Eastwick Country Club - Das geheime Leben der High Society (6-teilige Serie) - Jennifer Greene - E-Book
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Eastwick Country Club - Das geheime Leben der High Society (6-teilige Serie) E-Book

Jennifer Greene

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Beschreibung

MEIN SEXY MÄRCHENPRINZ
Lily kennt nicht einmal seinen Namen, als sie auf einem Ball einen sexy Mann kennenlernt. Sie flirten heiß, und noch in derselben Nacht liegt sie in seinen Armen. Mit seiner Leidenschaft verwöhnt er sie, und mit seiner Zärtlichkeit verzaubert er ihr Herz. Zu spät erfährt sie, wer der unwiderstehliche Fremde ist: Der bekannte Anwalt Jack Cartwright kommt aus reicher, mächtiger Familie, und vor ihm liegt eine vielversprechende Karriere als Senator. Für Lily ist er ein unerreichbarer Märchenprinz. Da erfährt sie, dass sie ein Baby von ihrem Traummann erwartet ...

IM ZEICHEN DER LEIDENSCHAFT
Die perfekte Hochzeit, der perfekte Ehemann, das perfekte Leben - alles ist für Emma im Voraus von ihrer reichen Familie geplant. Doch dann kehrt Garrett Keating nach Eastwick zurück! Schon vor Jahren war sie in ihn verliebt - und nach einem Blick in seine dunklen Augen ist es erneut um sie geschehen! Auch Garrett sehnt sich leidenschaftlich danach, Emma endlich zu zeigen, wie schön die Liebe sein kann. Er weiß, dass ihr Verlobter Reed nicht der Richtige für sie ist. Aber er ahnt nicht, dass sie ein riesiges Vermögen aufs Spiel setzt, wenn sie sich für ihn entscheidet ...

SÜSSE VERLOCKUNG IN MEXIKO
Eine Woche in einem Luxushotel in Mexiko - und das mit dem attraktivsten Mann, den sie kennt. Dieser Verlockung kann Felicity einfach nicht widerstehen. Sie nimmt Reed Kellys verführerische Einladung an. Und sie erlebt mit dem erfahrenen Liebhaber in dem exklusiven Hotel am weißen Strand ein Feuerwerk der Lust: prickelnde Leidenschaft und zärtliche Berührungen, die sie nie mehr missen will. Plötzlich träumt sie von einer gemeinsamen Zukunft mit dem charmanten Millionär - obwohl sie sich doch nie wieder binden wollte ...

DER FEIND, DER MICH VERFÜHRTE
Ruhe bewahren, charmant sein - auch wenn Vanessa unglaublich wütend auf Tristan Thorpe ist! Seit zwei Jahren ist er in einer Erbschaftsangelegenheit ihr Gegner. Jetzt steht sie ihm auf dem weitläufigen Anwesen der Thorpes zum ersten Mal persönlich gegenüber, und mit allem hat Vanessa gerechnet. Aber nicht damit: Zwischen ihr und dem gut aussehenden Tristan knistert es verführerisch. Ausgerechnet zu ihm fühlt sie sich erotisch hingezogen. Wird ihr größter Feind der sinnliche Liebhaber, der ihr in heißen Nächten eine nie gekannte Erfüllung schenkt?

IM BANN DES MILLIONÄRS
Die Malerin Mary Duvall kehrt nur nach Eastwick zurück, um ihr Erbe anzutreten - nicht um ihre leidenschaftliche Affäre zu dem attraktiven Millionär Kane Brentwood wieder aufleben zu lassen! Vor Jahren genoss sie ihr sorgloses Leben als seine geheime Geliebte. Bis er aus heiterem Himmel eine andere Frau heiratete - und sie tief verletzt schwor, sich ihm niemals mehr hinzugeben. Doch kaum sieht sie ihn jetzt wieder, gerät sie sofort in den Bann seiner starken erotischen Anziehungskraft. Immer schwerer fällt es ihr, seinen fantasievollen Verführungsversuchen zu widerstehen ...

NUR IN DEN NÄCHTEN GEHÖRST DU MIR
Nur in den Nächten scheint Luke ihr zu gehören. Wenn seine sinnlich forschenden Hände ihren Körper in Flammen setzen, dann ist er ganz ihr Geliebter, ihr Ehemann. Doch sobald er morgens das Haus verlässt, taucht er ein in seine eigene Welt, eine Welt voller Heimlichkeiten, zu der Abby keinen Zugang hat. Wie und wo verbringt er seine Tage - bei seiner Geliebten? Zusehends schwindet das Vertrauen in ihren Mann. Als Abby eines Tages auch noch von einem Unbekannten verfolgt wird, ist sie mit ihrer Geduld am Ende: Luke muss endlich sein Geheimnis lüften ...

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Seitenzahl: 1258

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Metsy Hingle, Jennifer Greene, Patricia Kay, Bronwyn Jameson, Katherine Garbera, Maureen Child

Eastwick Country Club - Das geheime Leben der High Society (6-teilige Serie)

Metsy Hingle

Mein sexy Märchenprinz

„Lily Miller bekommt ein Kind – von dir!" Erstaunt liest Jack den Zettel, den er in seiner Manteltasche entdeckt. Jemand droht damit, seine Karriere als zukünftiger Senator durch einen Skandal zu zerstören! Doch Jack bleibt souverän: Obwohl er nur eine einzige heiße Nacht mit Lily verbracht hat, will er sie am liebsten für immer leidenschaftlich verwöhnen. Er macht ihr einen Antrag, den Lily überrascht und sehr glücklich annimmt. Aber er vergisst, ihr von dem Erpresser zu erzählen ...

IMPRESSUM

BACCARA erscheint 14-täglich im CORA Verlag GmbH & Co. KG, 20354 Hamburg, Valentinskamp 24

Redaktion und Verlag:

Postfach 301161, 20304 Hamburg

Tel.: +49 (040) 60 09 09 – 361

Fax: +49 (040) 60 09 09 – 469

E-Mail: [email protected]

Geschäftsführung:

Thomas Beckmann

Redaktionsleitung:

Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)

Cheflektorat:

Ilse Bröhl

Lektorat/Textredaktion:

Anita Schneider

Produktion:

Christel Borges, Bettina Schult

Grafik:

Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Poppe (Foto)

Vertrieb:

asv vertriebs gmbh, Süderstraße 77, 20097 Hamburg Telefon 040/347-27013

Anzeigen:

Kerstin von Appen

Es gilt die aktuelle Anzeigenpreisliste.

© 2006 by Harlequin Books S.A.

Originaltitel: „The Rags-To-Riches Wife“

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

in der Reihe: DESIRE

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA

Band 1458 (12/1) 2007 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Übersetzung: Christiane Bowien-Böll

Fotos: Harlequin Books S.A., Schweiz

Veröffentlicht als eBook in 06/2011 - die elektronische Version stimmt mit der Printversion überein.

ISBN: 978-3-86295-993-8

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Der Verkaufspreis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

JULIA, ROMANA, BIANCA, MYSTERY, MYLADY, HISTORICAL

www.cora.de

PROLOG

Es war ein Fehler gewesen, hierherzukommen. Sie gehörte nicht hierher. Lily Miller blieb am Eingang zum Ballsaal stehen und betrachtete die elegant gekleideten Männer und Frauen. So viele Menschen und so viele Diamanten! Offenbar gab sich auf dem Black-and-White-Ball die gesamte High Society von Eastwick, Connecticut, ein Stelldichein.

Sie sollte besser gehen, bevor sie noch anfing zu heulen. Allerdings müsste sie vorher wenigstens Bunny Baldwin Bescheid sagen. Bunny war es gewesen, die keine Ruhe gegeben hatte, bis Lily eingewilligt hatte, zu diesem Maskenball zu gehen, dessen Erlös für wohltätige Zwecke bestimmt war. Bunny hatte sich auch die Mühe gemacht, ein passendes Kleid für sie zu besorgen.

Lily strich mit der behandschuhten Hand über den glatten Stoff. Das trägerlose schwarze Kleid mit dem bauschigen Tüllrock war so ziemlich das Schönste, was sie je gesehen hatte, wie geschaffen für eine Prinzessin. Nur war sie keine Prinzessin. Sie war ein Niemand – sie wusste ja nicht einmal, wer ihre Mutter war. Tapfer unterdrückte sie die Tränen. Vor einer Stunde hatte ihr der Privatdetektiv am Telefon die traurige Botschaft übermittelt, dass bei der Suche nach ihrer Mutter wieder einmal eine Spur im Sand verlaufen war.

Finde dich damit ab, Lily. Hätte die Frau dich gewollt, dann hätte sie dich damals nicht in der Kirche ausgesetzt.Es wird Zeit, dass du endlich aufhörst, Zeit und Geld für die Suche nach jemandem zu verschwenden, der kein Interesse an dir hat.

„Tanzen Sie mit mir.“

Lily blickte auf – direkt in die blauen Augen eines hochgewachsenen dunkelhaarigen Fremden. Er trug einen Smoking und eine schwarze Maske, und einen Moment lang fragte Lily sich, ob sie träumte. „Wie bitte?“

„Kommen Sie, tanzen Sie mit mir.“ Er streckte die Hand aus.

„Danke, aber ich bin nicht …“

„Wie können Sie Nein sagen, wenn doch gerade unser Lied gespielt wird?“

„Unser Lied?“, wiederholte Lily, als die ersten Akkorde von „Music of the Night“ aus dem Musical „Das Phantom der Oper“ ertönten. „Wie können Sie von unserem Lied sprechen, wo wir uns doch gar nicht kennen?“

„Warum ändern wir das nicht?“, erwiderte er, nahm ihre Hand und führte sie auf die Tanzfläche.

