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Dr. Laurin ist ein beliebter Allgemeinmediziner und Gynäkologe. Bereits in jungen Jahren besitzt er eine umfassende chirurgische Erfahrung. Darüber hinaus ist er auf ganz natürliche Weise ein Seelenarzt für seine Patienten. Die großartige Schriftstellerin Patricia Vandenberg, die schon den berühmten Dr. Norden verfasste, hat mit den 200 Romanen Dr. Laurin ihr Meisterstück geschaffen. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Keine Leseprobe vorhanden. E-Book 1: So süß kann Rache schmecken E-Book 2: Der Unfall – Bewährung für die Kayser-Klinik E-Book 3: Laura ist schwanger – und wird erpresst E-Book 4: Eine Lüge ließ sie verzweifeln E-Book 5: Ein Betrüger im Spiel E-Book 6: Tina – wer hat dir das angetan?
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Seitenzahl: 659
Veröffentlichungsjahr: 2018
So süß kann Rache schmecken
Der Unfall – Bewährung für die Kayser-Klinik
Laura ist schwanger – und wird erpresst
Eine Lüge ließ sie verzweifeln
Ein Betrüger im Spiel
Tina – wer hat dir das angetan?
Der weitgeschnittene Designermantel hatte sie über den tatsächlichen Zustand der jungen Frau hinweggetäuscht, wenngleich sie vorhin kurz registriert hatte, daß er eigentlich gar nicht zu ihrem etwas ordinären Gesicht paßte.
Gerade erst hatte Dr. Laurin eine Entbindung beendet. Nun kam er mit wehendem, noch nicht wieder zugeknöpften Kittel.
»Wer ist sie?« fragte er verwundert, denn er hatte sie noch nie gesehen.
Schwester Laura zuckte verlegen die Schultern.
»Sie ist zum ersten Mal hier«, erklärte sie, während Dr. Laurin die junge Frau schon abtastete und abhorchte.
»Und dann gleich in den letzten Wehen«, murmelte er.
Sein ernster Blick besagte, daß auch höchste Gefahr bestand. Also in den OP.
Schwester Laura nahm sich zusammen und gab seine Anordnungen weiter.
»Würden Sie uns bitte Ihren Namen nennen?« fragte Leon Laurin mit seiner tiefen Stimme, die immer so beruhigend wirkte.
»Nina Hill«, flüsterte die Frau tonlos.
Wie eine Sprechpuppe leierte sie die weiteren Antworten herunter.
Als ob sie unter Hypnose stände, dachte Dr. Laurin für sich und beobachtete sie scharf. Sie war in einem schrecklichen Zustand. Das Schlimmste war zu fürchten, und er sah schon wieder ungeahnte Schwierigkeiten auf sich zukommen, wenn er nicht mehr über sie in Erfahrung brachte. Wohnsitz Wien – eine Straße hatte sie nicht genannt. Sie schien die Frage überhört zu haben.
»Der Name Ihres Mannes bitte«, sagte er eindringlich.
Sie bewegte verneinend den Kopf.
Also eine Frau, die keinen Vater aufzuweisen hat, dachte er.
»Können Sie den Namen des Vaters Ihres Kindes nennen?« fragte Schwester Laura nun betont.
»Claudius Arkant«, kam die schnelle Erwiderung.
Leon Laurin hielt die Luft an.
Claudius Arkant war ein sehr bekannter Name.
Seit ein paar Tagen wurde er innerhalb Laurins Familie sehr oft genannt.
Du liebe Güte, dachte er, das kann einen schönen Skandal geben!
Aber er war Arzt. Das Leben einer Patientin stand allem voran.
Schwester Marie zog die Injektionsspritze auf. Leicht glitt die Nadel in die Vene der jungen Frau. Diese schien es schon gar nicht mehr zu spüren. Ihr Gesicht war wachsbleich und von kaltem Schweiß bedeckt.
»Alarmstufe eins!« rief Leon. »Wo bleibt Rasmus?«
Sein Assistenzarzt war schon zur Stelle.
»Ojemine«, sagte er nur. Manchmal tat er jetzt schon solche Äußerungen. Und manchmal schimpfte er sogar.
Man konnte feststellen, daß Schwester Ulla, mit der er seit ein paar Wochen verlobt war, einen recht belebenden Einfluß auf ihn ausübte.
Ulla und Schwester Marie hatten augenblicklich noch andere Sorgen, denn es war kein Bett mehr frei. Sie überlegten, welcher Patientin sie es wohl zumuten könnten – und bei ihr auch Verständnis finden könnten –, wenn sie ihr noch ein Bett ins Zimmer stellten.
»Am ehesten noch Frau Stör«, meinte Ulla. »Erbaut wird sie zwar auch nicht sein, aber sie ist nicht gar so eingebildet.«
Ihr allgemeiner Kummer war zur Zeit, daß sie recht arrogante und prestigebewußte Patientinnen in den Ein-Bett-Zimmern hatten. Es war Gott sei Dank nicht immer so, aber diesmal hatte es den Anschein, als hätten sie sich alle verabredet.
Nein, Frau Stör war nicht erbaut. Sie befand sich nach einer Myom-Operation auf dm Wege der Besserung und wollte ihre Ruhe haben.
»Es wäre nur für eine Nacht«, meinte Schwester Marie begütigend, als Frau Stör sich wunderte, warum ausgerechnet sie die Leidtragende sein sollte.
»Morgen wird ein Zimmer frei. Wir haben mit der Patientin nicht gerechnet.«
Schließlich erklärte sich Frau Stör herablassend bereit, aber die ganze Aufregung war umsonst.
Sie brauchten kein Bett mehr für Nina. Sie starb nach der Geburt eines Jungen, der auch nicht gerade große Überlebenschancen hatte.
*
Dr. Laurin war danach in kritischer Stimmung. Er bat Dr. Rasmus ins Chefzimmer und ließ auch Dr. Sternberg von der chirurgischen Station rufen. Als sie versammelt waren, ließ er Schwester Laura kommen.
»Wir wollen noch einmal ermitteln«, sagte er, und weil Eckart Sternberg ihn irritiert ansah, erklärte er ihm: »Zum Kern der Angelegenheit kommen wir später. Schwester Laura soll uns jetzt einmal genau erzählen, wann die Patientin gekommen ist und ob sie nicht doch schon früher einmal hier war.«
Schwester Laura fühlte ein unberechtigtes Schuldbewußtsein. Vielleicht vermeinte sie auch, einen versteckten Vorwurf in Dr. Laurins Worten zu hören.
»Sie war bestimmt noch nicht hier«, erklärte sie. »Heute kam sie gegen elf Uhr. Sie sagte, daß sie Dr. Laurin dringend sprechen müsse. Ich erklärte ihr, daß er heute keine Sprechstunde hätte und eben bei einer Entbindung gebraucht würde. Sie sagte darauf, daß sie warten würde und er doch bitte eine Ausnahme machen solle. Darauf erwiderte ich, daß sie warten solle,
ich aber nichts versprechen könne.«
»Sie sahen aber doch, daß sie hochschwanger war«, stellte Dr. Laurin fest.
»Sie trug diesen weiten Ozelotmantel«, erklärte Schwester Laura kleinlaut, »und ich war mit den Berichten beschäftigt. Außerdem kannte ich sie nicht, und sie nannte auch nicht ihren Namen. Ich dachte, es wäre wieder mal eine, die unerkannt bleiben wolle.«
»Denken ist Glücksache«, sagte Leon. »Sie können jetzt gehen, Laura.«
»Bin ich entlassen?« fragte sie entsetzt.
»Für den Augenblick«, meinte er nachsichtig. »Ich mache Ihnen doch keinen Vorwurf.«
Sie atmete erleichtert auf und warf ihm einen dankbaren Blick zu.
Die drei Ärzte waren allein. »Um was handelt es sich denn eigentlich?« fragte Dr. Sternberg verblüfft, und Leon erinnerte sich nun, daß er ja noch gar keine Ahnung hatte. Mit knappen Worten erzählte er ihm den Vorfall.
»An sich wäre mit einer normalen Geburt zu rechnen gewesen«, stellte er fest, »aber ich vermute, daß diese Nina Hill Unmengen von Beruhigungstabletten geschluckt hat. Vielleicht um die Wehenschmerzen zu bekämpfen, vielleicht auch aus anderen Gründen. Ob meine Vermutung stimmt, wird festgestellt werden müssen. Jedenfalls ist die ganze Geschichte rätselhaft, und ich frage mich, warum sie ausgerechnet in unsere Klinik gekommen ist.«
»Jemand wird sie ihr empfohlen haben, oder sie war ganz einfach in der Nähe«, vermutete Dr. Sternberg.
»Schau sie dir bitte mal an. Vielleicht kennst du sie«, bat Dr. Laurin.
Der Anblick von Toten war für Dr. Sternberg nichts Unbekanntes, aber dieses Gesicht drückte keinen Frieden aus und das stimmte ihn nachdenklich.
»Vielleicht hatte sie Selbstmordabsichten, und dann verließ sie der Mut«, überlegte er.
Leon zuckte die Schultern und dachte an den Namen, den sie als Vater des Kindes angegeben hatte.
Claudius Arkant!
Nun, das Kind lebte, und wenn er der Vater war, mußte er eine Erklärung abgeben. Das war wieder mal eine prekäre Geschichte. Er mochte so etwas gar nicht. Er hatte das Bedürfnis, mit seiner Frau Antonia darüber zu sprechen, die immer zu vernünftigen Überlegungen kam, wenn er von Groll erfüllt war.
*
Antonia Laurin wunderte sich, daß ihr Mann heute so überpünktlich zum Essen kam.
»Ärger?« fragte sie.
