Earthborn: Die Söhne Soras - Paul Tassi - E-Book

Earthborn: Die Söhne Soras E-Book

Paul Tassi

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Beschreibung

Noah wurde einst als Waise von der sterbenden Erde gerettet. Heute ist der Planet Sora seine Heimat. Er gehört zu den letzten 38 Menschen, die dort auf ihren Einsatz im immerwährenden Krieg gegen die Xalaner vorbereitet werden. Doch dann rettet Noah eine jungen Novizin vor einem Attentat, und plötzlich befindet er sich auf einer Odyssee durch den Weltraum. Auf der Suche nach den Hintermännern des Anschlags stoßen er und seine Begleiter auf ein finsteres Geheimnis, das alles Leben auf Sora vom Angesicht des Planeten tilgen könnte.


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Seitenzahl: 834

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Über den Autor

Titel

Impressum

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Epilog

Über den Autor

Nach Jahren des Konsums von Science Fiction beschloss Paul Tassi, seine eigenen Geschichten zu verfassen. Zu diesem Zeitpunkt konnte er sich noch nicht vorstellen, jemals ein Buch fertig zu bekommen, geschweige denn einen Verlag dafür zu finden. Inzwischen will er nie wieder mit dem Schreiben aufhören. Er ist zudem als Journalist für Forbes und andere Magazine tätig und lebt mit seiner Frau in New York City.

PAUL TASSI

EARTHBORN

DIE SÖHNE SORAS

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Thomas Schichtel

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:Copyright © 2016 by Paul TassiTitel der amerikanischen Originalausgabe: »The Sons of Sora: The Earthborn Trilogy Book 3«Originalverlag: Talos Press, New YorkTalos Press is a registered trademark of Skyhorse Publishing, Inc., a Delaware corporation.

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Dr. Frank Weinreich, BochumTitelillustration: Arndt Drechsler, Regensburg (nach Vorlagen von Paul Tassi)Umschlaggestaltung: Guter Punkt, MünchenE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-3941-3

www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.de

1

Der Krieg tobte weiter.

Noah war umzingelt. Er konnte die anderen im Nebel nicht sehen, wohl aber ihre Schritte auf dem uralten Gestein hören. Sie rannten um seine Stellung herum, um ihm in die Flanke zu fallen. Den Rest seines Teams gab es nicht mehr; er hatte ihre Schreie im Funk gehört, ehe die Signale ausfielen.

Er war der Letzte, und er hatte keine Chance, lebend zu entrinnen.

Er warf einen prüfenden Blick aufs Magazin und wusste, dass er dem Wachmann besser zugehört hätte, als dieser davon gesprochen hatte, wie wichtig es war, Munition zu sparen. Seine reichte jetzt nur noch für eine Handvoll Schüsse. Zu viele hatte er auf einen Scharfschützen weit außerhalb seiner Reichweite vergeudet, einen Feind zudem, vor dem er letztlich doch hatte fliehen müssen, damit dieser ihm nicht den Kopf herunterpustete.

Es war heiß in der Panzerung, und der Helm schnürte ihm schier die Luft ab. Er wagte jedoch nicht, ihn abzusetzen, denn die Daten der Blickfeldanzeige hatten sich als unverzichtbar erwiesen. Das Display zeigte ihm die ungefähren Positionen der Gestalten im Wald, denn es verfolgte ihre Schritte auf dem Waldboden sowie die Wärmesignaturen. Und der Gegner benutzte die gleiche Technik, um ihn zu sehen. Sein Team hätte besser vorbereitet sein müssen. Es hätte sich einfach nicht auf diese Art und Weise ausschalten lassen dürfen.

Die umgestürzte Steinsäule, hinter der er sich versteckte, fühlte sich allmählich nach Grabstein an. Noah musste sich in den Tempel zurückziehen, wenn er irgendeine Chance haben wollte, wenigstens einige Gegner mitzunehmen, ehe er sich seinen gefallenen Teamkameraden anschloss. Er atmete schwer und pumpte sich allmählich mit genug Selbstvertrauen auf, um diesen Lauf anzutreten.

Es sind fünfzehn Meter. Ihre Sicht ist verstellt. Sie werden mich verfehlen.

Aber würden sie das wirklich? Noah bot ein größeres Ziel als die meisten Leute. Er war nach Erdjahren gerade mal neunzehn, überragte aber jedes Mitglied seiner Einheit. Die Körperkraft, die mit dieser Größe einherging, erwies sich im Kampf häufig als Segen, aber sie bot keinerlei Vorteile, wenn es darum ging, feindlichem Beschuss auszuweichen.

Sie werden mich verfehlen.

Er überzeugte sich schließlich selbst von dieser Annahme und warf seine letzte Impulsgranate über die umgestürzte Säule. Kaum hörte er sie detonieren, rannte er zu dem baufälligen gemauerten Torbogen hinter ihm. Auch wenn er nicht direkt jemanden durchgeschmort hatte, würde das Nachglühen ihre Sensoren und Zielerfassungssysteme aus dem Takt bringen. Zumindest hoffte er das.

Er hörte die beiden ersten Schüsse von irgendwo links hinter sich. Keiner traf, und er wurde nicht langsamer. Die Tür war nahe, noch sechs Meter. Noch drei. Ein Schuss zischte so dicht an seinem Kopf vorbei, dass sich ihm die Haare aufrichteten, aber er sprang durch die Tür und fand sich an einem viel besser gesicherten Platz wieder. Von draußen hörte er die bestürzten Rufe seiner Feinde, die einander vorwarfen, ihn auf seiner Flucht nicht niedergestreckt zu haben. Noah holte erleichtert Luft, ließ sich aber nicht von der gewonnenen Sicherheit blenden. Ihm war klar, dass noch viele weitere Zugänge in den Tempel führten. Er musste schnell sein.

Keine Zeit, um die Kunstfertigkeit der Wandbilder in den gemauerten Korridoren zu bewundern. Götter, Monster, Krieger, das Übliche. Ihn interessierten jedoch allein die geheimen Gänge, die Architekten aus alter Zeit angelegt hatten.

Noah sprang über einen Steinaltar, der schon lange nichts mehr erlebt hatte, was einem Opfer ähnelte, und stolperte dann beinahe über eine Gestalt, die lang ausgestreckt auf der anderen Seite lag. Er bückte sich rasch und klappte den Helm auf. Es war Kadoma, eine seiner Teamkameradinnen. Ihre dunklen Züge wirkten gelassen und ruhig, die Augen waren zu. Noah schloss den Helm rasch wieder und suchte sie dann nach irgendetwas Nützlichem ab, ohne dass sein Gesicht irgendein Gefühl bezüglich der gefallenen Verbündeten verraten hätte.

Ungeachtet seiner Körpergröße wäre es unpraktisch gewesen, ihr Gewehr als zweite Waffe an sich zu nehmen, aber er steckte das noch weitgehend volle Magazin ein. Kadoma hatte kaum eine Chance erhalten, auf irgendjemanden zu schießen, ehe es sie erwischte. Er löste zwei Impulsgranaten von ihrer Hüfte und die Seitenwaffe aus dem Brustholster. Die eigene hatte er bei einem Handgemenge verloren, aus dem er ungeschoren hervorgegangen war. Von seinem Gegner konnte man das nicht behaupten.

Weitere Schritte ertönten, und er ließ eine der Granaten fallen. Sie rollte unter den Altar. Er war gezwungen, sie dort zurückzulassen, und sprintete in einen angrenzenden Raum. Draußen wurde geflüstert, und zwei gepanzerte Gestalten schlichen in den Raum, den er soeben verlassen hatte.

»Er war hier«, sagte der Erste.

»Bist du sicher, dass du weißt, wie man diese Sensoren abliest?«, fragte der Zweite. »Vielleicht hast du nur die Leiche aufgespürt.«

Noah warf einen forschenden Blick um die Ecke und sah, wie die zweite Gestalt der am Boden liegenden Kadoma einen leichten Tritt versetzte.

»Ich kenne den Unterschied zwischen …«

Noah hatte genug gehört. Er drehte sich von der Wand weg und baute sich breitbeinig auf. Da ihm beide den Rücken zuwandten, konnte er die Schüsse aus seiner Pistole präzise platzieren.

Ein blauer Blitz detonierte von der Rückseite des Helms, den die erste Gestalt trug. Die zweite Gestalt fand gerade mal Gelegenheit zu fluchen und sich herumzuwerfen, ehe sie von zwei weiteren Schüsse niedergestreckt wurde. Jetzt lagen drei Leichen zu Füßen des Altars. Die alten Götter hätte das sicher gefreut.

Noah legte zwei Schritte zurück, ehe er ein Klicken hörte und spürte, wie ihm die Mündung einer Waffe an die Halspanzerung gedrückt wurde.

»Lass sie fallen«, sagte jemand.

Noah schüttelte den Kopf, wütend, dass er das zugelassen hatte. Widerstrebend warf er seine Pistole zu dem Leichenstapel hinüber, während eine behandschuhte Faust ihm das Gewehr vom Rücken riss. Das Kaliber des Laufs an seinem Hals deutete auf Streueinstellung hin. Diese Waffe war ein Killer auf kurze Distanz, perfekt für ein Labyrinth wie den Tempel.

»Gute Arbeit«, fand Noah.

»Hab schon eine ganze Weile niemanden mehr lebend gefasst. Gibt Pluspunkte, wurde mir gesagt«, meinte die Stimme hinter ihm. Noah traf Anstalten, einen vorsichtigen Blick über die Schulter zu werfen.

