Eberhard Jüngels Analogie des Advents - Renate Enderlin - E-Book

Eberhard Jüngels Analogie des Advents E-Book

Renate Enderlin

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Beschreibung

Diplomarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Theologie - Systematische Theologie, Note: 1,0, Universität Wien (Fundamentaltheologie), Sprache: Deutsch, Abstract: Eberhard Jüngels Analogie des Advents soll in dieser Arbeit als jenes Beziehungsgeschehen erinnert werden, in dem die eschatologische Nähe Gottes als Zukunft anbricht –in dem Gott als Ereignis der Welt dem Menschen nahe kommt. Mit Jüngel und seinem Werk Gott als Geheimnis der Welt führt die Arbeit durch die Konstruktionen und das Zerbrechen der Gottesgedanken hin zu der dem theologischen Denken zugemuteten Prämisse der Offenbarung Gottes – die keinen Gottesgedanken konstruiert, sondern die Denkbarkeit Gottes in der Analogie des Advents rekonstruiert. Um den Advent Gottes als theologische Prämisse in seiner Notwendigkeit für die Denkbarkeit des Gott-Denkens herauszuarbeiten und im Nachdenken in diese Prämisse der sich voraussetzenden Offenbarung Gottes hineinzufinden, wird im ersten Teil der Gottesbegriff bei Descartes und Kant erläutert, der sich als erkenntnistheoretisch oder moralisch denknotwendiger und damit vom Menschen vorgestellter Gottesgedanke aufzulösen beginnt. Die Konsequenz der Undenkbarkeit eines vom Menschen vorgestellten Gottesgedankens, die Negation des Gottesgedankens, zeigt sich in unterschiedlicher Weise bei Fichte, Feuerbach und Nietzsche und führt zu der Frage, wie und wo Gott wieder denkbar wird. Das Wort wird als Ort der Denkbarkeit erkannt, weil nur im Wort Gott selber, d.h. Gottes Offenbarwerden in der Geschichte und damit die Einheit zwischen Wesen und Existenz Gottes zur Sprache kommt. Im Wort ereignet sich die Beziehung Gottes zur Welt. In diesem relationalen Geschehen, in diesem Sprachereignis wird der Advent Gottes angebrochen sein, wenn sich der Mensch von diesem ansprechen und unterbrechen lässt. Die Erinnerung dieses Ereignisses ist sprachlich, d.h. relational möglich, weil das Ereignis selbst zuvor sprachlich, d.h. relational geschehen ist. Das Sprachereignis vollzieht jene Entsprechung zwischen Gott und Menschen, die in der je größeren Differenz zwischen Gott und Menschen die je größere Nähe Gottes zum Menschen zum Ausdruck bringt. Diese Entsprechung zwischen Denken und Zu-Denkendem definiert nicht die Relata, definiert nicht Gott und Mensch, sondern geschieht definitiv in der Relation. Diese gewährt Entsprechung im Widerspruch. Das Evangelium ist als Zeugnis dieses Ereignisses der Entsprechung das Zeugnis von der Menschwerdung Gottes.

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Inhaltsverzeichnis
1. Wege und Sackgassen im Denken.
1.1 Si comprehendis, non est Deus
1.2 Gottes Advent als theologische Prämisse.
1.2.1 Mehr als notwendig
1.3 Der Gottesgedanke als Denknotwendigkeit
1.3.1 Descartes’ Zweifel.
1.3.2 Kants Postulat.
1.4 Negation des Gottesgedankens als Denknotwendigkeit.
1.4.1 Fichtes Denkverbot
1.4.2 Feuerbachs Denkgebot
1.4.3 Nietzsches Mutmaßung
1.5 Jüngels zumutbare Zumutung
1.6 Ort der Denkbarkeit - das Wort
1.6.1 Hermeneutische Vorentscheidungen.
1.6.2 Gegenständlich-Sein Gottes im Wort.
1.6.3 Das Wort als Ereignis - Hier im Jetzt
1.6.4 Sprachphilosophische Bemerkungen
2. Wege und Sackgassen in der Sprache
2.1 Offenbarung als Problem und Prämisse
2.2 Theologische Analogiemodelle.
2.2.1 Beredtes Schweigen bei Dionysius Areopagita
2.2.2 Das Analogieverständnis bei Thomas von Aquin
2.2.3 Erkenntnistheoretische Bemerkungen.
2.2.4 Der Streit um die Analogie bei Barth und Przywara.
2.2.5 Kritik an Jüngels Kritik
2.3 Jüngels Analogieverständnis
2.3.1 Das Phänomen der Analogie bei Parmenides.
2.3.2 Das Phänomen der Analogie bei Heraklit
2.3.3 Die Analogie des Advents bei Jüngel
2.4 Mit Jüngel zum Advent der Analogie
2.5 Zwei Umwege
3. Wegweiser zu neuen Fragen.
4. Literaturangaben.