»Wie man es nimmt. Es kann welchen geben. Sag mal, Antonia, was weißt du von Claudius Arkant?«
Sie sah ihn irritiert an. »Du liebe Güte, seit Tagen reden doch Teresa und Sandra schon über das bevorstehende Ereignis, die Hochzeit des Jahres, hast du es nicht mitgekriegt?«
»Du weißt doch, daß ich mich für Gesellschaftsklatsch nicht interessiere.«
»Aber jetzt interessierst du dich plötzlich dafür«, bemerkte sie.
»Nur Claudius Arkants wegen«, murmelte er. »Ich bin ganz Ohr.«
»Teresa würde nur neugierig werden, du begnügst dich mit dem, was ich sagen will.«
Sie lächelte. »Also wieder mal ein Geheimnis. Nun gut – aber wir können ja dabei essen, sonst schlingst du es nachher nur wieder im Eiltempo hinunter, weil dir einfällt, daß du in der Klinik gebraucht wirst.«
Karin hielt das Essen schon bereit.
»Arkant war bis vor ein paar Monaten ein bekannter, aber unvermögender Sportsmann«, erklärte Antonia, als die Teller gefüllt waren.
»Autorennen, soweit ich mich erinnere«, warf Leon ein.
»Dazu Tennisspieler und Turnierreiter.«
»Eine komische Mischung«, knurrte Leon. »Gearbeitet hat er wohl nicht?« Männer, die keinem geregelten Beruf nachgingen, waren für ihn ein Greuel, und er gestand sich ein, daß er ziemlich voreingenommen gegen Arkant war.
»Wovon er lebte, weiß ich auch nicht«, meinte Antonia lächelnd. »Persönlich kenne ich ihn nicht. Aber Monika und Bert kennen ihn, und Sandra kennt seine zukünftige Frau, Astrid von Diering. Da gab es mal einen spektakulären Prozeß.«
»Anscheinend eine gute Partie«, stellte Leon fest.
»Sie ist jung, bildschön und reich, wie man erzählt, aber Geld hat er nicht mehr nötig. Er hat eine Riesenerbschaft gemacht. Er ist jetzt vielfacher Millionär und braucht gewiß nicht mehr zu arbeiten.«
»Und was weißt du sonst von ihm? Solche Männer haben gewöhnlich doch eine bewegte Vergangenheit, viele Freundinnen und so.«
Sie warf ihm einen schrägen Blick zu, den er mit einem Augenzwinkern hinnahm. Er hatte auch eine ganze Anzahl Freundinnen gehabt, bevor er Antonia heiratete.
»Wieso interessierst du dich eigentlich für ihn?« fragte Antonia.
»Nur so – man will ja auch nicht dämlich dastehen, wenn über die Hochzeit des Jahres geredete wird.«
Das war bestimmt nicht der Grund!
Antonia kannte ihren Mann. Es mußte etwas anderes dahinterstecken, aber da er anscheinend nichts sagen wollte, fragte sie ihn nicht.
Sie war eine diplomatische Frau.
*
Wo Claudius Arkant zu finden war, brachte Dr. Laurin schnell heraus. Er hatte ein Luxusappartement in einem exklusiven Hotel gemietet, wo er bis zu seiner Hochzeit wohnen wollte. Danach wartete eines der schönsten Häuser in einem Prominentenviertel auf ihn und seine junge Frau, die erst knapp zwanzig Jahre alt war.
Zwischen zwei Untersuchungen rief Dr. Laurin in dem Hotel an. Claudius Arkant war anwesend. Aber er schien verwirrt, als Leon seinen Namen nannte.
»Von der Prof.-Kayser-Klinik?« fragte er erstaunt.
Leon bestätigte es. Er sagte ihm, daß er ihn in einer dringenden Angelegenheit sprechen müsse.
Ob das nicht telefonisch zu erledigen sei, fragte Arkant, dessen Stimme eigentlich sehr angenehm klang; aber Leon erklärte ihm, daß diese Angelegenheit ein wenig kompliziert sei. Und sehr wichtig für ihn, da eventuell große Unannehmlichkeiten auf ihn zukommen könnten. Arkants Stimme war hörbar beunruhigt, als er einwilligte, in die Klinik zu kommen.
Dr. Laurin ging nach dem Gespräch zum Säuglingszimmer. Seine besondere Aufmerksamkeit galt dem mutterlosen kleinen Jungen, der einen recht starken Lebenswillen zu haben schien. Er brüllte kräftig, aber Leon fragte sich, was für ein Leben ihn nun wohl erwartete. Er sah der Unterredung mit Arkant voller Ungeduld entgegen.
Der Besucher kam auf die Minute pünktlich.
Der Arzt konnte seine Überraschung kaum verbergen, denn der junge Mann entsprach gar nicht dem Bild, das er sich von ihm gemacht hatte. Er wirkte unglaublich sympathisch. Sein Gesicht war schmal und sonnengebräunt, seine Augen hell und dennoch nicht kalt. Das Haar war sehr gepflegt. Er war mittelgroß und hatte eine blendende Figur.
Wenngleich er einen unsicheren Eindruck machte, wirkte er nicht schuldbeladen.
Bitte, nehmen Sie Platz«, forderte ihn Leon Laurin auf. »Unser Gespräch wird einige Zeit in Anspruch nehmen.«
»Ich bin etwas knapp mit der Zeit«, erklärte Claudius Arkant. »Heute abend haben wir einen offiziellen Empfang. In vierzehn Tagen findet meine Hochzeit statt.«
»Das freut mich für Sie«, sagte Dr. Laurin sarkastisch. »Übrigens – kennen Sie eine Nina Hill?« begann er langsam, sein Gegenüber scharf im Auge behaltend.
Er sah, wie Arkant zusammenzuckte und sein frisches Gesicht merklich erblaßte.
»Nina Hill?« wiederholte er.
»Sie kennen die Dame?«
»Ich kannte sie. Ich habe aber jetzt keinerlei Beziehung mehr zu ihr«, antwortete Arkant gepreßt. »Um was handelt es sich?«
»Sie brachte heute morgen in dieser Klinik ein Kind zur Welt. Nach der Geburt starb sie.«
Arkant wurde noch blasser. Nervös fuhr er sich mit einem weißen Taschentuch über die Stirn.
»Das ist schlimm«, murmelte er.
»Leider kommt es noch schlimmer, Herr Arkant. Sie gab nämlich Sie als den Vater des Kindes an.«
»Das ist nicht wahr!« stieß Arkant hervor. »Das ist eine Lüge.«
»Ich bin nur Arzt«, sagte Leon ruhig. »Ich bin kein Untersuchungsrichter. Die merkwürdigen Umstände zwingen mich zum Nachdenken.«
»Welche merkwürdigen Umstände?« fragte Arkant gepreßt.
Leon erzählte ihm, wie Nina Hill in die Klinik gekommen war.
»Ich erwarte jetzt das Ergebnis der Autopsie, die ich beantragen mußte«, erklärte er. »Aber ich möchte Sie bitten, die Tote zu identifizieren.«
»Muß das sein?«
»Vielleicht wäre es nützlich für Sie, wenn Sie sich überzeugen, daß es sich um Nina Hill handelt. Begleiten Sie mich zum Leichenschauhaus.«
Eigentlich hatte er keine Zeit für solch einen Ausflug, aber er wollte Claudius Arkants Gesicht sehen, wenn er die Tote betrachtete. Er war nun mitten drin in dieser Affäre, und ihm kam der Gedanke, daß es eine üble Skandalgeschichte werden könnte.
»Wenn Astrid das erfährt, ist es aus mit unserer Heirat«, stammelte Claudius Arkant unglücklich, als er neben Leon im Wagen saß. »Aber ich schwöre Ihnen, Herr Doktor, daß ich meine Beziehungen zu Nina bereits vor einem halben Jahr abgebrochen habe, als ich Astrid von Diering kennenlernte.«
»Ein Kind braucht neun Monate, um auf die Welt zu kommen, und es war ein ausgetragenes Kind«, stellte Leon gelassen fest.
»Lebt es?« flüsterte Arkant.
»Es ist recht fidel.«
Der andere sank noch mehr in sich zusammen. »Es ist mir unbegreiflich«, murmelte er, aber zum ersten Mal hatte Leon das Gefühl, daß er nicht ganz die Wahrheit sprach.
Sie waren bei dem Leichenschauhaus angekommen. Fröstelnd zog Arkant die Schultern zusammen.
Und dann starrte er das Gesicht an. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und sah die Tote dann wieder an.
»Das ist nicht Nina!« sagte er erregt. »Sie ist es nicht, hören Sie, Dr. Laurin?«
»Ja, ich höre es.« Laut genug hatte er es ja gesagt in dieser tödlichen Stille.
Die Kachelwände warfen das Echo seiner Worte zurück.
»Ich will hier heraus«, explodierte er dann. »Ich weiß nicht, wer diese Frau ist und warum sie mir so etwas anhängen will!«
Leon griff nach seinem Arm und schob ihn hinaus. »Darüber können wir uns draußen unterhalten«, murmelte er. »Wenn sich ein Skandal vermeiden läßt, kann es mir nur recht sein.«
»Er muß vermieden werden!« stöhnte Arkant. »Ich liebe Astrid. Ich lasse mir mein Leben nicht von einer intriganten Frau zerstören!«
Was sollte das nun wieder bedeuten? Leon sah ihn mißtrauisch an. »Wie meinen Sie das?« fragte er knapp.
»Das kann doch nur ein Komplott sein! Nina hat sich nicht gerührt, nachdem wir uns getrennt haben. Erst…« Er machte eine Pause, versank für ein paar Sekunden in Nachdenken und fuhr dann fort: »Und nun erscheint eine fremde Frau unter ihrem Namen, bringt ein Kind zur Welt und gibt mich als dessen Vater aus. Das ist infam!«
Sprach er die Wahrheit, oder war er so geistesgegenwärtig, eine Chance auszunützen? Eigentlich war Leon gewillt, ihm Glauben zu schenken, aber andererseits schien ihm Mißtrauen auch angebracht.