»Aber weißt du was?«, fuhr die Stimme fort. »Ich weiß nicht recht, ob ich mich darum schere.«

Noah wusste gut genug, wer in dieser Rüstung steckte, um zu begreifen, was als Nächstes geschehen würde. Der Abzug der Streuwaffe wurde in genau dem Augenblick gezogen, als Noah herumfuhr und sie mit dem Ellbogen wegschlug. Das Krachen des Schusses war ohrenbetäubend, aber Noah fand sein Gleichgewicht wieder und zielte einen Faustschlag auf den Unterarm der gepanzerten Gestalt, sodass deren Waffe auf den Boden klapperte. Der Soldat riss sofort mit der anderen Hand eine Pistole aus dem Gürtel, aber Noah blockierte seine Armbewegung, und der Schuss ging weit daneben.

Noah setzte die ganze Körperkraft ein, für die er berühmt war, packte Handgelenk und Hals des Soldaten und stieß ihn an die Wand gegenüber. Dann stemmte er ihn am Gemäuer entlang in die Höhe. Die Füße des Soldaten baumelten jetzt über dem Boden. Die Pistole fiel ihm aus der Hand, aber kaum schepperte das Metall auf dem Fußboden, da riss der Soldat beide Knie hoch und erwischte Noah voll am Kinn. Noah stolperte rückwärts, das Blickfeld voller Sterne, und die Gestalt landete wieder auf dem Boden und rieb sich den Hals, wo Noahs Griff die Panzerung schmerzhaft eingedrückt hatte.

Als Noah wieder zu Sinnen kam, versuchte er einen Schwinger zu landen, erreichte aber nicht mehr, als Splitter aus dem Gestein hinter seinem Ziel zu schlagen. Schmerzen schossen durch die Knöchel von Zeige- und Mittelfinger. Der Soldat war unglaublich flink und erwischte Noah kurz nacheinander mit zwei durch seinen Nanoanzug verstärkten Boxhieben am Brustkorb und schlug damit Risse in die Panzerplatten. Als Noah sich krümmte, brachte ihn der Soldat mit einem Kinnhaken wieder in eine aufrechte Haltung und erledigte dabei sein Helmdisplay, das in einem Kurzschluss erlosch. Ein weiterer Boxhieb riss den Helm endgültig aus der Fassung, und er hüpfte aufs Geratewohl über den Steinfußboden.

Noah gelang endlich eine Parade, und er wehrte zwei blitzschnelle Tritte der kleineren Gestalt ab. Beim dritten Versuch hämmerte er den Ellbogen auf den gegnerischen Oberschenkel, und der Soldat schrie vor Schmerzen und humpelte rückwärts. Noah nutzte die Gelegenheit und griff an. Doch der andere war ebenso wendig, wie er drahtig war, und wich flink zur Seite aus. Bei dem Manöver erwischte er Noah am Ellbogen und schleuderte ihn mit dem Kopf voran gegen die Wand. Noah sah Sterne angesichts der explodierenden Schmerzen in seinem inzwischen nicht mehr gepanzerten Schädel. Er schwankte und schaffte es kaum, das Gleichgewicht zu halten. Sein Blickfeld war voller roter und schwarzer Flecken, aber er sah, wie der Soldat mit einer Hand den Helm absetzte und mit der anderen die Streupistole auf Noah richtete, die er wieder an sich genommen hatte. Das vertraute grinsende Gesicht wurde in Noahs Sichtfeld allmählich scharf.

»In Ordnung, Erik«, sagte Noah schwer atmend. »Ich bin dein Gefangener. Du hast mich erwischt.«

Eriks dunkle Haare klebten auf der verschwitzten Stirn. Die hellgrünen Augen hoben sich von der sonnengebräunten Haut ab, und eine Mischung aus Wut und Freude brannte darin.

»Wie ich schon sagte, ich mache im Grunde keine Gefangenen.«

Noah schüttelte langsam den Kopf und hob die Hand.

»Du brauchst nicht …«

»Und wieder hast du verloren, Bruder«, sagte Erik und drückte ab. Blendendes Licht erstrahlte. Noah sah nur noch Dunkelheit.

2

Dubai.

Das Wort lag ihm auf der Zunge, wie fast immer, wenn er wach wurde. Aber sobald es auftauchte, entschwand es seinem Bewusstsein schon wieder. War vergessen.

Licht kroch ihm in die Augen, als er sie öffnete, und ein verschwommenes Gesicht nahm langsam Gestalt an. Als er es schließlich erkannte, konnte er sich trotz der pochenden Agonie im Schädel ein Lächeln nicht verkneifen.

Sakai erwiderte das Lächeln und strich sich die langen braunen Haare hinters Ohr. Ihre Gesichtszüge schlugen mehr nach dem Vater, einem Mann aus der einst großen irdischen Nation Japan, aber der übrige Körper mit der leicht karamellfarbenen Haut und den anmutigen Rundungen der Hüfte mehr nach der brasilianischen Mutter.

»Ich kann nicht glauben, dass du schon wach bist«, sagte sie, und die schmalen Augen weiteten sich vor Überraschung. »Laut den Silberkitteln hätte dich ein Betäubungsgeschoss aus so kurzer Distanz an den ungeschützten Schädel für mindestens einen Tag außer Gefecht setzen müssen.«

Noah setzte sich langsam auf und stützte sich auf die Ellbogen. Man hatte ihm die Rüstung ausgezogen, und er trug nur noch den aus Fasern gewebten Bodysuit. Er sah sich auf der Krankenstation um: Beide Teams der Einheit wurden wegen diverser kleinerer Verletzungen behandelt. Alle waren nach der Wirkung der Betäubungsgeschosse wieder wach geworden. Die Übung war vorüber. Und sein Team hatte erneut verloren.

Er rieb sich die Augen und spürte einen leichten Kuss auf der Stirn. Er lächelte Sakai an, der es irgendwie gelang, strahlend auszusehen, obwohl sie schweißnass und voller Dreckspritzer war.

»Du bist diesmal früh zu Boden gegangen«, sagte er und schwenkte die Beine von seiner Transportliege. Geräte piepten gleich nebenan seine Lebenszeichen in den Raum.

»Teheran war ein Idiot«, sagte sie verärgert. »Ich hatte ihm gesagt, dass sie neben der Holzgrube lauern, aber er wollte trotzdem hinein. Ich hab versucht, ihm den Arsch zu retten, aber Quezon hat uns beide gebrutzelt.«

Quezon half gerade seiner Halbschwester Kadoma auf die Beine. Als Einziger in der Gruppe erreichte er annähernd Noahs Körpergröße. Er war nur einen oder zwei Zoll kleiner, obwohl er wie fast alle hier drei Jahre jünger war. Er erwiderte Noahs Blick und nickte.

»Wo steckt mein Bruder?«, fragte Noah.

»Wird gerade vom Wachmann in den Boden gerammt«, antwortete sie und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Er will dich auch sehen, sobald du wieder wach bist, aber ich denke nicht, dass er so schnell damit rechnet.«

Noah mühte sich auf die Beine und stellte fest, dass seine Nerven kribbelten. Die Betäubungsgeschosse, die bei Übungen verwendet wurden, enthielten zwar kein brennendes Plasma, aber sie verfügten über ordentliche Wucht, die über Stunden oder gar Tage nachwirken konnte.

»Dann kann ich mir auch anhören, was er möchte«, sagte Noah und beugte sich weit vor, um der winzigen Sakai einen Kuss zu geben. Alle hier waren im Vergleich zu ihm klein, aber sie ganz besonders. Er wusste, dass zumindest ein paar von ihnen wenig schmeichelhafte Spitznamen für sie beide verwendeten. Vermutlich hatte Erik die ausgeheckt. Dem Rest von Sora war er unter seinem grandioseren Ehrentitel bekannt: der Letzte Sohn der Erde. Er wurde für immer anhand eines Planeten identifiziert, an den er sich nicht einmal erinnerte.

Die Soraner zeigten sich jedoch entschlossen: Er durfte nicht vergessen. Darin bestand einer der vielen Zwecke von »Kolonie Eins«, der Wohn- und Ausbildungseinrichtung auf dem Kontinent Losara, in der die achtunddreißig Menschen lebten, die nach wie vor allseits als die »Erdgeborenen« bekannt waren. Auch wenn Noah der Einzige war, auf den diese Bezeichnung wirklich zutraf. Die Übrigen waren aus Tanks auf Sora geboren worden; man hatte sie aus den zwölf komatösen Menschen zusammengebastelt, die Alpha von der Erde mitgebracht hatte. Zusätzlich zu Noahs Eltern natürlich.

Und dann war da noch Erik, der Erste Sohn von Sora. Er war Lucas’ und Ashas biologischer Sohn. Noah hingegen war ein Findelkind, das die beiden auf ihrer grauenhaften Flucht von der Erde mitgenommen hatten. Erik war nach der immer noch verwendeten Zeitrechnung der Erde siebzehn, die übrigen Erdgeborenen hingegen allesamt sechzehn, gezüchtet als gemeinsamer Wurf.

Noah ging ins Freie und atmete die frische Luft ein, eine Erleichterung nach dem abstoßenden antiseptischen Geruch auf der Krankenstation. Eine sanfte Hügellandschaft voll üppigen Kiefernbewuchses umgab ihn, und die eigentliche Siedlung ragte vor ihm auf.

