Echt Jetzt - oder was?! - Anemone Hehl - E-Book

Echt Jetzt - oder was?! E-Book

Anemone Hehl

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Beschreibung

In diesen Alltagsgeschichten werden komische, heitere, skurrile und auch nachdenklich stimmende Begegnungen zwischen Menschen erzählt.

Das E-Book Echt Jetzt - oder was?! wird angeboten von tredition und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Schmunzeln, Alltagsgeschichten, Heiteres, Empathie

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 210

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Anemone Hehl, Jahrgang 1948, studierte nach dem Abitur Klavier an der Hochschule für Musik in Berlin. Nach dem Examen fügte sie ein weiteres Studium in Gießen an, diesmal für das Lehramt in den Fächern Musik und Politik.

Neben der Musik und dem Schreiben ist auch das Malen eine Leidenschaft von ihr.

Sie lebt schon lange in Ostfriesland, wo sie bis zu ihrer Pensionierung an einer Hauptschule unterrichtet hat.

Warum ich das Buch geschrieben habe

Jeder Tag ist ein Abenteuer, und jeder erzählt eine Geschichte,. Ich bin eine leidenschaftliche Sammlerin dieser Alltagsgeschichten, und ich erzähle sie gern weiter.

Sie sind manchmal banal, manchmal wichtig und großartig; manche sind anrührend, zum Schreien komisch oder tiefgründig. Aber sie berühren – positiv oder negativ.

Und ich möchte das: jeden Leser berühren.

Widmung

Dieses Buch widme ich all jenen, die mir dazu verholfen haben.

Danke sage ich Mechthild, die eine kritische Leserin war und mich immer wieder dazu ermunterte, Verbesserungen vorzunehmen.

Ein ganz besonderer Dank gilt Berend, ohne den ich dieses Buch sehr wahrscheinlich nicht veröffentlicht hätte.

Anemone Hehl

Echt jetzt!?

Irgend etwas passiert immer

32 Kurzgeschichten

© 2020 Anemone Hehl

Umschlag, Illustration: Anemone Hehl

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback

978-3-347-21321-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Vorwort

Bei „Telecoms“

Die Gürtelschnallen - Odyssee

In der Apotheke

Von Münster bis Leer

Anders

Arzt ohne Grenzen

Der Auszug

Der Missionar

Der Nachlass

Der Nebenverdienst

Echte Kumpels

Multi Kulti

Vaterland und Mutter Erde

Hecken-Scharmützel

O du Fröhliche

Ein befremdlicher Gast

Ein Baron für Muttern

Kanarienvogel

Reisebekanntschaft

Könnten Sie mir wohl kurz helfen?

Grüße aus dem Off

Halma

Weit gereist

Pflege - Bedarf

Hotte ist tot

Telefonflirt

Vierzehn Jahre sind genug

Heimkehr

Attentat in Fulda

Eine besondere Begegnung

O du stille Zeit !

„Optisches“ Debakel

Vorwort

Die in diesem Buch erzählten Erlebnisse sind tatsächlich so geschehen, mir selbst sowie Freunden/innen und Bekannten, die mir davon berichteten.

Dabei habe ich Namen teilweise geändert und nur die beibehalten, deren Träger es mir freundlich gestatteten.

Eine einzige Geschichte entspringt meiner Fantasie. Der Leser, die Leserin wird sie finden!

Bei „Telecoms“

Endlich Sommerferien! Sechs Wochen lang frei von Arbeit und Geschäftigkeit! Ich konnte faulenzen, in der Hängematte unter schattigen Bäumen Bücher lesen oder einfach nur dösen und die Wärme genießen. Ich konnte auch spontan etwas unternehmen oder die lauen Sommerabende mit Freunden auf der Terrasse sitzen und mich großartig unterhalten. Wunderbare Aussichten!

Allerdings musste ich noch eine kurze Liste von Dingen erledigen, zu denen ich während der letzten Wochen nicht gekommen war.

Gleich am ersten Ferientag nahm ich Angelegenheit Nr. 1 in Angriff.