»Ich bedauere es sehr, Herr Arkant«, sagte er, »auch in meinem Interesse und in dem der Klinik, aber ich muß der Polizei Meldung erstatten und Sie als Zeugen dafür anführen, daß die Tote nicht Nina Hill ist. Die richtige muß dann gefunden werden, damit Licht in dieses Dunkel kommt.«
»Es gibt eine Katastrophe!« stöhnte Claudius Arkant. »Mein Schwiegervater hat bestimmt kein Verständnis dafür, daß ich mal mit einer Operettensängerin liiert war.«
»Kommt es denn auf den Schwiegervater an, nicht viel mehr auf Ihre zukünftige Frau?« fragte Dr. Laurin.
»Astrid ist ja noch ein halbes Kind«, murmelte Claudius Arkant.
*
Immerhin war Astrid von Diering dann ein sehr vernünftiges Kind, wie sich zeigte, als sie in das Hotel kam und vergeblich nach Claudius fragte. Es waren zwar nur noch ein paar Stunden bis zu dem Empfang, aber sie wollte ihn unbedingt noch einmal allein sprechen. Sie hatte ihre Gründe dafür, denn heute hatte sie einen seltsamen Anruf bekommen, mit dem sie nichts anzufangen wußte.
»Ich werde oben auf meinen Verlobten warten«, erklärte sie.
Man sah keine Veranlassung, Astrid von Diering, einer jungen Dame der besten Gesellschaft, deren baldige Hochzeit mit Claudius Arkant durch alle Zeitungen ging, dieses Ansinnen zu verweigern.
Astrid betrat völlig unbefangen das Appartement. Claudius war es bestimmt lieber, wenn sie hier oben wartete als in der Halle, wo womöglich wieder Reporter herumlungerten.
Plötzlich berührten ihre Finger ein Stück Papier, das sich zwischen die Polster des Sessels geschoben haben mußte. Gedankenlos griff sie danach und zog es hervor. Schon bereit, es in den Papierkorb zu werfen, fiel ihr Blick auf einen Namen:
Nina!
Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Sie strich das zerknitterte Papier glatt und las:
Lieber Claudius,
es wird Dir nicht angenehm sein, aber ich erwarte ein Kind. Ich werde es in der Prof.-Kayser-Klinik zur Welt bringen und hoffe, Dich damit zu Deiner Hochzeit… noch rechtzeitig überraschen zu können. So süß kann Rache schmecken. Sieh zu, wie Du Dich aus der Affäre ziehst.
Nina!
Astrid war wie erstarrt. Entsetzen kroch in ihr empor. Entsetzen vor allem über diese frivolen Worte, und wieder vermeinte sie die Stimme der fremden Anruferin zu hören.
Und nun war Claudius nicht da, daß sie gleich mit ihm sprechen könnte. Sie war sich klar, daß jedes Warten ihre Erregung verstärken würde.
Was soll ich nur tun? fragte sich Astrid. Der Empfang konnte nicht mehr abgesagt werden, aber würde Claudius jetzt überhaupt noch erscheinen? Der Brief trug das Datum der vorigen Woche.
Was sie schmerzhaft traf, war die Tatsache, daß ihm nichts anzumerken gewesen war, und daß er nie von einer Nina gesprochen hatte.
»Nina Hill«, hatte die Fremde am Telefon gesagt. Der Name hatte sich bereits in ihrem Bewußtsein verwurzelt.
Sie steckte den Brief in ihre Handtasche. Dann ging sie.
»Sagen Sie Herrn Arkant bitte nicht, daß ich gewartet habe, sonst macht er sich unnütze Gedanken.« Sie drückte dem Portier ein großzügiges Trinkgeld in die Hand. »Mir dauert es jetzt doch zu lange.«
Man wußte, daß heute ein großartiger Empfang stattfinden würde, und der Portier hatte Respekt vor dieser entzückenden jungen Dame, die dazu noch so rücksichtsvoll war.
*
»Herr Dr. Laurin, ich bitte Sie, mir zu glauben! Diese Frau ist nicht Nina Hill. Und ich bitte Sie herzlich, von dieser rätselhaften Geschichte nichts verlauten zu lassen.«
Mit diesen Worten hatte sich Claudius Arkant verabschiedet.
An mir allein liegt es ja nun nicht mehr, dachte Leon gedankenvoll. Er wollte gerne Diskretion wahren, aber ob die Polizei es tun würde, war eine andere Frage. Und diese mußte nun eingeschaltet werden. Ausweispapiere hatte man bei der Toten nicht gefunden, und tatsächlich hatte sich herausgestellt, daß sie eine beträchtliche Menge von Betäubungsmitteln geschluckt hatte.
Ihm konnte man keinen Vorwurf machen. Nina Hill, oder wie immer sie heißen mochte, war schon als Sterbende in die Klinik gekommen.
*
Es war Mittwoch, und eigentlich der Abend, an dem die Brinks immer bei ihnen waren.
»Kommen Sandra und Andreas heute nicht?« fragte Leon, weil Antonia gar keine Anstalten machte, sich vom Abendbrottisch zu erheben.
»Sie sind doch heute auf dem Empfang von Dierings eingeladen«, erwiderte Antonia achtlos.
»Und das sagst du mir erst jetzt?« fuhr er auf.
»Ich habe es mindestens schon dreimal gesagt, aber du hörst ja gar nicht hin.«
»Heute hast du es aber noch nicht gesagt«, stellte er stirnrunzelnd fest.
»Ich bitte um Absolution, Göttergatte. Ich dachte, es wäre mittlerweile in dein Bewußtsein gedrungen.«
Er war aufgesprungen und eilte zu ihrer Überraschung ans Telefon. Sie hörte seine Stimme, und heute lauschte sie sogar mal – ausnahmsweise –, weil sie noch immer rätselte, warum Claudius Arkant ihn so sehr interessierte.
»Sandra – gut, daß ich dich noch erreiche. Ich habe eine Bitte.«
Eine Pause folgte, dann fuhr er fort: »Schau dir doch Arkant mal an und sag’ mir, was für eine Stimmung war. – Warum mich das interessiert? Das erzähle ich dir bei Gelegenheit. – Ja, ich habe ihn kennengelernt. Mehr kann ich nicht sagen. Halt Augen und Ohren offen.«
Das versprach Sandra, und Leon kehrte ein wenig beruhigt zu Antonia zurück, die jetzt aber doch wissen wollte, was los war.
Er dachte ein paar Minuten nach. »Ich werde es dir sagen, Antonia, aber du mußt darüber schweigen.«
»Ist doch wohl klar. Mach es dir bequem. Willst du noch ein Kissen?«
»Setz dich lieber her. Du bist ein besseres Kissen«, murmelte er.
Es war seine liebste Gewohnheit, wenn er den Kopf in ihren Schoß legen konnte und ihre Finger in seinem Haar spielten. Da fiel auch das Reden leicht, und Antonia war eine gute Zuhörerin.
Sie sagte eine ganze Weile gar nichts, bis er die Geschichte zu Ende erzählt hatte.
»Fatal«, bemerkte sie dann. »Der Mann kann einem leid tun.«
»Seit wann tun dir Männer leid?«
»Seit ich weiß, wie schnell einer ins Gerede kommen kann, siehe Leon Laurin. Frauen können schon verdammte Biester sein.«
»Aber auch verflixt süß – in Ausnahmen natürlich.«
»Nina Hill«, sagte sie gedankenvoll. »Eine Sängerin. Sie gab vor ein paar Monaten hier ein Gastspiel. Nicht gerade die Schönste, aber die Männer waren gewaltig hinter ihr her. Warum eigentlich?«
»Das weiß ich doch nicht! Ich kenne sie nicht, und ich bin mit meiner Frau voll ausgelastet. Hast du nicht irgendwo ein Bild von ihr?«
»Ach du liebe Güte, so was hebe ich doch nicht auf. Da müßtest du schon Teresa fragen. Die hat immer ein halbes Dutzend Illustrierte im Haus. Dafür habe ich keine Zeit. Ich könnte dir nicht mal sagen, wie sie aussieht. Aber ganz unbekannt ist sie nicht. Sie kann nicht einfach sterben, ohne daß man es zur Kenntnis nimmt.«
»Du bringst mich auf eine Idee«, sagte er und war wieder hellwach.
»Auf welche?«
»Man muß bekanntmachen, daß sich jemand als Nina Hill ausgegeben hat und verstorben ist. Sie wird ja eine Agentur haben oder einen Manager. So nennt man das doch wohl. Sie muß zu finden sein. Ich will den Dingen auf den Grund kommen.«
»Bist du als Arzt nicht ausgelastet? Mußt du jetzt auch noch Detektiv spielen?«
»Man kann doch Arkant nicht vor die Hunde gehen lassen«, murmelte er.
»Er ist dir also sympathisch«, stellte Antonia fest.
*
Sandra und Andreas Brink gehörten auf dem Empfang bei Dierings zu den verspäteten Gästen. Es war nicht zu ändern. Ihre Kinder wurden jedesmal rebellisch, wenn sie ausgehen wollten, auch wenn sie nicht allein im Haus waren.
Sandra war leicht erhitzt, aber weil das Farbe in ihre Wangen brachte, sah sie besonders apart aus. Zufrieden konnte Andreas feststellen, daß seine Frau alle anderen in den Schatten stellte, wollte man von der reizenden jungen Braut absehen, die jedoch leicht angegriffen wirkte.
