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Olaf und Hardy beobachten beim Training ihres Lieblingsvereins ein harmloses Foul an Ivo Knofczyk, dem neuen Star des FC Hamburg. Doch als die beiden Freunde in den Nachrichten hören, dass der Spieler schwer verletzt sein soll, werden sie stutzig. Für Olaf steht fest: Da stimmt was nicht! Bei seinen Nachforschungen stößt er auf ein Komplott und gerät dabei selbst in höchste Gefahr.
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Seitenzahl: 172
Veröffentlichungsjahr: 2024
Ulli Schubert
Thriller
Olaf und Hardy beobachten beim Training ihres Lieblingsvereins ein harmloses Foul an Ivo Knofczyk, dem neuen Star des FC Hamburg. Doch als die beiden Freunde in den Nachrichten hören, dass der Spieler schwer verletzt sein soll, werden sie stutzig. Für Olaf steht fest: Da stimmt was nicht! Bei seinen Nachforschungen stößt er auf ein Komplott und gerät dabei selbst in höchste Gefahr.
Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch
Ulli Schubert lebt in Hamburg und ist Experte in Sachen Fußball. Als Kind spielte er selbst begeistert, heute fiebert er vor allem mit dem FC St. Pauli. Bevor er Schriftsteller wurde, jobbte er in vielen Berufen: Er arbeitete als LKW-Fahrer, als Liegewagenschaffner und als Sportreporter, bevor er schließlich Erzieher wurde. Seit 1991 schreibt er sehr erfolgreich Kinder- und Jugendbücher.
Weitere Informationen zum Autor und zu seinen Büchern finden sich unter: www.ulli-schubert.de
Weitere Veröffentlichungen:
Ausgewechselt
Fehlpass
Gefoult
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Letztes Kapitel
Verlängerung
Die Ferien hatten gerade begonnen, und eigentlich sollten es die schönsten Tage meines noch jungen Lebens werden. Zunächst deutete auch nichts darauf hin, dass dabei etwas schief gehen könnte. Die Nachmittagssonne lachte vom wolkenlosen Himmel, und ein lauer Frühlingswind wehte über den Fußballplatz.
Hardy und ich standen am Spielfeldrand und beobachteten mit der Videokamera die Kicker des FC Hamburg bei ihrer zweiten Trainingseinheit des Tages. Diese Mannschaft war richtig gut, die beste seit vielen Jahren. Seit der Winterpause hatte sie kein Spiel mehr verloren. Die Teilnahme am UEFA-Cup war so gut wie sicher, die Champions-League-Qualifikation lag in greifbarer Nähe, und selbst die Meisterschaft war noch möglich. Der FC war Tabellenvierter, punktgleich mit den Bremern. Beide hatten drei Punkte Rückstand auf die Bayern und vier auf die Leverkusener. Bei fünf ausstehenden Spielen war in dieser Saison also wirklich noch alles drin, und es machte riesigen Spaß, ein Fan von diesem Verein zu sein.
Außer Hardy und mir hielten sich vielleicht noch siebzig weitere Anhänger des Clubs rund um den Fußballplatz auf, wobei wir beide die jüngsten waren. Und zwar mit Abstand! Die anderen waren alles Rentner, zumindest verhielten sie sich so. Sie standen in kleinen Gruppen zusammen, hielten Bierflaschen in den Händen, qualmten Zigarren und kommentierten lautstark das Geschehen auf dem Platz. Die Alten zeterten, schimpften oder lachten hämisch, wenn ein Pass nicht ankam. Sie wirkten so unzufrieden, dass ich mich fragte, warum sie eigentlich jeden Tag wiederkamen.
Ich zog meine Uhr aus der Hosentasche. Taschenuhren sind nicht besonders praktisch, vor allem nicht, wenn sie alt sind. Ich musste meine jeden Morgen aufziehen und stellen, und trotzdem ging sie nie richtig. Aber ich hatte die Uhr von meinem Opa geerbt. Er war gestorben, als ich noch ein Kind war, und das Einzige, was mich an ihn erinnerte, war diese Uhr in meiner Hand. Auf dem Deckel war die Silhouette von Hamburg abgebildet. Mein Opa hatte seine Heimatstadt immer über alles geliebt – so wie ich. Deshalb trug ich diese Uhr, und sie ging immerhin genau genug, um zu erkennen, dass es langsam Zeit wurde.
«Ich will los», sagte ich zu Hardy.
Er reagierte nicht, sondern verfolgte weiter mit der Kamera das Trainingsspiel der Stammspieler gegen die Reserve.