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Vorwort

Mein herzlicher Dank gilt meinen Kollegen und Freunden, die mich durch mein Theologiestudium begleitet haben. Bernd Haidacher, Matthias Pesl und Miriam Wehle danke ich für ihre Korrekturarbeiten und für ihre so hilfreichen Fußspuren in meinem Denken. Bedanken möchte ich mich auch für die Anregungen, die ich in den Gesprächen und Vorlesungen mit Prof. Gabel gefunden habe. Prof. Appel danke ich für die Betreuung meiner Arbeit, für ein nachhaltiges Bonhoeffer-Seminar und für seinen wertvollen Literaturvorschlag für einen unvergesslichen Lesekreis:Gott als Geheimnis der Weltvon Eberhard Jüngel.

Wampersdorf, im März 2008

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1. Wege und Sackgassen im Denken

1.1 Si comprehendis, non est Deus1

Wie sprechen und denken MenschenGott,die glauben, dass sich Gott in der Welt offenbart hat, aber in der Welt nicht transzendent, sondern menschlich erfahrbar ist und dann nicht unmittelbar, sondern nur vermittelt im Zeugnis vom Offenbarungsgeschehen? Diese Frage klingt konstruiert und lässt sich entschärfen, doch sie spitzt das Problem zu, um das es (wie so oft in der Theologie) in dieser Arbeit geht: Ant-Worten nachzugehen, Antworten auf die uralten, ewig jungen Fragen der Theologie: Wie ist Gottes Sein zu denken? Wie von Gott reden? Was heißt Offenbarung? Was bedeutet Trinität? Warum Menschwerdung und Tod Gottes? Warum glaubt, wer christlich glaubt, dass sich Gott offenbart hat, und glaubt nicht nur, dass es das Sein Gottes gibt, sondern glaubt auch, dass Gott im Zeugnis in der Welt erfahrbar geworden ist und immer neu erfahrbar wird? Wenn Gottimmer neu erfahrbarwird, klingt darin an, dassSein im Werden,nicht bedeutet, dass Gott immer etwas anders wird im Lauf der Geschichte und seiner Schöpfung, dass es einen Mangel in Gott gäbe und Gott wird, was er vorher noch nicht war, sondern es bedeutet, dass sich Gott immer wieder neu als der Ewige und Vollkommene den Menschen selbst erschließt. Es bedeutet, dass Offenbarung, die Selbstinterpretation Gottes,Ereignisist, das sich in Jesus Christus zwar endgültig und universal bereits ereignet hat, sich aber dennoch im Wort Gottes und im Zeugnis immer noch ereignet und auch in Zukunft als Ereignis verheißen wird. Diese Glaubenssätze mit Blick auf Jüngels Analogie des Advents zu argumentieren, ist ein Ziel dieser Arbeit.

Gott ist Liebe. Gott ist Geheimnis. Gottes Sein ist im Werden.Theologische Sätze wie diese lassen sich nur verstehen, wenn deutlich wird, worauf sie antworten. Glaube ist nicht Voraussetzung, um diese Sätze zu verstehen, aber die Kenntnis der Fragestellung ist notwendig, wenn man diese Sätze nicht nur betend, sondern intellektuell nachvollziehen will. Theologische Sätze sind keine mathematischen Sätze, die am Ende das fertig Gedachte darstellen oder beweisen. Theologische Sätze sind Wegweiser auf einem Denkweg, auf einem Weg, der sich nicht definieren lässt, weil im Denken immer neu differenziert werden muss. Es ist ein Weg, der noch nicht da ist, sondern erst gegangen werden muss2.

