0,99 €
Anne Kranz fährt mit dem Flixbus nach Triest. Nach dem Tod ihrer Mutter, die sie jahrelang gepflegt hat, braucht die Münchner Übersetzerin Abstand und Erholung. Bei ihren Spaziergängen durch die „Stadt des Windes“ , begegnet sie dem Berliner Vermessungsingenieur Ulf Lischka. Sympathie auf dem ersten Cappuccino. Bald brechen die beiden Singles gemeinsam zu Entdeckungstouren auf. Dabei lernen sie nicht nur Triest näher kennen, sondern auch einander – und berichten in ihren Tagebucheintragungen darüber: von der Verwirrung ihrer Gefühle, ihren Sehnsüchten und Hoffnungen. Anne ist drauf und dran sich zu verlieben. Dann aber scheitert ein geplantes Rendezvous. Enttäuscht zieht Anne sich zurück und sucht Trost in Fatalismus: È la vita. Ihr Glück war nur ein Traum. Mehr nicht?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 95
Veröffentlichungsjahr: 2020
Dirk Josczok
È la vita
Eine Liebe in Triest
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1: SONNTAG
Kapitel 2: DER BRIEF
Kapitel 3: MONTAG
Kapitel 4: DIENSTAG
Kapitel 5: MITTWOCH
Kapitel 6: DONNERSTAG
Kapitel 7: FREITAG
Kapitel 8: SAMSTAG
Kapitel 9: SONNTAG
Kapitel 10: MONTAG
Impressum neobooks
Ich hasse dich!
Du missbrauchst Elisa. Damit du nicht zu reden brauchst.
Die Mädchen auf den Rücksitz!
Hast du solche Angst vor mir?
Zurecht: vier Jahre!
Deswegen diese Reise, oder?
Du machst keine Geschenke ohne Kosten-Nutzen-Analyse. Der feine Herr Finanz-Staatssekretär.
Eine Woche Italien gegen dein schlechtes Gewissen. Reicht das?
Lässt sich das aufrechnen?
Glaubst du?
Hast du ein Gewissen?
Kauf dir eins. Wenn schon nicht meinetwegen, dann zumindest für Elisa.
Ist dir nicht klar, was du ihr antust?
Sie kann das nicht verstehen. Stell dir vor, sie mag mich!
Sie wollte sich nur verabschieden, wie zwei Menschen, die sich mögen, das tun.
Sich umarmen, Gefühle zeigen.
War das zu viel für dich, zu viel Nähe?
Das erträgst du nicht.
Bist du so neidisch?
Selbst auf deine Tochter?
Ich hoffe nur, sie wird nicht so wie du.
Ich bin so wütend!
Wieso tust du mir das an?
Wieso lass ich mir das antun?
Was soll ich in Triest?
Wieso steigst du nicht einfach wieder aus?
Ich hasse mich!
Niente è piu.
Der Flixbus schnurrt wie ein satter Kater durch die Hochhaus-Schluchten meiner Stadt.
München aus dem Bus ist fremd.
Echter Luxus: Der Sitzplatz neben mir ist frei.
Tagebuchablage.
Fremde Stimmen, fremde Sprachen.
Hinter mir liest eine Mutter ihren Minis vor. Klingt nach Kinderbuch.
Ist das Kroatisch, oder Slowenisch? Eine slawische Sprache. Ein Zischen und Züngeln.
Ich versteh kein Wort. Schade. Aber es klingt liebevoll.
Es ist die Stimme, nicht die Sprache, die den Menschen ausmacht.
Was haben die in München?
Leben die hier, oder waren sie auf Besuch, bei ihrem Mann und Vater, der hier arbeitet?
Die Männer vorne im Bus sehen so aus: breite Schultern, grobe Hände, große Köpfe, Stiernacken.
Wieso muss ich bei Stiernacken gleich an Krieg denken?
Die Fernsehbilder vom Jugoslawienkrieg. Männer in Olivgrün und Camouflage.
Feiste, erregte Gesichter und zu enge Gürtel über prallen Bäuchen. Sonnenverbrannte Stiernacken.
Wie lange ist das her?
Die Gnade der späten Geburt, ist nichts als Zufall.
Wie die Herkunft.