«Oh Mann, Hardy, jetzt komm endlich», knurrte ich. «Ich muss noch packen, und außerdem …»
Ein Schrei gellte über den Platz und schnitt mir das Wort ab. Auf der gegenüberliegenden Seite war ein Spieler gefoult worden. Ich konnte nicht erkennen, wer dort am Boden lag. Aber wozu hatten wir eine Videokamera? Es war zwar ein Modell aus der Steinzeit, aber sie besaß immerhin eine Zoomfunktion.
«He, gib mal her, ich will sehen, wer da faul auf dem Rasen liegt», sagte ich. Doch Hardy wehrte meine Versuche, ihm seine Kamera wegzunehmen, mit Leichtigkeit ab und starrte weiter durch den Sucher.
«So ein Mist, ich glaube, es ist Ivo.»
«Wer? Ivo? Ivo Knofczyk?!»
Ich schrie den Namen fast. Kein Wunder, denn Ivo Knofczyk war die Ursache für den fabelhaften Aufstieg des FC Hamburg. Der tschechische Mittelfeldzauberer war in der Winterpause mit der Familie – seiner Mutter, einem älteren Bruder und der jüngeren Schwester – aus einem Ort in der Nähe von Prag nach Hamburg gezogen. Das Foto von der Ankunft am Flughafen Fuhlsbüttel war damals in allen Zeitungen gewesen. Satte 3,5 Millionen Euro hatte der Wechsel an die Elbe gekostet, doch jeder Cent hatte sich gelohnt! Der junge Star übernahm gleich die Regie im Mittelfeld und führte seine neue Mannschaft in wenigen Wochen aus der grauen UI-Cup-Region an die erweiterte Tabellenspitze. Alle im Verein, vom Präsidenten über die Spieler und den Platzwart bis hin zu den Fans, machten sich berechtigte Hoffnungen, nach unendlich langen Jahren endlich einmal wieder die Meisterschale nach Hamburg holen zu können. Und jetzt lag der Auslöser dieser Hoffnungen verletzt auf dem Rasen des Trainingsplatzes.
«Verdammt, und am Samstag müssen wir ausgerechnet nach Bremen. Ohne Ivo haben wir da doch keine Chance!»
Hardy nickte nur stumm. Er war so blass im Gesicht, wie ich mich fühlte.
Doch plötzlich begannen die Alten auf der anderen Seite des Platzes zu klatschen. Ivo Knofczyk erhob sich langsam und humpelte mit schmerzverzerrtem Gesicht zur Seitenlinie. Ich konnte nicht erkennen, ob und wie schwer der Mittelfeldstar sich verletzt hatte. Aber es war bestimmt ein gutes Zeichen, dass er noch allein gehen konnte.
Auch Hardy atmete hörbar auf.
«Ein Glück, er steht wieder. War wohl nicht so schlimm.» Er schaltete die Videokamera aus und wuchtete sie sich über die Schulter. «Na komm, lass uns gehen.»
Wir schwangen uns auf unsere Fahrräder. Der Weg vom Stadion war nicht weit. Schon nach wenigen Minuten bogen wir in die Straße ein, in der ich wohnte. Die schmale Fahrbahn war gesäumt von mächtigen Kastanienbäumen. Am Straßenrand parkten nur wenige Autos. Von den schönen Häusern, den riesigen alten Villen und den modernen Gebäuden mit den noblen Apartments war von der Straße aus allerdings nichts zu sehen, denn die Grundstücke waren von hohen Mauern und dichten Hecken umgeben.
‹Hier stinkt’s nach Geld›, hatte Hardy gesagt, als er mich das erste Mal besuchte, und dabei die Nase gerümpft. Es dauerte einige Zeit, bis ich ihn davon überzeugen konnte, dass wir zwar in einem schönen Haus und in einer guten Gegend wohnten und meine Familie ganz bestimmt nicht arm war, aber eben auch nicht zu den Superreichen gehörte.
Eine schwere dunkle Limousine kam uns entgegen. Der Wagen stoppte ein paar Meter vor uns, genau vor der Einfahrt zu unserem Grundstück. Auf der Fahrerseite wurden die getönten Scheiben heruntergelassen, und ein älterer Herr steckte seinen grauhaarigen Kopf heraus.
«Guten Tag, Olaf», begrüßte er mich mit freundlicher, sympathischer Stimme.
«Hallo, Herr Brenner.»