Natürlich beobachtete Sandra alles mit besonders aufmerksamen Augen nach Leons Anruf.
»Arkant sieht gar nicht schlecht aus«, raunte sie ihrem Mann zu. »Ein bißchen abgespannt wie seine Braut auch, aber das macht wohl die Aufregung.«
Baron von Diering kam auf sie zu und begrüßte sie mit längst überholter Steifheit. Dann wurden sie auch vom Brautpaar begrüßt, kamen aber zu keinem richtigen Gespräch, weil noch spätere Gäste kamen, was Sandra einigermaßen beruhigte.
Der offizielle Teil war vorüber, als die Verlobten sich in einen Nebenraum zurückzogen. Sandra beobachtete es und hätte zu gern gehört, was sie miteinander zu besprechen hatten, aber wenn sie das Andreas gesagt hätte, wäre er närrisch geworden. So etwas konnte er nicht vertragen. Doch Andreas wurde von einem Kollegen, den er hier ganz zufällig getroffen hatte,
in ein Gespräch gezogen, und Sandra konnte sich einfach davonstehlen.
Astrid war eben dabei, Claudius vorsichtig ins Verhör zu nehmen. »Du bist nervös«, stellte sie fest, nachdem sie erst über belanglose Dinge gesprochen hatten und sie ihn aushorchte, ob er etwas von ihrem Besuch im Hotel wüßte.
Er war völlig ahnungslos. Als sie ihn fragte, wo er denn am Nachmittag gewesen sei, da sie vergeblich versucht hätte, ihn zu erreichen, wurde er sehr verlegen.
»Wolltest du etwas Bestimmtes von mir?« fragte er heiser.
Astrid wurde bewußt, daß wohl jetzt doch nicht die richtige Stunde sei, um über diesen Anruf zu sprechen. Von dem Brief wollte sie ganz schweigen, wenn er nicht von selbst damit anfing.
»Ach nein, nur eben so«, antwortete sie.
»Mißtraust du mir?« fragte er leise.
»Nein, Claudius, und ich hoffe, daß du auch Vertrauen zu mir hast. Es ist doch so wichtig für eine Ehe.«
»Du bist so jung, du sollst nur fröhlich sein«, murmelte er. »Ich möchte dich so gern glücklich machen…«
Es war, als verschlucke er ein Aber…
Der Empfang endete zwei Stunden später mit einer bösen Überraschung. Kurz vor Mitternacht wurde der Baron ans Telefon gerufen. Nach dem Gespräch kam er geisterbleich in den Salon getaumelt.
»Ich möchte sofort Claudius sprechen«, forderte er erregt, aber seine Worte waren nur ein Lallen. Schwer atmend sank er in einen Sessel.
Astrid kam herbeigeeilt, starrte ihren Vater betroffen an und sah, wie sein Gesicht sich blaurot färbte. Er rang nach Luft, seine Augen verdrehten sich, und im nächsten Augenblick wurde er ohnmächtig.
»Einen Arzt!« schrie Astrid, als Claudius herbeigeeilt kam.
Zufällig vernahm auch Sandra diesen Ausruf und war sofort zur Stelle. »Ich werde Dr. Sternberg anrufen – die Prof.-Kayser-Klinik«, murmelte sie.
Zehn Minuten später kam Dr. Sternberg schon mit dem Ambulanzwagen. »Akuter Herzanfall«, lautete seine Diagnose.
Prof.-Kayser-Klinik, kreiste es in Astrids Kopf, aber sie konnte nur nicken, als Dr. Sternberg sagte, daß man ihren Vater in die Klinik bringen müßte.
Prof.-Kayser-Klinik, dachte auch Claudius Arkant. Soll sie mir zum Schicksal werden?
*
Baron von Diering lag unter dem Sauerstoffzelt. Eckart Sternberg schüttelte bedenklich den Kopf.
»Hat Ihr Vater schon öfter Herzanfälle gehabt?« fragte er Astrid.
»Atembeschwerden schon«, gab sie nachdenklich zu. »Er wollte sie nie wahrhaben.«
»Hat er sich aufgeregt?« fragte Eckart weiter, der ja keine Ahnung hatte.
»Ich kann es mir nicht vorstellen. Er war in heiterer Stimmung. Wir hatten einen Empfang anläßlich meiner bevorstehenden Hochzeit mit Claudius Arkant.« Sie zögerte, fragte dann: »Steht es schlimm um ihn?«
»Wir müssen abwarten, Lebensgefahr besteht zur Zeit nicht. Man sollte einen Herzspezialisten zuziehen. Ich bin ja Chirurg«, stellte er fest. »Aber er wird jetzt schlafen, und morgen wissen wir sicher schon mehr.«
»Danke«, stammelte Astrid. »Bitte, tun Sie alles, was in Ihrer Macht steht, Herr Doktor.«
»Das ist selbstverständlich«, erwiderte Dr. Sternberg ruhig.
Das würde er auch tun, wenn es sich nicht um einen Baron von Diering handelte.
»Was ging eigentlich voraus?« fragte Claudius gepreßt, als sie zum Wagen gingen.
»Ich weiß es nicht so genau. Er wurde zum Telefon gerufen, sagte mir der Butler. Ungewöhnlich zu dieser Stunde, aber…« Sie hielt inne und starrte ihn an. »Ich habe heute auch einen ungewöhnlichen Anruf bekommen, Claudius«, fuhr sie dann unsicher fort.
»Wieso?« fragte er.
Sie zögerte, aber dann nahm sie allen Mut zusammen. »Eine Frau rief mich an. Sie nannte ihren Namen nicht. Sie sagte nur, daß ich eine Nina Hill in der Prof.-Kayser-Klinik aufsuchen solle, wenn ich Näheres über dich erfahren wolle. Ich wollte mit dir darüber sprechen.«
Sein Gesicht versteinerte. »Hast du mit deinem Vater darüber gesprochen?« fragte er erschrocken.
»Aber nein, das sind doch Dinge, die uns nur allein angehen! Ich bin zwar noch nicht deine Frau, aber die vierzehn Tage bis dahin spielen doch wohl auch keine Rolle mehr.«
Schweigen war zwischen ihnen. Ein quälendes Schweigen. Claudius schlang seine Hände ineinander.
»Astrid – ich liebe dich«, bekannte er, »aber ich werde dich nicht heiraten können.«
Sie starrte ihn erschrocken an. Sollte sie jetzt diesen Brief erwähnen? Sie konnte es nicht. Wenn er nicht selbst darüber sprach, wollte sie es nicht erwähnen.
»Du wirst mir eine Erklärung dafür geben müssen«, sagte sie beherrscht.
»Das kann ich nicht. Es ist da etwas in meinem Leben, was du nicht verstehen könntest. Ich bin selbst völlig durcheinander und muß erst dahinterkommen, was da gespielt wird. Es würde kaum etwas nützen, wenn ich es dir sagen würde. Es ist zu unbegreiflich. Aber wenn sich auch alles aufklärt, dein Vater würde nie gestatten, daß du mich heiratest. Wir werden uns überlegen müssen, wie wir uns aus der Sache ziehen.«
Sie warf den Kopf herum. »Ich denke gar nicht daran. Vielleicht müssen wir unsere Hochzeit aufschieben, weil Vaters Krankheit dazwischengekommen ist, aber wenn du mich liebst – und ich liebe dich auch –, warum sollten wir dann nicht heiraten?«
»Eben das kann ich dir nicht erklären, und bitte, frage mich auch nicht mehr«, murmelte er.
»Einmal wirst du es mir sagen müssen, Claudius. Ich werde es verlangen. Heute bin ich zu erregt. Wenn diese Frau Vater angerufen hat und schuld an seinem Zusammenbruch ist, werde ich sie dafür hassen, aber warum sollte ich dich hassen? Du kannst doch nichts dafür.«
»Indirekt wohl doch«, stieß er hervor.
»Du kennst diese Nina Hill?« fragte sie, obwohl sie es schon wußte.
»Ja, ich kenne sie – ich kannte sie. Wir waren befreundet, bevor ich dich kennenlernte«, erwiderte er müde. »Aber ich habe sie aus meinem Gedächtnis gestrichen. Und nun frage bitte nichts mehr. Beschwöre die bösen Geister nicht herauf, Astrid. Vielleicht ist dieser Abend ein Abschied für immer, und ich möchte, daß du den Gedanken mitnimmst, daß ich dich liebe.«
»Und ich werde nicht ruhen, bis ich die Gründe kenne, die uns trennen sollten«, erklärte sie fest.
Er legte die Hände um ihr Gesicht. »Du bist ein wunderbares Mädchen, Astrid«, sagte er zärtlich. »Ich verdiene dich nicht.«
*
Dr. Laurin mußte sich am nächsten Tag gedulden, bis er Eckart Sternberg sprechen konnte. Am Empfang stöhnten sie, denn dauernd kamen Anrufe Baron Dierings wegen. Jeder wollte wissen, wie es ihm ginge, und dann wurde Leon Fräulein von Diering gemeldet, die ihn zu sprechen wünschte.
Ihn? Warum? fragte er sich.
»Nein, ich möchte Sie nicht wegen meines Vaters sprechen«, erklärte sie auf seine Frage, »sondern wegen einer gewissen Nina Hill.«
Seine Lider senkten sich rasch. Hatte Arkant mit ihr gesprochen?
»Bitte, nehmen Sie Platz, Fräulein von Diering«, bat er zurückhaltend.
»Ist eine Patientin dieses Namens in Ihrer Klinik?« fragte Astrid.
»Sie war hier«, antwortete er zögernd.
»Sie ist schon wieder entlassen?«
»Nein – sie ist tot«, entgegnete er unumwunden.
»Tot?« Sie schrie es fast.