Kolonie Eins vereinte die Funktionen einer Universität, eines militärischen Ausbildungsgeländes und einer sicheren Unterkunft in sich. Errichtet hatte man sie über den Ruinen einer seit langem toten heiligen Stadt, die einem der zahllosen Kriege auf Sora vor fast dreißigtausend Jahren zum Opfer gefallen war. Der größte Teil der antiken Architektur war vom Grünzeug verschlungen worden, aber einige der noch einigermaßen intakten Gebäude dienten Ausbildungszwecken. So auch der Tempel, in dem Noah sein virtuelles Ende gefunden hatte. Die meisten Gebäude rings um ihn zeigten sich jedoch glänzend und waren eigens für sie errichtet worden. Die Regierung hatte keine Kosten gescheut, als Kolonie Eins für die Erdgeborenen gegründet worden war. Die Achtunddreißig waren einfach viel zu wertvoll, um mit der normalen soranischen Gesellschaft zu verschmelzen. Dort wären sie Zielfiguren für Fanatiker gewesen oder im günstigsten Fall innerhalb einer Generation ausgestorben. Man hatte herausgefunden, dass, auch wenn die Biologie von Soranern und Menschen äußerlich fast identisch schien, sie sich jedoch nicht miteinander fortpflanzen konnten und eine Empfängnis zum Tode sowohl des Kindes als auch der Mutter geführt hätte, unabhängig davon, welchem der beiden Völker sie angehörten.

Also wurde Kolonie Eins installiert. Es sollte die Grundlage einer Gesellschaft nur für Menschen sein, die es ihrer Subspezies erlaubte, eines Tages – in vielen tausend Jahren – in altem Glanz neu zu erstehen. In der Kolonie machte man die Bewohner nicht nur mit ihrer aktuellen Heimat Sora vertraut, sondern auch mit ihrem Herkunftsplaneten, der Erde. Alle hier, Noah eingeschlossen, sprachen fließend Englisch und Soranisch. Obwohl Englisch nicht die am häufigsten gesprochene Sprache auf der Erde gewesen war, so war es doch die Sprache der ursprünglichen Erdgeborenen Lucas und Asha und wurde somit als offizielle Sprache des alten Planeten adoptiert. Demzufolge unterrichtete man jeden in der Kolonie darin, ob es sich nun um Schüler oder Angestellte handelte.

Sie lernten die Geschichte beider Welten, obwohl die der Erde mehr als nur ein paar Löcher aufwies. Alles, was die Soraner über den Planeten wussten, ging auf Alphas Forschungen vor der Invasion zurück, und so clever er auch war, er hatte die vollständigen Annalen der Menschheitsgeschichte nicht bewahren können. Trotzdem entwickelte Noah eine Faszination für die großen Kriege der Römer, Griechen, Hunnen, Chinesen, Deutschen und Amerikaner. Man konnte viel daraus lernen, wenn sich auch die Technik mit der Zeit verändert hatte.

Leider stellte der reale Krieg, der gegen Xala, die dringlichere Sorge dar. Deshalb bildete man sie auch gewissenhaft an Waffen aus, obwohl niemand die Absicht hatte, solch wertvolle Bürger jemals in die Schlacht zu schicken. Angriffe auf die Heimatwelt waren jedoch nach wie vor möglich, und da die Menschheit am Rande der Ausrottung stand, mussten sie sich verteidigen lernen.

Noah ging an der kantigen und vielspitzigen Pyramide des Techniknexus vorbei auf die Unterkunft des Wachmanns zu, wo er seinen Bruder zu finden erwartete. Er näherte sich zwei Erdgeborenen, die man anscheinend schon aus der Krankenstation entlassen hatte und die jetzt einen Spaziergang auf dem Gelände unternahmen. Lyon hatte braune Augen und kastanienfarbene Locken; man hatte ihn aus einem französischen Vater und einer australischen Mutter entwickelt. Veria war griechisch-philippinischer Herkunft und hatte dunkle und ausdrucksstarke Züge. Alle Tankgeborenen widmeten sich umfangreichen Studien ihrer Ursprungsländer, aber unter den aktuellen Umständen fiel es schwer, Nationalstolz zu entwickeln. Es diente also mehr der Neugier als sonst etwas, und ungeachtet der unterschiedlichen Herkunftsländer kam es nur darauf an, dass sie alle von der Erde stammten. Die Achtunddreißig waren hier zusammen aufgewachsen – die Letzten ihrer Art.

Lyon und Veria waren schon ein Paar, seit er zurückdenken konnte. Beide lächelten, als er sie erreichte.

»Ich hab gehört, dass dein Bruder diesmal wirklich aufs Ganze gegangen ist«, sagte Lyon. Er hatte auf der anderen Seite gestanden, und Noah war ziemlich sicher, dass er ihn in den ersten Augenblicken des Kampfes getötet hatte, aber er sagte jetzt nichts, das noch Salz in die Wunden gestreut hätte.

»Ist er in der Tat«, sagte Noah und legte die Hand an den immer noch pochenden Schädel.

»Er ist ein Irrer!«, schimpfte Veria, als sie aneinander vorbeigingen. »Eines Tages geht er zu weit, und es kommt wirklich jemand zu Schaden.«

Tatsächlich war das schon oft passiert. Eriks fahrlässige Missachtung der Einsatzregeln hatte schon einige der Erdgeborenen ins Krankenhaus gebracht. Selbst größere Verletzungen konnten jedoch mit der hochentwickelten Meditechnik der Kolonie von ihren rund um die Uhr verfügbaren Silberkitteln behandelt werden. Der Wachmann dachte sich nach jedem Verstoß immer neue und drastischere Strafen für Erik aus, aber dieser tat sie nur lachend ab und betrachtete die Regeln weiterhin als reine Vorschläge.

Regeln gab es viele in Kolonie Eins, besonders jene, dass jeder dort zu sein hatte, wo man es von ihm erwartete und wann man es von ihm erwartete. Essens- und Schlafenszeiten waren streng geregelt, und alle waren jeden Tag um fünf Uhr auf den Beinen. Die wichtigste Regel jedoch – gegen die Erik häufig verstieß – lautete, dass sie das Gelände nicht verlassen durften.

Doch Kolonie Eins war beileibe kein Gefängnis. Die Gruppe unternahm häufig Ausflüge, und man konnte unter dem Schutz einer Eskorte viele Ziele auf dem Planeten besuchen. Vor etwa einem Jahr hatte Sakai erfahren, dass es in Ghurain eine antike Bibliothek mit einigen wenigen bis zu achtzigtausend Jahre alten Büchern gab. Sie hatte einen Besuchsantrag gestellt, und eine schwer bewaffnete Eskorte brachte sie und Noah für einige Tage dorthin. Der Wachschutz war auf solchen Ausflügen und sogar in der Sicherheit der Kolonie enorm groß, obwohl Außenstehende nur wenige Versuche unternommen hatten, hier einzudringen. Nur ein paar übriggebliebene Irre des Vierten Gebots hatten versucht, »Sora von der Seuche der Menschheit zu säubern«. Die Erfolgreichsten unter ihnen schafften es, sich der Kolonie bis etwa auf drei Meilen zu nähern, ehe sie von automatischen Geschütztürmen zerfetzt wurden.

Erik aber war ein besonderer Fall. Er verließ immer wieder illegal das Gelände, entweder indem er die elektronischen Sicherheitsvorkehrungen hackte oder einfach durch gutes altmodisches Schleichen. Hätte er halb so viel Energie in seine Kurse gesteckt wie in seine Fluchtversuche, wäre er der beste Student der Kolonie gewesen. Er war es jedoch zufrieden, immer wieder durch die Sicherheit zu schlüpfen, sich von einem seiner vielen reichen Freunde in der soranischen High Society aufsammeln zu lassen und Partys zu feiern, bis die Koloniewachleute ihn aufspürten und zurückschleppten.

So sehr sich Noah und Erik jedoch stritten, betrachteten sie einander doch als Brüder, auch wenn zwischen ihnen keine Blutsverwandschaft bestand. Erik lud Noah oft ein, ihn auf der Flucht zu einem Abend voller Ausschweifungen zu begleiten, aber Noah lehnte immer ab. War Erik frech und kühn, so war Noah zurückhaltend und nachdenklich, uninteressiert an diesen gesellschaftlichen Ereignissen. Er war es zufrieden zu trainieren, zu studieren, die Stufen des Weißen Turms zu ersteigen oder einfach Zeit mit Sakai zu verbringen.

Ungeachtet aller in Kolonie Eins geltenden Regeln war der Umgang der Geschlechter kein bisschen reglementiert. Er wurde regelrecht ermutigt. Niemand sagte ihnen, wer wo zu schlafen hatte, solange nur alle zur richtigen Zeit wach und angekleidet waren. Demzufolge kristallisierten sich allmählich Paare heraus, als die Erdgeborenen in die Pubertät kamen und sich die Natur und die Hormone der Sache annahmen. Sex war üblich, obwohl man alle informiert hatte, dass sie vorläufig sterilisiert gehalten wurden, damit die Menschenpopulation nicht rapide explodierte. Im Alter von vierzehn, fünfzehn, sechzehn oder in Noahs Fall sogar neunzehn Jahren Kinder zu bekommen, hätte sich nicht mit ihrer Ausbildung vertragen. Später war noch reichlich Zeit dafür, hatte man ihnen erklärt. Dieser Mangel an Einschränkungen sollte sie damit vertraut machen, als normale Gesellschaft zu funktionieren, sobald es Zeit wurde, den allmählichen Neuaufbau der menschlichen Gesellschaft in Angriff zu nehmen.