Zielstrebig steuerte ich den Telecom-Shop an, denn das war das Ziel meiner Fahrt nach Leer - ich hatte es satt gehabt, gefühlte zwei Stunden in der Telefon-Warteschleife der Telecom zu hängen, auch wenn sie kostenlos war, und das ständige „Bitte warten!“ hatte mich so aufgeregt, dass ich mich entschlossen hatte, persönlich vor Ort aufzulaufen.

Ich wollte meinen Vertrag kündigen und einen günstigeren abschließen. Im nicht klimatisierten Laden hielten sich acht Kunden, die alle vor mir dran wären, auf, sowie drei Mitarbeiter der Telecom.

Es gab einen Wartebereich, in dem Kaffee und Wasser kostenlos angeboten wurden. Wie ich in kürzester Zeit herausfand, war einer der acht Kunden ein Scheinkunde, denn der bezopfte Mann saß bequem in einem der Kunstlederstühle, die suggerierten, hier könne sich der Kunde wie zuhause fühlen, beobachtete mit wachen Augen und nur minimaler Kopfdrehung seine Umgebung, und irgendwann schälte er sich aus dem Möbel, um sich einen Kaffee zu „gönnen“. Anstalten, einen der von den Mitarbeitern besetzten Tresen aufzusuchen, machte er jedenfalls nicht. Zumindest nicht, solange ich anwesend war; und ich war lange, lange da!

Ich überflog das Publikum, das vor mir dran wäre, und prägte mir die Gesichter ein. Dann las ich sämtliche Werbeplakate, die die Wände schmückten und starrte minutenlang auf das „Frühstücksmagazin“, das über einen Breitwandmonitor flimmerte. Ein Kunde verließ den Tresen seines Beraters und der nächste rückte auf.

Ein alter Mann im Rollstuhl drängelte sich vor, aber der Angestellte verwies ihn in die Warteschlange zurück:

„Sie sind noch nicht dran. Sie müssen sich noch ein wenig gedulden.“

Der Alte grummelte etwas vor sich hin, fügte sich aber in sein Schicksal und rollte zurück in die Warteschlange.

Ich schlenderte an den ausgestellten i-phones vorbei und las, was sie so leisteten. Ich sah i-pads, smart-phones, blue-berries und weitere handliche Geräte, deren Namen ich sofort wieder vergaß. Alles nur 1€ mit Sternchen. Das Sternchen besagte dann im Kleingedruckten, das ich trotz Brille kaum entziffern konnte, dass das Teil ohne Vertrag etwas teurer sei - zwischen zweihundertfünfzig und achthundert Euro hätte man bezahlen müssen.

Ein Blick in die „Wartezone“- immer noch vier Leute vor mir!

Nun starrte ich auf die ausgestellten Hüllen für die diversen Handys. Auch diese Schmuckstücke hatten ihren Preis. Meine Güte!, so viel hatte ja nicht einmal mein Handy gekostet!

Schön, ich geb´s zu: mein Handy ist nicht das neueste Modell. Eigentlich ist es bereits so alt, dass mir ein Schüler riet, Kontakt zu einem Museum aufzunehmen. Aber es tut das, was ich damit tun möchte: telefonieren, SMS verschicken und empfangen und ein paar Fotos machen. Kein Internet-Zugang, kein Facebook, keine Werbung, keine kostenlosen apps - kein Schnickschnack, ein mobiles Telefon halt.

Noch drei vor mir. Ah, der Rollstuhlfahrer war dran.

Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass er einen Din A4 Bogen in der Hand hielt, der mir verdächtig nach Telecom - Rechnung aussah. Das rosa Logo im oberen Abschnitt und die darunter befindlichen Zeilen erinnerten mich an meine monatlichen Rechnungen von vor etlichen Jahren, die mir noch per Post zugeschickt worden waren.

Was der alte Herr sagte, entging mir, da ich etwa zehn Sekunden durch den bezopften Scheinkunden abgelenkt wurde, der sich erneut bedächtig erhoben hatte, um seinen leeren Becher wieder zu füllen. Alles in gemächlichem Tempo und mit einer Seelenruhe, die mir signalisierte, dass er nicht zum ersten Male hier kostenlos Kaffee konsumierte.