»Ja, sie starb bei der Geburt ihres Kindes. Aber – bitte, das ist ausnahmsweise und aller Diskretion gesagt, weil es ein so prekärer Fall ist. Wir wissen noch nicht, ob sie wirklich Nina Hill hieß. Sie nannte diesen Namen, aber sie hatte keinerlei Papiere.«
»Und was hat Claudius damit zu schaffen, Herr Dr. Laurin?« fragte sie zitternd.
Was wußte sie? Wollte sie nur eine Bestätigung haben? Er wußte nicht, was er erwidern sollte.
»Ich möchte Claudius helfen«, versicherte sie leise. »Ich liebe ihn und möchte ihn nicht verlieren. Vielleicht sollte ich es ihm verübeln, daß er schweigt, aber er glaubt, ich sei zu jung, das zu verstehen. Er will sich von mir trennen, und er ist sehr unglücklich. Ich fühle es.«
So jung sie war, so tapfer war sie auch. Sie nötigte Leon Respekt ab.
»Ich könnte mir vorstellen, daß Ihr Verlobter Sie brauchen wird«, stellte er fest.
»Allerdings wird die Krankheit Ihres Vaters die Dinge noch komplizieren.«
»Ich weiß«, bestätigte sie, »aber Claudius soll jetzt nicht den Kopf verlieren. Bitte, sagen sie ihm nicht, daß ich hier war und was ich mit Ihnen besprochen habe. Ich werde mit ihm selbst ins Reine kommen. Ich bin froh, daß Vater in Ihre Klinik gekommen ist. Sie können mir behilflich sein, alles von ihm fernzuhalten, was ihn erneut erregen könnte. Mit Ihnen kann ich doch wenigstens sprechen.«
Arkant weiß gar nicht, was er an diesem Mädchen hat, dachte Leon. Er liebt sie, weil sie jung und reizend ist, aber ihren wahren Wert wird er noch schätzen lernen müssen, wenn – ja, wenn das Schicksal nicht noch mehr gegen ihn sein würde…
*
Claudius Arkant war aus dem Hotel in das schöne Haus gezogen, das er für Astrid gekauft hatte, in dem er mit ihr glücklich sein wollte. Er durfte daran gar nicht denken, aber er wollte sich auch nicht als so feige erweisen und die Stadt kopflos verlassen.
Daß er in der ständigen Unruhe lebte, man könnte seine Verbindung zu Nina Hill auskramen und publizieren, konnte man ihm nicht verdenken. Aber er wollte Astrid herausgehalten wissen, und deswegen vermied er es, sich trotz ihrer Bitten mit ihr zu treffen.
Astrid besuchte ihren Vater jeden Tag. Ihre überspannte Mutter, die in erster Linie an den Aufschub der Hochzeit dachte, gebärdete sich bei ihrem einzigen Besuch so hysterisch, daß Dr. Sternberg Astrid bat, weitere Besuche zu verhindern, um den Kranken nicht zu erregen, falls er seine Umgebung plötzlich doch deutlich wahrnehmen sollte.
Dafür gab es allerdings noch keine Anzeichen. Ein paar Tage war sein Zustand so schlecht, daß man das Schlimmste fürchten mußte, dann jedoch trat eine leichte Besserung ein.
Dr. Sternberg stellte bei der morgendlichen Untersuchung fest, daß sein Puls kräftiger wurde und sein Blutdruck anstieg.
Als Astrid am Vormittag kam, war er bei Bewußtsein.
»Dumme Geschichten«, murmelte er, »aber ich werde es schon schaffen, daß ich zur Hochzeit wieder wohlauf bin.«
»Nur Geduld, Papa«, meinte sie betont leichthin. »Wir können warten. Zuerst denken wir jetzt an dich.«
Darauf jedoch erfuhr sie etwas sehr Merkwürdiges. »Ihr müßt zu diesem Termin heiraten, Astrid«, sagte er eindringlich. »Tu es mir zuliebe und ohne Rücksicht auf meinen Zustand.«
»Aber warum, Papa?« fragte sie betroffen. »Wir können doch nicht ohne dich heiraten.«
Er sah sie mit blicklosen Augen an. »Ich habe neulich eine sehr schlimme Nachricht bekommen, Astrid«, flüsterte er.
Ihr Herz begann zu hämmern. Es war ihr, als wiche alles Blut aus ihrem Körper. Sie war selbst einer Ohnmacht nahe. Kam nun das, was sie so fürchtete? Aber warum bestand er dann auf einer Heirat? In ihrem Kopf ging alles wirr durcheinander.
»Astrid, wir sind arm«, murmelte er.
Sie glaubte, nicht richtig zu hören. Litt er an Wahnvorstellungen, hatte sich sein Geist verwirrt?
»Papa, beruhige dich doch. Das kann nicht stimmen«, flüsterte
sie.
»Doch, meine Finanzierungsgesellschaft ist bankrott. Wir sind zahlungsunfähig. Mich wundert, daß Werneck es noch nicht bekanntgemacht hat. Aber er hofft anscheinend auf eine Sanierung durch Claudius. Für ihn wäre es ein Leichtes, uns vor dem Schlimmsten zu retten.«
Astrid hielt den Atem an. Sie sollte Claudius heiraten, um ihren Vater vor der Pleite zu retten? Sie begriff alles nicht gleich, nur das, daß nicht Nina Hill an seinem Zusammenbruch schuld war, sondern dieser Verlust. Von Geschäften verstand sie nichts, aber sie wußte, wie hart es ihren Vater treffen würde, von der Höhe plötzlich ins Nichts abzusinken. Er würde es nicht überleben, dazu war sein gesellschaftlicher Ehrgeiz zu groß.
»Claudius liebt dich«, fuhr ihr Vater fort. »Ihn interessiert es nicht, ob du arm oder reich bist. Er wird alles für dich tun. Ich möchte gern mit ihm sprechen. Natürlich brauchen wir ihm nicht zu sagen, daß es so schlimm steht. Mit seiner Hilfe kann ich eine Überbrückung schaffen, und mit meinen Beziehungen werde ich in ein paar Monaten wieder oben sein. Er wird dabei nichts verlieren.«
Und wenn sie ihm nun sagte, was inzwischen geschehen war, wie würde er das aufnehmen? Aber konnte sie ihn darüber einfach hinwegtäuschen?
»Papa«, begann sie vorsichtig, »es gibt da noch eine andere Schwierigkeit, die unsere Heirat verhindern könnte.«
»Welche?« fragte er elektrisiert. »Bist du anderen Sinnes geworden? Dafür hätte ich kein Verständnis. Immerhin ist unser Name noch gut genug, daß du dir solche Späße nicht leisten kannst.«
Es bedrückte sie, daß er auch jetzt nur an sich dachte. »Ich leiste mir keine Späße«, erklärte sie. »Ich liebe Claudius, aber da ist eine andere Frau aus seiner Vergangenheit, die ihm schaden will.«
Er schüttelte den Kopf. »Papperlapapp – was geht uns seine Vergangenheit an? Ihr seid offiziell verlobt, euer Hochzeitstermin ist festgesetzt, und wenn er Unannehmlichkeiten hat, kann er sie doch mit Geld aus der Welt schaffen. Das war schon immer so üblich.«
Astrid war nahezu entsetzt. So hätte er vor ein paar Tagen noch nicht gesprochen. Oh, sie konnte sich vorstellen, wie er da reagiert hätte, aber jetzt, da es um seine Existenz ging, war er zu allen Zugeständnissen bereit.
»Und du als Frau darfst auch nicht kleinlich sein. Schließlich ist er kein dummer Junge mehr, sondern ein Mann, der viel herumgekommen ist. Was ist das für eine Frau?«
»Ich kenne sie nicht. Sie ist Sängerin. Nina Hill heißt sie«, erwiderte sie mechanisch.
»Die vor ein paar Monaten hier so von sich reden machte? Mehr durch ihre Erfolge bei Männern als auf der Bühne?« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Pah, diese Weiber sind doch käuflich.«
Astrid wußte nicht mehr, was sie sagen sollte, denn das letzte, diese Geschichte mit dem Kind, wollte sie lieber doch nicht preisgeben. Sie hoffte zwar, daß sich erweisen würde, daß diese Tote nicht Nina Hill war, aber es blieb immer noch der Zweifel, ob nicht auch sie etwas mit Claudius zu schaffen hatte, denn wie sonst hätte sie seinen Namen nennen können? Und dann war da auch noch jener Brief. Sie mußte endlich mit Claudius offen darüber sprechen.
»Du wirst mich doch nicht im Stich lassen, Astrid«, sagte Baron Diering eindringlich.
»Ich will sehen, was ich tun kann, Papa«, erwiderte sie resigniert.
*
Leon hatte zwei kleine, nicht besonders komplizierte Operationen hinter sich gebracht und machte sich nun für die Sprechstunde bereit. Ein paar Minuten hatte er Zeit, um mit Eckart Sternberg zu sprechen und sich nach Dierings Befinden zu erkundigen.
»Es geht aufwärts«, bemerkte dieser, »allerdings ist er sehr hektisch. Übrigens will er unbedingt seinen Anwalt sprechen. Ich weiß nicht, ob man ihm das gestatten soll. Es geht ja sicher um Geschäfte.«
»Man soll Kranken tunlichst keine Wünsche abschlagen.«
»Wenn du meinst«, sagte Eckart Sternberg, der sonst sehr gut seine eigenen Entscheidungen treffen konnte, diesmal aber unschlüssig war.
»Diering ist cholerisch. So schnell sein Blutdruck gefallen ist, so schnell kann er auch wieder ansteigen.«
Leon hatte keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Sein Wartezimmer war voll, aber noch wußte er nicht, daß er während dieser Sprechstunde manches Interessantes erfahren sollte.