Hinten im Bus sitzt ein Trupp Trainingsjacken. Alle in dem gleichen Rot mit weißen Rallye-Streifen.
Gut gelaunte Männer. Man hört sie leise kichern. Wie Pennäler. Die Jungs im Fahrradkeller des Gymnasiums
haben so gekichert, wenn sie heimlich im Playboy geblättert haben und rot wurden, wenn wir sie ertappten.
Wir haben es gewusst.
Wir wussten alles.
Woher eigentlich? Damals gab es noch kein „Netz“. Nur Helga.
Ihr Vater hatte solche Magazine unter der Matratze.Helga war ein schlimmer Finger. Wir haben sie verehrt.
Für ihre Neugier und ihren Mut. Helga Langstrumpf.
Eigentlich wussten wir nichts.
Und eigentlich ist es noch heute so.
Oder?
Kichern die auf Deutsch?
Vielleicht ein Junggesellenabschied, oder so was. Auf Sauftour nach Zagreb.
Trinker sitzen immer hinten im Bus. Obwohl: dafür sehen sie zu nüchtern aus, zu smart, zu schmächtig.
Brillenmänner. Keine Handarbeiter.
Touristen?
Hauptsache sie singen nicht.
Und ich?
Mit Touristen ist das wie mit Geisterfahrern. Der eine hält alle Entgegenkommenden für Idioten.
Bin ich eine geisterfahrende Touristin?
Ich bin eine Weggeschenkte.
Ich bin dann mal weg. A8, Richtung Salzburg. Klare Sicht auf die Alpenkette. Immer wieder eindrucksvoll.
Das lange Band der Autobahn vor schneebekrönten Gipfeln. Versteinerte Ewigkeit. Als ob sie schon immer
dagewesen wären. Und lange nach uns. Da muss ich rüber. Oder hindurch. Ins Licht und in die Wärme.
Auf dem Busthermometer sind es acht Grad.
Ich hätte meine Decke mitnehmen sollen. Oder ein paar wärmende Gedanken.
Italien. Blauer Himmel. Sonne. Meer.
Ich freue mich aufs Meer.
Irgendwer hört Mozart hier.
:-)
Bin ich eingenickt?
Die Nacht war kurz. Zu viele Gedanken. Ungute.
Ist das schon Österreich?
Woran erkennt man das: ein anderes Land?
Ist das Grün der Wiesen anders grün, das Blau-Weiß des Himmels?
Milka Kühe auf den Weiden?
Der Baustil der Häuser?
Mehr Ahnung, als Ausblick. Der Regen macht gleich grau.
Österreich um 9-Uhr-37!
Definitiv: Aldi heißt hier Hofer.
Wir scheren aus. Vorbei an einer endlos langen Schlage dösender LKW.
Sie lauern auf den Montag. Es ruht der Welthandel. Ob die Chinesen da mitmachen?
Aus dem Lautsprecher knackt es.
?
Kann Spuren von Englisch enthalten haben.
Vermute: Fifteen minutes break.
Die Türen fauchen auf.
Luft!
Soll ich mir’n Kaffee gönnen?
Raucherspalier vor dem Bus. Im strömenden Regen. Der Geruch hat mich an Vater erinnert.
Seine gnadenlose Abendzigarre. Mama hat es erduldet.Wie ein göttliches Gebot. Wie alles andere auch.
Und dann querlüften. Auch im Winter. Gerade im Winter. Mamas kleine Rache. Von der Mutter lernen, heißt
siegen lernen.
Na ja.
Spinn ich?
Elisa hat mir Brote geschmiert. Zwei mit Camembert und Radieschen.
Und mit Liebe.
Tante grazie!
Ich werd mich revanchieren, liebste Nichte. Ich bring dir was Schönes mit vom Mittelmeer.
Wie heißt Nichte noch auf Italienisch?
Gibt’s das?
Ich werd alt.
Du bist alt, meine Liebe.
Tante Anne.
Tanne.
Tiefhängende Wolken. Kommen immer näher. Immer dunkler. Immer drohender.
Die Scheibenwischer schaufeln.
Kalter Rauch streift meine Nase. Männerkörper auf dem Weg zum fahrenden Dixie-Klo. Kunstleder-Jacke.