Die Reaktion des Brille tragenden Telecom–Mitarbeiters auf den Herrn im Rollstuhl erinnerte an das Gebaren eines geduldigen Erziehers, dessen Zögling zum 400. Male den gleichen Fehler begangen hatte: Er zog die Augenbrauen leicht genervt hoch und antwortete in einem herablassend - scheinheilig milden Ton, der Gestein zum Stöhnen gebracht hätte:

„Aber Herr Sowieso“, sagte der bebrillte Hagere, und seine Stimme modulierte noch mal von oben nach unten und zurück, „ich haben Ihnen doch schon letztes Mal gesagt, dass Sie….“

Der Rollstuhlfahrer wischte den Einwand seines Gegenübers mit einem Schwenk der Telecom-Rechnung beiseite:

„Ich benutze das Handy nicht, also brauche ich auch nicht zu zahlen.“

Nun beugte sich der Angestellte zu seinem Gegenüber hinunter, schließlich saß der Kunde einen guten Meter tiefer, und brachte sein Gesicht dem des anderen auf dreißig Zentimeter nah, wie um die Dringlichkeit seiner Worte zu unterstützen:

„Sie können nicht einfach nichts bezahlen“, belehrte er ihn, „auch wenn Sie nicht mit dem Handy telefonieren..“

Wieder unterbrach der alte Herr.

„Nein, ich telefoniere nie damit“, sagte er unwirsch, „ich kann gar nicht damit umgehen. Also zahle ich auch nicht!“

Das Letztere stieß er fast triumphierend aus und blickte den Angestellten herausfordernd an. Der schraubte seine 1,97m seufzend wieder aus der unbequemen Haltung nach oben und schüttelte den Kopf.

„So geht das aber nicht“, meinte er fast resignierend, „Sie haben einen Vertrag und den müssen Sie einhalten. Was man Ihnen in Rechnung stellt, sind die Grundgebühren. Ob Sie telefonieren oder nicht!“

Und er tippte vielsagend auf das Blatt.

Der Alte schüttelte energisch den Kopf und schwenkte noch einmal die Rechnung über seinem Kopf - wie ein Fahnenschwenker bei der Air Force sah er aus.

„Ich telefonier nicht, also zahl ich auch nicht. Basta!“

Der Angestellte wischte sich mit einer fahrigen Bewegung die Schweißtropfen von der Stirn und fing von vorne an. Insgeheim gratulierte ich ihm dazu, dass er nicht die Fassung verlor und das Schreien anfing. Aber es war ja auch noch früh am Morgen….

„Sehen Sie“, begann er erneut, „Sie könne nicht einfach nichts..“ „Jaja“, unterbrach ihn der Alte, „das haben Sie schon mal gesagt. Ich bin ja nicht blöd.

Aber ICH TELEFONIER DOCH GAR NICHT!“, brüllte er plötzlich los, so dass der Angestellte und auch ich unwillkürlich einen Satz zur Seite machten. Alle Anwesenden blickten erschrocken auf.

Jetzt reichte es dem Telecom-Mitarbeiter. Er hob die Stimme auf 90 Dezibel an und trompetete:

„Sie müssen die Grundgebühr für das Handy bezahlen, ob Sie telefonieren oder nicht. Das steht in Ihrem Vertrag. Und solange Sie diesen Vertrag haben, müssen Sie zahlen, Herr….!! Haben Sie das verstanden!?“

Der Alte schluckte und brummelte dann: „Nu schreien Sie doch nicht so. Ich hab´s verstanden.“

Er legte seine Stirn in Unmutsfalten und kramte in der Tasche, die er auf seinen Knien liegen hatte. Schließlich zog er ein weiteres Din A4 Blatt hervor. Der Angestellte, der schon leise und unauffällig aufgeatmet hatte, hielt erneut die Luft an.

„Und was ist damit?“, fragte der Kunde ungnädig. Der Verkäufer ließ den Kopf resigniert auf seine Brust fallen und nahm das Blatt hörbar stöhnend entgegen, um einen Blick darauf zu werfen. Das dauerte keine drei Sekunden, dann senkte er den Arm abrupt und ächzte:

„Sie haben ja noch ein Handy!“ Der Alte nickte grimmig.