Noahs Statur und raue Erscheinung machten ihn zu einem häufigen Ziel der Mädchen in der Kolonie. Ganz zu schweigen davon, dass er als der berühmte »Letzte Sohn« so etwas wie einen Ehrenplatz einnahm. Ungeachtet der fast universellen Vorliebe für ihn, zeigte sich Noah aber nur von einer hingerissen, der rätselhaften Sakai. Er war jetzt deutlich länger als ein Jahr mit ihr und nur mit ihr zusammen. Ungeachtet der fehlenden offiziellen Regeln über Beziehungen erwies sich die Zahl zwei unter den Erdgeborenen selbst als universell. Man machte niemanden an, der offiziell mit jemand anderem eine Beziehung hatte (obwohl das vorgekommen war), und die Tankgeborenen verbanden sich offensichtlich nicht mit jemandem, mit dem sie Vater oder Mutter gemeinsam hatten. Wenn man irgendeinen von ihnen fragte, so empfanden sie schon die Vorstellung als Übelkeit erregend. Ob das eine natürliche Reaktion darstellte oder dieses Vermeidungsverhalten genetisch in sie eingebaut worden war, war schwer zu sagen.

Als Noah sich dem Chefbüro des Wachmanns näherte, sah er Sakais Halbbruder Wuhan am Eingang lehnen und eine dunkelrote Frucht verspeisen. Er trug nach wie vor den größten Teil seiner Panzerung. Wuhan war japanisch-chinesisch und nach einer Stadt in einem der Heimatländer seiner Eltern benannt. Auf diese Weise hatten alle Tankgeborenen anlässlich der Geburt ihre Namen erhalten.

»Weshalb hat er dich gerufen?«, fragte Noah.

Wuhan schüttelte den Kopf.

»Diesmal überraschenderweise gar nicht. Ich bin nur hier, um einen Reiseantrag für Rhylos zu stellen.«

Noah schnaubte.

»Viel Glück. Hat er das nicht schon die letzten drei Male abgelehnt?«

Wuhan nickte.

»Schon, aber ich habe bei den zurückliegenden Übungen die meisten Abschüsse erzielt. Ich hoffe, das bringt mir einige Punkte ein.«

»Das hat dir vor allem eine Zielscheibe auf dem Rücken seitens aller anderen eingebracht«, sagte Noah.

Wuhan zuckte mit den Achseln und schnippte den Obstkern ins Gebüsch.

»Na ja, Angst habe ich nur vor dir und deinem Bruder – und du bist in meiner Einheit. Und zum Glück für uns alle nimmt Erik die Übungen anscheinend nicht ernst. Gott helfe uns, wenn er das je tut.«

»Heute hat er es«, sagte Noah.

Wuhan zuckte zusammen.

»Ja, hab ich gehört. Die Streuwaffe auf den nackten Schädel? Wieso bist du dann schon bei Bewusstsein?«

»Kyneths Segen«, antwortete Noah lächelnd.

Wuhan verdrehte die Augen.

»Klar doch. Jedenfalls bin ich ziemlich sicher, dass dein Anliegen Vorrang vor meinem genießt. Ich höre das Geschrei von hier aus.«

Wuhan wich aus, und Noah betrat die Unterkunft des Wachmanns. Die Wände wirkten steril; ihnen mangelte es an allem, was einer Dekoration auch nur ähnlich gesehen hätte. Noah folgte den Lauten, die von den Metallwänden widerhallten, und fand schließlich, wonach er suchte.

Erik stand starr da, die Hände auf dem Rücken, während Wachmann Tannon Vale ihn ausschimpfte. Ungeachtet der Heftigkeit des Älteren ging Eriks Blick an ihm vorbei zum Fenster hinaus zu den Bergen im Osten. Er wirkte gelangweilt. Tannon unterbrach seine Tirade auch nicht, als er Noah eintreten sah.

»… und wo auf deinen Kampfrollen stand irgendetwas darüber, Gefangene auf Kernschussweite zu exekutieren? Und mit einer Streupistole? Dein Bruder hätte einen Hirnschaden erleiden können!«

»Er ist ein harter Bursche, Wachmann«, erklärte Erik diplomatisch. Er begegnete Tannon immer betont förmlich, auch wenn in seinem Ton gewöhnlich eine scharfe Note Sarkasmus mitschwang.

»So sehr es an ein Wunder grenzt, dass er jetzt hier steht: Das ist nicht der Punkt. Du bist eine Gefahr für dich selbst und jeden in dieser Kolonie, wenn du dich weigerst, die Gesetze zu achten, die zu eurem Schutz erlassen wurden. Du wirst heute Abend ein Dutzend Runden laufen, ehe das Licht ausgeschaltet wird, und darüber nachdenken.«

»Ich ersuche um den Ausschluss aus dieser Kolonie, Wachmann«, sagte Erik, der nach wie vor in voller Panzerung stramm stand.

»Wenn ich das nur tun könnte«, sagte Tannon. »Du weißt es aber besser. Sieh nur zu, dass deine Fixierung darauf, deinen Bruder zu provozieren, nicht noch weiter ausartet. Eines Tages wird er genug haben, und du wirst dir wünschen, du hättest es nicht getan.«

»Er hat es heute probiert, Wachmann«, sagte Erik, und ein leises Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

»Noah«, sprach Tannon ihn jetzt zum ersten Mal an. »Gib dir nächstes Mal mehr Mühe. Vielleicht kannst du ihm die Lektion erteilen, die ihm zu geben mir verwehrt ist.«

»Ja, Wachmann«, antwortete Noah, der jetzt ebenfalls Haltung annahm.

»Rühren!«, sagte Tannon. »Ich habe dich nicht deswegen gerufen.«

Erik warf Noah einen Blick zu. Wie sie da nebeneinander standen, hätten sie nicht unterschiedlicher sein können. Noah war groß und mit dicken Muskeln bepackt. Er trug die sandfarbenen Haare im Bürstenschnitt und hatte meerblaue Augen. Der knappe Bodysuit gab den Blick auf die große Brandnarbe frei, die sich über Schulter und Arm ausbreitete, das Erinnerungsstück von einer Heimatwelt, an die er sich nicht erinnerte.

Erik stellte eine Kombination der beiden größten Helden dieser Epoche dar. Er wies Lucas’ kantige Konturen um Kinn, Nase und Mund auf, aber alles andere, inklusive der nicht zu bändigenden schwarzen Haare und durchdringenden grünen Augen, ging auf Asha zurück. Zwei Jahre jünger als Noah und fast dreißig Zentimeter kleiner war er jedoch hager und agil, allerdings ebenfalls sehr kräftig. Wenn er wollte, war er der beste Kämpfer der Kolonie, wozu eine außergewöhnliche Intelligenz das ihrige beitrug. Allerdings sagten seine Ausbilder ihm oft nach, er sei gescheiter, als gut für ihn war.

»Was gibt es, Wachmann Vale?«, fragte Noah.

Tannon setzte sich an einen ausladenden Schreibtisch, der zahlreiche holografische Displays projizierte. Er wirkte müde, und sein Alter zeigte sich allmählich, was in der soranischen Kultur selten geschah. Seine kurze Regierungszeit als Hochkanzler hatte ihn viel gekostet. Die wenigen Amtsjahre hatte er fast völlig dem Bestreben gewidmet, sich von den Verbrechen seiner Schwester zu distanzieren, die des Völkermords und des Verrats in einem schockierenden Maße überführt worden war, ehe sie von der Hand des Rebellen Hex Tulwar starb. Tannon hatte damals nichts von ihren Verbrechen gewusst, und es gelang ihm nur mit knapper Not, das Vertrauen der Öffentlichkeit zurückzugewinnen. Der Name Vale blieb jedoch nach Talis‘ Sünden auf immer befleckt. Der neue Hochkanzler Madric Stoller hatte ihm sodann die Stellung des ersten Wachmanns von Kolonie Eins angeboten, wo er die Aufsicht über die jungen Erdgeborenen führte und sie ausbildete. Manche betrachteten das mehr als eine Form des Exils und nicht unbedingt als ehrenvollen Dienst. Es war eine oft schwierige Aufgabe, aber Tannon sagte gerne, dass sie sich nach seinem Dienst als Admiral und Hochkanzler wie der Ruhestand anfühlte.

Seine letzte Amtshandlung, ehe er als Politiker abdankte, hatte darin bestanden, Lucas und Asha zu rehabilitieren. Die beiden Erdenmenschen hatte man der Verschwörung mit Hex Tulwar und dem Vierten Gebot verdächtigt, der seine Schwester hatte ermorden wollen und es beinahe geschafft hatte, den Planeten zu destabilisieren.

Tannon beauftragte das cleverste ihm bekannte Lebewesen, den xalanischen Wissenschaftler namens Alpha, mit der Aufklärung von Tulwars Machenschaften. Der freute sich über die Aufgabe, die Namen seiner Freunde reinzuwaschen, und verwandte Monate darauf, mit größter Sorgfalt Beweise in Video- und Audioaufnahmen zu suchen, von denen der inzwischen tote Tulwar geglaubt hatte, sie wären vollständig aus den Überwachungsdaten des Palastes gelöscht worden. Alpha deckte die Manipulationen auf, mit denen Tulwar die Schuld auf die Erdgeborenen abgewälzt hatte. Tulwar war der alleinige Verräter, und Lucas und Asha genau die, als die sie sich ausgegeben hatten. Das war eine Erleichterung für eine Welt, die verzweifelt auf der Suche nach Helden war. Obwohl manche Soraner die Erdgeborenen noch immer verabscheuten und dies vermutlich auch nie hinter sich lassen konnten, betrachteten die meisten sie weiterhin als Symbole der Hoffnung im endlosen Krieg gegen Xala. Als offenbar wurde, was sie auf Xala geleistet hatten, während die Schlacht von Altoria tobte, begann die breite Öffentlichkeit wieder damit, sie zu verehren.