Lily leistete keinen Widerstand. Von dem Augenblick an, als der Fremde sie in die Arme nahm, war sie wie von einem Zauber umwoben. Alle Traurigkeit, aller Schmerz schien verflogen zu sein. Lily sah nur noch die blauen Augen, die sie anblickten, als sei sie der einzige Mensch auf der Welt. Sie spürte nur noch die Wärme seines Körpers und den Duft seiner Haut. Es war so aufregend und gleichzeitig so beruhigend, sich hinter einer Maske zu verbergen. Dank dieser Maske war sie jetzt nicht die Lily Miller, die keiner wollte und keiner liebte. Dank dieser Maske war sie eine Frau, die begehrt wurde, eine Frau, für die weder die Vergangenheit noch die Zukunft eine Rolle spielte, sondern nur die Gegenwart. Als der Fremde sie hinaus auf die Terrasse führte und küsste, spürte sie nicht, wie kalt die Nachtluft war. Alles, was sie fühlte, war die Kraft in seinen Armen und die Begierde, die sich in seinem Kuss ausdrückte.

„Es ist fast Mitternacht. Bald ist der Ball vorüber“, flüsterte er.

„Ich weiß.“

„Ich möchte nicht, dass die Nacht jetzt schon zu Ende ist.“

„Ich auch nicht“, gestand sie, und er küsste sie wieder. Seine Lippen schmeckten nach Champagner und nach Leidenschaft. Jeder einzelne Nerv in Lilys Körper schien auf das heiße Verlangen dieses Fremden zu reagieren.

„Dann lassen wir sie nicht enden“, sagte er leise und zog eine Chipkarte aus der Tasche. „Ich übernachte hier im Hotel. Zimmer Nummer 503. Wir treffen uns dort.“

Unwillkürlich fasste Lily nach dem goldenen Anhänger an ihrer Halskette, eine kleine goldene Scheibe mit dem Buchstaben L. Diese Kette hatte sie um den Hals getragen, als die Nonnen sie damals fanden. Aber jetzt war die Kette nicht da, denn sie hatte sie ja dem Detektiv gegeben. Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie sich diesen Anhänger berühren, um sich daran zu erinnern, dass sie die vernünftige, realistische Lily Miller war.

„Wirst du kommen?“, fragte er.

Sie nahm die Chipkarte. „Ja“, sagte sie.

1. KAPITEL

Ihr Geheimnis war also in Sicherheit. Lily Miller blickte an der Menge der Trauernden vorbei auf den Sarg. Es donnerte, und dicke Wolken verdunkelten den Himmel über Eastwick. Es war sehr kühl, obwohl es Mitte Mai war.

„Asche zu Asche, Staub zu Staub.“

Lily stiegen Tränen in die Augen, und sie zog ein Taschentuch aus der Manteltasche. Während sie sich die Augen abtupfte, dachte sie an die Frau, deren Tod sie hier betrauerte – Lucinda „Bunny“ Baldwin, Liebling der Gesellschaft, Herausgeberin des unterhaltsamen Klatschblattes „Eastwick Social Diary“, oft auch nur kurz E. S. D. oder Diary genannt. Kaum zu glauben, aber Lily und Bunny waren miteinander befreundet gewesen. Bis Bunny an Herzversagen gestorben war. Mit zweiundfünfzig. Wie war das nur möglich?

Noch vor zwei Tagen hatten sie sich gesehen. Bunny war ganz aufgeregt gewesen wegen irgendeiner pikanten Neuigkeit, die zweifellos in einer der nächsten Ausgaben des E. S. D. erscheinen würde.

„Wir empfehlen dir, o Herr, die Seele unserer lieben Schwester Lucinda.“

Lily verspürte Gewissensbisse, wenn sie an die wissenden Blicke dachte, mit denen Bunny sie in den letzten Monaten bedacht hatte. Wegen dieser Blicke war sie ihrer Freundin seit Wochen aus dem Weg gegangen. Vor zwei Tagen allerdings hatte sie Pech gehabt. Bunny war überpünktlich zu einer Vorstandssitzung des Eastwick Cares Club, eines Vereins zur Unterstützung sozial schwacher Familien, erschienen. Da hatte Lily ihr nicht länger ausweichen können. Als Bunny dann angefangen hatte, ihr Fragen über jene Ballnacht zu stellen, da war Lily klar geworden, dass ihre Freundin die Wahrheit kannte und um ihr Geheimnis wusste. Lily hatte sogar Angst bekommen, es könnte womöglich ihr Geheimnis sein, das Bunny im Diary ausplaudern wollte. Sie hatte sich vorgenommen, Bunny zu bitten, nichts darüber zu veröffentlichen, aber sie war nicht mehr dazu gekommen. Die anderen Vorstandsmitglieder waren erschienen, und sie war gezwungen gewesen zu gehen, wenn sie nicht Jack Cartwright in die Arme laufen wollte. Aber noch im Weggehen hatte sie gewünscht, irgendwie dafür sorgen zu können, dass Bunny Stillschweigen bewahrte, wenigstens so lange, bis sie selbst eine Entscheidung getroffen hätte.

Jetzt war ihr Wunsch in Erfüllung gegangen. Ihr Geheimnis war gewahrt, doch zu welchem Preis?

„Möge sie in Frieden ruhen, o Herr.“

Lily versuchte, sich auf die Worte des Geistlichen zu konzentrieren. „In deiner Gnade, deiner Liebe, o Herr …“

Lily blickte zu der Frau, die direkt neben dem Mann im schwarzen Talar stand und lautlos in ihr Taschentuch weinte. Es war Abby Talbot, Bunnys Tochter. Der ernst blickende Mann, der den Arm um ihre Schulter gelegt hatte, musste Luke sein, Abbys Ehemann. Lily war ihm noch nie begegnet. Bunny hatte erzählt, dass er viel auf Reisen sei. Bunny war deswegen ziemlich beunruhigt gewesen. Lily betrachtete Abby nachdenklich. Sie war ihr nur ein einziges Mal begegnet, hatte sie aber auf Anhieb gemocht. Sie war erstaunt über die Herzlichkeit der hübschen Blondine, die in der Modebranche bekannt gewesen war. Von Bunnys Erzählungen wusste sie, dass Abby und ihre Mutter sich sehr nahegestanden hatten. Es war kaum vorstellbar, wie groß Abbys Schmerz sein musste angesichts dieses plötzlichen Verlustes.

Aber nicht nur Abby hatte einen großen Verlust zu verschmerzen. Lily hatte eine Freundin verloren. Sie und Bunny mochten keine Busenfreundinnen gewesen sein, und sie hatte auch nie deren Begeisterung für Klatsch und Tratsch nachempfinden können. Aber der Wunsch, den Benachteiligten dieser Welt zu helfen, hatte sie beide verbunden. Bunny hatte den Eastwick Cares Club sowohl persönlich als auch finanziell nach Kräften unterstützt.

Aber ihre Großzügigkeit hatte nicht nur jenen gegolten, für die sich der Verein zuständig fühlte, zu dessen Vorstand sie gehörte. Nein, Bunnys Fürsorglichkeit hatte sich auch auf Lily erstreckt. Für Bunny war Lily mehr gewesen als nur eine Angestellte des Eastwick Cares Clubs. In mancher Hinsicht hatte sie sie fast wie eine Tochter behandelt, oder zumindest wie eine sehr nahestehende Freundin. Niemand sonst hatte es so gut verstanden, Lily das Gefühl zu geben, eine Prinzessin zu sein. Ganz sicher niemand in ihrer Kindheit, die sie abwechselnd im Waisenhaus oder bei Pflegeeltern verbracht hatte. Andererseits hatte sie auch nie an Märchen geglaubt, nicht an den Weihnachtsmann und schon gar nicht an die Zahnfee. Im Alter von sechs Jahren hatte sie bereits gelernt, dass das Leben mitnichten so war, wie in den Märchen beschrieben. Sicher, die meisten Familien, in denen sie gelebt hatte, waren sehr freundlich gewesen, aber sie hatte sich immer als Fremde gefühlt. Niemals hatte sie wirklich irgendwo dazugehört. Diese Lektion hatte sie sehr schnell gelernt. Infolgedessen hatte sie auch niemals Dinge erwartet wie modische Outfits oder gar Partykleider. Das war etwas für Träumer und naive junge Mädchen. Sie war weder das eine noch das andere gewesen.

Aber aus irgendeinem Grund hatte Bunny Baldwin sich in den Kopf gesetzt, der erwachsenen Lily Miller zu der Erfahrung zu verhelfen, die sie als Kind niemals gehabt hatte: eine Party zu besuchen, ein traumhaftes Kleid zu tragen und sich zu fühlen, als gehöre sie mit dazu. Und Bunny hatte dafür nicht irgendeine Party auserkoren, sondern die bedeutendste Wohltätigkeitsveranstaltung, die der Eastwick Cares Club organisierte – den Black-and-White-Ball.

Lily kam es vor, als sei es gestern gewesen, als Bunny in ihr Büro stürmte und verkündete, dass sie unbedingt zu diesem Ball gehen müsse. Sämtliche Einwände waren auf taube Ohren gestoßen. Bunny hatte darauf bestanden, dass sie als Angestellte des Klubs bei dem Ball dabei sein und den Organisatoren helfen müsse. Das war ganz offensichtlich ein Vorwand gewesen. Aus irgendeinem Grund hatte Bunny Lily gegenüber wohl die Rolle der guten Fee übernommen, wie im Märchen von Aschenputtel.

Ein weiterer Donnerschlag riss Lily aus ihren Gedanken. Es wurde immer kühler. Lily zog ihren Mantel enger um sich und legte instinktiv die Hand auf ihren Bauch. Sie sollte jetzt besser gehen. Es war eigentlich schon viel zu riskant gewesen, überhaupt in die Kirche zu gehen. Warum noch mehr riskieren? Die gesamte bessere Gesellschaft von Eastwick war gekommen, um der Toten die letzte Ehre zu erweisen. Und die Cartwrights gehörten ganz sicher zur Elite der Stadt. Jack Cartwright war jedenfalls in der Kirche gewesen, und bestimmt war er jetzt auch hier. Bis jetzt war es ihr gelungen, ihm aus dem Weg zu gehen. Aber was würde geschehen, wenn er sie entdeckte und in ihr die geheimnisvolle Frau wiedererkannte, mit der er in der Ballnacht geschlafen hatte?