„Damit telefonier ich auch nie!“, versicherte er wohlgefällig.

„Aber die Grundgebühr“, der Verkäufer wimmerte fast, „die Grundgebühr müssen Sie trotzdem bezahlen.“ Seine Stimme brach am Ende des Satzes. Der Alte im Rollstuhl riss ihm den Papierbogen aus der Hand und nickte mehrmals heftig:

„Ich muss die bezahlen, obwohl ich NICHT TELEFONIERE! Ungeheuerlich!! Man müsste Sie verklagen!“

Der Alte stopfte wütend allen Papierkram zurück in seine Tasche.

„ICH KÜNDIGE! ALLES!!“, brüllte er quer durch den Laden, so dass sämtliche Mitarbeiter und Kunden - selbst der mit dem kostenlosen Kaffeekonsum - zusammenzuckten, bevor er demonstrativ seinen Rollstuhl in einem gewagten Linksschwenk umdrehte und auf den Ausgang zurollte.

Wir hatten alle den Atem angehalten und standen erstarrt in der Bewegung - wie bei einem Standbild eingefroren. Einige Sekunden später hörte man die angehaltene Atemluft synchron entweichen, und wir bewegten uns wieder. Der Bebrillte wischte sich mit einem weißen Taschentuch unauffällig über die Stirn, holte tief Luft und verharrte einen Moment in Bewegungslosigkeit - wahrscheinlich versuchte er die Horrorszene von eben mental beiseite zu legen - dann aber straffte er seine Schulter und rief:

„Der Nächste, bitte!“

Die Gürtelschnallen - Odyssee

Im Gegensatz zu meiner Freundin Ulla halte ich nicht viel von „Sachen aufheben, man könnte sie ja noch mal brauchen“. Aus diesem Grunde ähnelt der Dachboden meines Hauses einem leeren, vergessenen Tanzsaal. In einer Ecke dümpeln die Kartons mit der Weihnachtsdekoration, daneben reihen sich der Behälter zum Transport eines Kleintieres, zwei Koffer, die viel zu selten zum Einsatz kommen und eine mit Rosen bemalte Hutschachtel, in der ich – ja, was ist da eigentlich drin?

Ich konnte mich gar nicht mehr erinnern.

Der Sache musste ich auf den Grund gehen. Ich zog mir also die Hutschachtel heran, pustete die dünne Staubschicht fort und öffnete sie mit einiger Mühe, denn der Deckel klemmte.

Unter einer Fuchsstola in lila Tönen, Chic der späten Achtziger , erspähte ich zwei Glitzergürtel, ein Stück Rosen-Seife - noch schwach duftend! – und eine prachtvolle silberne Gürtelschnalle. Sie stellte einen Rad schlagenden Pfau dar. An jedem oberen Ende seiner silbrigen Federn glitzerte ein Diamant. Nun gut, dem damaligen Preis nach zu urteilen sind es nur Glassteine. Das Auge des Pfaus selbst war ein kleinerer schwarzer Glanzstein. Wunderschön!!

Ich war entzückt! Ich packte alles wieder in die Hutschachtel und kletterte damit die Leiter hinab.

Erst einmal den Schatz genauer begutachten! Ich breitete die Fundsachen auf dem Küchentisch aus:

Die Fuchsstola schlang ich mir um den Hals - sie kitzelte ziemlich, aber sie roch gut nach Rosenseife, so dass ich sie erst einmal um behielt. Die beiden Gürtel ließen sich zwar noch um die Taille schlingen, waren jedoch zu meiner herben Enttäuschung nicht mehr zu schließen. Genau gesagt, klafften sie endlos weit auseinander. Ich war damals dreißig Jahre jünger und zehn Kilo leichter. Seufzend legte ich sie beiseite.

Dann fasste ich die Gürtelschnalle näher ins Auge. Sie wog schwer in meiner Hand und funkelte im Licht. Aber oh! Genau in der Mitte fehlte ein geschliffenes Glassteinchen. Wie schade!