«Warte bitte mal.» Er wühlte in der schwarzen Aktentasche, die neben ihm auf dem Beifahrersitz stand, zog ein dünnes Taschenbuch heraus und hielt es mir durch das offene Fenster entgegen. «Ein paar Informationen über die Karibik. Ich habe es deinem Vater versprochen.»
«Oh, das tut mir Leid.» Ich sah ihn bedauernd an. «Meine Eltern sind weg, sie sind gestern Abend geflogen.»
«Gestern schon?», rief Herr Brenner. «Na, so was, ich dachte, heute. Offenbar werde ich langsam alt.»
Ich lachte, zog die Uhr aus der Hosentasche und ließ den Deckel aufspringen. «Ich schätze, sie liegen genau in diesem Augenblick an Deck ihres Luxusschiffs und genießen den ersten Cocktail. Oder den zweiten, wie ich meine Eltern kenne.»
Der Mann in dem Wagen grinste.
«Sei nicht so frech. Dein Vater arbeitet schwer, er hat sich den Urlaub verdient. – Das Buch werde ich selber lesen. Vielleicht komme ich ja auf den Geschmack und buche auch eine Traumreise. Meine Frau wäre bestimmt begeistert.» Er hob grüßend die Hand und wollte das Seitenfenster schließen, als er plötzlich stutzte und mich fragend ansah. «Und was ist mit dir, Olaf? Wieso bist du noch hier? Wolltest du nicht dieses Probetraining besuchen?»
«Morgen, Herr Brenner. Morgen Vormittag geht es los.»
«Morgen erst? Oh Gott, ich werde wirklich alt!» Er seufzte. «Na, ich wünsche dir jedenfalls viel Erfolg. Und grüß bitte deine Eltern von mir, wenn sie sich melden.»
Ich nickte, obwohl ich wusste, dass ich nichts von ihnen hören würde. In den nächsten zehn Tagen waren sie ‹irgendwo in der Karibik verschollen›, wie mein Vater es formuliert hatte. Unauffindbar. Er hatte noch nicht einmal sein Handy mitgenommen.
«Das war unser Nachbar, der beste Freund meines Vaters», sagte ich erklärend zu Hardy, als der dunkle Wagen davongerollt war. «Er ist ein echter Bankdirektor. Kaum zu glauben, was?»
Hardy schnaubte.
«Ich glaub was ganz anderes nicht», presste er hervor.
«Ach, und was?»
«Dass ich tatsächlich dein bester Freund bin!»
«Aber … natürlich bist du das!», sagte ich irritiert.
«Ach ja? Und dann erfahre ich so ganz nebenbei, dass du heute ’ne sturmfreie Bude hast? Mann, das ist doch die Gelegenheit. Los, wir feiern ’ne Party!»
«Siehste, genau deshalb hab ich es dir nicht erzählt!»
«Ach komm, stell dich nicht so an», meinte Hardy. «Deine Eltern sind doch in Ordnung, die haben bestimmt nichts dagegen.»
«Nein, die nicht, aber der Trainer! Der schickt mich doch gleich wieder nach Hause, wenn ich da morgen mit einem dicken Schädel ankomme.»
Hardy sah mich verständnislos an. Ich öffnete das Gartentor und stellte mein Rad in die Garage. An der Haustür drehte ich mich nach ihm um.
«Was ist – bist du festgewachsen?»
Hardy schüttelte den Kopf.
«Manchmal begreife ich dich wirklich nicht», sagte er, bevor er mir folgte und sein Rad ebenfalls durch das Tor auf unser Grundstück schob.
Ich holte uns etwas zu trinken, ein paar Erdnüsse und Gläser aus der Küche. Als ich in mein Zimmer zurückkam, lief leise das Radio. Hardy wedelte mit einem Brief, der auf meinem Schreibtisch gelegen hatte. Im Briefkopf war deutlich das Vereinswappen eines Klubs aus der Regionalliga Süd zu erkennen.
«Ich hätte wetten können, dass du ihn dir einrahmst», sagte er und lachte.
«Hahaha, sehr komisch, Hardy, wirklich.»
«He, ich meine es ernst! Mann, so wie du dich da reingehängt hast, würde ich mich noch nicht mal wundern, wenn du die Antwort an die Wand genagelt hättest, um sie jeden Abend anbeten zu können. Wie viele Briefe hast du geschrieben? Zehn? Zwanzig? Fünfundzwanzig?»
Ich nickte, obwohl Hardy von der richtigen Zahl noch ein gutes Stück entfernt war.