»Sie möchten, dass ihr an der diesjährigen Gedenkfeier teilnehmt«, sagte Tannon. »Stoller selbst hat den Wunsch geäußert.«

Erik fluchte unterdrückt.

»Wieder?«

Die alljährliche Feier zum Gedenken an Altoria stand in wenigen Tagen bevor. Die Schlacht war nach dem grünen Gasplaneten im soranischen Sonnensystem benannt, wo die beiden riesigen Flotten vor all diesen Jahren aufeinandergeprallt waren. Zeitgleich waren Lucas, Asha, Alpha, Zeta und Mars Maston direkt auf Xala gelandet, um den dortigen Aufstand zu entfachen und die feindliche Funktechnik lahmzulegen. Nur dank dieses Einsatzes hatte die soranische Flotte die Xalaner in der Schwärze des Alls schlagen können, kaum drei Milliarden Meilen von Sora selbst entfernt. Die zerschlagene feindliche Streitmacht hatte sich aus dem System zurückgezogen, nur um bei der Rückkehr ihre eigenen Kolonialplaneten sämtlich in offenem Aufruhr vorzufinden. Die dortigen Bürger hatten die von Alphas Vater vor seinem Tod aufgedeckte Wahrheit erfahren, dass der gesamte Konflikt auf einer Lüge beruhte. Die Prämisse des ganzen interstellaren Kriegs hatte gelautet, dass die Xalaner eine eigenständig entwickelte Lebensform mit einem Heimatplaneten seien, den die Soraner zerstört hatten. In Wahrheit handelte es sich bei ihnen um gentechnisch aus den Soranern selbst entwickelte Sklaven, die man nach einem gewaltsamen Aufstand gnädigerweise auf jene öde Welt verbannt hatte.

»Ich dachte, wir wurden hier untergebracht, um als Zootiere gehalten zu werden, wenn auch ohne Besucher«, fuhr Erik fort und ließ damit allmählich den förmlichen Ton fahren.

»Das Volk muss beruhigt werden, indem es erfährt, dass die nächste Generation von Erdgeborenen auf das Bündnis mit uns eingeschworen bleibt. Es handelt sich um eine symbolische Geste, die unsere beiden Planeten vereint.« Tannon klang selbst nicht ganz überzeugt.

»Wir haben keinen Planeten, Wachmann«, feuerte Erik zurück.

Tannon funkelte ihn an. »Soweit ich feststellen kann, stehst du doch gern im Rampenlicht«, sagte er. Er rief ein Video aus dem Stream ab. Es zeigte einen betrunkenen Erik mit seinen Freunden vor wenigen Wochen in einem Nachtclub im Zentrum Elyrias. Er hielt ein spärlich bekleidetes soranisches Mädchen unter jedem Arm. Die Aufnahme zeigte, wie Erik stolperte und hinfiel, wobei er beide Mädchen mit sich zu Boden zog.

»Ich wusste nicht, dass Sie sich gern Klatschvideos anschauen, Wachmann«, wandte Erik mit durchtriebenem Lächeln ein.

»Nur wenn einer meiner Schützlinge illegal das Gelände verlässt, sodass jeder Verrückte ihn ermorden oder entführen könnte«, stellte Tannon verärgert fest.

»Sie können es ja versuchen«, sagte Erik kalt.

»Wann brechen wir auf, Wachmann?«, fragte Noah, der sich danach sehnte, die Kolonie verlassen zu können. Es lag zu lange zurück.

»Morgen. Und nein, du kannst Sakai nicht mitnehmen, also verkneife dir die Frage.«

Noah hatte sich das schon gedacht, aber er wusste, dass sie enttäuscht sein würde. Sakai liebte Elyria. Ein holografisches Foto, das sie beide bei einem Staatsdinner im Thronsaal des Großen Palastes zeigte, hatte einen festen Platz an ihrem Bett gefunden.

»Ich selbst verlasse den Planeten zu irgendeinem Scheißgipfeltreffen, also werde ich bei eurer Rückkehr nicht hier sein«, fuhr Tannon fort. »Ich habe jedoch den Sicherheitsdienst angewiesen, besonders auf dich zu achten«, sagte er und funkelte dabei Erik an.

»War das alles, Wachmann?«, fragte Erik, sicher erpicht darauf, zu dem erdgeborenen Mädchen zurückzukehren, mit dem er gerade schlief. War es Penza oder Tula?

»Entlassen«, sagte Tannon.

Drei volle Monde standen am Himmel, als Noah in dieser Nacht die tausend Stufen des Weißen Turms hinauflief. Tatsächlich waren es 1653 Stufen – Noah hatte sie gezählt –, aber diese Zahl ging nicht so elegant über die Zunge, vermutete er.

Sakai schlief, als er sich zu einem seiner vielen nächtlichen Läufe den Turm hinauf davonschlich. Sie hatte ihn ein paar Male begleitet, aber nach einem harten Trainingstag war dieser Anstieg, um in einem Tempel zu Göttern zu beten, an die sie nicht einmal glaubte, gewöhnlich das Letzte, was sie wollte.

Der Weiße Turm war das älteste Bauwerk auf dem Gelände und erhob sich weit oben an der Rückseite eines Berges. Er gehörte noch zur Sicherheitszone von Kolonie Eins, war aber weit von allem anderen entfernt. Der Tempel war völlig intakt, anders als die ähnlichen Bauten, deren Ruinen man weit darunter auf dem Gelände fand. Die Gläubigen führten das von jeher auf den Segen der Götter zurück, die ihn seit ungezählten Jahrtausenden bewachten. Wahrscheinlich lagen Turm und Tempel aber nur weit genug von jedem möglichen Konflikt entfernt. Der natürliche Zerfall war sicher auch durch Zuranas Gesalbte aufgehalten worden, die dort lebten, seit der Bau bestand. Sie waren nicht unsterblich, aber ihr Orden war sehr fromm, und wenn eine Schwester starb, schickte man eine andere, die an ihre Stelle trat. Da sie alle jederzeit weiße gewebte Schleier trugen, war nicht festzustellen, wer eine neue Rekrutin und wer eine zweihundert Jahre alte Schachtel sein mochte, außer vielleicht anhand des Gangbildes, wenn die Schwestern durch die Steinkorridore schweiften.

Noah erreichte die 1.653ste Stufe und starrte auf die grandiose Konstruktion vor ihm. Der Weiße Turm bestand im Grunde aus mehreren Türmen, allesamt aus Stein gemeißelt, die hunderte Fuß in den Nachthimmel aufragten. Aus der Ferne wirkten sie als massive Einheit. Die gesamte Konstruktion bestand aus weißem Marmor, und es fiel schwer zu glauben, wie lange der Tempel schon intakt geblieben war. Vor der Errichtung von Kolonie Eins hatten viele Gläubige Pilgerfahrten zum Turm unternommen, und sie waren bestürzt darüber, dass dies jetzt nicht mehr möglich war. Es handelte sich um eine der ältesten Kultstätten des Planeten.

Zwei Kolonie-Wachleute nickten Noah kurz zu, als er den Tempel betrat. Beide waren schwer bewaffnet und gepanzert, da es sich bei dem Turm um eine ziemlich exponierte Stellung handelte. Im Inneren hielten sich sogar noch mehr Wachleute auf.

Noah hätte nicht erklären können, wie er den Glauben der Leute würdigen gelernt hatte, die einst versuchten, seine Eltern umzubringen und ihnen Mord und Verrat anzuhängen. Er hatte sämtliche Religionen sowohl der Erde als auch Soras studiert, fühlte sich aber auf unerklärliche Weise zu den Büchern des Waldes und den Erkenntnissen hingezogen, die man darin fand. Als er den Weißen Turm vor Jahren zum ersten Mal erreicht hatte, empfand er einen Frieden, den er nicht erklären konnte. Seither kam er immer wieder her, um zu beten. Nein, er wusste nicht, ob der Erste Mann und die Erste Frau, Kyneth und Zurana, wirklich auf Eichenthronen saßen und ihm zuhörten, aber er fühlte sich nach den Gebeten trotzdem besser.

Andere Tempelbesucher waren in dieser Nacht nicht anwesend. Er hatte Quezon in den zurückliegenden Wochen ein paarmal hier oben gesehen, doch im Augenblick waren nur die Schwestern hier. Ringsherum ragten runde flache Steine aus dem Boden auf und zogen sich wie ein Ring um eine hoch aufragende Statue Zuranas, der Ersten Frau, im Zentrum.

Noah kniete sich auf einen der Steine. Viele der weiß gewandeten und verschleierten Schwestern taten das Gleiche, während andere sich um nicht entzündete Kerzen kümmerten oder mit drahtigen Besen den Boden fegten. Hierherzukommen, das war, als drehte man die Zeit um dreißigtausend Jahre zurück. Fast nichts hatte sich im Verlauf dieser Zeitspanne verändert, einschließlich der heiligen Gewänder der Schwestern und des sorgsam arrangierten Schemas der Gebetssteine.

Noah setzte sich auf seine Fersen, legte die Hände auf die Schenkel und hob den Blick zur gewölbten Decke. Er sprach im Flüsterton.

»Zurana, höre mein Gebet. Schütze unsere Kolonie vor jenen, die uns verletzen möchten. Behüte Erik und mich morgen auf unserer Reise. Segne unsere Soldaten im Feld und ihre Familien zu Hause.«

Er unterbrach sich.