Aber Halt! Ich wusste, dass ich in der Knopfschatulle auch Pailletten und Glitzersteine aufbewahrte. Leider wurde ich nicht fündig. Es gab allerdings ein paar Knöpfe - weiß der Himmel, an welchem Kleidungsstück die einst gesessen hatten! -, die in der Mitte einer goldenen Spirale einen Glitzerstein trugen.

Jutta! Genau! Jutta würde mein Problem sicher lösen können. Sie hatte die Geschicklichkeit und die Werkzeuge, den Stein aus dem Knopf zu lösen und in meine Gürtelschnalle einzusetzen. Auf zu Jutta.

Vier Tage später war meine Schnalle vollständig und wie neu. Alle bewunderten das Prachtstück.

Ich überlegte weiter. Die Gürtelschnalle war zu schade, um in einer Schachtel zu liegen und nur ab und an bewundert zu werden. Sie schrie mich geradezu an: „Trag mich!“

Ein Gürtel musste her.

Bei Ahlers in Papenburg werden Ledersachen genäht, das weiß ich. Gürtel sind aus Leder, ergo müsste bei Ahlers mein zukünftiger Gürtel gefertigt werden können.

Ich hatte Pech - es war Mitte Juni und die Schneiderin war bis Anfang Juli in Urlaub, aber…

„Natürlich kann sie Ihnen einen Gürtel anfertigen, gar kein Problem!“, hatte mir die freundliche Verkäuferin versichert.

Es wurden drei lange Wochen, in denen meine Geduld auf eine echte Probe gestellt wurde, denn ich hatten diesen Gürtel eigentlich unbedingt sofort tragen wollen.

Aber siehe, meine geduldiges Ausharren wurde belohnt. Als ich Anfang Juli mit der Schnalle wieder bei Ahlers stand, war die Näherin gut erholt aus dem Urlaub zurück und stand zu meiner Verfügung.

Leider stellte sich sehr schnell heraus, dass sie über kein Leder verfügte, aus dem man einen breiten, festen Gürtel hätte anfertigen können.

„Wir haben eher die weichen Ledersorten für Jacken und Hosen“, erklärte sie bedauernd.

„Und wenn ich Ihnen einen Gürtel bringe, können Sie ihn dann mit der Gürtelschnalle versehen?“ Das sei überhaupt kein Problem, versicherte sie mir, ich solle einen Gürtel besorgen und wiederkommen für die Änderung.

Ich schnappte den Pfau und marschierte los.

Ich zog den Hauptkanal links hinunter und rechts wieder herauf, betrat jedes Modegeschäft und jeden Handtaschenladen, aber einen Gürtel, an dem ich hätte die Schnalle befestigen lassen können, fand ich dabei nicht. Sie waren alle zu kurz, und da es sich um fertige Gürtel handelte, besaßen sie natürlich bereits eine Schnalle. Ich brauche einen mindestens eineinhalb Meter langen Gürtel, dachte ich düster, aber wo finde ich hier einen Laden für Übergrößen!?

Versteckt zwischen einem Outlet - Laden und einer Drogerie entdeckte ich das „Modeatelier“. Auf dicht bepackten Ständern vor dem Laden wühlten zwei ältere Damen nach Schnäppchen. Im Innern überfiel mich ob der gedrängten Fülle an Kleiderständern kurz ein Anfall von Klaustrophobie, aber ich erspähte einen Platz, an dem mindestens fünfzig Gürtel jeglicher Länge und Breite hingen. Meine durch stundenlanges Training geschulten Augen erblickten tatsächlich auf einem der Ständer einen schwarzen Ledergürtel, der so lang war, dass er den Boden berührte. Durfte ich hoffen, i h n gefunden zu haben?? Während ich das Prachtstück vom Ständer zu ziehen versuchte und zuvor einige andere Gürtel weg hängen musste, bemerkte ich aus den Augenwinkeln die langsam herannahende Gestalt eines älteren Herrn, der sich in der Enge so vertraut bewegte, als sei er hier zu Hause. Er war offensichtlich der Inhaber, denn er grüßte freundlich und fragte nach meinen Wünschen.

„Ich suche einen langen Gürtel“, entgegnete ich und hatte endlich das Objekt meiner Begierde aus der Halterung befreit.