«Wahnsinn, fünfundzwanzig Bewerbungen! Ist es dir eigentlich gar nicht peinlich, dich selber so anzubieten?»
«Nee, wieso denn?» Ich zuckte mit den Schultern. «Okay, normalerweise ist dafür der Spielerberater zuständig. Aber was soll ich machen – ich hab ja noch keinen.»
«Mit der Betonung auf ‹noch›, stimmt’s?»
«Ja, genau», sagte ich ernst, obwohl mir klar war, dass Hardy mich aufziehen wollte. Das verriet allein schon der Blick in sein feixendes Gesicht. Aber mir war das Thema zu wichtig, um darüber Scherze zu machen. Ich wollte Fußballprofi werden, unbedingt. Hardy wusste das, schließlich war er mein bester Freund. Und seinen eigenen Worten zufolge zweifelte er auch überhaupt nicht daran, dass ich gut genug war, um als Fußballspieler Karriere zu machen. Er fand es nur überflüssig, dass ich mich so sehr bemühte, einen Verein zu finden, der mir eine Chance gab. Seiner Meinung nach brauchte ich nur etwas Geduld. Hardy war überzeugt, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis jemand vom FC Hamburg mein Talent entdeckte.
Natürlich wäre es für mich das Größte, als Profi bei meinem Lieblingsklub zu spielen. Aber ich hatte schon mit sechs aufgehört, an Märchen zu glauben. Deshalb hatte ich einen Plan: Ich wollte zunächst bei anderen Vereinen lernen, wollte besser werden und als Profikicker Erfahrungen sammeln, um dann – auf dem Höhepunkt meiner Karriere – zum FC Hamburg zu wechseln.
Mir war klar, dass ich mehr als nur eine große Portion Glück brauchte, um diesen Plan zu verwirklichen. Aber ich war bereit, alles dafür zu tun.
Mit Hardys Hilfe hatte ich ein Trainingsvideo produziert, das ich an einige Klubs in der 2. Bundesliga, alle Regionalligavereine, etliche Viertligisten und sogar nach Dänemark geschickt hatte. Bei über fünfzig Vereinen hatte ich mich beworben. Und ich hatte tatsächlich Erfolg. Eines Tages kam die Einladung des Regionalligavereins. Der Klub kämpfte zwar permanent gegen den Abstieg und war zudem in einer Kleinstadt beheimatet, die sehr weit von Hamburg entfernt lag. Fast am anderen Ende Deutschlands. Aber das war mir egal. Diese Einladung war meine Chance, und ich wollte sie nutzen! Wenn ich dort zeigen konnte, was in mir steckte, war ich meinem Ziel schon einen großen Schritt näher gekommen.
«Jetzt hör schon auf zu grinsen, Hardy. Ich finde, der Aufwand hat sich gelohnt. Wer weiß, vielleicht spiele ich in ein paar Jahren tatsächlich in der Bundesliga!»
«Na toll. Dann bist du ein berühmter Fußballprofi, aber immer noch solo.»
«Was?» Ich stutzte, doch dann musste ich lachen. «Glaubst du wirklich, dass du mich mit so einem plumpen Versuch dazu bringen kannst, heute Abend doch noch eine Party steigen zu lassen? Vergiss es!»
«Mann, stell dich doch nicht so an. Zufällig weiß ich genau, dass einige Mädchen total heiß auf dich sind. Mellie, zum Beispiel. Wenn du dir bei ihr nur halb so viel Mühe geben würdest wie bei der Vereinssuche …»
«Dann hätte ich sie jetzt am Hals», unterbrach ich Hardy. «Na super, und dann? Ich hab dir schon tausendmal gesagt, dass ich für Mädchen im Moment keine Zeit hab. Tut mir Leid, ich habe andere Prioritäten.»
«Ja, ich weiß. Aber immer nur Fußball ist auf die Dauer doch auch langweilig.»
«Das meinst du», sagte ich und winkte ab.
Eine Pause entstand. Ich hörte der Musik zu, die aus dem Radio dudelte, doch nach ein paar Takten brach die Melodie ab, und es folgten die Nachrichten.
Im Grunde hatte Hardy ja Recht. Es war schon ziemlich lange her, dass ich eine Freundin hatte. Aber irgendwie war mir alles, was mit Mädchen zu tun hatte, viel zu kompliziert. Ich stellte es mir einfacher vor, mich mit dem Ball am Fuß durch eine massive Abwehrreihe zu tanken, die nur aus Ex-Rugbyspielern bestand, oder den entscheidenden Elfmeter im Pokalendspiel vor 70000 Zuschauern souverän zu verwandeln, als auch nur eine Minute lang mit einem Mädchen zu reden. Richtig zu reden, meine ich. Also mehr als nur «Hallo» oder «Ach, du auch hier?».