Sogar jetzt noch, fast fünf Monate später, konnte Lily nicht glauben, wie untypisch sie sich verhalten hatte. Aber sie war an diesem Abend einfach nicht sie selbst gewesen.

Sie hätte es natürlich besser wissen müssen. Wenn sie eines im Laufe ihrer siebenundzwanzig Jahre begriffen hatte, dann dieses: Es hatte keinen Sinn, zu hoffen, dass man etwas bekam, nur weil man es sich sehr wünschte. Man wurde garantiert enttäuscht. Und doch hatte sie genau das getan. Sie war so sicher gewesen, dass es diesmal anders sein würde. Der Detektiv, den sie beauftragt hatte, hatte endlich einen vielversprechenden Hinweis gefunden. Lily hatte geglaubt, dass sie endlich Antworten auf die Fragen finden würde, die sie ihr Leben lang quälten: Wer war sie, woher kam sie, warum war sie damals als Baby in der Kirche ausgesetzt worden? Vor allem hatte sie geglaubt, endlich die Frau kennenzulernen, an die sie keine Erinnerungen hatte.

Leider hatte der Hinweis nicht die erhofften Antworten gebracht. Lily war mehr als enttäuscht gewesen an jenem Abend.

Deshalb hätte sie nicht zu diesem Ball gehen sollen –nicht in dem emotional aufgewühlten Zustand. Aber sie hatte Bunny nicht enttäuschen wollen. Außerdem hatte sie auch ein bisschen Sorge um ihren Job gehabt, denn Bunny hatte so getan, als werde sie als Mitarbeiterin von Eastwick Cares bei dem Ball gebraucht. Und dann – sie hatte sich gerade entschlossen zu gehen – war er plötzlich vor ihr gestanden, der große dunkelhaarige Fremde mit den blauen Augen. Und er hatte sie zum Tanz aufgefordert. Sie hatte etwas gebraucht, irgendetwas, um diesen Schmerz zu betäuben, der sie überwältigte. Und sobald sie die Arme des Mannes um sich gespürt hatte, waren all der Schmerz, die Angst und die Enttäuschung verflogen gewesen.

Es hatte nur noch ihn gegeben, die Kraft seiner Arme, die Wärme seines Lächelns, das Gefühl seiner Lippen auf ihren. Für eine Nacht hatte sie aufgehört, die vernünftige, zuverlässige Lily Miller zu sein, die niemals etwas auch nur annähernd Leichtsinniges getan hatte. Eine Nacht lang hatte sie sich erlaubt, selbst leidenschaftlich zu sein, anstatt immer nur in Büchern davon zu lesen. Eine Nacht lang war sie ihrem Herzen gefolgt anstatt ihrem Verstand. Und deshalb war sie jetzt schwanger und erwartete ein Kind von Jack Cartwright.

„Gib ihrer Seele Frieden, o Herr …“

Lily atmete tief durch und verscheuchte die Erinnerungen. Sie betrachtete die Gesichter der Menschen um sie herum. Natürlich waren ihr viele davon vertraut, Mitglieder der besseren Gesellschaft, lokale Würdenträger, Politiker. Einige kannte sie durch ihre Arbeit bei Eastwick Cares, andere durch Zeitungsberichte. Plötzlich sah sie Jack. Er stand ein paar Reihen weiter vorne, mit dem Rücken zu ihr. Ihr Herz schlug schneller. Auch ohne sein Gesicht zu sehen, erkannte sie ihn an der Haltung seiner breiten Schultern und an dem konservativen Haarschnitt.

Natürlich hatte sie auf dem Ball nicht gewusst, wer er war. Hätte sie gewusst, dass es sich bei dem Mann mit dem umwerfenden Lächeln um den neuesten Kandidaten für den Vorstand von Eastwick Cares handelte, dann hätte sie ihn vielleicht abblitzen lassen. Ganz sicher hätte sie sich nicht von ihm den Schlüssel zu seinem Hotelzimmer geben lassen. Aber sie hatte eben nicht gewusst, dass er es war. Oder vielleicht hatte sie es nicht wissen wollen. Sie hatte glauben wollen, dass es möglich war, dem Schicksal ein paar glückliche Stunden zu stehlen, solange man nur Masken trug und keine Namen austauschte.

Sie hatte sich geirrt.

Und doch, sie bereute nichts von dem, was geschehen war. Wie sollte es ihr leidtun, dass sie ein Baby erwartete? In weniger als vier Monaten würde sie es im Arm halten. Sie wollte dieses Kind. Nach all den Jahren des Alleinseins würde sie endlich so etwas wie eine Familie haben.

Du wirst geliebt, mein Kind. Du bist gewollt. Du wirst immer geliebt werden. Du wirst niemals das Gefühl haben, nicht dazuzugehören.

Lautlos wiederholte sie den Schwur, den sie ihrem ungeborenen Kind geleistet hatte. Aber so sicher sie auch war, dass sie dieses Kind liebte, so unsicher war sie, ob ihre Entscheidung, zu schweigen, wirklich richtig war.

War es in Ordnung, Jack nichts davon zu sagen, dass er Vater werden würde? Aber wie hätte sie einem der reichsten und begehrtesten Junggesellen von ganz Eastwick sagen sollen, dass die Fremde, mit der er eine einzige Nacht verbracht hatte, ein Kind von ihm erwartete?

Lag es nur an ihrer tief sitzenden Angst vor Zurückweisung? Eigentlich konnte sie mit Zurückweisung umgehen. Nur ihr Baby … das war eine andere Sache. Ihr Baby sollte – auch wenn es noch nicht einmal geboren war – keine Zurückweisung erfahren. Niemals.

Als ob er Lilys Blick gespürt hätte, drehte Jack sich plötzlich um und schaute in ihre Richtung. Ihre Blicke trafen sich. Einen Herzschlag lang war sie unfähig, sich zu rühren. Sie erwiderte einfach nur seinen Blick. Plötzlich verengte er die Lider. Offenbar hatte er sie erkannt.

Lily wartete nicht mehr auf das Ende des Begräbnisses. Sie drehte sich um und floh.

Jack Cartwright konnte es nicht fassen. Da war sie – die geheimnisvolle Schöne von dem Ball. Er hatte schon fast geglaubt, es habe all das gar nicht gegeben: die rothaarige Schönheit mit den saphirblauen Augen und der seidigen Haut, die Stunden voller Leidenschaft in seinem Hotelzimmer. Aber es war kein Traum gewesen. Sie existierte. Und sie ging fort.

„Jack, wohin gehst du?“, flüsterte seine Mutter tadelnd. „Die Begräbnisfeier ist noch nicht zu Ende.“

Sie hatte recht, aber das war ihm egal. Jack sah die Frau mit den roten Haaren und dem dunklen Mantel eilig auf das Friedhofstor zugehen. „Tut mir leid, ich muss gehen. Da ist jemand, den ich unbedingt sprechen muss.“

„Aber, Jack …“

Ohne auf den Protest seiner Mutter und den fragenden Blick seines Vaters zu achten, begann Jack sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. „Entschuldigung. Tut mir leid. Entschuldigen Sie bitte“, sagte er immer wieder leise, während er sich an Freunden, Geschäftskollegen und Bekannten vorbeischlängelte.

Kurz darauf sang die Menge „Amen“ und begann, vorwärts zu gehen, während Jack weiter in die entgegengesetzte Richtung drängte. „Entschuldigung. Tut mir leid.“ Immer wieder streifte er Ellenbogen und Hutkrempen. Als er die Menschenmenge endlich hinter sich gelassen hatte, rannte er einen Abhang hinunter auf das Tor zu, durch das die Frau gegangen war. Atemlos blickte er auf die Straße. Aber er war zu spät gekommen. Sie war verschwunden –genau so wie sie damals aus seinem Bett verschwunden war, während er noch geschlafen hatte.

Verdammt!

Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Wieder war sie ihm entwischt.

„Jack? Jack Cartwright, bist du das?“

Jack erkannte die laszive Stimme von Delia Forrester. Er presste die Lippen zusammen und drehte sich um. Er mochte Frank Forresters neue Ehefrau nicht, hatte sie vom ersten Augenblick an unsympathisch gefunden, als Frank im Eastwick Country Club aufgetaucht war, um die attraktive Blondine mit den sexy Kurven als seine neue Frau vorzustellen. Jack hielt sich selbst für unvoreingenommen genug, um Delia nicht wegen der dreißig Jahre zu verurteilen, die zwischen ihr und Frank lagen. Schließlich hatte er mitbekommen, wie gut Stuart Thorpe die kurze Ehe mit Vanessa im letzten Jahr seines Lebens getan hatte. Auch die Art, wie Delia Franks Geld unter die Leute brachte, ging ihn nichts an. Was Jack jedoch zuwider war, das waren Delias Versuche, ihn anzumachen. Und sie tat es praktisch vor den Augen ihres Ehemanns. Jack traute ihr nicht, und er verstand beim besten Willen nicht, wie Frank ihr trauen konnte. „Hallo, Delia“, sagte er und blickte noch einmal suchend die Straße hinab.