Die erste Patientin kam zur Kontrolluntersuchung. Es zeigte sich, daß alles in bester Ordnung war, und sie konnte bald wieder gehen.
Bei der zweiten wurde eine Krebsvorsorgeuntersuchung gewünscht.
Frau Wendel war Leon wohlbekannt. Mutter einer reizenden kleinen Tochter, verwöhnte Ehefrau eines jungen Geschäftsmannes, hübsch anzusehen und auch intelligent.
»Man soll es ja wohl tun«, meinte sie heiter, »wenn einem nichts fehlt.«
»Das ist sehr vernünftig«, sagte Leon und dachte, wenn doch alle so wären, wieviel Unglück könnte dann verhindert werden!
»Ich habe übrigens von dieser Nina Hill gelesen«, bemerkte sie beiläufig.
»Stimmt es tatsächlich, daß sie gestorben ist? Ich kann es gar nicht glauben, und das mit dem Kind kommt mir sehr komisch vor. Ich könnte wetten, sie in unserem Urlaub springlebendig gesehen zu haben, und ein Kind hat sie da bestimmt nicht erwartet.«
»Wann war das?« fragte er aufmerksam.
»Wo haben Sie sie kennengelernt?«
»Vor vier Wochen im Berner Oberland. Wir hatten sie nämlich in der Oper gesehen; und einmal, als ich mit meinem Mann ausging, saß sie am Nebentisch. Man kann sie eigentlich nicht verwechseln.«
»Das wäre allerdings sehr interessant«, murmelte er.
»Wie in der Zeitung steht, ist man ja nicht sicher, daß sie es war. Ich begreife zwar nicht, wie jemand unter anderem Namen in eine Klinik gehen kann, aber vielleicht gibt es dafür eine ganz simple Erklärung. Es war ja bekannt, daß Vanessa Randolph unter fremdem Namen hier geweilt hat, und da hat sich eine etwas überspannte Person vielleicht ausgedacht, sich unter einem bekannten Namen zu verstecken, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das gibt es doch heute öfter. Vielleicht war es auch eine weniger bekannte Kollegin, die ihr eins auswischen wollte.«
Mochte Frau Wendel auch eine etwas rege Phantasie haben, von der Hand zu weisen war das nicht. Allerdings blieb dann immer noch die Frage offen, warum sie dann ausgerechnet Arkant als den Vater ihres Kindes bezeichnet hatte.
Hätte Dr. Laurin von dem Brief gewußt, den Astrid noch immer in ihrer Handtasche herumtrug, wäre er wohl zu ganz anderen Überlegungen gekommen.
»Ich habe ja zu meinem Mann gesagt, daß wir es der Polizei eigentlich melden müßten, daß wir Nina Hill gesehen haben«, fuhr Gitte Wendel fort, »aber er meint, daß man nur Unannehmlichkeiten einhandelt, wenn es sich dann doch als eine Verwechslung herausstellen sollte.«
Ganz unrecht hatte Herr Wendel damit sicher nicht, aber einem solchen Hinweis müßte man wohl doch nachgehen, meinte Leon.
Er bat Frau Wendel um den genauen Ort und Tag und fragte, ob er, ohne ihren Namen zu nennen, von dieser Mitteilung Gebrauch machen könne, falls die Polizei nicht selbst eine Spur von Nina Hill finden würde. Das gestattete sie ihm.
Es war wieder einmal recht spät geworden, aber er fuhr doch noch heim. Kaja war gestern fiebrig gewesen, und er wollte sich selbst überzeugen, wie es ihr heute ging, obgleich Antonia, die ja auch Ärztin war, Kajas Zustand sicher genauso gut beurteilen konnte.
*
Antonia kam ihm nicht wie sonst entgegen. Ihm schwante gleich Beunruhigendes. Karin bestätigte seine Besorgnis.
»Die Windpocken bekommen sie«, erklärte sie. »Wir haben Konstantin auch gleich ins Bett gesteckt, damit sie mit dem Kleinen nicht in Berührung kommen.«
Bei ihren eigenen Kindern regte sich Antonia über alles auf. Sie war todunglücklich.
Gottlob hatte sie Karin zur Seite. Die ehemals so tüchtige Sprechstundenhilfe ihres Mannes hatte den Dienst in der Klinik aufgegeben –?es war zu anstrengend geworden, schließlich war sie nicht mehr die Jüngste! Nun war sie im Haus der Laurins tätig, und hier wurde ihr nichts zuviel. Vor allem die Kleinen umsorgte sie mit Hingabe, so daß sogar Dr. Laurin manchmal versucht war, einzuschreiten – und es dann doch nicht tat.
Sie war eben die geliebte Perle der Laurins.
»Du mußt dich damit abfinden, daß auch unsere Kinder mal krank werden«, tröstete Leon seine Frau. »Es wird schon nicht so schlimm werden.«
Konstantin protestierte lauthals. »Bin nicht krank, habe noch keine Pöckchen, will ’raus aus dem blöden Bett.«
Für ihn war das Bett das Schlimmste.
Kaja war friedlich. Sie fand es sogar interessant, gesprenkelt zu sein.
»Sieht lustig aus, nich’, Papi?« meinte sie.
Na, lustig fand er es auch nicht gerade, aber er ließ ihr diese Genugtuung. Antonias größte Sorge dagegen war, daß die Kinder keinen Appetit hatten und von Kräften kommen könnten.
»Na, du als Ärztin wirst das doch ausgleichen können«, meinte er.
Kurz bevor er wieder gehen wollte, rief Andreas an. Er hatte schon versucht, Leon in der Klinik zu erreichen.
Antonia wunderte sich, daß Leon gar nichts sagte und nur stumm zuhörte. Sie bemerkte, daß seine Mine sich verdüsterte und er angestrengt nachzudenken schien.
»Das ist allerdings eine tolle Geschichte«, murmelte er.
»Was ist eine tolle Geschichte?« fragte Antonia.
»Es ist durchgesickert, daß Diering bankrott sein soll. Andreas wollte es mir sagen, weil das eventuell der Grund für seinen Zusammenbruch sein könnte. Vielleicht sind auch zwei Komponenten zusammengetroffen. Langweilig wird es auf keinen Fall!«
»Mir bestimmt nicht, bis die Kinder wieder gesund sind.«
Er legte die Hand unter ihr Kinn und küßte sie auf die Nasenspitze.
»Die treusorgenden Großeltern werden dich bestimmt nicht im Stich lassen, und wenn sie sich selbst die Windpocken dabei einhandeln sollten«, stellte er fest. »Wiedersehen, Liebling. Ich will sehen, daß ich heute abend zeitig nach Hause komme.«
*
Über all diesen Aufregungen hatte Dr. Laurin fast vergessen, daß nun der Tag nahte, an dem Vivian Furler eintreffen sollte.
Dr. Vivian Furler, wie sie nun zu nennen war.
Und dann stand sie überraschend vor ihm, noch reizvoller als damals, gereift und mit einem frohen Leuchten in den Augen.
Vivian Furler, die Millionenerbin, deren Vater alle ärztliche Kunst nicht am Leben erhalten konnte und die angesichts seines Sterbens beschlossen hatte, Medizin zu studieren.
Nein, damals hatte keiner daran geglaubt, daß sie es auch ausführen würde.
»Sie wird es sich überlegen«, hatte selbst Antonia gesagt. »Sie wird heiraten und Kinder bekommen.«
Aber Vivian hatte nicht geheiratet. Sie hatte studiert, ihren Doktor gemacht und hielt nun ihr Wort, ihr Praktikum an der Prof.-Kayser-Klinik zu absolvieren.
»Oh, Dr. Laurin«, rief sie freudig aus, »Sie haben sich gar nicht verändert.« Daß sie ihm um den Hals fiel, brachte ihn nicht in Verlegenheit. Vivian hegte keine Hintergedanken dabei, das wußte er.
»Und Sie sind noch hübscher geworden«, stellte er fest. »Sie werden den Patienten schön den Kopf verdrehen.«
»Das ist nicht meine Absicht. Ich möchte viel lernen.« Sie sagte es ganz ernst, und er glaubte es ihr.
Schwester Eva schaute etwas pikiert hinter ihnen her, als Dr. Laurin Vivian mit Dr. Liepmann bekannt machte und sie gemeinsam zu Dr. Sternberg gingen.
Eva hatte ein Auge auf Liepmann geworfen und konnte es noch immer nicht ganz verwinden, daß er sich sehr reserviert verhielt, seit sie eine Indiskretion begangen hatte, die er ihr sehr verübelte. Und nun kam eine Ärztin, mit der man kaum konkurrieren konnte. Liepmann war weiblicher Anmut durchaus nicht abhold. Ganz fasziniert hatte er Vivian angestarrt.
Auch Dr. Sternberg begrüßte Vivian herzlich. Daß er gut mit ihr auskommen würde, stand außer Zweifel. Nur Liepmann mußte man gleich gehörig die Meinung sagen, dachte Eckart für sich. Vivian stand jetzt unter seinem Schutz. Sie sollte auch die hübsche Mansardenwohnung in seinem Haus beziehen, damit sie sich nicht einsam fühlen sollte.
»Und ausgerechnet jetzt hat unsere Christine die Windpocken«, seufzte er.
»Oh, die hatte ich schon«, lächelte Vivian. »Es ist ein schönes Gefühl, wenn man sich wieder daheim fühlen kann.«
Es klang seltsam aus dem Munde der jungen Amerikanerin, die sich doch wahrhaftig alles leisten konnte. Aber gerade diese Klinik, in der ihr Vater seine letzten Lebenswochen verbracht hatte, in der ihr so warmes Mitgefühl gezeigt wurde, war das Ziel ihrer Sehnsucht gewesen, und ihre Worte verrieten, wie einsam sie sich gefühlt haben mochte.