«He, hast du das gehört?!»
Hardy wuchtete seine Faust gegen meine Schulter und zertrümmerte mir dabei fast den Oberarm.
«Spinnst du jetzt total?», brüllte ich ihn an.
«Reg dich nicht künstlich auf, sei lieber leise und hör zu!» Hardy war ganz blass im Gesicht, und seine Finger zitterten, als er das Radio lauter stellte.
Einen Augenblick später wusste ich, warum!
«… hat sich Ivo Knofczyk im Training bei einer heftigen Attacke von Lars Kostner vermutlich einen Bruch der linken Schulter zugezogen», sagte eine Männerstimme im Radio. «Sollte sich diese erste Diagnose bei der Untersuchung im City-Krankenhaus bestätigen, wäre für Ivo die Saison wohl beendet.» – «Und damit vermutlich auch die Titelträume des FC Hamburg», ergänzte die Moderatorin. «Vielen Dank, das war Alexander Schneider, der Manager von Ivo Knofczyk, mit einer Hiobsbotschaft für alle FC-Fans. Und nun zum Wetter …»
Hardy drehte das Radio leiser.
«Ich glaub’s nicht», sagte er tonlos, fast schon resignierend. «Da haben wir endlich einmal die Chance, Deutscher Meister zu werden, und dann verletzt sich unser bester Spieler im Training! Warum, verdammt, warum?»
Ich wusste keine Antwort. Aber selbst wenn – ich hätte gar nichts sagen können. Mein Mund war plötzlich so trocken, als wäre ich gerade durch die Sahara gewandert. Und ich fühlte mich hilflos, genau wie bei der Fußball-Europameisterschaft 2004 in Portugal, als die deutsche Nationalmannschaft mit 1:2 gegen Tschechien verlor, was das Aus in der Vorrunde bedeutet hatte.
«Der arme Ivo», sagte Hardy. «Kannst du dir vorstellen, dass Lars Kostner ihn absichtlich umgetreten hat?»
«Niemals.» Ich schüttelte entschieden den Kopf.
«Ich auch nicht. – Mach mal den Sportkanal an, vielleicht wissen die schon mehr.»
Ich nahm die Fernbedienung von meinem Schreibtisch, schaltete den Fernseher ein und suchte im Teletext die Bundesligaseiten. Tatsächlich, dort stand es, weiß auf schwarz:
FC Hamburg: Knofczyk schwer verletzt
Kostet dieser Zwischenfall dem FC Hamburg die Meisterschaft? Im Training brach sich Ivo Knofczyk ersten Vermutungen zufolge die linke Schulter und fällt für den Rest der Saison aus. Kontrahent bei dem folgenreichen Zusammenprall war ausgerechnet Lars Kostner, der bis zur Winterpause selbst als Spielmacher bei den Hamburgern fungierte, sich seit der Verpflichtung des Tschechen allerdings hauptsächlich auf der Bank wiederfindet.
«Was sollen bloß diese blöden Andeutungen? Jeder weiß doch, dass Kostner so etwas nie im Leben mit Absicht machen würde. Oder was meinst du? – Hardy? He, Hardy, pennst du?»
Hardy schreckte hoch.
«Ich denke nach», sagte er.
«Echt? Wow!» Ich nickte anerkennend.
«Blödmann», zischte Hardy. «Ich überlege, wie ich jetzt an das Interview mit Ivo komme. Eigentlich wollte ich mich nämlich übermorgen mit ihm im Clubheim treffen. Aber daraus wird wohl nichts mehr.»
Ich starrte ihn an.
«Was sagst du da? Du bist mit Ivo Knofczyk verabredet? Wie hast du das denn geschafft?!»
«Das war kein Problem. Ich hab einfach nur den Fanbeauftragten angerufen.»
«Wahnsinn. Und warum hast du mir nichts davon erzählt?!»
Hardy zuckte mit den Schultern.
«Wieso sollte ich? Du fährst doch sowieso morgen weg», meinte er lapidar.
«Quatsch, ich hätte die Reise natürlich verschoben!»