»Sorge für Ashas Sicherheit, wo immer sie auch sein mag. Möge sie finden, wonach immer sie auch sucht.«

Noah wusste, wo Asha eigentlich sein sollte. Offiziellen Angaben zufolge war sie zurück auf Makari und half den Oni dabei, die letzten Überreste der xalanischen Besatzungsmacht loszuwerden. In der dortigen Kolonie war es zum schnellsten und kürzesten Aufstand gekommen; eine große Streitmacht des xalanischen Widerstands hatte schon vor der Ankunft der Erdenmenschen dort bestanden, und die einheimische Bevölkerung trug dazu bei, den Aufstand zu entfachen.

Ob sich Asha jedoch dort aufhielt oder nicht, das konnte niemand sagen.

Einige Jahre lang war alles gut gewesen, wie sich Noah erinnerte. Asha war verwundet, aber lebendig von Xala zurückgekehrt. Nach Lucas’ Tod tat sie ihr Bestes, um Noah und Erik eine Mutter zu sein. Sie lebten im Exil, da es Tannon und Alpha zu dem Zeitpunkt noch nicht gelungen war, die Erdgeborenen von den ihnen vorgeworfenen Taten reinzuwaschen. Immerhin hatten die drei einander, und das war genug. Noahs Erinnerungen an jene Zeit waren schwach, aber von warmen Gefühlen geprägt.

Als Noah sieben wurde und die Ergeborenen endlich entlastet waren, rief man Asha zurück in den Militärdienst, denn der Krieg eskalierte zu der Zeit. Noah und Erik wurden in die neu errichtete Kolonie Eins gebracht, und man wies ihnen für ihre Entwicklungsjahre Betreuer und Lehrer zu. Asha war häufig in Einsätzen unterwegs, besuchte aber, wann immer sie die Gelegenheit fand, die Kolonie und sah nach den Jungen. Allmählich dauerten die Einsätze aber länger und länger und ihre Besuche wurden seltener. Als sie sie vor wenigen Jahren das letzte Mal gesehen hatten, wirkte Asha verstört und wollte nicht davon sprechen, wo sie gewesen war. Später erzählte Alpha ihnen, dass man sie erwischt hatte, wie sie einen Langstrecken-Nullkern zu beschlagnahmen versuchte, um nach Xala zu fahren und Lucas zu suchen.

Noah konfrontierte sie damit, und sie räumte ein, dass sie nie geglaubt hatte, dass Lucas wirklich tot sei. Wenn man ihr nur ein Schiff überließe, würde sie ihn finden, schwor sie.

Es brach einem das Herz, wenn man sie solche Dinge mit derartiger Überzeugung sagen hörte. Es weckte außerdem Besorgnis und gab Hinweise darauf, dass sie unter Umständen den Verstand zu verlieren drohte. Ob sie sich derzeit wirklich auf Makari aufhielt oder in einem gestohlenen Raumschiff nach Xala unterwegs war, wusste Noah nicht. So oder so, sie würde morgen nicht auf der Gedenkfeier zugegen sein, wie sie es schon in den zurückliegenden circa zehn Jahren nicht mehr getan hatte.

Wenn Noah dafür betete, dass sie fand, was sie suchte, meinte er damit jedoch nicht den schon lange toten Lucas. Er meinte damit den Frieden des Herzens, etwas, was sich ihr auf immer zu entziehen schien.

Noah versank nach seinen Gebeten in einem tiefen meditativen Zustand, wie es die Gläubigen traditionell erlebten. Die Welt fiel von ihm ab, und sein Geist war angefüllt mit Licht und Farbe und nichts anderem. Dann flüsterte ihm jemand etwas ins Ohr.

Dubai.

Noah fuhr zusammen und blickte nach links und rechts, um zu sehen, wer ihn angesprochen hatte. Da war jedoch niemand. Sogar die betenden Schwestern waren inzwischen nicht mehr im Raum. Als er sich weiter forschend umsah, erwischte er den kurzen Eindruck einer verschleierten Schwester, die ihn durch eine halb offen stehende Tür auf der anderen Seite der Kapelle anblickte. Sobald er sie entdeckt hatte, eilte sie davon und verschwand aus seinem Blickfeld. Sie war jedoch zu weit weg gewesen, um eine halbe Sekunde vorher direkt neben ihm gestanden zu haben.

Er verstand nicht, warum ihm dieses Wort seit wenigen Wochen immer wieder im Traum einfiel, aber jetzt hatte er es zum ersten Mal im Zuge eines Gebets gehört. Es klang aus irgendeinem Grund vertraut, aber er bekam einfach nicht zu fassen, wo er es schon einmal gehört haben mochte.

Der Eismond glitt über das mittlere Oberlicht der Kathedrale hinweg. Es war spät. Noahs wunde Beine waren dankbar dafür, dass der Weg die Treppe hinab viel leichter fiel als der Anstieg. Als er ging, hatte er immer noch das Gefühl, dass ihn jemand anblickte; in seiner Zeit auf dem Turm ein vertrautes Gefühl.

Noah blickte zu den Billionen Sternen auf, als er ins Freie trat.

Mögen die Götter dich schützen, Asha. Wo immer du bist.

3

Noah wurde um 4 Uhr 30 wach und fand Sakai von Unterleibsschmerzen wie gelähmt vor. Das stellte keinen Grund zur Sorge dar; dergleichen geschah immer wieder in der Kolonie. Die Silberkittel gingen davon aus, dass die Beschwerden auf einen Waldparasiten zurückgingen, gegen den sie keinen Impfstoff hatten. Sie hatten Sakai ein paar Medikamente gegeben und ihr empfohlen, sich auszuruhen, dann würde sie schon bald wieder topfit sein. In diesem Fall bot es ihr sogar einen gewissen Trost: Sie hätte Noah und Erik selbst dann nicht nach Elyria begleiten können, wenn man es ihr erlaubt hätte.

»Achte auf dich«, sagte sie, während sie seine förmliche Jacke mit dem hohen Kragen an der Brust glattstrich. Er konnte sehen, wie sehr sie sich bemühte, die Schmerzen zu verbergen, die sie bei jeder Bewegung durchfuhren, aber trotzdem lächelte sie. Noah war dem Parasiten glücklicherweise bislang entgangen.

Während sie wieder ins Bett kroch, packte Noah seinen Koffer und machte sich auf den Weg zum Dock der Kolonie.

Der Shuttle wartete schon, ebenso die beiden schwer bewaffneten Geleitschiffe, die sie auf dem Flug nach Elyria schützen würden. Ein Wachangehöriger nahm ihm den Koffer ab, und die Luke des Shuttles schwenkte zischend auf. Noah war überrascht, als er sah, wer an Bord war.

»Hallo Theta, ich wusste gar nicht, dass du mitkommst.«

Alphas Tochter saß ihm gegenüber, die Klauen grazil auf den Knien ruhend. Thetas Haut wies die unter Xalanern begehrte weiße Schuppenfärbung ihrer Mutter Zeta auf, während sie die goldenen Pupillenringe vom Vater geerbt hatte. Wie alt war sie inzwischen? Dreizehn? Ihren Translatorkragen hatte sie auf eine höhere Stimmlage eingestellt, um ihre Jugend widerzuspiegeln, was die Spuren eines metallischen Echos nach wie vor nicht ganz übertünchen konnte.

»Hallo Noah, ich hoffe, dass es dir oder deinem Bruder nicht unangenehm ist, wenn ich dabei bin«, sagte sie kleinlaut.

»Natürlich nicht, wir freuen uns darüber«, antwortete Noah, obwohl man an Bord des Shuttles noch keine Spur von Erik sah. »Kommst du mit, um Alpha zu sehen?«

Theta nickte.

»Ja, und ich glaube, er hat auch um einen Besuch von euch beiden gebeten.«

Noah setzte sich der Xalanerin gegenüber. Obwohl sie viel jünger war als er, war sie nur wenige Zoll kleiner als er, und wenn sie erst einmal erwachsen war, würde er zu ihr aufblicken müssen.

Theta war auch sehr viel intelligenter als man angesichts ihres Alters vermuten mochte, und fraglos das gescheiteste Wesen, das von der Kolonie beschäftigt wurde. Ungeachtet ihrer Jugend leitete sie den Techniknexus fast allein, lehrte die Erdgeborenen die soranischen ebenso wie die xalanischen Wissenschaften und kümmerte sich in ihrer Freizeit außerdem noch um diverse staatliche Projekte. Bei vielen Aufträgen arbeitete sie mit ihren Eltern zusammen, da dies selbst aus der Distanz mühelos möglich war. Der Aufenthalt in der Kolonie diente Thetas eigener Sicherheit. Sie konnte auf keinem xalanischen Planeten leben, die politisch zu instabil und auch zu weit von ihren Eltern entfernt waren. In der Kolonie sollte sie den Umgang mit Erdgeborenen pflegen, die ungefähr in ihrem Alter waren, selbst wenn sie einer komplett anderen Lebensform angehörten. Theta war schüchtern, aber bei der Gruppe als Lehrerin sehr beliebt. Besonders Noah war in den zurückliegenden Jahren seit ihrer Ankunft darum bemüht gewesen, sich mit ihr anzufreunden, auch wenn sie bis heute zu ängstlich schien, ihn als Freund zu betrachten.

»In Ordnung, sehen wir zu, dass wir in Gang kommen«, sagte Erik, während er auf den Platz neben ihr plumpste, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Er trug ähnlich förmliche Kleidung wie Noah, nur waren Hose und Jacke furchtbar zerknittert und rochen ungewaschen. Noah vermutete, dass Erik sie bei einem seiner vielen kleinen Ausflüge aus der Kolonie getragen hatte.