»Ich bin voller Tatendrang«, sagte sie fröhlich. »Am liebsten würde ich gleich in den Kittel steigen.«
»Nicht gar so schnell«, meinte Eckart Sternberg begütigend.
Doch zuerst mußte sie sich alles ansehen. Die Klinik, die so gewachsen war, was auch Dank des Legates ihres Vaters ermöglicht worden war, die neuesten technischen Errungenschaften, die modernsten Erkenntnissen entsprachen – und dann mußte sie natürlich auch einen Blick in das Säuglingszimmer werfen.
Das mittellose Baby Tobias fand ihre Anteilnahme, und plötzlich war sie mitten drin in dem Geschehen, denn bei dem Namen Nina Hill horchte sie auf.
Schwester Ulla hatte ihn ganz beiläufig erwähnt, weil er in aller Kopf herumspukte.
»Nina Hill«, sagte sie gedankenvoll, »ich habe diesen Namen auf dem Flugplatz in New York gehört. Ich bin ganz sicher. Es war ein ziemlicher Wirbel wegen eines Koffers.«
Zufall – Schicksal?
Dr. Leon Laurin wunderte sich schon lange nicht mehr, wie die Vorsehung spielte. Die Welt war ein Dorf. Nina Hill war also in Amerika!
Wäre Vivian nicht gerade jetzt gekommen, hätten sie das wahrscheinlich noch lange nicht erfahren. Aber Amerika war groß und weit, und wie vielen Menschen war es schon gelungen, dort unterzutauchen. Immerhin waren sie einen kleinen Schritt weiter, und im Berner Oberland brauchte man sie nicht mehr zu suchen.
»Wenn sich niemand meldet, werde ich für Tobias sorgen«, erklärte Vivian spontan. »Ich möchte nicht, daß aus der Prof.-Kayser-Klinik ein kleines Kind in ein ungewisses Schicksal entlassen wird.«
Vater und Mutter hatte der kleine Tobias zwar nicht, aber eine Patin hatte er nun schon gefunden, und Vivian Furler pflegte ihr Wort zu halten, wie sich ja erwiesen hatte.
*
Astrid hatte lange mit sich gerungen. Sie hatte mehrmals versucht, Claudius zu erreichen, aber er hatte sich am Telefon nicht gemeldet. Nun war sie kurz entschlossen zu dem Haus gefahren, das auf sie gewartet hatte. Traurige, kummervolle Gedanken bewegten sie, als sie es betrachtete und dann klingelte.
Doch niemand öffnete ihr. Lange verharrte sie vor dem Haus, immer wieder drückte sie auf die Klingel, und langsam stieg eine quälende Furcht in ihr empor.
Was konnte ein Mensch in tiefster Verzweiflung alles tun? War Claudius dazu auch fähig? In höchster Angst rief sie flehend seinen Namen, doch es kam keine Antwort. Dann aber hörte sie ein Auto nahen, und gleich darauf standen sie sich Auge in Auge gegenüber.
Er sah elend aus. Sein Gesicht war noch schmaler geworden, seine Augen lagen tief in den Höhlen. Für sie gab es kein Zögern. Sie lief auf ihn zu und umarmte ihn.
»Claudius«, stammelte sie, »liebster Claudius!« Doch dann erinnerte sie sich jäh der Worte ihres Vaters. »Ich muß dich unbedingt sprechen. Du darfst mich nicht fortschicken«, fuhr sie fort.
»Das will ich ja gar nicht«, erwiderte er tonlos. »Ich bin glücklich, daß du da bist. Es mag sentimental klingen, Astrid, aber das Leben ohne dich ist wertlos für mich geworden.«
Einen jeden erwischte es wohl einmal, und wenn er es früher auch nie für möglich gehalten hätte – ihn hatte es jetzt erwischt. Niemals zuvor war er sich so klar darüber geworden, wieviel Astrid ihm bedeutete wie in diesen Tagen, in denen er sie entbehren mußte.
»Wohin wollen wir fahren?« fragte er leise.
»Können wir nicht hierbleiben?« fragte sie zurück. »Hier können wir wenigstens ungestört sprechen.«
»Ich kann deinen Ruf nicht gefährden, jetzt erst recht nicht, nach allem, was geschehen ist.«
»Das ist doch völlig bedeutungslos. Ich gehöre zu dir, es fragte sich nur, ob du es dir auch noch wünschst, wenn du alles weißt.«
Er sah sie verwirrt an. »Du solltest wissen, daß mich nichts mehr erschüttern kann. Ich frage mich nur immer, warum ein Mensch so rachedurstig sein kann, daß er das Leben anderer Menschen zerstören will.«
Darum hatten seine Gedanken gekreist, das allein bewegte ihn. Seine Hand zitterte, als er die Tür aufschloß. Eine plötzliche Schwäche überfiel ihn, als sie in der Diele standen.
Astrid betrachtete ihn besorgt. »Du hast bestimmt nichts gegessen«, stellte sie fest. »Und das wirst du jetzt zu allererst nachholen.«
*
Nun jedoch, nachdem Astrid keinen Widerspruch geduldet hatte, wußte Claudius, warum Astrids Vater diese Hochzeit um jeden Preis wollte.
»Das Problem ist doch leicht aus der Welt zu schaffen«, bemerkte er.
»Für mich ist das nicht so einfach, Claudius«, stellte sie fest. »Es ist ein ungutes Gefühl.«
»Es ist im Gegensatz zu der anderen Affäre eine Lappalie«, versicherte er. »Was bedeutet schon Geld? Ich kann heute gar nicht mehr begreifen, daß ich dem soviel Bedeutung beigemessen habe.«
»Aber vielleicht war es der Anlaß für Nina Hill, eine Intrige zu inszenieren, Claudius«, meinte sie nachdenklich. »Ich habe sehr viel darüber nachgedacht. Aber zuerst muß ich dir noch ein Geständnis machen: Ich war an diesem unglückseligen Tag, als der Empfang stattfand, in deinem Appartement. Ich wollte auch dich warten, um dir von dem Anruf zu berichten, und da fand ich in einem Sessel diesen Brief. Er war zwischen die Polster gerutscht. Ich habe ihn gelesen.«
»Ninas Brief«, murmelte er. »Du hast ihn gelesen?«
»Und wir sollten jetzt offen darüber sprechen«, sagte sie mutig. »Hat sie dir schon früher geschrieben, daß sie ein Kind erwartet?«
»Nein – ich schwöre dir, daß ich nie mehr etwas von ihr hörte, seit wir uns getrennt hatten. Du mußt es mir glauben, Astrid.«
»Ich glaube es dir ja, aber ich bin zu der Überlegung gekommen, daß sie von deinem überraschenden Erbe erfahren haben muß und dann erst ihre Pläne schmiedete.«
»Aber sie kann mir doch nicht ein Kind unterschieben wollen, das sie gar nicht zur Welt gebracht hat«, stöhnte er. »Ich werde daraus nicht klug!«
»Ich habe da kürzlich eine Geschichte gelesen von einer Frau, die das Kind einer anderen als ihr eigenes ausgegeben hat. Denken wir doch einmal ganz nüchtern nach, Claudius. Nina Hill wollte dich treffen, so sehr treffen, daß es für dich kaum einen Ausweg geben konnte. Sie wird sich informiert und erfahren haben, welche moralischen Grundsätze meine Vater hat – die allerdings in Gelddingen keine Gültigkeit zu haben scheinen«, fügte sie bitter hinzu.
»Reden wir jetzt doch nicht vom Geld, Astrid«, bat er. »Erzähl weiter. Du denkst sehr logisch.«
»Dabei hast du mich immer für ein Küken gehalten«, lächelte sie. »So dumm bin ich nicht mehr.«
»Verlier bitte den Faden nicht. Was denkst du dir noch über Nina?« Er selbst wurde schon ruhiger und konnte ihr jetzt besser folgen, wenn ihm auch anfangs alles verwirrend erschienen war.
»Ich möchte gern erst wissen, ob das Bild, das ich mir über sie gemacht habe, richtig ist. Wie ist sie, Claudius?«
»Kalt und berechnend. Eine Frau, die schnell an Achtung verliert, wenn man sie besser kennt. Ich habe sie nicht lange gekannt.«
»Kalt und berechnend, und als bei dir noch nichts zu holen war, was sie wahrscheinlich nach deinem Lebensstil vermutete, hatte sie gegen die Trennung nichts einzuwenden. Und dann erfuhr sie, daß du reich bist. Schreiend genug ist es ja überall verkündet worden. Sie wollte dich zurückgewinnen, aber wie? Da begegnete ihr eine Bekannte, die ein Kind erwartete.«
»Es braucht auch keine Bekannte gewesen sein, sondern ein unglückliches Geschöpf«, warf er nachdenklich ein.
»Siehst du, jetzt kannst du mir schon folgen«, lächelte sie.
»Gut, irgendein junges, unglückliches Mädchen lief ihr in den Weg, und da kam ihr die Idee, die Gönnerin zu spielen, sie unter einem Vorwand in die Prof.-Kayser-Klinik zu schicken und sich als Nina Hill auszugeben. Wie sie es bewerkstelligt hat, werden wir wohl nie erfahren, aber so kann es immerhin gewesen sein.«
»Aber es braucht nicht so gewesen zu sein«, meinte er etwas skeptisch.
