikalen Schleifensystemen (Kap. ▶ 1