»Hallo Erik«, sagte Theta in einer Lautstärke, die nur unwesentlich über einem Flüsterton lag.

Erik drehte sich zu ihr um und schien erst jetzt zur Kenntnis zu nehmen, dass sie da war. Nur er konnte eine ein Meter achtzig große Xalanerin direkt neben sich übersehen.

»Oh, hey«, sagte er, aber das reichte schon, damit Thetas weiße Wangen eine ganz leicht Rottönung annahmen. Für die meisten war offenkundig, dass sie Erik zugetan war, obwohl sie das nie zugab. Erik ahnte es vermutlich, was auch der Grund war, warum er sie stets um den einen oder anderen Gefallen anging. Manchmal ging es um die Verlängerung eines Abgabetermins für Hausaufgaben, mal um die Verbesserung technischer Geräte. Noah hatte so ein Gefühl, dass es auch ihre Arbeit war, wenn das Sicherheitsnetz der Kolonie auf magische Weise in einem Quadranten ausfiel, während sich Erik gerade hinausschlich.

Das Hovercraft stieg langsam hoch, und Noah verfolgte, wie die Kolonie vor dem sechs Zoll dicken unzerstörbaren Sichtschirm nach unten sackte. Die beiden Militärfahrzeuge waren rechts und links von ihnen zu sehen, und ihr eigener Pilot hatte den Trennschirm hochgefahren. Das Wachpersonal sollte sich nicht mit den Erdgeborenen anfreunden, damit es emotional nicht kompromittiert war, wenn es um ihren Schutz ging. Die Wachleute wirkten deshalb oftmals kalt, aber jeder von ihnen würde ohne zu zögern sein Leben für einen der Erdgeborenen opfern, sollte das jemals nötig werden.

Sie gewannen neben dem dunklen Berg an Höhe, von dem der Weiße Turm aufragte, und Noah betrachtete ihn, als sie vorbeiflogen. Kleine, blasse Figuren bewegten sich in den Gärten und wurden schnell zu bloßen Flecken.

Aus dieser Distanz sah die Kolonie schon ein bisschen nach einem Gefängnis aus, nur bestanden die Mauern aus dichtem Wald und darin, dass die nächste Stadt fünfhundert Kilometer entfernt lag. Ja, man durfte die Kolonie verlassen, aber nur in Begleitung einer schwer bewaffneten Eskorte, wie es normalerweise eher bei Gefangenenüberführungen üblich war. Allerdings war das Leben in der Kolonie neben allen Einschränkungen auch von vielen Freiheiten geprägt, und zuzeiten war es hier sogar zu bequem. Männer, die jünger als Noah waren, kämpften und starben draußen in der Tiefe des Alls und auf fremden Planeten, während er selbst jeden Tag mit einem schönen Mädchen im Arm aufwachte und über einen umfassenden Stab von Soranern verfügte, die sich um seine Bildung und seine Fitness kümmerten. Lucas und Asha hatte man gestattet, zu den Kriegsanstrengungen beizutragen. Warum durfte Noah das nicht auch tun? Er hatte das Thema oft Tannon gegenüber zur Sprache gebracht, aber die Reaktion bestand in einer mit jedem Male steigenden Ablehnung, die Noah allmählich klarmachte, dass Tannon sich für Lucas’ Tod verantwortlich fühlte. Er hatte offensichtlich nicht vor, auch nur einen von Lucas’ Söhnen dem gleichen Schicksal auszusetzen. Noah konnte diese Haltung verstehen, aber das machte die Situation nicht weniger frustrierend.

Falls Erik ähnlich empfand, was ihren Ausschluss aus Kriegshandlungen anbetraf, so zeigte er es nicht. Um die Wahrheit zu sagen: Noah und Erik hatten nur selten etwas, was einem ernsthaften Gespräch ähnlich gesehen hätte. Erik wollte niemals über die gemeinsamen Eltern sprechen. Er schien einen Groll gegen sie zu hegen, sowohl gegen den lebenden wie den toten Elternteil. Lucas war gestorben, damit sie beide und der Rest von Sora überlebten. Es fiel schwer, ihn dafür zu hassen, aber er war nun einmal nicht mehr da, und die Jungen waren mit nur einem Elternteil aufgewachsen; im günstigsten Fall. Asha gab sich Mühe, fand jedoch, dass die Kolonie sie besser großziehen konnte, als ihr selbst es möglich war. Jetzt war sie auf und davon, um ein Gespenst zu jagen, und die Brüder mussten einfach mit ihrer Abwesenheit fertig werden. Es war nicht nur Erik, der den Eltern grollte. Manchmal musste sich Noah eingestehen, dass er es auch tat.

Wenige Stunden später starrte Noah zu seinem Vater hinauf. Lucas’ Denkmal war dreißig Meter hoch und komplett aus einem riesigen Stück Stein gemeißelt wie alle anderen Statuen entlang der Promenade des Großen Palastes. Die ersten beiden Standbilder ganz am anderen Ende vor dem Eingang zeigten Kyneth und Zurana. Im Anschluss daran wachte der Rest in Zweiergruppen über den langen antiken Weg nach Elyria. Da waren Ruul der Eroberer, Ayl, der Lord des Sternenlichts, Ulissa Klippenbrecher, Merenes der Märtyrer, Sha’len die Heilige und Dutzende mehr. Die Denkmäler stellten die größten Krieger ihrer jeweiligen Epoche und die Helden von Erzählungen dar, die man den soranischen Kindern auf der ganzen Welt vermittelte.

Neuerdings gab es zwei weitere Monumente. Rechts von Noah ragte Lucas in Gardeuniform auf, sein sagenhaftes Gewehr Natalie in der Hand. Links erblickte Noah das Riesenstandbild von Mars Maston, dem berühmten Kommandanten und Freund seines Vaters, der ebenfalls im Zuge des Einsatzes auf Xala ums Leben gekommen war. Maston erwiderte Lucas’ Blick; er hatte die Arme verschränkt, und eine Pistole baumelte an seiner Hüfte.

Noah erinnerte sich an Lucas’ reales Gesicht nur, wenn er sich sehr konzentrierte. Er war noch so klein gewesen, als Lucas nach Xala gefahren war; mehr als kurze Eindrücke im Gedächtnis blieben ihm nicht, und er wusste nicht einmal, ob diese der Realität entsprachen. Soweit er wusste, konnte er sie auch unbewusst dem soranischen Stream aus Nachrichten und Geschichten entnommen haben, in dem Lucas’ Gesicht immer wieder auftauchte.

Er hatte nie vergessen, wie er einmal auf dem Schoß von Lucas gesessen hatte. Sie waren in einem Holzhaus, trotz Kamin hatte Noah gefroren, während sein Vater ihm etwas erzählte; nur verstand er die Worte nicht. Stattdessen musste sich Noah mit dem Lebewohl begnügen, das Lucas auf sein Final gesprochen hatte, ehe er sich auf den Weg nach Xala begeben hatte. Als Noah noch klein war, hatte er sich die Aufnahme jeden Tag angesehen. Dann noch einmal pro Woche, später einmal im Monat. Jetzt wusste er nicht mal mehr, wann er sie zuletzt abgespielt hatte, er war sich nicht einmal sicher, wo in seinem Datencluster die Datei gespeichert war. Den größten Teil kannte er jedoch längst auswendig.

»Führe sie«, sagte sein Vater in dem Video, offensichtlich davon ausgehend, dass Sora den jungen Noah eines Tages verehren würde.

»Und gib auf deine Mutter und deinen Bruder acht.«

Es stimmte Noah traurig, dass er beides nicht geschafft hatte. Asha stürmte, anscheinend von Todessehnsucht getrieben, durchs Sternenmeer. Erik nutzte jede erdenkliche Chance, sich rebellisch aufzuführen, und blickte nicht im Geringsten zu seinem stillen großen Bruder auf, es sei denn im wortwörtlichen Sinn. Die Soraner verehrten Noah aus der Ferne, aber zu führen vermochte er bislang nur die winzige Ansammlung von Erdgeborenen in der Kolonie. Und selbst dabei unterstand er seinerseits einer Menge Ausbildern, Wachleuten und Wachmann Vale.

Noah achtete nicht auf das, was Madric Stoller gerade sprach, und auch nicht auf die riesige Menschenmenge vor ihnen. Zum Glück musste er dieses Jahr nichts sagen. Er war nur als Kulisse eingeplant, eine Erinnerung daran, dass die Nachfahren der Erdgeborenen noch lebten, wohlauf waren und ihren Beitrag zur Gesellschaft leisteten. Obwohl dieser letzte Punkt sicherlich eine Farce war.

Der Gewinn des Hochkanzleramtes hatte Stoller auf gewisse Weise zwanzig Jahre jünger werden lassen. Er hatte mindestens fünfzig Pfund verloren, war aber nach wie vor ein Kerl wie ein Baumstamm. Obwohl einiges über hundert Jahre alt, hatte er nicht zugelassen, dass Schnurrbart und Haare weiß wurden, und dazu würde es wohl auch nie kommen. Der Mann alterte einfach nicht mehr; Folge der besten Behandlung, die man für Geld erhalten konnte. Falls die Gerüchte stimmten, hatten eine ganze Reihe von Ersatzorganen ihren Teil zu seiner Alterslosigkeit beigetragen.