„Dachte ich mir’s doch, dass du das warst, der da so schnell von dem Begräbnis davonlief.“ Sie folgte seinem Blick. „Suchst du jemanden?“

„Ich dachte, ich hätte jemanden gesehen, den ich kenne. Ich hatte gehofft, mit ihr sprechen zu können.“

„Wie heißt sie denn?“ Delia stützte eine Hand auf die Hüfte, wie um Jacks Aufmerksamkeit auf ihre schmale Taille zu lenken. Wie um alles in der Welt schaffte diese Frau es, auf so hohen Absätzen zu balancieren? Jetzt warf sie ihr platinblondes Haar zurück – wahrscheinlich ein weiterer Versuch, seine Aufmerksamkeit zu erregen – und sah ihm in die Augen. Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die leuchtend roten Lippen, so dass sie glänzten. „Vielleicht kenne ich sie.“

Sie und die geheimnisvolle Rothaarige hätten verschiedener nicht sein können. Dass sie sich kannten, war kaum anzunehmen. „Das bezweifle ich. Sie verkehrt nicht in deinen Kreisen.“

„Nun, ich bin sicher, es wird ihr leidtun, dass ihr euch verpasst habe. Mir ginge es jedenfalls so.“

Jack ignorierte diese Aufforderung zum Flirt. „Wo ist Frank?“, fragte er.

Delia seufzte. „Er wartet im Wagen. Du weißt ja, wie schwach er seit dem Schlaganfall ist. Ich denke, es ist besser, wenn er sich bei dem feuchten kühlen Wetter nicht im Freien aufhält.“

„Wie umsichtig von dir.“

Delia schlug den Mantelkragen hoch und blickte zum Himmel auf. „Wirst du auch noch mit zu Abby kommen?“

„Wozu das?“

„Um den Tag ausklingen zu lassen. Abby kann jetzt jede Unterstützung gebrauchen. Ich bringe eine Schichttorte mit.“

„Verstehe“, erwiderte Jack überrascht. Er hätte nicht gedacht, dass Delia und Abby befreundet sein könnten. Immerhin gehörte Abby zum Klub der Debütantinnen, kurz Deb-Klub genannt. Diese Gruppe traf sich regelmäßig zum Mittagessen im Country Club, und soweit er wusste, gehörte Delia nicht dazu.

„Nur weil ich nicht Mitglied im Deb-Klub bin, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht mit Abby mitfühle“, sagte Delia, als hätte sie seine Gedanken gelesen. „Schließlich weiß ich, was es heißt, Mutter oder Vater zu verlieren. Ich verlor beide, als ich noch ein Teenager war.“

„Das tut mir leid“, sagte Jack, als er sah, dass ihre Augen feucht wurden. „Das wusste ich nicht.“

„Schon gut“, erwiderte sie und betupfte sich die Augen mit einem Spitzentaschentuch. „Ich rede nicht gern darüber.“ Sie schob das Taschentuch in die Manteltasche. „Jetzt muss ich aber gehen. Frank wartet auf mich. Aber du solltest wirklich noch zu den Talbots gehen. Vielleicht ist deine Freundin ja auch dort.“

Sie war nicht dort. Als Jack noch einmal suchend über die Menge blickte, in der Hoffnung, die geheimnisvolle Schöne zu entdecken, fiel ihm Luke Talbot auf, der sich gerade von einer Gruppe verabschiedete und das Zimmer verließ. Und dass Abby ihrem Mann besorgt nachblickte.

Da legte sich eine Hand auf Jacks Schulter. „Jack, mein Junge, ich habe dich gesucht.“

Jack drehte sich zu seinem Vater um. John Cartwright war achtundsechzig und strotzte noch immer vor Gesundheit. Er war eins achtzig groß und hielt sein Gewicht. Die gesunde Bräune, die er seinen wöchentlichen Golfrunden im Club verdankte, bildete einen attraktiven Kontrast zu seinem silbergrauen Haar und seinen grauen Augen. Erst kürzlich hatte er seine Arbeit in einer Anwaltskanzlei aufgegeben. Wahrscheinlich war er deshalb so entspannt. „Hallo, Dad.“

„Du bist nach dem Begräbnis so schnell verschwunden. Ist alles in Ordnung?“

„Ja, alles in Ordnung“, erwiderte Jack.

Sein Vater blickte ihn forschend an. „Bist du sicher? Falls es in der Kanzlei ein Problem gibt, ich helfe dir gern.“

„Entspann dich, Dad.“ Jack wusste genau, es war seinem Vater nicht leichtgefallen, die Leitung seiner Kanzlei jemand anderem zu überlassen, obwohl er sich nach Ruhe und Entspannung sehnte. „In der Kanzlei läuft alles bestens. Ich habe während des Begräbnisses jemanden gesehen, den ich schon lange zu erreichen versuche.“

Sein Vater hob eine Braue. „Und? Hast du sie erwischt?“

„Habe ich gesagt, dass es sich um eine Frau handelt? Nein, ich habe sie verpasst. Aber du hast nach mir gesucht. Worum geht es denn?“

„Ich soll dir von deiner Mutter ausrichten, dass sie eine Spinatquiche mitgebracht hat. Sie hat ein neues Rezept ausprobiert, und du sollst unbedingt davon kosten.“

Jack grinste. Seine Mutter war eine ziemlich schlechte Köchin. Allerdings liebte sie es, zu kochen, und deshalb hatten weder er, noch sein Vater, noch Jacks Geschwister jemals das Herz gehabt, ihr zu sagen, wie miserabel ihr Essen war. Zum Glück übernahm die Haushälterin, Alice, meistens das Kochen. „Schmeckt die Quiche so übel wie ihre Leberpastete?“

„Nichts kann so schlecht sein wie ihre Leberpastete“, erwiderte sein Vater trocken. „Jetzt komm schon. Sie schaut gerade zu uns rüber.“

Jack folgte seinem Vater, und kurz darauf stand er vor der Platte mit der Quiche. Zögernd nahm er einen Teller und bediente sich. „Nimmst du nichts?“, fragte er seinen Vater.

Der lächelte. „Ich habe es schon hinter mir. Jetzt bist du dran.“

Jack schob die Gabel in den Mund und zwang sich, die Mischung aus Ei und Spinat hinunterzuschlucken.

„Hier“, sagte sein Vater und reichte ihm ein Glas Wasser.

Hastig spülte Jack den Bissen hinunter und schüttete dann unauffällig den restlichen Inhalt seines Tellers in den Abfallbehälter. „Du kriegst das immer so toll hin. Ich weiß nicht, wie du das machst.“

John schmunzelte. „Man nennt es Liebe, mein Sohn. Denk an meine Worte. Eines Tages wirst du selbst etwas essen, das dich zum Schaudern bringt. Aber du wirst es mit einem Lächeln tun, weil es die Frau, die du liebst, glücklich macht.“

„Hoffentlich werde ich eine heiraten, die kochen kann.“

„Vielleicht“, erwiderte sein Vater achselzuckend. „Ich für meinen Teil habe deine Mutter nicht wegen ihrer Kochkünste geheiratet.“

Das stimmte. Jacks Eltern hatten ganz offensichtlich aus Liebe geheiratet. Dass man selbst nach vierzig Jahren Ehe immer noch verliebt sein konnte, hatte Jack immer in Erstaunen versetzt. Er selbst hatte in seinen dreiunddreißig Jahren schon zahlreiche Beziehungen gehabt und war vor ein paar Jahren sogar schon einmal verlobt gewesen. Seine Braut war jedoch zu dem Schluss gekommen war, dass es wohl besser wäre, sie blieben Freunde, anstatt sich zu heiraten. Niemals hatte er auch nur annähernd so eine Beziehung erlebt, wie seine Eltern sie hatten.

Plötzlich musste er an die schlanke Rothaarige mit den saphirblauen Augen denken. In jener Nacht hatte er etwas empfunden, etwas sehr Starkes, etwas, das über das Gefühl körperlicher Anziehung weit hinausging. Es war, als habe eine unsichtbare Macht ihn zu der Unbekannten hingezogen. Offenbar war es ihr genauso gegangen.

„Jack?“

„Entschuldige, Dad“, sagte Jack und verscheuchte die Erinnerungen. „Was hast du gesagt?“

„Ich sagte, Tom Carlton hat mich gefragt, ob du ernsthaft darüber nachdenkst, für Petersens Sitz im Senat zu kandidieren, wenn er in Pension geht.“

„Das tue ich, aber ich bin mir einfach nicht sicher, ob ich dafür geeignet bin.“

„Ich wüsste nicht, weshalb du das nicht sein solltest“, sagte sein Vater. „Du bist ein guter Anwalt, mein Sohn. Du bist smart genug, um auf dem Spielfeld der Politik klarzukommen und etwas zu erreichen. Vor allem aber bist du vertrauenswürdig und willst etwas für die Menschen tun. Bedenk nur, was du schon erreicht hast, seit du zum Vorstand von Eastwick Cares gehörst. Alle Welt war begeistert von der Alphabetisierungskampagne.“

„Ich weiß nicht, ob ich wirklich eine so große Verpflichtung eingehen und mich in den politischen Alltag stürzen will.“

„Tja, du musst dich bald entscheiden. Petersen hat noch etwas mehr als ein Jahr, bevor er in Pension geht, und es stehen schon mehrere potenzielle Kandidaten in den Startlöchern. So eine Wahlkampagne kostet eine Stange Geld, und je früher Carlton und seine Leute wissen, wer ihr Kandidat ist, umso besser.“

„Ich habe Carlton gesagt, ich gebe ihm bis Ende des Monats Bescheid.“

Sein Vater klopfte Jack auf die Schulter. „Wie immer du dich entscheidest, deine Mutter und ich stehen hinter dir.“

„Danke, Dad. Das weiß ich zu schätzen.“

Sein Vater nickte. „Ich gehe jetzt mal zu ihr.“

„Und ich muss zurück in die Kanzlei.“

„Vergiss nicht, deine Mutter anzurufen und ihr etwas Nettes über die Quiche zu sagen.“

„Versprochen.“

Jack ging zur Tür, holte seinen Regenmantel aus der Garderobe und trat auf die Veranda hinaus.