1Augustinus zitiert in: Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 203.Vgl. auch Zechmeister, Gottesnacht, 28 und 153, Anm. 46.

2Vgl. Jüngel, Beziehungsreich, 13.

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Gott ist Liebe? Die Identifikation Gottes mit Liebe3erklärt nicht, was Gott ist (Gott lässt sich überhaupt nicht erklären), aber sie erklärt doch einiges. Was theologische Basissätze eigentlich aussagen, wollen Theologen gläubigen und nicht gläubigen Menschen verständlich machen. Die Rede von Gott erklärt nicht, was Gott ist oder nicht ist, sondern wie Glaubensaussagen zu verstehen sind. Theologie ist der Versuch, das Wie und Dass der rechten Rede von Gott in der Welt immer wieder neu zu fundieren.

Mit Eberhard Jüngels Theologie inGott als Geheimnis der Welt4, mit seiner Rede von Sein und Nicht-Sein Gottes, von Existenz und Tod Gottes, kämpft man sich quer durch theologische und philosophische Denkbewegungen mehrerer Jahrhunderte. Wer Jüngels Denken nachvollziehen will, wird theologische Sätze nicht scheuen dürfen und mit auf den Denkweg nehmen. Unterwegs wird man Gott nicht erklären, aber Gottes Advent als Prämisse verstehen können. Bevor die Schwierigkeiten analoger Rede von Gott und das Konzept der Analogie des Advents angesprochen werden, sind einige theologische Begriffe zu klären. Obwohl dabei nicht viel Neues zur Debatte steht, lässt sich auf die hermeneutischen Grundsatzfragen der Theologie nicht verzichten. Denn so wie z. B. auch in der Mathematik Sätze und Thesen immer wieder neu von Lernenden herzuleiten sind, nicht um Axiome, Sätze und Thesen richtiger oder wahrer zu beurteilen, sondern um ein tieferes Verständnis der längst bekannten Sätze und angenommenen Prämissen zu erlangen, geht es bei der Herleitung theologischer Grundlagen nicht darum, diese zu beweisen, sondern verstehen zu lernen.

Der Streit um dieanalogia entisund dieanalogia fidei5bilden in dieser Arbeit Anknüpfungspunkte für Jüngels Analogie des Advents, im Bewusstsein, dass Advent Gottes nicht Sprachform und Analogie nicht Stilmittel ist, sondern Voraussetzung seiner Theologie. Aber was meintAdvent Gottes?Warum die theologische Prämisse bemühen, dass Gott sich offenbart hat? Zunächst ist festzuhalten, dass diese Voraussetzung (dass Gott sich offenbart hat) nicht das Resultat der Argumentation sein wird. Der Vorwurf6an Theologen (den sie manchmal aus dem Kreis von Hobby-Theo-Logikern hören), sie würden mit Prämissen

3Wird Liebe als intensivste Beziehung von Ich und Du verstanden, ist die im Glauben vollzogene Identifikation Gottes mit Liebe insofern verständlich, als Gott jenes Du ist, das selbst im Tod neue Beziehungen schafft, selbst im Tod, der für den Menschen endgültige Beziehungslosigkeit bedeutet. Nur Gottes Verhältnis zum Menschen endet auch im Tod nicht, weil Gott Liebe ist. Der Glaube identifiziert Gott mit dem Ereignis Liebe, weil der Glaubende Gottes Sein in der Geschichte als jene Beziehung bezeugt, in der selbst der Tod (Jesu am Kreuz) miteinbezogen wird. Vgl. Jüngel, Beziehungsreich 9-37.

4Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977,72001.

5Vgl. Jüngel, GGW (= Gott als Geheimnis der Welt), 357-408.

6Man ist bereit, allen Prämissen zuzustimmen, in denen nicht das gewünschte Ergebnis bereits in den Prämissen steht. Wenn über die Existenz Gottes diskutiert wird, macht die PrämisseGott existiertnicht allzu viel Sinn.