«Ja, von wegen!» Hardy tippte sich an die Stirn. «Soll ich dir sagen, was passiert wäre? Du wärst losgefahren und hättest dich die ganze Woche darüber geärgert, dass du bei dem Interview nicht dabei sein kannst, anstatt dich auf das Probetraining zu konzentrieren.»
«Jetzt sag bloß noch, du hast es nur gut gemeint und mir deshalb nichts gesagt.»
«Genau.»
Hardy hatte Recht, das wusste ich. Aber ich war ziemlich sauer und wollte es nicht zugeben. Jedenfalls nicht sofort. Es war nun mal nicht leicht, darauf zu verzichten, einen der besten Fußballer Europas persönlich kennen zu lernen.
«Ach komm, Olaf, entspann dich wieder», meinte Hardy. «Sag mir lieber, wie ich Ivo interviewen soll, wenn er die nächste Zeit im Krankenhaus liegt.»
«Ganz einfach – wir besuchen ihn im Krankenhaus», schlug ich vor, denn ich hatte plötzlich eine Idee.
«Wir?», rief Hardy überrascht. «Jetzt?»
«Na klar, dann bin ich wenigstens dabei!»
«Und … und wenn er gerade operiert wird?»
«Dann haben wir eben Pech gehabt. Vielleicht liegt er aber auch vollkommen gelangweilt im Bett und freut sich über jeden, der ihn besuchen kommt», entgegnete ich.
«Du hast einen Knall», stellte Hardy fest. «Eindeutig.»
«Was ist?» Ich schaltete das Radio aus und zog meine Jacke an. «Willst du jetzt das Interview mit Ivo oder nicht?»
«Okay, ich komme mit», gab Hardy nach. «Mehr als rausschmeißen können sie uns ja nicht …»
Wir hatten Glück! Als wir am City-Krankenhaus ankamen, sahen wir einen Mann, der sich gerade aus der dichten Traube von Reportern löste und über den Parkplatz zu seinem Wagen eilte. Es war ein traumhaftes weinrotes Cabrio, und der Mann war Alexander Schneider. Der Berater von Ivo Knofczyk war klein, dicklich und etwa Mitte vierzig. Wir hatten ihn ein paar Mal auf Video aufgenommen, meistens zufällig, wenn er gerade neben Ivo stand. Daher wusste ich, wie er aussah, und auch Hardy erkannte ihn sofort.
«Hallo, Herr Schneider, bitte warten Sie!», rief er.
Der Mann drehte sich um.
«Was gibt es, Jungs? Wollt ihr ein Autogramm von Ivo?» Der Spielerberater setzte sich in seinen Wagen und öffnete mit einem Knopfdruck das Dach. Schneider blinzelte uns an. Die Sonne schien ihm genau ins Gesicht.
«Nein, danke», sagte Hardy eingeschnappt. Offenbar wurmte es ihn, dass Schneider uns mit ‹Jungs› angesprochen hatte. Mich störte das nicht so sehr. Ich hätte auch gern eine Autogrammkarte von Ivo Knofczyk genommen. Aber ich wollte Hardy nicht in den Rücken fallen.
«Wir wollen wissen, wie’s ihm geht», fuhr er fort.
«Wieso? Seid ihr etwa Reporter? Schülerzeitung oder so etwas?»
«Ach was. Wir sind FC-Fans und haben die furchtbare Nachricht im Radio gehört. Jetzt machen wir uns Sorgen.»
«Ach so.» Alexander Schneider lächelte. «Die Untersuchungen dauern noch an. Und solange das Ergebnis nicht feststeht, möchte ich zu der Verletzung und den Auswirkungen lieber nichts sagen.»
«Das verstehen wir», sagte Hardy.
«Tatsächlich? Dann seid ihr besser als diese neugierige Meute da drüben.» Schneider zeigte auf die Reporter, die im Eingang des Krankenhauses standen.
Ich ließ mich von seinem angewiderten Gesichtsausdruck jedoch nicht abschrecken.
«Dann wird Ivo nicht operiert?», fragte ich.
«Das ist noch nicht sicher.»
«Ich meine – im Moment.»
«Nein, er wird noch untersucht, das sagte ich doch schon.» Die Stimme des Spielerberaters klang ungeduldig. «Jungs, worum geht’s?»
«Ivo hat uns ein Interview versprochen», erklärte ich.
«Also doch Reporter.» Alexander Schneider lachte, aber es klang verärgert. «Herzlichen Glückwunsch, Jungs, da habt ihr mich ja sauber reingelegt.»
«Nein, wir sind wirklich Fans», sagte Hardy. «Wir brauchen das Interview für unser Video.»