Es regnete jetzt in Strömen. Zu dumm, dass er seinen Schirm im Wagen gelassen hatte. Er schlug den Kragen hoch und schob die Hände in die Taschen. In der rechten Manteltasche berührten seine Finger ein Stück Papier. Jack runzelte die Stirn und förderte einen braunen Zettel zutage, der einmal in der Mitte gefaltet war. Er faltete ihn auseinander und begann zu lesen. Der Text war in Großbuchstaben gedruckt und nicht unterzeichnet:

WAS WÜRDEN WOHL DIE BRAVEN BÜRGER VON EASTWICK DENKEN, WENN SIE HERAUSFÄNDEN, DASS IHR SENATSKANDIDAT BALD VATER EINES UNEHELICHEN KINDES WIRD? WENN SIE NICHT WOLLEN, DASS IHR SCHMUTZIGES KLEINES GEHEIMNIS BEKANNT WIRD, VERPACKEN SIE 50 000 DOLLAR IN KLEINEN SCHEINEN IN EINER PLASTIKTÜTE UND DEPONIEREN SIE SIE BIS MORGEN MITTAG UM ZWÖLF IM EASTWICK PARK UNTER DER BANK GEGENÜBER DEM SPRINGBRUNNEN. FALLS SIE NICHT ZAHLEN ODER DIE POLIZEI INFORMIEREN, KÖNNEN SIE IHRE KANDIDATUR VERGESSEN.

2. KAPITEL

Jack war so verblüfft, dass er gar nicht bemerkte, dass es noch stärker regnete.

Er wurde also erpresst!

Er drehte und wendete das Papier hin und her, suchte nach einem Hinweis darauf, wer der Absender sein könnte. Doch er fand nichts.

Es war auch egal, wer das geschrieben hatte. Jack zerknüllte den Drohbrief. Der Schreiber hatte zwei große Fehler gemacht. Der erste war, zu glauben, er würde der Forderung nachgeben, und der zweite Fehler bestand in der Behauptung selbst. Die Anschuldigung war absolut lächerlich. Er hatte kein Kind gezeugt, und niemand erwartete von ihm ein Baby. Nicht nur, dass er keine Beziehung hatte, er war seit letztem Jahr überhaupt nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen, genau gesagt nicht mehr seit …

Jack erstarrte.

Nicht mehr seit dem Black-and-White-Ball.

Bilder tauchten vor seinem inneren Auge auf, Bilder von einem nur vom Mondlicht erhellten Zimmer, von einer Frau mit Haut wie Seide und saphirblauen Augen.

Konnte es sein, dass sie schwanger war von ihm?

Nein, es konnte nicht sein. Okay, sie hatten den fantastischsten Sex aller Zeiten gehabt, ohne sich auch nur zu kennen. Aber sie waren wenigstens vernünftig genug gewesen, zu verhüten. Allerdings …

„Du hast so wundervoll weiche Haut“, flüsterte Jack und strich mit der Fingerspitze über ihren Rücken. Sie fühlte sich an wie Satin, nur wärmer, und außerdem duftete sie nach Rosen. An diesen Duft könnte er sich gewöhnen, ja er wollte sich daran gewöhnen. Aber sie hatten einander gleich zu Beginn versprochen, dass alles, was in dieser Nacht passieren würde, auch mit dieser Nacht enden sollte. Die Masken, die sie trugen, hatten den Abend zunächst besonders aufregend gemacht. Sie waren Fremde, doch die Anziehung zwischen ihnen war unglaublich stark. Er konnte selbst nicht glauben, dass er ihr die Chipkarte für sein Zimmer gegeben hatte – und dass sie tatsächlich gekommen war. Sie hatte darauf bestanden, dass sie beide ihre Identität nicht preisgeben sollten, und zu dem Zeitpunkt war auch ihm das richtig erschienen. Es war so erregend gewesen, nicht zu wissen, wer die Frau hinter der Maske war. Aber jetzt war er sich nicht mehr so sicher, ob er damit noch einverstanden war, denn je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, desto weniger wollte er, dass mit dieser einen Nach alles zu Ende sein sollte.

Er drückte einen Kuss auf ihren nackten Rücken. Sie schauerte. „Bist du kitzlig?“, fragte er.

„Nein“, flüsterte sie.

Er schob den Arm um ihre Taille und drückte sie an sich. Nein, es durfte nicht schon mit dieser Nacht enden. Er küsste sie auf die Schulter. Wieder erschauerte sie, und seine Begierde erwachte von Neuem. Es war kaum eine Stunde her, seit er sie das letzte Mal geliebt hatte, und schon wollte er sie wieder. Aber diesmal wollte er mehr, als nur ihren Körper zu besitzen. „Ich weiß, wir haben ausgemacht, uns gegenseitig nichts über uns zu verraten, aber vielleicht sollten wir das noch einmal überdenken.“

„Nein.“

Er spürte, wie sich ihr ganzer Körper anspannte. „Warum denn nicht?“

„Weil wir damit in die Wirklichkeit zurückkehren würden, und ich will mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben. Nicht heute Nacht. Heute Nacht will ich an nichts denken, was außerhalb dieses Zimmers liegt.“

Ihr verzweifelter Ton erschütterte ihn. Er drehte sie zu sich herum. Zärtlich strich er mit dem Finger über ihre Wange unterhalb der Maske. Etwas quälte sie, das war offensichtlich. „Na schön. Heute Nacht existiert die Welt außerhalb dieses Zimmers nicht“, sagte er. „Aber sag mir wenigstens deinen Namen. Ich kann dich doch nicht die ganze Zeit Rotschopf nennen.“

„Ich mag es, wenn du mich so nennst“, erwiderte sie. „Niemand hat mich bis jetzt so genannt.“

„Aber ich …“

Sie setzte sich auf und drückte seine Schultern zurück auf die Matratze. „Pst. Lass uns nicht mehr reden.“ Sie übernahm die Führung. Sie küsste ihn auf den Mund, drang tief mit der Zunge in ihn ein. Irgendwann löste sie sich von ihm, und dann spürte er ihre heißen feuchten Lippen an seinem Hals, auf seiner Brust, auf seinem Bauch. Er streckte die Arme aus und hielt sie fest.

Diese Sirene hatte ihn völlig verzaubert. Jack küsste sie, dann erkundete er mit dem Mund ihren Körper, so wie sie es zuvor mit seinem getan hatte. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte er eine Frau so sehr begehrt. Als er glaubte, die Kontrolle zu verlieren, streckte er die Hand aus, um ein Kondom vom Nachttisch zu nehmen.

„Lass mich“, sagte sie keuchend. Sie riss das Päckchen mit den Zähnen auf und streifte ihm das Kondom über. Ihr dabei zuzusehen, war unglaublich erregend. Genau wie der erstaunte Ausdruck auf ihrem Gesicht. Beim ersten Mal war ihm schnell klar geworden, dass sie nicht allzu viel Erfahrung hatte. Ihre Reaktion auf ihn war auf unschuldige Weise hemmungslos gewesen. Irgendwie war er sicher, dass diese Nacht für sie genauso außergewöhnlich war wie für ihn. Warum war sie zu ihm gekommen? Was hatte sie dazu veranlasst, der Wirklichkeit zu entfliehen?

Schließlich hörte er auf zu denken, denn sie saß rittlings auf ihm und nahm ihn tief in sich auf. Jack legte beide Hände um ihre Taille und gab den Rhythmus vor. Sie bewegte sich schneller und schneller.

„Ich … ich kann nicht“, keuchte sie.

„Doch, du kannst“, spornte Jack sie an und hielt sich immer noch zurück, denn er wollte ihr noch mehr Lust geben. Sie stöhnte auf, und als sie den Höhepunkt erreichte, riss es auch ihn mit. Mit jedem ihrer Seufzer kam er dem Gipfel näher. Er packte sie an den Hüften und rollte sich herum, so dass sie unter ihm lag. Seine Stöße wurden noch kraftvoller, noch fordernder.

Und dann platzte das Kondom.

„Cartwright, ist alles in Ordnung?“

Luke Talbot stand vor ihm und musterte ihn skeptisch. Jack verscheuchte die Erinnerungen und schob die Hand mit dem zerknüllten Papier in die Manteltasche. „Ich dachte, ich warte, bis es nicht mehr ganz so stark regnet, bevor ich zu meinem Wagen renne“, erklärte er.

„Und ich wollte nur ein bisschen frische Luft schnappen.“

Ob das wohl stimmte? Der verärgerte Ausdruck im Gesicht des Mannes weckte in Jack gewisse Zweifel. Er musterte Talbot unauffällig. Dieser war ein paar Zentimeter kleiner als er, Jack, mit seinen über eins achtzig. Talbots Körperbau war das, was ein Footballtrainer am College als drahtig bezeichnet hätte, aber er wirkte sehr fit. Mit seinem braunen Haar und braunen Augen war er eher unauffällig, doch sein Blick war sehr intensiv. „Ich habe mit Abby geredet, aber Ihnen habe ich noch gar nicht mein Beileid ausgesprochen.“

„Danke. Es ist vor allem schlimm für Abby.“

„Ja, natürlich. Das kann man verstehen.“

Talbot schob die Hand in die Tasche seines Jacketts und nahm ein Handy heraus, das offenbar auf Vibrationssignal eingestellt war. „Tut mir leid, aber ich muss diesen Anruf annehmen“, sagte er.

„Kein Problem. Ich denke, ich gehe jetzt doch einfach los.“ Jack trat unter dem Verandadach hervor und rannte zu seinem Wagen.

Während der Regen ihm ins Gesicht peitschte, dachte Jack noch einmal an jene Nacht im Dezember. Die unbekannte Schöne war fort gewesen, als er am nächsten Morgen aufgewacht war. Er hatte versucht, herauszufinden, wer die geheimnisvolle Fremde war, doch niemand schien zu wissen, wer sie war. Aber sie hatte offenbar Bunny Baldwin gekannt. Jack schloss die Faust um den Zettel in seiner Manteltasche. Er benutzte die Fernbedienung, um seinen Wagen zu öffnen, und setzte sich ans Steuer. Er ließ den Motor des Wagens an, strich sich das nasse Haar zurück und starrte hinaus in den Regen. Sie hatte unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie keine Beziehung wollte, die über diese eine Liebesnacht hinausging. Deshalb hatte er auch nicht ernsthaft versucht, sie zu finden.