»Eines ist für mich klar: die Tote ist nicht Nina Hill, aber ihr Kind hat sie unter diesem Namen zur Welt gebracht. Und sie… Ja, das ist eine Lücke.«
»Ich kann dir weiterhelfen. Sie gab mich als Vater des Kindes an. Dr. Laurin hat es mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit gesagt und auch sonst zu niemandem darüber gesprochen.«
»Er ist ein netter Mensch«, stellte Astrid fest, die schon gar nicht mehr von solchen Tatsachen beeindruckt wurde. »Und das ist der Beweis, da die Tote sich einig mit Nina gewesen sein muß. Unverständlich ist mir nur der Anruf. Aber es gäbe auch dafür eine Erklärung«, fuhr sie nach kurzem Überlegen fort. »Es war Nina Hill selbst, und sie dachte, daß die Tatsache, über die ich mir Gewißheit verschaffen würde, allein genüge, um uns zu trennen.«
»Du bist ein kluges Kind, Astrid«, sagte Claudius sanft, »aber dies alles wäre fast zu einfach.«
»Zu einfach? Du weißt wohl nicht, daß es mich schlaflose Nächte gekostet hat, bis ich mir alles zusammengereimt habe. Und ein Kind bin ich nicht, das will ich nicht mehr hören. Ich bin schon fast eine Frau.«
»Fast.« Er nahm sie zärtlich in die Arme. Seine Küsse und ihre Hingabe ließen sie alles vergessen, was wie eine drohende Wolke über ihnen stand. Ihre Liebe war stärker als alle Zweifel.
*
Welchen Belastungsproben diese Liebe noch ausgesetzt werden sollte, erfuhren sie bald. In Baron von Dierings Befinden war eine starke Verschlechterung eingetreten. Der Anwalt Dr. Friedrich Brink, der Bruder von Dr. Laurins Schwager, fand einen Sterbenden vor, als er zu ihm kam.
Natürlich wußte er nicht, wie schlecht es um ihn stand, aber große medizinische Kenntnisse brauchte man dafür nicht zu haben, denn das ausgehöhlte Gesicht sprach Bände.
Dr. Sternberg vermutete, daß der Besuch seiner Frau daran mitschuldig war. Sie hatte sich nicht zurückhalten lassen und auch versichert, daß sie ihn nicht aufregen würde, aber was zwischen ihnen gesprochen worden war, wußte niemand.
Dr. Brink kam jedoch eine Ahnung, als Baron Diering fragte: »Werneck schiebt wohl alle Schuld auf mich?«
Das entsprach den Tatsachen. Dr. Brink wollte es jedoch in Anbetracht des schlechten Zustandes seines Mandanten abschwächen.
»Herr Arkant wird das Schlimmste verhindern. Er hat mich angerufen, daß wir alles zur Sanierung einleiten können.«
»Astrid – das gute Kind«, flüsterte der Kranke. »Ich wußte, daß sie mich nicht im Stich läßt. Harriets Vorwürfe…« Er konnte nicht weitersprechen – er rang nach Atem, und Dr. Brink drückte besorgt auf die Klingel.
Dr. Sternberg und Dr. Liepmann waren gleich zur Stelle. »Ich habe nichts gesagt, Herr Doktor«, flüsterte Friedrich Brink. »War Frau von Diering heute hier?«
Dr. Sternberg nickte, aber jetzt mußten sie sich um den Kranken kümmern, der an schwerster Atemnot litt. Für Dr. Brink war der Besuch beendet, und auch er konnte sich nun Gedanken machen, was Harriet von Diering ihrem Mann wohl gesagt haben mochte.
Astrid hätte es erklären können, denn als sie von Claudius heimgebracht wurde – zum ersten Mal seit jenem Tag, betrat er wieder ihr Elternhaus –, wurden sie schon mit Klagen überhäuft.
»Dein Vater ist ein Hasardeur, mein Kind!« schrie Frau von Diering unbeherrscht, Claudius Arkants Anwesenheit nicht achtend. »Er hat uns an den Rand des Abgrunds gebracht. Die Leute werden mit Fingern auf uns zeigen. Die Gläubiger werden uns das Haus einrennen. Das Telefon steht schon jetzt nicht still. Hätte er auf Werneck gehört…«
»Mama«, fiel Astrid ihr ins Wort, »mäßige dich. Claudius hat doch schon alles in die Wege geleitet, damit der Konkurs abgewendet wird.«
Harriet von Diering starrte Claudius an, dann Astrid. »Du bist zu ihm gegangen – du hast ihn um Hilfe gebeten? Das hat dir dein Vater zugemutete? Einer Diering…? Oh, ich…«
»Ruhe!« sagte Claudius energisch. »Astrid braucht mich um nichts zu bitten. Was mir gehört, gehört auch ihr, und es ist selbstverständlich, daß ich in einer solchen Situation einspringe, die ihr Mann ganz gewiß nicht verschuldet hat. Soviel steht jedenfalls fest. Ich bin gespannt, ob sich Herr Werneck reinwaschen kann, aber das steht jetzt nicht zur Debatte. Wichtig ist nur, daß Astrids Vater daran nicht verzweifelt.«
»Ja«, murmelte die Baronin, »es ging ihm nicht gut.«
»Du warst bei ihm, Mama?« fragte Astrid erregt. »Du – du hast doch nicht etwa mit ihm darüber gesprochen?«
»Mein Gott – ich habe nichts weiter gesagt, als daß wir nun vor dem Nichts stehen«, versuchte ihre Mutter sich herauszureden. »Man muß doch über solche Dinge sprechen, wenn einem die Decke auf den Kopf stürzt.«
»Doch aber nicht mit einem Schwerkranken«, stammelte Astrid erregt.
Da läutete das Telefon.
Harriet von Diering hielt sich die Ohren zu. »Ich will nichts mehr hören«, ächzte sie, »ich kann diesen Leuten doch nichts sagen.«
Astrid rang nach Fassung, nahm den Hörer ab und meldete sich. Totenbleich war ihr Gesicht, als sie sich umwandte.
»Papa ist tot«, sagte sie mit erstickter Stimme.
Harriet von Diering brach in hysterisches Weinen aus, während Claudius Astrid in die Arme nahm.
»Was immer auch war, er war mein Vater«, schluchzte sie leise.
»Mach mir jetzt keinen Vorwurf«, erzürnte sich ihre Mutter.
»Ich mache dir keinen Vorwurf, Mama, aber dein Heulen nützt jetzt auch nichts mehr. Du wirst mit deinem Gewissen fertig werden müssen.«
Sie ließ ihren Kopf an Claudius’ Schulter sinken. Vor einer Stunde hatte sie nun doch noch von einer glücklichen Zukunft geträumt, und nun – was wurde nun?
»Wir müssen die Hochzeit absagen«, stellte Frau von Diering fest.
»Wenn das deine einzige Sorge ist«, meinte Astrid erschüttert. »Wir werden uns um Papas Beerdigung kümmern müssen.«
»Und was die Leute nun alles reden werden«, verklang die Stimme Harriets von Diering, während sie hinauseilte.
»Mein armes Kleines«, sagte Claudius tröstend, als sie sich in seinem Arm ausweinte.
»Es ist gut so, daß du bei mir bist«, flüsterte sie.
*
Andreas sah niedergeschlagen aus, wie Leon seinen Schwager selten gesehen hatte, als er das Büro des Klinikchefs betrat.
»Friedrich wollte dem Baron die gute Nachricht bringen, daß Arkant alle seine Verbindlichkeiten begleicht«, stellte er fest, »aber das hat er gar nicht mehr richtig wahrgenommen.«
Arkant ist also doch ein feiner Kerl, dachte Leon. Ich habe ihn nicht überschätzt.
»Ein ganz erstaunliches Mädchen ist diese Astrid«, stellte Andreas fest. »So jung und schon so gefestigt.«
»Arkant kann es brauchen«, murmelte Leon. »Du könntest mir übrigens behilflich sein, Andreas. Du und Friedrich, ihr habt doch einen Studienfreund in New York.«
»Ja – und?« fragte Andreas.
»Vivian Furler behauptet, daß Nina Hill in New York ist – oder zumindest gewesen ist. Auf dem Flugplatz war ein Zwischenfall mit einem Koffer. Vielleicht ist der auch offiziell zur Kenntnis genommen worden. Bis zu uns wird das natürlich nicht dringen.«
»Fehlgeleitete Koffer sind auf einem Flugplatz an der Tagesordnung«, gab Andreas nüchtern zu bedenken.
»Aber Vivian sagte, daß es einen ziemlichen Wirbel gegeben hat. Deswegen ist ihr der Name Nina Hill erst aufgefallen. Er muß oft laut genannt worden sein, sonst wäre er ihr nicht in der Erinnerung haften geblieben.«
»Na gut, ich kann Stan anrufen. Ob es Erfolg hat, ist eine andere Frage. Du hängst dich da mächtig an, Leon. Warum eigentlich?«
»Weil ich Arkant mag – und weil die kleine Astrid ihn liebt.«
»Ein Herz für Liebende«, neckte ihn Andreas. »Du wirst noch Schutzpatron, Leon.«
»Ich werde langsam ein alter Herr.«
»Genauso siehst du aus«, spottete Andreas. »Ich rufe dich an, wenn ich etwas erfahren habe, was ich aber nicht so recht glaube. Was machen unsere Windpöckler?«
»Sie halten die ganze Familie in Atem«, sagte Leon. »Omi und Opi sind voll ausgelastet.«
»Ein Glück, daß man sie hat. Tschüs, alter Junge, meine Trabanten wollen auch was von Vatern haben. Sandra wird völlig von ihnen unterjocht.«
»Das kommt davon, wenn man die Kinder zu sehr verwöhnt.«
»Wem sagst du das?« seufzte Andreas.
*
Leon hatte gerade die richtige Schlafstellung gefunden, als er Konstantins Stimme hörte.
»Papi, Mami – seid ihr wach?«
Antonia fuhr schon empor.
»Nun renn doch nicht gleich«, brummte Leon. »Vielleicht redet er im Schlaf.«
»Dann fragt er doch nicht, ob wir wach sind«, murmelte sie.