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arbeiten, die am Ende auch das Ergebnis ihrer Argumentation darstellen, ist vorweg zu entkräften. Dass sich Gott offenbart hat, wird nie beweisbares (weder empirisches, noch argumentatives) Resultat sein können. Theologen werden erklären können, warum es sinnvoll sein kann, die PrämisseOffenbarung Gottesanzunehmen, aber auch dann wird sie Prämisse und nicht Ergebnis der Argumentation sein. Der entscheidende Punkt ist, dass Theologen Offenbarung und Ankunft Gottes in der Welt nicht willkürlich voraussetzen. Jüngels Arbeiten fangen damit an, theologischen Denkwegen und philosophischen Ansätzen nachzugehen. Insofern ist die PrämisseAdvent Gottestatsächlich auchErgebnis.„Die Universalität der Offenbarung ist nicht die Prämisse, von der die Theologie ausgehen, darf sondern das keineswegs selbstverständliche Resultat, zu dem sie hinfinden muss (…)“7. Das Resultat wird allerdings kein eigentlichesErgebnissein, sondern lediglich die Bestätigung dafür, dass die Prämisse hält, was sie verspricht und dass sie die Anstrengungen wert, in sie hineinzufinden.

1.2 Gottes Advent als theologische Prämisse

Gottes Advent als theologische Prämisse und Eberhard Jüngels Analogie des Advents vorzustellen ist das Ziel meiner Arbeit. Es geht dabei nicht vorrangig um Christologie, Soteriologie, Prädestinations- und Rechtfertigungslehre oder um Jüngels Gleichnis- und Metapherntheorie, sondern um die Vorgängigkeit von Gottes Ankunft in der Welt vor allem menschlichen Glauben und Nichtglauben. Gottes Advent ist allen theologischen Denkwegen Eberhard Jüngels vorausgegangen, denn ohne Gottes Ankunft in der Welt gäbe es keinen Glauben und damit auch keine christliche Theologie. Die Frage, warum man von Gott reden muss und warum man Gott denken kann, ließe sich mit Jüngels Theologie zunächst ganz einfach damit beantworten: „Weil Gott kommt. Weil Gott als der von sich aus zur Sprache drängende in die Welt und damit zu den Menschen kommt.“8

Das klingt vielleicht langweilig und ist doch provozierend zugleich. Denn es löst von der theologischen Gewohnheit, die Gott (ausschließlich) als Gottesgedanke des Menschen versteht und nur dann als relevant ansieht, wenn es anthropologisch notwendig scheint. Es hebt philosophische Gewissheiten auf, deren Grundsatz lautet:

7Link, Die Welt als Gleichnis, 93.

8Dalferth, Denkwürdiges Geheimnis. Beiträge zur Gotteslehre. Festschrift für Eberhard Jüngel, IX-XII.

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„Gott kann nur sein, wenn der Gottesgedanke möglich und nicht unmöglich ist. Und der Gottesgedanke ist nur dann nicht nur möglich, sondern nötig, wenn der Mensch nicht leben kann, ohne sich selbst zu denken und sich selbst nicht denken kann, ohne Gott zu denken. Die Würde des Gottesgedankens ist seine anthropologische Relevanz und nur was solche Relevanz besitzt, ist theologisch denkwürdig und verdient auch philosophisch Respekt.“9

Und genau das erwarten viele Menschen von Theologie: anthropologische Relevanz. Es ließe sich erwidern: „Das ist gut gemeint, doch nicht gut gedacht. Es ›rettet‹ den Gottesgedanken, aber es rechnet nicht mit Gott, sondern beschränkt theologisches Denken auf das Denkmögliche und Menschennötige. Dem widerspricht Jüngels Theologie des Advents.“10