Seit er die Macht ausübte, hatte Stoller so etwas wie eine eiserne Faust um Sora geschlossen. Als Erstes sorgte er nach seinem Amtsantritt dafür, dass alle Oppositionsgruppen zerschlagen und aufgelöst wurden. Wie er behauptete, wollte er damit sicherstellen, dass es zu keinem weiteren Albtraumszenario wie dem Vierten Gebot kam, welches mit den Xalanern kollaboriert hatte, um die soranische Regierung zu stürzen. Wenn der Stream allerdings die Fakten wiedergab, dann wurden auch friedliche Oppositionsgruppen verfolgt und verschwanden deren Führungspersonen auf geheimnisvolle Weise. Inzwischen meldeten die Nachrichten nicht mehr viel in dieser Hinsicht; wie Noah vermutete, legte Stoller inzwischen persönlich größeres Gewicht auf das, was der Stream über seine Regierung meldete oder nicht. Auch einige der kritischen Nachrichtenleute wurden inzwischen vermisst. Trotzdem feierten die meisten Leute Stollers Regierung als Wiederkehr der Ordnung auf einem Planeten, den der Verrat Talis Vales ins Chaos gestürzt hatte. Da die internen Streitigkeiten nun beigelegt worden waren, wenn auch durch Gewalteinsatz, konnte sich Sora voll der dringlicheren Aufgabe des Kriegs gegen Xala zuwenden.

Noah hatte nicht viel mit Stoller persönlich zu tun, außer anlässlich staatlicher Zeremonien, wo man ihn mit Fragen nach dem Leben in der Kolonie oder den jüngsten Höhepunkten im Sakala löcherte, um leichte Konversation zu betreiben. Besser vertraut war Noah mit Stollers Sohn Finn, der Gefallen an Erik gefunden hatte und zu dessen häufigeren Partykumpels zählte, wann immer Noahs Bruder mal wieder ausbüchste. Finn war ebenfalls auf der Promenade zugegen und flüsterte mit Erik, während sein Vater sprach. Dankenswerterweise sah Finn kein bisschen so aus wie der ältere Stoller, sondern hatte recht kantige Züge, helles goldbraunes Haar und blaue Augen. Er war gertenschlank und sah recht gut aus, was er wohl den Genen seiner verstorbenen Mutter verdankte, einer Schauspielerin, sowie der noch besseren implantierten Gene, für die Stoller ein Vermögen ausgegeben hatte, wie es die Reichen so oft bei ihrem Nachwuchs taten. Noah machte sich nicht besonders viel aus Finn. Er stufte ihn als schlechten Einfluss auf Erik ein, musste aber einräumen, dass es möglicherweise auch andersherum war.

Noah blickte erneut an der Statue seines Vaters hinauf. Hochkanzler Stoller hatte behauptet, er und Lucas seien gute Freunde gewesen, und der Hochkanzler schlug daraus Vorteile, wo immer sich eine Gelegenheit bot; stets berief er sich auf den Namen des gefallenen Kriegshelden, wenn das nötig wurde, um eine politische Aussage zu unterstreichen. »Und eines weiß ich genau: Wäre Lucas, der Retter Soras, heute bei uns, dann wäre er stolz darauf, mit welcher Umsicht unser Militär seine Wahlheimat gesichert hat und wie wir derzeit die monströsen xalanischen Horden zu ihrem sterbenden Planeten zurücktreiben.«

Komisch, Noah hatte noch nie gehört, dass Stoller Alpha oder Zeta als »Retter Soras« gefeiert hätte, obwohl ihre Arbeit die Aufstände in den xalanischen Kolonien überhaupt erst angestiftet hatte. Noah vermutete jedoch, dass sie Teil der »monströsen Horden« waren und man ihnen ein solches Verdienst nicht zuschreiben konnte. Er war froh, dass Theta nicht hier war und das hörte.

Noah fragte sich, was Lucas wirklich von all dem gehalten hätte, stünde er jetzt hier neben ihm; nicht als Statue, sondern leibhaftig. Es fiel ihm schwer, sich die Gedanken eines Menschen vorzustellen, an den er kaum persönliche Erinnerungen hatte. Er kannte nur Erzählungen, diese aber deuteten darauf hin, dass Lucas an Stollers Art der Kanzlerschaft wohl keinen großen Gefallen gefunden hätte.

Stoller sagte etwas und deutete auf Noah und Erik. Die versammelte Menge flippte aus. Die Brüder blickten sich gegenseitig an, während die Leute jubelten und die Fäuste in die Luft reckten. Die beiden Menschen wussten, was hier lief, aber beide rangen sich ein Lächeln für die sie umkreisenden Kamerabots ab. Man hätte sie genauso gut hier als die nächsten Standbilder aufstellen können, damit sie nicht mehr persönlich zu diesen Anlässen erscheinen mussten.

Zum Glück durften Noah und Erik dem langweiligen Abendessen im Großen Palast fernbleiben, das auf die Zeremonie folgte. Obwohl Noah noch Erinnerungsfetzen aus der Zeit hatte, die er als kleines Kind im Palast verbrachte, besuchte er diesen nicht mehr besonders gern, seit Tannon Vale aus dem Amt geschieden war und Madric Stoller auf dem metaphorischen Thron saß. Stattdessen überredete Erik ihre Eskorte, für einen Rost voller gebratener Yutta-Rippen einen Abstecher ins Zentrum Elyrias zu machen und besagte Rippchen dann auf dem Flug zum abschließenden Ziel zu verspeisen.

Wenige Meilen außerhalb Elyrias lag der Militärstützpunkt Merenes, eine sehr alte Einrichtung, die aber fortlaufend modernisiert wurde, um ihre Stellung als fortschrittlichste Waffenforschungseinrichtung des Planeten nicht zu verlieren. Obwohl Alpha in vielen Einrichtungen sowohl auf dem Planeten als auch außerhalb arbeitete, war dies sein liebster Arbeitsplatz.

Als sie dort eintrafen, lagen zwei Schlachtschiffe der Soranischen Verteidigungsinitiative im Dock der Basis, damit jedes seine beiden weißen Nullkerne erhielt. Es hatte etwas über zehn Jahre gedauert, das richtige Element zu synthetisieren, das es den soranischen Streitkräften erlaubte, schneller und weiter in den Weltraum vorzudringen als jemals zuvor. Die Zurverfügungstellung der Nullkerne war vielleicht Alphas wertvollster Beitrag zu den soranischen Kriegsanstrengungen. Soras Schiffe konnten so nicht nur schneller auf xalanische Angriffe reagieren, sondern auch die fünf eroberten Kolonialwelten ihres Feindes erreichen – die alle in vergangenen Jahrtausenden die Heimat menschlicher Zivilisationen gewesen waren – und in die dort tobenden Aufstände eingreifen.

Die Xalaner verfügten schon Zeitalter lang über die fortschrittliche Technik der weißen Nullkerne. Hauptsächlich dieses Monopol hatte ihnen ermöglicht, ohne Widerstand zu expandieren und im Krieg die Oberhand zu gewinnen, sogar gegen einen solch ressourcenreichen Planeten wie Sora. Der weiße Kern war auch, was es ihnen ermöglicht hatte, eine Invasion von Noahs Heimatwelt, der Erde, durchzuführen. Dass Alpha diese Kenntnisse den Soranern geschenkt hatte, hätte längst Grund genug für eine eigene Statue sein müssen, aber der Xalaner machte sich nichts aus diesen Dingen.

Die SVI war seit fünf Jahren damit beschäftigt, jedes nur greifbare Schiff mit einem weißen Kern auszurüsten. Den Krieg auf der Grundlage dieses Fortschritts zu gewinnen, das war für Alpha Lohn genug, sagte er immer. Trotzdem waren weder er noch die SVI allein mit schnelleren Schiffen zufrieden, und während das weiße Nullelement synthetisiert wurde, hatte er die Zeit genutzt und Waffen und Verteidigungsanlagen für Sora entworfen.

Das Hovercraft landete, und Theta empfing sie am Tor.

»Ich hoffe doch, dass eure Veranstaltung entsprechend aufregend war?«, fragte sie, während ihre goldenen Augen von einem zum anderen huschten.

»Oh, es war einfach nur toll«, antwortete Erik und warf achtlos einen Yuttaknochen zu Boden.

»Es freut mich sehr, das zu hören«, sagte Theta, der sich das Konzept des Sarkasmus nach wie vor entzog. Noah wusste, dass Theta sehr gern auf der Palastpromenade dabei gewesen wäre – ein Ort, den sie mehr als einmal atemberaubend genannt hatte –, aber natürlich erlaubte Stoller das nie.

»Mein Vater wird sich freuen, euch zu sehen«, sagte sie und gab ihnen mit einem Wink zu verstehen, sie sollten eintreten. »Eure Besuche muntern ihn immer auf.«

Alphas Sektion des Stützpunktes war durch eine endlose Folge von Checkpoints der Sicherheit abgeschirmt, wo man sie jeweils erst nach einem sorgfältigen molekularen Scan durchwinkte. Ihre irdische DNA war an den meisten Orten so etwas wie ein universeller Zugangspass, obwohl die übrigen Erdgeborenen dieses Privileg nicht genossen hätten, wären sie hier zu Besuch gekommen. Es handelte sich um eine der sichersten Einrichtungen auf dem Planeten.

Sie kamen an Reihen von Zimmern vorbei, wo die Alpha zugeteilten soranischen Techniker seine zahlreichen Projekte zum Leben erweckten. Noah sah, wie Prototypen von Energiewaffen testweise abgefeuert wurden und unförmige Mech-Anzüge herumstolperten. Die meisten Türen waren jedoch verschlossen und von dicken, fensterlosen Mauern eingerahmt.