Glücklich schaute ich auf die Innenseite: 125 cm stand da. Ich jubelte innerlich, brach aber abrupt ab, als mir der Herr den Gürtel sanft, aber bestimmt entzog.

„Der ist Ihnen viel zu weit“, erklärte er mir freundlich, „Sie haben eine so zarte Taille, ich zeige Ihnen mal einen anderen.“ „Moment!“, rief ich, „Sie schmeicheln mir ja ungemein, aber ich möchte diesen Gürtel und sonst keinen“, und ich deutete beharrlich auf das 125 cm lange Prachtexemplar, das er mir in so schnöde Weise weggenommen hatte.

Er sah mich irritiert an: „Aber, junge Frau“, versuchte er es noch einmal, „Sie brauchen höchstens einen 95er Gürtel!“

Ich sah mich genötigt, einzugestehen, dass ich den vorliegenden Gürtel quasi beidseitig kastrieren und einem höheren Zweck dienend verarbeiten lassen wollte. Er war nach wie vor etwas konsterniert, machte aber gute Miene zu diesem ausgefallenen Spiel und bewunderte meine Pfauenschnalle, die ich ihm zwecks Begründung meines in seinen Augen so verqueren Wunsches vorführte. Dann überfiel ihn eine nostalgische Trauer angesichts des Gürtels, den ich so schnöde opfern wollte und wies darauf hin, dass dieser Gürtel ja auch eine wunderschöne Schnalle habe.

Ich wollte unbedingt eine lange Diskussion vermeiden und stimmte deshalb in den Lobgesang mit ein, kaufte den langen Gürtel, den er mir dann auch noch freundlicherweise für minus 20% überließ und eilte neu beflügelt und heiter zurück zu Ahlers.

„Ah!“, machte die Näherin, „wo haben Sie den denn gefunden?“ Ich erzählte die Geschichte in Kurzfassung und drängte:

„Jetzt wird es wohl mit der Anfertigung klappen.“ Sie schwieg verlegen. Ich sah ihr ins schuldbewusste Gesicht und hakte nach: „Oder nicht??“

Sie wand sich ein bisschen, kriegte anstandshalber einen hochroten Kopf und gestand mir dann, es ginge nicht, weil sie ja nicht die nötigen Teile zur Verankerung der Gürtelschnalle habe. „Und wo kriege ich die her?“, wollte ich, ziemlich ernüchtert, wissen. Sie hob die Schultern und Augenbrauen bei gleichzeitigem Absenken der Mundwinkel.

„Dass Sie die ganzen Zutaten gar nicht haben, haben Sie mir vorhin nicht gesagt“, warf ich ihr ziemlich deutlich und beleidigt vor. Gleiche Gestik und Mimik.

Tja, so war das! Ich packte meine Utensilien wieder ein, grüßte frostig und verließ das Geschäft mit dem festen Vorsatz, diesen Laden vorerst zu meiden wie der Teufel das Weihwasser.

Jetzt hatte ich zwar einen Gürtel, der lang genug war, dass man die Beschläge abtrennen und meine Gürtelschnalle irgendwie daran befestigen konnte, ohne dass er zu kurz wurde, aber die Befestigungen, an denen ich den Pfau einhängen müsste, die hatte ich nicht.

Vielleicht gibt es so was bei Mr. Minit. In jedem Supermarkt gibt es so eine Ecke, wo ein Mensch mit grüner Schürze Ledersachen flickt, Schuhe besohlt und Taschen näht. Der müsste solche Metallteile haben. Und auch den Gürtel nähen können. Also auf in den Emspark!

Willi hieß er, der Mann mit der grünen Schürze. Er hörte sich mein Anliegen stumm an und legte dann seine Stirn in enge Falten, während er den Kopf immer wieder schüttelte.

„Ne“, sagte er eins um andere Mal, „ne, da hab ich nix für. Ne!“ Die Hoffnung, die bislang als zartes Pflänzchen gekeimt hatte, ließ die Blättchen hängen.