Auf den ersten Blick könnte man meinen, hier stünden zwei Positionen einander kontradiktorisch gegenüber: Während die eine Seite vehement Theologie mit anthropologischer Relevanz einfordert und Theologie nur gelten lässt, wenn sie dem Leben der Menschen entspringt, versucht die andere Seite Gott und Rede von Gott vor Funktionalisierung durch den Menschen zu bewahren. Doch gibt es nicht bloß Schwarz-Weiß und hier m.E. keine völlig gegensätzlichen Positionen. Denn die Forderung, dass jedes theologische Denken anthropologisch relevant sein muss, lässt sich nicht gleichsetzen mit einer Funktionalisierung des Gottesgedankens. Gott wird zum Götzen, wenn er Bedürfnisse des Menschen befriedigen soll, wenn Gott Ergebnis und Konstrukt, Lückenbüßer oder Trostpflaster des Menschen ist. Wenn sich Theologie aber ihren Adressaten und ihrer Situation verpflichtet weiß, wird Rede von Gott dadurch nicht Mittel zum Zweck, sondern konkrete, lebendige Rede von Gott, der dann nicht ein Götze für uns, aber Gott mit uns sein wird.

„Es gibt keine Gottesrede unter Absehung menschlicher und weltlicher Wirklichkeit, weil mir Gottnurim Gleichnis des wirklichen Seienden, zutiefst aber im Gleichnis des mitmenschlich anderen aufgeht.ImGleichnis geht er mir aber gerade als der auf, derüberjedes Gleichnis hinaus ist“11.

9Dalferth, Denkwürdiges Geheimnis. Beiträge zur Gotteslehre. Festschrift für Eberhard Jüngel, IX.

10Ebd, IX.

11Zechmeister, Gottes-Nacht, 37.

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Bevor allerdings weitere Stimmen12dazu zu Wort kommen, die Theologie nicht mit der Rede von der Offenbarung beginnen, sondern mit der Rede vom Menschen, von der Geschichte und von der Welt13, sind einige Denkwege früherer Denker nachzugehen.

Warum setzt Jüngels Theologie das Kommen Gottes und nicht anthropologische Relevanz voraus? Warum betont Jüngel die weltliche Nichtnotwendigkeit Gottes und die Vorgängigkeit von Gottes Ankunft in der Welt? Um darauf antworten zu können, muss man Jüngels Rückblick in die Philosophiegeschichte und die Auseinandersetzung mit dem Problemhorizont dertheologischen Grundaporie der christlichen Rede von Gott14wenigstens stückweise mitvollziehen. Warum Gottes Sein bei Descartes undenkbar wird, welche Reaktionen bei Fichte, Feuerbach und Nietzsche darauf zu berücksichtigen sind, erklärt Jüngel ausführlich in §8, §9 und §10 inGott als Geheimnis der Welt.Die nächsten beiden Kapitel dieser Arbeit nehmen daraus einige Denkanstöße mit auf den Weg. Denn Jüngels theologische Prämisse, dass Gott im Kommen ist, hat einen breiten Kontext.

1.2.1 Mehr als notwendig

Vielleicht ist es hilfreich, zuerst Jüngels Satz: „Gott ist mehr als notwendig“15zu verstehen.Gott ist mehr als notwendig,heißt zunächst einmal schlicht: Gott ist nicht einfach notwendig. Gott ist nicht der Mythos, der uns die Welt erklärt, solange wir sie uns nicht selbst erklären durch Meteorologie, Evolutions- und Relativitätstheorien, Quanten- und Teilchenphysik, Genforschung usw.. Gott ist weltlich nicht notwendig und „als moralische, politische und naturwissenschaftlicheArbeitshypotheseabgeschafft“16. Gott darf nicht zum Lückenbüßer für mangelnde menschliche Erkenntnis degradiert oder als Beruhigungsmittel und Trostpflaster verordnet werden. Gott ist (was immer Gott ist) mehr als das.Mehr als notwendigsoll also nicht als Komparativ missverstanden werden, denn Gott ist eben gerade nicht bloß notwendiger als anderes. Wäre Gott seiend notwendig nur im Sinne weltlicher Allanwesenheit, wäre er nur eine quantitative Steigerung weltlichen Vorhandenseins. Doch

12Vgl. Jüngel, GGW (=Gott als Geheimnis der Welt), 18, 19, 27, 28 (…) und in dieser Arbeit Kapitel 2.5.

13Wobei ich nochmals betone, dass ich hier und in meinem zweiten Exkurs in Kapitel 2.5 durch meine Gegenüberstellung einen Gegensatz konstruiere, der so nicht vorliegt.