Zerzauste Haare. Verschwitzter Nacken. Rotkariertes Holzfällerhemd. Hängt aus der Jeans. Hängt auch, am
Bauch. Weißes Ripp-Unterhemd. Letztes Mal gesehen vor rund 40 Jahren.
Auch Papa.
Pinkelt der im Sitzen?
Kann ich mir nicht vorstellen.
Will ich mir nicht vorstellen.
:-(
Wenn ich noch mal auf die Welt komm, dann als Gebirgsbach.
Smaragdgrün dahinjagend, weiße Gischt aufschäumend und mitreißend.
Eiskalt.
Nipotina!
:-)
Villach um 12 bei heftigem Regen. High Noon in Kärnten.
Landskron – auf dem Autobahnschild!
So Namen mit Erinnerungswert. Urlaubsnamen. Abzweig zum Ossiacher See.
Da habe ich Schwimmen gelernt. Mit Schwimmflügeln aus Kork.Ich kann mich nicht daran erinnern, aber es gibt
einen Film davon, wie ich ins Wasser geworfen werde und herumstrampele. Wie der Frosch in der Milch.
Sagt man. Hat man gesagt. So oft, dass ich keine Milch mehr mochte.
Ich muss Energie gehabt haben. Oder Angst.
Papa hat noch Jahrzehnte später davon erzählt: Wie er mich „zu Wasser gelassen hat“.
HMS Anne. Sehr amüsiert. Angeblich hab ich es gewollt. So. Schwimmen lernen. Unbedingt.
Die Milch und die Freibäder.
Ich schwimme nur noch im Meer.
Phillip hat das gefilmt. Da war er acht. Mit der Super-8 (!), die er zur Kommunion bekommen hat. Mit einem wackligen Schwenk auf Mama im Liegestuhl. Im Bikini. Mama im Bikini! Kaum zu glauben. Alles in so beißenden Farben. Wie koloriert. Wie aus einer anderen Welt. Märchenwelt.
Wahrscheinlich hätte Phillip auch gefilmt, wenn ich ertrunken wäre.
Dabei sein, ohne Anteil nehmen zu müssen.
Es gibt auch einen Film von ihm. Oben auf der Landskron. Da trägt er eine Schaffner-Uniform mit roter Mütze, in der Hand hält er eine Schaffnerkelle. Phillip gibt das Abfahrtsignal – mit Trillerpfeife und rosigen Wangen, sehr ernst und selbstbewusst. Damals war schon alles angelegt. Ich im Dirndl und mit Pupi-Lotta. Nach Pipilotta. Mein Gott, hab ich die geliebt.
Noch vor Helga.
Ich erinnere mich an einen ausgestopften Bären auf der Landskron.
Gab’s da Bären?
Es gibt Dutzende Filme von Phillip und mir. Vati hat alles gefilmt.
Damals habe ich ihn Vati genannt.
Geburtstage. Weihnachten. Gedichte vor dem Weihnachtsbaum. Leuchtende Kerzen, leuchtende Augen.
Alles ohne Ton. Was es noch intensiver macht. Später dann hat er alles auf Video überspielt und mit James Last
versoßt. Christmas-Dancing!
Und mein erster Schultag – mit „Muss i denn zum Städtele hinaus.“
Mit Ranzen und mit Zuckertüte. Und Phillip an meiner Seite. Nicht an meiner Hand. Dafür fühlte er sich schon zu erwachsen. Der große Bruder, der den Weg schon kannte, die Schule, die Lehrerin. Er trägt da einen Anzug mit kurzer Hose und eine Krawatte mit Gummizug.
Ich habe noch Ahnung davon, wie ich mich gefühlt habe, damals, als ich dem Ernst des Lebens zugeführt worden bin. Wie ich mich gefühlt haben muss. Weil sich dieses Gefühl immer wieder eingestellt hat. Bei jeder neuen Einführung in eine andere neue Welt. Immer noch. Aufmerksam und ängstlich.
Irgendwann müsste man diese ganzen Kulissen noch einmal abfahren. Spuren suchen. Erinnerungen abgleichen. Und danach die Filme verbrennen.
Oder sein Gehirn.
Karawankentunnel.
Klingt besoffen.
7862 Meter durchs Gestein. Auf der anderen Seite ein anderes Land.
Na dann: Prost!
Wie heißt das auf Slowenisch?
Was weiß ich über Slowenien?