„Aber nähen“, insistierte ich, „nähen könnten Sie das doch, oder?“ „Tja“, machte Willi und kratzte sich am Hinterkopf, „ja, tja, aber Ihnen fehlen ja die Metallhalterungen.“ Wohl wahr, Willi!

„Ich dachte, ein Schumacher müsste so etwas vorrätig haben, für Reparaturen oder so was.“ Ich gab nicht auf.

Willi schüttelte traurig den Kopf. „Heutzutage gibt´s kaum noch Material für Reparaturen. Deutsche Wertarbeit ist nicht mehr gefragt. Die Sachen kommen alle aus Nah - und Fernost und wenn Sie was repariert haben wollen, ist das teurer als ein Paar neue Schuhe.“ Er hatte sich tatsächlich in Rage geredet. „Die Metallteile kriegen Sie vielleicht im Baumarkt“, fügte er dann völlig unerwartet hinzu. Das war´s!

Obi, ich komme!!

Am Informationsstand bat ich den Mitarbeiter, mir einen geduldigen, kreativen und kompetenten Mitarbeiter für die Eisenwarenabteilung an die Seite zu stellen. Der Mann schmunzelte und sagte:

„Sie bekommen den fähigsten im ganzen Baumarkt!“ Dann rief er über die Lautsprecheranlage einen „Dennis“ in die Eisenwarenabteilung.

Der junge Mitarbeiter hörte regungslos mein Ersuchen an, verzog keine Miene und lauschte aufmerksam, aber ich hatte, während ich ihm sagte, was ich brauchte, den Eindruck, dass hinter seiner Stirn ein ganzer Satz Zahnräder ratterten:

Bleib ruhig, Dennis, die Frau ist ganz harmlos!

Er fand dann auch ein paar Metallteile, die man hätte verwenden können. Ich wollte schon jubeln, da stellte ich fest, dass sie zu groß und zu dick waren.

Auch beim Hagebaumarkt fand ich keine geeigneten Krampen. Es war zum Verzweifeln!

Schlaf eine Nacht drüber, und dann fang von vorne an, dachte ich.

Am nächsten Morgen rief ich erst einmal Ulla an.

Ulla hat immer gute Einfälle und ist kreativ. Sie hat von ihrem Vater alles Näh- und Dekorationsmaterial geerbt, das er im Laufe eines langen, kreativen Lebens als Dekorateur angesammelt und natürlich nichts davon je weggeworfen hat. Außerdem ist sie ordentlich und weiß, wo sie was aufbewahrt. Und wenn mal nicht, dann legt sie eine legendäre Ausdauer beim Suchen an den Tag und wird über kurz oder lang fündig. Und schließlich besitzt sie den gleichen Ehrgeiz wie ich, so lange an einem Problem zu puzzeln, bis es keins mehr ist.

Ein kurzes Telefonat und ich war zehn Minuten später bei Ulla. Nach weiteren zehn Minuten war die Sache erledigt. Sie war in den Tiefen der dritten untersuchten Schublade fündig geworden und hatte zwei eckige Metallringe hervorgezaubert, die genau die richtige Größe für die Verankerung der Gürtelschnalle hatten.

„Das näht dir bestimmt der Schumacher im Ida - Zentrum“, versicherte sie mir, aber ich winkte gleich ab. „Der ist vierzehn Tage in Urlaub“, wusste ich. Dann sollte ich es bei Multi versuchen, schlug sie vor. Und da ich am nächsten Vormittag sowieso einen Abstecher in die Stadt plante, erweiterte ich meinen Stadtbummel um „Multi“.

Bevor ich nach Leer fuhr, frühstückte ich mit einer Reihe netter Kolleginnen und Kollegen, – wir läuten die Herbstferien immer mit einem gemeinsamen Frühstück ein - denen ich von der Gürtelschnallen-Odyssee berichtete. Der guten Ratschläge gab es eine Menge, sehr zu meiner Freude. Allerdings hatte ich die meisten bereits getestet und war gescheitert. Lediglich der Vorschlag Nadines, es einmal im „Holgulus“ zu versuchen, klang mir neu in den Ohren.