14Vgl. Jüngel, GGW, 44-55.

15Ebd., 16-44.

16Ebd., 21.

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die Alternative von An- und Abwesenheit Gottes stellt sich so nicht.17Jüngels Satz meint also nicht, dass Gott sehr notwendig oder denknotwendig ist.

„Eine unabhängig von der Gewissheit des Glaubens sich vollziehende Erarbeitung der Denknotwendigkeit Gottes ist (…) nicht beabsichtigt.18Viel mehr ist es eine theologische Aufgabe allerersten Ranges, in Aufnahme der Probleme des neuzeitlichen Denkens die Gewissheit des Glaubens an Gott so zu explizieren, dass Gottes Sein wieder denkbar wird. (…) Denkbar heißt aber nicht: denknotwendig. Denknotwendig ist allenfalls die Denkbarkeit Gottes.“19

1.3 Der Gottesgedanke als Denknotwendigkeit

Jüngels SatzGott ist mehr als notwendigreagiert auf die Anfragen der Philosophie der Neuzeit, die anthropologisch orientiert, den metaphysischen Gottesbegriff zersetzen und damit theologische Grundaporien20zurücklassen, die nicht ignoriert werden dürfen. Denn die These von der weltlichen Nichtnotwendigkeit Gottes ist nicht nur als Aussage über den Menschen, sondern zugleich als Aussage in Bezug auf Gott zu verstehen. Nicht länger war Gott das Maß aller Dinge, sondern der Mensch. Das heißt, dass sich auch der Gottesgedanke am Menschen als Gottesgedanke ausweisen musste. Die Neuzeit beginnt allerdings nicht mit der Erkenntnis der weltlichen Nichtnotwendigkeit Gottes, sondern, wenn man die Neuzeit mit Descartes beginnen lässt, mit einem Beweis der Notwendigkeit Gottes; und zwar insofern, als Gott für die Seinsgewissheit des Menschen, für die Kontinuität der Selbstbegründung und der Identität des Menschen imcogito sumbei Descartes durchaus noch (denk)notwendig war.

17Vgl. Jüngel, GGW, 35.

18Ebd., 145.

19Ebd., 146.

20Vgl. ebd., 18.

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1.3.1 Descartes’ Zweifel

Descartes21begründet die Seinsgewissheit des Menschen zunächst nicht in Gott, sondern im Zweifel. Der Zweifel führt den Menschen zumcogito sum.Denn nur wenn wirklich alles bezweifelt wird, erkennt der Menschclare et distincte22, dass dasIch denkedasunerschütterliche Fundamentjeder Erkenntnis sein muss23. Das Ich ist sich seiner selbst gewiss, weil (obwohl es alles bezweifelt) dasIch denkegerade indem es alles bezweifelt, sich selbst als Voraussetzung des Zweifels erkennt.

Die Gewissheit desIch denkelässt sich aber nur im Moment des Zweifels sicherstellen und ist daher nicht von Dauer. Die Kontinuität und damit die Identität descogito sumbleibt ungewiss. Diese Gewissheit kann der Mensch nicht leisten, dazu braucht es etwas Vollkommeneres. Descartes kommt so von der Abhängigkeit descogito,das von sich aus die Kontinuität der Erkenntnis nicht gewährleisten kann, zum Gottesgedanken.24Allerdings findet der Gottesbegriff seinen Ort nur imcogitound droht darin als Objekt des Denkens vom Menschen abhängig zu werden. Da der Zweifel nichts verschont, muss auch der Gottesgedanke bezweifelt werden. In der Fiktion eines täuschenden Gottes bezweifelt der Mensch auch Gott. Die Unvollkommenheit und die eingeborene Idee eines vollkommeneren Wesens bestimmen das Wesen des Menschen. Da der Mensch nur in Abhängigkeit von diesem vollkommeneren Wesen vor der Täuschung bewahrt bleibt, weiß sich derdeus deceptorbesiegt durch denoptimus deus,der die Kontinuität desIch denkeund damit den Zusammenhang der Welt gewährleistet.25