Bis jetzt.

Tut mir leid, Rotschopf. Die Spielregeln haben sich geändert.

Lily durchwühlte die Akten in ihrer Schreibtischschublade. Endlich fand sie die, die sie suchte, und schob sie in ihre Mappe. Sie blickte auf die Uhr und stöhnte. Schon zwanzig nach fünf. Die Vorstandssitzung würde in zehn Minuten anfangen, und bis dahin wollte sie aus ihrem Büro verschwunden sein. Aber als Kristen, eine der Jugendlichen, die sie betreute, aufgetaucht war, weil sie jemanden zum Reden brauchte, da hatte Lily es nicht fertig gebracht, Nein zu sagen. Zu dumm, die Vorstandsmitglieder würden jede Minute eintreffen.

Seit sie Jack vor drei Tagen bei der Beerdigung gesehen hatte, war sie ganz nervös. Er hatte sie erkannt, dessen war sie sicher. Und jetzt wurde sie das Gefühl nicht los, dass der Prinz entschlossen war, Aschenputtel ihren verlorenen Schuh zu präsentieren. Lily schloss die Bürotür hinter sich und ging zum Aufzug, der sich direkt gegenüber ihrer Bürotür befand. Da öffnete sich die Tür, und im selben Moment wusste sie, dass Aschenputtel ihren verloren Schuh zurückbekommen würde. Jack Cartwright trat aus dem Aufzug. Genau das hatte sie befürchtet. Und jetzt konnte sie nichts anderes tun, als ihn anzustarren. Der überraschte Ausdruck in seinen blauen Augen verwandelte sich in Empörung, als er von ihrem Gesicht auf ihren Bauch und dann wieder auf ihr Gesicht blickte.

Er machte einen Schritt auf sie zu. Seine Stimme klang gefährlich leise, als er sie begrüßte. „Hallo, Rotschopf.“ Er blickte auf das Namensschild an ihrer Bürotür. „Oder sollte ich sagen ‚Hallo, Lily Miller‘?“

Sie nickte stumm. Wie sollte sie auch nur einen Ton herausbekommen, wenn ihr Herz raste?

„Wann kommt das Baby?“ Sein Ausdruck war jetzt grimmig entschlossen.

„In vier Monaten. Aber …“

„Das heißt, ich bin der Vater“, stellte er fest. „Und denk nicht, du kämst damit durch, wenn du behauptest, das Kind wäre nicht von mir. Ich werde nämlich einen Vaterschaftstest beantragen, und wir beide wissen, wie das Ergebnis ausfallen wird.“

„Ich wollte dich nicht belügen“, verteidigte sie sich und legte unwillkürlich die Hand auf den Bauch. „Ich wollte nur … du sollst wissen, dass diese Schwangerschaft … ich meine, das war nicht geplant.“

„Das geplatzte Kondom auch nicht“, gab er zurück. „Warum hast du gesagt, du würdest die Pille nehmen?“

„Das habe ich nicht. Ich habe nur gesagt, es kann nichts passieren, weil ich dachte, es wäre vom Zeitpunkt her nicht riskant. Du bist deshalb davon ausgegangen, dass ich die Pille nehme“, erklärte Lily und spürte, dass sie rot wurde. „Niemand ist schuld. Es war ein Malheur, Jack …“

Er blickte abrupt auf und fixierte sie. „Du weißt also, wer ich bin?“

„Ja, aber zuerst hatte ich keine Ahnung. Erst später, als du in dem Hotelzimmer die Maske abnahmst“, gestand sie.

„Da hast du es also schon gewusst? Und trotzdem wolltest du nicht, dass ich erfuhr, wer du bist. Warum, Lily? Warum diese Geheimniskrämerei? War das alles für dich nur ein Spiel? Ein Scherz?“

„Nein, das war es nicht!“, rief sie. „Diese Nacht … ich war in dieser Nacht nicht wirklich ich selbst. Ich wollte es auch nicht sein. Und ich brauchte es nicht zu sein, denn wir hatten uns ja geeinigt, dass wir uns an die Regeln des Maskenballs halten und unsere Identität nicht preisgeben würden. Es schien so eine harmlose Sache zu sein“, sagte sie lahm, denn sie wusste nicht, wie sie ihm erklären sollte, dass sie an jenem Abend emotional völlig am Ende gewesen war. „Dass ich damals einfach zu dir aufs Zimmer gekommen bin, das war nichts, was ich normalerweise tue.“

„Eine fremde Frau einfach auf mein Zimmer zu bitten, ist auch nichts, was ich normalerweise tue“, erwiderte er scharf. „Also, warum wolltest du mir nicht sagen, wer du bist?“

„Ich hatte Angst, dass du das Interesse an mir verlieren würdest, wenn ich dir sagen würde, wer ich bin“, gestand sie.

Er kam nicht dazu, zu antworten, denn am Ende des Ganges öffnete sich eine Tür.

„Cartwright, die Sitzung fängt an!“, rief Doug Walters, eines der Vorstandsmitglieder.

„Fangt ohne mich an“, erwiderte Jack, ohne den Blick von Lily zu lösen.

„Wir müssen einen Nachfolger für Bunny wählen!“, rief Walters zurück.

„Geh nur zu deiner Sitzung“, sagte sie schnell.

„Wir müssen reden.“

„Ich weiß.“ Einerseits war Lily erleichtert, dass Jack endlich Bescheid wusste, andererseits fragte sie sich, was er wohl unternehmen würde. Es war ihr durchaus klar, welche Bedeutung sein gesellschaftlicher Status hatte. Eine unverheiratete Mutter zu sein würde für sie mit gewissen Unannehmlichkeiten verbunden sein, dass aber Jack Vater eines unehelichen Kindes sein würde, das war für die ehrwürdige Cartwright-Familie ein Skandal.

„Cartwright?“, rief Walters noch einmal.

„Geh ruhig. Ich werde hier sein, wenn die Sitzung zu Ende ist, dann können wir reden.“

Jack zögerte. „Na schön“, sagte er schließlich. „Aber wenn du daran denkst, wieder davonzulaufen wie kürzlich auf dem Friedhof, dann denk dran, dass ich jetzt weiß, wer du bist. Es gibt keinen Ort auf dieser Welt, wo du dich vor mir verstecken kannst.“

Lily sah ihm nach, als er durch den Korridor ging. Sie wusste, er meinte es ernst. Selbst wenn sie einen Platz gehabt hätte, wo sie sich hätte verstecken können, sie zweifelte keine Sekunde, dass er sie finden würde. Aber sie hatte niemanden – nur ihr Baby. Also ging sie zurück in ihr Büro und wartete.

Erst nach zwei Stunden war die Vorstandssitzung beendet. Als Jack zu Lilys Büro ging, rechnete er halb damit, sie nicht mehr anzutreffen. Aber er bezweifelte keine Sekunde, dass das Kind von ihm war. Er glaubte ihr. Eine Nacht mit einem Fremden zu verbringen war für sie genauso wenig normal gewesen wie für ihn.

Sie war immer noch da. Den Kopf an die Rückenlehne gelehnt, saß sie auf dem Sofa und schlief. Und da sie ihn offenbar nicht gehört hatte, nutzte er den Augenblick, sie ausgiebig zu betrachten. Bis jetzt hatte er nur seine Erinnerungen an eine rätselhafte Schönheit in schwarzer Seide gehabt. Wie viele Male hatte er sich gesagt, es könne nicht sein. Sie konnte nicht wirklich so schön sein, wie er sie in Erinnerung hatte.

Er hatte sich geirrt. Sie war jetzt sogar noch schöner. Ihr mahagonifarbenes Haar fiel ihr leicht gewellt auf die Schultern. Ihr Gesicht war ein perfektes Oval, ihre Züge fein geschnitten. Die Lippen, die ihm so viel Lust bereitet hatten, erschienen ihm noch verlockender als in jener heißen Nacht. Lange dunkle Wimpern warfen zarte Schatten auf ihre Wangen. Ein paar blasse Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken waren das Einzige, was nicht perfekt an ihr war, und das machte sie in seinen Augen noch schöner. Aber was seine Gefühle wirklich aufwühlte, das war ihr kleiner Babybauch. Sie trug also tatsächlich sein Kind.

Sie öffnete die Augen. Als sie ihn sah, wurde ihr Ausdruck angespannt. Sie straffte die Schultern. „Tut mir leid. Ich muss eingeschlafen sein. Das passiert mir in letzter Zeit öfter.“

Jack musterte sie, und ihm fiel auf, wie müde sie wirkte. Jetzt sah er auch die Ringe unter ihren Augen. Plötzlich machte er sich Sorgen um sie und das Kind. „Hast du das deinem Arzt gesagt? Was meint er dazu? Ist das normal?“

„Ja, ich habe es meiner Ärztin erzählt, und sie meint, das sei völlig normal.“

Jack setzte sich ihr gegenüber in einen Sessel und atmete erst einmal tief durch. „Entschuldige, aber das kommt alles ziemlich überraschend für mich.“

„Das kann ich verstehen. Mir ging das am Anfang genauso, aber mittlerweile habe ich mich an den Gedanken gewöhnt.“

„Zu dumm, dass ich nicht dasselbe von mir behaupten kann“, erwiderte er grimmig. „Warum hast mir nichts von dem Kind gesagt? Findest du nicht, dass ich ein Recht darauf habe, zu wissen, dass ich Vater werde?“

„Natürlich hast du das. Und ich wollte es dir auch sagen.“

„Wann? Wenn er oder sie das Studium beendet hat?“

„Ich wollte es dir wirklich sagen“, wiederholte sie und zupfte verlegen an ihrem Ärmel herum.