„Wo ist das denn?“, wunderte ich mich. Es handelte sich, wie ich sogleich erfuhr, um einen Laden in der Fußgängerzone in Leer, wo man Mittelalter -, Larp -, Gothic - und Ritualbedarf sowie Räucherwerk erstehen konnte. Ach ja, den Laden mit den mittelalterlichen Kleidern hatte ich schon mal bemerkt. Außerdem roch es da gut nach Räucherstäbchen, und mittelalterliche Klänge erfüllten den Laden.

Jedenfalls meinte Nadine, dass dort Kleider, Gürtel und Kettenhemden angefertigt würden. Ich solle es da doch einmal versuchen.

Wenige Zeit später parkte ich vor der Riesenbaustelle bei Multi, machte meine Einkäufe und suchte dann den Schuhmacher in seinem Kabuff auf. Einen Versuch war es noch wert.

Die Pizzabäckerin vom Stand gegenüber sah mich und brüllte: „Walter! Kundschaft!“

Walter in seiner grünen Schürze kam heran geschlurft. Er lauschte geduldig meinen Worten und meinte danach:

„Ne, das kann ich Ihnen nicht nähen.“ Ich wies darauf hin, dass ich doch zwei Befestigungsstege hätte.

Daraufhin meinte er:

„Ja, aber das ist kein Leder, das reißt beim Schneiden.“

Wie bitte?? Ich hatte ziemlich viel bezahlt für den Gürtel „Echt Leder“, und nun sagte mir dieser Walter, er sei nicht aus Leder?

Da sei nur die obere Schicht aus Leder, darunter stecke Pappe, und die reiße, wie gesagt. Ich war am Boden zerstört. Auch das noch! „Heutzutage kannste Lederschuhe schon Lederschuhe nennen, wenn man bloß die Zunge aus Leder ist,“ beschwerte er sich, „das sind die EU- Bestimmungen, und da kannste nichts gegen machen.“

„Sie können das also nicht nähen?“, wollte ich noch einmal wissen. Er bejahte, indem er stumm den Kopf schüttelte. Es würde doch nur reißen. Na Klasse!

Weiter in die Fußgängerzone, irgendwann würde ich Erfolg haben. Früher oder später. Vielleicht.

Den Laden „Holgulus“ steuerte ich genau 14.20 Uhr an. Hinter dem Tresen hockte in schwarzer Kluft ein paus - und rotbäckiger junger Mann, den eine ältere Frau – ich tippe, es war seine Mutter – umtanzte, ohne dass er auch nur einen Zentimeter zur Seite rückte. Erst als sie ihn weg scheuchte, zog er sich zurück.

Ich erzählte ihr von meiner bislang fruchtlosen Suche.

„Ach“, sagte sie und sah mich freundlich an, „hier sind Sie genau richtig. Mein Mann näht Ihnen jeden Gürtel, den Sie wollen.“ Ich stieß einen lauten Freudenschrei aus.

Sie lachte: „Ich muss Sie aber auf morgen vertrösten, heute ist er schon weg. Aber morgen, ab 14.00 Uhr - gerne.“

Wunderbar!!

Ihr Mann war anwesend, als ich am nächsten Tag um zwei hereinschaute. Seine Frau hatte ihn auch schon theoretisch ins Bild gesetzt und er ließ sich von mir noch einmal die praktische Seite erklären.

„Ich schneid erst einmal die beiden Enden mit den Schnallen ab“, meinte er dann.

Super! Das war ein Mann von Tat! Kein langes Debattieren oder Zweifeln, direkt handeln! Und dann gab`s kein Halten mehr. Ich schlang mir den um seine Enden beraubten Gürtel um die Hüften, und er markierte mit einem Stift den späteren Ort der Haken.

„Die niete ich jetzt an“, verkündete er und verschwand im Hinterzimmer.

Ich beguckte Totenköpfe, Runen und Amulette, befingerte schwere Samtroben und feine Spitzenläppchen. Die Frau warb ein bisschen für ein paar Konzerte „von uns“ und legte eine CD auf, die mich aber nicht so wirklich vom Hocker riss.

Der Mann kam zur ersten Anprobe. Es stellte sich heraus, dass vor den Nieten der Gürtel noch zu lang war. Also zurück und die Enden ein weiteres Mal gekappt.