Nichts. Ljubljana soll schön sein. Laibach.
Ich war noch nie so weit im Osten.
Ich war lange nicht mehr fort.
4 Grad. Schneefall!
Am 28. April.
Ljubljana.
Warten auf den Anschlussbus.
Der sogenannte Busbahnhof ist eine zugige Betonbaracke auf dem Mittelstreifen gegenüber. Grüne Sitzschalen aus Plastik. Leider schon vergeben.
Flixbus-Abfahrt Richtung Venedig/Triest von Gate 29.
Klingt nach Terminal, ist aber nur eine überdachte Haltestelle mit perforierten Metallsitzen.
Arschkalt!
Ich habe mich in die Schalterhalle des Bahnhofs geflüchtet. Der Eisenbahn-Bahnhof. Draußen regnet es noch immer. Hier drinnen ist es warm.
Ich sitze auf meinem Koffer und schreibe. Ein schöner, alter Bahnhof, gebaut 1848, auf der Strecke von Wien nach Triest. Das war damals alles Österreich. Habsburger Reich.
Es gibt ein paar zugige Cafés in der Nähe und eine Café-Bar hier im alten Bahnhof. Aber ich habe beschlossen, meinen ersten Kaffee in Triest zu trinken.
Caffè Italiano.
Halte ich das durch?
In anderthalb Stunden geht es weiter. Dann noch mal anderthalb bis nach Triest.
Großes Unterhaltungsprogramm draußen vor der Scheibe!
Die Trainingsjacken machen Leibesübungen – im Regen!
Echte Fanatiker. Sportler sozusagen. Sie haben irgendeinen Reklameschriftzug auf den Jacken, hinten.
Security?
Mein Gott, ich glaub‘s nicht, der eine hat ne Trillerpfeife!
Wie Phillip. Er gibt Kommandos. Auch wie Phillip.
Was für ein Bild: Sie dehnen und sie strecken sich!
Schöner Titel für‘n Stummfilm.
Komödie oder Tragödie?
Warten die etwa auf den gleichen Bus?
Ich könnte einfach weiterfahren bis Venedig. Auf eigene Faust und eigene Rechnung. Würde ihn das ärgern, oder freuen?
Noch weiter weg.
Bringt mich das weiter?
Wieso Triest und nicht Venedig?
War da wirklich ausgebucht?
Soll ich das glauben?
Glauben hilft nicht. Aber die Zeit vergeht. Noch eine Viertelstunde.
Bus ist pünktlich!
(Hallo Deutsche Bahn!)
Ausweis gezeigt, Fahrkarte gescannt, Koffer verstaut. Sitzplatz 7c.
Neben mir sitzt eine junge Asiatin (eine asiatisch aussehende junge Frau) und wundert sich vermutlich über den Anachronismus des händigen Aufschreibens (von mehr oder weniger wertvollen Gedankensplittern), während sie auf ihrem Smartphone rumtippst. Eilige Finger mit schwarz lackierte Fingernägeln. Ist mir schleierhaft, wie man mit diesen Krallen tippen kann.
Eines Tages, eines nicht mehr fernen Tages, werden wir alle solche Handfortsätze haben – evolutionär bedingt. Wenn es dann noch Hände braucht.
Alexa, schreib auf: Es geht nach Italien!
Jetzt guckt sie ein Video mit jungen, durchgestylten, Gute-Laune-Dummies. Ich gucke mit. Es ist eigentümlich. Ich höre nichts. Aber ich kenne den Song, ohne ihn zu kennen.
La-la-la.
Ich spüre den Beat. Ich kenne auch all diese Mensch-Maschinen.
Alles unbekannte Bekannte von überall her. Strahlende Monaden. Makellose Körper.
Sind die echt?
Bin ich neidisch?
Makellose Kopfhörer. Nichts dringt nach außen. Wir sind mit uns, vollkommen verkapselt und verschlossen.
Sesam: bloß nicht öffnen!
Ich hatte damals einen Walkman. Mit Kassetten. Damals: Wie das klingt!
Wie Steinzeit. Damals klang es wild. Nach Ausbruch. Aufbruch. Freiheit. Emanzipation aus Ohrstöpseln. Als sänge Gianna nur für mich.
Bello, bello e impossibile!
Gianna war meine beste Freundin.