„Warum hast du es dann nicht getan?“

„Weil ich nicht wusste, wie“, gab sie zurück.

„Ganz einfach die Wahrheit zu sagen, das wäre schon okay gewesen. Du hättest nichts weiter tun müssen, als mir zu sagen, dass die Nacht, die wir zusammen verbracht haben, nicht ohne Folgen geblieben ist.“

Ihr Ausdruck wurde weicher. „Du hast recht, und ich bitte dich um Entschuldigung.“ Sie straffte die Schultern. „Ich hätte es dir sagen sollen. Und jetzt, da du es weißt, solltest du auch wissen, dass ich das Baby behalten will.“

Es war ihm nie in den Sinn gekommen, das anzuzweifeln. Erst jetzt wurde ihm klar, dass sie das Kind auch einfach zur Adoption hätte freigeben können. Dann hätte er womöglich nie etwas davon erfahren, dass er ein Kind hatte.

„Aber nur weil ich das Kind bekommen möchte, heißt das nicht, dass ich irgendwelche Erwartungen an dich habe. Das tue ich nicht. Ich habe diesen Entschluss allein gefasst, und ich beabsichtige auch, die ganze Verantwortung zu tragen. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen, dass ich Ansprüche stellen könnte.“

„Das war eine nette, kleine Rede, Lily. Wie lange hast du die eingeübt?“, fragte er und wunderte sich selbst, wie er so ruhig sein konnte, wenn er doch so wütend war.

„Schon eine ganze Weile“, gab sie zu.

Jack beugte sich vor und fixierte sie. „Ob du Ansprüche an mich stellst oder nicht, spielt keine Rolle. Ich bin der Vater dieses Babys, und als sein Vater beabsichtige ich nicht nur finanziell die Verantwortung zu übernehmen, sondern auch eine aktive Rolle im Leben dieses Kindes zu spielen.“

„Aha.“

Okay, er hatte sie überrumpelt. Aber hatte sie etwa wirklich erwartet, dass er das Kind – und sie – einfach im Stich lassen würde?

„Ich bin sicher, wir werden uns über die Besuchsrechte einigen“, sagte sie. „Das funktioniert in vielen Familien. Natürlich müssen wir abwarten, bis das Kind ein bisschen älter ist, dann können wir uns in den Ferien abwechseln.“

„Ich glaube, du hast mich nicht verstanden, Lily. Ich will am Leben des Kindes Anteil nehmen, vom ersten Tag an –nicht irgendwann einmal für ein paar Tage.“

„Aber dir ist doch sicher klar, dass ein Baby erst einmal seine Mutter braucht“, widersprach sie, und ihre Stimme zitterte leicht.

„Es braucht auch seinen Vater. Ich habe nicht die Absicht, ein Teilzeitvater zu werden – einer von diesen Männern, die jedes zweite Wochenende ihre Kinder zu Besuch haben. Ich will bei allem dabei sein – wenn es nachts gefüttert wird und wenn es zum ersten Mal läuft.“

Lily sprang auf. „Ich werde nicht zulassen, dass du mir das Baby nimmst.“ Ihr Blick drückte wilde Entschlossenheit aus. „Es ist mir egal, aus welcher Familie du stammst oder wie viel Geld du hast. Ich werde gegen dich kämpfen. Wenn es sein muss, bis zum letzten Atemzug. Ich werde mir nicht mein Baby nehmen lassen.“

„Es ist unser Baby, Lily. Begreif das endlich.“

Sie kreuzte die Arme über dem Bauch, wie um das Kind zu schützen. Aber sie erwiderte dabei unbeirrt Jacks Blick. „Ich meine es ernst, Jack. Ich werde gegen dich kämpfen. Ich werde nicht zulassen, dass du mir das Kind nimmst.“

Er stand auf und trat auf sie zu. Er war fast einen Kopf größer als sie, und er wusste, seine Größe wirkte auf viele Menschen einschüchternd. Lily wich allerdings keinen Zentimeter zurück. Insgeheim bewunderte er sie dafür. „Hältst du mich wirklich für ein so ein herzloses Monster?“

Sie betrachtete ihn skeptisch. „Aber du hast doch gesagt, du willst alles miterleben.“

„Das will ich auch“, bekräftigte er und streichelte ihre Wange. „Ein Kind braucht Mutter und Vater.“

„Ich verstehe nicht. Das Baby kann doch nicht die ganze Zeit sowohl bei dir als auch bei mir sein.“

„Klar kann es das. Wir brauchen nur zu heiraten.“

3. KAPITEL

„Das kannst du nicht im Ernst meinen“, sagte Lily.

„Ich habe noch nie im Leben etwas ernster gemeint.“

„Dann bist du entweder verrückt, oder du hast den Verstand verloren.“ Lily ging zu ihrem Schreibtisch und setzte sich.

„Wieso? Weil ich unserem Baby ein richtiges Zuhause geben möchte mit beiden Eltern? Mir kommt das sehr vernünftig vor.“

„Aber wir kennen uns doch gar nicht.“

Jack ging ebenfalls zum Schreibtisch und setzte sich Lily gegenüber auf einen Stuhl. „Das lässt sich leicht ändern. Stell mir Fragen. Was möchtest du wissen?“

„Jack …“

„Hör mal, offiziell bin ich John Ryan Cartwright, der Vierte, aber ich wurde schon immer Jack genannt. Ich bin ledig, war nie verheiratet, meine Eltern sind Sandra und John Cartwright und ich habe zwei Schwestern, Courtney und Elizabeth. Väterlicherseits stamme ich von englischen Puritanern ab, sie gehörten zu den ersten Siedlern in diesem Bundesstaat …“

„Jack, das ist nicht nötig“, rief Lily. Alles, was er sagte, machte ihr deutlich, wie schlecht sie zusammenpassten. Sie passte nicht in seine Welt, und sie konnte sich nicht vorstellen, dass das sich jemals ändern würde.

„Und ob es nötig ist. Wir haben nämlich zusammen ein Kind gezeugt, ein Kind, das beide Eltern brauchen wird. Und weil wir uns dafür besser kennen müssen, möchte ich, dass du alles über mich weißt.“

Lily schwieg resigniert.

„Also, wo war ich stehen geblieben? Dass ich Anwalt bin, weißt du ja schon. Die Kanzlei heißt Cartwright und Partner und wurde von einem Urururgroßvater gegründet. Seit mein Vater sich letztes Jahr aus dem Geschäft zurückgezogen hat, bin ich geschäftsführender Partner. Außerdem sitze ich im Vorstand von Eastwick Cares und von zwei weiteren Wohltätigkeitsorganisationen. Ich bin überzeugt, dass man als Einzelner sehr wohl etwas bewirken kann, und zwar, indem man der Gemeinde zurückgibt, was man ihr verdankt. Ich besitze ein eigenes Haus und ein Boot, mit dem ich gern auf dem Long Island Sound herumfahre, wann immer ich Zeit dazu habe. Ich verdiene um die zweihundertfünfzigtausend brutto im Jahr und habe ein kleines Aktienpaket, das eine sechsstellige Summe wert ist. Ich esse am liebsten Spaghetti und zum Nachtisch Banana Split.“ Jack stand auf und ging um den Tisch herum auf Lily zu. Sachte strich er ihr mit den Fingerknöcheln über die Wange. „Und ich habe eine Schwäche für Rothaarige mit Haut so weich wie Seide.“

Lily schloss einen Moment die Augen und spürte, genau wie in jener Nacht im Dezember, wie sie unter seiner Berührung schwach wurde.

„Heirate mich, Lily. Lass uns gemeinsam dem Kind ein Zuhause geben.“

Es klang so einfach. Einfach heiraten und zusammen ihr Kind großziehen.

„Es ist so einfach“, sagte er.

Erst da merkte sie, dass er ihre Gedanken laut ausgesprochen hatte. Sie machte einen Schritt von Jack weg und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du irrst dich. Es ist nicht einfach.“ Sich von ihm einlullen zu lassen, wäre ein Fehler, den sie sich nicht leisten konnte. Das Glück ihres Kindes stand auf dem Spiel.

„Warum nicht?“

„Weil wir beide aus völlig unterschiedlichen Welten kommen.“

„Wenn du damit das Geld meinst …“

„Nein, das meinte ich nicht. Aber das spielt natürlich auch eine Rolle. Nur mal als Beispiel: Ich lebe in einer Mietwohnung. Mein Jahresgehalt liegt beträchtlich unter deinem. Ich habe ein kleines Sparguthaben und eine kleine Lebensversicherung. Mein Auto ist fünf Jahre alt, und ich habe kein Boot.“

„Das sind materielle Dinge, die sind nicht wirklich wichtig.“

„Es geht nicht nur um die Unterschiede im finanziellen Bereich, Jack. Du hast Vorfahren, die du Generationen weit zurückverfolgen kannst. Du hast Eltern, Geschwister, eine Familie. Du weißt, wer du bist und woher du stammst“, erklärte Lily. „Weißt du, wie weit ich meine Abstammung zurückverfolgen kann? Siebenundzwanzig Jahre – bis zu meiner Geburt. Ich weiß, dass ich Lily heiße, weil das auf dem Zettel stand, der an die Decke geheftet war, in die man mich gewickelt hatte. Außerdem ist der Buchstabe L in das Medaillon eingraviert, das ich um den Hals trug, als man mich fand.“ Sie zeigte Jack das Medaillon. „Was meinen Nachnamen betrifft – die Straße, in der die Kirche stand, in der ich ausgesetzt wurde, hieß Miller Street.“

„Lily, es tut mir leid …“

„Schon gut“, sagte sie und wandte den Blick ab. Er sollte nicht sehen, dass ihr die Tränen in den Augen standen. „Sicher ist dir jetzt klar, dass der Gedanke an eine Heirat, auch wenn es um das Wohl des Kindes geht, lächerlich ist.“

„Warum? Etwa weil du keinen Stammbaum vorweisen kannst? Hältst du mich wirklich für so oberflächlich? Traust du mir zu, dass ich dich danach beurteile, wo du geboren wurdest und wer deine Eltern sind? Das ist doch völlig nebensächlich.“

„Das kann ich nicht finden. Ich könnte zum Beispiel die Tochter eines Serienkillers sein.“

„Oder die Tochter eines Königs.“

Aber Könige setzten ihre Kinder nicht aus. Und reiche attraktive Männer aus angesehenen Familien heirateten keine mittellosen Frauen, die nicht einmal von den eigenen Müttern gewollt waren.

Sie spürte, dass Jack von hinten auf sie zu trat. „Na schön, ich weiß vielleicht nicht, wo du geboren wurdest oder wer deine Vorfahren sind, aber eines weiß ich.“ Er legte ihr beide Hände auf die Schultern. „Ich weiß, dass du liebevoll und mitfühlend bist. Ich weiß, dass du als Beraterin und Lerntherapeutin das Leben vieler Kinder und Jugendlicher zum Besseren gewendet hast. Für dich ist die Betreuung dieser Kinder nämlich mehr als nur ein Job. Dir liegen diese Kinder am Herzen.“

Sie war gerührt. Seit sie schwanger war, geriet sie emotional schrecklich schnell aus dem Gleichgewicht. Ständig lief sie Gefahr, in Tränen auszubrechen, was sonst gar nicht typisch für sie war.

„Ich weiß außerdem, dass du dieses Kind jetzt schon liebst, obwohl du es nicht geplant hast, und dass du für das Kind das Richtige tun willst“, sagte Jack und schob ihr einen Finger unters Kinn. „Und das Richtige tun heißt in unserem Fall heiraten. Dem Kind ein richtiges Zuhause und eine richtige Familie geben.“

„Aber dazu müssen wir doch nicht unbedingt heiraten“, erwiderte Lily.

„Wie bitte? Du meinst, wir sollen sie oder ihn zwischen deiner Wohnung und meinem Haus hin- und herschieben? Was für ein Leben sollte das sein? Was unser Kind braucht, ist Sicherheit, Lily – und ich meine das nicht nur im finanziellen Sinn. Unser Kind braucht eine intakte Familie, und dazu gehören beide Eltern. Es braucht uns beide, wenn es ins Bett gebracht wird oder wenn es nachts aufwacht, weil es schlecht geträumt hat. Möchtest du, dass unser Baby das bekommt?“

„Natürlich möchte ich das.“ Zu einer richtigen Familie zu gehören, das hatte sie sich ihr Leben lang gewünscht. Aber der Wunsch war ihr nie erfüllt worden.

„Aber wenn wir nicht heiraten, können wir das unserem Kind nicht geben.“

Sie wusste, er hatte recht. Und doch fühlte sie sich irgendwie enttäuscht. „Was ist mit der Liebe?“ Sie senkte den Blick. Sie hatte immer geglaubt, dass sie, wenn überhaupt einmal, dann aus Liebe heiraten würde. „Verheiratet zu sein bedeutet mehr, als mit jemandem einen gemeinsamen Haushalt zu führen. Wie lange wird unsere Ehe wohl dauern, wenn wir uns nicht lieben?“

„Wer sagt, dass wir uns lieben müssen? Wir mögen und respektieren uns. Wir werden gemeinsam ein Kind haben. Und wir wissen bereits, dass wir sexuell sehr gut zusammenpassen. Es gibt viele erfolgreiche Ehen, die auf wesentlich weniger Gemeinsamkeiten basieren.“

Erschrocken blickte sie auf. Sie war so darauf konzentriert gewesen, was eine Heirat für das Baby bedeuten würde, dass sie gar nicht daran gedacht hatte, was es für sie und Jack bedeuten würde. „Du meinst, du stellst dir das als eine echte Ehe vor, ohne Einschränkungen?“

Jack lächelte vielsagend, und sie spürte wieder dieses Kribbeln im Bauch, genau wie damals, als er sie das erste Mal angesehen hatte. „Ich sehe keinen Grund, weshalb wir uns irgendwelche Einschränkungen auferlegen sollten. Ich schätze, wir hatten beide nie vor, enthaltsam zu leben. Es wäre also nur konsequent, wenn wir auch das Bett teilten würden.“

„Ich schätze, du hast recht“, hörte sie sich sagen. Irgendwie hatte er mit allem, was er sagte, recht.

„Bestimmt. Du wirst schon sehen.“ Jack schob ihr fürsorglich eine Strähne hinters Ohr. „Und ich denke, je schneller wir heiraten, desto besser.“

Plötzlich stieg Panik in ihr auf. „Aber was ist mit deiner Familie? Deinen Freunden? Was werden die denken? Was werden die Leute sagen?“

„Sie werden denken, dass ich verdammtes Glück habe.“

Oder sie werden denken, er habe seinen Verstand verloren, dachte Lily. Vielleicht hatten sie ja beide ihren Verstand verloren. Sie würde Jack Cartwright nämlich heiraten. Hoffentlich würden sie das nicht eines Tags beide bereuen.

Lily schien nervös zu sein wie ein junges Fohlen. Besorgt blickte Jack, der hinterm Steuer saß, zu ihr hinüber. Er konnte sie durchaus verstehen. Ihre Hände lagen verkrampft in ihrem Schoß, und er hatte schon zwei Toilettenpausen einlegen müssen. Lily hatte behauptet, das käme von ihrer Schwangerschaft, aber er hatte den Verdacht, dass es viel eher mit ihren Nerven zu tun hatte.

Nicht, dass Jack kein Verständnis dafür gehabt hätte. Er hatte es selbst kaum fassen können, als er mit dem Heiratsantrag herausgeplatzt war. Aber dann war ihm schnell klar geworden, dass es wirklich das einzig Richtige wäre. Er hatte auf Anhieb verstanden, dass Lily viel zu stolz war, um sich von ihm Unterhalt zahlen zu lassen. Also hatte er gar nicht erst den Vorschlag gemacht. Außerdem war es ihm wirklich ernst gewesen mit der Feststellung, dass ein Kind beide Eltern brauchte. Er hatte zwar nicht geplant, auf diese Art Vater zu werden, aber es war nun mal passiert, und er wollte in jeder Hinsicht ein guter Vater sein. Das bedeutete, dass er seinem Kind die gleiche Liebe und Fürsorge angedeihen lassen würde, die er als Kind genossen hatte, und das war seiner Meinung nach nur möglich, indem er und Lily ein Paar wurden.

Nachdem diese Entscheidung für ihn festgestanden hatte, hatte er ihre Einwände einen nach dem anderen entkräftet, so wie er das von Gerichtsverhandlungen gewohnt war. Zugegeben, er war nicht hundertprozentig fair gewesen. Als sie ihm von ihrer Familie – genauer gesagt, ihrer nicht vorhandenen Familie – erzählte, da hatte er sich nur zu gut vorstellen können, wie einsam und unglücklich sie als Kind gewesen sein musste. Und dann hatte er diesen Moment der Schwäche genutzt und sie dazu überredet, ihn zu heiraten. Bevor sie es sich noch anders überlegen konnte, hatte er vollendete Tatsachen geschaffen: Gleich am nächsten Tag war er mit ihr zum Standesamt gegangen, um eine Heiratslizenz zu beantragen, und jetzt fuhr er mit ihr zu seinen Eltern, damit sie Lily kennenlernten.

Tja, und in seiner Jackentasche lag die Schatulle mit dem Verlobungsring.

„Bist du sicher, dass ich richtig angezogen bin?“, fragte sie.

„Du siehst wunderschön aus“, versicherte er. Und es stimmte. Der Rock betonte ihre immer noch schlanken Hüften und ihre fantastischen Beine. Der lachsfarbene Pulli umschmeichelte ihre Brüste und ihren Bauch, dessen leichte Rundung der einzige Hinweis auf ihre Schwangerschaft war.

„Ist es noch weit?“, wollte sie wissen.

„Ungefähr zehn Minuten“, erwiderte er. „Soll ich noch einmal anhalten?“

„Nein, ich kann warten.“

Als sie an ihrem Rock herumzuzupfen begann, berührte Jack ihre Hand. „Versuch, dich zu entspannen. Es ist doch nur ein Brunch.“

„Ich weiß.“

Aber er wusste, dass die bevorstehende Begegnung mit seinen Eltern und seinen Schwestern sie schrecklich nervös machte. Wahrscheinlich ließ sie deshalb zu, dass er ihre Hand hielt und für den Rest der Fahrt nicht mehr losließ.

„Hier ist es“, sagte er, als sie auf das Eingangstor des Grundstücks zufuhren. Er gab den entsprechenden Code ein, und das Tor schwang auf. Kurz darauf fuhren sie die gepflegte Einfahrt entlang.

„Ein schönes Anwesen“, sagte Lily. „Und sehr groß.“

„Nicht groß genug, wenn man zwei kleine Schwestern hat“, erwiderte Jack in der Hoffnung, sie ein wenig aufzuheitern. „Reicht es, wenn ich sage, dass ich mich manchmal im Keller verstecken musste, um meine Ruhe zu haben?“

Lily musste lächeln. „Ich versuche gerade, es mir vorzustellen.“

„Glaub mir, es war nicht leicht“, sagte Jack und brachte den Wagen vor dem Haus zum Stehen. Rasch stieg er aus und öffnete die Beifahrertür. Wieder nahm er ihre Hand.

„Danke“, sagte sie.

Als sich die Haustür öffnete, drückte er sanft Lilys Hand und flüsterte ihr ins Ohr. „Was immer du tust, iss nichts, was meine Mutter gekocht hat.“